Jagd in der Tiefe - Patrick Robinson - E-Book

Jagd in der Tiefe E-Book

Patrick Robinson

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Beschreibung

HUNTER KILLER – wenn der Jäger zum Gejagten wird ...

2009: In Saudi-Arabien wird ein Militärputsch geplant – schnell wachsen die Ängste vor einem Zusammenbruch des Ölexports und einer weltweiten Wirtschaftskrise. US-Admiral Morgan greift ein und sieht sich schon bald mit seinem Erzfeind, dem Terroristen Rashud, konfrontiert. Unnachahmlich vermag Patrick Robinson hochbrisante politische Szenarien zu entwerfen und mit genauester Kenntnis moderner Waffentechnologie durchzuspielen.

Im Jahr 2009 plant der saudi-arabische Prinz Nasir das Regime seines Landes zu stürzen. Die herrschende dekadente Königsfamilie droht das Land durch ihre Ausschweifungen mehr und mehr in den Bankrott zu führen. Für seine Umsturzpläne kann der Prinz die französische Regierung gewinnen, die in einer geheimen Aktion mit U-Booten der Hunter-Killer-Klasse die saudi-arabische Erdölindustrie lahmlegen und gleichzeitig das Armeehauptquartier angreifen will. Leiten soll die Attacke Ravi Rashud – der weltweit meistgesuchte Terrorist.
Doch dem US-amerikanischen Admiral a. D. Arnold Morgan bleibt nicht verborgen, dass sich auf dem internationalen Erdölmarkt etwas tut. Er ahnt Schlimmes und kommt den Verschwörern schließlich auf die Spur. Ein erbittertes Duell mit seinem Erzfeind Rashud bahnt sich an.

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Inhaltsverzeichnis

PERSONEN DER HANDLUNGPROLOGKAPITEL EINS KAPITEL ZWEI KAPITEL DREI KAPITEL VIER KAPITEL FÜNF KAPITEL SECHS KAPITEL SIEBEN KAPITEL ACHT KAPITEL NEUN KAPITEL ZEHN KAPITEL ELF KAPITEL ZWÖLF KAPITEL DREIZEHN EPILOG ANMERKUNG DES AUTORSCopyright

PERSONEN DER HANDLUNG

Oberste Führung, USA

PAUL BEDFORD | Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika

ADMIRAL ARNOLD MORGAN | Oberkommandierender der Operation »Tanker«

GENERAL TIM SCANNELL | Oberbefehlshaber der gesamten Streitkräfte – CJC

ADMIRAL ALAN DICKSON | Chef der Marineoperationen – CNO

ADMIRAL FRANK DORAN | Oberkommandierender der Atlantikflotte

ADMIRAL GEORGE MORRIS | Direktor der National Security Agency – NSA

LT. COMMANDER JAMES (»JIMMY«) RAMSHAWE | Persönlicher Assistent des NSA-Direktors

ADMIRAL JOHN BERGSTROM | Oberbefehlshaber des Special War Command (SPECWARCOM)

Diplomatischer Dienst, USA

CHARLIE BROOKS | Gesandter, US-Botschaft, Riad

AGENT TOM KELLY | CIA-Stabsoffizier, Marseille

AGENT RAY SHARPE | CIA, Brazzaville, Republik Kongo

AGENT ANDY CAMPESE | CIA-Chef, Toulouse

AGENT GUY ROLAND | CIA, Toulouse

AGENT JACK MITCHELL | CIA-Stabsoffizier, Nordafrika, Rabat, Marokko

US Navy

CAPTAIN BAT STIMPSON | U-Boot-Kommandant, USS North Carolina

CAPTAIN DAVID SCHNIDER | U-Boot-Kommandant, USS Hawaii

CAPTAIN TONY PICKARD | Kommandant, USS Shiloh

LIEUTENANT BILLY FALLON | Hubschrauberbesatzung, USS Shiloh

LT. COMMANDER BRAD TAYLOR | SEAL-Teamführer

Oberste Führung, Frankreich

Der französische Staatspräsident

PIERRE ST. MARTIN | Außenminister

GASTON SAVARY | Direktor des Auslandsnachrichtendienstes, DGSE

GENERAL MICHEL JOBERT | Oberbefehlshaber Spezialkräfte

Französische Marine

ADMIRAL GEORGES PIRES | Commandement des Fusiliers Marins Commandos COFUSCO

ADMIRAL MARC ROMANET | Flaggoffizier, U-Boote

KAPITÄN ALAIN ROUDY | Kommandant, Angriffs-U-Boot Perle

FREGATTENKAPITÄN LOUIS DREYFUS | Kommandant, Angriffs-U-Boot Améthyste

KAPITÄNLEUTNANT GARTH DUPONT | Befehlshaber der Kampfschwimmer, Améthyste

KAPITÄNLEUTNANT JULES VENTURA | Befehlshaber der Spezialkräfte am Persischen Golf, Perle

KAPITÄNLEUTNANT RENÉ DOUMENT | Einsatzleiter Angriffsteam zwei, saudische Verladepier

SEEMANN VINCENT LEFEVRE | Assistent von Kapitänleutnant Ventura

Befehlshaber der französischen Spezialkräfte, Saudi-Arabien

MAJOR ETIENNE MAROT | Stellvertretender Befehlshaber Trupp drei, Khamis Mushayt

MAJOR PAUL SPANIER | Befehlshaber Trupp eins, Angriff Luftwaffenstützpunkt

MAJOR HENRI GILBERT | Trupp zwei, Angriff Luftwaffenstützpunkt

Von Frankreich ernannte Militärbefehlshaber, Saudi-Arabien

OBERST JACQUES GAMOUDI | ehem. Fremdenlegionär, Oberbefehlshaber der Revolutionsarmee in Riad

MAJOR RAY KERMAN | alias General Ravi Rashud, Befehlshaber der Hamas, Befehlshaber der Angriffsstreitkräfte Süd, Saudi-Arabien

Diplomatischer Dienst, Frankreich

AGENT YVES ZILBER | DGSE, Toulouse

MICHEL PHILLIPPES | DGSE, Befehlshaber, Riad

MAJOR RAUL FOY | DGSE, Riad

BOTSCHAFTSANGESTELLTER CLAUDE CHOPIN | französische Botschaft, Brazzaville, Republik Kongo

Mitglieder der königlichen Familie

PRINZ KHALID BIN MOHAMMED AL-SAUD | Playboy

König von Saudi-Arabien

PRINZ NASIR IBN MOHAMMED AL-SAUD | Kronprinz

Saudisches Militär

OBERST SA’AD KABEER | Kommandant 8. Panzerbrigade, Ablenkungsangriff auf Luftwaffenstützpunkt

CAPTAIN FAISAL RAHMAN | Al-Qaida-Bataillon, Riad

MAJOR ABDUL MAJEED | Panzerkommandant, Angriff auf Luftwaffenstützpunkt

OBERST BANDAR | Panzerkommandant, Revolutionsarmee, Riad

Die »Israeli-Connection«

BOTSCHAFTER DAVID GAVRON | Washington

AGENT DAVID SCHWAB | Mossad, Marseille

AGENT ROBERT JAZY | Mossad, Marseille

DANIEL MOSTEL | Sayanim, Fluglotse, Damaskus

Internationales Personal

CORPORAL SHANE COLLINS | elektronischer Abhördienst, britische Armee, JSSU, Zypern

SIR DAVID NORRIS | Vorsitzender der International Petroleum Exchange, London

ABDUL GAMOUDI | Vater von Oberst Jacques Gamoudi

Ehefrauen

MRS. KATHY MORGAN

MRS. SHAKIRA RASHUD

Europäischer Hochadel

PRINZESSIN ADELE | Südlondon; verschieden

PROLOG

Der 26 Jahre alte Prinz Khalid bin Mohammed al-Saud durchlebte eine Nacht wechselhaften Glücks. Auf der Habenseite konnte er eine fantastisch aussehende Blondine namens Adele verbuchen, die ein Gucci-Kostüm trug, sich gerade an seinen linken Arm schmiegte und von sich behauptete, sie sei eine europäische Prinzessin. Auf der Sollseite musste er sich einen Verlust von 247 000 Dollar eingestehen, die er in einem der privaten Spielzimmer beim Blackjack verloren hatte.

Das Casino von Monte Carlo kostete den saudischen König, Khalids Urgroßonkel, Monat für Monat in etwa die Summe, die auch die gesamte hochmoderne königlich-saudische Luftwaffe verschlang. Es gab gegenwärtig fast 35 000 saudische Prinzen, und sie alle waren bestrebt, dem Wort Hedonismus eine ganz neue Bedeutung zu verleihen.

Wie Prinz Khalid liebten viele von ihnen Monte Carlo und dort vor allem das Casino. Sowie Blackjack, Baccarat, Craps und Roulette – und teure Frauen, Champagner, Kaviar und Rennjachten. Dass sich diese Prinzen aber auch nicht mit normalen Motorjachten anfreunden konnten!

Prinz Khalid schob seiner neuen Prinzessin weitere Chips im Wert von 10 000 Dollar hin und schwelgte bereits in den sexuellen Genüssen, die ihn mit ziemlicher Sicherheit erwarteten. Außerdem, ging ihm durch den Kopf, war Adele ebenfalls von königlicher Abstammung. Dem König würde das gefallen. Betört von ihrer Schönheit, verschwendete Khalid keinen Gedanken daran, dass europäischer Hochadel sich gewöhnlich nicht einer Ausdrucksweise bediente, die verdächtig nach einem breiten Südlondoner Slang klang.

Fröhlich und angeheitert vom Krug-Jahrgangschampagner stürzte sich Adele mit der Raffinesse eines entgleisenden ICEs aufs Blackjack. Sie brauchte exakt neun Minuten und 43 Sekunden, um die 10 000 Dollar zu verspielen, und selbst Prinz Khalid, der finanziell sonst kaum auf die Bremse trat, hielt, mit Blick auf Adeles wunderbar geformten Hintern, unwillkürlich nach einem Rettungsanker Ausschau.

»Ich finde, wir sollten anderswo unser Vergnügen suchen«, sagte er lächelnd. Er entdeckte eine Champagner-Bedienung und verlangte nach dem Geschäftsführer, um die Rechnung für den Abend zu begleichen.

Adeles Lachen schallte durch den Raum, und keiner zuckte auch nur mit der Wimper, als der junge saudische Prinz unbekümmert einen Schuldschein über gut 260 000 Dollar unterzeichnete. Eine Rechnung, die er nie zu Gesicht bekommen würde. Man addierte sie einfach zu den bereits angehäuften Verlusten, die sich in diesem Monat auf über eine Million Dollar beliefen. Und dann stellte man sie direkt dem saudischen König zu, dessen Büro früher oder später einen Scheck schickte. Wobei die Scheckausstellung in diesen Tagen wohl eher etwas später geschehen dürfte.

Prinz Khalid war ein direkter Nachfahre des mächtigen Beduinenkriegers Abd al-Asis Ibn Saud, des 1953 verstorbenen Gründers des modernen Saudi-Arabien, Ahnherr von mehr als 40 Söhnen und Gott weiß wie vielen Töchtern. Prinz Khalid gehörte zur Herrscherlinie des Hauses Saud, daneben aber gab es Tausende von Vettern, Onkeln, Brüdern und anderen nahen Verwandten, die vom König allesamt mit grenzenloser Großzügigkeit behandelt wurden.

Einer Großzügigkeit allerdings, die dazu geführt hatte, dass das gewaltige Öl-Königreich auf der Arabischen Halbinsel gegen Ende des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert am Rand des finanziellen Abgrunds stand. Abermillionen Barrel Öl mussten Tag für Tag aus der Wüste gepumpt werden, um allein den gewaltigen Geldbedarf der jungen verschwendungssüchtigen Prinzen wie Khalid bin Mohammed al-Saud zu decken.

Er gehörte zu den Dutzenden Prinzen mit großen Motorjachten, die sich über die gesamte französische Riviera verteilten. Sein Boot, die Shades of Arabia, ein 107 Fuß langes, schlankes weißes Powerboot, sah aus, als könnte es sich nicht entscheiden, ob es im Wasser bleiben oder zu einem Marschflugkörper werden sollte. Von der renommierten West Bay SonShip Corporation in Florida auf Kiel gelegt, verfügte es über fünf Einzelkabinen und war in ihrer Größe das Nonplusultra der Luxusjachten.

Der Kapitän der Shades of Arabia, Hank Reynolds, bekam selbst auf ruhiger, offener See jedes Mal fast einen Herzinfarkt, wenn Prinz Khalid darauf bestand, das Ruder zu übernehmen. Denn der Prinz kannte genau zwei Geschwindigkeiten: Vollgas oder Maschine stopp.

Fünfmal war er in französischen Riviera-Häfen bereits wegen Geschwindigkeitsübertretung festgenommen worden. Jedes Mal wurde ihm ein hohes Bußgeld auferlegt, zweimal landete er für einige Stunden sogar im Gefängnis, wurde von den Anwälten des Königs aber stets gegen Kaution wieder rausgeholt, wobei beim letzten Mal satte 100 000 Dollar Strafe fällig gewesen waren. Prinz Khalid war für jede Familie und in jeder Hinsicht ein kostspieliger Luxus. Doch das war ihm völlig egal. Darin unterschied er sich nicht im Geringsten von den anderen jungen Nachkommen des Hauses Saud.

Lässig legte er Adele die Hand an die Hüfte und nickte den anderen Mitgliedern seiner Entourage zu, die sich um den Roulettetisch drängten und um sehr viel geringere Einsätze spielten. Zu ihnen gehörten seine beiden Aufpasser Rashid und Ahmed, drei Freunde aus Riad und fünf junge Frauen, zwei davon Araberinnen aus Dubai in westlicher Kleidung und drei Europäerinnen von ähnlich adeliger Abkunft wie Adele.

Drei Automobile – zwei Rolls-Royce und ein Bentley – fuhren vor dem imposanten weißen Portal des ehrwürdigsten Spielcasinos der Welt vor, wo bereits ein livrierter Türsteher wartete. Prinz Khalid reichte ihm einen 100-Dollar-Schein – den Gegenwert von zwei Barrel Öl auf dem Weltmarkt – und schlüpfte mit Adele auf den Rücksitz. Rashid und Ahmed, zwei hoch bezahlte Diener des Königs, nahmen auf dem breiten Vordersitz des glänzenden dunkelblauen Silver Cloud Platz.

Die restlichen acht verteilten sich gleichmäßig auf die anderen beiden Wagen, und Prinz Khalid wies seinen Chauffeur an: »Sultan, bring uns bitte runter zum Boot.«

»Natürlich, Eure Hoheit«, erwiderte Sultan und schlug, gefolgt von den anderen beiden Wagen, den Weg zum Hafen ein. Drei Minuten später hielten sie neben der Shades of Arabia, die in den flachen, ruhigen Hafengewässern sanft an den Leinen zerrte.

»Guten Abend, Eure Hoheit«, rief der Wachmann und schaltete das Licht der Gangway an. »Legen wir heute noch ab?«

»Nur für eine kurze Fahrt, zwei, drei Meilen hinaus, um die Lichter von Monaco zu sehen, dann so um 1.00 Uhr wieder zurück«, erwiderte der Prinz.

»Sehr wohl, Sir«, sagte der Wachmann, ein junger saudischer Marineoffizier, der im Hauptquartier der Golfflotte in Al Jubayl auf einer der königlichen Korvetten gedient hatte. Er hieß Bandar und war vom Oberbefehlshaber eigens als Erster Offizier für die Shades of Arabia abkommandiert worden, wo er sich vor allem um das persönliche Wohlbefinden des Prinzen Khalid zu kümmern hatte.

Kapitän Reynolds mochte Bandar, sie arbeiteten gut zusammen, was der Kapitän sehr zu schätzen wusste. Denn nur ein Wort der Kritik aus dem Mund des jungen Bandar, und Reynolds’ Karriere wäre beendet gewesen. Die Saudis zahlten für Toppersonal aus dem Westen exorbitante Löhne, tolerierten allerdings nicht den leisesten Ungehorsam gegenüber den Mitgliedern des Königshauses.

Prinz Khalids Gesellschaft hatte sich mittlerweile in der luxuriösen Hauptkabine eingefunden. Sie war mit einer Bar und einem Speisebereich ausgestattet, der mindestens zwölf Gästen Platz bot. Hier trank man nun weiteren Krug-Jahrgangschampagner aus schwitzenden Magnum-Flaschen zu 250 Dollar das Stück. Auf dem Speisetisch standen zwei große Kristallschalen, von denen eine etwa drei Pfund erstklassigen Beluga-Kaviar aus dem Iran enthielt – und wen kümmerte es schon, dass 100 Gramm davon 350 Dollar kosteten?

Die andere enthielt weißes Puder in vergleichbarer Menge und stand neben einem lackierten Teakholzgestell mit einem Dutzend kleiner, mundgeblasener Kristallröhrchen, die etwa elf Zentimeter lang und leicht gebogen waren. Der Inhalt dieser zweiten Schale war annähernd doppelt so wertvoll wie der Beluga und erfreute sich bei der Gesellschaft ebenso großer Beliebtheit.

Inklusive der Gehälter für die beiden aufwartenden Stewards entsprachen die Kosten für die dargebotenen Erfrischungen dem Marktwert von etwa 600 Barrel saudischen Rohöls, wie es an der International Petroleum Exchange, der Warenterminbörse in London, gehandelt wurde. Das waren über 95 000 Liter Öl. Prinz Khalids Lebensstil fraß den wertvollen Rohstoff schneller auf als die vor einiger Zeit außer Dienst gestellte Concorde.

Nun zog er sich den weißen Puder in die Nase – im Übermaß, so wie er alles tat. Er mochte Kokain. Es gab ihm das Gefühl, dass er die rechte Hand des Königs von Saudi-Arabien sei, des einzigen Landes der Welt, das den Namen der Herrscherfamilie trug. Seinen Namen.

Prinz Khalid tat alles, um sich nicht der unleugbaren Wahrheit stellen zu müssen: dass er nämlich so gut wie nutzlos war. Der Bachelor of Arts, den er an einer erstaunlich kostspieligen Universität in Kalifornien erworben hatte, war bislang seine einzige Errungenschaft. Damit er den Abschluss verliehen bekam, hatte sein Vater den König dazu überreden müssen, der Universität eine neue Bibliothek zu errichten und sie mit Tausenden Büchern auszustatten.

In diesen Tagen, in denen er sich wie jeden Sommer in den herrlichen Hafenstädten des Mittelmeers herumtrieb oder sich in den opulenten Luxus der Shades of Arabia zurückzog, konnte er seine Unzulänglichkeiten nur mithilfe dieser nächtlichen Kokaindosis ertragen. In manchen Nächten allerdings, wenn die Mischung aus Krug und Koks stimmte, hatte Prinz Khalid das Gefühl, als wäre er zu allem fähig. Heute war eine solche Nacht.

Die Droge schoss ihm in den Kopf. Als seine Gedanken wieder klar waren, beorderte er Bandar auf die Brücke, um Kapitän Reynolds zu informieren, dass er, Khalid, das Ruder übernehmen werde, sobald die Leinen gelöst seien – und, das sagte er natürlich nicht, die große Motorjacht mehr oder weniger in die richtige Richtung gedreht worden war. »Der Kapitän soll mich rufen, wenn wir so weit sind«, fügte er noch hinzu und vergewisserte sich, dass Adele seinen scharfen Befehlston auch gehört hatte.

Zehn Minuten später führte er Adele auf die geschlossene Brücke mit ihrem Panoramablick über den Hafen und übernahm das Kommando über die Jacht. Kapitän Reynolds, ein stämmiger Seemann aus dem amerikanischen Nordwesten, der den Großteil seines Lebens auf Frachtern im Puget Sound verbracht hatte, rückte zur Seite und ließ sich auf den erhöhten Sitz des Ersten Offiziers Bandar nieder, der hinter ihm stand. Adele schlüpfte neben Prinz Khalid auf den Platz des Steuermanns.

»Wir sind bereit, Sir«, sagte Reynolds und runzelte bereits besorgt die Stirn. »Nehmen Sie Kurs null-acht-fünf, vorbei an der Hafenmauer vor uns, dann drehen Sie auf eins-drei-fünf, um an der Küste entlangzufahren ... und, Eure Hoheit, achten Sie bitte auf die Geschwindigkeit ... das da vorn an Ihrem Steuerbordbug ist das Patrouillenboot des Hafenmeisters ...«

»Kein Problem, Hank«, erwiderte der Prinz. »Ich fühle mich ausgezeichnet; wir werden einen netten Ausflug machen.«

Und damit gab er Vollgas, trieb die beiden 1800 PS starken DDC-MTU 16V2000-Maschinen auf höchste Umdrehung und donnerte davon. Adele, deren bislang einzige seemännische Erfahrung aus einem Tagesausflug auf einer Fähre von Gravesend nach Tilbury im Südosten Londons bestanden hatte, kreischte auf vor Vergnügen. Hank Reynolds war wie üblich dem Herzstillstand nahe.

Die Shades of Arabia schob sich mit einer Geschwindigkeit von 25 Knoten und einer fast eineinhalb Meter hohen Bugwelle durch den ruhigen Hafen von Monte Carlo. Durch die mächtige Beschleunigung wurden die beiden Kristallschalen vom Speisetisch gefegt, die aufstäubende Kokainwolke ließ in diesem Moment sogar den reinrassigen Perserkater an Bord glauben, dass er ebenfalls zu allem fähig wäre. Selbst in der 15 Meter entfernten Galley klang sein Schnurren noch wie eine dritte Dieselmaschine.

Die Boote und Jachten im Hafen schwankten heftig im schweren Fahrwasser der Shades of Arabia. Gläser und Geschirr krachten zu Boden, Menschen verloren den Halt und wurden gegen Wände geschleudert. Einen Moment lang leuchtete jedem der Sinn der drakonischen Gesetze und Geschwindigkeitsverordnungen ein, die in den französischen Riviera-Häfen galten.

Prinz Khalid verschwendete keinen Gedanken daran. Er raste an der Hafenmauer vorbei, verpasste das Leuchtfeuer an der Backbordseite nur knapp und röhrte ins offene Meer hinaus. Unter der Krug-Koks-Mischung warf er alle Vorsicht buchstäblich über Bord und hämmerte die großen Dieselmaschinen geradewegs in die kaum eine Seemeile vor der Küste beginnenden tieferen Gewässer.

Dort draußen, mit mehr als 60 Faden unter dem Kiel, brachte der Prinz die Jacht auf einen langen geschwungenen Kurs durch die leichte Dünung, zum großen Vergnügen seiner Gäste, die sich mittlerweile alle achtern auf der Aussichtsplattform des Oberdecks versammelt hatten und über die Geschwindigkeit und Wendigkeit des hochseetauglichen Wunderwerks staunten.

Keiner allerdings achtete auf den Suchscheinwerfer eine Seemeile achtern, der zum Patrouillenboot der Küstenwache gehörte. Es war vom Hafenmeister alarmiert worden und hatte mit fast 40 Knoten die Verfolgung aufgenommen.

Die Nacht war warm, der Himmel jedoch von schweren Regenwolken verdeckt, sodass tiefe Dunkelheit auf der See lag. Tatsächlich war es so finster, dass die gewaltige Silhouette des Passagierschiffs nicht zu erkennen war, das eine Seemeile voraus seinen riesigen Anker gesetzt hatte. Obendrein lag leichter, fast schon nebelartiger Dunst auf der See, der in wächsernen Bändern über der Meeresoberfläche schwebte.

So oder so, der 150 000-Tonnen-Cunard-Liner, die Queen Mary 2, war in dieser Nacht extrem schwer auszumachen, obwohl die gesamte Nachtbeleuchtung angeschaltet war. Fahrzeuge, die sich dem Passagierschiff näherten, würden es in 500 Metern Entfernung kaum erkennen, es sei denn, man behielt äußerst sorgfältig den Abtaststrahl des Radars im Auge, was Prinz Khalid natürlich nicht tat. Auch Kapitän Reynolds vernachlässigte den Bildschirm. Stattdessen starrte er voller Todesangst in die Schwärze.

Doch schließlich besann er sich und herrschte den Prinzen an: »Langsamer, Sir. Werden Sie 15 Knoten langsamer. Wir können hier nichts sehen ... wir sind viel zu schnell ...«

»Keine Sorge, Hank«, erwiderte Prinz Khalid. »Ich fühle mich sehr wohl. Außerdem macht es Spaß ... das sind doch die wenigen Minuten, in denen ich mich von den Sorgen um mein Land und meine Verpflichtungen lösen kann.«

Der Kapitän rollte nur mit den Augen, während sein Boss auch noch das Letzte aus der Jacht herauszuholen versuchte – obwohl sie erneut in eine Nebelbank eintauchten und die Sichtverhältnisse auf Höhe des Meeresspiegels noch schlechter wurden.

Die Wache auf dem größten, längsten, höchsten und breitesten jemals gebauten Passagierschiff erfasste allerdings die sich schnell nähernde Shades of Arabia. Sie ließ einen ohrenbetäubenden Signalton ihres Horns erklingen, der zehn Seemeilen weit zu hören war, und befahl augenblicklich, steuerbords die Schraube rückwärts laufen zu lassen, damit sich das große Schiff in letzter Minute drehte und der Motorjacht ihren scharf geschnittenen Bug präsentierte und nicht die 345 Meter lange Rumpfseite. Aber es war zu spät. Viel zu spät.

Die Shades of Arabia schnitt mit Höchstgeschwindigkeit durch den Nebel, die Gäste auf dem Achterdeck lachten und tranken, Prinz Khalid küsste zärtlich Adele, er hatte eine Hand am Gashebel, mit der anderen streichelte er sie. Hank Reynolds, der das Horn der Queen Mary gehört hatte, schrie im letzten Moment »MEIN GOTT!«. Er versuchte noch den Gashebel zurückzunehmen, schaffte es aber nicht mehr.

Die 107 Fuß lange Motorjacht raste backbord voraus in den Ozeanriesen. Der spitze Bug der Shades of Arabia drang sechs Meter tief in die Stahlbeplankung. Der Aufprall erzeugte im Maschinenraum der Jacht, des Prinzen ganzer Stolz und Freude, eine gewaltige Explosion, und das gesamte Boot zerbarst in einem Feuerball. Niemand kam mehr von Bord mit Ausnahme des Leibwächters Rashid, der die Stahlwand auf sich zukommen sah und im letzten Moment vom sechs Meter hohen Deck ins Wasser springen konnte. Wie Ishmael in Moby Dick war er der einzige Überlebende, der von dem Unglück berichten konnte.

Zwei Tage später, in einer Privatresidenz in den nördlichen Vororten Riads, nippte Prinz Nasir Ibn Mohammed al-Saud, ein gläubiger, 56-jähriger wahhabitischer Moslem und rechtmäßiger Erbe des Königs, an seinem türkischen Kaffee und starrte bestürzt auf die Titelseite des Londoner Daily Telegraph.

Unterhalb des sich über sechs Spalten erstreckenden Bildes der schwer krängenden Queen Mary 2 verlief die Schlagzeile:

BETRUNKENER SAUDISCHER PRINZ VERSENKT FAST DAS GRÖSSTE PASSAGIERSCHIFF DER WELT

Luxus-Motorjacht rammt Queen Mary 2 Massenevakuierung in 180 Meter tiefen Gewässern vor Monaco

Das Bild zeigte, was von der Shades of Arabia, die aus dem Bug des Schiffes ragte, noch übrig war. Deutlich war die schwere Schlagseite des mächtigen Passagierschiffes zu erkennen. Beunruhigender allerdings waren die Helikopter der französischen Küstenwache, die über dem beschädigten Schiff kreisten und sich an der Evakuierung der 2620 Passagiere und 1254 Besatzungsmitglieder beteiligt hatten.

Die Rettungsboote waren zu Wasser gelassen, obwohl für das Schiff keine unmittelbare Gefahr bestand. Allerdings konnte es sich aus eigenem Antrieb nicht mehr fortbewegen und würde in den Hafen geschleppt werden müssen, damit es notdürftig repariert werden konnte, bevor es die 2000 Seemeilen lange Fahrt nach Saint-Nazaire in der Loiremündung antrat, zur Werft von Alstom Chantiers de l’Atlantique, wo es gebaut worden war.

Prinz Nasir war entsetzt. Ein in den Text eingefügtes Bild des jungen Prinzen Khalid war untertitelt:

Er starb, wie er gelebt hatte –rücksichtslos bis zum Schluss.

Der Artikel führte die Namen der toten Gefährten des Prinzen auf, beschrieb den Champagnerkonsum im Casino, berichtete von den Verlusten des Prinzen an den Spieltischen, seiner Liebe zu den Frauen und zum Kokain, seinem unglaublichen Reichtum. Lloyds Versicherungsmakler wurden zitiert, die über ihre Verluste jammerten und sich darauf einstellten, enorme Geldsummen an die Cunard-Reederei auszubezahlen für den Kollisionsschaden an dem 800-Millionen-Dollar-Schiff, für Ausfallentschädigungen, für die von Passagieren angestrengten Gerichtsverfahren und für die Kosten, die der französischen Regierung durch die Evakuierung entstanden waren.

Prinz Nasir wusste nur allzu gut, dass es im Moment die größte Story der Welt war. Sie würde über sämtliche Fernseh- und Radiosender der USA und Europas laufen und von allen Zeitungen aufgegriffen werden. Und das noch mehrere Tage lang.

Dem Prinzen war alles daran zuwider. Er hasste die seinem Land zugefügte Demütigung, er verabscheute die unverblümte Verhöhnung des Koran, und er verdammte die Zügellosigkeit des Prinzen und den irreparablen Schaden für das Ansehen Saudi-Arabiens, wenn 20-jährige Männer auf diese wahnsinnige Weise mit Petro-Dollar um sich warfen.

Prinz Nasir würde eines Tages König sein. Das einzige Hindernis, das zwischen ihm und dem saudischen Königsthron stand, war seine vehemente und allseits bekannte Missbilligung des Lebensstils der Königsfamilie. Noch aber war er der nominierte Kronprinz, ein kluger, frommer Moslem, der klar zu erkennen gegeben hatte, dass mit seiner Thronbesteigung dies alles ein Ende haben würde.

Nasir war in politischen und wirtschaftlichen Fragen der herausragende Kopf des Königreichs und in den Korridoren der Macht zu Hause – sowohl in London, Paris und Brüssel als auch in denen des Nahen Ostens. Auf seine vorsichtige, wachsame Art wusste der König seine Ratschläge zu schätzen, aber natürlich hatte Prinz Nasir auch viele Feinde.

Drei Attentate waren auf ihn verübt worden. Das saudische Volk jedoch liebte ihn. Er war der Einzige, der für das Volk eintrat und in Interviews auf den wahren Grund für den Rückgang des staatlichen Einkommenszuschusses hinwies, der in den vergangenen 15 Jahren von 30 000 auf 7000 Dollar pro Bürger und Jahr gesunken war: die astronomischen Ausgaben der königlichen Familie.

Nasir war ein großer, bärtiger Mann, der wie die meisten aus der Herrscherfamilie vom legendären Ibn Saud abstammte. Er liebte die Wüste. Abends ließ er sich häufig in die kühlen, einsamen Sanddünen nördlich der Stadt hinausfahren, wo er sich mit Freunden traf und wo seine Bediensteten auf dem Wüstenboden einen großen, nahezu unbezahlbaren Teppich aus dem Iran ausbreiteten. Ein an drei Seiten geschlossenes Zelt wurde errichtet, und sie unterhielten sich und aßen und sprachen von der bevorstehenden großen Revolution, einer Revolution, die den herrschenden Zweig des Hauses Saud eines Tages hinwegfegen würde.

Der Prinz erhob sich und murmelte wie so oft: »Dieses Land gleicht dem Frankreich vor der Revolution. Eine einzige Familie lässt den Staat ausbluten. Im Paris des 18. Jahrhunderts waren es die Bourbonen. Im Riad des 21. Jahrhunderts ist es die Familie Saud.«

Und dann warf er die Zeitung von sich und sagte lauter: »Das alles muss aufhören!«

KAPITEL EINS

Mittwoch, 6. Mai 2009 King Khalid International Airport, Riad

Die schwarze Cadillac-Stretchlimousine fuhr an der öffentlichen Anfahrtszone vorbei zu einem breiten Doppeltor, das von zwei bewaffneten Wachmännern bereits geöffnet worden war. An jedem Kotflügel des großen amerikanischen Wagens flatterten zwei Stander, die grünen und blauen Insignien der königlich-saudischen Marine. Beide Wachen salutierten, als die ihnen nur zu gut bekannte Limousine vorüberrauschte und zur breiten Piste des Terminal drei abbog, die für die staatliche Luftverkehrsgesellschaft Saudia reserviert war.

In der Limousine saß ein einziger Passagier: Kronprinz Nasir Ibn Mohammed, der stellvertretende Verteidigungsminister. Zwei Wachposten salutierten ihm auf dem Weg zur Startbahn. Eine der neuesten königlichen Boeing 747 wartete bereits mit laufenden Triebwerken. Alle anderen Flüge wurden so lange zurückgestellt, bis der akribisch auf Pünktlichkeit bedachte Prinz in der Luft war.

Nasir wurde vom Chefsteward und einem hochrangigen Marineoffizier zur Gangway des Flugzeugs begleitet. Da der Sohn des Prinzen, der 26-jährige Commodore Fahad Ibn Nasir, auf einer Fregatte im Roten Meer diente, wurde der Prinz bei seinen Reisen im Königreich immer wie ein Admiral behandelt.

Er war der einzige Passagier an Bord. Sobald er in der ersten Klasse im Oberdeck Platz genommen hatte, wurde die Tür verschlossen, und der Pilot gab Schub. Das königliche Passagierflugzeug donnerte mit seiner leichten Fracht über die Startbahn und erhob sich in den klaren blauen Himmel und den warmen Südwind aus der Wüste, bevor es nach links in Richtung Golf abdrehte und dann nach Nordwesten, über den Irak hinweg nach Syrien.

Es kam so gut wie nie vor, dass ein hohes Mitglied der Königsfamilie allein reiste und nicht einmal ein Leibwächter es begleitete, in diesem Fall jedoch war es anders. Denn die Boeing 747 würde noch nicht einmal die halbe Strecke zum eigentlichen Bestimmungsort des Prinzen zurücklegen. Er brauchte sie nur, um Saudi-Arabien offiziell in Richtung eines anderen arabischen Staates zu verlassen. Sein wahres Ziel aber war ein völlig anderes.

Ein Koffer hinten im Oberdeck enthielt seine westliche Kleidung. Nach Erreichen der Flughöhe zog der Prinz ein blaues Hemd mit kastanienbrauner Hermès-Seidenkrawatte samt massivgoldener Krawattennadel in Gestalt eines Wüstensäbels an, darüber einen dunkelgrauen Anzug sowie einfache, in London handgefertigte schwarze Schuhe und dunkelgraue Socken.

Außerdem enthielt der Koffer eine Aktentasche mit mehreren Dokumenten, die der Prinz nun herausnahm. Dann packte er seinen weißen arabischen thobe weg sowie die rot-weiß karierte ghutra mit dem agal, der doppelt geschlagenen Kordel, mit der die Kopfbedeckung befestigt wird. Er hatte den nach seinem verstorbenen Großonkel benannten Flughafen als Araber verlassen. Als internationaler Geschäftsmann würde er in Damaskus eintreffen.

Nach der Landung zwei Stunden später wartete eine Limousine der saudischen Botschaft auf ihn und brachte ihn direkt zum mittäglichen Linienflug der Air France nach Paris. Die Passagiere waren bereits an Bord der Maschine. Keiner von ihnen wusste, dass sie nur auf die Ankunft des arabischen Prinzen warteten.

Das Flugzeug stand abseits der Rollbahn, am vorderen Eingang war eine spezielle Gangway platziert worden. Genau davor hielt der Wagen des Prinzen Nasir, Air-France-Personal begleitete ihn anschließend an seinen Platz. Vier Reihen, insgesamt acht Sitze, waren im Namen der saudischen Botschaft gebucht worden. Prinz Nasir nahm auf Nummer 1A Platz. Die restlichen Plätze würden bis zu dem 35 Kilometer nördlich von Paris gelegenen Flughafen Roissy-Charles de Gaulle frei bleiben.

Das Kabinenpersonal servierte ein von den Köchen der Botschaft zubereitetes Spezialmenü, Curryhuhn mit Reis auf indische Art, dazu Obstsaft und Süßgebäck. Prinz Nasir hatte als frommer Moslem noch nie in seinem Leben Alkohol angerührt und missbilligte jeden seiner Glaubensbrüder, der dies tat. Der verstorbene Prinz Khalid hatte viele Schwächen gehabt. Zweifellos wusste der Kronprinz von den Eskapaden dieses soeben verschiedenen Mitglieds seiner Familie.

Sie flogen über die Türkei und die Balkanstaaten hinweg, überquerten schließlich die Alpen, gingen über dem fruchtbaren Ackerland südlich der Ardennen in den Sinkflug, passierten die Seine und landeten nordwestlich von Paris.

Erneut musste sich Prinz Nasir keinerlei Kontrollen unterziehen. Er stieg vor allen anderen Passagieren aus, benutzte dazu eine eigene Gangway, vor der bereits ein schwarzer Wagen des französischen Staates wartete, um ihn zum schwer bewachten Élysée-Palast zu fahren, seit 1873 Amtssitz des französischen Staatspräsidenten.

In Paris war es kurz nach 16 Uhr, der Flug von Damaskus hatte fünf Stunden gedauert, wobei er zwei Stunden durch die Zeitverschiebung gewonnen hatte. Zwei Beamte erwarteten ihn am präsidialen Privateingang und begleiteten ihn unverzüglich in die Präsidentenwohnung im ersten Stock, die einen wunderbaren Blick auf die Rue de l’Élysée gestattete.

Der Präsident empfing ihn in einem weiträumigen modernen Salon, in dem sechs atemberaubende impressionistische Gemälde hingen – zwei Renoir, zwei Claude Monet und jeweils eines von Degas und Pissarro, Bilder, die auch für 100 Millionen Dollar nicht käuflich zu erwerben gewesen wären.

Der Präsident begrüßte Prinz Nasir in tadellosem Englisch, der Sprache, auf die man sich bereits im Vorfeld geeinigt hatte. Ebenso war vereinbart worden, dass niemand zugegen sein sollte, keine Minister, keine Privatsekretäre, keine Dolmetscher. Die folgenden zwei Stunden vor dem Abendessen würden in einem privaten Rahmen stattfinden, der in der internationalen Politik wenn überhaupt nur selten gegeben war.

»Guten Tag, Eure Hoheit«, begrüßte ihn der Präsident. »Ich hoffe, die Reisevorkehrungen meines Landes waren zu Ihrer Zufriedenheit.«

»Sie waren absolut perfekt«, erwiderte der Prinz lächelnd. »Es hätte nicht besser sein können.« Die beiden Männer kannten sich flüchtig, konnten aber kaum als Freunde, geschweige denn als Blutsbrüder bezeichnet werden. Noch nicht jedenfalls.

Die Tür zum Salon wurde geschlossen, und zwei uniformierte, zur Wachmannschaft gehörende Posten bezogen draußen im Gang Stellung. Der Präsident schenkte seinem Gast Kaffee aus einem Silberservice ein, das auf einem wunderbaren napoleonischen Sideboard stand. Prinz Nasir beglückwünschte den Präsidenten zur Schönheit des Möbelstücks und vernahm erfreut dessen Antwort: »Es hat wahrscheinlich Bonaparte selbst gehört – der Élysée-Palast wurde im 19. Jahrhundert von Napoleons jüngster Schwester Caroline bewohnt.«

Prinz Nasir verehrte die französischen Traditionen. Er war ein hochgebildeter Mann, hatte nicht nur einen in Harvard erworbenen Bachelor of Arts in englischer Literatur, sondern auch eine maîtrise in europäischer Geschichte von der Universität Paris. Zu wissen, dass Bonaparte selbst von diesem Sideboard aus bedient worden war, verlieh dem Kaffee sogleich einen noch volleren Geschmack.

»Also, Eure Hoheit«, sagte der Präsident, »nun müssen Sie mir aber erzählen, warum Sie mich auf diese höchst vertrauliche Weise und so kurzfristig zu sprechen wünschten.« Nur allzu gut wusste er, wie die meisten Araber von hoher Abstammung sich in solchen Situationen verhielten: Sie redeten erst eine halbe Stunde lang über jedes erdenkliche Thema, bevor sie zum Eigentlichen kamen.

Prinz Nasir war sich natürlich bewusst, dass Zeit in diesen Kreisen äußerst kostbar war. Der zur Glatze neigende, stämmige Politiker vor ihm hatte sich schließlich um ein ganzes Land zu kümmern. Er entschied, seine Worte mit Bedacht zu wählen.

»Monsieur«, begann er, »mein Land befindet sich im letzten Stadium des Niedergangs. In den vergangenen 20 Jahren ist es der Herrscherfamilie  – meiner eigenen Familie – gelungen, über 100 Milliarden Dollar der staatlichen Geldreserven auszugeben. Wahrscheinlich verfügen wir mittlerweile nur noch über 15 Milliarden. Und bald werden es zehn Milliarden sein, dann fünf. Vor 20 Jahren noch wurde dem Volk ein großzügiger Anteil an dem Ölreichtum gewährt, mit dem Allah unser Land gesegnet hat. Etwa 30 000 Dollar pro Person und Jahr. Heute liegt dieser Betrag bei etwa 7000 Dollar. Weil wir uns mehr nicht leisten können.«

»Aber Sie besitzen doch 25 Prozent der weltweiten Ölreserven ...«

Prinz Nasir lächelte. »Unser Problem, Monsieur, ist nicht die Schaffung von Wohlstand. Wir könnten das moderne Saudi-Arabien jederzeit aufgeben, wieder in die Wüste zurückkehren und dort darauf warten, dass die Kassen durch die gewaltigen Öleinnahmen aufgefüllt werden und wir wieder zu den reichsten Nationen der Welt gehören. Aber natürlich ist das nicht praktikabel.

Nein, unser Problem ist die skrupellose Geldverschwendung durch die unrettbar verdorbene Herrscherfamilie. Ein hoher Prozentsatz dieser Ausgaben geht unmittelbar auf das Konto der Familie. Abertausenden Prinzen wird ein Lebensstil ermöglicht, den die Erde nicht mehr gesehen hat, seit ... nun ja, seitdem die bourbonische Königsfamilie über Ihr Land geherrscht hat. Ich habe es oft genug gesagt: Saudi-Arabien ist mit dem vorrevolutionären Frankreich zu vergleichen. Monsieur le President, ich beabsichtige, den tapferen Klassenkämpfern des ausgehenden 18. Jahrhunderts nachzueifern. Ich möchte dafür sorgen, dass auch in meinem Land die Rechte des Adels beschnitten werden.«

Die sozialistischen Neigungen des Präsidenten waren nur allzu bekannt. So hatte sein Aufstieg zur Macht als kommunistischer Bürgermeister in einer bretonischen Kleinstadt begonnen. In früheren Zeiten hätte dieser Präsident als Vorhut der Revolution die Tore von Paris gestürmt. Nasir war sich bewusst, dass allein das Wort »Bourbone« ihm augenblicklich die Sympathie des Präsidenten eintrug.

Der Präsident zuckte mit den Schultern und seufzte schwer. Dann hob er die Hände und drehte die Handflächen nach oben. »Ich weiß natürlich von den Schwierigkeiten in Saudi-Arabien ... doch sah ich sie ehrlich gesagt vor allem als Folge Ihrer engen Beziehungen zu den Amerikanern.«

»Das ist ebenfalls ein gravierendes Problem, Monsieur«, erwiderte Prinz Nasir. »Mein Volk sehnt sich nach der Freiheit vom großen Satan. Doch der König ist mächtig, er hegt weltweite Ambitionen und ist erst 48 Jahre alt – unter ihm wäre das unmöglich zu erreichen. Wir sind so eng mit den Ungläubigen verbunden ... obwohl sich die Mehrheit der Saudis nichts sehnlicher wünscht als eine gottesfürchtige islamische Nation. Keine Terroristen, sondern ein religiöses Volk, das im Einklang mit den Worten des Propheten lebt und nicht dem materiellen Glaubensbekenntnis der Vereinigten Staaten anhängt.

Ich will Ihnen eines sagen, Monsieur. Würde Osama bin Laden plötzlich in Riad auftauchen und sich zur Wahl stellen, um Präsident oder gar König zu werden, würde er erdrutschartig gewinnen.«

Der französische Präsident lächelte unsicher. »Ich vermute, es gibt viele saudische Prinzen, die nicht unbedingt exactement mit Ihren Ansichten übereinstimmen«, sagte er. »Ich glaube kaum, dass der junge Mann, der letzte Woche fast die Queen Mary versenkt hat, dem ... äh ... sehr sympathique gegenübergestanden hätte.«

»Sicherlich nicht«, antwortete Prinz Nasir stirnrunzelnd. »Er war das beste Beispiel für das Ausmaß der Verdorbenheit in meinem Land. Taugenichtse wie er lassen mit ihren Exzessen das Land ausbluten. Wenn sie so weitermachen, laufen wir Gefahr, zu einem gottlosen Dritte-Welt-Staat zu werden. Wenn man heutzutage durch einen unserer Königspaläste wandelt, hat man das Gefühl, man würde dem Untergang des römischen Imperiums beiwohnen!«

»Oder des britischen«, entgegnete der Präsident mit einem etwas festeren Lächeln. »Darf ich Ihnen noch Kaffee von Napoleons Sideboard anbieten?«

Obwohl er ihn kaum kannte, hatte Prinz Nasir den französischen Präsidenten immer geschätzt und war nun ungemein froh darüber, ihn näher kennenlernen zu können.

»Danke«, sagte er. Die beiden Männer begaben sich, bereits jetzt im Gleichschritt, zur silbernen Kaffeekanne.

»Nun, Eure Hoheit, Sie skizzieren den sehr bedauernswerten Zustand Ihres Staates, und ich muss Ihnen zustimmen. Wäre ich Kronprinz eines solchen Landes, würde mich die Situation extrem beunruhigen. Der übrigen Welt allerdings vermittelt Saudi-Arabien den Eindruck, als sei es der einzige konstante Machtfaktor im ansonsten so turbulenten Nahen Osten.«

»Das mag vor 20 Jahren noch der Fall gewesen sein, heute aber trifft das nicht mehr zu. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Herrscherfamilie gestürzt werden muss. Es muss ein Ende haben mit den Exzessen und dem kostspieligen Lebensstil der Prinzen. Ebenso mit den kolossalen Militärausgaben, die einzig und allein den Vereinigten Staaten zugute kommen. Alles muss sich ändern, wenn wir wieder die prosperierende Nation sein wollen, die wir einst gewesen sind.«

Der Prinz schritt auf und ab. »Vergessen Sie nicht, als Staat sind wir noch keine 80 Jahre alt. Die jetzigen Mitglieder dieser Familie sind nur eine, vielleicht zwei Generationen von den Männern entfernt, die in den Zelten der Ziegenhirten aufgewachsen und dem Rhythmus der Wüste gefolgt sind, die von Oase zu Oase gezogen sind und sich von Datteln und Kamelmilch ernährt haben ...«

»Sie befürworten doch nicht eine Rückkehr zu dieser Lebensweise?«, fragte der Präsident.

»Nein, Monsieur, keineswegs. Aber ich weiß, dass wir zumindest teilweise wieder zu unseren beduinischen Wurzeln zurückkehren müssen, zu den geschriebenen Worten des Propheten. Ich will nicht weiterhin erleben, dass unsere Söhne Millionen Dollar für westlichen Luxus ausgeben. Wallahi!«, rief er aus – bei Gott –, »was konnte Khalid, von Drogen und Alkohol benebelt, mit diesem Flittchen auf einer Jacht, die eines Präsidenten würdig gewesen wäre, nur im Sinn gehabt haben?«

»Er wollte es sich sehr wahrscheinlich gut gehen lassen«, antwortete der Präsident versonnen und gestattete sich, in Gedanken kurz von den Staatsgeschäften abzuschweifen. »Aber ich verstehe Sie natürlich. Es ist offenkundig nicht rechtens, dass Tausende dieser jungen Männer Monat für Monat auf Kosten des Volkes den saudischen Staatsschatz plündern. Wahrscheinlich haben Sie völlig recht. Es muss etwas getan werden, bald. Ansonsten erhebt sich das Volk gegen den König, und wir werden Zeuge eines Blutbads ... wie wir es im 18. Jahrhundert in Paris erlebt haben. Ihren Worten zufolge wäre das allerdings gerechtfertigt.«

Prinz Nasir nippte an seinem Kaffee. »Das Problem ist nur«, sagte er, »unser König ist sehr mächtig. Er begleicht nicht nur alle Kosten der Familie – keiner der jungen Prinzen bekommt jemals eine Rechnung zu Gesicht, alle weltweit anfallenden Beträge werden direkt von ihm bezahlt. Nein, er kontrolliert auch die Armee, die Luftwaffe und die Marine sowie die Sicherheitskräfte. Nur er kann sie bezahlen. Und sie sind ihm treu ergeben.«

»Wie groß ist die saudische Armee?«

»Fast 90 000 Mann – neun Brigaden, drei Panzer-, fünf Panzergrenadier- und eine Luftlandebrigade. Unterstützt werden sie von fünf Artilleriebataillonen und einem eigenständigen königlichen Leibwachenregiment, das aus drei leichten Infanteriebataillonen besteht. Die Panzerbrigaden besitzen fast 300 hoch entwickelte Panzer, und zwar den amerikanischen M1A2 Abrams. Nun gut, eine unserer Panzergrenadierbrigaden ist vollständig mit französischem Gerät ausgerüstet.«

Der Präsident nickte weise, obwohl er kaum folgen konnte. »Und die Marine?«

»Sie ist die kleinste Teilstreitmacht. Nur einige Korvetten im Roten Meer, einige wenige Lenkwaffen-Fregatten, die, wie Sie sicherlich wissen, von Frankreich geliefert wurden. Aber die Marine ist nicht sonderlich stark.«

»Und die Luftwaffe?«

»Unsere stärkste Waffe. Wir haben mehr als 200 Kampfflugzeuge mit 18 000 Mann Personal. Sie sind auf vier Hauptstützpunkte verteilt, und ihre Aufgabe besteht darin, die Sicherheit des Königreichs zu gewährleisten, insbesondere die der Ölanlagen.«

»Nun, Eure Hoheit, ich möchte sagen, das ist eine Menge Feuerkraft, die sicherlich ausreicht, eine Revolution niederzuschlagen. Wenn unsere bourbonischen Könige und Prinzen nur die Hälfte davon besessen hätten, wären sie noch immer am Ruder und würden plündernd und vergewaltigend durch die Lande ziehen.«

Prinz Nasir konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Er nippte am Kaffee und sagte: »Monsieur, die Achillesferse des saudischen Königs ist nicht die Kampfkraft des Militärs. Sondern, ob er sie bezahlen kann.«

»Aber er hat doch alles Geld der Welt. Jeden Monat fließt es ihm nur so zu«, erwiderte der Präsident.

»Aber was, wenn dem nicht so wäre? Was, wenn er dieses Geld nicht hätte?«

»Sie meinen, wenn ihm jemand alles Öl wegnehmen würde?«, sagte der Präsident. »Das erscheint mir angesichts dieser vielen Panzerbrigaden und Kampfflugzeuge als höchst unwahrscheinlich.«

»Nein, Monsieur. Was, wenn das Öl nicht mehr fließt und der König keine Einnahmen mehr hat, um das Militär zu bezahlen? Was dann?«

»Sie meinen, angenommen, jemand zerstört die saudische Ölindustrie?«

»Nur für eine Weile«, erwiderte der Prinz. »Nur für eine Weile. Lassen Sie mich den Gedanken ausführen.«

Der Präsident, fassungslos über das soeben Gesagte, sah sich im ersten Moment außerstande, den Ausführungen des Prinzen zu folgen. Als er dessen Stimme wieder vernahm, klang dieser wie aus weiter Ferne.

» ... die Terminals am Roten Meer sollten angegriffen und vernichtet werden. Ein weiteres Hauptziel ist Safaniya, eines der größten Ölfelder der Welt, 270 Kilometer nördlich von Dhahran. Die Ölreserven dort belaufen sich auf 30 Milliarden Barrel – bei etwa 500 000 Barrel am Tag reicht das für ungefähr 165 Jahre.

Das größte Terminal am Golf ist Ra’s Tannurah mit einer Tageskapazität von 4,3 Millionen Barrel. Die Ölverladestation liegt vor der Küste auf dem Sea-Island-Terminal, wo auf Plattform Nummer vier jeden Tag über zwei Millionen Barrel in die dort wartenden Tanker gepumpt werden. Ein direkter Angriff auf diese Plattform würde Ra’s Tannurah vollständig lahmlegen, vor allem, wenn man sich auch noch die Pipeline von Abqaiq vornimmt.

Der entscheidende Angriff sollte etwas weiter nördlich, bei Ra’s al Ju’aymah erfolgen, das über eine Kapazität von 4,2 Millionen Barrel am Tag verfügt. Es ist der wichtigste Verladehafen für Flüssiggas, Propan.« Wenn das geschah, fügte der Prinz trocken an, würde ganz Japan plötzlich sehr viel Sushi essen und es mit eiskaltem Sake runterspülen müssen.

»Auf den Terminals von Ra’s Tannurah und Ra’s al Ju’aymah sowie in den Häfen am Roten Meer«, fuhr er fort, »werden im Jahr 4000 Tanker mit saudischen Erdölprodukten beladen. Es dürfte Sie nicht überraschen, dass ARAMCO – die Arabian-American Oil Company –, die sich seit 1980 vollständig in saudischem Staatsbesitz befindet, die größte Ölgesellschaft der Welt ist. Die Konzernzentrale liegt in der Stadt Dhahran in der Ostprovinz, ihre Kapazität liegt bei etwa zehn Millionen Barrel am Tag, auch wenn seit dem Jahr 2000 beträchtlich weniger verladen wird.

Sechsundzwanzig Prozent aller Ölreserven der Welt liegen in der saudischen Wüste – das sind etwa 262 Milliarden Barrel, was bei einem Tagesverbrauch von 5,5 Millionen Barrel an die 130 Jahre reichen würde. Die saudische Königsfamilie ist der alleinige Besitzer von ARAMCO, der jeder Tropfen gehört ...«

Der Präsident lauschte Prinz Nasir mit wachsender Spannung. Was der Prinz vorschlug, war enorm riskant und erschreckend kühn, aber das Risiko schien es wert zu sein. Er brauchte nur noch jemanden, der die Operation sofort in die Wege leiten konnte und sich um alles Erforderliche kümmerte. Und er wusste auch schon genau, bei wem er anfragen musste.

5.00 am nächsten Morgen Außenministerium Quai d’Orsay, Paris

Pierre St. Martin, der französische Außenminister, der die Hoffnung hegte, in absehbarer Zukunft für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, stand neben dem großen Napoleon-Porträt, das an der linken Seite des großzügigen Büros auf einer Staffelei aufgebaut war. Vor ihm stand Gaston Savary, der hagere, finstere Direktor des französischen Auslandsnachrichtendienstes – der Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE), der Nachfolgeorganisation des einst international gefürchteten Gegenspionagedienstes SDECE.

Die beiden Männer waren sich bislang nicht begegnet, und der elegante St. Martin war, offen gesagt, sehr erstaunt, dass er zu dieser unchristlichen Tageszeit in sein Büro zitiert worden war, um anscheinend mit diesem ... Schnüffler aus der Piscine zu reden.

La Piscine war unter Regierungsangehörigen die abschätzige Bezeichnung für die DGSE, da das düstere zehnstöckige Geheimdienstgebäude ganz in der Nähe eines städtischen Bades auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne lag, der Caserne des Tourelles. Die Adresse lautete Boulevard Mortier 141, im 20. Arrondissement am westlichsten Rand der Stadt – nicht unbedingt die Gegend, in der man einen urbanen Außenminister erwarten würde, weshalb der weltmännische, stets makellos gekleidete Monsieur St. Martin noch nie in der Piscine gewesen war.

Nun aber waren sie beide von niemand anderem als dem Präsidenten selbst in die ausladenden Büros am Quai d’Orsay bestellt worden. Zudem sollte der Präsident ebenfalls in den nächsten Minuten eintreffen.

St. Martin, der die Nacht in der Wohnung einer Schauspielerin verbracht hatte, die nach allgemeinem Dafürhalten als die schönste in ganz Frankreich galt, war über diese Störung seines gewohnten Tagesablaufs wesentlich mehr irritiert als Monsieur Savary.

Beide Männer waren etwa im gleichen Alter, um die 50, der Direktor des Geheimdienstes allerdings konnte auf eine lange Karriere als Agent bei Undercover-Operationen zurückblicken. Ein Anruf mitten in der Nacht war für ihn nichts Besonderes. Er war zu jeder Tages- und Nachtzeit sofort einsatzbereit. Mittlerweile war er seit zehn Jahren im Auftrag der französischen Regierung für die Planung verdeckter Operationen verantwortlich, bei denen sowohl Militärpersonal als auch zivile Agenten zum Einsatz kamen.

Savary, ein geschmeidiger, durchtrainierter und leicht mürrischer Mann, hatte sogar selbst an einigen dieser Einsätze teilgenommen. Es hieß, auch wenn er natürlich alles abstreiten würde, er sei im Juli 1985 an der Versenkung des Greenpeace-Schiffes Rainbow Warrior in Auckland, Neuseeland, beteiligt gewesen.

»Würde es Ihnen was ausmachen, den Regenmantel abzulegen?«, fragte der Außenminister. »Schließlich wird uns in Kürze der Präsident mit seiner Anwesenheit beehren.«

Wortlos zog Savary den Mantel aus und warf ihn über die Lehne eines nahezu unbezahlbaren Louis-XV-Sessels.

St. Martin starrte auf den Regenmantel des Spions und schüttelte sich leicht. Dann drückte er einen Knopf, um einen Bediensteten zu rufen, der ihnen Kaffee bringen sollte, Hauptzweck dessen aber war es, das ärgerliche Kleidungsstück loszuwerden. St. Martin hatte seit jeher eine geheime Vorliebe für die Bourbonen und deren exklusiven Geschmack in Einrichtungsfragen gehegt.

»Ich nehme an, Sie haben nicht die geringste Vorstellung, worum es hier geht«, sagte er.

»So ist es«, erwiderte der Geheimdienstchef. »Ich hab nur einen Anruf aus dem Élysée-Palast erhalten, bei dem man mir mitteilte, dass der Präsident mich um 5.15 Uhr in Ihrem Büro sehen möchte. Hier bin ich also, n’est-ce pas?«

»Bei mir war es ganz genauso. Um 1.30 Uhr klingelte das Handy. Weiß Gott, was das soll.«

»Vielleicht möchte der Präsident jemandem den Krieg erklären?«

»Diese Möglichkeit besteht natürlich immer.«

Zum ersten Mal lächelte Savary. In diesem Moment kam, wie gewünscht, ihr Kaffee für drei Personen. Und St. Martin bat den Bediensteten, zwei Tassen einzuschenken, bevor er doch bitte schön den Regenmantel in den Schrank im Flur hängen möge.

Fast gleichzeitig klingelte auf dem riesigen Schreibtisch das Telefon. Es wurde mitgeteilt, dass der Wagen des Präsidenten am Portal des Außenministeriums eingetroffen sei. Pierre St. Martin schenkte den dritten Kaffee selbst ein.

Drei Minuten später musste er erstaunt feststellen, dass der Präsident ganz allein erschien: keine Sekretäre, keine Begleiter, keine Beamten. Er schloss selbst die Tür und sagte mit leiser Stimme: »Pierre, Gaston, ich danke Ihnen, dass Sie so früh Zeit gefunden haben. Würden Sie bitte sicherstellen, dass dieses Gespräch wirklich unter uns bleibt? Vielleicht eine Wache vor die Tür?«

St. Martin gab am Telefon kurze Anweisungen, reichte dem Präsidenten eine Tasse Kaffee und bedeutete allen, Platz zu nehmen. Der Präsident ließ sich auf einem wunderschönen hohen Salonstuhl nieder, der Geheimdienstchef auf dem Louis-XV.-Stück, das vor Kurzem noch von seinem Regenmantel verunziert worden war, während sich der Außenminister hinter seinen Schreibtisch zurückzog.

»Meine Herren«, sagte der Präsident, »vor etwa zwei Stunden hat einer der wichtigsten Prinzen der saudischen Königsfamilie meine Räumlichkeiten verlassen, um mit einem Flugzeug der französischen Luftwaffe nach Damaskus zurückzufliegen und von dort mit einer Privatmaschine weiter nach Riad. Sein Besuch hier war so geheim, so vertraulich, dass noch nicht einmal die höchstrangigen Mitarbeiter der saudischen Botschaft in Paris davon wussten.

Der Prinz ließ mich nicht nur wissen, dass aufgrund des exzessiven Finanzbedarfs der saudischen Herrscherfamilie in Kürze der Staatsbankrott drohe, er schlug auch eine mögliche Lösung dieses Problems vor – zum großen Vorteil für sich selbst und, so muss angefügt werden, auch für Frankreich.«

»Zweifellos angeregt durch den jungen Saudi, der letzte Woche fast die Queen Mary versenkt hat«, warf St. Martin ein.

»Wahrscheinlich«, erwiderte der Präsident. »Allerdings beschäftigen sich die Reformkräfte in der saudischen Regierung schon seit mehreren Jahren mit dem Problem, dass 35 000 Prinzen, alles Mitglieder einer Familie, jeweils bis zu einer Million Dollar im Monat auf den Kopf hauen. Laut meinem Besucher sei es nun an der Zeit, dem ein Ende zu bereiten.«

Zum ersten Mal ergriff Savary das Wort. »Wenn ich Ihren Gedankengängen richtig folge, geht es hier um einen Umsturz. Dieser Prinz wird doch sicherlich erwähnt haben, dass der saudische König unter dem Schutz der überaus loyalen Streitkräfte steht.«

»Ja, Gaston, er ist sehr ausführlich darauf eingegangen. Er hat außerdem darauf hingewiesen, dass der König der Einzige im gesamten Königreich ist, der die Streitkräfte bezahlen kann. Er erhält sämtliche Öleinnahmen des Landes, und er begleicht alle Rechnungen seiner Familie.«

»Die Streitkräfte werden sich also wohl kaum gegen ihn erheben«, sagte Savary.

»Äußerst unwahrscheinlich«, stimmte der Präsident zu. »Es sei denn, die Einnahmen aus den Ölfeldern fallen aus dem einen oder anderen Grund weg ...«

»Und der König kann seine Truppen nicht mehr bezahlen, richtig?«, sagte Savary.

»Genau«, antwortete der Präsident.

»Monsieur, Ihnen wird sicherlich bewusst sein, dass die saudischen Ölfelder durch die Streitkräfte und zusätzliche Verteidigungseinrichtungen äußerst gut gesichert sind«, fuhr Savary fort. »Sie sind im Grunde unüberwindbar – was nur allzu verständlich ist, da das Land, vom reichsten bis zum ärmsten Bewohner, zu 100 Prozent von den Ölfeldern abhängig ist.«

»Nun, Gaston, Sie greifen jetzt etwas vor. Lassen Sie mich Ihnen erst einmal ganz grob mitteilen, welchen Vorschlag der Prinz unterbreitet hat.«

»Ich bin ganz Ohr«, sagte Pierre St. Martin.

»Ausgezeichnet«, kam es vom Präsidenten. »Denn die Informationen sind für unsere Nation vielleicht von entscheidender Bedeutung. Seine Hoheit, Prinz Nasir, denn um ihn handelt es sich, schlägt Folgendes vor: Jemand greift die Ölfelder an und setzt die wichtigste Pumpanlage und die drei oder vier größten Verladeterminals am Roten Meer und am Persischen Golf außer Kraft.

Zwei Tage später, nachdem die Wirtschaft Saudi-Arabiens vollständig zum Erliegen gekommen ist, greift eine kleine, hoch spezialisierte Eliteeinheit die saudische Militärstadt im Südwesten des Landes an der Grenze zum Jemen an, und während das Militär im Chaos versinkt, fliegt eine weitere Spezialeinheit ein und nimmt Riad.

Sie schaltet einige Paläste aus, eliminiert die Königsfamilie, übernimmt die Fernseh- und Radiosender und bringt den Kronprinzen an die Macht. Er zeigt sich im landesweiten Fernsehen und verkündet, dass er die Herrschaft übernommen habe und das korrupte Regime des Königs vollständig hinweggefegt sei.«

»Sie wollen tatsächlich vorschlagen, dass wir an all dem irgendwie teilnehmen?«, fragte St. Martin ungläubig.

Der Präsident hielt kurz inne. »Gewiss nicht. Ich schlage nur vor, dass wir untersuchen, inwieweit es überhaupt machbar ist.«

»Sollte der Militärcoup mit unserer Unterstützung gelingen und der Prinz die Herrschaft über Saudi-Arabien übernehmen – was springt für uns dabei heraus?«, fragte Gaston Savary.

»Nun, als sein engster Verbündeter – und als eingeschworener Gegner aller amerikanischen Bestrebungen – würde Frankreich mit sämtlichen Verträgen zum Wiederaufbau der Öleinrichtungen belohnt werden, dazu würden wir für die nächsten 100 Jahre exklusiv zum Makler saudischen Erdöls werden. Wer kaufen will, muss von uns kaufen. Was heißt, dass wir effektiv den Weltmarkt kontrollieren.«

»Wie lange würde es dauern, bis die Ölanlagen wieder aufgebaut sind?«

»Zwei Jahre vielleicht. Vielleicht weniger.«

»Was ist mit der großen saudischen Armee und Luftwaffe?«

Der Präsident zuckte mit den Schultern. »Was soll mit ihnen sein? Es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben als einzulenken und dem neuen König den Eid zu leisten. Einem toten Herrscher können sie schlecht dienen, n’est-ce pas? Und niemand anderes als der neue Herrscher kann ihren Sold bezahlen. Doch auch dann dürfte es in den ersten Monaten sehr eng werden, bis in den Golf-Terminals wieder das erste Öl fließt.«

»Sie glauben wirklich, dass sich das alles umsetzen lässt, Monsieur?«, fragte Savary. »Militärisch, meine ich.«

»Keine Ahnung. Aber Prinz Nasir glaubt es. Und er meint, wenn es nicht klappt, ist Saudi-Arabien dem Untergang geweiht. Aber wenn er es schafft, die Macht an sich zu reißen, wird er der Bevölkerung unverzüglich mitteilen, dass die massive finanzielle Unterstützung der Prinzen eingestellt wird. Was seinem Finanzminister im Jahr an die 250 Milliarden Dollar Ausgaben erspart.

Außerdem wird er die Rückkehr zum Islam in seiner wahhabitischen Glaubensrichtung ausrufen. Sie verstehen: Einhaltung der Gebete, kein Alkohol, es gelten nur das Wort des Koran und die Lehren des Propheten. Vor allem aber keine Mauscheleien mehr mit Washington. Im Grunde wird das Land zu seinen beduinischen Wurzeln und den alten Lebensformen zurückkehren.

Sie werden dem Ruf der Wüste folgen und ihre Kinder gemäß den alten Traditionen erziehen, wie Prinz Nasir es mit seinen getan hat. Zudem wird auf jeden Fall der Terrorismus nicht mehr finanziert werden. Es wird kein Anlass mehr bestehen, große Summen an Schutzgeldern an Gruppierungen zu zahlen, die sonst Saudi-Arabien angreifen könnten. Ich spreche hier natürlich von den Aberhundertmillionen Dollar, die an Al-Qaida gehen.

ENDE DER LESEPROBE

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Hunter Killerbei William Heinemann, London

Redaktion: Werner Wahls

Copyright © 2005 by Patrick Robinson Copyright © 2007 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN 978-3-641-18400-1

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