Codename Viper - Patrick Robinson - E-Book

Codename Viper E-Book

Patrick Robinson

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Beschreibung

Der weltweite Kampf um die letzten Energiereserven ist entbrannt ...

Das Jahr 2010: Um dringend benötigte Erdölressourcen für sich zu gewinnen, schmiedet Russland finstere Pläne. Es überzeugt Argentinien davon, einen weiteren Krieg gegen England zu führen, um die Förderung der neu entdeckten Ölquellen auf den Falklandinseln gemeinsam zu betreiben. Die USA können dabei natürlich nicht nur zuschauen, Admiral Morgan sieht seine Stunde gekommen. Der Wettlauf der Großmächte um Erdöl beginnt.

Ein packender, realistischer und extrem spannender Technothriller von präzisem militärtechnischem Sachverstand.

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Inhaltsverzeichnis

PERSONEN DER HANDLUNGPROLOGKAPITEL EINS KAPITEL ZWEI KAPITEL DREI KAPITEL VIER KAPITEL FÜNF KAPITEL SECHS KAPITEL SIEBEN KAPITEL ACHT KAPITEL NEUN KAPITEL ZEHN KAPITEL ELF KAPITEL ZWÖLF KAPITEL DREIZEHN EPILOG ANMERKUNG DES AUTORSCopyright

PERSONEN DER HANDLUNG

Oberste Führung, USA

PAUL BEDFORD | Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika

ADMIRAL ARNOLD MORGAN | Persönlicher Berater des Präsidenten

ADMIRAL GEORGE MORRIS | Direktor der National Security Agency – NSA

LT. COMMANDER JAMES (»JIMMY«) RAMSHAWE | Persönlicher Assistent des NSA-Direktors

ADMIRAL JOHN BERGSTROM | Oberbefehlshaber des Special War

Command (SPECWARCOM)

Central Intelligence Agency CIA

AGENT LEONID SUCHOV | Stellvertretender Leiter, Abteilung Russland

US Navy SEALs

COMMANDER RICK HUNTER | Befehlshaber Einsatzgruppe

LT. COMMANDER DALLAS MACPHERSON | Stellvertretender Befehlshaber, Sprengstoffe

CHIEF PETTY OFFICER MIKE HOOK | Sprengstoffe

PETTY OFFICER FIRST CLASS DON SMITH

PETTY OFFICER FIRST CLASS BRIAN HARRISON

SEAMAN ED SEGAL | Bootsführer

SEAMAN RON WALLACE | Bootsführer

CHIEF PETTY OFFICER BOB BLAND | Spezialgebiet: Einbruch

US Navy

CAPTAIN HUGH FRASER | Kommandant USS Toledo, Absetzung des SEAL-Teams

LT. COMMANDER ALAN ROSS | Kampfpilot der Vigilantes

Vereinigtes Königreich, politische Führung

Premierminister von Großbritannien

PETER CAULFIELD | Verteidigungsminister

ROGER ELTRINGHAM | Außenminister

COMMANDER ALAN KNELL | Unterhausmitglied der Tories, Portsmouth

ROBERT MACMILLAN | Unterhausmitglied der Tories

DEREK BLENKINSOP | Unterhausmitglied der Labour Party,

East Lancashire

RICHARD CAWLEY | Unterhausmitglied der Tories, Barrow-in-Furness

SIR PATRICK JARDINE | Botschafter in den Vereinigten Staaten

Vereinigtes Königreich, Streitkräfte

GENERAL SIR ROBIN BRENCHLEY | Generalstabschef

ADMIRAL SIR RODNEY JEFFRIES | Erster Seelord

ADMIRAL MARK PALMER | Oberbefehlshaber der Flotte

ADMIRAL ALAN HOLBROOK | Kommandeur der Task Force

CAPTAIN DAVID READER | Kommandant HMSArk Royal

MAJOR BOBBY COURT | Kompanieführer, Mount Pleasant

CAPTAIN PETER MERRILL | Führer des Bereitschaftszugs, Falklandinseln

SGT. BIFF WAKEFIELD | RAF, Rapier-Raketen, Mount Pleasant

BRIGADIER VIV BROGDEN | Oberbefehlshaber der Landungstruppen, Falklandinseln

LT. COMMANDER MALCOLM FARLEY | Kommandant der Royal-Navy-Garnison, Mare Harbour

CAPTAIN MIKE FAWKES | Kommandant HMS Kent

CAPTAIN COLIN ASHBY | Kommandant HMS St. Albans

COMMANDER KEITH KEMSLEY | Kommandant HMS Iron Duke

CAPTAIN ROWDY YATES | Kommandant HMS Daring

COMMANDER NORMAN HALL | Kommandant HMS Dauntless

CAPTAIN COLIN DAY | Kommandant HMS Gloucester

CAPTAIN SIMON COMPTON | Kommandant des U-Boots Astute

Vereinigtes Königreich, 22. SAS-Regiment

LT. COLONEL MIKE WESTON | Oberbefehlshaber, Hauptquartier Hereford

CAPTAIN DOUGLAS JARVIS | Gruppenführer, Erkundungstrupp

Mitglieder: SYD FERRY | Kommunikation, PETER WIGGINS | Scharfschütze, JOE PEARSON, BOB GODDARD, TREVOR FERMER, JAKE POSGATE, DAI LLEWELYN

LT. JIM PERRY | Gruppenführer SBS, Lafonia

Oberste Führung, Russland

Präsident der Russischen Föderation

VALERY KRAWTSCHENKO | Premierminister

OLEG NALJOTOW | Außenminister

GREGOR KOMOJEDOW | Außenhandelsminister

BORIS PATRUSCHOW | Leiter der Geheimpolizei – FSB

OLEG KUTS | Energieminister

ADMIRAL VITALY RANKOW | Oberbefehlshaber der Marine, stellvertretender Verteidigungsminister

Russische Marine

KAPITÄN GREGOR WANISLAW | Kommandant Viper 157

Politische und wirtschaftliche Führung Sibiriens

MICHAIL MASORIN(verstorben) | Präsidialer Verwalter, Föderationskreis Ural

ROMAN REKUTS | Nachfolger Masorins, Föderationskreis Ural

JAAN WALUEW | Vorstandsvorsitzender des Ölkonzerns Surgutneftegas

SERGEJ POBOTSCHIJ | Aufsichtsratsvorsitzender des Ölkonzerns Sibneft

BORIS NURIJEW | Finanzdirektor, Lukoil

ANTON KATSUBA | leitender Geschäftsführer Westsibirien, Sibneft

Oberste Führung, Argentinien

Präsident der Republik

ADMIRAL HORACIO AGUARDO | Verteidigungsminister

DR. CARLOS MONTERO | Minister für Industrie und Bergbau

Argentinische Streitkräfte

ADMIRAL OSCAR MORENO | Oberbefehlshaber der Marine

GENERAL EDUARDO KAMPF | Kommandeur, 5. Korps

MAJOR PABLO BARRY | Befehlshaber des Marineangriffs, Falklandinseln

MAJOR RICARDO TESTA | Sicherheitschef, Luftwaffenstützpunkt Rio Grande

Ehefrauen

DIANA JARVIS (MRS. RICK HUNTER)

MRS. KATHY MORGAN

Gäste des britischen Premierministers

HONEYFORD JONES | Popsänger

FREDDIE LEESON | Fußballspieler, MADELLE LEESON | ehemalige Nachtklubangestellte

DARIEN FARR | Filmstar, dessen Ehefrau LORETTA (ehemalige TV-Wetteransagerin)

FREDDY IVANOV WINDSOR | Gastronom

PROLOG

Admiral Arnold Morgan nahm schon aus Prinzip nicht an Staatsbanketten teil, fielen sie für ihn doch unter die gleiche Kategorie wie Mittagessen mit Diplomaten, Abendgesellschaften mit Kongressabgeordneten, Staatsausstellungen und Hinterhof-Ramschaktionen – bei allem wurde von ihm verlangt, dass er sich mit weiß Gott welchen Leuten unterhalten musste, mit denen er absolut nichts am Hut hatte.

Vor die Wahl gestellt, hätte er sich sogar eher für eine Unterredung mit dem Politikredakteur des Fernsehsenders CBS oder der Washington Post entschieden, zwei Personen, denen er mehrmals im Jahr nur allzu gern an die Gurgel gegangen wäre.

Daher erregte es doch einiges Aufsehen, als man ihn an diesem Abend gleich hinter dem Präsidenten und dessen Ehrengast die große Treppe des Weißen Hauses herabkommen sah. Begleitet wurde der Admiral dabei von der ausnehmend hübschen Mrs. Kathy Morgan, deren perfekt geschnittene dunkelgrüne Abendrobe aus Seide die Gattin des russischen Präsidenten wie eine kleine Verwaltungssekretärin im KGB aussehen ließ. (Was gar nicht so weit hergeholt war, denn eben dort hatte sie als Rechercheurin gearbeitet.)

Arnold Morgan selbst trug die dunkelblaue Paradeuniform eines Konteradmirals der US Navy, versehen mit dem aus zwei Delfinen bestehenden Abzeichen der US-U-Bootflotte. Wie immer – Rücken gerade, Kinn gereckt, das stahlgraue Haar kurz geschoren – sah er aus wie ein Kommandant auf dem Weg zur Operationszentrale.

Was gar nicht so weit hergeholt war, denn aufgrund seiner langen Dienstzeit als Nationaler Sicherheitsberater hielt er in der Tat das Weiße Haus für seine Operationszentrale und nannte es »die Fabrik«; von hier hatte er mit noch nie da gewesener Machtfülle weltweit umspannende Operationen gegen die Feinde der USA geleitet. Natürlich war der Präsident über die Aktivitäten stets informiert gewesen. Nun ja, meistens jedenfalls.

Und jetzt, nachdem der kleine, exklusive Empfang in den oberen Privatgemächern beendet war, standen Arnold und Kathy am Fuß der Treppe neben dem russischen Botschafter und einem Dutzend anderer Würdenträger, während sich die beiden Präsidenten und ihre Ehefrauen zu einer kurzen Empfangslinie aufgereiht hatten.

Das war bewusst so festgelegt worden, da die Russen stets eine weitläufige Entourage mitbrachten, bestehend aus Staatssekretären, Diplomaten, Politikern, hochrangigen Militärs und, wie immer, Undercover-Agenten – Spionen, die sich notdürftig als Kulturattachés verkleideten. Es war, als würde man den angeheuerten Schlägern und Bodyguards eines Preisboxers bei der Vorführung eines Menuetts zusehen.

Hier waren sie nun also alle versammelt. Die Männer, die die Geschicke Russlands bestimmten, offiziell empfangen von Präsident Bedford und der First Lady, der ehemaligen Maggie Lomax, einer grazilen blonden Dame aus Virginia, die wie der Teufel reiten konnte und sich mit Lust in Parforcejagden stürzte, bei diesem formellen Treffen zugunsten der amerikanisch-russischen Beziehungen allerdings eher Kopfschmerzen bekam.

Arnold Morgans Anwesenheit war dabei mehr oder minder Resultat einer präsidialen Zwangsmaßnahme – auch wenn das Telefongespräch zwischen dem Präsidenten und ihm eher einem verbalen Pistolenduell geglichen hatte.

»Arnie, ich habe soeben Ihre Nachricht bekommen: Sie wollen die Einladung zum Russen-Bankett ablehnen – mein Gott, das können Sie mir nicht antun!«

»Ich dachte, genau das hätte ich gerade getan.«

»Arnie, Sie haben hier keine Wahl. Betrachten Sie es als einen Befehl des Präsidenten.«

»Quatsch. Ich bin in Rente. Ich gehe nicht auf Staatsbankette. Ich bin Marineoffizier, kein Diplomat.«

»Ich weiß, was Sie sind. Aber die Sache ist wichtig. Die Russen bringen alle wichtigen Köpfe aus Moskau mit, zivile wie militärische. Von der Ölindustrie ganz zu schweigen.«

»Und was zum Teufel hat das mit mir zu tun?«

»Nichts. Außer dass ich Sie dabeihaben will. An meiner Seite, und Sie halten mich auf dem Laufenden. Niemand in Washington kennt die Russen besser als Sie. Sie werden kommen. Mit Frack und Fliege.«

»Ich trage nie Frack und Fliege.«

»Okay, okay. Sie dürfen sich auch in einen Smoking werfen.«

»Da ich keinen Wert darauf lege, wie ein Oberkellner oder ein fiedelnder Orchestermusiker auszusehen, trage ich auch keinen Smoking.«

»Okay, okay«, kam es erneut vom Präsidenten, der spürte, wie nah er dem Sieg war. »Sie können in der Paradeuniform der Navy auftauchen. Vor mir aus kommen Sie mit Sporen und Suspensorium, solange Sie überhaupt auftauchen.«

Arnold Morgan lachte in sich hinein. Plötzlich aber klang er wieder ernst. »Welche Themen liegen Ihnen am meisten am Herzen?«

»Der Ausbau der russischen Marine, vor allem der ihrer U-BootFlotte, sowie ihr weltweiter U-Boot-Export.«

»Wie steht’s mit der Ölindustrie?«

»Nun, das neue tiefseegängige Tanker-Terminal in Murmansk wird sicherlich ein Thema sein«, erwiderte der Präsident. »Schließlich hoffen wir, dass im Lauf der nächsten Jahre von dort zwei Millionen Barrel pro Tag direkt in die USA verschifft werden.«

»Sie wissen wahrscheinlich auch, dass der russische Präsident bereits jetzt verdammt große Probleme hat, Rohöl aus dem Westsibirischen Becken nach Murmansk zu schaffen ...« Nachdenklich fügte Morgan an: »... Sie wissen, wie wichtig diese Exporte für die Russen sind.«

»Und für uns«, erwiderte Präsident Bedford.

»Verschafft uns ein wenig Spielraum gegenüber den Kopftuchträgern, was?«

»Deshalb müssen Sie beim Bankett auch anwesend sein, Arnie. Inklusive des Privatempfangs. Kommen Sie nicht zu spät.«

»Sie süßholzraspelnder Dreckskerl«, grummelte Admiral Morgan. »Schon gut, schon gut, wir werden da sein. Noch einen guten Morgen, Mr. President.«

Paul Bedford, sehr wohl mit der untragbaren Angewohnheit des Admirals vertraut, ohne ein Wort des Abschieds einfach den Telefonhörer hinzuknallen, empfand es als einen Sieg auf ganzer Linie.

Heiter gluckste er im verlassenen Oval Office vor sich hin. »Ein paar Machenschaften auf globaler Ebene, damit kriegt man den alten Falken jedes Mal rum. Trotzdem ... ich bin froh, dass er kommt.«

So geschah es also, dass Arnold und Kathy Morgan beim Staatsbankett für die Russen freundlich die lange Reihe der Gäste im Weißen Haus begrüßten.

Viele alte Freunde und Kollegen waren erschienen – es war fast wie bei einem Klassentreffen. Es kamen der Oberbefehlshaber der US Navy SEALs, Admiral John Bergstrom, und dessen neue, sehr distinguierte Gattin Louisa-May aus Oxford, Mississippi; daneben Harcourt Travis, der frühere republikanische Außenminister, samt Gattin Sue; Admiral Scott Dunsmore, der ehemalige Marinechef, mit seiner eleganten Frau Grace und der amtierende Generalstabschef, General Tim Scannell, mit seiner Frau Beth.

Morgan schüttelte dem NSA-Direktor Admiral George Morris die Hand, und er begrüßte den neuen Vizepräsidenten der USA, den ehemaligen demokratischen Senator aus Georgia, Bradford Harding, samt Gattin Paige.

Der israelische Botschafter, General David Gavron, war mit seiner Frau Becky anwesend, ebenfalls natürlich der silberhaarige russische Botschafter in Washington, Tomas Yezhel, sowie die Botschafter von Großbritannien, Kanada und Australien.

Morgan erkannte nicht sofort alle hochrangigen Armeeangehörigen der russischen Delegation. Aber er sah den früheren Generalstabschef, General Josh Paul, im Gespräch mit dem russischen Außenminister Oleg Naljotow. Von Ferne erkannte er den Marinestabschef, Admiral Victor Kouts, einen grimmig dreinblickenden Ex-Kommandanten eines U-Boots der Typhoon-Klasse.

Das mürrische Gesicht Admiral Morgans aber erhellte sich, als er die alles überragende Gestalt seines alten Sparringpartners entdeckte, des russischen Admirals Vitaly Rankow, der mittlerweile Oberbefehlshaber der Marine und stellvertretender Verteidigungsminister war.

»Arnold!«, dröhnte der riesige Ex-Sowjet-Militär. »Ich hatte keine Ahnung, dass Sie da sein würden. Man sagte mir, Sie seien im Ruhestand.«

Admiral Morgan grinste und streckte ihm die Hand entgegen. »Hallo, Vitaly – ich hab gehört, man hat Ihnen den Oberbefehl über diesen Schrotthaufen von Marine gegeben?«

»In der Tat. Und im Moment, Admiral, sprechen Sie mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister von Russland.«

»Na, der Posten sollte Ihnen liegen«, erwiderte der Amerikaner. »Da haben Sie jetzt ein weites Betätigungsfeld für Ihre angeborene Veranlagung für Lügen, Ausflüchte und Halbwahrheiten.«

Der Russe warf den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. »Na, reizend wie immer, Arnold«, sagte er in seinem tiefen Bariton. »Sonst könnte ich Sie auch gar nicht dieser wunderschönen Dame an meiner Seite vorstellen.«

Eine große, attraktive, dunkelhaarige junge Frau, etwa halb so alt wie der Russe, lächelte schüchtern und hielt ihm freundlich die Hand hin.

»Das ist Olga«, sagte Admiral Rankow. »Wir haben letztes Frühjahr geheiratet.«

Admiral Morgan reichte ihr die Hand und fragte, ob sie Englisch spreche, sein Russisch sei ein wenig eingerostet. Sie schüttelte den Kopf, lächelte, und Morgan wandte sich wieder an Vitaly, während er traurig den Kopf schüttelte. »Sie ist viel zu gut für Sie, alter Kumpel. Viel zu gut.«

Erneut ertönte das dröhnende Lachen des Russen, und er wiederholte die Worte, die er so häufig im Zusammenhang mit dem alten Löwen des Westflügels gebraucht hatte:

»Sie sind ein fürchterlicher Mensch, Arnold Morgan. Ein durch und durch fürchterlicher Mensch.« Dann sprach er einige schnelle russische Sätze zu Mrs. Olga Rankow, worauf diese ebenfalls schallend loslachte.

»Soweit ich weiß, sitzen wir bei Tisch nebeneinander«, sagte Morgan. »Ich glaube nicht, dass Sie schon meine Frau Kathy kennengelernt haben.«

Der russische Admiral lächelte und ergriff Kathys Hand. »Wir haben uns ja schon oft am Telefon gesprochen«, sagte er. »Aber glauben Sie mir, ich habe nie gedacht, dass er Sie zur Ehe überreden könnte.« Und mit einer anmutigen Geste, die man eher in einen Petersburger Palast erwartet hätte als auf einem Marinestützpunkt, fügte Rankow mit einer leichten Verbeugung hinzu: »Der Ruf Ihrer Schönheit eilt Ihnen voraus, Mrs. Morgan. Ich habe also gewusst, was mich erwartet.«

»Großer Gott, man hat ihm sogar ein paar Manieren beigebracht«, gluckste Morgan und ignorierte großzügig die Tatsache, dass es auch bei ihm auf diesem Gebiet nicht besonders gut bestellt war. »Vitaly, alter Haudegen, wir scheinen beide im vergangenen Jahr vom Glück gesegnet worden zu sein. Gar nicht so schlecht für uns alte Kalte Krieger.«

Die Gäste hatten mittlerweile die Empfangslinie abgeschritten und sich zu beiden Seiten aufgestellt, sodass ein breiter Korridor zum Speisesaal offen gehalten wurde. Der Präsident und seine Frau führten kurz darauf den russischen Präsidenten und dessen Gattin an ihre Plätze, die übrigen Anwesenden schlossen sich ihnen an – in Kiellinie, wie Morgan Rankow vergnügt mitteilte.

Der Präsident ließ sich direkt unter dem Lincoln-Porträt neben der ehemaligen KGB-Mitarbeiterin nieder. Maggie Bedford führte den Boss aller Russen zu seinem Platz neben ihr, während alle anderen noch stehen blieben, bis die Gastgeber Platz genommen hatten.

Beim Bankett wurden auf Anweisung Paul Bedfords ausschließlich amerikanische Speisen serviert. »Keinen Kaviar oder anderen Restaurant-Blödsinn«, hatte er gefordert. »Wir fangen mit Chesapeake-Austern an, als Hauptgang New Yorker Sirloin-Steak mit Idaho-Kartoffeln, und das Ganze beschließen wir mit Apfelkuchen und amerikanischer Eiscreme. Zwei oder drei Käsesorten aus Wisconsin, wenn das jemand unbedingt braucht. Kalifornische Weine aus dem Napa Valley.«

»Sir«, wagte der Küchenchef einzuwenden, »es mag nicht jeder Austern ...«

»Dann hat er Pech gehabt«, erwiderte der Präsident. »Die Russen lieben sie. Ich hatte sie in Moskau und St. Petersburg. Wer sie nicht essen will, kann eine Extraportion Apfelkuchen haben, wenn es denn sein muss.«

»Sehr wohl, Sir«, beschied der Küchenchef und vermutete aus langjähriger Erfahrung, dass in dieser Sache Arnold Morgan persönlich Paul Bedford beraten hatte. Der Ton, die Knappheit und Bestimmtheit der Anweisungen ließen darauf schließen.

Tatsächlich hatte es ein kurzes Gespräch zwischen dem Oval Office und Chevy Chase gegeben, bei dem es um die Menüfolge gegangen war. »Servieren Sie ihnen amerikanisches Essen«, hatte Morgan geraten. »Nur amerikanische Sachen. Nichts anderes. Das, was die Nation isst. Wir haben es nicht nötig, anderen unsere Kultiviertheit vorzuführen, richtig?«

»Richtig!«

Und jetzt, als der Apfelkuchen aufgetragen wurde, begannen die Strolling Strings, ein bekanntes Violinensemble der US Army, im Hintergrund mit ihrem kurzen Konzert. Die Titelauswahl folgte einer ähnlich gearteten Anweisung und bestand aus uramerikanischen Stücken wie »Over there!«, »True Love« (aus High Society), einem Potpourri aus Oklahoma, »Take me out to the Ball Game« und schloss mit »God Bless America«.

An diesem Punkt erhob sich die gesamte Gesellschaft und begab sich zum Blauen Zimmer, wo Kaffee serviert wurde, dem sollte ein Unterhaltungsprogramm im Ostzimmer folgen sowie Tanz im Foyer des Weißen Hauses, zu dem die Kapelle der United States Marines aufspielte.

Die Menge schritt gerade zu den Türen, als ein Gast abrupt innehielt. Michail Masorin, der präsidiale Verwalter aus den Weiten Sibiriens, das ein Zwölftel der gesamten Landmasse der Erde ausmacht, war unversehens nach vorn gekippt und mit dem Gesicht voran zu Boden gestürzt. Er brach direkt vor Arnold, Vitaly, Olga und Kathy zusammen; der mächtige russische Admiral hatte noch versucht, den Sturz aufzuhalten, war aber den Bruchteil einer Sekunde zu spät gekommen. Masorin lag, mittlerweile auf den Rücken gedreht, auf dem Boden, sein Gesicht war dunkelrot angelaufen, und mit beiden Händen fasste er sich an den Hals und rang verzweifelt nach Luft, während ihm die Todesangst im Gesicht stand.

»Einen Arzt! Schnell!«, rief jemand.

Frauen stockte der Atem, Männer schoben sich durch die Menge, um zu helfen – wobei es sich meistens um Amerikaner handelte, wie Arnold Morgan nicht umhinkonnte zu bemerken. Und während sich Morgan noch nach Hilfe umsah, wurde ihm schnell bewusst, dass für Masorin jede Hilfe zu spät kommen würde. Angestrengt schnappte dieser nach Luft, sein Gesicht begann sich bereits bläulich zu verfärben.

Zwei oder drei aus der Menge riefen: »Herzinfarkt! Los, Leute, lasst den Arzt durch ...«

Innerhalb weniger Minuten machten sich zwei Ärzte an Masorin zu schaffen. Einer von ihnen zog eine Nadel auf und spritzte ihm eine kräftige Medikamentendosis in den Oberarm, doch konnten sie nur noch die Todeszuckungen des Oberhaupts Sibiriens miterleben.

Sekunden später war er tot, verschieden, noch bevor die Marineangehörigen mit ihrer Tragbahre bei ihm waren. Verschieden, hier auf dem Boden des Speisesaals, direkt vor dem russischen Präsidenten und dem politischen Oberhaupt der Vereinigten Staaten.

Präsident Bedford zwang sich, Ruhe zu bewahren, und erteilte der kleinen Menschenmenge um Masorin eine Reihe von nüchternen Befehlen. Glücklicherweise bekamen nur jene in unmittelbarer Umgebung mit, dass einer der russischen Gäste wirklich verstorben war. Der Tote wurde weggeschafft, bevor weitere Würdenträger von dem Vorfall erfuhren.

Arnold Morgan und Paul Bedford ließen nervös den Blick über die Menge schweifen, der Rest des Abends allerdings verlief ohne jegliche Zwischenfälle. Kurz vor 23 Uhr fühlte sich das Pressebüro des Weißen Hauses zu einer kurzen Erklärung verpflichtet, wonach der präsidiale Verwalter des Föderationskreises Ural, Mr. Michail Masorin, im Anschluss an das Staatsbankett einen Herzinfarkt erlitten habe und bei der sofortigen Einlieferung in das Marine-Krankenhaus in Bethesda, Maryland, nur noch sein Tod festgestellt werden konnte.

Kurz nach Mitternacht verabschiedeten sich Admiral Morgan und Kathy.

»Schrecklich, das mit dem Russen, was?«, sagte Kathy auf dem Weg nach Chevy Chase. »Er hat am Tisch neben uns gesessen; recht viel älter als fünfzig kann er doch kaum gewesen sein. Er muss einen ziemlich üblen Herzinfarkt erlitten haben ...«

Ihr Gatte, der im weiteren Verlauf des Abends nicht mehr viel gesagt hatte, drehte sich von der Scheibe weg, durch die er die ganze Zeit gestarrt hatte. »Blödsinn«, erwiderte er lakonisch.

»Wie bitte?«, fragte Kathy leicht perplex.

»Blödsinn«, wiederholte der Admiral. »Das war kein Herzinfarkt. Er hat sich auf dem Boden gewälzt und wie ein Goldfisch nach Luft geschnappt.«

»Das weiß ich, Liebling. Aber der Arzt hat gesagt, es war ein Herzinfarkt. Ich habe es selbst gehört.«

»Was zum Teufel weiß der Arzt schon?«

»Oh, tut mir leid, mir ist ganz entfallen, dass ich den renommierten Herzchirurgen und die einzigartige Koryphäe auf diesem Gebiet, Arnold Morgan, neben mir sitzen habe.«

Morgan sah auf und grinste über seine zunehmend vorlaute Gattin. »Kathy«, sagte er, und ernsthafter dann: »Woran Masorin auch immer gestorben sein mag, irgendwas hat ihm sofort die Lungen kollabieren lassen. Der Kerl ist erstickt, er hat nach Luft gerungen, die, wie du vielleicht bemerkt haben dürftest, im Speisesaal in ausreichender Menge vorhanden gewesen ist. Ein Herzinfarkt kann nicht die Ursache gewesen sein.«

»Oh«, sagte Kathy. »Was dann?«

»Eine gezielt abgegebene Kugel. Ein richtig angesetzter Stoß mit einem Kampfmesser. Gewisse Gifte.«

»Aber es war nirgends Blut zu sehen. Außerdem, warum sollten die CIA oder das FBI einen wichtigen Gast bei einem Bankett im Weißen Haus um die Ecke bringen wollen?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Liebling«, antwortete Morgan. »Aber ich bin davon überzeugt, dass jemand es getan hat. Und es würde mich kaum überraschen, bald zu erfahren, dass Michail Masorin heute Nacht ermordet worden ist. Mitten hier in Washington, D.C.«

KAPITEL EINS

Mittwoch, 15. September 2010, 8.30

Lt. Commander Jimmy Ramshawe, Assistent des Direktors der National Security Agency in Fort Meade, Maryland, war alarmiert. Zurückgelehnt auf seinem Bürostuhl, die Füße auf dem Schreibtisch, starrte er auf einen Artikel der Titelseite der Washington Post.

RUSSISCHER TOP-DIPLOMAT BRICHT IM WEISSEN HAUS TOT ZUSAMMEN

Sibirischer Politikererleidet tödlichen Herzinfarkt

»Der arme Kerl«, murmelte der in Amerika geborene Nachrichtenoffizier mit unverkennbar australischem Einschlag. »Was für ein beschissener Abgang – mitten im Speisesaal des Weißen Hauses, vor den Augen zweier Präsidenten. Na ja, so wie es aussieht, dürfte es ihm nicht allzu lange peinlich gewesen sein, dafür hatte er keine Zeit mehr.«

Er las weiter, überflog die kurze Biografie. Der neunundvierzigjährige Michail Masorin war als konsequenter, kompromissloser Verwaltungschef bekannt, jemand, der sich für seine Bevölkerung und deren zerstörten kommunistischen Traum eingesetzt hatte. Jemand, der den Bewohnern der gewaltigen, 7000 Kilometer langen Landmasse wirklich Hoffnung gebracht hatte; einem Land von öder und schroffer Schönheit, das sich über Schneefelder hinzog und sieben Zeitzonen umfasste.

Von den drei sibirischen »Königreichen« auf diesem riesigen Gebiet – dem Föderationskreis Sibirien zwischen den Flüssen Jenissei und Lena sowie dem Föderationskreis Fernost – war der Föderationskreis Ural bei Weitem der wichtigste. Hier, unter den kahlen Ebenen Westsibiriens, einer von Frost überzogenen Landschaft, die laut den Einheimischen »vom Schöpfer vergessen worden war«, lagen die größten Ölreserven der Erde.

Masorin – einer der Gründe, warum er in Sibirien so sehr verehrt worden war – gehörte zu jenen Politikern, die kein Blatt vor den Mund nahmen und die Herrscher im fernen Moskau regelmäßig daran erinnerten, dass das Öl, auf dem die gesamte Wirtschaft des Landes beruhte, aus Sibirien kam und natürliches Eigentum des sibirischen Volkes war. Dafür hatte er von der Zentralregierung mehr Geld eingefordert. Nicht für sich selbst, sondern für sein Volk.

Nun war Masorin tot, und Jimmy Ramshawe stellten sich die Nackenhaare auf. »Großer Gott«, murmelte er und nahm einen Schluck von dem brühheißen schwarzen Kaffee. »Würde mich nicht überraschen, wenn sich verdammt viele Leute über seinen Tod freuen. Und keiner von denen stammt aus Sibirien.«

Es waren Zeiten wie diese, in denen Lt. Commander Ramshawes berühmt-zuverlässige Intuition sich meldete. Böse Vorahnungen und unverhohlene Zweifel sowie einige schroffe Lektionen, die ihm Big Man eingetrichtert hatte, kamen ihm in den Sinn: Wenn ein wichtiger Politiker mit vielen Feinden stirbt, dann lass das nie auf sich beruhen ... trau nie einem verfluchten Russen – und geh niemals davon aus, dass sie sich für solche Sachen zu fein wären, das sind sie nämlich nicht ... der KGB lebt noch immer fort, glaub mir.

»Würde mich nicht sonderlich überraschen, wenn der alte Schweinepriester bald anruft«, sagte er und füllte seine Kaffeetasse nach. Und damit hatte er recht.

Drei Minuten später klingelte es auf seiner Privatleitung. Jimmy kam es immer so vor, als hätte der Klingelton etwas Gereiztes, Ungeduldiges an sich, wenn der Big Man in der Leitung war. Auch damit hatte er recht.

»Jimmy, haben Sie schon die Post gelesen? Die Titelseite, über den toten Sibirer?« Arnold Morgans Ton erinnerte an den des Telefons.

»Ja, Sir.«

»Also, als Erstes können Sie den ganzen Herzinfarkt-Scheiß vergessen.«

»Sir?«

»Und nennen Sie mich nicht ›Sir‹. Ich bin im Ruhestand.«

»Was Sie nicht sagen, Sir.«

Arnold Morgan gluckste. Die letzten Jahre hatte er in Jimmy Ramshawe fast so was wie einen Sohn gesehen, nicht nur, weil der junge Aussie-Amerikaner der beste Nachrichtenoffizier war, dem er jemals begegnet war, sondern auch, weil er dessen Vater kannte und mochte, einen ehemaligen australischen Marine-Admiral und gegenwärtig hochrangigen Vertreter einer Fluggesellschaft in New York.

Jimmy war mit der Surf-Göttin und Studentin Jane Peacock verlobt, Tochter des australischen Botschafters in Washington, ebenfalls eine Familie, der Morgan sehr zugetan war. In Jimmy allerdings hatte er einen Seelenverwandten gefunden, einen Jüngeren, dessen Credo ebenfalls »Misstrauen und Gründlichkeit« lautete und die unermüdliche Bereitschaft beinhaltete, Nachforschungen anzustellen, jemanden, der immer bereit war, seiner Intuition zu folgen, und der sich voll und ganz für die Vereinigten Staaten einsetzte, dem Land, in dem er aufgewachsen war.

Jimmy Ramshawe mochte mit einer Göttin verlobt sein, Arnold Morgan allerdings war für ihn ein Gott. Noch vor einigen Jahren war Admiral Morgan Direktor der NSA gewesen und sah sich seitdem als unumschränkter Herrscher über diese Einrichtung.

Damit waren alle zufrieden, nicht zuletzt Admiral George Morris, der ehemalige Kommandant einer Trägergruppe und gegenwärtiger NSA-Direktor, denn bessere Ratschläge als die von Admiral Morgan waren nicht zu haben.

Wenn Morgan anrief, erzitterte Fort Meade. Sein Grummeln hallte durch Crypto City – wie die Zentrale des militärischen Nachrichtendienstes genannt wurde. Und im Grunde war es genau das, was Arnold gefiel.

»Jimmy, ich war auf dem Bankett, keine fünf Meter von dem Sibirer entfernt, als er auf dem Deck aufschlug. Er ist in sich zusammengesackt, als wäre er erschossen worden, was zweifellos nicht der Fall war. Aber ich hab ihn sterben sehen, er hat sich gewunden, nach Atem gerungen, als würden die Lungen nicht mehr funktionieren. Das hab ich bei einem Herzinfarkt noch nie gesehen ...«

»Wie viele haben Sie denn gesehen?«

»Halten Sie den Mund, Jimmy. Sie klingen schon wie Kathy. Und hören Sie zu ... Ich will, dass Sie still und leise herausfinden, wo der verdammte Leichnam liegt, wohin er geschafft wurde und ob eine Autopsie durchgeführt wird.«

»Und dann?«

»Vergessen Sie dieses ›und dann?‹. Ein Schritt nach dem anderen. Rufen Sie zurück.« Wamm. Den Hörer hingeknallt.

»Schön zu sehen«, murmelte Jimmy, »dass der alte Schweinepriester nun doch allmählich etwas weicher wird. Na ja, immerhin meint Kathy, dass er so auch mit mindestens zwei Präsidenten gesprochen hat. Kein Grund also, sich zu beklagen.«

Er nahm den anderen Hörer zur Hand und bat die Vermittlung, ihn mit Bill Fogarty in der FBI-Zentrale zu verbinden. Drei Minuten später machte sich der Top-Agent in Washington an die Arbeit, und zwanzig Minuten später meldete er sich mit den Informationen über den Verbleib von Michail Masorins Leiche.

»Jimmy, ich bin da in ein Hornissennest getappt. Scheint, die Russen wollen den Toten morgen Nachmittag sofort nach Moskau verfrachten. Aber die Navy sperrt sich dagegen. Masorin steht, solange der Leichnam in den USA ist, offiziell unter ihrer Obhut. Er ist auf amerikanischem Staatsgebiet gestorben, deshalb bestehen sie darauf, alle notwendigen Formalitäten durchzuführen, unter anderem, falls nötig, eine Autopsie.«

»Was halten die Russen davon?«

»Nicht viel«, sagte Bill Fogarty. »Sie beharren darauf, dass Masorin offiziell Gast des amerikanischen Präsidenten war und die diplomatischen Gepflogenheiten es gebieten, seinen Tod so zu behandeln, als wäre er in ihrer Botschaft eingetreten.«

»Werden sie damit durchkommen?«

»Ich glaube nicht. Laut dem Gesetz fällt der Todesfall eines Ausländers unter die gesetzlichen Bestimmungen der Vereinigten Staaten. Auch bei einem hochrangigen russischen Politiker haben die Vereinigten Staaten das Recht, umfangreiche Ermittlungen zur Todesursache einzuleiten, bis alle Ungewissheiten geklärt sind. Der Leichnam wird erst dann freigegeben, wenn wir es sagen. Außerdem befindet er sich noch im Krankenhaus in Bethesda.«

Jimmy hielt kurz inne, dachte nach, dann sagte er: »Bill, ich werde ein Telefonat führen. Ich habe so das Gefühl, dass damit allen Spekulationen ein Ende gesetzt wird. Schließlich steht jeder in Verdacht, der sich zu jener Zeit im Weißen Haus aufgehalten hat, falls sich herausstellen sollte, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Das gilt auch für den Präsidenten und seine Agenten und Beamten. Der Tote wird erst mal überhaupt nicht weggeschafft, außer ins städtische Leichenschauhaus.«

Lt. Commander Ramshawe dankte Fogarty und rief daraufhin sofort das Marinekrankenhaus an. Das Gespräch dauerte volle zwei Minuten. Der Leichnam des obersten politischen Kommissars von Sibirien würde innerhalb einer Stunde zum Leichenschauhaus abtransportiert, und noch am Nachmittag würde eine Autopsie durchgeführt werden. Die Russen waren darüber anscheinend alles andere als beglückt.

Jimmy drückte auf die Taste für die direkte Verbindung zu Chevy Chase.

»Morgan – schießen Sie los.«

»Sir, der Leichnam von Mr. Masorin wird in wenigen Stunden im städtischen Leichenschauhaus eintreffen. Die Russen veranstalten einigen Wirbel und wollen ihn sofort nach Moskau schaffen. Aber das wird ganz offensichtlich nicht erfolgen.«

»Überrascht mich nicht, Jimmy. Sagen Sie dem Pathologen, wir suchen nach irgendeinem Gift. Ich bin mir verdammt sicher, es war kein Herzinfarkt.«

»Sie glauben, einer von unseren Jungs hat ihn abserviert?«

»Na, so sieht es jedenfalls aus. Aber bei den Russen weiß man ja nie. Ein unverfänglicher Mord im Weißen Haus verschafft ihnen ein wunderbares Deckmäntelchen. Dann können sie sich entrüstet geben über die schändlich laschen amerikanischen Sicherheitsmaßnahmen, während sie sich in ihr gottverfluchtes Land verziehen.«

»Sie meinen, die haben ihren eigenen Mann umgelegt?« Jimmy war bestürzt, aber nicht wirklich überrascht. Und Morgan ging es anscheinend ganz ähnlich.

»Das ist früher schon vorgekommen, sowohl während als auch nach der Sowjetzeit. Aber wir sollten Ruhe bewahren. Warten wir erst den Autopsiebericht ab. Dann werden wir uns die Sache sorgfältig ansehen ... Hey, gut gemacht, Junge – aber ich muss los. Ich red mal lieber mit dem Chef.«

Gleicher Tag, 16.00

Lt. Commander Ramshawes alter schwarzer Jaguar bog auf den Parkplatz des städtischen Leichenschauhauses ein und steuerte direkt einen der für die VIPs reservierten Plätze an. Ein alter Trick, den ihn Admiral Morgan gelehrt hatte: Keiner wird sich je mit einem hochrangigen Beamten der NSA anlegen. Parken Sie, wo immer Sie wollen. Und wenn es einem nicht gefällt, dann sagen Sie ihm, dass er mich anrufen soll.

Im Gebäudebereich, in dem die Autopsie durchgeführt wurde, war einiges los – obwohl das FBI den Russen den Zugang verwehrt hatte. Vor der Tür waren zwei Wachen der US Navy postiert, drei Sicherheitskräfte des Weißen Hauses hielten sich im Flur auf. Der Coroner Dr. Louis Merloni wurde vom medizinischen Leiter des Marinekrankenhauses in Bethesda begleitet. Die Autopsie war von Dr. Larry Madeiros durchgeführt worden, dem klinischen Pathologen. Einzelheiten waren bislang nicht freigegeben worden.

Jimmy zeigte den Wachen seinen NSA-Ausweis, wurde sofort eingelassen und fragte nach Dr. Madeiros.

Der Pathologe kam herüber und streckte ihm die Hand entgegen.

»Lt. Commander Ramshawe, NSA«, stellte Jimmy sich vor. »Ich würde mich mit Ihnen gern kurz unter vier Augen unterhalten.«

Sie durchquerten den weitläufigen Untersuchungssaal und begaben sich ins angrenzende Büro. Noch bevor sie Platz genommen hatten, kam Jimmy Ramshawe zur Sache: »Okay, Doc, wie lautet die Todesursache?«

»Michail Masorin ist erstickt, Sir.«

»Sie meinen, irgendein Dreckskerl hat ihn erwürgt?«

»Nein, das meine ich nicht. Ich meine, ihm wurde eine Substanz verabreicht, ein Gift, das die Übertragung der Nervenimpulse vom Gehirn zu den Muskeln beeinträchtigt. Am Ende stehen Lähmungserscheinungen. Greift dieser Prozess auf die Brustmuskulatur über, fällt die Atmung aus.«

»Mein Gott! Sie glauben doch nicht, er ist durch sein Essen vergiftet worden?«

»Nein. Sein Nacken weist rechts eine sehr dünne Einstichstelle auf. Wir werden wohl feststellen, dass das Gift auf diesem Weg injiziert wurde.«

»Wissen Sie schon, um welches Gift es sich handelt?« Jimmy wollte sichergehen, dass er Arnold Morgan sämtliche Details präsentieren konnte.

»Keine Ahnung. Alle Körperflüssigkeiten sind noch im Labor. Blutbildbestimmung, Untersuchung des Knochenmarks, der Leber- und Nierenflüssigkeiten sowie aller anderen biochemischen Substanzen werden noch eine Weile dauern, aber ich bin mir ziemlich sicher, irgendwo in dem Leichnam werden wir auf etwas ziemlich Körperfremdes stoßen.«

»Na, der Tote selbst war ein Fremder«, warf Jimmy unbeschwert ein. »Dann muss das Gift schon was außerordentlich Fremdes sein.«

»Es sei denn, es handelt sich um eine amerikanische Substanz«, entgegnete der Arzt.

»Na ja, da haben Sie wohl recht. Wann werden Sie das wissen?«

»Sie können mich auf meinem Handy heute Abend so gegen zehn Uhr anrufen. Ich werde Ihnen das Ergebnis mitteilen, streng vertraulich natürlich. Morgen früh wird der Bericht dem Krankenhaus und dem medizinischen Leiter in Bethesda übergeben, anschließend dem FBI und dem Weißen Haus.«

Gleicher Tag, 22.00 Australische Botschaft, Washington, D.C.

Jimmy entschuldigte sich am Tisch des australischen Botschafters und ging in den nächsten Raum, wo er auf seinem Handy Dr. Madeiros’ Nummer eintippte.

»Hallo, Sir. Es war Curare in einer recht umfangreichen Dosis. Eine hochgiftige Substanz, deren Ursprung in Südamerika liegt.«

»Kuh-ra-re«, sagte Jimmy. »Was zum Teufel ist das?«

»Nun, Curare ist die Sammelbezeichnung für eine Vielzahl unterschiedlicher Gifte, die aus Rinden und Wurzeln von Lianen gewonnen werden«, antwortete der Arzt. »Wichtigste Stammpflanze ist Pareira. Unsere Laboranten gehen davon aus, dass diese hier Verwendung gefunden hat. Fünfhundert Mikrogramm von dem Zeug, und innerhalb weniger Minuten tritt der Tod ein. Mr. Masorin hatte mehr davon intus. Es handelt sich um ein klassisches Gift und scheint eine der Lieblingssubstanzen professioneller Attentäter zu sein.«

»Langsam, Doc, alter Kumpel. Das war ein Bankett im Weißen Haus. Dort laufen keine professionellen Attentäter rum.«

»Wie Sie meinen«, antwortete Dr. Madeiros ungerührt. »Aber genau dazu ist die Droge in der Vergangenheit verwendet worden.«

»Gut, vielen Dank jedenfalls, Doc. Sie waren mir eine große Hilfe.«

Jimmy beendete das Gespräch und wählte augenblicklich Admiral Morgans Nummer.

»Sie hatten vollkommen recht, Sir. Jemand hat Masorin eine tödliche Giftdosis in den Nacken verpasst. Mehr als fünfhundert Mikrogramm, laut dem Pathologen ...«

»Wissen wir, welches Gift es war?«

»Ja. Curare, von einer Pflanze namens Pareira.«

»Einen Moment, Jimmy. Ich habe hier ein Buch über Gifte. Ich habe auf Ihren Anruf gewartet. Lassen Sie mich mal nachschlagen – ja, genau, Curare ... ein seit dem sechzehnten Jahrhundert bekanntes Gift ... von gummiartiger Substanz ... wurde von den Indios am Amazonas als Pfeilgift verwendet.«

Jimmy hörte, wie Morgan durch die Seiten blätterte, weshalb er schnell unterbrach: »Sir, ich werde Admiral Morris darüber in Kenntnis setzen. Und dann, nehme ich an, lassen wir den Ermittlungen ihren Lauf. Es geht uns ja nichts mehr an, nicht wahr? Es ist jetzt eine zivile Angelegenheit, was?«

»Genau, Jimmy. Aber ich bin heilfroh, dass wir wissen, worum es hier geht, nämlich um Mord.«

Für die US-Regierung war es nicht so einfach, die Angelegenheit wieder loszuwerden. Der Bericht des Coroner und die Autopsie bereiteten den offiziellen Stellen ziemliches Kopfzerbrechen, da beides der Öffentlichkeit zugänglich zu machen war. So verkündete am Donnerstagmorgen, 16. September, das FBI der Welt, dass der Tod des präsidialen Verwalters Michail Masorin keiner natürlichen Ursache zuzuschreiben sei. Spuren einer tödlichen Dosis von Curare seien im Leichnam festgestellt worden, weshalb die mit der Untersuchung betrauten Stellen die Sache als einen Mordfall behandelten.

MORD IM WEISSEN HAUS titelte die New York Post. ATTENTAT AUF OBERSTEN SIBIRISCHEN POLITIKER donnerte die Washington Post. Groß auf der Titelseite in besonderen Weltuntergangs-Drucktypen.

Und während der Medienwirbel die russischen Gäste in seinen Mahlstrom zu ziehen versuchte, hob am Donnerstagabend die staatliche Präsidentenmaschine der Aeroflot von der Andrews Air Base in Richtung Moskau ab. Der Leichnam von Michail Masorin war nicht an Bord.

Aus irgendeinem Grund, der nur neurotischen Nachrichtenreportern bekannt war, die 24-Stunden-News-Channels mit eingeschlossen, kamen die US-Medien zu dem Schluss, dass Amerika für den Tod des Sibirers verantwortlich war. Vielleicht war es einfach zu weit hergeholt, dass die Russen das Weiße Haus als Schauplatz wählten, um einen aus den eigenen Reihen um die Ecke zu bringen.

Die amerikanischen Medien sprangen also auf die Story eines in den USA lebenden Terroristen an, vermutlich eines tschetschenischen Rebellen, der auf Masorins Nacken einen Giftpfeil abgeschossen haben solle, sodass dieser während des Diners mit dem US-Präsidenten und 150 seiner Freunde den Tod fand.

Die Medien fielen über das FBI her, sie fielen über die Washingtoner Polizei und die Pressestelle des Weißen Hauses her. Es dauerte geschlagene drei Tage, bis allen dämmerte, dass niemand auch nur den geringsten Anhaltspunkt hatte, wer Masorin umgebracht hatte, und dass kein tschetschenischer Rebell beim Staatsbankett zugegen gewesen war.

So in die eigenen Storys verstrickt, war niemandem aufgefallen, dass der russische Präsident Paul Bedford nahezu angefleht hatte, den Leichnam mit nach Moskau nehmen zu dürfen, ein Ansinnen, das mit großer Beharrlichkeit abgelehnt wurde. Anscheinend konnten oder wollten die Russen nicht verstehen, dass der amerikanische Oberboss nicht einfach tun und lassen konnte, wie ihm beliebte. Der wesentliche Punkt einer westlichen Demokratie – auch in kritischen Augenblicken sind die Gesetze des Landes und ihre korrekte Ausübung unantastbar – schien ihnen partout nicht einleuchten zu wollen.

Masorins Leichnam würde nirgendwohin geschafft werden, solange die Untersuchungen andauerten. Jemand hatte ihn ermordet, daran bestand kein Zweifel. Wahrscheinlich mitten im Weißen Haus. Und solange dieser Jemand nicht identifiziert war, würde die Leiche in Gottes eigenem Land verbleiben.

Jimmy Ramshawe war in Gedanken versunken. Er saß in seinem kolossal unordentlichen Büro, von Papierbergen umgeben. Jeder Stapel war zwar ordentlich aufgeschichtet, allerdings gab es so viele von ihnen, dass sie auf seinem Schreibtisch überquollen, den Computertisch verstopften und den Teppichboden zu einer tödlichen Falle machten.

Vor allem ein Gedanke ging ihm durch den Kopf: Big Man glaubt, die verfluchten Russen haben Masorin im Weißen Haus abgemurkst, weil keiner auch nur im Traum glauben würde, dass sie so was abziehen würden.

Jimmy wusste, dass der russische Präsident bald in Moskau landen und seine PR-Maschinerie Gift und Galle spucken würde. Als Zielscheibe dienten die laxen Sicherheitsvorkehrungen der dekadenten Vereinigten Staaten ... die für den Tod unseres geliebten Genossen – Pardon, Bruders – Michail Masorin verantwortlich sind.

»Was für ein Stuss«, murmelte Jimmy mit dem ihm angeborenen Charme eines australischen Viehtreibers. »Ich sehe es so wie Big Man. Und meiner Meinung nach ist es im Interesse der Vereinigten Staaten, dass wir herausfinden, was zum Teufel hier gespielt wird – ich schau mal lieber beim Boss vorbei.«

Admiral George Morris, der wohlbeleibte ehemalige Trägergruppen-Kommandant mit dem Aussehen eines liebeskranken Teddybären und einem stählernen Rückgrat, hörte aufmerksam zu.

Er zeigte kaum Anzeichen der Überraschung, als Jimmy seine Pointe zum Besten gab. »Sir, Admiral Morgan ist meiner Ansicht nach davon überzeugt, dass die Russen den guten Michail mitten im verdammten Speisesaal des Weißen Hauses kaltgemacht haben.«

»Ja, ich weiß«, erwiderte Admiral Morris. »Im Übrigen glaube ich das auch. Heißen Kaffee?«

Jimmy sah ihn erstaunt an. »Ja, ich meine, gerne, Sir, einen Kaffee. Aber woher wissen Sie das?«

»Arnold hat’s mir vor knapp einer Viertelstunde gesagt.«

»Tatsächlich?«

»Jimmy, Admiral Morgan weiß besser, wie die Russen funktionieren, als jeder andere. Ich kenne ihn jetzt bereits seit über dreißig Jahren, und die meiste Zeit als einen ziemlich engen Freund. Er pflegt gewisse Ansichten, die man niemals unberücksichtigt lassen sollte.«

»Und die wären, Sir?«

»Dass selbst nach dem von Präsident Reagan erzwungenen Fall der Berliner Mauer, selbst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 das althergebrachte russische Streben nach unbedingter zentraler Kontrolle genauso stark ausgeprägt ist wie eh und je. Um das zu überwinden, werden die Russen noch Jahrzehnte brauchen. Denken Sie nur an Stalin, der hat es dereinst auf den Punkt gebracht: ›Haben Sie jemanden, der ein Problem darstellt, dann schaffen Sie ihn sich vom Hals. Dann sind Sie das Problem los.‹ Arnie und ich glauben, dass Michail Masorin eben ein solches Problem war. Bedenken Sie nur, dass sich auf seinem Gebiet das meiste Öl Russlands findet und er seinen Daumen drauf hatte. Vielleicht hat er mit dem Austritt aus der russischen Föderation gedroht und hätte dann sein Öl mitgenommen?«

Jimmy dachte darüber nach. »Na ja, das geht jetzt nicht mehr«, sagte er daraufhin. »Daran besteht kein Zweifel.«

Morris fummelte an seinem Kaffeepott. »Arnold und ich wollen, dass Sie in den nächsten Wochen Ihre gesamte Zeit darauf verwenden, weitere Nachforschungen anzustellen. Wir sollten herausfinden, was hier wirklich vor sich geht.«

»Großer Gott, Sir. Was dagegen, wenn ich mir jetzt was von dem Kaffee nehme? Es gibt da eine Menge zu verdauen.«

Admiral Morris lächelte und schenkte Jimmy eine Tasse ein. »Werfen Sie mal einen Blick auf die verdächtigen Todesfälle der letzten, sagen wir mal, vierzig Jahre. Und am besten fangen Sie mit Georgi Markow an.«

»Mit wem?«, fragte Jimmy.

»Einem Experten in Sachen Sowjetunion, der für die BBC in London gearbeitet hat – ein guter Journalist mit ausgezeichneten Kontakten hinter den Eisernen Vorhang. Er schrieb einige Sachen über die Sowjets, bei denen einem die Haare zu Berge stehen, und der KGB und ich glauben, dass er ein enger Freund von Alexander Solschenizyn war. Den Russen war er ein Dorn im Auge ...«

»Äh, genau, Sir. Ich fang gleich damit an.«

Lt. Commander Ramshawe zog sich in seine Höhle zurück und klinkte sich ins Netz ein. Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis er einen Querverweis fand: Georgi Markow, bulgarischer Dissident, für die BBC tätig ... 1978 in London ermordet ... wie sich später herausstellte, wurde er von einer Regenschirmspitze in den Oberschenkel getroffen, wobei ihm eine winzige Platinkugel mit tödlichem Gift injiziert wurde.

Spätere Enthüllungen durch den ehemaligen KGB-Oberst und für den Westen arbeitenden Doppelagenten Oleg Gordiewsky ließen vermuten, dass Markow wahrscheinlich von einem KGB-Agenten umgebracht worden war. Mehr noch, das Attentat war mit Zustimmung des KGB-Chefs Juri Andropow ausgeführt worden, des späteren Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.

»Großer Gott«, rief Jimmy Ramshawe zum zweiten Mal innerhalb der letzten halben Stunde aus. »Eine Überraschung nach der anderen.«

Er ackerte sich durch eine ganze Reihe von Vorfällen – verschwundene Politiker, Dissidenten und alle anderen Personen, die den Russen ›ein Dorn im Auge‹ waren. Schließlich stieß er auf jenen Fall, der das Ansehen der russischen Führung für immer zerstört hatte. Dabei hatte der Plan noch nicht einmal funktioniert.

Viktor Juschtschenko, Oppositionsführer bei der berühmten Wahl in der Ukraine 2004, ein eminent populärer proeuropäischer Politiker, fiel kurz vor der Wahl einem spektakulären Giftanschlag zum Opfer, den er jedoch überlebte.

Sein Gesicht, schrecklich verunstaltet und mit Pockennarben überzogen, ging um die ganze Welt. Nur wenige Wochen vorher hatte er noch ganz normal ausgesehen. Der Mordanschlag hatte bei einem politischen Essen mit dem ukrainischen Geheimdienst stattgefunden, und die Ärzte, die Juschtschenko daraufhin in Wien behandelten, fanden überwältigende Indizien für eine Dioxin-Vergiftung.

Es war allzu offensichtlich, dass seine proeuropäische Haltung eine ernsthafte Gefahr für den Kreml und dessen Liebe zur allmächtigen staatlichen Kontrolle war. Hier war jemand, der ein Problem darstellte. Und Josef Stalin höchstselbst hatte sie einst instruiert, wie so etwas zu lösen sei.

Viktor Juschtschenko war dennoch ukrainischer Präsident geworden, und auch sein Gesundheitszustand hatte sich in der Folgezeit wieder gebessert. Seine Leidensgeschichte jedoch war eine augenfällige Mahnung, dass die alten KGB-Methoden im modernen Russland nach wie vor hochgehalten wurden. Nicht nur hochgehalten, sie waren skrupellos mit den Machenschaften der russischen Politik verwoben. So war es seit den 1920ern, als die Vorläufer der KGB-Mitarbeiter die ersten Labore einrichteten, um besondere Gifte zu entwickeln, die gegen Dissidenten angewandt werden konnten. Moderne Vorstellungen von politischer Freiheit und Menschenrechten hatten in Russland niemals Fuß gefasst und würden dies vielleicht auch niemals tun.

Das zumindest war die Ansicht Admiral Arnold Morgans und seines Kollegen Admiral George Morris. »Und wer verflucht noch mal bin ich, dass ich mich mit den beiden streiten sollte?«, murmelte Jimmy. »Ich hab’s kapiert. Die Russen haben aller Wahrscheinlichkeit nach Michail angepikt, und diesmal haben sie es glatt durchgezogen.«

Er griff zum Telefonhörer und bat, zum CIA-Hauptquartier in Langley, Virginia, durchgestellt zu werden.

»Hallo, Mary. Ist Lenny da?«

»Bestimmt, Sir. Sie wollen mit ihm sprechen?«

»Wollte nur fragen, ob ich bei ihm vorbeikommen könnte, jetzt auf der Stelle?«

»Einen Moment bitte ... ja, kein Problem. Mr. Suchov sagt, am üblichen Ort, in, sagen wir, einer Dreiviertelstunde?«

»Wunderbar, Mary. Richten Sie ihm aus, ich werde da sein.«

Sechs Minuten später jagte der schwarze Jaguar des Lt. Commander über den Spellman Parkway in Richtung Süden. An der Ausfahrt 23 fuhr er auf den Beltway und dann, gegen den Uhrzeigersinn, nach Westen, blieb dabei auf dem großen Highway, der um ganz Washington, D.C. herumführte, bis er auf der American Legion Memorial Bridge den Potomac überquerte.

Für die siebenundzwanzig Kilometer auf dem Highway hatte er eine Viertelstunde gebraucht. Nun blieb er drei Kilometer auf dem Georgetown Pike, bis er das Haupttor der CIA-Zentrale passierte. Dort wurde er von einem Mitarbeiter der Russland-Abteilung empfangen, der ihn zum Parkplatz neben dem Auditorium begleitete.

Jimmy dankte ihm, schlenderte durch den stillen Gedächtnispark der CIA und blieb kurz stehen, um die in einen Feldstein am Rand des Teichs gravierte Botschaft zu lesen – Zum Gedächtnis all jener, deren verborgene Bemühungen dem Wohle einer dankbaren Nation dienten.

Wie jeder leitende Nachrichtenoffizier war auch Jimmy von diesen Worten berührt – und sah augenblicklich die Bilder vor sich: graue, dunkle Straßen in Moskau, im alten Ostberlin oder Bukarest, Männer, die für die USA arbeiteten, auf sich allein gestellt, unter den schrecklichsten Gefahren, verfolgt von KGB-Agenten mit starrer, eiserner Miene.

»Ich hoffe nur, dass die verfluchte Nation auch wirklich dankbar ist«, sagte er auf seinem von der Sonne beschienenen Weg zur blau gestrichenen Bank am Teich, wo er sich immer mit Leonid Suchov traf, einem der brillantesten Doppelagenten, denen er jemals begegnet war.

Er musste lächeln, als er an Lenny dachte. Ein kleiner, untersetzter Bär von Mann, der leicht auf seinen Fußballen tänzelte, fast immer ein Lächeln auf den Lippen hatte und einem zwischen zwei Wimpernschlägen ein Messer zwischen die Rippen rammen konnte. Der vorrangige Grund dafür, dass er noch immer am Leben war und nicht irgendwo in den Eingeweiden der Lubjanka vor sich hin moderte.

Lenny war von Geburt Rumäne und hatte im Alter von zwölf Jahren beide Eltern verloren. Sie waren Lehrer in Bukarest gewesen, wurden als Dissidenten angeschwärzt, von KGB-Schergen aufgegriffen und darauf nie mehr gesehen. Lenny jedoch, mit einem tiefen Hass auf die kommunistische Partei, Moskau und den Eisernen Vorhang aufgewachsen, wusste sich durchzuschlagen.

Er entwickelte sich zu einem erstklassigen Ringer, war aber nie so gut, dass es für eine olympische Medaille gereicht hätte. Als Trainer jedoch gehörte er zu dem Team, das den großen Schwergewichtler Vasile Andrei zur Goldmedaille im griechisch-römischen Stil bei den Spielen in Los Angeles 1984 führte – vor dem Amerikaner Greg Gibson.

Freunde des Sports bekamen bei dem Namen Andrei noch immer glasige Augen. Bei jedem seiner vier Kämpfe in LA besiegte der mächtige Rumäne den Gegner in weniger als viereinhalb Minuten und bewies dabei eine bis dahin nie gesehene Kraft und Technik.

Und Lenny war immer dabei gewesen, hatte an der Spitze des Betreuerteams gestanden. Doch während die Mannschaft nach den Spielen nach Rumänien zurückkehrte, wurde Lenny Suchov aus dem olympischen Dorf geschafft und mit einem Marine-Hubschrauber zum Luftwaffenstützpunkt Vandenberg nördlich von Santa Barbara und von dort nach Washington geflogen.

Sein Verschwinden war für das olympische Komitee Rumäniens eine äußerst peinliche Angelegenheit – und ebenso demütigend für den KGB-Stab, der Leonid Suchov viele Jahre zuvor als Spion angeheuert hatte, damit er ihnen aus den westlichen Städten, in denen die rumänische Ringermannschaft auftrat, Informationen beschaffte.

Sie wussten nicht, dass der fröhliche klein gewachsene Ringerriese mit dem Handschlag eines Baggers seit zwanzig Jahren emsig für die CIA gearbeitet hatte. In dieser Zeit hatte er sich aufgrund seines Ansehens in rumänischen und sowjetischen Sportkreisen zahlreiche Privilegien erworben, die ihm Zugang zu den mächtigsten Funktionären der kommunistischen Partei verschafft hatten.

Er hatte den osteuropäischen Geheimdiensten und der Geheimpolizei beträchtlichen Schaden zugefügt, hatte Agenten, Agentennetze, Funkfrequenzen, Chiffren, Adressen und Telefonnummern an CIA-Agenten verraten. Er war in jener brutalen Zeit des Kalten Krieges unmittelbar verantwortlich für mindestens fünfzig von der CIA durchgeführte Attentate.

Und bei jedem Opfer sprach Lenny einen stillen Toast auf Emile und Anna Suchov aus, seine seit Langem verschwundenen Eltern. Niemand schöpfte auch nur den geringsten Verdacht. Weder den Sowjets noch den Rumänen war bewusst, was er in den vergangenen zwei Jahrzehnten getan hatte, auch nicht nach seiner Fahnenflucht in Los Angeles.

Tatsächlich veröffentlichten sie eine Erklärung, in der sie kundtaten, dass Leonid Suchov die rumänische Olympiamannschaft verlassen habe, um eine Amerikanerin zu heiraten und als Trainer für eine der großen amerikanischen Universitäten zu arbeiten. Sie sprachen ihre Dankbarkeit für seine Leistungen aus und wünschten ihm alles Gute für die Zukunft.

In der CIA-Zentrale wurde währenddessen der allseits geliebte Ringer-Coach aus Bukarest zum stellvertretenden Leiter der Russland-Abteilung ernannt, wofür ihm eines der höchsten Gehälter gezahlt wurde, das ein ehemaliger Agent jemals bekommen hatte.

Und hier war er wieder, dachte sich Jimmy Ramshawe, als er Lenny um den Teich kommen sah, leichtfüßig wie immer, ein breites Lächeln zur Begrüßung im Gesicht.

Mein Gott, er bewegt sich noch immer wie eine Schwuchtel, dachte sich Jimmy. Aber das binde ich ihm lieber nicht auf die Nase.

»Jimmy Ramshawe! Wo hast du gesteckt?« Lennys Lachen schallte durch den gesamten Gedächtnispark.

»In der Fabrik in Maryland«, erwiderte Jimmy. »Um mir einen anständigen Lebensunterhalt zu verdienen.«

»In unserem Geschäft gibt es keinen Anstand«, entgegnete der Rumäne. »Das weißt du. Ich weiß es. Wir dürfen uns nur die Laune nicht verderben lassen.«

Grinsend schüttelte Jimmy dem Rumänen die Hand, der sich neben ihm auf die Bank fallen ließ. »Es geht um Michail Masorin, nicht wahr?«

»Woher zum Teufel weißt du das?« Jimmy war verblüfft.

»Jimmy – das ist mein Geschäft. Du bist dem Herzinfarkt-Blödsinn doch nicht auf den Leim gegangen, oder?«

»Na ja«, musste Jimmy zerknirscht zugeben, »Admiral Morgan hat mir gesagt, dass er der Sache nicht traut.«

»Ah! Dieser Morgan, das ist schon einer, was? Dem entgeht auch nichts.«

»Lenny, ich bin hier, weil ich von dir erfahren möchte, ob du irgendeinen Anhaltspunkt hast, warum er umgebracht wurde.«

»Um ehrlich zu sein, Jimmy, es hat mich überrascht, dass er überhaupt so lange am Leben geblieben ist.«

Jimmy äußerte sein Erstaunen.

»Nun, schließlich war er einer der gefährlichsten Männer im ganzen Land«, fuhr Lenny fort, während er sich aus Gewohnheit umsah. »Jemand, der als Staatsfeind betrachtet wurde, eine Bedrohung für die Regierung in Moskau.«

ENDE DER LESEPROBE

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Ghost Forcebei William Heinemann, London

Redaktion: Werner Wahls

Copyright © 2006 by Patrick Robinson Copyright © 2008 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN 978-3-641-18401-8

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