Lost Vampire 3 - Beth St. John - E-Book

Lost Vampire 3 E-Book

Beth St. John

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Beschreibung

Gestaltwandlerin Ever, Vampir George und der gefallene Engel Sam versuchen gemeinsam, sich um ihren Freund Peter zu kümmern, der in die Fänge einer zwielichtigen Gang geraten ist. Als Peter plötzlich spurlos verschwindet, gerät Ever in eine Gefahr, die George an seine Grenzen bringt. Schafft er es, seinen Blutdurst im Zaum zu halten? Oder ergreift Sam die Chance, um Ever für sich zu gewinnen? Und was führt der undurchsichtige Wächter Lukas Drake im Schilde, dessen Interesse sich plötzlich auf Issy richtet?

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Seitenzahl: 192

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Beth St. John

Lost Vampire 3

Wolf im Schafspelz

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Weiterlesen: Romantische Mystery mit Biss

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Zur Autorin

Impressum neobooks

Kapitel 1

21. August. Sunset Crater. Eine Vollmondnacht.

Der silbrige Vollmond stand hoch am nächtlich schwarzen Himmel. Sein strahlendes Licht bahnte sich seinen Weg durch das Geäst des Waldes und legte einen geheimnisvollen Schimmer über die Welt. Dünne Nebelschleier zogen über den Boden, wie dürre bleiche Finger griffen sie nach Baumstämmen und Sträuchern. Eine Vielzahl von Geräuschen belebte die Nacht. Das Trippeln einer aufgeschreckten Maus, der Ruf eines Käuzchens, das Rascheln der Blätter unter der sich windenden Schlange, das Säuseln des auffrischenden Windes. Zwar waren dies alles natürliche Geräusche, solche, die immer da waren. Dennoch mochte sich der nächtliche Kanon durchaus furchteinflößend für die meisten Menschen anhören.

Er jedoch machte sich keine Sorgen um das, was ihm hier begegnen konnte. Denn was auch immer es war: Er selbst war weitaus gefährlicher.

Barfuß schritt er über den laubbedeckten Waldboden. Es scherte ihn nicht, dass er dabei Zweige zerbrach und so schon jetzt das Wild verschreckte – noch hatte er seine Jägergestalt nicht angenommen. Und wenn das geschehen war, konnte ihm seine Beute ohnehin nicht entkommen. Er war geschaffen, um zu jagen – und um zu töten.

Er hob den Kopf, blickte zum Himmel und sog den Anblick des Vollmonds in sich auf. Dann atmete er tief ein und wieder aus und sank schließlich auf die Knie. Atemzug für Atemzug verschwand ein bisschen mehr von dem Menschen, der vor wenigen Minuten den Wald betreten hatte. Und Pulsschlag für Pulsschlag bahnte sich das Raubtier seinen Weg an die Oberfläche.

Er hatte die Verwandlung schon oft erlebt und von Mal zu Mal fiel es ihm leichter. Nur wenige Minuten vergingen, dann war es vollbracht.

Der Mann war verschwunden. An seiner statt stand nun ein riesiger Wolf. Sein tiefschwarzes Fell schimmerte bläulich im Zwielicht. Er hob die Nase in die Luft und witterte. Wie jedes Mal, wenn er zum Jäger der Nacht geworden war, genoss er die Schärfe seiner Sinne. Einen Moment lang ließ er zu, dass der Vollmond ihn berauschte. Der Duft nach Leben und Freiheit, die strahlende Schönheit des nächtlichen Waldes, die Vielzahl der Farben, die sich ihm dank seiner übernatürlichen Sehkraft selbst im Dunkel darbot. Dies war das wahre Leben, seine wahre Natur.

Er war bereit. Bereit zu Jagd. Er warf den Kopf in den Nacken und stieß ein langes, hohes Heulen aus. Und in weiter Ferne erklang die mehrstimmige Antwort seines Rudels.

Der schwarze Wolf senkte die Nase auf den Boden und nahm die Fährte des Rehs auf, das er vor seiner Verwandlung, durch die Unbeholfenheit seiner menschlichen Gestalt, aufgescheucht hatte. Dann rannte er los. Sein Körper flog nur so über den weich federnden Waldboden. Scheinbar mühelos steigerte er sein Tempo, ohne die Fährte seiner fliehenden Beute auch nur eine Millisekunde zu verlieren. Er erreichte eine weitläufige Lichtung und hielt kurz inne; aus den Tiefen des Waldes zu beiden Seiten tauchten weitere Wölfe auf. Sie alle schauten ihn an, als warteten sie auf ein Kommando. Der schwarze Wolf stieß ein tiefes, kehliges Knurren aus, und das Rudel heulte erneut. Dann stürmte er los und nahm die Fährte wieder auf. Die übrigen Wölfe folgten ihm. Das Rudel war geübt, ein eingespieltes Team. Sie hatten das schon viele Male gemacht. Jeder hatte seinen festen Platz in der Hierarchie, und jeder tat, was seine Aufgabe war. Es war so einfach, so befreiend! Menschliche Regeln und komplizierte Gepflogenheiten hatten hier nichts verloren. Diskussionen gab es nicht. Was zählte, war die Jagd, die Beute. Das Töten.

Die Wölfe breiteten ihre Formation weiter aus und bildeten einen Fächer. Die beiden am äußeren Rand laufenden Tiere setzten sich an die Spitze, während der Schwarze und die anderen sich ein wenig zurückfallen ließen. Sie kamen dem Reh immer näher. Bald würden sie es umkreisen. Es hatte keine Chance.

Das Reh hetzte durch das Unterholz. Seine Überlebensinstinkte hatten einen Adrenalinstoß ausgelöst, der es zu einer Geschwindigkeit befähigte, die nahezu übernatürlich war. Aber eben nur nahezu. Seine Verfolger hingegen geboten tatsächlich über diese Art von Macht. Es waren Wölfe, sicherlich. Das Reh war schon vor Wölfen geflohen und bislang war es immer schneller gewesen. Doch diese Wölfe waren anders.

Das Reh hetzte weiter.

Es senkte den Kopf und raste durch das Unterholz, sprang über Wurzeln und Steine, während sein wild pochendes Herz fast seinen Brustkorb sprengte. Doch langsam schwanden seine Kräfte und es ließ im Tempo nach.

Nicht so seine Verfolger.

Die beiden außen laufenden Wölfe schoben sich Meter für Meter an dem fliehenden Reh vorbei, bis sie es überholt hatten. Doch sie genossen ihre Jagd zu sehr, um dem Ganzen schon jetzt ein schnelles Ende zu bereiten; stattdessen rannten sie immer weiter.

Dem Reh blieb nichts anderes übrig, als in die Richtung zu rennen, in die die jagenden Wölfe es trieben. Sie näherten sich in halsbrecherischem Tempo einem Steinbruch, dessen Wand nahezu senkrecht vierzig Meter in die Tiefe stürzte. Wenn sie erst dort angekommen waren, würde jeder weitere Fluchtversuch zwecklos sein.

Die Wölfe kannten das Gebiet rund um den Sunset Crater inzwischen sehr genau. Auch wenn es nicht ihre Heimat war, hatten sie sich doch schnell und gründlich ein Bild von ihrem neuen Jagdgebiet gemacht. Darin waren sie gut, denn sie blieben niemals allzu lange an einem Ort.

Die Wölfe wussten genau, was sie taten, als sie auf den seit Jahren stillgelegten Steinbruch zustürmten.

Plötzlich lichtete sich der Wald, und ein gähnendes Nichts tat sich auf, wo eben noch der weiche Waldboden gewesen war. Das Reh verlangsamte seinen Lauf; alle Instinkte in ihm lehnten sich dagegen auf, geradewegs in den Tod zu springen – auch wenn die Alternative nicht minder tödlich war.

Mit bebenden Flanken blieb das Reh stehen. Sein Kopf zuckte panisch hin und her, als es nach einem Ausweg, einer Lücke in der Formation seiner Verfolger suchte. Doch die vier Wölfe hatten den Kreis unerbittlich geschlossen. Mit gesenkten Köpfen und zurückgezogenen Lefzen umkreisten sie ihr Opfer. Speichel tropfte aus dem Maul des schwarzen Wolfes – jetzt, im direkten Vergleich mit den anderen dreien, konnte man sehen, dass er der Größte von ihnen war. Er war es auch, der die Bewegungen der anderen mit nahezu unsichtbaren Zeichen lenkte; er war der Rudelführer. Ein tiefes, unheimliches Knurren kam aus seiner Kehle. Langsam, ganz langsam, trat er aus dem Kreis heraus und machte zwei Schritte auf das Reh zu.

In Todesangst sprang das arme Tier nach vorn und unternahm einen letzten, waghalsigen Versuch, sein Leben zu retten, indem es an seinem Angreifer vorbei zu springen versuchte. Doch es war aussichtslos. Der Schwarze sprang vor und packte das Reh mit einem einzigen, gezielten Biss in den Nacken, noch bevor seine Beine wieder den Boden berührten. Die übrigen Wölfe rührten sich nicht. Sie mussten warten, bis der Anführer das Kommando gab.

Die Gnade eines schnellen Todes wurde dem Reh nicht zuteil. Der schwarze Wolf hatte es zu Boden gerissen, wobei es noch immer verzweifelt versuchte, dem unerbittlichen Biss seines Peinigers zu entkommen. Blut troff auf den an dieser Stelle nur noch spärlich bewachsenen Waldboden. Der Geruch stieg den wartenden Wölfen in die Nasen und entfachte ihre Triebe erneut. Sie knurrten und fletschten die Zähne, bereit, ebenfalls nach vorn zu springen und sich ihren Anteil an der Beute zu holen.

Das sterbende Reh stieß fast menschlich klingende Laute aus, während es zappelte und sich wand, doch seine Kräfte verließen es zusehends. Der große, schwarze Wolf knurrte aus tiefster Kehle. Für einen Moment ließ er sein Opfer los, nur um dann erneut zuzupacken, es in die Luft zu schleudern und mit einem heftigen Ruck sein Genick zu brechen.

Der leblose Körper schlug hart auf den Boden auf. Nun gab es kein Halten mehr; auf ein unscheinbares Zeichen des Schwarzen hin stürmten die anderen Wölfe nach vorn und stürzten sich auf das tote Reh. Sie trieben ihre Zähne tief in das warme Fleisch und rissen große Stücke aus dem Körper heraus.

Es war ein Gemetzel.

Der Anführer stand einen Moment daneben und sah dem Schauspiel zu. Der Blick aus seinen gelben Augen war von tiefster Zufriedenheit geprägt. Er öffnete sein Maul, zog die Lefzen zurück und knurrte; sofort machte sein Rudel ihm Platz. Ihm, dem Schwarzen, gebührte das beste Stück.

Er zerfetzte den Brustkorb; Knochen barsten unter seinen Zähnen. Er versenkte die Schnauze tief im Körper des Beutetieres und riss das heraus, war er am meisten begehrte: Das Herz seines Opfers. Unter dem Heulen seines Rudels verschlang er es mit wenigen Bissen.

Die schwarze Schnauze von dunkelrotem Blut bedeckt, stimmte auch der Alpha in das Geheul ein. Dann, nach einem Moment völliger Stille, in der nicht einmal ein Lüftchen zu wehen schien, stürzten die Wölfe sich auf die Reste des Rehs.

Kein Nachtvogel sang, keine Maus wagte sich aus ihrem Versteck. Es war totenstill. Der Wald von Torch Creek schien die Luft anzuhalten.

Kapitel 2

21. September. Torch Creek Highway.Vor Einbruch der Dunkelheit.

Ever trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad, während sie ihren Wagen aus Flagstaff heraus und in Richtung Torch Creek lenkte.

Es war ihr erster Tag am College gewesen. Viel war noch nicht passiert – die Professoren hatten sich vorgestellt, und sie hatten die Themen besprochen, welche in den einzelnen Seminaren im Laufe des Semesters durchgenommen werden sollten. Ever freute sich darauf, denn anders als in der Highschool würde sie hier die Dinge lernen können, für die sie sich auch tatsächlich interessierte, und nicht nur das, was von der Schulbehörde vorgeschrieben wurde. Sie würde ihrem Ziel, Astronomin zu werden, endlich näher kommen. Dennoch war sie innerlich aufgewühlt. Das lag jedoch nicht am neuen Lehrplan, sondern an dem, was Issy ihr in der Mittagspause erzählt hatte.

Issy war ihre beste Freundin, solange Ever sich zurückerinnern konnte. Seit jeher waren die beiden gemeinsam durch dick und dünn gegangen. Wenn Issy ein Problem hatte, ging es Ever so nahe, als beträfe es sie selbst. Ever überlegte einen Augenblick, dann wühlte sie in ihrer Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag, nach ihrem Handy und tippe den Kurzwahlspeicher an. Das Telefon wählte eine Nummer.

„Ever … “, sagte Sam zur Begrüßung, als er abhob. Er war hörbar überrascht, dass sie ihn anrief. Ever war schließlich die feste Freundin seines besten Freundes – bei dem er zudem im Moment wohnte – und nach den jüngsten Ereignissen wäre George sicherlich nicht begeistert darüber, wenn die beiden einen engen Kontakt pflegten. Vor kurzem erst hatte Sam Evers Hilfe in Anspruch genommen, um eine Seele zu erlösen. Besser gesagt, er hatte Evers Anwesenheit gebraucht, um seine übernatürlichen Kräfte zu aktivieren – seine Engelskräfte. Erst seine Gefühle für Ever hatten in ihm ein Stück seines alten Ichs geweckt, nach seinem Fall hatte er keinerlei Erinnerung mehr an sein früheres Engelsdasein. Allein ihre Berührung hatte es möglich gemacht, dass er die Seele in den Himmel geleiten konnte – ihre Berührung und die Gefühle, die sie damit ihn ihm weckte.

„Hey Sam, was machst du so?“, unterbrach Ever Sams Gefühlschaos. Ihre Stimme klang unsicher.

Sam räusperte sich. „Alles in Ordnung bei dir oder warum rufst du mich an?“, fragte er so beiläufig wie nur möglich, doch es klang kalt und abweisend.

Ever biss sich auf die Lippe. Sie war auf dem Weg nach Torch Creek, auf dem Weg zu George. Und jetzt saß sie im Auto und telefonierte mit Sam. Es fühlte sich verboten an. Warum wartete sie nicht einfach die paar Minuten, bis sie bei George angekommen wäre, und erzählte ihm in Georges Beisein, was ihr auf der Seele lag?

Der Grund war simpel: Sie fühlte sich Sam auf seltsame Weise nahe und wollte nur mit ihm sprechen. Außerdem gab es einen weiteren, ganz plausiblen Grund: Sie wollte Sam um einen Gefallen bitten, den nur er ihr erweisen konnte. Wieso also George mit in die Sache hineinziehen?

„Mir geht’s gut“, beantwortete sie schließlich Sams erste Frage.

„Gib’s zu, du bist kaum einen Tag auf dem College und verzehrst dich schon nach mir“, entgegnete Sam frech, um seine eigene Verlegenheit zu kaschieren. „Keine heißen Jungs da drüben?“

Ever rollte mit den Augen. „Mein 'heißer Junge' wartet in Torch Creek auf mich“, antwortete sie spontan.

Sam schnalzte mit der Zunge. Sein Humor hatte seine trüben Gedanken inzwischen zurückgedrängt. „Kann’s kaum erwarten, dass du vorfährst, meine Süße.“

Ever schnaubte. Typisch Sam. Das war ja klar gewesen – und sie selbst hatte ihm diese perfekte Vorlage geliefert.

„Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen, Engelchen“, sagte sie schlagfertig mit honigsüßer Stimme, „aber der heiße Kerl, den ich meine, ist düster und gefährlich und … ein unheimlich gut aussehender Vampir.“

„Autsch.“ Sam zog scharf die Luft ein. „Baby, du weißt ja gar nicht, was du verpasst.“

„Nicht allzu viel, da bin ich sicher.“ Langsam begann Sam, Ever in gewohnter Manier auf die Nerven zu gehen. Das tat er ständig. Genau dann, wenn sie sich ihm näher fühlte und ihn für einen wirklich guten Kerl zu halten begann, arbeitete er mit präzisem Hochdruck daran, dieses Bild zu zerstören. Wäre er tatsächlich verliebt in sie, so wie Issy es immer behauptete, dann würde er es mit seinen Bemerkungen nicht immer so auf die Spitze treiben. Ever seufzte und setzte seinem platten Flirten ein Ende.

„Hör zu, Sam … Es gibt einen Grund für meinen Anruf.“

„Das dachte ich mir schon.“ Sams Stimme wurde wieder ernst. Es gab immer einen Grund, wenn Ever ihn kontaktierte. Und dieser Grund betraf nie ihre mystische Verbindung zueinander. Nach der Erlösung der Seele hatten sie nie wieder über das Kribbeln zwischen ihnen gesprochen. Den einen Augenblick, in welchem sie beide die übersinnliche Kraft und die Wärme gespürt hatten, würde Sam nie mehr vergessen. An ihren Reaktionen hatte der Engel gemerkt, dass Ever es genauso stark spürte wie er selbst. Trotzdem wollte Sam keinesfalls über seine Gefühle mit Ever sprechen. Was sollte er schon sagen? Und was würde sie antworten? Weshalb sollte er Fragen stellen, deren Antworten er sowieso nicht hören wollte?

„Schieß los“, sagte er knapp.

„Issy ist völlig durch den Wind. Sie hat neuerdings immer so komische Vorahnungen und ist deshalb nie ganz bei der Sache. Ihr geht es immer schlechter damit. Ich habe die Sache ja die ganze Zeit heruntergespielt, aber inzwischen habe ich wirklich Angst um sie. Ich meine, diese Visionen sind doch nicht normal!“

„Hm, also wenn sie die Ergebnisse vom Lakers Spiel vorhersagen kann, sollte sie Wetten abschließen – wenn du mich fragst“, kommentierte Sam schnippisch.

„Im Ernst, das ist wirklich seltsam. Issy weiß genau, wer hinter einer verschlossenen Tür steht oder ob es plötzlich gleich regnet – das ist gruselig!“

„Tja, ich kann dir leider nicht sagen, woher das so plötzlich kommt und ob sich so etwas mit Engelskräften heilen lässt, Ever. Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?“

„Nichts, ich weiß nicht, wie man Issy helfen könnte – außer vielleicht wenigstens im Hinblick auf Peter“, stammelte sie. „Ich habe heute Mittag mit Issy gesprochen, und sie macht sich schreckliche Sorgen um ihn.“

„Hatten wir das Thema Peter nicht schon mal?“, warf Sam genervt ein. „Der Junge wird sich wieder fangen. Issy soll sich da nicht so reinsteigern und sich um sich selbst kümmern. Er rebelliert eben ein bisschen. Das gehört in dem Alter einfach dazu.“

„Das ist nicht bloß eine kleine Rebellion“, meinte Ever bestimmt. „Er hat sich da ein paar üble Freunde angelacht und Issy ist sich sicher, dass sie ihn in irgendwas hineinziehen könnten.“

„Meinst du die Typen, die deine Fete gesprengt haben?“ Er lachte kurz und süffisant. „Außer mir, meine ich.“

Ever zog die Stirn kraus. Sie erinnerte sich nur zu gut an den Abend ihrer Geburtstagsparty. Zuerst war Peter mit einer Gruppe rüpelhafter Teenager aufgetaucht und hatte einige ihrer Freundinnen beleidigt. Und als sie diese endlich verscheucht hatte, tauchte Sam nach seinem längeren Verschwinden plötzlich wieder auf – mit zwei betrunkenen, leicht bekleideten Mädchen in den Armen und jeder Menge anzüglicher Sprüche auf den Lippen.

„Ja“, bestätigte sie knapp. „Genau die meine ich.“

„Was soll so schlimm an denen sein? Die haben bestimmt nur ein loses Mundwerk, das ist alles.“

„Das ist nicht alles, Sam“, widersprach Ever. „Sie waren bei Issys Bruder zu Besuch. Und sie haben sich echt übel aufgeführt.“

„Was meinst du mit 'übel aufgeführt'?“

„Sie haben am laufenden Band blöde Sprüche gerissen, Issy und ihre Mom beleidigt und sogar was zu Bruch gehen lassen.“

Sams Aufmerksamkeit war geweckt. „Wie das?“

„Sie haben angefangen, mitten im Wohnzimmer Baseball zu spielen und dann haben sie sich auch noch gerauft. Issys Mom wurde stinksauer, aber die Typen meinten nur, sie solle mal locker bleiben. Issy hat dann gedroht, die Polizei zu rufen – da sind sie abgerauscht. Und Peter mit ihnen.“

„Und was sagt er denn dazu?“

„Dass die ganze Sache doch gar nicht so schlimm gewesen wäre, und dass die Vase, die bei der Aktion vom Tisch geflogen ist, sowieso hässlich war. Issys Eltern haben ihm Hausarrest erteilt, aber er verschwindet trotzdem, wenn er will.“

Sam schwieg einen Moment. Ihm schwante, warum Ever ausgerechnet ihn angerufen hatte. Dennoch fragte er: „Und was hat das Ganze mit mir zu tun?“

„Peter mag dich“, erklärte Ever. „Er hält große Stücke auf dich. Du könntest mit ihm reden.“

Sam schnaubte. „Und was soll das bringen? Wieso sollte er ausgerechnet auf mich hören?“

„Weil er zu dir aufschaut.“

Es folgte eine lange Pause, ehe Sam fortfuhr. „Verdammt, Ever, ich habe echt keine Lust, den Babysitter zu spielen.“

„Ach komm schon, Sam, das ist doch wirklich keine große Sache, oder? Du fährst hin, quatschst ein bisschen mit ihm, und dann redest du ihm ins Gewissen. Ist das so schlimm für dich?“

„Ich bin wirklich nicht gerade das beste Vorbild, meinst du nicht auch?“ Sam knirschte hörbar mit den Zähnen.

Ever presste die Lippen aufeinander. „Ach verdammt, Sam, du willst dich doch bloß irgendwie rausreden! Dir wird schon kein Zacken aus der Krone brechen, wenn du Peter einen kleinen Besuch abstattest.“ Sie bremste ab, als sie das Ortsschild von Torch Creek passierte. „Bist du eigentlich zuhause?“

„Nein. Wieso?“

„Weil ich gleich bei Georges Haus ankomme.“ Sie bog nach rechts ab und folgte der Straße. „Ich hätte dir dann persönlich in den Hintern treten können.“

„Gott bewahre“, brummte Sam und Ever konnte am Tonfall seiner Stimme hören, dass er kurz davor war, nachzugeben.

„Komm schon, gib dir einen Ruck“, bat sie ihn mit sanfter Stimme.

Als Sam wider Erwarten nicht reagierte, setzte sie nach: „Du hättest auch was gut bei mir.“

„Oho.“ Sam lachte. „Tatsächlich? Hm ... Lass mich kurz darüber nachdenken.“

Ever rollte mit den Augen. „Sam …“

„Schon gut, schon gut“, raunte der Engel gönnerhaft. „Ich werde mit ihm reden. Ich glaube zwar nicht, dass es was bringen wird, aber … Von mir aus. Ich mache mich gleich auf den Weg.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Aber nicht vergessen: Ich tue das hier nicht für Peter und auch nicht für Issy. Ich tue das ganz allein für dich.“

Ever schluckte. „Ja, ich weiß“, sagte sie schließlich mit dem unguten Gefühl, dass sie gerade einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte.

Kapitel 3

21. September. Georges Haus. Kurz nach Sonnenuntergang.

Ein paar Minuten später erreichte Ever ihr Ziel. Die Sonne war eben hinter dem Horizont verschwunden – mit ein bisschen Glück war George schon auf. Das war einer der anstrengenden Gesichtspunkte ihrer ungewöhnlichen Verbindung: George war ein Vampir. Solange die Sonne am Himmel stand, konnte er das Haus nicht verlassen; daher nutzte er die Tage, um zu schlafen. Es war nicht leicht, auf diese Weise eine einigermaßen normale Beziehung zu führen, doch die beiden arrangierten sich gut. Schließlich war auch Ever ein übernatürliches Wesen – sie war eine Gestaltwandlerin. Sie konnte nahezu jede denkbare äußerliche Form annehmen und ihre Fähigkeiten hatten noch lange nicht das maximal Mögliche erreicht. Je mehr sie trainierte, je mehr Herausforderungen sie sich stellte, desto besser wurde sie. Nicht viele Menschen in Evers Umfeld wussten davon und Ever achtete darauf, dass es auch dabei blieb. Dies war eine Sache, welche George und sie innig verband: Sie beide hatten ein Geheimnis, von dem andere Menschen nichts wissen durften. Sie beide waren anders, sie waren seltsame Launen der Natur.

Ever parkte ihren Wagen in der Auffahrt, ging zur Haustür und drehte den Türknauf – die Tür war meistens unverschlossen, so auch heute. Ever trat ein und blieb einen Moment lang im Türrahmen stehen. Sie lächelte. Noch bis vor Kurzem waren sie und George hier nie ganz allein gewesen, denn sie hatten einen Geist als unfreiwilligen Mitbewohner gehabt: Leonard. Anfangs hatten weder Ever noch George von seiner Existenz gewusst – bis Sam aufgetaucht war. Als Engel hatte er ihn als einziger sehen können und schließlich – mit Evers Hilfe – hatte er seine Seele befreit und erlöst.

Auch wenn Ever Leonard niemals zu Gesicht bekommen hatte, so war er dennoch da gewesen. Sie wusste freilich, er war keine böse Seele und es drohte keinerlei Gefahr von ihm, dennoch war sie froh, dass er mittlerweile verschwunden war. George und sie konnten nun wirklich unter sich sein – ganz unter sich. Ever schloss die Augen und atmete tief durch. Es war ein befreiendes Gefühl.

„Warum kommst du nicht herein?“, erklang Georges tiefe Stimme von oben. Ever öffnete die Augen. Er stand auf dem oberen Ende des Treppenabsatzes und blickte fragend auf sie herunter. Allein bei seinem Anblick wurde Ever heiß und kalt zugleich – wie schon am ersten Tag ihrer Begegnung. George hatte eine dunkle Aura, grundsätzlich verschieden zu Sams. Seine nachtschwarzen Augen ließen einem schier das Blut in den Adern gefrieren und dennoch war es unmöglich, den Blick von seinem schönen Gesicht abzuwenden. Überhaupt war George der Inbegriff männlicher Schönheit. Er war groß, muskulös und seine Gesichtszüge beinahe aristokratisch. Aber das war nicht alles, weshalb Ever ihn so liebte. Sie liebte ihn auch wegen seiner Kraft, die er aufbrachte, um gegen das Böse in ihm und für seine Liebe zu ihr zu kämpfen. Sie war sich seiner so sicher, dass sie ihm ihr Leben anvertrauen würde.

„Träumst du etwa?“, fragte er ungeduldig und kam langsam und elegant wie eine Raubkatze die Stufen hinunter.

Ever lächelte und trat endlich über die Schwelle, um ihm entgegenzukommen. „So ähnlich. Mir ist gerade bewusst geworden, dass wir dein Haus endlich mal ganz für uns allein haben.“

„Ich habe dich vermisst“, flüsterte er verführerisch, als er ihren Nacken mit beiden Händen umschloss, um sie nahe an sich heranzuziehen.

„Tatsächlich?“ Ever freute sich. „Ich war doch nur ein paar Stunden fort.“

„Das war schon viel zu lange.“ George beugte sich zu ihr hinab und verschloss ihre zarten Lippen mit einem leidenschaftlichen, alles versprechenden Kuss. Eine Weile verloren sie sich ganz in der Nähe des anderen. Schließlich löste sich George und sah Ever in die Augen.

„Hast du Hunger?“, fragte er und Ever wirkte überrascht.

„Und wie“, gab sie zu. „Das College-Essen ist nicht so toll.“