Chor der Erinnyen - Marion Poschmann - E-Book

Chor der Erinnyen E-Book

Marion Poschmann

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Beschreibung

Ihr Mann hat fluchtartig das Haus verlassen, ohne sich näher zu erklären. Eine Freundin aus Kindertagen taucht auf, und ihre sonst so zurückhaltende Mutter übt plötzlich eine geheimnisvolle Macht aus. Mathilda, die Nüchterne, die distanzierte Studienrätin für Mathematik und Musik, wird sich selbst unheimlich. Hat sie von ihrer Mutter das Zweite Gesicht geerbt? Sie muss erleben, wie sich ihre Visionen in der Wirklichkeit zu manifestieren beginnen. Etwas dunkles Inneres meldet sich zu Wort, ihre Handschrift verselbständigt sich, geflügelte Frauen nehmen in ihrem Alltag immer mehr Raum ein. Es kommt zu Waldbränden und skurrilen Heilritualen, zu fragwürdigen Geschenken. Es kommt Wind auf, dessen Flüstern ihr seltsam vertraut erscheint. Hört sie tatsächlich den Chor der Erinnyen?
Humorvoll, poetisch und höchst originell schreibt Marion Poschmann über angepasste Freundinnen und aufbegehrende Mütter, über den Frevel an der Natur und ihre fragile Schönheit, über die Dämonisierung von Frauen und die Kraft der Verbundenheit. Chor der Erinnyen ist keine Fortsetzung, sondern eine Parallelgeschichte zu ihrem bei Kritik und Publikum überaus erfolgreichen letzten Roman Die Kieferninseln.

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Seitenzahl: 235

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Cover

Titel

Marion Poschmann

Chor der Erinnyen

Roman

Suhrkamp

Impressum

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Die Autorin dankt der VG WORT für ein Neustart-Stipendium.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe der Bibliothek Suhrkamp 2023.

Originalausgabe© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2023Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Hermann Michels und Regina Göllner

Harter-Heighway-Drachenkurve von Solkoll/Wikimedia Commons

eISBN 978-3-518-77747-3

www.suhrkamp.de

Motto

Und darf nur heimlich lösen mein Haar, Und lassen es flattern im Winde!

Annette von Droste-Hülshoff, Am Turme

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Motto

Inhalt

Rabenbegabung

Magnetsinn

Wachsherzen

Flammenblick

Stimmfühlung

Mauerschau

Kreidekleid

Drachenatem

Schattenfittich

Monsterkurve

Barfußgang

Zugunruhe

Sturmfrisur

Textnachweis

Informationen zum Buch

Rabenbegabung

Meine Mutter fürchtet diese Fähigkeit, denn sie sieht die Verstorbenen. Bei mir ist es milder. Mir erscheinen lebende Personen. Sie flackern kurz auf, und ich weiß alles über sie. Wenn auch nur für den einen Moment, in dem wir verbunden sind. Oft geschieht es im Schlaf, wenn ein Traum seinem Ende zugeht und etwas enthüllt, was wahrer ist als der Rest und dessen Klarheit mich erschüttert zurücklässt. Plötzlich wieder allein, und doch nicht. Es bleibt das Gefühl einer Nähe, einer heimlichen Anwesenheit. Meist sind es Freundinnen, die mich heimsuchen, Freundinnen, die ich manchmal jahrelang nicht gesehen habe, die sich nie melden, aber nachts machen sie sich bemerkbar, drängen sich auf. Was soll ich mit ihnen? Im Alltag sind sie beschäftigt, kaum ansprechbar, und schon gar nicht von mir.

Mathilda ließ den Kugelschreiber sinken und starrte auf ihre geschwungene Handschrift. Die Arkaden und Girlanden wirkten breit und ein wenig behäbig, fast barock in ihrem raumgreifenden Überschwang, die Auf- und Abstriche dagegen zackig und konzentriert, mit dem Gleichmaß von Hammerschlägen, als nagele sie damit eine Reihe von Luftblasen am Boden fest.

Seit ihrer Jugend hatte sie kein Tagebuch mehr geführt. Es gab keinen Anlass zur Introspektion. Sie erinnerte sich noch gut an den Moment, in dem sie beschlossen hatte, nicht mehr jeder Laune nachzugehen, sondern ihre Energie in intellektuelle Arbeit zu stecken und ein normales, nützliches Leben zu führen. Es war der Nachmittag gewesen, an dem ihre Schulfreundin Birte sie zum ersten Mal versetzt hatte. Sie hatte ihre Chinakladde geöffnet und das Datum eingetragen, dann stundenlang wie erstarrt vor dem linierten Papier gesessen und das Buch schließlich zugeschlagen. Bis heute.

In diesem Notizbuch, schwarz mit roten Ecken, waren etliche Seiten frei geblieben, genaugenommen die meisten. Womöglich hatte sie es nur deswegen über all die Jahre behalten, es sogar stets griffbereit in ihrer Schreibtischschublade aufbewahrt, weil sie ein kaum angebrochenes Heft nicht wegzuwerfen vermochte, vielmehr meinte es noch einmal für irgendeine Nebensächlichkeit benutzen zu können, und seien es Eintragungen zum Haushaltsbudget. Tankstellenrechnungen, Kilometergeld.

Jetzt verlor sie sich in den Kringeln und Wolken ihrer Sätze. Die schwarzen Tintenlinien schoben sich übereinander, ballten sich zusammen zu einem Gewölle, in dem sie für einen Moment die dunklen Locken ihrer Mutter erkannte, die Dauerwelle, die diese sich legen ließ und die sie noch immer regelmäßig färbte. Verschlungene Fäden, die sich immer mehr verwickelten, zu Wirbeln und Knoten, zu einer undurchdringlichen Dunkelheit. Dann verlagerte sich das Knäuel und wurde zu einem Druck im Bauchraum, wo sie es zuletzt als Kind gespürt hatte, wenn etwas Unangenehmes bevorstand.

Am Vormittag hatte sie Klausuren schreiben lassen und nach dem Unterricht noch mit der Arbeitsgemeinschaft Kammerorchester geprobt. Wie gewöhnlich ging sie zu Fuß nach Hause.

Die ersten Blätter bedeckten den Bürgersteig und verbreiteten ihren herbstlichen Duft. Mathildas Ledersohlen waren rutschig, sie trat vorsichtig auf das Laub. In ihrer Tasche zog merklich das zusätzliche Gewicht der Klausuren. Sie wechselte den Riemen auf die andere Schulter. Auf Dauer schlecht für den Rücken. Aber ein Minimum an Eleganz musste bleiben. Die jugendlichen Violinistinnen und die Cellistin, die Bratschistin und selbst der Bassist legten bei der wöchentlichen Probe so viel Wert auf ihren künstlerischen Habitus, dass sie selbst nicht mit einem allzu schnöden Auftreten, womöglich einem Wanderrucksack, ihre Illusionen zerstören wollte. Ihre Schützlinge trugen lange Gewänder und warfen leidenschaftlich das Haar zurück, während sie selbst versuchte, ihnen beizubringen, dass es für den großen Auftritt vor allem auf die musikalische Durchdringung des Stückes ankam, auf exakte Phrasierung, Atemführung, und beim Zusammenspiel als Erstes darauf, sich einzuschwingen auf die anderen.

Ihr Haus stand nicht allzu weit vom herrschaftlichen Altbau des Gymnasiums entfernt, in einem Nachbarviertel mit Häusern der Jahrhundertwende und altem Baumbestand. In dieser Umgebung fiel ihr Flachdachhaus aus dem Rahmen, kantig und kühl, in einem Garten mit lichten, niedrigen Gewächsen, Stauden, Bodendeckern, Pampasgras. Trotzdem lag das Grundstück meistens im Schatten, von allen Seiten ragten die knorrigen Äste der Nachbarbäume herein, und es gefiel ihr, sich von diesen mächtigen Buchen und Linden flankiert zu wissen, ohne für deren Pflege verantwortlich zu sein. Sie kramte im Vorgarten nach dem Schlüssel, die weißen Früchte der Schneebeere leuchteten aus dem Strauch am Zaun, ihr winziger Ginkgo in der Mitte des Rasenrondells zeigte schon einen Anflug von Gelb, und als sie den Blick hob, sah sie Birte auf dem Treppenabsatz vor der Tür stehen, fragil, sehr still, mit hängenden Armen stand sie da, seltsam durchscheinend, knochig. Birte war immer schlank gewesen, beweglich und anmutig, jetzt wirkte sie abgemagert, ja ausgemergelt. Mathilda ging ihr entgegen, und je näher sie kam, desto mehr verlor Birte an Schärfe. Als sie selbst den Eingang erreichte, war Birte verschwunden.

Sie ging ins Haus und schloss von innen ab. Ausnahmsweise ließ sie den Schlüssel stecken, schon am Nachmittag. Sie zog ihre Schuhe und den Mantel aus und nahm die Post mit ins Arbeitszimmer, ein Krankenkassenschreiben, ein Brief der Stadtverwaltung, eine Einladung zu einem Konzert. Sie erledigte die Telefonate, die noch anstanden. Die Matheolympiade. Das neue Landesprogramm »Jedem Kind ein Instrument«. Die Schulaufsichtsbehörde. Dann schmetterte sie den Klausurenstapel auf ihren Schreibtisch und korrigierte die Stochastikaufgaben, bis es dunkel wurde.

Seit mehreren Jahren hatte sie nichts mehr von Birte gehört. Zuletzt war ein Brief von ihr eingetroffen, schon als sie den Briefkasten öffnete, erkannte sie die Schnörkel, mit denen Birte die Umschläge verzierte, damit sie seelenvoll wirkten und nicht geschäftlich (obwohl ihre Briefe in Wahrheit Geschäftsbriefe waren), sie erkannte den fleckigen, geknitterten Umschlag, der zu lange irgendwo ungeschützt herumgelegen hatte und den Birte deswegen mit ausgeschnittenen Blümchen beklebt hatte, die Mathilda als nicht altersgemäß empfand, Poesiealbumblümchen, die an eine gemeinsame Kindheit appellierten, die seit Jahrzehnten vergangen war.

Es war ein Brief voller unterschwelliger Vorwürfe und Forderungen gewesen, und Mathilda hatte ihn nicht beantwortet. Mit dem Brief war die leichte Übelkeit in der Magengegend wieder aufgetreten, sie aber hatte keine Lust, eine verworrene Situation aufzulösen, die die andere Seite nicht auflösen wollte. Birte deutete an, dass ihr Mathildas Lebenswandel zu angepasst erschien, ohne Risiko, ohne existentiellen Ernst. Ein netter Ehemann, ein fast abbezahltes Haus, ein interessanter Beruf, ein Auto, das sie sich teilten, weil sie beide ihren Arbeitsplatz zu Fuß erreichen konnten, außerdem Kinder zuhauf in der Schule – sie hatte all das, was landläufig als Erfüllung galt, ohne besondere Mühe erreicht. Birte leitete daraus ab, dass Mathilda ihr etwas schuldig geblieben war, aber Mathilda sah nicht, was dies hätte sein können.

Nervös bewegte sie jetzt den Stift. Sie schrieb nicht mehr – sie kritzelte vor sich hin. Sie strich etwas durch, schraffierte das Blatt, tilgte aus, bis alle Linien sich gegenseitig verdeckten.

Klar und deutlich hatte sie Birtes Gestalt gesehen, erst klar und deutlich, dann seltsam dünnflüssig, transparent. Am helllichten Tag und auf ihrem eigenen Grundstück! Im ersten Moment war sie von Freude durchzuckt gewesen, eine flackernde, hoch aufflammende Freude, und sie ging unwillkürlich schneller auf Birte zu, wie ein argloser Hund, der jedem, den er jemals gekannt hat, heftig wedelnd entgegenläuft. Dann schlug der Impuls um, die Erinnerung kehrte zurück, und sie fragte sich misstrauisch, was Birte dort vor ihrer Haustür überhaupt zu suchen hatte. Was sie von ihr wollte. Erst in einem dritten Schritt realisierte sie, dass die Gestalt nicht solide genug war, um sich ihr gegenüber sinnvoll zu verhalten, aber da begann sie sich auch schon zu verflüchtigen.

Wäre es wenigstens eine Marienerscheinung gewesen! Eine bewährte Vision, für die es Formeln gab, Floskeln, seit Jahrhunderten erprobt.

Sie blätterte um und versah die nächste Seite der Kladde mit seltsamen kleinen Spiralen und Zacken. Sie bedeuteten nichts.

Trotzdem hatte sie all die Jahre Angst gehabt, dort hinzusehen. Sie fürchtete sich vor ihrer eigenen Handschrift. Als eine der Ersten war sie auf Computer umgestiegen. In ihren Fächern Musik und Mathematik musste sie nicht sonderlich viel schreiben, die Korrekturen erforderten eher Ziffern und Symbole als Worte und Sätze, und es gab richtige und falsche Lösungen, keine Halbheiten, keine Ambivalenz. Das verlieh ihr Sicherheit, sie entspannte sich bei Zahlen und Fakten, und es war ein Jammer, dass ihre Schüler nicht ebenso empfanden, dass sie die Mathematik nicht einstimmig zu ihrem Lieblingsfach erklärten, immerhin ein Halt für pubertierende Gemüter, ein Fels in der Brandung all der Wischiwaschi-Fächer, in denen es nur selten um Inhalte ging, sondern, sie konnte das täglich beobachten, darum, der Lehrkraft nach dem Mund zu reden und sie in ihrer jeweiligen politischen Haltung und ihrem pädagogischen Ehrgeiz zu bestärken. Ihre Kollegen suchten Bestätigung bei den Schülern. Sie hielt das für falsch. Ihr Ideal war der unpersönliche Unterricht, die professionelle Distanz. Und mit der eigenen Handschrift offenbarte man sich.

Sie kritzelte mechanisch weiter, sie kritzelte das Blatt voll und versuchte akribisch, jedes weiße Fleckchen zu übermalen. Seltsamerweise vermehrten sich die weißen Stellen, je genauer sie sie überschrieb. Für eine Lücke, die sie ausfüllte, entstanden drei neue Fitzelchen, ein uferloses Unterfangen.

Trotzdem wurde die Seite lebendig, sie begann zu atmen und wölbte sich ihr entgegen. Natürlich bedeutete die dunkle Wolke nichts, es war auch keine Wolke, allenfalls ein Ausschnitt aus einer Unbestimmtheit. Aber das Papier war nicht mehr neutral. Es war vollkommen überzeichnet, es strahlte eine Atmosphäre aus, die sie sich selbst zuschreiben musste.

Schön, sie hatte Birte gesehen. Vor ihrer eigenen Eingangstür. Lieber wäre ihr gewesen, sie hätte gesehen, wo eine gewisse andere Person sich aufhielt. Ihr angetrauter Ehemann, mit dem sie in ruhiger, unauffälliger Harmonie zusammenlebte und mit dem es ihres Wissens nicht die geringste Unstimmigkeit gegeben hatte, war von einem Augenblick auf den anderen aus dem Haus gegangen und nicht mehr zurückgekommen. Gutwillig oder vergesslich hatte sie die letzten drei Tage so verbracht, als hätte das alles seine Richtigkeit. Sie ließ sich nichts anmerken, sie verhielt sich in der Schule wie immer, und sie hatte zu niemandem davon gesprochen. Als könne sich die Situation, wenn sie gar nicht darüber sprach, doch noch über Nacht als Täuschung erweisen, sich hingegen verfestigen, wenn die anderen begannen, mit ihren oberflächlichen Meinungen eine ungewisse Lage zur Tatsache zu erklären, etwas zu zementieren, für das es keine Rechtfertigung und keinen Anlass gab. Und ein Luftschloss aus Hirngespinsten landete auf einmal aus heiterem Himmel auf dem Boden und würde massiv, unverrückbar real.

Fest stand, ihr Mann war vor drei Tagen wegen irgendeiner unbegreiflichen Kleinigkeit aufbrausend geworden, er hatte einen Wutanfall gehabt und dann beleidigt das Haus verlassen. Mehrfach hatte sie versucht, die Szene zu rekapitulieren, aber der Vorfall blieb rätselhaft und unbefriedigend. Vielleicht nahm er an einem Kongress teil und hatte versäumt, sie zu informieren, hatte in seiner Vorbereitungsphase, die immer ein wenig zu verbissen ausfiel, die Reise schon für so selbstverständlich gehalten, dass er der Meinung war, sie wisse Bescheid. Vielleicht war er zu seiner Mutter gefahren und setzte voraus, dass sie sich das selbst auszurechnen imstande war. Sie hatte ihn sogar zweimal am Telefon gehabt, aber die Verbindung war so schlecht gewesen, dass sie ihn kaum verstehen konnte. Seine Rede hatte verworren geklungen, und sie wollte sich ihrerseits nicht zur Kontrollinstanz aufschwingen. Ohnehin warf er ihr in letzter Zeit dominantes Verhalten vor, sie hatte sich vorgenommen, sich in seine Angelegenheiten nicht mehr einzumischen und ihm alle Freiheiten zu lassen, natürlich in sinnvollen Grenzen. Er würde seine Gründe haben. Er musste Gründe haben, auch wenn sie nicht dahinterkam. Allerdings fand sie, dass er überzog.

Sie schlug das Notizbuch zu und holte sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Es war schon zu spät, um sich zu einem vollständigen Abendbrot ordentlich an den Tisch zu setzen. Sie hatte auch keine Lust, für sich allein zu decken und abzuräumen und alles hin- und herzutragen. Sie löffelte den Joghurt im Stehen in der Küche, am liebsten hätte sie einen warmen Brei gegessen, Grießbrei, Milchreis, Porridge aus Haferflocken. Aber dergleichen war nicht im Haus.

Sie füllte die Messingkanne mit der strohhalmdünnen Tülle und goss die Zimmerpflanzen im Wohnzimmer. Ein Scheidenblatt, eine Flamingoblume. Die einzigen Blumentöpfe, die ihr Mann im Haus duldete, weil sie angeblich luftreinigend wirkten. Auf dreibeinigen Ständern nebeneinander bildeten sie eine lebende Wand und schirmten die Klavierbank vom Durchgang ab. In einem Gebäude im Bauhausstil, darauf hatte ihr Gatte bestanden, durften nicht überall Blumentöpfe herumstehen, das war biedermeierlich und verdarb die kühle Ästhetik der Architektur. Er hielt Zimmerpflanzen für unzeitgemäß, und da sich ihre großen Fensterflächen zum Garten hin öffneten, hatte sie keine Einwände gehabt. Den einen Topf hatte sie vom Kollegium, den anderen von einer Schülergruppe geschenkt bekommen, und sie musste sich eingestehen, dass die Anmutung nicht unelegant, aber altmodisch war, Pflanzen mit plastikhaften, glänzenden Blättern, die man ständig abstauben musste, mit Kolben, von einem Hochblatt umhüllt, das für die unansehnliche Blüte die Schaufunktion übernahm, papierweiße Wimpel im einen, glibberrote Tellerchen im anderen Fall. Als das Telefon klingelte, verrutschte ihr der Wasserstrahl und schwenkte von den Blattstielen auf das Parkett.

Olivia wollte wissen, ob für den kommenden Tag alles klar sei.

Was hieß alles klar. Sie waren seit Wochen verabredet, und selbstverständlich hätte Mathilda längst abgesagt, wenn ihr etwas dazwischengekommen wäre.

Sie vergewisserte sich, ob Olivia es sich nicht anders überlegt hatte, ob Olivia an den Plänen festhielt, ob der Anruf nicht nur ein Vorwand war, um Mathilda dazu zu bringen, als Erste einen Rückzieher zu machen.

Aber Olivia befand sich schon in der Hütte. Sie höre den Wald rauschen und ein Käuzchen rufen. Sie gehe jetzt schlafen. Sie warte morgen auf sie.

Mathilda wischte das Blumenwasser auf, öffnete die Schiebetür und sah nach draußen in den dunklen Garten.

Hinter der kleinen Rasenfläche begannen gleich die eingewachsenen Nachbargrundstücke mit ihren Thujahecken und Rhododendronwällen, mit knorrigen Baumkronen, die sich als Silhouetten vor dem kanalfarbenen Hintergrund abzeichneten. Das Laub schien sich langsam zu drehen, schwarze Körper, die über das Firmament wanderten wie tagsüber die Sonne, kleine Einheiten, die sich zu Haufen und Galaxien zusammenschlossen und einen aufreizend graugeränderten Sog ausübten, dem Mathilda bedenkenlos nachzugeben bereit war.

Als sie auf die Terrasse trat, löste der Bewegungsmelder aus und tauchte alles in flutendes Licht. Sie kniff die Augen zu, als sei sie in einen Alptraum geraten, dem sie nur entgehen konnte, indem sie tiefer schlief. Sie nahm die Düfte und die Geräusche wahr, Äpfel, die dumpf auf den Rasen fielen, Kastanien, die über Autodächer kollerten, das raschelnde Pampasgras, der Verkehr auf der Hauptstraße und ein Wind, der aus der Ärztevilla die Gerüche weißer Nahrungsmittel herantrug, gekochter Reis, Rettich, Blumenkohl. Schellfischfilet. Dann erlosch die Lampe, Mathilda blieb reglos stehen, die Laubwand der Nachbarn rauschte, der Abend war klar, und sie vermochte sogar einzelne Sterne auszumachen. Sie empfand den gestirnten Himmel nicht als tröstlich. Sie fühlte sich aufgerauht, kontaminiert, zu durchlässig für jeden beliebigen Eindruck. Niemals wurde es in dieser Stadt richtig dunkel. Jeder einzelne Lichtpunkt drang schmerzhaft ein wie ein Nadelstich, aber nicht ihr Körper war betroffen, sie fühlte sich leer und formlos, zu wenig substanziell und zu geräumig, um dem unruhigen Flimmern Widerstand zu leisten. Es gab keinen Punkt mehr, an den sie sich zurückziehen konnte. Hatte es diesen Punkt je gegeben?

Sie ging die zwei Schritte zurück ins Haus, der Sensor reagierte, das Licht brach grell ein, als öffnete sich eine Höhle zu allen Seiten, und etwas, was dort lange zusammengefaltet gelegen hatte, wurde geblendet, riss blinzelnd die Augen auf und erhob sich.

Sie erwachte davon, dass ein Krähenschwarm über dem Haus kreiste. Heisere Rufe durchschnitten die Blässe des Morgens, glitten durch das gekippte Fenster, drangen ihr bis ins Mark. Sie war dünnhäutig geworden, überempfindlich. Normalerweise ließ sie sich von Geräuschen nicht stören. Jetzt schob sie die Decke zurück und stand auf, deutlich früher als geplant. Sonst war sie eine brutale Schlafmaschine, sie legte sich hin, ihr fielen augenblicklich die Augen zu, sie verbrachte die vorgesehenen Stunden traumlos oder zumindest erinnerungslos und kam exakt zu dem Zeitpunkt, den sie sich vorgenommen hatte, wieder zu sich. Sie benötigte keinen Wecker, das Unterbewusstsein ließ sich programmieren, aber für gewöhnlich stellte sie den Wecker trotzdem, um sicherzugehen. Sie richtete sich auf, noch etwas benommen blieb sie für einen Moment auf der Bettkante sitzen. Die wattige Morgenblässe füllte ihren gesamten Schädel aus. Sie war noch müde.

Die Krähen sammelten sich und ließen sich auf dem Baum vor der Ärztevilla nieder, hoben dann erneut ab. Sie hatte nie bemerkt, dass es sich bei der hässlich beschnittenen Platane um einen Schlafbaum handelte. Jetzt war er von hektischem Schwirren umgeben, von Krächzen umfangen.

Mathilda ging barfuß in die Küche, setzte Wasser auf und öffnete die Dose mit Earl Grey. Der Tee hatte deutlich an Aroma verloren, fast nie tranken sie davon, er war uralt.

Als die Türklingel schrillte, fühlte sie sich für einen Moment nackt. Die bloßen Füße auf den weißen Bodenfliesen, das dünne Seidennachthemd, schon leicht fadenscheinig – wer klingelte um diese Zeit? Es war zu früh für Handwerker, Schornsteinfeger, Sammeldosenträger. Eigentlich sollten alle noch schlafen.

An der Garderobe hängte sie sich einen Strickmantel über die Schultern und warf einen Blick auf den Monitor, den sie eigenhändig an der Wand installiert hatte. Ihrem Mann fehlte jedes handwerkliche Interesse, er hatte sich auch gegen eine Kamera im Eingangsbereich ausgesprochen, aber der Vorteil gegenüber der einfachen Gegensprechanlage bestand darin, dass man mit der Person vor der Tür erst gar keinen Kontakt aufzunehmen brauchte, wenn das geboten schien. Sie musste sich nur immer wieder klarmachen, dass sie selbst auf der anderen Seite des Bildschirms unsichtbar blieb. Der Monitor zeigte Birte, wie sie sich ungeduldig das Haar zurückstrich und dann ohne weitere Übersprungsgesten einfach wartete. Sie stand so da, wie sie sie gestern gesehen hatte, das Gesicht ihr zugekehrt, fordernd und zerbrechlich zugleich, nur dass sie selbst sich jetzt im Haus befand und nicht im Vorgarten und Birte ihre Position auf dem Treppenabsatz entsprechend um 180 Grad gedreht hatte.

Mathilda zögerte, und erst jetzt ergriff eine vollständige Erstarrung ihren Körper, hielt sie den Atem an, wollte sie kein Geräusch mehr verursachen. Noch konnte sie sich aus dem Flur zurückziehen und einfach nicht reagieren, sie würde sich im Schlafzimmer verschanzen und vorgeben, niemand sei zu Hause. Birte jedoch war imstande, stundenlang um das Gebäude herumzuschleichen, in alle Fenster zu schauen, hartnäckig zu klopfen und ihr aufzulauern. Es hatte keinen Zweck. Sie gab sich einen Ruck, hielt mit einer Hand den Strickstoff vor der Brust zusammen und schloss mit der anderen Hand die Haustür auf.

Magnetsinn

Mathilda goss den Tee auf und nahm eine zweite Tasse aus dem Schrank. Sie war froh, ausnahmsweise eine der alten Sammeltassen in Gebrauch zu haben, dünnes Porzellan, farbiges Art-déco-Muster, Goldornamente. Sie griff ein Exemplar mit nostalgischen Ranken, das Birte gefallen würde. Sonst benutzten sie das einfache weiße Geschirr, das man in die Spülmaschine stellen konnte. Birte öffnete eine Brottüte aus braunem Packpapier, die sie selbst zusammengeklebt hatte, und rollte den Rand so weit herunter, dass die Croissants sichtbar wurden, die sie selbst gebacken hatte, allerdings am Vortag. Sie saß auf der Kante des Küchenstuhls und hielt sich sehr gerade. Der selbstgestrickte Wollpullover, der verwaschene lange Rock, die klobigen Sandalen, die ausgeleierten Ringelsocken – sämtliche Kleidungsstücke hingen seltsam unverbunden an ihrem Körper, als probe eine Ballerina die Rolle der Landstreicherin. Birtes Kleidungsstil war seit ihrer gemeinsamen Schulzeit nahezu unverändert geblieben. Sie ging praktisch in Lumpen, legte aber großen Wert auf schadstoffarme Materialien, gedeckte Farben, ressourcenschonendes Verhalten.

Es waren gebrauchte Teile vom Flohmarkt, gerüschte Erbstücke aus ihrer Verwandtschaft, ländliche Arbeitstrachten, gleichzeitig hochwertig und verschlissen. Und egal was sie trug, die theatralisch inszenierte Einfachheit übte auf Mathilda noch immer einen Zauber aus, dem sie sich nicht entziehen konnte.

Ich wusste ja, dass du früh aufstehst, hatte Birte in ihrem vertraulichen Ton zur Begrüßung geflüstert, und Mathilda hatte nur zustimmend genickt, denn selbstverständlich war sie eine tätige Person, die auch am Wochenende nicht lange schlief, sondern zeitig ihren Tageslauf begann, und sie wollte von sich selbst glauben, sie fände durchaus nichts dabei, morgens um halb sechs von einer alten Freundin aufgesucht zu werden, die sie jahrelang nicht gesehen hatte. Birte spielte auf eine Gemeinsamkeit an, ein intimes Wissen, wer wann wach wurde, und sofort lag Mathilda etwas daran, an dieser Gemeinsamkeit festzuhalten, auch wenn sie selbst sich daran überhaupt nicht erinnern konnte.

Offenbar gab es da etwas von früher, eine Stunde der Nähe und Verschworenheit, Kissenschlacht, raschelnde Bettdecken, Gruselgeschichten, Hand in Hand einschlafen, Mathilda schien solch eine Innigkeit sehr weit entfernt, aber es rührte sie, dass Birte ohne weiteres daran anknüpfen konnte. Sie versuchte dem nachzuspüren, nur für einen Moment, fast reichte sie bis dorthin, aber dann entglitt ihr alles. Und überhaupt: Wollte sie wirklich, dass Birte sie immer noch als kleines Mädchen im Schlafanzug vor sich sah?

Aber dein Mann, hatte Birte nachgesetzt, ist er auch schon wach? Und Mathilda dachte, dass er spätestens von Birtes Klingeln wach geworden wäre und dass es lächerlich war, jetzt zu flüstern.

Er ist auf einem Kongress, sagte sie knapp und führte Birte in die Küche, damit sie das Thema nicht weiter vertiefte.

Birte war mit dem Nachtzug gekommen und brauchte Geld. Sie betrieb ein Keramikcafé in Nordfriesland, was bedeutete, dass sie in einer ausgebauten Scheune biologisch-dynamischen Kuchen auf selbstgetöpfertem Geschirr servierte. Sie verwendete dafür eine blassblaue Glasur, die dem groben Steinzeug einen melancholischen Reiz verlieh, und ihre Gäste stellten überrascht fest, dass Öko auch schön sein konnte.

Das Café lief prinzipiell gut, im Winter aber verschlang die Beheizung der Scheune solche Unsummen, dass die paar Besucher, die nach einem Schneespaziergang bei ihr einkehrten, die Kosten nicht wettmachen konnten.

Mathilda hatte kalte Füße, aber sie kam nicht dazu, Birte zu unterbrechen. Sie schob die Zehen übereinander, versuchte, den Fliesenboden nur an einer Stelle zu berühren, sie saß verdreht und verkrampft in ihrer eigenen Küche.

Sie wollte ihr raten, im Winter zu schließen und in dieser Zeit in Ruhe zu töpfern, aber sie konnte schon absehen, dass Birte sich darauf nicht einlassen würde.

Im Winter müsse das Café unbedingt geöffnet bleiben. Ein ganz anderes Licht auf den Glasuren, das den Himmel tief ins Innere bringe, eine Gemütlichkeit, nicht anbiedernd heimelig, sondern von kühler Klarheit, so dass der Besuch in ihrem Café eine letztlich reinigende, wenn nicht therapeutische Wirkung habe, die einige ihrer Gäste besonders schätzten. Nur zu frostig dürfe es nicht werden, weil die Leute ihre Mäntel ablegen wollten, daher gehe es darum, die Scheune entweder noch mehr zu beheizen als bisher oder, und das wäre die umweltfreundlichere Variante, sie vollständig zu dämmen. Dafür gebe es schon ein Konzept, nur der Finanzierungsplan stünde noch nicht.

Birte nippte vorsichtig am Tee, ihre Croissants rührte sie nicht an. Sie redete unentwegt, sie hielt die Tasse so locker, dass Mathilda fürchtete, sie würde sie fallen lassen. Aber sie fragte nicht, ob Mathilda ihr Geld leihen konnte, auch wenn sie stillschweigend davon ausging, dass Mathilda, kinderlos und doppelverdienend, ausreichend Rücklagen gebildet hatte, für die sie keine Verwendung fand.

Mathilda zog die Füße unter sich und hockte sich auf die Fersen. Es war sehr unbequem und keine Verbesserung.

Im letzten Brief von Birte, den sie unbeantwortet gelassen hatte, war es auch um die Scheune gegangen. Birte wollte das Anwesen kaufen und brauchte Kapital. Warum sie ausgerechnet auf Mathilda verfiel, war unverständlich. Birte stammte aus einer wohlhabenden Familie, ihre Eltern und sämtliche Verwandte besaßen ein erhebliches Vermögen, aber sie unterstützten Birte nicht unendlich, wahrscheinlich aus pädagogischen Gründen und weil sie genau wussten, wo sich eine Investition lohnte und wo nicht.

Mathilda hingegen war diejenige aus einfacheren Verhältnissen gewesen. Das Kind, das in der Schule gute Noten haben musste, weil dies das einzige Kapital war, mit dem die Familie wuchern konnte. Sie hatte dementsprechend die besten Noten gehabt und einen sicheren Beruf ergriffen, den sie nicht liebte, aber ohne große Mühe auszuüben imstande war. Mathematik fiel ihr allzu leicht, Musizieren konnte jeder, sie war kein Risiko eingegangen. Das hatte Birte ihr über Jahre hinweg vorgehalten. Birte sprach nicht darüber, aber Mathilda wusste genau, dass Birte sie zu streberhaft fand, und sie hatte damals ihre hochmütigen, fast verächtlichen Blicke gesehen, die auf der Einrichtung von Mathildas Eltern ruhten, wenn Birte bei ihr Hausaufgaben machte, sich helfen ließ, das meiste abschrieb und dann doch in Tränen ausbrach, weil sie nicht einmal die Aufgabenstellung verstanden hatte.

Birte nippte am Tee und betonte, wie glücklich sie sei, Mathilda nach längerer Zeit endlich wiederzusehen. Sie sprach von alter Freundschaft, sogar von Sehnsucht, Sehnsucht nach Mathilda, das musste man erst einmal wagen!, dann schilderte sie umständlich ihre Anreise mit dem Nachtzug von der Nordsee, und Mathilda begann zu begreifen, dass Birte in der Stadt irgendeine Absicht verfolgte, der Zug aber so früh angekommen war, dass sie noch etwas Zeit überbrücken musste. Und dazu war ihr ausgerechnet Mathilda eingefallen?

Die Sache ist die, sagte Mathilda. Sie müsse gleich aufbrechen, sie sei für das Wochenende verabredet. Birte blickte betreten in ihre Tasse. Dann fing sie sich plötzlich, setzte ein Lächeln auf und beschied, sie habe in der Stadt noch etwas zu erledigen, aber dann käme sie gern mit.

Mathilda hieb die Zähne in das pappige Croissant, nickte mechanisch und ärgerte sich, dass sie sich noch nicht einmal gekämmt hatte. Hier war der Punkt, an dem sie Birte vor die Tür setzen musste, an dem Abgrenzung gefragt war, ein klares Nein, wie es ihr in jedem anderen Zusammenhang leicht von den Lippen kam, aber sie erinnerte sich an die Erscheinung vom Vortag, das wässrige und, wie es aussah, bedürftige, geradezu hilfesuchende Bild, und ihr wurde klar, dass sie Birte vielleicht wegschicken, aber sich des Bildes von ihr nicht erwehren konnte. Dass es sie heimsuchen würde, in den Wahnsinn treiben, dass es ein Zeichen war, auf das sie wohl oder übel reagieren musste, und so legte sie Birte dar, was sie in diesen Tagen vorhatte. Erstens kurzer Besuch bei ihrer Mutter, zweitens und mit Übernachtung verbunden ein Besuch bei Olivia in ihrem Wochenendhaus. Sie wollten wandern gehen, lange Touren, nicht gerade Extremsport, aber Birte mit ihren Sandalen sei dazu nicht gut ausgerüstet.

Birte kannte Mathildas Mutter, Birte kannte Olivia, es hatte sogar eine Periode gegeben, in der sie mit Olivia enger befreundet war als mit Mathilda, Birte freute sich auf beide, und sie sah in den Sandalen kein Problem, sie war leichtfüßig, durchtrainiert. Sie werde kurz in die Stadt gehen und sei in einer Stunde zurück. Mathilda wusste, es würden mindestens zwei Stunden werden, ihr Zeitplan war jetzt schon gescheitert, aber sie versicherte Birte, sie würde auf sie warten. Wehende Röcke, schwingende Basttasche. Sie schloss die Haustür hinter Birte ab, sie drehte den Schlüssel grimmig bis zum Anschlag. Dann ging sie, um sich anzuziehen und ihre Sachen zu packen.

Der Vormittag war bereits fortgeschritten, Mathilda hatte zum dritten Mal ihre Mutter angerufen und sich für die Verzögerung entschuldigt. Sie sei unerwartet aufgehalten worden. Jetzt aber steige sie ins Auto und käme sofort.