In tödlicher Mission H.M.S. Unseen - Patrick Robinson - E-Book

In tödlicher Mission H.M.S. Unseen E-Book

Patrick Robinson

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Beschreibung

Ein geprellter irakischer Spion startet einen Rachefeldzug gegen sein Land. Mithilfe eines «unsichtbaren» U-Boots greift er westliche Ziele an. Der Verdacht fällt auf den Irak. Wie reagiert der Westen? Kann er den Amokläufer stoppen?

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Das Buch

Die H.M.S Unseen ist ein dieselelektrisches U-Boot der Royal Navy; sie gilt als gefährlichstes Unterseeboot der Welt. Bei einer Übungsfahrt sinkt die H.M.S. Unseen – allem Anschein nach jedenfalls. Wenig später verschwinden in kurzen Abständen eine zivile Concorde, die Air Force Three mit dem amerikanischen Vizepräsidenten an Bord und der Prototyp eines Überschallflugzeugs von den Radarschirmen. Admiral Arnold Morgan, der amerikanische Nationale Sicherheitsberater, zählt eins und eins zusammen: Die Anschläge können nur von dem verschwundenen U-Boot aus geführt worden sein, und sie tragen eindeutig die Handschrift Benjamin Adnams, eines altbekannten irakischen Terroristen, der als tot gilt. Zwei Jahre zuvor hatte dieser einen ganz ähnlichen Coup gelandet und einen vollbesetzten Flugzeugträger vernichtet. Aber falls Adnam doch noch lebt, in wessen Auftrag handelt er dann? Und wie kann der skrupellose Top-Terrorist aufgehalten werden? Der fast aussichtslose Kampf mit einem Phantom beginnt.

Der Autor

Patrick Robinson, geboren in Kent/England, schrieb zahlreiche Sachbücher zum Thema Seefahrt und schaffte mit seinem aufsehenerregenden Debüt Nimitz Class auf Anhieb den Durchbruch als Romanautor. Mit den folgenden U-Boot-Thrillern, die zu internationalen Erfolgen wurden und alle bei Heyne erschienen sind, konnte er sich im Genre Militärthriller etablieren. Patrick Robinson lebt heute in Irland und den USA.

Titel der Originalausgabe H.M.S. UNSEEN

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Taschenbuchausgabe 01/2008 Copyright © 1999 by Patrick Robinson Copyright © 2000 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagillustration und Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

eISBN: 978-3-641-18461-2

www.heyne.de

www.randomhouse.de

Inhaltsverzeichnis

Buch und AutorCopyrightWidmungPROLOGKAPITEL EINS KAPITEL ZWEI KAPITEL DREI KAPITEL VIER KAPITEL FÜNF KAPITEL SECHS KAPITEL SIEBEN KAPITEL ACHT KAPITEL NEUN KAPITEL ZEHN KAPITEL ELF KAPITEL ZWÖLF KAPITEL DREIZEHN EPILOG

Dieses Buch widme ich respektvoll den militärischenNachrichtendiensten der Vereinigten Staaten von Amerikaund Großbritanniens, den Leuten, welche die Ozeaneund den Luftraum überwachen.Ihr Fleiß und ihre Genialität bleiben leider viel zu oftohne gebührende Erwähnung.

PROLOG

KAPITEL EINS

26. Mai 2004

Im dämmrigen Licht, das jetzt in der Haifa-Straße herrschte, war es fast unmöglich, daß sich irgendein Abendländer in diesen wimmelnden Bezirk, der zu den ärmsten von Bagdad zählte, verirrt hatte. Männer in Galabiyas, diesen fast bodenlangen, weiten Hemden, besetzten einen großen Teil des schmutzigen Bürgersteigs. Sie saßen einfach im Schneidersitz da, rauchten ihre Wasserpfeifen und verkauften kleine Schmuck- und Kupferstücke. Von der einen Seite dieser Hauptdurchgangsstraße gingen mehrere schmale Straßen in Richtung auf den träge dahinfließenden Fluß, den Tigris, ab.

Zwischen die engen, langsam verrottenden Häuser gezwängt, hatten sich hier winzige Autowerkstätten eingenistet. Der stickige Gestank von Öl und Wagenschmiere hing in der Luft und mischte sich mit dem teilweise nicht minder üblen Geruch von dickem, schwarzen, süßen Kaffee, Weihrauch, Holzkohlefeuer, Zimt, Sandelholz und gebackenem Brot. Kaum eines der Kinder hier trug Schuhe.

Man hätte den Mann also normalerweise einfach nicht übersehen können, als er mit seinem gepflegten Haarschnitt und mit einem Anzug westlichen Schnitts bekleidet aus dem Innenhof einer grüngestrichenen Werkstatt eilte. Wenn nichts sonst, so hätten ihn spätestens die Clubkrawatte und natürlich auch die auf Hochglanz polierten Schuhe verraten müssen. Jetzt blieb er noch einmal stehen, drehte sich um und umarmte im Hinausgehen den älteren, ölverschmierten Mechaniker mit großer Herzlichkeit und sichtlicher Zuneigung. Dabei schaute er seinem Gegenüber fest in die Augen. Eine unverwechselbar arabische Geste, die Geste eines Beduinen.

Kein Zweifel, dieser Mann, der jetzt in westlicher Richtung auf die Haifa-Straße zusteuerte, war ein Araber. Dennoch drehten nicht wenige die Köpfe in die Richtung des Mannes, der zügig voranschritt, während er sich ein ellenlanges Elektrokabel in die Tasche stopfte. Er schien sich auf diesem überfüllten, wuchernden Straßenmarkt gut auszukennen, denn er ging ohne das geringste Zögern mit großen Schritten zwischen den Obst- und Gemüseständen durch und nickte dabei gelegentlich einem Gewürzlieferanten oder einem Teppichhändler zu. Das hocherhobene Haupt und sein dunkler, sauber gestutzter Bart gaben ihm das Flair eines alten Kalifen. Er trug einen seltsamen Namen, der für einen Araber eher fremdländisch klang. Die Leute nannten ihn Eilat. Aber in den Kreisen, die sein Gewerbe kannten, sprach man von ihm etwas formeller als »Eilat Eins«.

Er machte nur noch einmal an einem schmuddeligen Eisenwarengeschäft halt, das 40 Schritte von der Stelle entfernt lag, an der man nach links abbiegen mußte, wenn man zur Ahrar-Brücke wollte. Als er zehn Minuten später wieder aus dem Laden auftauchte, trug er einen weißen Karton mit einer abgebildeten Glühbirne auf der Außenseite in der einen und eine Rolle des breiten, grauen und strapazierfähigen Plastikklebebands, wie es von UPS auf der ganzen Welt verwendet wird, um Pakete zusammenzuhalten, in der anderen Hand.

Eilat bewegte sich auch weiterhin zügig, jedoch ohne erkennbare Hast. Manchmal verließ er kurz den Bürgersteig, um Langsamere zu überholen oder Entgegenkommenden auszuweichen. Sein Körperbau ließ ihn trotz seiner eins achtundsiebzig gedrungen erscheinen. Nachdem er die Brücke überquert hatte, befand er sich in Rusafah, einem anderen Stadtteil von Bagdad, und folgte der Straße hinauf, die zur Rashid-Straße führte. In seiner linken Jackentasche befand sich eine Lederschatulle mit der Tapferkeitsmedaille des Iraks. Erst heute morgen war sie ihm vom launischen Staatspräsidenten höchstpersönlich verliehen worden. Obwohl dieser Orden höchst begehrt war, befürchtete er, daß er nicht besonders viel zählen würde.

Da war etwas in der Art des Präsidenten gewesen, was er als störend empfunden hatte. Sie kannten einander persönlich zwar nicht besonders gut, doch selbst wenn man diese Tatsache berücksichtigte, war die unbehagliche Distanz, die zwischen ihnen beiden herrschte, geradezu körperlich spürbar gewesen. Der Präsident war berühmt für seine fast ekstatischen Begrüßungen, die er all denen zuteil werden ließ, die ihm treu ergeben waren. An diesem Morgen aber hatte es kein Anzeichen irgendwelcher Begeisterung seinerseits gegeben. »Eilat Eins« war wie ein Fremder begrüßt worden und wie ein Fremder wieder gegangen. Er war lediglich von zwei Wachen in den Raum geleitet worden, und die gleichen Männer hatten ihn anschließend auch wieder hinausbegleitet. Er meinte festgestellt zu haben, daß der Präsident die ganze Zeit über den direkten Augenkontakt mit ihm vermieden hatte.

Und jetzt war es an ihm, dem 44jährigen Geheimagenten, dieselbe Ernüchterung zu erleben, die Männer seines Berufs in unterschiedlicher Weise über Jahre hinweg und in den meisten Ländern der Welt erlebt hatten: die eisige Erkenntnis, daß man an einem Punkt angekommen war, an dem es keine Rolle mehr spielte, was man in der Vergangenheit auch geleistet haben mochte; es zählte nicht mehr, weil die Zeit abgelaufen war. Man schickte den Spion zurück in die Kälte. Anders ausgedrückt: Der Agent war für seinen Herrn nicht mehr zu gebrauchen und damit zu einer Belastung geworden. Im Fall von Eilat bestand allerdings auch die Möglichkeit, daß er einfach zu wichtig geworden war. Aber auch dafür gab es nur eine Lösung.

Eilat war zu der Überzeugung gelangt, daß man ihn beseitigen wollte. Des weiteren war er fest davon überzeugt, daß dieses Vorhaben noch heute nacht ausgeführt werden würde. Er schätzte, daß es bereits ein Überwachungskommando gab, das sein kleines Haus beobachtete. Wahrscheinlich hatte es längst in einer kleinen Gasse mit Blick auf die Al-Jamouri-Straße Stellung bezogen. Er würde vorsichtig sein müssen, ruhig und selbstbeherrscht. Aus diesem Attentat auf sein Leben durfte es nur ein mögliches Resultat geben.

Mit unvermindert schnellem Schritt erreichte er die riesige, weit offene Fläche des Rusata-Platzes. Die Straßenlaternen brannten zwar inzwischen, doch brauchte dieser Platz eigentlich keine zusätzliche Beleuchtung. Eine über 15 Meter hohe Statue des Präsidenten stand im Schein von Flutlichtstrahlern, die mehr Strom verbrauchten, als alle Straßenlaternen zusammengenommen. Eilat schwenkte nach rechts, löste seinen Blick vom grell strahlenden Abbild seines Führers und ging, seinen Schritt weiter beschleunigend, westwärts und damit hinüber zum angrenzenden, fast ebenso weitläufigen Amin-Platz mit seinen Moscheen und billigen Hotels.

Dort angelangt, wurde er wieder langsamer, schob sich den weißen Karton unter den Arm und hielt sich rechter Hand so nah an den Gebäuden, daß er fast deren Wände streifte. Es waren zwar viele Passanten unterwegs, doch brauchte er deswegen nicht den Bürgersteig zu verlassen. Ohne sich dessen bewußt zu sein, verfiel er nun in den federnden Schritt der Beduinen, bewegte sich leichtfüßig und spürte dabei, wie ihm der Griff seines langen Stammesmessers mit der stilettartigen Klinge gegen den Rücken drückte. Diese Waffe war in Zeiten persönlicher Bedrohung stets sein ständiger Begleiter gewesen.

Er folgte einfach den Menschen, die in der Al-Jamouri-Straße noch zu dieser späten Stunde ihre Einkäufe erledigten und verlangsamte sein Tempo bis fast zum völligen Stillstand, als er die schmale Gasse neben einem kleinen Hotel erreichte. Sekunden später beschleunigte er seinen Schritt wieder und ging, ohne zu zögern, an der schmalen Passage mit der einsamen, trüben Straßenlaterne, die dort auf halber Strecke stand, vorbei. Im Vorübergehen warf er einen flüchtigen Blick in die Gasse und sah, daß sie bis auf zwei parkende Autos am hinteren Ende leer war. Auch in den Fahrzeugen schien sich niemand aufzuhalten, es sei denn, die Insassen hätten es sich auf dem Boden gemütlich gemacht. Eilat besaß ausgezeichnete Augen und verfügte über ein fotografisches Gedächtnis.

Jetzt blieb er ganz stehen. Sichtlich beunruhigt stand er vor einem der Hotels, schaute auf die Armbanduhr und beobachtete dabei die Passanten. Sein Interesse galt all denjenigen, die plötzlich zögerten, oder jemandem, der auf einmal langsamer wurde und stehenblieb, so wie er es selbst kurz zuvor getan hatte. Zwanzig Sekunden später bewegte er sich zurück in die Gasse und ging langsam auf eine schmale weiße Tür zu, die in eine hohe Steinwand eingelassen war und hinter der sich ein Hof öffnete, der zum Hauptquartier von »Eilat Eins« in Bagdad gehörte.

Mit großer Genugtuung hörte er das rostige Knarren und Quietschen der Scharniere der Außenpforte. Er schob sich an einem alten Fahrrad vorbei und öffnete lautlos die Eingangstür seines dunklen, kühlen Hauses. »Jetzt bin ich aber gespannt, ob sie so tun werden, als kämen sie ›in aller Freundschaft‹«, sagte er zu sich selbst. »Oder werden sie hier einfach mit ihren Kalaschnikows hereinstürmen und alles in Kleinholz verwandeln?«

Er betätigte den Lichtschalter im Erdgeschoß und überprüfte die Anzeige des auf Bodenhöhe angebrachten Laserstrahls, den er installiert hatte, um informiert zu sein, ob jemand während seiner Abwesenheit eingedrungen war. Niemand war dagewesen. Das weiße Licht der Schalttafel an der Wand leuchtete gleichbleibend weiß. Hätte sich jemand am Fenster zu schaffen gemacht oder es gar geöffnet, hätte es rot geflackert.

Wenn ich es mir recht überlege, dachte er, werden sie wahrscheinlich versuchen, mich in den frühen Morgenstunden zu schnappen. Da sie in aller Heimlichkeit vorgehen müssen, werden sie Messer verwenden. Das macht die Sache zwar zu einer schmutzigen, aber immerhin leisen Angelegenheit. Zumindest würde ich so vorgehen, wenn ich ein Mörder wäre. Sie werden kaum schwere Geschütze auffahren, aber andererseits werden sie mir auch nicht offen gegenübertreten, noch nicht einmal »in aller Freundschaft«. Nicht bei meinem Ruf.

Inzwischen war es bereits nach acht Uhr. Eilat ging mit zwei Schraubenziehern an die Arbeit. Einem großen, um eine Klammer in der Wand zu befestigen, und einem kleinen für die elektrischen Anschlüsse. »Der Schlüssel für das Töten im Dunkel der Nacht«, brummelte er dabei, »ist Sicht, genauer gesagt: Nachtsicht.«

Nachdem alles erledigt war, was er sich vorgenommen hatte, plazierte er einen stabilen Holzstuhl hinter der Tür, schaltete alle Lichtquellen aus und zog die Gardinen vor die Fenster. Er setzte sich, um im Stockdunkeln zu warten. Mit weit geöffneten Augen bemühte er sich, die Schatten in der Dunkelheit auszumachen; es dauerte ganze 20 Minuten, bis er wenigstens die geschwungene Kontur des Wasserkrugs auf dem Tisch am Ende der Diele erkennen konnte.

Die zwölfte Stunde kam und ging wieder. Noch immer wartete Eilat geduldig. Er hoffte, es würden nicht mehr als drei von ihnen sein. Wenn sie allerdings … auch gut, war eben nicht zu ändern.

Um ein Uhr morgens stand er auf, ging zu dem Krug und goß sich in eine Steinguttasse etwas zu trinken ein. Nur nichts verschütten. Dann ging er wieder zu seinem Stuhl hinter der Tür zurück und ließ sich, ohne das geringste Knarren auszulösen, auf ihm nieder. Seine Nachtsicht war jetzt perfekt, ein Umstand, den er zu seinem Vorteil nutzen wollte. Das letzte, wonach ihm jetzt der Sinn stand, war eine »gerechte Verteilung der Chancen«.

Sie kamen um genau 19 Minuten nach zwei Uhr, um sich seiner anzunehmen. Eilat hörte, wie das Tor quietschte, und als sich der Türknopf drehte, war er längst auf den Beinen. Der erste Mann, mit einem dunklen Kampfanzug und Wüstenstiefeln bekleidet, trat leise ein. Ein zweiter Mann folgte langsam nach. Er spielte dabei mehr die Rolle des Lauschers als die des Beobachters. Eilat blieb mit fest zusammengekniffenen Augen unmittelbar neben der Tür stehen. Mit den Händen verdeckte er sich das Gesicht, was ihm als zusätzlicher Schutz für die Erhaltung seiner Nachtsicht dienen sollte, denn durch die geöffnete Tür drang von draußen der Lichterglanz der Stadt herein.

Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, bewegte er sich, ohne dabei die Augen zu öffnen. Er hob den rechten Fuß und trat die Tür mit einem donnernden Knall wieder ins Schloß. Sofort drehte er sich wieder mit dem Gesicht zur Wand, die Augen immer noch fest zusammengekniffen.

Die beiden Besucher wirbelten unwillkürlich zur zugeschlagenen Tür herum. Die große Glühbirne darüber, die dem Spotlight eines Theaters alle Ehre gemacht hätte, blitzte mit blendender Helligkeit auf und lähmte sie mit ihrer grellen Helligkeit. Für den Bruchteil einer Sekunde standen die Männer bewegungslos wie die sprichwörtlichen Kaninchen vor der Schlange im gleißenden Scheinwerferlicht. Die Hände der beiden flogen blitzschnell hinauf zu den Gesichtern, aber es war zu spät. Die Glühbirne hatte zwar nur für zwei Sekunden gebrannt, aber die Nachtsicht der Männer in einem für beide lebenswichtigen Moment unwiderruflich zerstört. Nicht so bei Eilat. Er verfügte über die seine noch in vollem Umfang.

Blitzartig stand er hinter dem geblendeten ersten Mann und schmetterte einen massiven Briefbeschwerer aus Glas in das kritische Nervenzentrum hinter dem rechten Ohr des Eindringlings. Auch den zweiten Attentäter schaltete er mit einem ähnlich raschen Manöver aus, drehte sich dann leise um und öffnete die Tür. »Wahrscheinlich haben die einen Wachposten draußen«, murmelte er vor sich hin. »Vielleicht werde ich den auch töten müssen.«

Schnell durchquerte er den Hof, schenkte dem Tor keinerlei Beachtung, sondern kletterte ohne Umschweife mit Hilfe einer alten Holzbank auf die Mauer. Zwei Minuten lang suchte er mit Blicken die Gasse ab, hielt nach einer verräterischen Bewegung, irgendeiner Bewegung, einer Person, irgendeiner Person, Ausschau. Aber da war nichts.

Schließlich stieg er wieder hinunter und ging ins Haus zurück. Wieder im Hauptraum angekommen, schaltete er eine kleine Schreibtischlampe an und holte die Rolle mit dem Kunststoff-Klebeband hervor. Langsam und mit gleichbleibender Effizienz fesselte er Hand- und Fußgelenke seiner bewußtlosen Eindringlinge, indem er mehrere Schichten des Abdeckbandes übereinanderklebte. Er heftete noch ein großes Stück über die Münder und ordnete die beiden reglosen Körper dann an, wie er es sich vorgestellt hatte. Dazu schleifte er sie in die Mitte der Diele, wobei er den Kopf und die Schultern des einen gegen die Brust des anderen Mannes lehnte. Nachdem er sein Werk vollbracht hatte, ging er, ohne einen weiteren Moment zu verschwenden, hinüber in die Küche und schüttete sich eine Tasse von dem Kaffee ein, der schon vor Stunden durchgelaufen war. Seit dem Zeitpunkt, wo Eilat seine Angreifer zu Boden gestreckt hatte, waren nun genau elf Minuten vergangen. Jetzt kehrte er in die Eingangsdiele zurück, wobei er das lange Stilett aus der Scheide zog und eine Position unmittelbar hinter dem Kopf des obenauf liegenden Mannes einnahm, der gerade sein Bewußtsein wiedererlangte.

Noch während er sich über ihn neigte, machte Eilat bereits einen kleinen Schnitt auf der linken Halsseite des Attentäters. Dann, mit einer fachmännisch chirurgischen Drehung des Messers, durchtrennte er die Halsschlagader, eines der größten Blutgefäße des menschlichen Körpers. Er trat schnell einen Schritt zurück, um den sofort pulsierenden Fluten des Blutes zu entgehen. Er wartete einen Moment und ging dann zurück in die Küche, um in aller Ruhe seinen Kaffee auszutrinken.

Das Grunzen des auf dem Boden ausgestreckten, gedemütigten Mannes ließ ihn ein paar Minuten später in die Diele zurückkehren. Die Augen des Meuchelmörders waren in panischer Angst weit aufgerissen, denn er hatte feststellen müssen, daß sein Kollege über ihm verblutete und ihn mit Lebenssaft bekleckerte. Fast zwei Liter durchtränkten inzwischen die beiden ineinander verhedderten Körper, und immer noch trat weiteres Blut aus der Wunde am Hals des sterbenden Mannes aus.

»Salam aleikum – und das passiert vielleicht eher, als dir lieb ist«, sagte Eilat. »Ich nehme an, du hast bemerkt, daß ich gerade deinem Kollegen die Halsschlagader durchtrennt habe. Ich werde nicht zögern, genau dasselbe mit dir zu tun. Das würde dir dann noch etwa acht Minuten, die du zu leben hast, geben. So lange dauert es nämlich, bis ein halber Liter Blut aus dir herausgelaufen ist. Er hier ist schon so gut wie hinüber. Wenn ich du wäre, würde ich ihm rasch noch alles Gute in den Armen Allahs wünschen.«

Eilat ging weg, als ob ihm das rasende Kopfschütteln, das Beinestrampeln und die unterdrückten Schreie des Mannes, der noch lebte, überhaupt nicht interessierten. Als er erneut zurückkam, hielt er wieder das Messer in der Hand.

Er neigte sich vorsichtig vornüber, denn schließlich wollte er kein Blut auf seinen Anzug bekommen, und drückte die Spitze der Waffe fest an den Hals des Attentäters. Als er jetzt sprach, war die Schärfe in seiner Stimme unüberhörbar. »Wenn du leben möchtest, sagst du mir lieber, wer dich geschickt hat und wer genau dir deine Befehle erteilt hat. Außerdem wirst du leise sprechen, wenn ich dir jetzt den Klebestreifen abnehme. Wenn ich auch nur den geringsten Verdacht habe, daß du lügst, bist du im gleichen Augenblick auch schon auf dem besten Weg, deinem Kollegen Gesellschaft zu leisten. Sprichst du zu laut, führt dies unweigerlich zum selben Resultat. Es wird dann noch etwa acht Minuten dauern … aber das habe ich ja bereits gesagt.«

Mit der linken Hand löste er langsam das Klebeband vom Mund des Mannes. Mit der rechten preßte er gleichzeitig das Messer eine Nuance härter an den Hals des Attentäters, ohne ihn jedoch dabei zu schneiden, und sagte: »Sprich leise, und bleib bei allem, was du sagst, bei der Wahrheit …«

»Es war der Präsident, Herr. Er selbst hat es angeordnet«, platzte der Mann heraus. Unkontrolliert zitternd, sprudelte er eine Mischung von Fakten und Flehen hervor. »Bitte töten Sie mich nicht … ich habe Frau und Kinder … bitte … ja, der Präsident … hat meinem Boß gesagt, was wir tun sollen … hatte den Befehl, heute im Büro des Präsidenten anwesend zu sein, damit ich wußte, wer Sie sind. Mein Boß war auch da.« Eilat nickte. Den sterbenden Mann hatte er schon als einen der Wächter wiedererkannt, die ihn zum Präsidenten eskortiert hatten. »Hat gesagt, Sie sollen nach Mitternacht sterben … lautlos. Bitte, Herr, töten Sie mich nicht. Ich hatte keine Wahl …«

Eilat nahm das Messer zurück und klebte ein neues Stück Klebeband fest über den Mund des Mannes. Dann ging er in den Hauptraum zurück und nahm dort drei Pässe und ein paar Unterlagen eines Reisebüros aus der Schublade. Er ließ den Briefbeschwerer in seine Tasche gleiten. Er wollte ihn als Erinnerungsstück an sein Erlebnis der heutigen Nacht behalten. Dann rückte er sich die Krawatte zurecht, knöpfte das Jackett zu und schritt zurück in die Diele, wo er die Pässe und Unterlagen auf dem Tisch an den Wasserkrug lehnte, für den mit Blut besudelten Meuchelmörder gut sichtbar.

Anschließend ging er ins Badezimmer, sammelte Rasierzeug, Zahnpasta und Seife ein und tauchte dann mit einem schmalen, elegant aussehenden Lederkoffer in der Hand wieder in der Diele auf. Er schaltete alle Lichter aus und setzte sich eine Viertelstunde lang in die Dunkelheit, damit sich die Pupillen wieder weiten konnten und er auf diese Weise seine Nachtsicht wiedergewann. Schließlich stand er auf und sagte beiläufig: »Nun, ich werde dich jetzt verlassen und für eine Weile nicht zurückkommen. Ich habe eine ziemlich lange Reise vor mir. Man wird vermutlich in ein paar Stunden jemanden nach euch schicken. Ach, was mich übrigens noch interessiert: Ihr habt nicht rein zufällig eine Wache in der Gasse postiert, oder? Lüg mich lieber nicht an, denn wenn ich eine solche töten muß, werde ich umgehend zurückkommen und dich auch umbringen.«

Er fühlte mehr, als daß er es wirklich sah, wie der Mann geradezu fieberhaft den Kopf schüttelte. »Sehr gut, alter Junge«, sagte Eilat. »Ich vermute, du wirst mich nicht wiedersehen wollen. Keine Sorge, das wirst du auch nicht – es sei denn, du hast mich angelogen.«

Die erstarrte Palastwache nickte nachdrücklich. Eilat verließ die Wohnung und ging hinaus in den Hof, wo er das ramponierte, alte Fahrrad von der Wand wegzog, wo es im Schatten gestanden hatte. Schnell entledigte er sich des Anzugs, des Hemdes, der Krawatte und der Schuhe. Aus einem Kleidersack, den er hinter dem Fahrrad verborgen hatte, zauberte er alte, gebrauchte arabische Gewänder hervor, dazu einen Turban und Lederriemenschuhe. Er zog sie an und stopfte seine westliche Kleidung in den Sack, den er sich daraufhin über die Schulter warf. Anschließend schob er, gleichzeitig die gebückte Haltung eines älteren Mannes annehmend, das Fahrrad durch die Pforte hinaus und machte sich auf den Weg. Scheinbar unter großen Schmerzen leidend, hinkte er von der Al-Jamouri-Straße fort auf das andere Ende der Gasse zu.

Vor über einem Jahr schon hatte er eine widerlich schmutzige Dachkammer im obersten Stock eines kleinen Apartmentblocks gemietet, der kaum 50 Schritte von seinem Haus entfernt an derselben winzigen Straße lag. Es war also nur eine Angelegenheit weniger Minuten, dort hinzugelangen, das Fahrrad unten im Hof stehenzulassen und die drei Treppen hochzusteigen. In seinem Zimmer angekommen, rasierte er sich den Bart bis auf einen dicken schwarzen Schnurrbart ab. Während er damit beschäftigt war, bereitete er sich geistig schon auf die neue Rolle vor, die er für die kommende Zeit annehmen wollte: ein Straßenhändler, der seine Waren auf Rashids Kupfer- und Goldbasar feilbot. Dieses neue Leben würde er den ganzen kommenden Monat führen, zumindest aber so lange, wie die Sicherheitskräfte des Präsidenten jeden Flughafen, Seehafen, Busbahnhof und Bahnhof im Land eisern im Griff hielten, während sie versuchten, Iraks meistgesuchten Geheimdienstoffizier aufzuspüren. Den Mann mit den drei Pässen.

Und wenn sie dieses Land tausend Jahre lang durchsuchen, sinnierte Eilat, während er das Rasiermesser säuberte, ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sie jemals, jemals auf die Idee kommen, ausgerechnet in der Straße nach mir zu suchen, aus der ich verschwunden bin – also an meinem zuletzt bekannten Aufenthaltsort.

Ein Monat später

In den vergangenen vier Tagen hatte Bagdad unter der Gluthitze des Juni gekocht, bei der das Thermometer nicht selten auf über 40 Grad angestiegen war. Selbst die Nächte hatten keine echte Erholung gebracht, weil noch nicht einmal eine kühlende Brise von den östlichen Grenzen der syrischen Wüste herüberwehte. Die ganze Woche über hatte es draußen in den zentralen Ebenen fürchterliche Sandstürme gegeben und die heißen Winde ließen die über vier Millionen Einwohner von Bagdad unter der gnadenlos auf sie einprügelnden Sonne dahinwelken. Aber wie dem auch sein mochte, Eilat mußte los.

Er wartete bis zur Nacht des 26. Juni, packte gegen zehn Uhr abends den schweren Kleidersack zusammen und räumte sein Zimmer. Dann holte er das Fahrrad, das an seinem gewohnten Platz unten im Hof stand. Die Hitze traf ihn wie das Gebläse eines Hochofens, als er hinaus in die dunkle Gasse schlurfte. Genau wie er es dem Mann gegenüber bereits angekündigt hatte, als er vor einem Monat dessen Leben verschonte, ging er fort und würde für eine Weile nicht zurückkehren.

Eilat war zwar in Form, doch hatte er zur Zeit mit wohlüberlegter Absicht etwas Übergewicht. Während des letzten Monats hatte er fast sieben Kilo zugelegt, indem er sich eine sorgfältig durchdachte Diät aus Hühnchen, Lamm, Reis und Pitabrot auferlegt hatte, die er mindestens zweimal am Tag zu sich nahm. Schon als er die Al-Jamouri-Straße erreichte, schwitzte er heftig. Sobald er an der breiten Durchgangsstraße angelangt war, bestieg er das alte Rad und brach in südöstliche Richtung auf, wobei er auf die große Flußbiegung zusteuerte. Dort macht der Tigris einen Bogen nach Westen und fließt um die Universität herum, bevor er sich wieder in einer mehr als 14 Kilometer langen Schleife nach Osten wendet und über die südliche Grenze aus der Stadt hinausfließt. Gemächlich radelte er weiter und folgte dem langen Bogen der Dora-Schnellstraße, bis er zu der Stelle gelangte, an der dieser über den Fluß führte. Hier unten entlang der Sadoun-Straße war Bagdad nicht nur dunkler, sondern auch ruhiger, und es gab nur wenige Menschen, die sich über den Fateh-Platz bewegten. Eilat fuhr weiter, bis er die Stelle ausmachen konnte, an der die riesige, aber langweilige Überführung der Schnellverkehrsstraße zu einer wirklich spektakulären Brücke wird.

Hier stieg er ab, verließ die öffentlichen Straßen und schob das Rad durch die Dunkelheit, bis er den noch tieferen Schatten der Brücke erreicht hatte. Er verbarg das Fahrrad unter einem Gebüsch und bewegte sich anschließend zu Fuß entlang des Tigrisufers weiter. Es war der großartige Fluß, den er seit seiner Kindheit liebte, und er war sich der Tatsache bewußt, daß dies wahrscheinlich sein letzter Spaziergang am ruhig dahinfließenden braunen Wasser des Tigris sein würde. Eine lange Reise stand ihm bevor: die ganzen 360 Kilometer am Flußlauf entlang. Er hatte die Route bis ins kleinste Detail geplant, hatte aber auf seiner handgezeichneten Karte, die er in der Tasche seines Umhangs trug, keine einzige Bezeichnung eingetragen. Diese Zeichnung konnte ihm unter Umständen zum Verhängnis werden, aber in dieser Ausführung wäre sie in den Händen eines jeden anderen totales Kauderwelsch. Er hatte auch einen kleinen Militärkompaß dabei, den er seit Jahren besaß. Er hatte vor, sich mit derselben Geschwindigkeit zu bewegen, die auch die Truppen Napoleons auf ihrem Marsch auf Moskau eingehalten hatten – sechs Kilometer pro Stunde hatten sie damals geschafft, ungeachtet der vollgepackten Tornister und ihrer Musketen. Sollte er irgendwo unterwegs ein schattiges Plätzchen finden, würde er tagsüber schlafen, um dann während der Nacht weiterzulaufen. Dann war es zumindest ein bißchen kühler – wenn auch nicht wesentlich. Auf seinem weiteren Weg nach Süden würde er unter der in den dortigen Sumpfgebieten herrschenden, erdrückenden Feuchtigkeit zu leiden haben. Wahrscheinlich würde er dann mit jedem Schritt gleich pfundweise an Gewicht verlieren. Sollte es keinen Schatten geben, in dem er sich tagsüber verstecken und ausruhen konnte, hatte er sich vorgenommen, ungeachtet der gleißenden Wüstensonne einfach weiterzumarschieren.

Eilat war von Geburt Beduine. Daher war er ein Verfechter der stolzen beduinischen Ansicht, daß nur Menschen seiner Art und Herkunft überhaupt in der Lage seien, im unbarmherzigen Sommerklima seines Heimatlandes überleben und dabei – falls erforderlich – auch tagelang ohne Nahrungsaufnahme auskommen zu können. Für ihn gab es nicht den geringsten Zweifel daran, daß er sich noch nicht einmal vom größten Sandsturm würde einschüchtern lassen. Wasser hatte er natürlich dabei, doch würde er bei weitem nicht so viel davon benötigen wie irgend ein anderer Mensch, der eben kein Beduine war.

Er wünschte sich – und das nicht zum ersten Mal –, daß er immer noch Zugriff auf eines der Kamele seines Vaters hätte. Wenn er die Augen schloß, konnte er sich noch leicht den unermüdlich schwankenden Rhythmus ihres Schrittes, das endlose Klopfen der breiten Hufe auf dem Wüstenboden vorstellen. Aber all das war Bestandteil seiner längst verlorenen Jugend, die er draußen am Rande des Zentralplateaus verbracht hatte, weit den Flußlauf hinauf im Norden des Landes. Damals war das Leben einfach gewesen – und er ein wirklicher Sohn Iraks.

Irak – das Land, das ihn später jahrelang ausgenutzt hatte, oft unter Umständen, die mit unglaublichen Gefahren verbunden waren. Das Land, das ihn jetzt auf die brutalste aller Weisen betrogen hatte. Eilat schäumte innerlich vor Wut über die ungerechte Behandlung, die ihm vom Präsidenten zuteil geworden war. Er hatte die Gefühlskälte in den Augen des Mannes gesehen, als dieser ihm die Tapferkeitsmedaille verliehen hatte, und es wollte ihm immer noch nicht in den Kopf, warum man ihn für eine Schnellexekution vorgesehen hatte, nach all dem, was er zum Wohle seines Landes geleistet hatte. In der Vergangenheit hatte man ihn bezahlt, gut bezahlt. Er konnte noch über fast eine Million Dollar verfügen, die als Guthaben auf vier verschiedenen Banken auf der ganzen Welt verteilt waren, und er hatte auch etwas Bargeld bei sich, allerdings in Dinar und Rial. Aber der Gedanke kam immer wieder: Der Präsident hatte ihn nicht etwa erst fallengelassen, sondern gleich seinen Tod gewünscht. Und nun, innerhalb eines Monats, hatte er, Eilat, all dem Haß, der in seiner Seele schwelte, dem Haß, der ihn die ganzen einsamen Jahre hindurch aufrechterhalten hatte, ein neues Feindbild gegeben.

In der arabischen Denkweise hängt die Flagge des Stolzes am höchsten Fahnenmast. Der Stolz der Beduinen allerdings geht noch darüber hinaus, er ist unbeugsam. Der biblische Begriff von Rache besitzt im Irak Allgemeingültigkeit und wird von jedem akzeptiert. Zeit ist dabei kein Hindernis – Zeit existiert nicht. In einem Land, das sechs Jahrtausende überlebt hat, ist ein einzelnes Jahr nur ein Herzschlag, ein Jahrzehnt nur ein kurzer Moment. Eilat würde seine Rache bekommen. Dessen war er sich sicher. Er hatte sein Leben im Dienste seines Landes verbracht, hatte nie geheiratet, nie wirklich geliebt – bis auf ein einziges Mal. Und die Erkenntnis, seine Jahre verschwendet zu haben, vergeudet an einen ungetreuen Herrn, ließ ihn nicht in Ruhe, während er stetig weiter am Ostufer des dunklen Tigris entlanglief.

Um Mitternacht strahlte der Mond hell und leuchtete ihm den Weg. Zu seiner Linken konnte er in der Ferne die Scheinwerfer von Autos sehen, die auf der Hauptstraße fuhren, welche Bagdad mit dem Hafen von Basra im Süden verbindet. Wenn er das sandige, spärlich besiedelte Flachland zwischen dem Fluß und der Schnellstraße überqueren würde, könnte er möglicherweise per Anhalter oder in einem Bus mitfahren, zumindest würde er auf dem flachen Gelände der ausgebauten Straße und deren Standspur erheblich besser vorankommen, weil ihm dort das Gehen leichter fallen würde. Aber Eilat stand auf den Fahndungslisten, war in seinem eigenen Heimatland auf der Flucht, und er hatte nicht das geringste Interesse daran, aus der Nähe gesehen zu werden – ganz gleich von wem auch immer. Er ging davon aus, daß sowohl das Heer als auch Polizei Beschreibungen von ihm haben würden und daß er inzwischen als Mörder und Staatsfeind gebrandmarkt sein würde. Das war, wie er fand, schon etwas deprimierend … aber immer noch erheblich besser, als tot zu sein.

Er lächelte bei der Vorstellung, wie lange und entschlossen sie wohl nach einem gutgekleideten, bärtigen Geschäftsmann in westlicher Kleidung gesucht haben mochten, der bestrebt war, außer Landes zu flüchten. Eilat wußte zwar, die Chance würde als sehr gering einzustufen sein, daß jemand einen solchen Mann mit diesem vergammelten Araber vom Lande in Verbindung bringen würde, der mit seinem Hausierersack auf dem Rücken und dem gebückten Gang eines alten Mannes dahinwanderte; aber für Eilat barg selbst »gering« noch ein Restrisiko. Er pflegte nur mit kaltblütiger, an Sicherheit grenzender Gewißheit zu operieren. Wenn er von niemandem gesehen wurde, konnte er auch nicht wiedererkannt werden. Also ging er weiter durch die heiße Nacht, bewegte sich, so schnell er konnte, durch den Sand, auch wenn er nicht mehr so schnell vorankam wie Napoleons Armee.

Noch vor sechs Uhr morgens ging die bereits vor Hitze pulsierende Sonne am östlichen Himmel auf. In der Ferne konnte Eilat die Überreste der antiken Parther-Stadt Ctesiphon ausmachen. Er wußte, daß sie gute 30 Kilometer südlich von Bagdad an den Ufern des Flusses lag. In der Morgendämmerung konnte er allerdings nur den großen, gewölbten Bogen ausmachen, der im zweiten Jahrhundert vor Christus gebaut worden war und auch heute noch die Ruinen überragte. Vor Eilat lag noch ein Fußmarsch von weiteren 45 Minuten. Er nahm den ersten Schluck des neuen Tages und trank fast einen halben Liter Wasser; nötigenfalls konnte er ja seine beiden Lederschläuche irgendwo in der alten Stadt wieder auffüllen.

Gegen acht Uhr stand die Sonne schon sehr hoch, und die Temperatur näherte sich bereits der 40-Gradmarke. Er hatte die alte Stadt erreicht und dort ein von Gästen verlassenes Kaffeehaus gefunden. Jetzt saß er allein mit dem Gesicht zur Wand in einer Ecke und verschlang ein umfangreiches Frühstück aus Eiern, Toast und Hühnchen mit Reis. Er trank Orangensaft und Kaffee und gab der Bedienung Geld, damit sie ihm seine Wasserbehälter wieder auffüllen ließ. Der geforderte Preis war, im Gegensatz zu dem, was er in Bagdad dafür bezahlt hätte, minimal.

Der nächste Abschnitt des Flusses wand sich rund 160 Kilometer bis hinunter nach Al Kūt. Ein Spaziergang, gegen den Eilat nichts einzuwenden hatte. Die flache Landschaft, von der erbarmungslosen Sonne braungeprügelt, war praktisch jeden menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens beraubt worden. Er wußte, daß er nahe beim Wasser gelegentlich an vereinzelten Dattelpalmen vorbeikommen würde, die von freundlichen und großzügigen Bauernfamilien gehütet wurden, die ihm vielleicht etwas zu trinken anbieten und sich bestimmt mit ihm unterhalten wollten. Aber es gab nichts, was er ihnen hätte erzählen können. Der Präsident hatte ihn zu einem Ausgestoßenen im eigenen Land gemacht, und er fühlte sich bereits jetzt so fremd, als müßte er all seine innersten Gedanken auch schon vor solch einfachen Leuten vom Lande verstecken, Menschen, für die er einmal bereit gewesen war, sein Leben zu geben.

Vielleicht wäre eine solche Entwicklung bei ihm sowieso unvermeidlich gewesen, weil er so viele Jahre weit weg von zu Hause verbracht hatte. Diese Abwesenheit mochte mit dazu beigetragen haben, daß sich in den Männern an den Schaltstellen der Macht das Gefühl breitgemacht hatte, ihm nicht mehr voll und ganz vertrauen zu können. Bis zu einem gewissen Grad konnte er diesen Denkprozeß auch verstehen – war er sogar berechtigt. Aber die blinde Ungerechtigkeit dessen, was ihm widerfahren war, verkörperte für Eilat eine Verletzung seiner Ehre. Und das war der Punkt, mit dem er unmöglich leben zu können glaubte.

Noch bevor es zehn Uhr war, verließ er das Kaffeehaus schon wieder und wanderte zum verfallenen Stadtrand von Ctesiphon, ging den Menschen aus dem Weg und suchte nach einem ruhigen, geschützten und in Richtung Norden weisenden Platz, um dort bis zum späten Nachmittag zu schlafen. Anschließend würde er wieder essen und trinken, um dann zu seinem zweiten Nachtmarsch aufzubrechen. Er fand ein kleines, niedriges, verdrecktes Haus – eigentlich nur drei Steinwände mit einem Dach darüber –, dessen offene Seite flußaufwärts lag, also in diejenige Richtung wies, aus der er gekommen war. Im Inneren des Hauses war es zwar heiß, aber der Schatten, den es spendete, war immerhin etwas. Eilat war erschöpft und das ausgiebige Frühstück hatte ihn schläfrig gemacht. Aber zuerst einmal drehte er sich zur hinteren Wand, hinter der in Peilung zwo-null-fünf und einer Entfernung von gut 1300 Kilometern Mekka lag, die heilige Stadt der Moslems. Er kniete im Staub nieder und unterwarf sich demütig der Gnade seines Gottes, als er ihn um Vergebung bat.

Eilat schlief ungestört acht Stunden lang. Den Kopf hatte er auf die weichen Lederschläuche gebettet, die rechte Hand lag am Griff des Wüstenmessers unter seinem Gewand. Der Boden war rauh und hart, aber das störte ihn nicht weiter, und er lag still da.

Da die Entbehrungen des Lebens das Erbe aller sind, die dem arabischen Wüstensand entstammen, war sich Eilat, ganz gleich, wie weit er in seinem Leben schon herumgekommen war, immer vollends des ungeschriebenen Gesetzes bewußt, daß er allem und jedem in diesem wilden, heißen Land seiner Herkunft würde standhalten können. Es war, als würde in ihm der ferne Ruf seiner Vorväter aus den syrischen Wüsten widerhallen: Bedenke immer, wer du wirklich bist. Du wirst immer ein Beduine sein.

Gegen acht Uhr abends war er schon wieder unterwegs, schritt weiter den Fluß entlang, wünschte sich, dieser würde einen geraderen Verlauf haben, hoffte, auf niemanden zu treffen, und verfluchte den Boden, über den der irakische Präsident wandelte. Eilat fragte sich einmal mehr, was die Zukunft für ihn wohl bereithalten würde. Er hatte zwar einen Plan, aber es könnte durchaus sein, daß dieser nicht aufging. Das erste Mal in seinem ganzen bisherigen Leben stand er allein gegen den Rest der Welt – mutterseelenallein. Das Band, das ihn so lange mit dem Irak verbunden hatte, war durchtrennt, und es konnte niemals wieder geflickt werden.

Er hielt fast vier Tage lang seine Generalrichtung Südost entlang des Flusses bei. Er war allein und war, so weit er es beurteilen konnte, auch nicht beobachtet worden. Er sprach mit niemandem, streckte sein Wasser und teilte sich sein Pitabrot ein. Tagsüber brannte die Sonne erbarmungslos auf ihn herab, und Schatten war so spärlich, daß es nur kurze Zeit dauerte, bis er völlig jenseits seiner Zeitplanung lag. Er schlief nur noch, wenn er absolut nicht mehr konnte, und marschierte die übrige Zeit seines Wegs. Dabei schaffte er jedoch immerhin durchschnittlich 40 Kilometer pro Tag ohne Zwischenfälle. Allerdings verlor er gut fünf Kilo seines Körpergewichts.

Spät am Nachmittag des 1. Juli befand er sich gerade knapp zehn Kilometer nördlich der am Ufer des Flusses gelegenen Stadt Al Kūt, als er kaum 200 Schritte vor sich sein erstes potentielles Problem entdeckte. Da stand doch am Ende eines kleinen Hains von Dattelpalmen ein getarnter Jeep der irakischen Armee! Er konnte keinerlei Anzeichen entdecken, daß es hier einheimische Bauern gab, weit und breit war keine Behausung zu sehen, und bis auf die beiden uniformierten Soldaten, die an ihrem Fahrzeug lehnten, schien das Gebiet völlig verlassen zu sein. Für ihn war es jetzt aber bereits zu spät, um noch anzuhalten oder gänzlich vom Weg abzubiegen. Sie mußten ihn eigentlich schon entdeckt haben. Trotz der beruhigenden Maskierung durch sein arabisches Gewand, das er inzwischen durch einen in dieser Gegend weitverbreiteten, leuchtendrot karierten Kopfschmuck vervollständigt hatte, wußte Eilat, daß es nicht auszuschließen war, daß sie ihn nach seinen Papieren fragen würden.

Auf seinen langen Stock gestützt, den er sich irgendwo auf seiner Reise abgeschnitten hatte, ging er etwas langsamer weiter und näherte sich den beiden humpelnd und blieb immer wieder stehen. Er behielt die beiden Männer im Auge, während er geradewegs in Richtung Jeep und der Soldaten weiterging. Beide Soldaten trugen automatische Gewehre mit kurzem Lauf, möglicherweise ein altes russisches Modell. Er war fast auf gleicher Höhe mit ihnen, als der ältere der beiden ihn schroff und mit autoritärer Stimme ansprach: »He, alter Mann. Iraker?«

Eilat nickte nur, ging weiter und humpelte, was er besonders betonte, an ihnen vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er, daß sie ihn nicht weiter beachten würden, doch schon befahl der gleiche Soldat: »Halt! Stehenbleiben!«

Eilat war eigentlich nicht überrascht. Schließlich bewegte er sich hier durch ein besonders heikles Gebiet des Landes. Al Kūt ist die Stadt, wo der Tigris sich gabelt, und eben hier war seit Jahren ein großes Entwässerungsprojekt im Gange, das zum Ziel hatte, die Sümpfe trockenzulegen und die wilden Feuchtgebiete zu zerstören, die der Lebensraum der alteingesessenen und potentiell rebellischen Araber waren. Nach Meinung Saddam Husseins war das Feuchtgebiet zu sehr zum Rückzugsgebiet für Armeedeserteure und selbst für aufrührerische Iraner geworden. Auch heute durchzogen noch Horden von Deserteuren die feuchten, überwucherten Gebiete, die noch nicht trockengelegt waren. Eilat war bekannt, daß es in diesem Gebiet hier von Soldaten nur so wimmelte. Das Marschland war nach wie vor nicht unter Kontrolle – trockener zwar, aber eben nicht unter Kontrolle.

Er gehorchte dem Befehl des irakischen Offiziers, drehte sich langsam um und sprach sanft den traditionellen Gruß der Wüste: »Salam aleikum.« Friede sei mit dir.

Der Offizier war ein Mann um die 35 Jahre, groß und dünn, mit einem hakenförmigen Zinken als Nase, tiefliegenden, dunklen Augen und vollen Lippen. Er lächelte nicht.

»Papiere?«

»Ich habe keine, Herr«, sagte Eilat. »Ich bin nur ein armer Reisender.«

»Wohin geht die Reise?«

»Ich suche meinen Sohn, Herr. Das letzte Mal, als ich etwas von ihm gehört habe, hat er sich in An Nāşirīyah aufgehalten, und das war vor drei Jahren. Bis auf ein paar Dinare besitze ich kein Geld, und das ist gerade genug für etwas Brot in Al Kūt.«

»Und dann hast du vor, am Shaţţ al Gharrāf entlangzulaufen? Über 190 Kilometer?«

»Ja, Herr.«

»Mit nur einem Laib Brot, ganz allein und ohne Papiere?«

»Ja, Herr.«

»Wo lebst du?«

»In Bagdad, Herr. Im Süden der Stadt.«

»Ein Stadtaraber ohne Papiere?« Der Ton des Offiziers hatte eine skeptische Färbung angenommen. »Und was trägst du in diesem Sack?«

»Nur Wasser, Herr.«

»Zeig her«, sagte der Offizier und sprach damit genau die beiden Worte aus, die sein Leben beenden würden.

Eilat drehte sich langsam zur Seite, wirbelte aber schnell wie eine angreifende Kobra wieder zurück und rammte dabei das Ende seines Stocks mit ungeheurer Gewalt in den schmalen Zwischenraum zwischen den Augen des Offiziers, unmittelbar über dessen Nasenbein. Alle drei Männer hörten, wie der Stirnknochen splitterte, aber für den irakischen Offizier war es das letzte Geräusch, das er auf dieser Welt hörte. Eilat schlug mit der Faust einen rechten Haken und rammte dem Mann dessen riesengroße, schnabelförmige Nase völlig in den Schädel.

Der jüngere Soldat stand wie versteinert da, den Mund in völliger Verblüffung weit geöffnet. Er konnte es offenbar nicht fassen, was er gerade erlebt hatte: Dieser ältliche, offensichtlich auch noch verkrüppelte Reisende hatte seinen Vorgesetzten glatt in kaum zwei Sekunden getötet. Er hielt die Hände weit vom Körper gestreckt und wollte irgend etwas sagen – vielleicht Worte, um sich zu ergeben. Aber dafür war es zu spät. Eilat war schon über ihm und stieß ihm das Messer zwischen die Rippen, geradewegs in das Herz des jungen Mannes hinein. Der Soldat war schon tot, bevor er im Sand aufschlug.

Eilat trat und rollte die beiden Leichen unter den Jeep, suchte und fand den Werkzeugkasten und schob diesen an ihnen vorbei ebenfalls unter das Fahrzeug. Dann trennte er den Bezug eines der Vordersitze auf und schnitt das Material in drei lange Streifen, die er dann zu einem etwa zwei Meter langen Strick zusammenband. An dessen Ende knüpfte er einen Henkersknoten, den er anschließend in den Tankstutzen zwängte, um dann den Rest fast vollständig folgen zu lassen. Sobald er sich sicher war, daß sich das Material mit Benzin vollgesogen hatte, zog er ein größeres Stück davon wieder heraus und legte es auf den Sand aus. Als er der Ansicht war, weit genug vom Fahrzeugtank entfernt zu sein, zündete er die provisorische Zündschnur an. Er rannte noch etwa sechs Meter weiter, bevor er sich fallen ließ und flach auf den Sand preßte, als der Jeep auch schon in einem Feuerball und schwarzem Rauch in die Luft flog. Nachdem er noch einen Augenblick abgewartet hatte, nahm er seinen Beutel und Stock und floh aus der Nähe des brennenden Wracks. Er rannte mehr als drei Kilometer am Fluß entlang, bevor er endlich langsamer wurde und wieder in den behäbigen Gang eines alten Mannes verfiel. Er hoffte, daß man den ausgebrannten Jeep und die Leichen zumindest in den nächsten paar Stunden nicht entdecken würde, wollte sich aber nicht darauf verlassen.

ENDE DER LESEPROBE