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"City Vampire: Gefährliches Spiel in Paris" entführt in eine Welt der Kunstdiebe und Katakomben. Die hübsche Kunstdiebin Elaine Moreau will nie wieder einen Kunstraub begehen. Doch als ihr jüngerer Bruder gekidnappt wird, hat sie keine Wahl und muss noch ein letztes Mal ein sagenumwobenes Gemälde stehlen. Sie ist auf alles vorbereitet – nur nicht darauf, dass der Besitzer des Bildes ein attraktiver aber höchst gefährlicher Vampir ist. Auszug: Sein markantes Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Er beugte sich noch näher heran, seine kühlen Lippen streiften ihr Ohr. "Ich frage dich nur noch ein einziges Mal", flüsterte er. "Was suchst du hier?" Elaines Herz raste. "Ich suche Blanka", antwortete sie kaum hörbar.
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Beth St. John
City Vampire
Gefährliches Spiel in Paris
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Weiterlesen: Romantische Mystery mit Biss
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Zur Autorin
Impressum neobooks
Für Mina,
die eine – und die andere
Geschmeidig wie eine Raubkatze kletterte die ganz in schwarz gekleidete Gestalt an der Feuerleiter hinauf. Sie verursachte nicht das leiseste Geräusch und nur wer sehr genau hinsah, bemerkte ihren zierlichen Schatten an der Wand. Geschickt schwang sie einen Fuß auf das Dach des Hauses und zog dann den Körper hinauf. Vorsichtig schlich die schier unsichtbare Erscheinung über die Dachziegel bis an den gegenüberliegenden Rand. Kurz hielt sie inne und lauschte, doch einzig die Geräusche der Nachtvögel hallten durch die Stille. Niemand hatte sie bemerkt. Die filigrane Gestalt nahm ein Seil, an dessen Ende eine Art übergroßer Angelhaken befestigt war, von ihrem Gürtel. Sie schwang den Haken einige Male und nahm genau Maß, dann ließ sie ihn fliegen. Mit einem leisen Kratzen landete der Haken an seinem Ziel. Sie zog am Seil, um die Festigkeit zu prüfen. Es gab keinen Millimeter nach. Dann schwang sie das andere Ende des Seiles einige Male um den Schornstein des Dachs, auf dem sie stand. Schließlich hängte sie eine Handrolle ein, umfasste die Griffe zu beiden Seiten, trat über den Rand und ließ sich elegant hinübergleiten. Lautlos setzte sie einen Fuß auf die Brüstung des Balkons auf der anderen Seite. Einen kurzen Moment hielt sie inne, um durchzuatmen und ihre Konzentration zu sammeln, dann nahm sie ihren Rucksack vom Rücken und holte ihr Werkzeug heraus. Vorsichtig setzte sie den Dietrich in das Schloss der Balkontür und bewegte ihn sachte hin und her, bis er eingerastet war. Behutsam drehte sie den Schließmechanismus im Zylinder, bis ein leises Klicken erklang und ihr signalisierte, dass sie es geschafft hatte. Geräuschlos glitt die Tür zur Seite auf. Die ganz in schwarz Gekleidete stand im Schlafzimmer. Es war ordentlich verlassen worden, das große Doppelbett thronte in der Mitte des teuer eingerichteten Raums. Die Bewohner waren ausgegangen in dieser Nacht. Die nächtliche Besucherin wusste das freilich, denn sie hatte genauestens recherchiert. Es blieb jetzt noch etwa eine Stunde Zeit, dann kämen sie zurück. Doch bis dahin würde sie längst wieder fort sein, verschwunden im Schutz der Nacht.
Sie schlich zur Tür des Schlafzimmers hinaus in einen weitläufigen Flur. Zu ihrer Rechten lagen ein Gästezimmer und ein Bad, das wusste sie. Ihr Ziel jedoch war das Erdgeschoss. Im Dunkeln huschte sie die Treppe hinab, durchquerte die großzügige Eingangshalle und gelangte linker Hand in den Raum, den sie suchte.Da ist es, dachte sie, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Im Esszimmer hing es, direkt an der Kopfseite eines langen Tisches, in einem schrecklich kitschigen Rahmen, der jedoch der Schönheit des Gemäldes keinen Abbruch tat. Vorsichtig nahm sie das Bild von der Wand. Sie zückte ein scharfes Messer und löste das Kunstwerk vorsichtig aus dem Rahmen heraus. Sie rollte es zusammen, verstaute es sorgfältig in einer Hülle und hängte es sich wie einen Köcher über den Rücken.
Gerade hatte sie den Fuß der Treppe erreicht, als der Sturm losbrach. Ein markerschütterndes Geheul erklang, als der Alarm ausgelöst wurde, ein Geheul, das schier den Verstand lähmte.
Doch die schemenhafte Gestalt verharrte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann setzten ihre Instinkte und ihre Routine ein. Flink wie ein Wiesel floh sie die Treppe hinauf, ins Schlafzimmer, hinaus auf den Balkon. Sie ergriff das straff gespannte Seil, umfasste es mit den Händen und schlang die Füße darum. Hand um Hand, Fuß um Fuß näherte sie sich dem rettenden Dach auf der anderen Seite, während das Martinshorn eines sich nähernden Streifenwagens durch die nächtlichen Straßen hallte und den Alarm zu übertönen begann. Die Gestalt war auf der anderen Seite angelangt, schwang sich hinauf auf das Dach und rannte geduckt davon.
Doch sie war einen Augenblick zu spät.
„He, Sie da! Stehenbleiben!“ Ein zweiter Streifenwagen war angekommen und ein aufmerksamer Polizist hatte den über die Dächer huschenden Schatten bemerkt. Der Lichtkegel einer Taschenlampe erfasste ihre Silhouette, doch sie verharrte nicht. In geduckter Haltung und mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze lief sie weiter, immer weiter.
Sie hörte, wie der Mann mit der Taschenlampe eine Feuerleiter erklomm und ihr hinauf auf das Dach folgte. Sie konnte jetzt nicht hinab, sie musste auf den Dächern bleiben. Am Dachfirst entlang rannte sie, bis sie am Ende angelangt war. Das Nachbarhaus war nicht allzu weit, sie konnte es schaffen. Sie nahm den Schwung ihres Laufs und die Kraft ihrer Beine und sprang beherzt, denn einen anderen Ausweg gab es nicht. Kurz gerieten die Ziegel unter ihren Füßen ins Rutschen, doch es gelang ihr, das Gleichgewicht zu halten. Sie warf einen Blick über die Schulter. Der Polizist folgte ihr, wenn auch nicht so geschickt. Er würde sich durch den Sprung nicht aufhalten lassen.
Der Streifenwagen verfolgte sie von unten, folgte der Straße, die von den Häusern gesäumt war, über deren Dächer sie lief. Für einen kurzen Moment überfiel sie die Panik. Sie konnte nicht ewig hier oben weiterlaufen. Irgendwann würde das nächste Dach zu weit entfernt sein.
Ihre Augen brannten im kühlen Nachtwind, der zwischen den Schornsteinen hindurch fegte. Sie kniff sie zusammen, versuchte gleichmäßig zu atmen und rannte weiter. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Es war soweit, das Dach endete in wenigen Metern und das nächste war weit weg – zu weit zum Springen.
Die Fliehende ging ihre Optionen durch, in Sekundenbruchteilen zogen verschiedene Ideen durch ihren Kopf. Sie konnte kapitulieren und man würde sie verhaften. Sie könnte versuchen hinunter zu springen, doch würde sie sich wahrscheinlich sämtliche Knochen im Leib brechen, und dann war da auch noch der Streifenwagen. Oder sie konnte versuchen, das andere Dach zu erreichen. Hinüber zu springen. Wahrscheinlich würde sie stürzen. Aber vielleicht auch nicht – vielleicht genügte der Schwung, vielleicht genügte ihre Kraft. Es war der einzige Ausweg. Sie musste es riskieren.
Der Polizist hinter ihr schrie irgendetwas. Er sah, was sie vorhatte und erkannte den Wahnsinn dieses Unterfangens. Doch die Gestalt achtete nicht auf ihn. Sie würde nicht ins Gefängnis gehen, niemals.
Sie nutzte die letzten Meter, um noch einmal Schwung zu holen, und konzentrierte sich auf den richtigen Absprungpunkt. Zentimeter konnten darüber entscheiden, ob sie es schaffte oder fiel.
Sie sprang mit aller Kraft ab und flog durch die Luft. Sie schloss für einen Moment die Augen, um sich nicht der gähnenden Leere unter sich bewusst zu werden. Als sie sie wieder öffnete, war sie fast auf der anderen Seite angelangt.
Aber nur fast.
Krachend landete ihr Oberkörper auf den Ziegeln, während ihre Beine unter ihr baumelten und ihre Füße verzweifelt nach Halt an der glatten Wand suchten. Der Polizist stand am Rande des anderen Dachs und beobachtete mit schreckgeweiteten Augen, was sich da vor ihm abspielte. Die Gestalt hörte ihn wieder rufen: „Halten Sie sich fest, wir holen Sie da runter!“
Oh nein, das würden sie nicht tun. Sie würde es nicht zulassen.
Dachziegel rutschten herab, als ihre Finger nach Halt suchten und zerschellten klirrend auf dem Asphalt. Sie bekam etwas zu fassen, etwas, das nicht nachgab, und zog mit aller Kraft ihren Körper nach oben. Adrenalin rauschte in ihren Ohren und setzte Kräfte frei, derer sie sich bislang nie bewusst gewesen war. Es gelang ihr, einen Fuß hinauf zu schwingen. Sie rollte sich über die Seite und blieb kurz auf dem Rücken liegen.
Sie hatte es geschafft. Sie war noch am Leben.
Der Polizist im Streifenwagen bekam davon nichts mit. Er war viel zu sicher gewesen, dass sie abstürzen würde, wahrscheinlich rief er gerade einen Krankenwagen. Oder direkt den Leichenbeschauer. Sein Kollege oben auf dem Dach schrie und gestikulierte wild, doch verhallten seine Rufe ungehört, wurden verschluckt vom Geheul des noch immer ertönenden Martinshorns. Der dunklen Gestalt war es recht. Sie stand auf, rannte mit neuer Kraft zum hinteren Rand des Dachs, sprang über einen sehr kleinen Spalt zum nächsten Haus und suchte dann dessen Wände ab. Es gab eine Feuerleiter, die in den Hinterhof führte. Dann glitt sie die Leiter hinab und rannte über den Hinterhof, kletterte über einen Zaun, durchquerte einen Garten, dann noch einen weiteren. Sie rannte, bis ihre Lungen zu bersten drohten und ihr Kopf so wild hämmerte, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Erst dann blieb sie stehen.
Sie hatte es geschafft. Sie war entkommen. Sie nahm die Hülse ab, die sie noch immer bei sich trug, und schraubte sie auf. Da war es, das Gemälde, sicher und heil. Sie schraubte den Deckel wieder zu.
Das war das letzte Mal, so schwor sie sich. Noch niemals zuvor war es so knapp gewesen, es war an der Zeit, aufzuhören. Dann verschwand sie im Dunkel der Nacht.
Ein Jahr später.
Elaine pfiff leise vor sich hin, während sie den Tresen abwischte. Noch eine Stunde, dann hatte sie endlich Feierabend. Sie wollte sich und Mathis heute etwas Besonderes zum Abendessen kochen, hatte sie beschlossen. In letzter Zeit hatte sie oft so lange gearbeitet, dass sie sich nur kurz vor dem Zubettgehen gesehen hatten. Aber heute Abend hatte sie frei und das würde sie zu nutzen wissen! Eine kleine Glocke ertönte und kündigte das Eintreten eines Gasts an. Elaine warf einen schnellen Blick auf die Uhr und seufzte. Er war heute früher dran als sonst.
„Hallo Süße“, rief die bekannte Stimme ihr entgegen. „Schenk mir einen Kaffee ein, ja?“
Elaine nickte ihm zu Begrüßung kurz zu und nahm eine Tasse aus dem Regal. Sie stellte die Tasse auf dem Tresen ab und goss die dampfende, dunkelbraune Flüssigkeit aus der Kanne hinein.
„Was darf’s denn heute sein, Pierre?“, fragte Sie höflich, doch distanziert.
„Nach wie vor hätte ich am liebsten dich“, sagte der Mann, und seine Stimme klang schmierig.
„Und nach wie vor stehe ich nicht auf der Speisekarte“, entgegnete Elaine routiniert. Pierre war nervtötend und er kam jeden Tag um fast dieselbe Zeit nach seiner Arbeit hierher. Aber Elaine nahm es gelassen. Eigentlich war er harmlos, hatte bloß eine große Klappe. Er war Vorarbeiter in einer Tischlerei und mochte um die fünfzig sein. Und um ehrlich zu sein, gab es wirklich schlimmere Typen auf dieser Welt.
„Ich nehme ein Omelette“, sagte Pierre etwas enttäuscht und musterte Elaine, wie er es immer tat, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Elaine war eine ausgesprochen hübsche junge Frau. Das dunkelblonde Haar war voll und fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern. Ihre Augen waren von einem satten dunkelblau wie der tiefe Ozean und sie wurden von dichten dunklen Wimpern umrahmt. Zwar betrieb sie keinen besonders großen Aufwand um ihr Äußeres, was sie im Grunde aber noch attraktiver machte. Sie war eine natürliche Schönheit, die nicht viel Make-up brauchte, um aufzufallen. Die zarten Sommersprossen auf ihrer Nase machten ihr ansonsten ebenmäßiges Gesicht noch interessanter. Und dank ihrer schlanken Figur sah sie in jedem Kleidungsstück gut aus – selbst wenn sie einen Kartoffelsack getragen hätte, würde Pierre ihr hinterher starren.
Elaine ging zur Durchreiche und schob einen Zettel auf die andere Seite. Ein kleiner, leicht untersetzter Mann mit beginnender Glatze streckte ihr den Kopf entgegen.
„Ich schmeiße ihn für dich raus, wenn du willst“, sagte er mit einem Seitenblick auf Pierre. „Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie du das jeden Tag aushälst.“ Er rollte mit den Augen.
Elaine musste grinsen. Henri war ihr Chef, ihm gehörte das Café. Er war ein herzensguter Kerl, sie mochte ihn sehr. Er bezahlte anständig und nahm seine Angestellten in Schutz. Und wenn ein Kunde sich danebenbenahm – was zum Glück nicht häufig vorkam, denn es war ein Café und kein Nachtlokal – dann setzte er ihn vor die Tür.
„Ach, lass ihn“, entgegnete sie lächelnd. „Er ist doch schließlich ein Stammkunde von dir. Ich komme schon damit klar.“
„Aber sollte er jemals versuchen, dich zu begrapschen, sagst du es mir, in Ordnung? Dann fliegt er raus!“
Elaine nickte grinsend. „Alles klar.“
Kurz darauf servierte sie Pierre ein goldgelbes, duftendes Omelette und überhörte wie gewohnt seine anzüglichen Bemerkungen. Dann begann Elaine die Tische im hinteren Bereich abzuwischen. Sie war wirklich gerne hier. Ihr war schon klar, dass sie bloß eine Kellnerin war – und sicherlich hätten die meisten Menschen ihr dazu geraten, doch die Abendschule zu besuchen, dann zu studieren und irgendetwas aus ihrem Leben zu machen. Doch diese Leute verstanden nicht, wie sehr sie genau das hier genoss. Es war so normal, so beständig, so sorglos. Sie mochte ihren Chef und die meisten Gäste. Sie bekam Urlaub, wenn sie ihn brauchte und hatte ihr festes Gehalt an jedem Monatsende auf dem Bankkonto. Sie hatte alles, was nötig war, um glücklich zu sein.
Als die Uhr fünfmal schlug, nahm sie ihre Schürze ab und hängte sie ordentlich weg. Sie schnappte sich ihre Handtasche und steckte den Kopf in die Küche. „Henri? Ich bin dann weg, okay?“
Henri lugte hinter einem riesigen Topf hervor und nickte ihr zu. „In Ordnung. Grüß Mathis von mir.“
„Natürlich.“ Sie ließ die Küchentür hinter sich zu schwingen, nickte Pierre noch einmal zu und verließ das Café.
Langsam schlenderte sie durch die Straßen des frühabendlichen Paris. Sie wollte noch einen kleinen Abstecher zum Markt machen und ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Sicherlich würde Mathis schon auf sie warten. Sie freute sich auf ihn, denn ihr jüngerer Bruder und sie standen sich sehr nah. Elaine war mehr eine Mutter für ihn denn eine Schwester, hatte sie ihn doch die letzten Jahre ganz alleine großgezogen. Jetzt war er sechzehn und schon fast ein junger Mann mit einer Menge Flausen im Kopf. Trotzdem wirkte er verantwortungsbewusster und loyaler als viele seiner Altersgenossen.
Der Marché les Enfants Rouges lag versteckt in einer ruhigen Ecke des Marais Arrondissements. Der älteste überdachte Lebensmittelmarkt von Paris wurde bereits 1629 gegründet und nach einem Hospiz für Waisen benannt, das für seine roten Uniformen bekannt war. Heute konnte man hier nicht nur frische Lebensmittel kaufen, sondern auch internationale Köstlichkeiten genießen. Es gab japanisches Sushi, scharfe afrikanische Gerichte und frisch gebackenes arabisches Fladenbrot.
Elaine kaufte frische Tomaten ein, Kopfsalat und einen kleinen Laib würzigen Käse. Der Markt füllte sich langsam mit feierabendlichen Einkäufern und das Geplapper der Menschen, die um ihre Ware feilschten, miteinander lachten oder auch mal schimpften, hatte etwas heimeliges an sich. Elaine lächelte still vor sich hin, als sie den Markt verließ und ein Stück den Weg zurück zu ihrem Auto ging.
Elaine schloss die Tür zu ihrer Wohnung auf und warf den Schlüsselbund in das kleine Holzschälchen auf dem Tisch neben der Garderobe. Im Gehen streifte sie ihre Schuhe von den Füßen, nach ihrer langen Schicht im Café und den vielen Stunden auf den Beinen schmerzten ihre Fußballen. Auf Strümpfen ging sie in die Küche, stellte die Tasche mit ihren Einkäufen auf dem Küchentisch ab und ließ Wasser in den alten Teekessel laufen.
„Mathis?“, rief sie, drehte den Herd an und stellte den vollen Teekessel auf der Platte ab. „Mathis, bist du da?“
Verwundert runzelte Elaine die Stirn. Eigentlich sollte er zuhause sein. Die Schule war längst aus und er war nicht der Typ, der stundenlang und ohne Bescheid zu geben wegblieb. Elaine ließ den Teekessel auf dem Herd stehen und ging zurück in den Flur. Hatte er ihr vielleicht eine Nachricht hinterlassen, die sie übersehen hatte? Doch nein, da war nichts. Auch nicht im Wohnzimmer. Alles war ordentlich aufgeräumt, so wie sie es am Morgen verlassen hatte – aber nirgendwo war eine Spur von ihrem Bruder oder ein Hinweis auf seinen Verbleib.
„Mathis?“, rief sie wieder und ging hinüber zu seinem Zimmer. Die Tür war angelehnt, das Zimmer leer. Sein Bett war gemacht, wenn auch nicht allzu sorgfältig, der Computer war ausgeschaltet. War er überhaupt nach der Schule schon zuhause gewesen? Es lagen keine Hefte auf seinem Schreibtisch herum wie sonst, wenn er Hausaufgaben gemacht hatte. Für gewöhnlich schaltete er seinen Computer gleich nach dem Heimkommen ein und ließ ihn auch an, wenn er noch für ein paar Stunden das Haus verließ, um Freunde zu besuchen. Elaines Herz begann zu flattern. Ihm musste etwas zugestoßen sein! Anders war sein Fortbleiben nicht zu erklären. Sie eilte zurück in den Flur und kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Handy.
Nervös wählte sie seine Nummer. Das Freizeichen erklang, aber niemand hob ab. Mit zitternden Fingern rief sie nacheinander jeden seiner Freunde an, von welchen sie eine Nummer besaß, doch keiner von ihnen hatte Mathis nach der Schule gesehen. Er habe sich verabschiedet und sei nach Hause gegangen, sagten sie.
Elaine nahm den Teekessel vom Herd, noch bevor das Wasser kochte. Ihre Verzweiflung wuchs. Das Telefon noch immer in den Händen, glitt sie an der Wand entlang zu Boden und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Was sollte sie nur tun? Zur Polizei gehen? Soweit sie wusste, war es noch zu früh, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Sicherlich würde man sie nach Hause schicken, mit den Worten, er sei schließlich ein Teenager und habe die altersgemäßen Flausen im Kopf. Als ihr Handy plötzlich zu klingeln begann, zuckte sie erschrocken zusammen. Sie warf einen schnellen Blick auf das Display. Mathis! Hastig nahm sie das Gespräch entgegen.
„Mathis!“, rief sie mit hoher Stimme. „Mein Gott, wo steckst du denn?“
„Hier ist nicht Mathis“, erklang eine fremde Männerstimme. Elaine erschrak.
„Wer sind Sie? Wo ist mein Bruder?“, fragte sie hastig.
„Es geht ihm gut“, antwortete der Fremde. „Mein Name ist Jerome Roussaux. Mathis ist mein Gast.“
„Ihr – Gast?“, fragte Elaine verwirrt. Was sollte das? War das ein böser Scherz? „Ich will mit Mathis sprechen. Sofort.“
„Wir wollen doch nichts überstürzen, meine Liebe“, sagte der Fremde am anderen Ende der Leitung. „Ich schlage vor, wir treffen uns und unterhalten uns in aller Ruhe.“
„Was wollen Sie von uns?“, fragte Elaine verzweifelt.
„Das erkläre ich Ihnen, wenn wir uns sehen. Nehmen Sie die Rue de Charterly Richtung Norden. Biegen Sie dann links ab. Nach ungefähr zwei Kilometern gelangen Sie in ein ehemaliges Industriegebiet. Es ist das dritte Gebäude auf der rechten Seite. Sagen wir, in einer Stunde. Und kommen Sie allein. Wenn Sie die Polizei verständigen, ist Mathis tot. Wenn Sie mit irgendjemandem darüber reden, ist er ebenfalls tot. Haben Sie mich verstanden?“
Elaine lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. „Verstanden“, hauchte sie, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.