China: Ein neues Modell für Wachstum und Entwicklung -  - E-Book

China: Ein neues Modell für Wachstum und Entwicklung E-Book

0,0
27,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der vorliegende Band erscheint innerhalb der Reihe Chinesische Perspektiven: Ökonomie, in der in Zusammenarbeit mit führenden chinesischen Verlagen grundlegende und einflussreiche Werke, die den Diskurs in China prägen, erstmals einem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht werden. Die chinesische Wirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden politischen und strukturellen Wandel. Ziel ist, mehr Menschen der chinesischen Gesellschaft am Wachstum teilhaben zu lassen und dieses auch zukünftig zu erhalten. Dieses Buch beschreibt die Ablösung des alten Wachstumsmodells der ungehemmten Investitionsausweitung durch den Übergang zu einem Modell des modernen Wirtschaftswachstums. Dazu gehören Einblicke in den Aufbau neuer Institutionen des öffentlichen Finanzwesens, in Reformen der Industrie und der Landwirtschaft, und in demographische Veränderungen der chinesischen Gesellschaft. Der Sammelband gibt zudem Auskunft über Chinas Bemühungen für ein "grünes Wachstum" und die Strategien zur Eindämmung des Klimawandels.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 564

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Danksagung

1 Chinas neue Strategie für langfristiges Wachstum und Entwicklung: Imperative und Implikationen

2 Neue Institutionen für ein neues Entwicklungsmodell

3 Die neue Normalität in der Entwicklung Chinas

4 Das Ende der demografischen Dividende Chinas: Die Perspektiven für ein BIP-Wachstum

5 Die Industrialisierung Chinas: Pfadabhängigkeit und der Übergang zu einem neuen Modell

6 Der Sparkurs und die globale Wirtschaftsleistung Chinas

7 Aufbruch zu einer innovativen Volkswirtschaft: Ergebnisse aus der Datenanalyse chinesischer Unternehmen

8 Chinas Agrarentwicklung: Erfolge und Herausforderungen

9 Städtische und ländliche Migration: Trends und Auswirkungen im Zeitraum 2008 bis 2012

10 Reformen für eine langfristige Entwicklung – Chinas öffentliches Finanzsystem

11 Index des provinzialen Geschäftsumfeldes in China – Kurzfassung des Berichts 2013

12 Wird China eine umweltfreundliche Industrie aufbauen können?

13 Kann China sich grün entwickeln?

14 Chinas Klimaschutzmaßnahmen im internationalen Kontext: Das Problem Australien und Chinas

15 Chinas steigender Energiebedarf und das Trilemma der Energiepolitik

16 Finanzielle Restriktionen für ausländische Direktinvestitionen chinesischer Privatunternehmen

17 Determinanten des chinesischen IKT-Exports: Eine Analyse auf Unternehmensebene

Danksagung

Das China Economy Program dankt Rio Tinto für die finanzielle Unterstützung in Gestalt der Rio Tinto-ANU China Partnership sowie Elizabeth Buchanan und unseren Kollegen vom East Asia Forum und der Asia and the Pacific Policy Society an der Australian National University für ihre Mitarbeit.

 

1 Chinas neue Strategie für langfristiges Wachstum und Entwicklung: Imperative und Implikationen

Ross Garnaut, Cai Fang und Song Ligang

Das neue Modell des chinesischen Wirtschaftswachstums

Die chinesische Wirtschaft erlebt derzeit tiefgreifende politische und strukturelle Veränderungen. Dieser Wandel ist notwendig, um den Wert der wachsenden Wirtschaft für die chinesische Gesellschaft zu steigern und auch in Zukunft Wirtschaftswachstum zu gewährleisten. Der Wandel ist zum Teil zurückzuführen auf wirtschaftlichen Druck, welcher mit erfolgreicher Wirtschaftsentwicklung einhergeht, da Arbeitskräftemangel und rapide Reallohnzuwächse nicht nur die Verteilung von Ressourcen und Einkommen verändern, sondern auch Auswirkungen haben auf die Umwelt, das Wirtschaftswachstum, Ersparnisse, Investitionen und internationale Kapitalströme. Diese Veränderungen, die aus dem Erfolg alter Wachstumsmuster hervorgegangen sind, werden durch staatspolitische Änderungen verstärkt, die eine gerechtere Einkommensverteilung und weniger schädliche Auswirkungen auf das inländische und internationale Umfeld sicherstellen sollen.

Die Veränderungen sind so umfassend und tiefgreifend, dass sie auf ein neues Modell des chinesischen Wirtschaftswachstums hinauslaufen. Dieses Buch beschreibt die Ablösung des alten Wirtschaftsmodells der ungehinderten Investitionserweiterung durch den Übergang zu einem modernen Wirtschaftswachstum.

Das Buch stellt die Ergebnisse neuerer Forschungsarbeiten zu verschiedenen Aspekten des Übergangs zu einem modernen Wirtschaftswachstum vor. Die folgenden Kapitel gewähren einen Einblick in jüngste Veränderungen und zukünftige Folgeerscheinungen. Sie heben einige der Auswirkungen des Wandels auf Chinas Beziehungen zur internationalen Wirtschaft hervor.

Sobald eine Volkswirtschaft die Treppe des modernen Wirtschaftswachstums betritt, bleibt sie nie stehen. Seitdem Entscheidungen der Kommunistischen Partei im Jahre 1978 den Weg für eine marktorientierte Reform und Integration in die internationale Wirtschaft geebnet haben, durchlebt China einen rastlosen Wandel in einem überwältigenden Tempo.

Die Veränderung war kontinuierlich und schnell. Jedes Jahr der Reformperiode brachte neue Hindernisse für den wirtschaftlichen Fortschritt, neue politische Herausforderungen, neue Lösungen für manche alten Probleme und neue Muster wirtschaftlicher Aktivität hervor.

Wenn wir die gesamte Reformperiode betrachten, können wir trotz des kontinuierlichen Wandels drei große Zeiträume ausmachen. Jeder von ihnen brauchte politische Richtlinien und strukturelle Übergänge, bevor er der Entwicklung eine neue Prägung geben konnte.

Der erste Zeitraum, zwischen etwa 1978 und 1984, ist die Ära des wachsenden Einkommens im landwirtschaftlichen und ländlichen Bereich. Der zweite ist die Zeit der ungehinderten Investitionserweiterung von 1985 bis 2011. Der dritte ist der Übergang zu einer modernen Wirtschaft, welcher 2012 begonnen hat.

Zwei Innovationen innerhalb wirtschaftlicher Institutionen untermauerten die Ära des starken Einkommenswachstums im landwirtschaftlichen und ländlichen Bereich: das Ersetzen von Volkskommunen durch das Haushalts-Verantwortungssystem sowie das Aufkommen von Dorf- und Gemeindeunternehmen, die aus den redundanten Strukturen der Volkskommunen entstanden waren. Die institutionellen Veränderungen wurden unterstützt durch Anpassungen der Agrarpreisregelungen, welche die Handelsbedingungen für Landwirte verbesserten. Die Einkommenserhöhungen und ihre gerechte Verteilung überall in China schafften zu jener Zeit die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen für eine allgemeine marktorientierte Reform und waren auch der Ausgangspunkt einer weitreichenden Reform städtischer Wirtschaftsinstitutionen.

In der Ära des starken Zuwachses des Einkommens in der Landwirtschaft und in ländlichen Gebieten geschahen viele weitere Veränderungen, die in den späteren Jahren eine umfassendere Wirtschaftsreform und -transformation förderten. Die Reformen des Außenhandels und der Investitionen, des Finanzsystems und der Unternehmensführung gewannen Mitte der 1980er Jahre an Bedeutung und hatten eine lange Entwicklungszeit. Grundlegende Voraussetzungen für einen künftigen wirtschaftlichen Wandel waren jedoch die Rehabilitierung des Bildungs- und Forschungssystems nach der Kulturrevolution und die weittragenden Veränderungen der Kommunistischen Partei und des öffentlichen Diensts.

Diese Veränderung gestaltete sich als Übergangsphase, die Mitte der 1980er Jahre begann und als lange Periode der ungehinderten Investitionserweiterung bis ungefähr 2011 andauerte. Städtischen und industriellen Investitionen wurde Priorität eingeräumt, der Investitionsanteil der Produktion wuchs immer stärker an und erreichte noch nie dagewesene 50% am Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends.

Diese Periode ging einher mit hohen und wachsenden Spareinlagen als Teil des Einkommens, der Bereitstellung eines hohen Anteils dieser Spareinlagen für inländische Investitionen, einer schnellen Expansion industrieller Produktion durch die Aufnahme einer großen Zahl an ländlichen Migranten, deren Löhne langsamer wuchsen als die Arbeitsproduktivität, einer wachsenden Konzentration auf industrielle Exporte – zunächst technologisch einfache und arbeitsintensive Exporte, wobei mit der Zeit komplexere und kapitalintensivere Komponenten ein Teil der Mischung wurden –, einer intensiven Nutzung von Metallen und Energie und zunehmend schädigenden Auswirkungen auf die heimische und globale Wirtschaft.

Die ungehinderte Investitionserweiterung umfasste einen raschen Aufholprozess von einem niedrigen Ausgangspunkt aus mithilfe der Kapitalintensität und Technologie hochentwickelter Länder. Sie wurde um eine immer tiefer werdende Integration in globale Märkte für Güter, Dienstleistungen, Kapital und Wissen aufgebaut.

Die verschiedenen Merkmale der ungehemmten Investitionserweiterung unterstützten sich gegenseitig. Die schnelle industrielle Expansion und ein gleichbleibender Reallohn erhöhten die Profite, und der Anteil der Ersparnisse am Einkommen unterstützte wiederum hohe und steigende Investitionen und ein schnelles Wirtschaftswachstum.

Die ungehemmte Investitionserweiterung von 1985 bis 2011 hatte mehrere Nebenhandlungen. Ein wesentlicher Fokus der ersten Jahre (1985–1992) war die Suche nach einer ideologischen und politischen Grundlage für international ausgerichtetes Wachstum.

Kollektive Unternehmen – die Dorf- und Gemeindeunternehmen – waren in den ersten Jahren der Ort, an dem das Wachstum von Industrie, Produktion und Beschäftigung am schnellsten erfolgte. Ab 1992 wurden diese kollektiven Unternehmen an die Privatwirtschaft, die zum Teil durch die Privatisierung kollektiver Unternehmen entstanden war, übergeben.

Der rasche Anstieg des privaten Anteils an der wirtschaftlichen Aktivität in den 1990er Jahren wurde etwa im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts gebremst durch die erneute zentrale Rolle großer Staatsunternehmen beim Wirtschaftswachstum. Dies wurde untermauert durch die ungehinderte keynesianische Finanz- und Währungspolitik, die für China äußerst wichtig war, als das Land durch die asiatische (1998–1999) und globale Finanzkrise (2008–2009) herausgefordert wurde.

Die ungehemmte Investitionserweiterung war außerordentlich produktiv. Die Produktionsleistung erhöhte sich um durchschnittlich mehr als 10% pro Jahr und es gab keine schwachen Zeiträume zwischen 1992 und 2011. Es handelte sich um das stärkste anhaltende Wachstum in der Geschichte, welches sogar die außergewöhnliche Nachkriegsentwicklung Japans bis 1973 hinsichtlich des durchschnittlichen Wachstums übertraf. Die ungehemmte Investitionserweiterung beförderte das niedrige chinesische Durchschnittseinkommen (seitdem es korrekt berechnet werden konnte) auf ein Niveau von Ländern mittleren Einkommens. China entwickelte sich zum größten Exportland mit den weltweit höchsten Ersparnissen und Spareinlagen für internationale Investitionen. Es war und ist weiterhin auf dem Weg, in wenigen Jahren die größte Volkswirtschaft der Welt zu werden (bezüglich Kaufkraftparität und bis 2020 auch in der Gesamtrechnung zu aktuellen Wechselkursen).

Trotz und wegen ihrer Errungenschaften erreichte die ungehemmte Investitionserweiterung am Ende der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts ihre wirtschaftlichen, sozialen und politischen Grenzen.

Unter den Anzeichen einer nahenden wirtschaftlichen Grenze näherten sich Produktion und durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen einem Niveau an, auf dem andere nordostasiatische Volkswirtschaften Veränderungen in Wachstumsmustern und -raten erfahren hatten. Das Pro-Kopf-Einkommen hinsichtlich der realen Kaufkraft war am Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts vergleichbar mit dem japanischen Mittel der 1970er Jahre, als das hohe Wachstum auf ein moderates Level sank.

Ab ungefähr 2004, als China die Wendephase der wirtschaftlichen Entwicklung erreichte, begann das alte Wachstumsmodell durch Lohnerhöhungen, die über die Überproduktion hinausgingen, herausgefordert zu werden. Diese Entwicklung wurde ab 2012 durch eine sinkende erwerbsfähige Bevölkerung verstärkt.

Das internationale wirtschaftliche Umfeld wurde dem alten Wirtschaftsmodell zunehmend abträglich. Chinas enormer Leistungsüberschuss (über 10% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahre 2007) erlaubte es anderen Ländern, vor allem den USA, ihr Wachstum trotz politischer Entscheidungen, die das Wachstum beendet hätten, aufrechtzuerhalten. Trotzdem erweckte die Finanzkrise von 2008 Kritik an den chinesischen Überschüssen. Ein schwaches Wachstum in den alten Industrieländern nach der Finanzkrise schmälerte die Möglichkeiten für einen raschen Exportausbau. Dennoch erlaubte das konstante Wachstum in den aufstrebenden Märkten eine gewisse geografische Neuausrichtung der Handelsausweitung Chinas.

Die ungehinderte Investitionserweiterung stieß am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts auch auf gesellschaftliche und politische Grenzen. Die wachsende Einkommensungleichheit zwischen der ländlichen und städtischen Bevölkerung sowie zwischen Arbeitern und jenen, die Kapital besitzen und privilegierte Positionen in Regierung und Wirtschaft einnehmen, wurde zum Fokus immer häufiger werdender Kommentare und Spannungen. Teil der ungehinderten Investitionserweiterung war der obligatorische Aufkauf bäuerlicher Grundstücke zum Zwecke der Städteplanung. Dies wurde immer umstrittener. Chinas steigender Beitrag zur Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre löste zunehmend internationale Besorgnis aus, was sich in diplomatischen Spannungen bei der UN-Klimakonferenz im Dezember 2009 äußerte. Die wachsende Sorge in der Bevölkerung um Gesundheit und Wohlbefinden angesichts der inländischen Umweltverschmutzung erreichte Anfang 2013 ihren Höhepunkt. Dass sich die Menschen seit langem Sorgen machten über Korruption innerhalb der Regierung, wurde 2012 und Anfang 2013 von Partei- und Staatsführern explizit als potenzielle Quelle politischer Instabilität ermittelt. Weiterhin wurde das alte Modell der wirtschaftlichen Entwicklung als in Zusammenhang mit öffentlichen Ämtern korruptionsfördernd erkannt.

Vor diesen Hintergründen wurde ab Mitte der ersten Dekade dieses Jahrhunderts die Notwendigkeit der Einführung eines neuen Modells für wirtschaftliche Entwicklung und des Übergangs zu einer fortschrittlichen, modernen Wirtschaft mit zunehmender Zielgerichtetheit von chinesischen Experten aus Regierung und Wissenschaft diskutiert. Die ungehinderte Investitionserweiterung hätte noch einige Jahre die Produktionsleistung erhöhen können, denn sie war noch nicht vollends erschöpft. Allerdings müsste es in naher Zukunft einen Übergang zu einer modernen Wirtschaft geben und ein zu spät eingeleiteter Wandel würde mit höheren Kosten und Belastungen verbunden sein.

***

Wie mehrere Autoren dieses Buches feststellen, treiben seit etwa 2004 wirtschaftliche Kräfte und besonders die Wendephase auf dem Arbeitsmarkt strukturelle Veränderungen immer stärker voran. Dieser durch wachsende Reallöhne und reelle Wechselkurse angetriebene Strukturwandel wurde begleitet von Diskussionen über politische Anpassungen zur Stärkung des Wandels, und dies geschah mit wachsender Zielstrebigkeit innerhalb der chinesischen Politik und zu gegebener Zeit auch in hohen Regierungskreisen.

China ist also in die dritte grundlegende Phase der Reformära eingetreten – den Übergang zu einer fortschrittlichen Wirtschaft.

Der Übergang zu einer fortschrittlichen Wirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass industrielle Investitionen und städtische Infrastruktur einen sukzessiv rückläufigen Anteil am BIP haben. Weitere Merkmale sind hohe Investitionen in Bildung und Bildungsqualität, mehr Konsum und Ausgaben im Dienstleistungsbereich, Reformen und Verbesserungen der rechtlichen und institutionellen Grundlagen für eine fortschrittliche Marktwirtschaft und schnelle strukturelle Veränderungen zugunsten einer technologisch ausgereiften Industrie mit einem viel größeren Dienstleistungssektor.

Alle üblichen Wachstumsquellen sind von diesen Veränderungen betroffen. Der Arbeitsanteil am Wachstum ist deutlich geringer, und in geringerem Maße gilt das auch für den Anteil der Kapitalintensivierung. Gesamtproduktionssteigerungen können einen höheren Beitrag zum Wachstum leisten, sofern die zunehmend hochentwickelte Wirtschaft durch notwendige institutionelle Verbesserungen unterstützt wird. Im Ergebnis liegt das durchschnittliche Wachstum zwei oder vielleicht drei Prozentpunkte unterhalb des Durchschnittswerts während der Phase der ungehinderten Investitionserweiterung.

Um Abschwünge beim Wirtschaftswachstum zu vermeiden, erfordern die notwendigen Veränderungen in den Wirtschaftsinstitutionen Zurückhaltung bei der Nutzung der altmodischen Fiskal- und Geldausweitung durch staatliche Einrichtungen. Das impliziert die Akzeptanz von moderaten zyklischen Abschwächungen, ohne auf großangelegte keynesianische Maßnahmen zurückzugreifen – auch wenn als Reaktion auf einen schwerwiegenden Abschwung starke anti-rezessive Maßnahmen zulasten wünschenswerter Strukturveränderungen möglich wären.

Beim Übergang zu einer fortschrittlichen Wirtschaft wird dem nationalen und internationalen Umweltschutz eine wesentlich höhere Bedeutung beigemessen: Energieeinsparungen und die Verringerung der kohlenstoffintensiven Produktion stellen wesentliche Ziele des 12. Fünfjahresplans (2011–2015) dar.

Auch wenn während der gesamten Reformzeit die Reduzierung der Einkommensunterschiede in offiziellen Erklärungen ein vorrangiges Ziel war, benötigt eine tatsächliche Angleichung noch viele entschlossene Maßnahmen während der Modernisierungsphase. Steigende Reallöhne haben seit etwa 2008 einen großen Beitrag zur Reduzierung der Ungleichheit geleistet. Dieses Buch liefert Daten zu den in jüngster Zeit steigenden und mittlerweile hohen Ausgaben der Zentralregierung für ländliche Bildung, Gesundheit, Verkehr, Kommunikation und Einkommensschutz. Die Ungleichheit ist nach offiziellen Messungen rückläufig.

Chinas Einführung eines neuen Modells des Wirtschaftswachstums ist für die Menschen in China von enormer Bedeutung. Bei diesem Buch handelt es sich umden Versuch, viele Eigenschaften dieses neuen Modells zu untersuchen.

Der Aufbau dieses Buches

Der Übergang zu einer modernen Wirtschaft – Chinas neuem Wirtschaftswachstumsmodell – benötigt Anpassungen der wirtschaftlichen Strukturen und eine Stärkung der Institutionen für eine effektive nationale und unternehmerische Führung sowie einen effektiven Marktaustausch. DwightPerkins entwirft dafür eine theoretische Grundlage, die später in diesem Buch vorgestellt wird. Perkins ist der Auffassung, dass China manche wirtschaftlichen und gesellschaftlichenInstitutionen aufbauen, andere substanziell verändern und wiederum andere ersetzenmuss. Es sind große regulatorische Veränderungen vonnöten. Davon sindwirtschaftliche Entscheidungen der Regierung, das Rechtssystem, der Landbesitzund die Einnahmequellen des Staates betroffen.

Des Weiteren weist Perkins darauf hin, dass viele Merkmale der derzeitigen politischen und institutionellen Regelungen zu Korruption geführt haben, die Chinas politische Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung gefährden werden. Reformen in diesen Bereichen sind für anhaltenden Wohlstand und wirtschaftlichen Wandel grundlegend.

Viele weitere Reformen sind ebenfalls sehr wichtig für ein starkes Produktivitätswachstum, das unerlässlich ist, um ein angemessen schnelles Wachstum während des wirtschaftlichen Wandels aufrechtzuerhalten. Dazu gehören Reformen des Zusammenspiels zwischen Urbanisierung, Sozialsystem und der sich wandelnden chinesischen Bevölkerungsstruktur. Ebenso betroffen sind das Finanzsystem, Forschung und Entwicklung des technologischen Sektors und das Hochschulwesen.

Durch die Abschaffung vieler veralteter Systeme hat China beträchtliche Fortschritte erzielt. Perkins gibt allerdings zu bedenken, dass fundamentale Umbrüche und die Etablierung eines neuen Systems besser sind, als lediglich Anpassungen an einem alten System vorzunehmen. Dies ist jedoch viel schwieriger und benötigt Zeit. Es ist unausweichlich, dass sich mit der Zeit das Wachstum des BIP verlangsamt, weil das Pro-Kopf-Einkommen steigt und Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt komplexer werden.

Huang Yiping, Cai Fang, Xu Peng und Qin Gou bezeichnen Chinas neues Modell des Übergangs zu einer modernen Wirtschaft als „neue Normalität“. Im dritten Kapitel dieses Buches zeigen sie auf, dass wichtige Änderungen am chinesischen Wachstumsmodell bereits im Gange sind. Nach einer Reihe von Untersuchungen schätzen sie die jährliche Wachstumsrate im aktuellen Jahrzehnt auf durchschnittlich 6 bis 8% – im Vergleich zu 10% in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Chinas Leistungsbilanzüberschuss, bei dem es sich einst um den größten unter den wichtigsten Volkswirtschaften handelte, hat sich mittlerweile auf einen Wert verringert, der dem Niveau von entwickelten Ländern ähnelt. In der Zeit der ungehinderten Investitionserweiterung stachen zwei Merkmale heraus. Erstens war der Konsumanteil am BIP gering und zweitens stieg die am Gini-Koeffizienten gemessene Einkommensungleichheit. Diese beiden Aspekte blieben lange Zeit unbeachtet. Sie können jedoch als untragbar angesehen werden, und die Situation ändert sich bereits: Der Konsumanteil am BIP steigt und die Einkommensungleichheit sinkt allmählich.

Yiping, Cai, Xu und Qin halten die Veränderungen auf den Faktormärkten, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, für die ursprünglich treibenden Kräfte hinter dem neuen Wachstumsmodell. In den letzten Jahren zeichnete sich langsam ein Arbeitskräftemangel ab, der rasch ansteigende Löhne zur Folge hatte und damit letztlich auch die „neue Normalität“ verursachte. Einerseits ist sie geprägt von sinkenden Wirtschaftswachstumsraten, andererseits weist sie ein höheres Maß an ökonomischem Gleichgewicht auf. Manche der Autoren sind der Ansicht, die Reformen müssten sich im nächsten Schritt auf die Beziehungen zwischen der Regierung und dem Markt konzentrieren. Dazu braucht es eine Liberalisierung der Faktormärkte und die Schaffung makroökonomischer Rahmenbedingungen. Die Regierung, welche bislang häufig direkt in Produktion und Investition eingegriffen hat, sollte sich nun auf das Fördern von Innovation und eine Modernisierung der Industrie konzentrieren. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass diese Reformen für die Transformation unabdingbar sind und gleichzeitig China davor bewahren können, ein Opfer der „mittleren Einkommensfalle“ zu werden.

Cai Fang und Lu Yang vertreten die Ansicht, dass wegen der schrumpfenden Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15–59 Jahre) die Kräfte, die das rasante chinesische Wirtschaftswachstum der letzten 30 Jahre angetrieben haben, ab ungefähr 2010 nachgelassen haben. Ihren Berechnungen zufolge beläuft sich die jährliche Wachstumsrate des Produktionspotenzials im 12. Fünfjahresplanzeitraum (2011–2015) auf durchschnittlich 7.2% und im 13. Fünfjahresplanzeitraum (2016–2020) auf 6.1%. Um ein nachhaltiges Wachstum in der Zukunft zu gewährleisten, sind eine Vertiefung und Ausweitung des Umfangs der Wirtschaftsreformen nötig. Das gilt insbesondere für die Entwicklung neuer Bereiche, damit das wirtschaftliche Potenzial ausgeschöpft werden kann. Die Autoren entwerfen außerdem zwei Szenarien, wonach ein Anstieg der Erwerbsbeteiligung und eine Verbesserung der Totalen Faktorproduktivität (TFP) die potenzielle BIP-Wachstumsrate signifikant erhöhen können. Sie schlussfolgern daraus, dass Chinas Rückgang der Wachstumsraten ein Ende haben wird.

Der Übergang zu einer hochentwickelten Wirtschaft erfordert eine Transformation des chinesischen Wirtschaftswachstums von einer starken Abhängigkeit von Kapital- und Arbeitseinsätzen hin zu einer Erhöhung der Totalen Faktorproduktivität. Seitens der lokalen und zentralen Regierung erfordert das neue Modell die Akzeptanz der Realität eines sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums. In der Zeit der ungehinderten Investitionserweiterung war es die Regierung gewohnt, die Wirtschaft durch fiskalische und monetäre Expansion anzukurbeln. Doch in dieser Zeit der Verlangsamung muss sie davon absehen. Die neue Strategie sollte darin bestehen, das Wachstum durch Anpassungen zu fördern, die nicht mit Nachfrage, sondern mit Angebot zu tun haben.

Eine wettbewerbsorientierte Umgebung ist der Weg zu einer modernen Wirtschaft und der Ausschöpfung des Wachstumspotenzials. Die Regierung spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Steigerung der Totalen Faktorproduktivität. Mithilfe einer Reihe von Reformen zur Stärkung der Institutionen sollte sie die Effizienz von Arbeits- und Finanzmarkt, Unternehmensführung und Staatswesen sicherstellen.

Im fünften Kapitel beschreiben Huw McKay und Song Ligang die Wirtschaftsstruktur Chinas. Im Verhältnis zum Pro-Kopf-Einkommen kann sie sowohl als überindustrialisiert als auch unterurbanisiert bezeichnet werden. Für solch eine große Volkswirtschaft ist die Abhängigkeit von Exporten zu hoch. Die Autoren stellen fest, dass Chinas wirtschaftliche Strukturen und einige Aspekte seines historischen Weges der Vermeidung von Umweltschäden nicht dienlich waren. Ebenso haben sie die Einkommens- und Chancengleichheit nicht gefördert.

McKay und Song skizzieren also Bereiche der Politik, die einer Verbesserung bedürfen. Nur durch die Implementierung von Reformen kann China das neue Wachstumsmodell anwenden. Zu diesen Reformen gehören die Reduzierung von Verzerrungen der Faktormärkte durch eine Beschleunigung der Finanzreformen und die Förderung des Arbeits- und Dienstleistungsflusses zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Drittens muss die derzeitige Entwicklung hin zu marktbasierten Preisen für Energie fortgeführt werden. Viertens bedarf es der Auferlegung von Kosten für umweltschädigende Tätigkeiten seitens Unternehmen und Einzelpersonen. Fünftens sollten Investitionen in die Infrastruktur eine höhere Priorität eingeräumt werden als den industriellen Kapazitäten. Sechstens ist es notwendig, langfristige steuerliche Fragen, die für die Umverteilung von Ressourcen in der Wirtschaft beim Übergang zu einer modernen Wirtschaft von Bedeutung sind, zu bewältigen.

McKay und Song kommen zu dem Schluss, dass die wichtigsten Ziele beim Übergang Chinas zu einer modernen Wirtschaft die folgenden sind: Reduzierung der Überindustrialisierung, Optimierung der Urbanisierung und die Stärkung der Binnenwirtschaft im Vergleich zum Exportmarkt. Im Grunde ergänzen sich diese Ziele. Während der Umsetzung sind bereits wertvolle politische Rahmenbedingungen entstanden, jedoch muss noch in manchen Politik- und Reformbereichen ein politischer Kampf ausgetragen werden. Hierbei stößt die Wettbewerbsorientierung auf den größten politischen Widerstand.

Chinas hohe Ersparnisse liefern ausreichende Mittel für immense inländische Investitionen. Zusätzlich sind sie eine essenzielle Finanzierungsquelle für den Rest der Welt, insbesondere für die hochverschuldeten Länder unter der Führung der Vereinigten Staaten. Im sechsten Kapitel erörtern Rod Tyers, Zhang Ying und Tsun Se Cheong die Auswirkungen einer sinkenden chinesischen Sparquote auf die internationale Wirtschaft. Sie verweisen dabei auf geringere Sparraten seitens der chinesischen Haushalte, Unternehmen und Regierung. Ein sinkendes Wirtschaftswachstum in China mitsamt einer von der chinesischen Regierung erwünschten Erhöhung der Binnennachfrage hat zur Folge, dass weniger Geld für internationale Investitionen zur Verfügung steht. Ein Anstieg des Konsums wird die Ersparnisse der Haushalte verringern. Reduzierte oligopolistische Gewinne und die Entwicklung des Finanzsektors werden die Ersparnisse der Unternehmen senken. Des Weiteren hat der jüngste Anstieg der Verschuldung der Provinzen zu Einschnitten bei der staatlichen Sparquote geführt. Gleichzeitig fällt auch die japanische Sparrate, was insgesamt ein Ende der „asiatischen Sparflut“ erahnen lässt. Letztendlich wird das die globalen Kosten der Verschuldung erhöhen, auch wenn dies aufgrund der quantitativen Lockerung (quantitative easing – QE) in den Vereinigten Staaten, Europa und Japan derzeit noch nicht spürbar ist. Der Trend ist dennoch kaum aufzuhalten.

Die monetäre Reaktion auf die geringere chinesische Sparquote wird dazu führen, dass sich in der Weltwirtschaft höhere Renditen für langfristige Anleihen durchsetzen werden. Es ist mit einem Rückgang der weltweiten Investitionen zu rechnen.

Tyers, Ying und Cheong diskutieren die Folgen der sinkenden chinesischen Sparquote für die Kapitalmärkte und Investitionen in den Vereinigten Staaten. Der Anstieg der Finanzierungskosten in den USA wird sich letztlich negativ auf die Erholung der amerikanischen Märkte auswirken und der Weltwirtschaft schaden. In Nordamerika und einigen anderen Teilen der Welt wurden Haushaltskonsolidierungen infolge der Konjunkturabschwächung angestrebt. Sie mildern den Effekt, den die sinkenden chinesischen Überschüsse auf globale Privatinvestitionen haben, ab. Allerdings sind die Möglichkeiten der Haushaltskonsolidierungen aufgrund des Rückgangs der weltweiten Sparquote begrenzt. Es besteht die Gefahr, dass bei nachlassender Haushaltsdisziplin die Investitionen in den alten Industrieländern wieder zunehmen und QE zurückgezogen wird. Das würde zu einem nennenswerten Schrumpfen der Weltwirtschaft führen.

Während sich China vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Transformation immer stärker auf die Binnennachfrage konzentriert, sind die Vereinigten Staaten und andere Industrieländer auf ausländische Investitionen aus China angewiesen. Man kann also von einem ungünstigen Timing sprechen.

Je näher China an die globalen Leistungsgrenzen herankommt, desto wichtiger werden Innovationen für das Land sein. Im siebten Kapitel erörtert Zhou Yixiao, wie sich die Qualität der Institutionen auf die Innovationsleistung Chinas auswirken werden. Sie stellt die Ergebnisse in Form einer auf Unternehmensdaten basierenden statistischen Analyse vor. Diese deutet darauf hin, dass die Innovationsleistung und damit auch das zukünftige Wirtschaftswachstum stark davon abhängen, wie gut es um die Institutionen bestellt sein wird.

Aus unternehmerischer Sicht fördert ein stärkerer Schutz des geistigen Eigentums erheblich die Bereitschaft, in Innovationen zu investieren. Die Analyse legt nahe, dass die im „nationalen mittel- und langfristigen Programm für wissenschaftliche und technologische Entwicklung“ (2006–2020) festgelegten Ziele eher erreicht werden, wenn Firmen die Hauptverantwortung für Forschungs-und-Entwicklungs-Aktivitäten (FuE) übernehmen. Zhou weist darauf hin, dass institutionelle Verbesserungen lediglich der erste Schritt sind, um China zu einem weltweit führenden FuE-Akteur zu machen, dessen wissensintensive Wirtschaft allen Menschen zugutekäme.

Die Entwicklung des Agrarsektors spielte eine essenzielle Rolle bei der Transformation der chinesischen Wirtschaft in der Reformzeit (1978–2012). Im achten Kapitel blickt Li Zhou zurück auf die wichtigsten Errungenschaften in der landwirtschaftlichen Entwicklung Chinas und diskutiert die Herausforderungen, vor denen dieser Sektor heute steht. Li kommt zu dem Schluss, dass China diesen Herausforderungen begegnen kann, indem es die Agrarreform auch im Hinblick auf den Landbesitz intensiviert und den technologischen Fortschritt fördert. Die soziale Unterstützung der Landwirte kann als Teil der Bemühungen der Regierung zur Reduzierung der Einkommensungleichheit gesehen werden. Schließlich geht es auch um das Überprüfen von Essensgewohnheiten, Gesundheitsförderung und das Vermeiden landwirtschaftlicher Ressourcenverschwendung. Mit diesen und anderen politischen Maßnahmen kann China die Aufgaben im Landwirtschaftsbereich bewältigen.

Li gibt zu bedenken, dass bei allen Aspekten der chinesischen Wirtschaftsentwicklung der landwirtschaftliche Bereich und die ländlichen Regionen das schwache Glied in der Kette sind. Die ländlichen Gebiete Chinas erfahren aktuell einen raschen wirtschaftlichen und sozialen Wandel, der sich auf die Landwirte, die traditionellen Gemeinschaften und die Regierung auswirkt. Li stellt abschließend fest, dass Regierungsmaßnahmen die Marktmechanismen ergänzen sollten, um den derzeitigen Urbanisierungsprozess zu erleichtern und mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Wanderarbeiter und Landwirte zu schaffen. Dies würde die soziale Stabilität im ländlichen Raum erhöhen. Ferner sollten Regierungsmaßnahmen vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Transformation die Wünsche der Landwirte nicht ignorieren, sondern ihre Entscheidungen respektieren. Eine stärkere demokratische Selbstverwaltung auf lokaler Ebene wäre der Entwicklung der ländlichen Gegenden zuträglich.

Im neunten Kapitel verwendet Meng Xin offizielle Statistiken zur Einkommenslage und demografischen Entwicklung ländlicher Migranten, um einige wichtige Merkmale der Land-Stadt-Migration der letzten zehn Jahre zu beschreiben und die Implikationen für die zukünftige Entwicklung des chinesischen Arbeitsmarktes zu analysieren. Die wichtigsten Ergebnisse aus den Datensätzen zeigen, dass in den nächsten Jahrzehnten die ländliche Hukou-Bevölkerung weiterhin den bedeutendsten Zuwachs an Arbeitskraft in Städten ausmachen wird. Bislang sind knapp 30% der ländlichen Arbeiter in die Städte gezogen. Ob die in den ländlichen Gegenden verbleibenden Menschen in Städte ziehen, hängt zu einem großen Teil von der Regierungspolitik ab. Momentan hält ein mangelnder Zugang zu sozialen Dienstleistungen oder Sozialhilfe viele Menschen davon ab. Selbst jene, die dennoch in die Städte ziehen, bleiben dort durchschnittlich nur acht bis neun Jahre. Könnte man die Aufenthaltsdauer verdoppeln, würde das auch die Arbeitskräfte in den Städten insgesamt erhöhen. Mengs Analyse hat außerdem ergeben, dass die Produktivität eines Wanderarbeiters im 24. Jahr nach der Ankunft in der Stadt ihren Höhepunkt erreicht. Die derzeitige Aufenthaltsdauer ist jedoch weit von der Produktivitätsspitze entfernt, was bedeutet, dass Produktionssteigerungen möglich sind. Die Dauer des Aufenthalts wird zu weiten Teilen von der Politik bestimmt. Auch wenn sie in Städten beschäftigt sind, haben Wanderarbeiter lange Arbeitszeiten. Dies spiegelt ihren schwachen Arbeitsschutz wider. Gleichzeitig stehen lange Arbeitszeiten in Zusammenhang mit gesundheitlichen Beschwerden der Wanderarbeitnehmer. Daher sollte der Sozialreform in den Städten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Christine Wong setzt sich im zehnten Kapitel mit dem aktuellen Zustand der öffentlichen Finanzen Chinas auseinander und untersucht die Reformen, die zur Verbesserung der finanziellen Lage und Unterstützung des langfristigen Wirtschaftswachstums erforderlich sind. Unter den zahlreichen politischen Empfehlungen konzentriert sie sich auf die Rolle der öffentlichen Verschuldung hinsichtlich der makroökonomischen Stabilität. Wong weist darauf hin, dass die Fiskalpolitik der Kommunen die makroökonomische Regulierung erschwert. Sie fokussiert auf zwei wichtige Bereiche, die dringend einer Reform bedürfen. Zum einen handelt es sich dabei um das Fortbestehen außerplanmäßiger Finanzierungslücken und die dezentralisierte Kontrolle über den Haushalt, zum anderen geht es um die Tendenz zu übermäßigen öffentlichen Investitionen. In beiden Bereichen sind die bisherigen Reformbemühungen auf große Widerstände gestoßen.

Wong, die seit langem über die beiden eben genannten Bereiche forscht, stellte fest, dass die Ursache der aktuell schwachen makroökonomischen Regulierung der Regierung die Fragilität des Finanzsystems ist. Zum Wohle eines langfristigen Wirtschaftswachstums rät sie der Zentralregierung, die makroökonomische Kontrolle wiederzuerlangen. Dazu ist die Eindämmung der Kreditaufnahme der Kommunen erforderlich. Ebenso muss ein Rahmen für die Verwaltung der Kreditaufnahme geschaffen und ein Kontrollmechanismus eingeführt werden, der die Kommunen verpflichtet, über ihre Schulden zu berichten.

Wong empfiehlt außerdem, dass die Zentralregierung eine strenge Haushaltsdisziplin einführt und die Verantwortung für die Überwachung des Finanzhaushalts einer darauf spezialisierten Institution überlässt. Das Finanzministerium ist für diese Aufgabe am besten geeignet. Diese Reformmaßnahmen würden die Unterstützung der führenden politischen Köpfe benötigen. Die Kompetenzen sollten auf zentrale Institutionen verteilt werden, damit das Finanzministerium gestärkt wird und ihm die Verantwortung für alle Haushaltsmittel übertragen werden kann. Die führenden politischen Köpfe sollten außerdem auch den Nationalen Volkskongress unterstützen, damit sein politischer Status verbessert wird und erseiner Verantwortung gerecht werden kann. Schließlich entspricht die Aufsichtsfunktion des Nationalen Volkskongress der chinesischen Verfassung.

Die Verbesserung des Wirtschaftsklimas ist ein wichtiges politisches Ziel, das den Beitrag der Privatunternehmen zum Produktivitätswachstum beträchtlich steigern kann. Wang Xiaolu, Yu Jingwen und Fan Gang verwenden im elften Kapitel die Daten aus vier Unternehmensumfragen, um die Veränderungen im Wirtschaftsklima und die Unterschiede zwischen den Provinzen zu erläutern. Die Autoren formulieren auch politische Handlungsempfehlungen. Im Allgemeinen hat sich das Wirtschaftsklima im Zeitraum zwischen 2006 und 2012 verbessert.

Wang, Yu und Fan benennen auch Faktoren, die der Verbesserung des geschäftlichen Umfelds im Wege stehen. Im Beobachtungszeitraum wirkte sich beispielsweise der Fokus auf expansive Fiskalpolitik als Reaktion auf die globale Finanzkrise auf staatseigene und private Unternehmen unterschiedlich aus. Die Maßnahmen drückten die Geschäftsnachfrage nach Krediten und beschädigten den nichtstaatlichen Sektor. Die in der Studie erfassten Firmen beklagten vor allem den Mangel an „Offenheit, Gleichbehandlung und Gerechtigkeit“ seitens der staatlichen Verwaltung. Die Angaben drehen sich um Intransparenz, eine uneinheitliche Durchsetzung von Vorschriften und die unterschiedliche Behandlung verschiedener Unternehmen. Die Autoren stellen fest, dass in den Bereichen, in denen ein größerer Wettbewerb stattfindet, das Wirtschaftsklima besser ist.

Die bevorzugte Behandlung von Staatsunternehmen wirkt sich negativ auf die Geschäftsentwicklung privater Unternehmen aus. Wang, Yu und Fan kommen zu dem Schluss, dass verschiedene Regierungsebenen zur Verbesserung des Wirtschaftsklimas beitragen sollten. Das würde die chinesische Regierung auch bei der Umsetzung einer neuen Wirtschaftswachstumsstrategie unterstützen.

Im zwölften Kapitel beurteilen Chen Shiyi und Jane Golley die sich ändernden Muster der Grünen Totalen Faktorproduktivität (GTFP) von 38 Industriebereichen im Zeitraum von 1980 bis 2010, um herauszufinden, ob die chinesische Industrie in diesen Jahren auf dem Weg zu einem nachhaltigen und kohlenstoffarmen Wachstum war oder nicht. Berücksichtigt man die negativen Effekte der Kohlendioxidemissionen im Produktionsprozess, dann ist Chinas industrielles GTFP-Wachstum deutlich geringer. Zwischen 1980 und 2010 wurde das GTFP-Wachstum im Wesentlichen durch technologischen Fortschritt bestimmt. Das gilt sowohl für die meisten Wirtschaftsbereiche als auch den Gesamtwert. Die Geschwindigkeit des technischen Wandels nahm ab Mitte der 1990er Jahre stetig zu, was sich allerdings nach dem Beginn des 21. Jahrhunderts änderte. Im Gegensatz dazu waren die Effizienzsteigerungen zwar von Jahr zu Jahr schwankend, aber grundsätzlich niedrig. Insgesamt war das GTFP-Wachstum in den meisten Wirtschaftszweigen und Zeiträumen positiv.

Chen und Golley belegen allerdings, dass das GFTP-Wachstum zwischen 2003 und 2010 nicht nur gering (und zwar deutlich unter dem Wert von 50%, der häufig als Zeichen für den Übergang zu einem „nachhaltigen“ Wachstum angesehen wird), sondern niedriger war als im Jahrzehnt davor. Das deutet darauf hin, dass die chinesische Industrie vom grünen Weg abgekommen ist. Das Jahr 2010 ist das letzte Jahr der ungehinderten Investitionserweiterung. Die politischen und strukturellen Veränderungen sind für die beiden Autoren Anlass zur Hoffnung auf eine grüne Zukunft Chinas.

Im 13. Kapitel erläutert Zhang Yongsheng vom Entwicklungszentrum des Staatsrates, warum er der Ansicht ist, dass das grüne Wachstum eine prägende Rolle im Modernisierungsprozess Chinas spielen wird. Zhang, der auch die Zusammenarbeit zwischen Staatrat und Weltbank maßgeblich unterstützt hat, erkennt allerdings zwei Grundprobleme in diesem Bereich. Institutionelle Schwächen und verzerrte Marktmechanismen behindern den Wunsch nach grünem Wachstum. China hat jedoch einen Vorteil, den die alten Industrieländer nicht haben: China wäre in der Lage, alte Industriepraktiken zu übergehen und ein Entwicklungsmodell zu verfolgen, das einer modernen Wirtschaft würdig ist.

Für Zhang beinhaltet das sogenannte grüne Wachstum eine reduzierte Abhängigkeit von der Nutzung materieller Ressourcen, geringere Kohlenstoffemissionen und die Vermeidung von Umweltschäden. Stattdessen werden neue Märkte für grüne Produkte geschaffen, verstärkt neue Technologien entwickelt und Investitionen getätigt. Auch das Konsumverhalten wird überdacht.

Das Konzept des Autors fußt auf drei Schlüsselkonzepten. Erstens ist es möglich, das Wirtschaftswachstum von Treibhausgasemissionen und Umweltzerstörung zu entkoppeln. Des Weiteren kann die Methode des „Going Green“ selbst eine Quelle für das Wirtschaftswachstum sein. Und schließlich handelt es sich um einen Erfolgskreislauf, bei dem sich Wachstumsimpulse gegenseitig verstärken. Um die Chancen eines Übergangs zu einem nachhaltigen und modernen Wirtschaftswachstum zu nutzen, sollte China einen grünen Wandel innerhalb traditioneller Wirtschaftssegmente anstreben. Des Weiteren sollte das Land aufstrebende grüne Industrien stärken und den Dienstleistungssektor ausbauen. Um diese Dinge umzusetzen, bedarf es einer Reihe von Reformen in verschiedenen Bereichen. Während der Marktaustausch gestärkt werden muss, sollte die Funktion der Regierung transformiert werden. Außerdem sind Energieeinsparungen, neue Umweltschutzgesetze und eine Verschärfung der Emissionsvorschriften vonnöten. Zhang gibt zu bedenken, dass innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte die Chance besteht, etwas zu unternehmen. Sollte China dieses Zeitfenster verpassen, wäre die Umsetzung einer grünen Politik eines Tages mit viel höheren Kosten verbunden.

Im 14. Kapitel beschreibt Ross Garnaut die jüngsten Fortschritte des wirtschaftlichen Wandels. Die klassische Verbindung zwischen wirtschaftlicher Leistung und Energieverbrauch scheint in China überwunden zu sein. Ebenso sind Energieverbrauch und CO2-Emissionen nicht mehr zwingend aneinander gekoppelt. In der Zeit der ungehemmten Investitionserweiterung war Chinas Wachstum durch außergewöhnlich hohe CO2-Emissionen und einen hohen Energieverbrauch gekennzeichnet. Um das Jahr 2011 machte dieser Umstand China zur weltweit größten Quelle von Treibhausgasemissionen. Das erhöhte nicht nur den internationalen Druck auf China hinsichtlich der Erderwärmungsdebatte, sondern sorgte auch innerhalb des Landes für zunehmende Schwierigkeiten. Der enorme Energieverbrauch und die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen im Zuge des wirtschaftlichen Aufstiegs warfen Fragen nach Energieversorgung und wirtschaftlicher Sicherheit auf.

Bei der Transformation der chinesischen Wirtschaft zeichnet sich ein Umbruch bei der Energienutzung ab. Das alte Wirtschaftsmodell war bezüglich des Wirtschaftswachstums stark energieabhängig, doch es ist an seine Grenzen gestoßen. Bislang wurde der Wandel bei der Energienutzung mit Mitteln der alten Wirtschaft sichergestellt: Regulatorische Eingriffe, um Anlagen mit viel zu hohen Emissionen zu schließen, obligatorische Grenzwerte für Energieverbrauch und Emissionen auf lokaler Ebene, Auferlegung von Zusatzkosten für energieintensive Industrien und Anlagen, ermessensspezifische Subventionen für emissionsarme Anlagen und Investitionsentscheidungen zuungunsten von Anlagen mit hohem Energieverbrauch.

Zunehmend werden jedoch Interventionen diskutiert, die auf der Einführung von Marktmechanismen und einer externen Preisbildung für CO2-Emissionen beruhen. Die Regierung versucht, die bevorzugte Behandlung und Preisgestaltung fossiler Brennstoffe – etwa im Transportwesen – aufzugeben und experimentiert derzeit in zwei Provinzen und sieben Städten mit Systemen des Emissionshandels.

Ressourcensteuern werden derzeit neu gestaltet, um Veränderungen bei der Nutzung fossiler Brennstoffe und der damit verbundenen Emissionsbelastung herbeizuführen. Das Finanzministerium befasst sich mit der Prüfung von CO2-Steuern. Elemente dieser Ansätze dürften sich in der zukünftigen Energiepolitik Chinas wiederfinden.

Obwohl die Regierung bereits zu Beginn des 12. Fünfjahresplanes (2011–2015) ihre ambitionierten energiepolitischen Ziele formulierte, war in den Daten zum Wirtschaftswachstum bis 2012 kaum eine Veränderung der Energie- und Emissionsintensität wahrzunehmen. Die deutlich zu verzeichnenden Rückgänge bei Emissionen und Energieverbrauch im Jahre 2012 dürften sich vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Wandels allerdings schrittweise fortsetzen. Möchte man die wirtschaftliche Entwicklung Chinas periodisch einteilen, so stellt 2011 also einen Wendepunkt dar: Das Ende des ungehinderten Expansionserweiterung. Demnach handelt es sich beim Jahr 2012 um das erste Jahr des Übergangs zu einer modernen Wirtschaft. Diese Einteilung kann sehr nützlich sein, um die wirtschaftliche Entwicklung Chinas zu veranschaulichen.

Chinas Fortschritte im Bereich der Energieeinsparung und Treibhausgasemissionen ebnen den Weg für eine effizientere internationale Zusammenarbeit bei der Eindämmung der globalen Erwärmung. Garnaut ist der Ansicht, dass China bei der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 helfen kann, den Grundstein für globale Emissionsminderungsziele zu legen.

Trotz der Tatsache, dass sich China noch in der Mitte seiner wirtschaftlichen Entwicklung befindet, ist das Land kürzlich zum größten Energieverbraucher der Welt geworden. Im 15. Kapitel stellen Simon Wensley, Stephen Wilson und Jane Kuang das Trilemma der chinesischen Energiepolitik vor. Damit ist die Schwierigkeit gemeint, die Energiesicherheit zu verbessern, die Energiekosten zu senken und gleichzeitig die Auswirkungen von Kohlenstoffemissionen auf die Umwelt zu reduzieren.

Wensley, Wilson und Kuang weisen darauf hin, dass die Lösung des Trilemmas eine wichtige Aufgabe für die Energiepolitik überall auf der Welt sein kann. Sie haben hierzu vier Fälle untersucht: die Ölkrise Ende der 1970er Jahre, die Kostenrevolution in Chinas Kernenergie, die unkonventionelle Öl- und Gastechnologie in den Vereinigten Staaten und die Herausforderung Japans, die 30-Gigawatt-Lücke im Anschluss an den Fukushima-Vorfall zu schließen.

Vor dem Hintergrund dieser vier Fälle erforschen die Autoren die Möglichkeiten und Herausforderungen in Bezug auf die heutige Situation in China. Sie verdeutlichen die zunehmende Rolle von Öl-, Gas-, Kohle- und Uraniumimporten während der Phase der ungehemmten Investitionserweiterung. Sie analysieren auch die Möglichkeiten neuer Technologien im Dienstleistungssektor. Viele von ihnen werden bereits aktiv in China entwickelt und haben das Potenzial, die Energieversorgung und -nutzung nachhaltig zu verändern. Es handelt sich unter anderem um die flächendeckende Einführung von Elektroautos. Die Versorgungssicherheit, vor allem im Ölbereich, hat bereits eine hohe politische Priorität.

Die Spannungen, die sich aus der Widersprüchlichkeit der drei Elemente des Trilemmas ergeben, verschärfen sich immer weiter. Es ist anzunehmen, dass Chinas Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten in Zukunft eine weitere Steigerung erfahren wird. Die Energiesicherheit wird also eine immer größere Rolle spielen. Trotz dieser Herausforderungen glauben die Autoren, dass die Bedeutung von energieintensiven Industrien aufgrund der Strukturreformen abnehmen wird und stattdessen Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung in China wichtiger werden. Das dürfte den linearen Zusammenhang der letzten zwei Jahrzehnte zwischen BIP und Energiebedarf abmildern. Des Weiteren werden Energieeffizienzsteigerungen dazu beitragen, die wachsende Energienachfrage im Zaum zu halten.

Im 16. Kapitel diskutieren Wang Bijun, Yu Miaojie und Huang Yiping die finanziellen Restriktionen für chinesische Privatunternehmen bei Direktinvestitionen im Ausland (ODI). Mithilfe firmeninterner Datensätze, die zwischen 2006 und 2008 in der Provinz Zhejiang gesammelt wurden, stellen die Autoren fest, dass Unternehmen mit weniger eingeschränktem Zugang zu Finanzmitteln stärker im Ausland investieren. Ferner tätigen Firmen, die im Ausland operieren, größere Investitionen, je weniger Restriktionen sie im Inland erfahren. Eine hohe Produktivität mildert dabei nicht die negativen Auswirkungen der finanziellen Hemmnisse auf ausländische Direktinvestitionen. Die drei Autoren sind der Ansicht, dass beim Fortbestehen dieses Zustands eine große Anzahl an wettbewerbsfähigen chinesischen Privatunternehmen ihre Chance auf einen Erfolg im Ausland verspielen wird. Zusätzlich zu entgangenen Renditen würde das auch die Aussichten und das Ansehen chinesischer Unternehmen im Ausland beeinträchtigen.

Kapitel 17 beschäftigt sich mit der Quantität und Qualität der chinesischen Exporte im Bereich der Kommunikationstechnik (IKT). Li Kunwang und Shi Bingzhan weisen nach, dass es eine Diskrepanz zwischen Quantität und Qualität gibt. Ausländische Direktinvestitionen (FDI), Veredelungsverkehr und staatliche Unterstützung bestimmen derzeit das Exportwachstum in der Kommunikationstechnik. Eine Ausweitung des Veredelungsverkehrs erhöht zwar die Exportmenge, zieht allerdings die Qualität in Mitleidenschaft. Staatliche Unterstützung und ausländische Direktinvestitionen haben dagegen einen gegenteiligen Effekt.

Die Maximierung der Exportmenge von IKT-Produkten schafft zwar Arbeitsplätze, doch sie erhöht auch den Ressourcenverbrauch, die Schadstoff- und Umweltbelastung. China sollte sich bei IKT-Exporten auf Qualitätssteigerungen konzentrieren, denn sie sind Merkmale einer modernen Wirtschaft.

Die Autoren hoffen, dass dem Exportsektor Chinas eine Wende hin zu Qualitätsprodukten mit hoher Wertschöpfung gelingt. Sie kommen zu dem Schluss, dass dieser Wandel auch im Einklang steht mit der neuen Regierungsstrategie zum Wirtschaftswachstum.

Dieses Buch beleuchtet eine Reihe von Errungenschaften im Transformationsprozess der chinesischen Wirtschaft. Dieser Prozess befindet sich allerdings noch im Anfangsstadium. China steht vor enormen Herausforderungen, insbesondere bei institutionellen und rechtlichen Fragen, die in den ersten Kapiteln dieses Buches aufgeworfen werden. Zum Stand der Dinge lässt sich vor dem Hintergrund der Anhaltspunkte, die in diesem Buch diskutiert werden, bislang sagen: So weit so gut.

2 Neue Institutionen für ein neues Entwicklungsmodell

Dwight H. Perkins

Einleitung

Wenn die Wirtschaftskraft und das Pro-Kopf-Einkommen Chinas weiterhin zu denen einkommensstarker Volkswirtschaften aufschließen sollen, wird das Land einen anderen Ansatz benötigen als das Modell, das seine außerordentliche Entwicklung seit mehr als drei Jahrzehnten geprägt hat. Das bisherige Modell umfasste im Kern drei Grundkomponenten in den letzten drei Jahrzehnten und eine vierte Komponente in der jüngsten Dekade. Die erste Komponente betraf die Auflösung eines sowjet-ähnlichen Systems der zentralen Plan- und kollektiven Landwirtschaft. Das System wurde durch ein weitestgehend von den Marktkräften bestimmtes Wirtschaftssystem abgelöst. Die zweite Komponente war die Öffnung der Wirtschaft für den Außenhandel, ausländische Direktinvestitionen und die rasante Zunahme von Fertigwarenexporten in der wachsenden Fertigungsbranche. Der größte Beitrag zur Dynamik des verarbeitenden Gewerbes kam aus dem in- und ausländischen Privatsektor sowie aus Dorf- und Gemeindeunternehmen, die sich ursprünglich in kollektivem Besitz befanden und später weitgehend privatisiert wurden. Die dritte Komponente, die den Anstieg des exportorientierten produzierenden Gewerbes ermöglichte, war die Verschiebung eines großen Teils des ländlichen Arbeitskräfteüberschusses in die urbane Industrie und den Dienstleistungssektor. Das trug dazu bei, die Löhne niedrig und die arbeitsintensiven Fertigwarenexporte wettbewerbsfähig zu halten.

Die vierte Komponente nahm während der Weltfinanzkrise von 1997–1998 Gestalt an und beinhaltete den massiven Ausbau von Infrastrukturinvestitionen und die ebenso rasche Ausweitung des städtischen Wohnungsbaus. Dadurch wurde das letzte Merkmal eines sowjet-ähnlichen Systems überwunden, denn in der Sowjetunion wurden sowohl Infrastruktur als auch Wohnungsbau vernachlässigt. Diese letzte Komponente wurde nicht nur deshalb notwendig, weil Behausung und Infrastruktur unterentwickelt waren, sondern vor allem aufgrund der Tatsache, dass der private Konsum in der arbeitsintensiven Überschusswirtschaft nur einen geringen Teil des Bruttoinlandsprodukts ausmachte. Das erforderte wiederum einen beispiellosen Zuwachs des Investitionsanteils am BIP, um die hohe Wachstumsrate des BIP aufrechtzuerhalten.1

Diese Komponenten führten ab 1978 zu einem mehr als drei Jahrzehnte andauernden Wachstum des BIP und Pro-Kopf-Einkommens und schufen eine Infrastruktur, die in vielerlei Hinsicht auf dem Niveau der entwickelten Staaten liegt. Der institutionelle Umbruch betraf allerdings vor allem die Auflösung der sowjet-ähnlichen Institute und die teilweise Aufhebung mancher Kontrollmechanismen, wie beispielsweise die Lockerung der Haushaltsregistrierung (Hukou). Dieses System hatte bis dahin die Landflucht vollständig unterbunden. Die unvollständige Auflösung der Regulierungen einer Planwirtschaft und des Haushaltsregistrierungssystems hinterließ einen Beamtenapparat, der auch weiterhin einen hohen Grad an Ermessensbefugnis besitzt. Im Kontext einer privaten Marktwirtschaft hat dieser nun sogar einen größeren Ermessungsspielraum als unter dem streng kontrollierten System vergangener Tage.

In Zukunft ist ein anderes System zur Kontrolle der Wirtschaft vonnöten. Es bedarf eines Systems, das auf einigen sich gerade entwickelnden Institutionen fußt, aber viele andere Institutionen, die Chinas Wirtschaft und Gesellschaft immer noch bestimmen, ersetzt oder wesentlich verändert. In diesem Kapitel konzentriere ich mich auf zwei Bereiche, in denen grundlegende Veränderungen erforderlich sind, und fasse einen dritten Bereich zusammen, in dem der Handlungsbedarf allgemein bekannt ist und schon viele Schritte in die richtige Richtung unternommen wurden. Der erste dieser Bereiche bezieht sich auf eine Reihe miteinander verbundener Institutionen, darunter das Regulierungssystem, die Funktionsweise der Politik in Bezug auf die wirtschaftliche Entscheidungsfindung, das Rechtssystem, das Grundbesitzsystem und die unzulänglichen dezentralen Einnahmequellen des Staates. Das Zusammenspiel dieser Systeme ist für einen großen Teil der weit verbreiteten Korruption verantwortlich. Dadurch wird nicht nur die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern auch die politische Stabilität des Landes bedroht. Der zweite Bereich der miteinander verbundenen Institutionen wird ebenfalls erörtert. Er betrifft die Beziehung zwischen der Urbanisierung, dem Sozialwesen und der sich wandelnden demografischen Struktur Chinas. Den dritten Bereich werde ich mangels einer besseren Beschreibung als „technische Institutionen“ bezeichnen. Er umfasst die fortschreitende Modernisierung des Finanzsystems, die stetige Verbesserung der Forschung und Entwicklung in den Ingenieur- und Naturwissenschaften, die Aufwertung der Universitäten und andere institutionelle Veränderungen, die zum Ziel haben, ein hohes Produktivitätswachstum aufrechtzuerhalten.

Regulierung, Politik, Recht und Korruption

Die Auflösung des sowjet-ähnlichen Systems einer zentralen Planung der Wirtschaft hat ein beachtliches Überbleibsel an Vorschriften hinterlassen, die alle öffentlichen und privaten Aspekte der Wirtschatstätigkeit betreffen. Beispielsweise entscheiden Stadtverwaltungen darüber, ob auf einem Stück Land eine Fabrik oder ein Bürohochhaus errichtet werden darf.

Großinvestitionen müssen von der Nationalen Planungs- und Reformkommission akzeptiert und kleinere Projekte müssen auf niedrigeren Ebenen der Planungshierarchie genehmigt werden. Der Zugang zu Elektrizität ist ebenso geregelt wie der Zugang zu jedem anderen Versorger, der von der örtlichen Regierung kontrolliert wird. Dann gibt es wiederum Vorschriften, die alle Länder haben. Sie stellen etwa sicher, dass ein Gebäude den Sicherheitsstandards genügt, Firmen ihren Arbeitnehmern gegenüber anständig sind oder dass eine Fabrik nicht die umliegende Gegend verschmutzt. Ferner haben alle Länder beispielsweise Zollbehörden, die darüber entscheiden, ob und zu welchem Preis Waren eingeführt werden dürfen.

Während der letzten zehn Jahre hat die Weltbank versucht zu berechnen, wie schwierig es ist, in einem gegebenen Land geschäftlich tätig zu werden. Im Jahre 2013 rangierte China auf Platz 91 von insgesamt 185 Ländern. Auf den ersten Blick mag das nicht schlecht erscheinen, allerdings befinden sich nur etwa zehn Plätze dahinter Länder, die die meisten als sehr korrupt und nicht geschäftsfreundlich einschätzen würden, wie Sambia, Papua-Neuguinea und Pakistan.

China hat sein regulatorisches Umfeld sicherlich stetig verbessert, denn es rangiert diesbezüglich auf dem 12. von insgesamt 15 Plätzen (Weltbank 2012: 9). China schneidet bei der Durchsetzung von Verträgen, Eigentumsregistrierung und länderübergreifendem Handel (Zölle) relativ gut ab. Ganz anders sieht es jedoch auf den folgenden Gebieten aus: Kreditgenehmigung (Platz 70), Beilegung von Insolvenz (Platz 82), Investitionsschutz (Platz 100), Zugang zu Elektrizität (Platz 114), Zahlung von Steuern (Platz 122), Existenzgründung (Platz 151) und Baugenehmigungen (Platz 181). Angesichts der enormen Menge an Bauarbeiten, die zu dieser Zeit in China stattfanden, ist die zuletzt genannte Platzierung besonders markant.

Dass China einerseits bei Baugenehmigungen unter den zwölf schlechtesten Ländern rangiert, aber andererseits kein anderes Land eine so hohe Bauaktivität erlebt hat, erscheint paradox. Es dauert lange, in China eine Baugenehmigung zu erhalten (270 Tage; in Singapur sind es 26 Tage), und es müssen eine ganze Reihe von Prozeduren überstanden werden (28 an der Zahl; in Hongkong dagegen nur 6). Lediglich neun andere Länder schneiden in dieser Hinsicht schlechter ab als das Reich der Mitte. Dennoch dauert der Vorgang in diesen Ländern noch viel länger als in China: In Mosambik sind es 377 und in Haiti sogar ganze 1.129 Tage. Auch wenn die Kosten einer Baugenehmigung in China ebenfalls hoch sind (3.75 mal so hoch wie das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen), sieht es beispielweise in Sambia und im Tschad noch viel düsterer aus (17 bzw. 51 mal so hoch wie das Pro-Kopf-Einkommen).

Das Paradoxon einer sehr hohen Bauaktivität trotz widriger Umstände lässt sich teilweile sicherlich dadurch erklären, dass es sich lohnt, in China Geschäfte zu machen und Baugeschäfte keine Ausnahme darstellen. Die Wartezeit und die Kosten zahlen sich also letztlich aus. Des Weiteren ist anzunehmen, dass jene, die über einen eisernen Willen und die nötigen Beziehungen verfügen, weniger unter den widrigen Umständen leiden und den Bewilligungsprozess besser durchschauen können. Dieses Prinzip gilt nicht nur für das Baugewerbe, sondern für alle Bereiche, in denen es in China regulatorische Hürden gibt. Es lohnt sich, sobald man die regulatorischen Barrieren überwunden hat und der steile Weg vorhersehbar wird, zumindest, solange man die richtigen Beziehungen hat oder bereit ist, sie zu entwickeln.

Auch wenn sie das Problem des derzeitigen Systems nicht vollständig lösen, gibt es einfache Möglichkeiten, einige der Hindernisse zu beseitigen. Der Schlüssel liegt darin, den Beamten so wenig Entscheidungsspielraum wie möglich zu überlassen. Sie sollten nicht über das Ausstellen einer Genehmigung frei entscheiden dürfen. Die Regeln sollten leicht verständlich und öffentlich einsehbar sein. Sofern sich ein Antragsteller an alle Regeln hält, sollte die Genehmigung automatisch ausgestellt werden. Um zu verhindern, dass Beamte Verzögerungstaktiken zwecks Ertragsmaximierung verfolgen (politische Rente), sollte es Fristen geben, innerhalb derer eine Entscheidung seitens der Genehmigungsbehörde getroffen werden muss. Der Status des Antrags und alle benötigten Informationen sollten online einsehbar sein, sodass der Antragsteller und eine staatliche Überwachungsstelle jederzeit Einsicht nehmen können. Für einfache Verfahren, wie beispielsweise die Ausstellung eines Führerscheins, würde diese Methode viel Zeit sparen und den ausstellenden Beamten daran hindern, finanzielle Ziele zu verfolgen. Bei komplexeren Angelegenheiten dürfte diese Methode Zeitverzögerungen allerdings weniger effektiv bekämpfen können, weil die Zweckmäßigkeit seines Vorhabens und der Antragsteller selbst überprüft werden müssen. Die Beseitigung regulatorischer Hürden ist schwierig, wenn es um das Urteilsvermögen und den Ermessensspielraum der ausstellenden Behörde geht. In China verfügen die Kommunistische Partei Chinas und ihre Schlüsselpersonen in einer Vielzahl von Fragen über einen großen Handlungsspielraum. Das gilt sowohl auf lokaler Ebene als auch darüber hinaus. Sie entscheiden, ob ein Unternehmen oder eine Einzelperson die Genehmigung erhält, ein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Unterstützt die Parteispitze ein Projekt nachdrücklich, werden regulatorische Barrieren umgangen und die notwendigen Genehmigungen ausgestellt. Problematisch wird es, wenn die Partei auf beiden Seiten einer Transaktion operiert. Örtliche und höherrangige Parteifunktionäre können sowohl bei der Ernennung von Regierungsbeamten ein Mitspracherecht als auch einen ähnlichen Einfluss auf die Ernennung von Unternehmensleitern (und Parteisekretären) und die Beantragung regulatorischer Erleichterungen haben. Schon in der Vergangenheit nahmen lokale Parteifunktionäre Einfluss auf die Beantragung von Projektfinanzierungen. Sie beeinflussten örtliche Niederlassungen von Nationalbanken, die die Darlehen ausstellten, und gleichzeitig Unternehmensleiter oder lokale Beamte, die das Darlehen beantragten. Gibt es mehr als einen Antragsteller, hat also der Antragsteller mit den besten Beziehungen zu örtlichen und höherrangigen Beamten einen klaren Vorteil.

Aus Sicht konkurrierender Antragsteller, die sich ebenfalls Hoffnungen auf regulatorische Erleichterungen machen, gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, den politischen Vorteil des Mitbewerbers auszugleichen. Sie könnten beispielsweise illegale Zahlungen tätigen, um einen Entscheidungsträger oder jene Beamte, die über ihm stehen, zu beeinflussen. Sie könnten auch den Verwandten eines Beamten eine hohe Anstellung in der eigenen Firma verschaffen und ihn gebührend bezahlen oder mit ihm einen Beratungsvertrag abschließen. China steht mit diesem Problem nicht alleine da, denn solche und ähnliche Machenschaften finden überall auf der Welt statt, auch in Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen. Die direkte Zahlung von Bestechungsgeldern kann sowohl für den Geldgeber als auch für den Zahlungsempfänger gefährlich sein. Die indirekte Art von Amtsvergehen kann aufgedeckt werden, wenn Beamte und hochrangige politische Personen verpflichtet werden, ihre Vermögenswerte gegenüber einer höheren Behörde vollständig offenzulegen. Diese Methode wird in China teilweise angewendet. In einem Land wie China, in dem der Erfolg und Misserfolg eines Projekts davon abhängt, ob man sich durch ein Labyrinth von Vorschriften schlagen kann, sind formelle Bestechungsversuche unter Umständen gar nicht nötig.

Schafft man es, eine politisch einflussreiche Person für den Vorstand (oder eine ähnliche Position) der eigenen Firma zu gewinnen, kann das einen gleichwertigen Bonus mit sich bringen. Es ist nicht zwingend notwendig, dass diese Person sich mit den Aufsichtsbehörden in Verbindung setzt oder Ähnliches unternimmt, um in der Gunst der Aufsichtsbehörden zu stehen. Das bloße Wissen, dass diese Person das eigene Unternehmen unterstützt, wird dazu führen, dass zumindest Entscheidungsträger auf den niederen Ebenen beeinflusst werden. Viele Beamte innerhalb der Aufsichtsbehörden würden es aus Eigeninteresse nicht riskieren, von einem mächtigen Vorstandsmitglied oder prominenten Berater einer Firma kritisiert zu werden.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Familienmitglieder hochrangiger Parteifunktionäre zu ungeahntem Reichtum gelangt sind. Sicherlich haben viele dieser Funktionäre durch ihre Fähigkeiten tatsächlich zum Erfolg des Unternehmens beigetragen und auf diese Weise ihr Vermögen verdient. Es gibt allerdings Fälle, in denen ein angestelltes Familienmitglied für eine Firma keinen Nutzen hat – bis auf die Beziehungen, über die es verfügt. Dieses Phänomen existiert leider nicht nur an der Spitze der Pyramide, sondern auf allen Ebenen des Systems, bis hin zur lokalen.

Es gibt drei Möglichkeiten, mit dem Verhältnis zwischen Regulierungsgewalt, politischem Einfluss und dem finanziellen Eigeninteresse der Beamten (politische Rente) umzugehen. Ein Weg ist die harte Bestrafung von Finanzkriminalität bis hin zur Todesstrafe. Auch wenn dies in den letzten drei Jahrzehnten praktiziert wurde, ist es in einer stark regulierten Wirtschaft, in der Beamte über einen erheblichen Grad an Entscheidungsbefugnis verfügen, kaum möglich, ausreichend viele Gesetzesbrecher zu finden und zu verurteilen, um das Problem wirksam zu bekämpfen.

China besitzt eine Gesamtbevölkerung von 1.3 Milliarden Menschen, 80 Millionen Parteimitglieder, eine achtstellige Anzahl an Beamten, über 2.000 Bezirksregierungen und noch mehr Gemeinden und Dörfer. Es ist beachtlich, dass China nicht nur einfache, sondern auch hochrangige Beamte strafrechtlich verfolgt hat. Herauszufinden, ob der Strafbestand der Korruption tatsächlich erfüllt ist, oder lediglich politischer Einfluss ausgeübt wurde, ein persönliches Geschenk ein wenig zu groß oder eine Reise etwas zu großzügig war, ist allerdings nicht immer einfach. Der massive Überwachungsstaat der 1960er und frühen 1970er konnte das Ausmaß dieser Form der Korruption begrenzen, allerdings auf Kosten eines viel schlimmeren Machtmissbrauchs in Bereichen, die nichts mit Finanzen zu tun haben. Jenseits eines massiven Überwachungsstaates ist es schwierig, Fälle von Korruption zu beweisen. Verfolgt man Beamte trotz Mangel an Beweisen, führt das zu anderen Formen des Missbrauchs. Es wird zwangsläufig als Versuch gewertet werden, politische Gegner zu beseitigen.

Der zweite Weg zur Bekämpfung von Korruption ist die Reduzierung regulatorischer Hürden, die Unternehmen und Einzelpersonen überwinden müssen, um erfolgreich zu sein. Je weniger Regulierungen es zu beachten gilt, desto weniger Zeit und Geld muss dafür investiert werden. Ein gut funktionierendes Marktsystem kann viele marktschädigende Verhaltensweisen in Zaum halten, ohne dass es irgendeiner Regulierung bedarf. Doch auch eine besonders marktorientierte Wirtschaft, wie zum Beispiel jene in Hongkong, kommt nicht gänzlich ohne Regulierung aus.

Reduziert man aber die Anzahl an Regularien, verringert man gleichzeitig die Möglichkeiten der Beamten, mit dem Aufschieben von Genehmigungen Geld zu verdienen. Das macht es leichter, die dadurch verringerte Anzahl an Straftaten tatsächlich aufzudecken und die beteiligten Personen strafrechtlich zu verfolgen. Es ist kein Zufall, dass die Wirtschaftssysteme in Singapur und Hongkong den geringsten Grad an Korruption in ganz Asien aufweisen, da sie sehr marktorientiert sind. Selbst in Hongkong hat die Marktwirtschaft die Korruption nicht in allen Bereichen neutralisiert, vor allem bei der Polizei, schließlich genießt sie naturgemäß Autorität und hat ein hohes Maß an Ermessensspielraum. In Hongkong gab es zudem eine bedeutende Anti-Korruptionskampagne, die von der im Jahre 1974 gegründeten Unabhängigen Kommission gegen Korruption koordiniert wurde. Allerdings war ihre Aufgabe hinsichtlich der Komplexität nicht vergleichbar mit dem, was in der Volksrepublik nötig wäre.

Es muss also einen dritten Weg zur Bekämpfung von Korruption geben. Dieser dritte Weg betrifft die Rolle der Kommunistischen Partei Chinas in der Wirtschaft. Im Kern geht es um Interessenskonflikte und politische Einflussnahme. Solange die Partei eine Rolle bei der Festlegung der Regeln des Wirtschaftssystems spielt, indem sie Regierungsbeamte ernennt, die dieses System verwalten, und sie darüber hinaus große Produktionseinheiten in der Wirtschaft – vor allem Unternehmen mit einem erheblichen Maß an Staatseigentum – steuert, wird der Erfolg eines Unternehmens primär von politischen Beziehungen abhängen. Möchte die Partei die Korruption effektiv bekämpfen, muss sie sich folglich aus der direkten Verwaltung der zentralen und lokalen Regierung sowie großer Teile der Wirtschaft zurückziehen. Mit der Abschaffung der Volkskommunen gibt es dafür einen Präzedenzfall in der jüngeren chinesischen Geschichte: Die Partei zog sich aus der alltäglichen Verwaltung der landwirtschaftlichen Produktion zurück. Die Privatisierung großer Teile der städtischen Wirtschaft, sowohl der Industrie als auch des Dienstleistungssektors, hat die Entscheidung über das Einsetzen von Führungskräften in die Hände von privaten Eigentümern im In- und Ausland gelegt. Auch wenn große private Firmen über Parteikomitees und Parteimitglieder verfügen, bestimmen diese nicht die Richtung des Unternehmens und das tägliche Geschäft in irgendeiner direkten Form. Selbst in den staatseigenen Unternehmen und den Firmen, deren Anteile mehrheitlich von der Regierung gehalten werden, ist es gelungen, die Rolle der Partei vom technischen Betriebsablauf zu trennen. Es ist notwendig, diesen Prozess voranzutreiben, damit die Partei nicht mehr darüber bestimmt, wer leitende Funktionen in einer Firma übernimmt. Stattdessen würde die Partei ein Organ werden, das die Regeln des Wirtschaftssystems festlegt, ihm seine allgemeine Ausrichtung gibt und dann überwacht, ob die Regeln von allen Beamten und Wirtschaftseinheiten eingehalten werden. Die Partei würde dann nur noch allgemeine Ziele umsetzen und wäre dann vergleichbar mit einer traditionellen Zensur in den Kaiserdynastien, allerdings mit einem breiteren Mandat, da sie auch die politische Rolle des Kaisers einnimmt.

Sollte sich die Partei aus der täglichen Verwaltung von Wirtschaft und Gesellschaft zurückziehen, müssten bestimmte andere Institutionen gestärkt werden. An erster Stelle steht hier die Rechtsordnung. Das Land hat Fortschritte beim Wiederaufbau des Rechtssystems nach der Kulturrevolution gemacht, aber es ist bei weitem nicht hinreichend für ein System, in dem Parteiführer und Regierungsbeamte nicht mehr das letzte Wort bei Streitigkeiten zwischen Wirtschaftstreibenden hätten. In einer uneingeschränkten Marktwirtschaft werden die meisten wirtschaftlichen Streitigkeiten über die Gerichte verhandelt, die in der Regel unabhängig von den beteiligten Personen aus Wirtschaft und Politik agieren. Durch unabhängige, kompetente und ehrliche Richter werden politische Erwägungen bei der Urteilsfindung weitestgehend ignoriert und stattdessen Urteile gefällt, die sich aus der Rechtslage ableiten.

Das derzeitige Rechtssystem in China ist weder unabhängig von politischer Autorität noch ist es vollständig kompetent und aufrichtig. Die Kompetenz ist am leichtesten zu verbessern. Als das Rechtssystem nach der Kulturrevolution erneuert wurde, gab es nur wenige Menschen, die im Rechtswesen ausgebildet waren, und somit hatten die Richter oftmals keinen juristischen Hintergrund. Im Jahre 2010 haben 26.165 Juristen ihren Abschluss an Chinas Fakultäten gemacht (NBS 2011: 746) und die Gesamtzahl der Anwälte lag bei Hunderttausenden. Es bleibt jedoch schwierig, die Unabhängigkeit der Richter sicherzustellen. Auch wenn sie streng nach Gesetz und Sachlage entscheiden, haben höhere Regierungsbeamte und Parteifunktionäre oft das Gefühl, Gerichtsentscheidungen ablehnen oder ignorieren zu können. Selbst Unternehmensleiter mit ausreichendem politischem Einfluss sind hiervon nicht ausgeschlossen. Des Weiteren werden die Richter von Regierung und Partei ernannt und können abgesetzt werden, wenn sie deren Erwartungen nicht vollständig erfüllen. Tatsächlich unabhängige Richter müssen eine unbegrenzte Amtszeit haben, sofern sie nicht selbst gegen das Gesetz verstoßen, und dürfen nicht für ein Urteil abgesetzt werden können, das von höherer Stelle missbilligt wird. Mangelt es an einer langen beruflichen Bindung und Verpflichtung, werden die Richter durch politische Strömungen beeinflusst und das Rechtssystem wird als ungerecht empfunden werden.

Es wird wohl noch lange dauern, bis die Gerichte losgelöst von der Politik operieren können, insbesondere in den Bereichen, in denen eine Bedrohung für den Staat oder die Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas erkennbar ist. Die Partei darf jedoch kein Interesse daran haben, wirtschaftliche Urteilssprüche von politischen Erwägungen bestimmen zu lassen, schließlich haben einzelne Regierungsbeamte und Parteimitglieder ebenfalls eigene Interessen wie beispielsweise den Erhalt einer politischen Rente. Diese Interessen können langfristig eine größere Bedrohung für die Partei darstellen als Richter, die manchmal als zu unabhängig angesehen werden. Entfernt man offenkundige politische Verzerrungen aus den Gerichtsverfahren, wird es einfacher sein, Korruption im Rechtswesen zu eliminieren. Auch eine gute Bezahlung der Richter und die Überwachung ihrer Vermögen würden einen großen Beitrag dazu leisten.

Wenn China jemals das Problem der Korruption unter Kontrolle bringen und ein von Marktkräften getriebenes Wirtschaftssystem aufbauen möchte, das durch Regelungen im Falle eines echten Marktversagens unterstützt wird, sind grundlegende Veränderungen in den Institutionen notwendig. Die heute bestehenden Institutionen prägen sowohl die Wirtschaft als auch die Gesellschaft Chinas und Änderungen an ihnen werden Wechselwirkungen haben. Die Rolle der staatlichen Regulierung muss im Gegensatz zu Marktkräften deutlich reduziert werden. Die Entscheidungsbefugnis der Regierungsbeamten bei der Umsetzung dieser Regulierungen muss stark limitiert oder gänzlich aufgehoben werden. Die Kommunistische Partei muss sich noch stärker aus dem Tagesgeschäft der Regierungsbehörden und wirtschaftlichen Unternehmen zurückziehen und stattdessen Ziele des Systems formulieren, diese in Rechtsvorschriften verwandeln und ihre Fortschritte überwachen. Diese Arbeit muss allerdings extern geleistet werden, nicht innerhalb einer Behörde oder Firma. Es gibt andere Arten von politischen Instituten, die diese Rolle übernehmen könnten, aber die meisten von ihnen existieren heute noch nicht in China. Erzielt man in diesen Bereichen keine großen Fortschritte, wird die Korruption weiter gedeihen, was der Partei und der Regierungsfähigkeit des Landes zunehmend schaden könnte.

Ländlicher Raum und kommunale Einnahmen

Seit mindestens zehn Jahren ist die als Korruption wahrgenommene staatliche Landnahme eine der Hauptgründe für politische Instabilität in China. Die Kommunalverwaltung kauft Bauern landwirtschaftliche Flächen zu niedrigen Preisen ab und verkauft sie zu wesentlich höheren Preisen an Bauunternehmer. Die Differenz behält die Kommunalverwaltung ein, und die Gelder landen manchmal in den privaten Taschen lokaler Beamter. Anders als bei Regierungsbehörden und Wirtschaftsunternehmen muss die politisch sensible Frage nach der Rolle der Partei hier nicht gestellt werden. Das Problem könnte nämlich weitestgehend durch technische Reformen gelöst werden. Der erste Schritt zur Lösung des Problems würde darin bestehen, den Verkaufspreis vom freien Markt bestimmen zu lassen und den Landwirten entweder Besitzansprüche oder langfristige Nutzungsrechte einzuräumen. Sie hätten dann das Recht, die Flächen oder ihre Nutzungsrechte zu Marktpreisen zu verkaufen, was vergleichbar wäre mit Unternehmen, die städtische Flächen pachten. Es wäre Beamten dann nicht mehr möglich, den Landwirten Nutzungsflächen wegzunehmen, ohne ihnen einen gerechten Preis zu zahlen. Würden sie es dennoch tun, könnte das als Diebstahl angesehen und geahndet werden. Wie auch in vielen einkommensstarken Staaten wäre es hin und wieder dennoch nötig, Enteignungen durchzuführen, wenn beispielsweise der Bau einer Straße im öffentlichen Interesse ist. Allerdings gibt es in diesen Staaten Marktpreise, die als Referenz für eine Entschädigung dienen würden. Idealerweise gibt es auch unabhängige Gerichte, die entscheiden, ob tatsächlich ein öffentliches Interesse besteht und ein gerechter Preis gezahlt wurde.

Auch wenn der Verkauf aufgrund einer hohen Nachfrage geschieht und ein gerechter Preis gezahlt wird, sind noch zwei institutionelle Änderungen notwendig. Die erste bezieht sich auf das Ausbauen des sozialen Sicherungsnetzes. Es betrifft nicht nur die ländliche Bevölkerung, sondern auch die Menschen, die in ländlichen Gegenden registriert sind, aber nicht-landwirtschaftlichen Berufen nachgehen, vor allem in den Städten. Der Hintergrund ist die gesellschaftliche Frage der Verstädterung und der ländlichen Migranten (siehe weiter unten). Der ländliche Raum bildet ein wichtiges Sicherheitsnetz für diese Menschen. Wenn man ihnen gestattet, ihre Landrechte zu verkaufen, erhalten sie finanzielle Mittel, die ihnen den dauerhaften Übergang zum städtischen Leben erleichtern. Traditionellerweise kehren Migranten zurück, wenn es in den Städten nicht oder nicht mehr genug Arbeit für sie gibt. Da sie beim Verkauf diese Rückzugsmöglichkeit verlieren, ist ein neues Sicherheitsnetz für diesen Teil der ländlichen Bevölkerung erforderlich.

Die zweite notwendige institutionelle Änderung ist die Bereitstellung von Geldern für die Kommunen, die dem Umfang der von ihnen zu tätigenden Aufwendungen entsprechen. In den letzten Jahren, vor allem während der großen Konjunkturprogramme zur Aufrechterhaltung des BIP-Wachstums und als Antwort auf die weltweite Rezession, drängte die Zentralregierung die lokalen Regierungen, einen Großteil der Maßnahmen zu schultern. Zusätzlich hat auch die Tatsache, dass örtliche Regierungsbeamte teilweise anhand des BIP-Wachstums in ihrem Gebiet befördert werden, die Schulden der Lokalregierungen in die Höhe schießen lassen. Offiziell belaufen sich die Schulden der Kommunen auf fast 10 Billionen RMB, tatsächlich könnten sie doppelt so hoch sein.

Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass die Kommunen nicht über ausreichende Einnahmen verfügen, um für ihre Ausgaben aufzukommen oder diese Schulden zu bedienen – selbst dann nicht, wenn sie weiterhin niedrige Preise für Nutzungsflächen bezahlen und diese viel teurer weiterverkaufen. Wird der Grundstücksmarkt reformiert, sodass sich die Grundstückspreise den Marktpreisen annähern, verschwindet diese Einnahmequelle der Kommunen. Die finanzielle Situation der Kommunen würde sich dadurch noch weiter verschärfen.