Codename X - Patrick McGinley - E-Book
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Patrick McGinley

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Beschreibung

Wem kannst du trauen, wenn deine Welt aus den Fugen gerät? Adam Cassel ist 16 Jahre alt, Sohn eines reichen Diplomaten und der totale Snob. Er wird von allen Seiten bewundert, und die Mädchen stehen bei ihm Schlange. Scheinbar führt er das perfekte Leben, voller Abenteuer und Luxus. Doch dann findet er seine Eltern tot in einem Hotelzimmer vor, und es stellt sich heraus, dass sein Vater ein Agent des Bundesnachrichtendiensts war. Nun ist auch Adam in Lebensgefahr. Er muss eine neue Identität annehmen und kann niemandem mehr trauen. Trotzdem beschließt er, seine toten Eltern zu rächen und dem gefährlichen Fall seines Vaters nachzugehen.

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Über dieses Buch

Wem kannst du trauen, wenn deine ganze Welt auf den Kopf gestellt wird?

 

Adam hat alles, was sich ein 16-Jähriger wünschen könnte. Geld, Spaß und absolut keine Verpflichtungen. Als Sohn eines reichen Diplomaten lebt er ein Leben voller Abenteuer und Luxus in den schönsten Städten Europas. Bis zu dem Moment, in dem er seine Eltern ermordet in ihrem Hotelzimmer auffindet. Es stellt sich heraus, dass sein Vater ein Agent des Bundesnachrichtendienstes war und seine Feinde nun auch hinter Adam her sind. Er muss eine neue Identität annehmen und ist ab sofort komplett auf sich allein gestellt, nur seine kluge Freundin Yasemin steht ihm zur Seite. Eigentlich sollte er untertauchen, doch erbeschließt, seine Eltern zu rächen und die Arbeit seines Vaters zu beenden.

Für David und Alexander

Zwei echte Actionhelden

1

Monte Carlo, Monaco

Die Mittagssonne brannte so heiß auf die Küstenstraße nieder, dass die Luft über dem Asphalt flimmerte. Vom Meer wehte ein schwaches Lüftchen herüber und außer dem fernen Donnern der Wellen, die an die Felsklippen krachten, war es ruhig. Ein leises Surren durchschnitt die Stille. Zuerst war es kaum zu hören, der Flügelschlag einer Wespe, die an einer Fensterscheibe auf und nieder flog. Doch nach und nach steigerte es sich zu einem Getöse, das dem Gebrüll eines tollwütigen Raubtiers glich. Zwei schwarz-rote Blitze fegten über die Straße und wirbelten eine Wolke aus Staub und Blättern auf. Im nächsten Augenblick waren sie zu zwei Punkten in der Ferne zusammengeschrumpft.

Adam Cassel saß tief geduckt hinter dem Lenkrad seiner Kawasaki Ninja und stieß einen lauten Jauchzer aus. Adrenalin flutete seine Adern und der Fahrtwind zerrte an seinem Designer-T-Shirt und seinen wilden braunen Locken. Er blickte über den Rand seiner Flieger-Sonnenbrille und zwinkerte der Action-Kamera zu, die, auf den Lenker montiert, seinen Höllenritt filmte. Er grinste. Die letzten Tage am Hotelpool hatten seine Haut gebräunt, was seine hellblauen Augen und sein strahlendes Lächeln noch mehr zur Geltung brachte. Er jagte mit knapp 200 km/h durch die Landschaft, dicht gefolgt von Jeremy, der hinter ihm auf einem zweiten Motorrad unterwegs war. Er hatte Jeremy vor ein paar Jahren bei einer Party kennengelernt. Sein Vater war der Schlagzeuger von Sunscream, einer weltbekannten Rockgruppe, und er hatte den beiden Jungs zwei seiner Räder für eine Spritztour zur Verfügung gestellt. Dabei hatte er wohl nicht damit gerechnet, dass sich die beiden ein Wettrennen liefern würden.

Adam überholte einen Citroën auf der linken Seite und wich im letzten Moment einem Lieferwagen aus, der ihm auf der anderen Fahrbahn entgegenkam. Er ignorierte das laute Hupen und beschleunigte sein Rad durch einen Dreher am rechten Handgriff. Die Maschine heulte auf und brauste an einem Ortsschild vorbei. Das verschlafene Dorf wurde vom Motorengeheul wach gerüttelt und die Touristen, die im Schatten einiger Sonnenschirme in einem kleinen Straßencafé saßen, erschreckten sich so sehr, dass sie sich verstört umblickten. Einer älteren Dame rutschte dabei die Kaffeetasse aus der Hand und sie zersprang auf dem Kopfsteinpflaster in tausend Stücke. Adam interessierte sich nicht dafür. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich zwischen den langsamen Autos durchzuschlängeln. An der Ortsausfahrt hob er den Lenker an und balancierte auf dem Hinterrad in einem perfekten »Wheelie«. Jeremy, der die Gelegenheit nutzte, um aufzuholen, zeigte ihm einen Vogel. Adam zwinkerte ihm zu und gab Gas. Die beiden Blitze brausten die Straße hinab auf den kleinen Jachthafen zu, der am Ende der kurvenreichen Straße auf sie wartete.

 

Als Ziellinie für ihr Wettrennen hatten die beiden die Hafeneinfahrt gewählt. Adam holte das letzte bisschen Geschwindigkeit aus seiner Maschine heraus, zog kurz vor der Einfahrt an Jeremy vorbei und fuhr über den Zebrastreifen, der das Ziel markierte. Er hatte gewonnen. Mit geballter Faust stieg er ab und drehte sich zu Jeremy um. Zu seiner Verwunderung war Jeremy jedoch an der Einfahrt vorbeigefahren und brauste die Steigung hinauf, die zur nächsten Ortschaft führte.

»Was soll denn das jetzt?«, fragte Adam niemand Bestimmten.

Was das sollte, wurde ihm klar, als er die beiden Streifenwagen entdeckte, die mit heulenden Sirenen in den Hafen einbogen. Jeremy musste sie im Rückspiegel gesehen und die Flucht ergriffen haben. Adam schwang sich auf sein Rad, drehte den Schlüssel in der Zündung und gab Gas. Jetzt erst bemerkte er, dass es sich bei der Straße, auf der er sich befand, um eine Sackgasse handelte. Sie führte auf einen Pier hinaus, an dem die riesigen Motorjachten der Reichen und Berühmten vertäut lagen, die in der kleinen Stadt den Sommer verbrachten. Adam raste ans Ende des Piers und bremste wenige Zentimeter vor der Mauer, hinter der es steil bergab zum Mittelmeer ging. Mit durchdrehendem Hinterrad malte er eine pechschwarze Bremsspur auf den Asphalt und drehte sein Rad herum. Die Polizeiwagen standen sich Stoßstange an Stoßstange gegenüber und sperrten die Fahrbahn vor ihm ab. Nur auf dem Bürgersteig der Hafenpromenade klaffte eine Lücke, durch die er die Hauptstraße erreichen könnte.

Er grinste in die Action-Kamera. Ohne einen coolen Spruch konnte er diesen Stunt nicht wagen.

»Tom Cruise, falls du zuschaust, so geht Motorradfahren!«

Er ließ den Motor ein paar Mal aufheulen und legte dann den Gang ein. Mit einem lauten Fauchen flog das Motorrad über die Straße, genau auf die beiden Streifenwagen zu. Die Polizisten duckten sich verschreckt hinter ihre Autos. Die Maschine fraß die wenigen Meter, die sie von der Straßensperre trennten. Im letzten Moment riss Adam den Lenker herum und hielt auf den Bürgersteig zu. Er bremste leicht ab, ließ das Motorrad abheben und sprang über den Bordstein. Er wollte gerade wieder Gas geben, als ein älteres Touristenpaar direkt vor ihm aus dem Nichts auftauchte. Es war zu spät, um abzubremsen. Zu seiner Linken befand sich der Stand eines Eiscremeverkäufers und so blieb ihm nichts anderes übrig, als hart nach rechts zu lenken. Adam hob mitsamt seiner Rennmaschine ab, flog über den Bug einer Motorjacht und landete mit einem riesigen Platscher im Meer. Der Grund lag hier im Hafenbecken nur etwa drei Meter unter Wasser und so konnte Adam die Action-Kamera noch retten, bevor ihn der Sauerstoffmangel zurück an die Oberfläche zwang. Das Motorrad versank in der Tiefe. Adam tauchte auf und blickte in die Gesichter der Schaulustigen, die sich auf der Promenade versammelt hatten. Er schwamm ans Ufer, wo die Polizisten schon mit Handschellen auf ihn warteten. Bevor er aus dem Wasser stieg, filmte Adam noch schnell eine Botschaft mit der Kamera.

»Merci, merci! Ich liebe Frankreich. Au revoir!«

In der Polizeiwache von Saint-Jean-Cap-Ferrat war an diesem Samstagnachmittag nicht viel los. Das war nichts Ungewöhnliches. Der kleine Ort, der auf einer Halbinsel an der südfranzösischen Küste lag, war ein Tummelplatz für Millionäre aller Art. Schauspieler, Weltsportler und die Töchter und Söhne des europäischen Adels frequentierten die Cafés, Juwelierläden und Designer-Boutiquen, die sich an der Hauptstraße aneinanderdrängten. Der Hafen war ein beliebter Zwischenstopp auf einer Jachtrundfahrt im Mittelmeer. Die einzigen Verbrechen, die es hier an einem normalen Tag aufzuklären gab, waren Verkehrsdelikte und ein paar vereinzelte Taschendiebstähle.

Trotzdem musste Adam zwei Stunden warten, bis sein Fall an der Reihe war. Er fläzte sich in einem unbequemen Stuhl und blickte die junge Polizeibeamtin, die hinter dem alten Schreibtisch saß, durch seine Sonnenbrille hindurch an. Brigaud stand auf einem Namensschild an ihrer Brusttasche.

Polizistin Brigaud ließ sich durch seine Haltung nicht aus der Ruhe bringen. Sie öffnete ein Formular auf ihrem Computerdisplay und begann zu tippen. Dann sprach sie ihn in beinahe akzentfreiem Deutsch an. »Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit. Führen eines zweirädrigen Kraftfahrzeugs ohne Führerschein. Mehrere Fälle von Sachbeschädigung. Grob fahrlässige Gefährdung von Passanten. Eine ganz schöne Liste. Können Sie sich ausweisen?«

Adam hob entschuldigend die Hände. »Tut mir leid, mein Pass liegt im Hotel«, sagte er flapsig. Er fügte noch ein »Mademoiselle Brigaud« hinzu, um die Polizistin zu piesacken.

»Name?«

»Adam Cassel.«

»Alter?«

»Sechzehn.«

»Adresse?«

Als sie die Personalien aufgenommen hatte, ging sie zur Fallaufnahme über. Sie wollte gerade damit anfangen, Adam über die Ereignisse am Hafen auszufragen, als dieser ihr mit einer Geste Einhalt gebot. »Es tut mir leid, dass ich das hier abkürzen muss, aber ich habe heute Abend noch einiges vor, und ich muss mich noch ein wenig rausputzen.«

Brigaud sah ihn verwirrt an. Adam zückte seine Brieftasche und zog ein laminiertes Kärtchen heraus. Dieses überreichte er der Polizistin. Es war von Adams unfreiwilligem Bad noch tropfnass. Sie begann zu lesen. Mit jedem Wort verfinsterte sich ihre Miene mehr:

»Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland weist darauf hin, dass der Inhaber dieses Schreibens, Adam Cassel, geb. 17.3.2005, als Familienmitglied des Beamten Friedrich Cassel, unter speziellem diplomatischem Schutz steht. Damit einhergehend ist der Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung im Ausland.«

Adam grinste. »Falls Sie Schwierigkeiten mit dem Deutsch haben, helfe ich Ihnen gern, Mademoiselle Brigaud. Sie kennen Monopoly? Das da ist die Du kommst aus dem Gefängnis frei-Karte. Sie können mich hier leider nicht festhalten. Deshalb würde ich Sie darum bitten, dass wir es kurz machen.«

Brigaud sah ihn durchdringend an. Dieser Blick gefiel ihm ganz und gar nicht. Er versuchte seine Unsicherheit mit einem Lächeln zu überspielen, doch Brigaud zeigte keine Reaktion. Die Polizistin nahm den Hörer des Telefons ab, das auf ihrem Schreibtisch stand, und wählte eine Nummer. Sie führte ein kurzes Gespräch auf Französisch und legte dann wieder auf. Missmutig hielt sie Adam das nasse Kärtchen hin. Er steckte es in seinen Geldbeutel und ließ diesen in seiner Gesäßtasche verschwinden. Auf dem Tisch der Polizistin lag Adams Action-Kamera.

»Ich kann also gehen?«, fragte er und streckte die Hand danach aus. Brigaud war schneller. Sie nahm die Kamera an sich.

»Die müssen Sie mir leider zurückgeben«, sagte Adam. »Das gilt sonst als widerrechtliche Durchsuchung.«

Er grinste erneut. Brigaud hielt ihm die Kamera hin. Er griff danach, doch sie ließ sie nicht los.

»Wenn ich dein Vater wäre, würde ich mich für meinen Sohn schämen«, sagte sie und blickte ihm tief in die Augen. Adams Grinsen gefror. Sie überließ ihm die Kamera.

2

Da sein geliehenes Motorrad auf dem Grund des Hafenbeckens lag, beschloss Adam, ein Taxi zurück nach Monte Carlo zu nehmen. Er ging zu einem Taxistand in der Nähe der Polizeiwache, setzte sich auf die Rückbank und gab dem Fahrer den Namen des Hotels, in dem er mit seinen Eltern wohnte. Da der Taxifahrer sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten musste, würde es eine lange Fahrt werden. Mist, die Sonne ging schon unter! Sein Vater hatte ihn inständig darum gebeten, pünktlich zu sein. Auf die Benefizgala, die an diesem Abend im Casino stattfand, hatte Adam zwar wenig Lust, doch im Anschluss gab Sunscream ein Konzert, für das Jeremys Vater ihnen zwei Backstage-Pässe besorgt hatte. Er war zwar sauer auf Jeremy, weil dieser ihn im Stich gelassen hatte, doch er wollte ihn nicht zu sehr verärgern, da Jeremy den Pass sonst vielleicht jemand anderem geben würde. Außerdem hatte er das Motorrad versenkt, was Jeremys Vater sicher ganz und gar nicht gefallen würde. Er schickte ihm eine Kurznachricht.

Du hast dich aber schnell aus dem Staub gemacht.

Kurz darauf kam Jeremys Antwort:

Du sitzt nicht im Knast?

Adam schrieb zurück:

Ich habe die kleine Dorfpolizistin mit meinem Charme um den Finger gewickelt. Leider schlechte Nachrichten. Das Bike ist futsch.

Halb so schlimm, kriegt Papa von der Versicherung zurück. Was ist passiert?

Gib mir fünf Minuten.

Adam nahm die Action-Kamera aus seiner Hosentasche und schaltete sie an. Auf der Rückseite war ein Display angebracht, auf dem er die Aufnahmen ansehen konnte. Er spulte zum Anfang des letzten Clips und drückte auf das Play-Symbol. Durch das Fischaugenobjektiv der Kamera wirkte das Videobild verzerrt. Adams Kopf sah übergroß aus und die Landschaft hinter ihm flog mit atemberaubender Geschwindigkeit vorbei. Adam sah sich den Film mit offenem Mund an. Was für eine krasse Fahrt! Er musste das Video sofort auf seinen Youtube-Kanal stellen. Seine Fans würden es lieben.

Er stellte eine Verbindung zwischen der Kamera und seinem Smartphone her. Über das Telefon konnte er den Film direkt auf seinen Kanal laden. Einige Minuten später war der Clip livegeschaltet. Er schickte den Link an Jeremy und musste nicht lange auf eine Reaktion warten.

Waaaaaahnsinn! Der Crash ins Meer am Ende ist der Hammer!

Zeig’s nicht deinem Vater!

Der findet es sicher extrem cool! Wir sehen uns beim Konzert.

Adam steckte sein Telefon in die Hosentasche und blickte aus dem Fenster. Die untergehende Sonne warf rotes Licht auf die vereinzelten Wolken und ließ den Himmel wie Feuer brennen. Irgendetwas nagte an Adam. Das Wettrennen war zwar cool gewesen, doch Brigauds Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn: Wenn ich dein Vater wäre, würde ich mich schämen. Und dann fiel ihm das Touristenpaar ein, das er auf der Hafenpromenade fast über den Haufen gefahren hätte. Wenn er nicht blitzschnell reagiert hätte, würden die beiden jetzt sicher im Krankenhaus liegen. Vielleicht hatte er es diesmal übertrieben?

Das Taxi hielt vor dem Eingang des Hotels. Adam bezahlte und stieg aus. Ein Portier öffnete ihm die Tür und er betrat die Lobby. Adam war mit seinen Eltern schon in einigen Luxushotels abgestiegen, doch dieses war eine Klasse für sich. Ein riesiger Kronleuchter hing in der Mitte der Eingangshalle von einer Kuppel aus buntem Glas herab, die Decke war mit Muscheln und Kletterrosen aus Stuck verziert und ein Springbrunnen plätscherte neben der Hotelbar vor sich hin. Der Marmorboden bestand aus einem Mosaik, das aus Tausenden kleinen Farbkacheln das Muster eines Orientteppichs erschuf. Adam ging zur Rezeption und holte die Plastikkarte ab, die als Zimmerschlüssel diente. Bevor er den Lift bestieg, ließ er es sich nicht nehmen, ein weiteres Video für seinen Youtube-Kanal aufzunehmen. Er aktivierte den Selfie-Modus seines Telefons und hielt die Kamera so, dass die luxuriöse Eingangshalle hinter ihm zu sehen war. Er lächelte. »Nette Absteige hier. So ein Zimmerspringbrunnen macht schon was her. Ich werde mich jetzt in Schale werfen und dann geht’s ab auf die Party.«

Die Türen des Lifts glitten zur Seite, und Adam betrat die Kabine. Er drückte den Knopf zum obersten Stockwerk und blickte dann wieder in die Kamera. Er zwinkerte. »Penthouse! Ist doch klar. Wenn wir oben sind, zeige ich euch die Aussicht aus meinem Fenster. Wahnsinnssonnenuntergang heute. Wenn unten auf der Terrasse die Poolbeleuchtung angeht, ist das schon spektakulär.«

PH erschien auf dem Display der Kabine und die Türen öffneten sich. Adam wollte gerade aussteigen, als ein glatzköpfiger Mann den Lift betrat. Er hatte es anscheinend eilig, denn er stieß beinahe mit Adam zusammen. Adam wich ihm im letzten Moment aus und trat auf den Hotelkorridor.

»Meister Proper hier hat aber ganz schön Tomaten auf den Augen«, kommentierte Adam in die Kamera. »Ich melde mich später wieder. Over and out.«

Er beendete die Aufnahme und steckte sein Telefon zurück in die Hosentasche. Er hätte zwar gern weitergefilmt, um seinen Zuschauern den Blick aus dem Fenster zu zeigen, doch er wusste, was ihn im Zimmer erwartete: eine Standpauke seines Vaters, die sich gewaschen hatte. Adam war fast eine Stunde zu spät und sein Vater konnte Unpünktlichkeit überhaupt nicht leiden. Er ging zur Zimmertür und kramte die Schlüsselkarte hervor. Sie glitt in das Schloss und ein grünes Licht leuchtete auf. Er war so sehr damit beschäftigt, sich eine Ausrede zurechtzulegen, dass er die Aufzugtüren nicht bemerkte, die sich am Ende des Ganges erneut mit einem leisen Ping öffneten. Der glatzköpfige Mann blickte um die Ecke und beobachtete, wie Adam die Tür zu dem Hotelzimmer aufdrückte.

Adam betrat die Suite, die er mit seinen Eltern bewohnte. Dabei handelte es sich um ein großes Wohnzimmer, das an beiden Seiten durch Doppeltüren in getrennte Schlafzimmer führte. Seine Eltern hatten das etwas größere Zimmer auf der rechten Seite gewählt. Aus diesem hörte er das Geräusch eines Wasserhahns. Sie waren bestimmt dabei, sich für den Abend fertig zu machen. Adam durchquerte das Wohnzimmer und öffnete die Doppeltür.

»Ich weiß, ich weiß, ich bin spät dran. Tut mir echt leid, ich hatte völlig vergessen, dass …«

Weiter kam er nicht.

Das Fenster stand offen und eine laue Abendbrise wehte vom Meer herein. Seine Eltern lagen auf dem Bett. Seine Mutter trug ein hellblaues Abendkleid und sein Vater hatte den neuen Smoking angezogen, den er extra für diesen Abend besorgt hatte. Die Bettdecke, auf der sie lagen, wies einen großen, kreisrunden Fleck auf.

Blut.

Sein Vater hatte sich schützend über seine Mutter geworfen, doch in seinem Rücken klafften zwei Einschusslöcher.

Sie waren ermordet worden.

3

Adam stockte der Atem. Es musste sich um einen Albtraum handeln. Wie war es möglich, dass seine Eltern erschossen worden waren? Das passierte doch nur im Film.

»Mama? Papa?«

Er näherte sich dem Bett. Jetzt erst bemerkte er, dass sich der Körper seines Vaters langsam hob und senkte. Er atmete noch.

»Papa, hörst du mich?« Sein Vater lebte. Adam griff nach seinem Handy und begann den Notruf zu wählen. Er kniete sich neben das Bett. Sein Vater drehte den Kopf, sodass er seinen Sohn ansah. Er schluckte. Sein Atem ging langsamer und langsamer wie ein Motor, dem der Sprit ausging. Aus seinem Mundwinkel tropfte Blut auf die Bettdecke.

»Adam«, hauchte er.

Adam hielt inne, beugte sich zu ihm, sodass sich sein Ohr direkt neben dem Mund seines Vaters befand. Er sagte nur zwei Wörter, bevor er zum letzten Mal ausatmete.

»Nein. Lauf!«

Adam geriet in Panik. Was meinte er mit nein? Er musste doch Hilfe holen! Er drehte seinen Vater auf den Rücken, um ihn wiederzubeleben. Wie er es im Erste-Hilfe-Kurs gelernt hatte, massierte er sein Herz, doch es begann nicht wieder zu schlagen. Adam sank auf den Boden. Er wusste nicht, was er tun sollte.

In diesem Moment klopfte es an der Tür der Suite.

»Zimmerservice«, sagte eine Stimme.

Adam war zu verstört, um zu antworten. Es klopfte erneut. Adam stand auf. »Ich … ich kann jetzt nicht«, stammelte er. »Kommen Sie später wieder.«

Das Klopfen verstummte. Doch Adam hörte keine Schritte, die sich entfernten. Irgendetwas war da faul.

Ein Schuss ließ das Türschloss zersplittern. Jemand warf sich so heftig gegen die massive Holztür, als würde ein wild gewordener Elefant versuchen, sich Eintritt zu verschaffen. Schließlich gab sie nach und flog auf. Adam fand sich Angesicht zu Angesicht mit dem Glatzkopf aus dem Lift. Er hatte eine Waffe gezogen, an deren Lauf ein Schalldämpfer angeschraubt war. Der Schwung, mit dem er die Tür eingetreten hatte, beförderte ihn auf den Boden des Wohnzimmers. Er rappelte sich auf und zielte auf Adam. Dieser wachte endlich aus seiner Schockstarre auf. Es gab zwei Möglichkeiten. Er konnte sich entweder ins Badezimmer flüchten, wo er jedoch festsitzen würde, oder …

Adam fasste den Entschluss und sprang mit einem Satz aus dem offenen Fenster. Mit kleinen Staubwölkchen bohrten sich die Kugeln des Angreifers links und rechts neben dem Fensterrahmen in die Tapete.

Adam wusste, dass an der Außenseite rings um das Hotelgebäude ein schmaler Sims herumlief, auf dem er sich jetzt wiederfand. Er rutschte mit einem Fuß ab und verlor fast das Gleichgewicht. Ein Abflussrohr, an dem er sich mit seiner rechten Hand festhielt, bewahrte ihn vor einem tödlichen Sturz. Mit vorsichtigen Schritten näherte sich Adam der Ecke des Gebäudes. Wenn er diese erreichte, bevor der Mann ihn erwischte, hatte er vielleicht eine Chance zu entkommen. Der Kopf des Killers erschien im Fensterrahmen. Adam würde das kalte Grinsen nie vergessen. Der Mann legte seine Waffe an. Die Hausecke war in unerreichbarer Ferne. Er war geliefert. In schierer Panik blickte Adam nach unten. Acht Stockwerke unter ihm wartete der sichere Tod. Einen Sprung auf die Terrasse des Hotels würde er nie überleben.

In diesem Moment ging die Poolbeleuchtung an. Adam dachte nicht nach. Er hatte keine Zeit dazu. Er wusste instinktiv, dass ihn das gleiche Schicksal wie seine Eltern erwarten würde, wenn er jetzt nicht handelte. Er stieß sich mit aller Kraft von der Hotelwand ab und sprang mit rudernden Armen in die Tiefe. Die nächsten Sekunden fühlten sich wie Jahre an.

Der Swimmingpool des Hotels befand sich einige Meter vom Rand des Gebäudes entfernt. Wenn er nicht genug Schwung hatte, würde er auf den harten Fliesen der Terrasse aufklatschen. Adam sah, wie das Grinsen des Glatzkopfs erlosch. Er zog seinen Kopf zurück ins Zimmer und verschwand.

Der Fallwind erinnerte Adam an einen Höllenritt auf dem Motorrad, doch es kam Adam vor, als hätte das Wettrennen in einem anderen Leben stattgefunden. Der Boden kam mit der Geschwindigkeit eines Schnellzugs auf ihn zu. Selbst wenn er das Wasser des Pools traf, war er sich nicht sicher, ob er an dieser Stelle tief genug war, um seinen Fall rechtzeitig zu bremsen. Adam schloss die Augen. Mit einem harten Aufprall tauchte er ins Chlorwasser des Pools ein. Er sank bis auf den Grund hinab, doch das Wasser hatte seinen Sturz so sehr abgefedert, dass der Kontakt mit dem Boden glimpflich ausging. Adam fuchtelte mit den Armen und schwamm zur Oberfläche. Er tauchte auf und schnappte japsend nach Luft. Sein Fenstersprung hatte einiges an Aufsehen erregt, und die Hotelgäste raunten aufgebracht und zeigten mit den Fingern auf ihn. Adam schwamm zum Beckenrand. Gerade als er sich aus dem Wasser stemmte, bog der Glatzkopf um die Ecke des Hotels. Adam kletterte über den Rand, schüttelte sich wie ein nasser Hund und raste in die entgegengesetzte Richtung um den Pool. Er sprang über die niedrige Mauer, die die Hotelterrasse von der Hafenstraße abgrenzte, und rannte, so schnell er konnte, die Böschung hinab. Er wagte einen Blick über die Schulter und sah, dass der Killer ihm über die Mauer gefolgt war. Adam mobilisierte seine letzten Kraftreserven und sprintete die Hafenpromenade entlang. Zum zweiten Mal an diesem Tag fand er sich in einer Sackgasse wieder, die am Mittelmeer endete. Wenn ihm jetzt keine heiße Idee kam, war er dem Glatzkopf ausgeliefert. Da! Neben einer Straßenlaterne war ein Motorrad geparkt! Mit etwas Glück hatte der Fahrer den Schlüssel stecken lassen. Er erreichte das Bike und wollte gerade nach dem Schlüssel suchen, als er die dicke Stahlkette entdeckte, mit der es an den Laternenpfahl gekettet war. Mist!

Der Glatzkopf war nur wenige Schritte entfernt.

»Finger weg von meiner Maschine!«

Adam blickte sich um. Am Wasser, neben einer riesigen Motorjacht, stand ein korpulenter Mann auf einem kleinen Bootssteg. Sein dünnes Haar war weiß und seine Haut braun gebrannt.

Er war gerade dabei, einen knallgelben Jetski anzubinden. »Verschwinde!«, rief er auf Französisch.

Adam tat das Gegenteil. Er sprang von der Hafenmauer auf den Jetski, entriss dem Mann das Halteseil und startete den Motor. Er drehte am Lenker und gab Gas, sodass sich ein Schwall Wasser auf den Mann ergoss. Der Jetski hatte ganz schön Kraft unter der Motorhaube und das Gefährt raste über die kleinen Wellen des Hafenbeckens. Adam sah sich um. Er hatte den Glatzkopf hinter sich gelassen. Erleichtert atmete er aus. Er lenkte aufs offene Meer zu.

Als er gerade das Hafenbecken verließ, hörte er ein lautes Knattern hinter sich. Er drehte sich um. Ein schwarzes Motorboot fuhr zwischen zwei vertäuten Jachten hindurch und nahm die Verfolgung auf. Hinter dem Steuerrad konnte er die Glatze des Mörders erkennen, auf der sich das Licht des Mondes, der mittlerweile hoch am Himmel stand, spiegelte. Adam bog nach rechts und fuhr gen Westen an der Küste entlang. Das Motorboot war deutlich schneller als sein Jetski, und es holte mit jeder Sekunde auf. Hier auf dem offenen Meer waren die Wellen höher und ließen den Jetski immer wieder abheben und zurück ins Wasser klatschen. Er klammerte sich an den Lenker, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und in die Fluten zu fallen. Es sirrte, und links und rechts neben ihm spritzte das Wasser in kleinen Fontänen auf. Der Killer schoss auf ihn! Es war nur eine Frage der Zeit, bis er ihn treffen würde.

Adam hatte den nächsten Hafen erreicht. Dieser war deutlich größer als der vor seinem Hotel. Die Lady of the Wind, ein riesengroßes Kreuzfahrtschiff, lag dort an einem Pier vor Anker, und ihr Bug ragte vor ihm aus dem Wasser. Das Horn des Schiffes stieß ein lautes Hupen aus, das Adam durch Mark und Bein ging. Es war gerade dabei abzulegen. Die Hafenarbeiter machten die Seile von den Pollern los und warfen sie ins Wasser. Die Winden an Bord des Schiffes wickelten die dicken Kabel auf, und die seitlich ausgerichteten Propeller im Bug des Schiffes schoben es von der Kaimauer weg. Zwischen Schiff und Mauer entstand eine enge Passage. Adams Jetski war schmal genug, um durch die Lücke zu fahren, doch das Motorboot seines Verfolgers würde stecken bleiben. Adam dachte nicht lange nach, ihm blieb nur ein kurzes Zeitfenster. Er riss den Lenker herum und fuhr mit Höchstgeschwindigkeit in die Wassergasse. Wenige Zentimeter trennten ihn auf seiner Linken vom rauen Gestein des Piers und auf seiner Rechten vom glatten Stahl des Schiffs. Er warf einen Blick hinter sich. Das schwarze Motorboot hatte haltgemacht und lenkte nach rechts, an der Seeseite des Schiffs entlang. Adam hatte einen Vorsprung, doch das Motorboot war schneller. Außerdem blieb Adam am Heck des Schiffes keine andere Wahl, als nach rechts zu drehen, direkt in die Arme seines Verfolgers. Aus der Vogelperspektive betrachtet, lieferten sich die beiden Wasserfahrzeuge ein Wettrennen an den Seiten des Schiffes entlang. Ein gelber Blitz links, in der Lücke zur Hafenmauer, und ein schwarzes Boot auf der rechten Seite. Adam erreichte das Heck zuerst. Er drehte den Lenker scharf herum, um hinter dem Schiff in das Hafenbecken einzubiegen, bevor das Motorboot ihm den Weg abschneiden konnte. Im selben Moment schaltete das Kreuzfahrtschiff auf volle Fahrt voraus. Die riesigen Schiffsschrauben, die dicht unter der Wasseroberfläche lagen, begannen, das Meer mit 60 Megawatt aufzuwühlen. Die Strömung bildete einen Wellenkamm, der Adams Jetski wie eine Rampe in die Luft beförderte. Das war sein Glück, denn anstatt mit dem Motorboot zu kollidieren, das nun hinter dem Schiff zum Vorschein kam, sprang der Jetski über das Boot hinweg und landete unsanft im Hafenbecken dahinter. Die Wucht des Aufpralls schleuderte Adam ins Wasser, doch er schaffte es, irgendwie eine Hand am Gefährt zu behalten. Er zog sich hoch, setzte sich auf den Sitz und gab wieder Gas, das Knattern des Motorboots im Nacken. Er saß in einer Sackgasse fest. Um ihn herum lagen Motorjachten an Landungsstegen, doch die einzige Ausfahrt wurde ihm durch das Motorboot abgeschnitten. Adam fuhr trotzdem los. Er ließ seinen Blick nach links und rechts schweifen, als er einen Schuss hörte und eine Kugel knapp an seinem Ohr vorbeisauste. Er duckte sich. Rechts von ihm führte eine Rampe zur Straße hinauf, über die man Boote zu Wasser lassen konnte. Adam fuhr nach rechts, holte alles aus dem Motor heraus und hielt direkt auf die Rampe zu. Der Jetski schlitterte mit einem Höllentempo die Rampe empor, flog einen hohen Bogen und landete direkt in einem Straßencafé. Es krachte und klirrte, und Adam fand sich auf dem Asphalt liegend wieder. Glücklicherweise waren die meisten Tische unbesetzt gewesen, und der fliegende Jetski hatte nur Sachschaden angerichtet. Adam rappelte sich auf, gerade rechtzeitig, um den Glatzkopf zu entdecken, der das Motorboot längsseits an der Hafenmauer parkte. Er kletterte eine Sprossenleiter empor, die in das Gestein eingelassen war. Adam rannte los.

Ein Tourist in einer kurzen Hose und T-Shirt war gerade dabei, seine Vespa am Straßenrand abzustellen. Er nahm seinen Helm ab und wollte ihn an den Lenker hängen, als Adam auf den Sitz des Mofas sprang und Vollgas gab. Er ignorierte die empörten Rufe des Besitzers und bog auf die Hauptstraße ein. Im Rückspiegel der Vespa beobachtete er, wie sein Verfolger ein Handy aus der Tasche zog und eine Nummer wählte. Er wechselte ein paar Worte mit der Person am anderen Ende, dabei ließ er Adam nicht aus den Augen.

Dieser fuhr, so schnell es ging, die Straße zur Ortsausfahrt entlang. So schnell es ging war dabei eher ein Witz. Der mickrige Motor der Vespa war im Vergleich zu der Maschine, auf der er sich mit Jeremy das Rennen geliefert hatte, ein Kinderspielzeug. Außerdem klang sie wie ein Rasenmäher. Trotzdem war Adam dankbar, dass er überhaupt einen fahrbaren Untersatz hatte. Er ließ das Städtchen hinter sich und fuhr die Landstraße entlang, dabei sah er sich fortwährend nach einem Versteck um. Die Straße schlängelte sich hier jedoch an einem Berghang entlang. Links ging es steil bergab und rechts bergauf und so blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter geradeaus zu fahren. Er fuhr in den Eingang eines Tunnels hinein. Die Neonröhren, die in regelmäßigen Abständen an der Decke hingen, flackerten rhythmisch auf, als er unter ihnen hindurchfuhr. Von hinten näherte sich ein Wagen. Adam machte an der linken Seite Platz, um ihn vorbeizulassen. Erst als die silbergraue Limousine neben ihn fuhr, sah er, wer auf dem Beifahrersitz saß. Es war der Glatzkopf, der ihn eiskalt angrinste. Adam saß in der Falle. Seelenruhig ließ der Mann die Fensterscheibe herunter, während die Vespa und die Limousine nebeneinander herfuhren. Adam konnte nicht an ihr vorbeiziehen, und wenn er abbremste, war er seinem Verfolger erst recht ausgeliefert. Der Glatzkopf zückte seine Pistole und legte an. In diesem Moment verließen beide Fahrzeuge den Tunnel. Kurz hinter dem Ausgang bog eine kleine Straße nach rechts ab. Adam bremste die Vespa abrupt ab, lenkte in die kleine Straße und gab wieder Vollgas. Der Fahrer des silbergrauen Wagens hatte nicht mit seinem plötzlichen Manöver gerechnet und hielt mit quietschenden Reifen an. Ein zweites Mal würde Adam nicht so leicht davonkommen. Er fand sich auf einer Brücke wieder. Unter ihm kamen Bahngleise aus einem Paralleltunnel, der neben dem Autotunnel entlangführte. Auf der anderen Seite der Brücke ging die Straße steil bergauf. Auf seiner Vespa würde er dort nur mit Schrittgeschwindigkeit vorankommen. Der Wagen seiner Verfolger hatte schon fast die Abzweigung zur Brücke erreicht, als in der Ferne ein Zug um die Ecke bog und direkt auf den Tunneleingang zufuhr. Der Wagen blieb stehen und die Beifahrertür öffnete sich. Adam dachte nicht nach. Er wusste, dass er nur eine einzige Chance hatte. Er stieg auf die Brüstung. Der Zug kam näher. Die Räder des Zuges erzeugten ein hohes, metallisches Rauschen auf den Gleisen, das mit jeder Sekunde an Intensität zunahm. Der Mörder seiner Eltern hob die Waffe. Im selben Moment ließ Adam sich fallen.

Ein dumpfer Schmerz in seiner Schulter. Fahrtwind, der ihm in den Ohren pfiff. Das Flackern der Tunnelbeleuchtung. Adam war hart auf dem Dach des Zuges aufgeknallt und hatte es irgendwie geschafft, nicht abzurutschen. Er klammerte sich an einem Kabel fest, das aus dem Stromabnehmer kam und im Dach des Zuges verschwand. Vorsichtig robbte er auf dem Dach entlang, bis er das Ende des Waggons erreichte, auf den er gefallen war. Er ließ sich in den Zwischenraum herab und betrat den Waggon durch eine Schiebetür. Er erntete einige gelangweilte Blicke der anderen Fahrgäste, doch niemand schien sich darüber zu wundern, wo er so plötzlich hergekommen war. Adam ließ sich auf einem Fensterplatz nieder und schloss die Augen. In Gedanken sah er immer wieder das Bild, das sich ihm geboten hatte, als er ins Hotel zurückgekehrt war. Seine Eltern in einer Blutlache auf dem Bett. War das wirklich passiert? Es wirkte wie ein böser Traum.

Sein Handy klingelte. Adam zog es aus der Tasche. Glücklicherweise hatte er in ein wasserdichtes und bruchsicheres Gehäuse investiert. Es war nicht das erste Mal, dass es ihn davor bewahrt hatte, sein Smartphone zu ersetzen. Adam blickte auf das Display. Unbekannte Nummer. Er hob ab.

»Adam, hier spricht dein Vater.«

Für einen Moment atmete Adam erleichtert auf. War es doch nur Einbildung gewesen? Hatten seine Eltern ihm einen aufwendigen Streich gespielt? Wenn er ganz ehrlich war, hätte er es verdient. Doch schon der nächste Satz holte ihn auf den Boden der Tatsachen zurück.

»Wenn du das hier hörst, ist etwas schiefgelaufen.«

4

Adam stand auf und setzte sich in die hinterste Ecke des Waggons, um in Ruhe den Worten seines Vaters zu lauschen. Draußen war es inzwischen stockdunkel geworden und nur die Straßenbeleuchtung und die Lichter der kleinen Dörfer flitzten vorbei. Adam hielt sich das Handy dicht ans Ohr, um die Stimme seines Vaters über das Rattern der Räder auf den Gleisen zu hören.

»Ich wünschte, ich könnte dir all diese Dinge persönlich erzählen, doch anscheinend hat mir das Schicksal einen Strich durch die Rechnung gemacht«, begann sein Vater. »Ich muss mich außerdem kurzfassen, denn wenn mir etwas zugestoßen ist, dann schwebst auch du in Lebensgefahr.«

Das hatte Adam bereits am eigenen Leib erfahren.

»Ich bin kein gewöhnlicher Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, wie ich es immer vorgegeben habe. Das war nur eine Tarnidentität. In Wirklichkeit gehöre ich einer Geheimorganisation an, die dem Bundesnachrichtendienst unterstellt ist. Sie nennt sich Sektion Lambda. Wir beschäftigen uns damit, außergewöhnliche Bedrohungslagen zu untersuchen, sei es durch Terror, Spionage, kriminelle Banden oder Schurkenstaaten. Du würdest wahrscheinlich sagen: Papa ist ein Geheimagent, und damit würdest du gar nicht so falschliegen.«

Sein Vater lachte. Es zerschnitt Adam das Herz. Er konnte nicht glauben, dass der Mann am anderen Ende der Leitung, zu dem er sein Leben lang aufgeblickt hatte, nicht mehr da war.

»Dieser Job ist manchmal ganz schön hart, und es kann auch gefährlich werden. Deshalb habe ich dir diese Botschaft im Falle meines …«

Er stockte und Adam wusste, dass er das Wort Ablebens nicht aussprechen wollte.

»… für den Fall, dass ich unpässlich bin, aufgenommen. Du schwebst in Lebensgefahr, Adam. Wenn du mit heiler Haut aus der ganzen Sache rauskommen willst, dann hör jetzt genau zu. Vertraue niemandem. Das kann ich nicht genug betonen. Wenn mir etwas passiert ist, dann ist möglicherweise unsere ganze Organisation aufgeflogen, und das bedeutet, dass mich jemand verraten hat. Ich möchte, dass du Folgendes tust: Sobald du diese Nachricht vollständig angehört hast, will ich, dass du dein Handy wegwirfst. Nimm vorher die SIM-Karte heraus und zerstöre sie. Tue das Gleiche mit deiner Kreditkarte. Benutze sie auf keinen Fall. Ich habe in einem Schließfach am Wolfsbacher Bahnhof eine neue Identität für dich hinterlegt. Nummer 307. Geburtsurkunde, Reisepass, Personalausweis, Bargeld. Die Zahlenkombination kennst du. Nimm die neuen Ausweisdokumente an dich und präge dir die Namen und Daten gut ein. Adam Cassel gibt es ab jetzt nicht mehr. Falls du diese Nachricht im Ausland hörst, halte dich von großen Flughäfen und Bahnhöfen fern. Am besten trittst du die Rückreise mit Regionalzügen und Bussen an. Sobald du die Dokumente an dich genommen hast, verschwinde aus Wolfsbach. Versuch nicht, irgendetwas aus unserem Haus zu holen. Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit überwacht. Baue dir ein neues Leben in einer anderen Ecke der Welt auf. Du bist intelligent, du hast Charme, du bist sprachbegabt. Nutze diese Eigenschaften, um neu anzufangen. Doch das Wichtigste ist Folgendes: Versuche auf keinen Fall herauszufinden, wer mich aus dem Verkehr gezogen hat, oder gar mich zu rächen. Die Leute, mit denen ich zu tun habe, sind gefährlich, skrupellos und gehen über Leichen. Wenn sie herausfinden, dass du am Leben bist, werden sie dich bis ans Ende der Welt jagen.«

Es dauerte einen Augenblick, bis Adams Vater fortfuhr.

»Bleibt mir nur, dir viel Glück zu wünschen. Ich hoffe nichts mehr, als dass du diese Nachricht niemals hören musst. Falls doch, bitte glaube mir, dass ich immer stolz auf dich gewesen bin. Du bist mein Ein und Alles. Mach’s gut, mein Sohn.«

Sein Vater beendete die Nachricht. Sekundenlang saß Adam da und blickte fassungslos auf das Handy in seiner Hand. Seine Gedanken schwirrten wie aufgescheuchte Tauben in seinem Kopf herum. Spionage, neue Identität, falsche Ausweise, Geheimorganisationen. War das alles Wirklichkeit?

Der Zug hielt am Bahnhof einer kleinen Stadt. Ein Mann stieg ein. Er trug eine blaue Regenjacke. In der Hand hielt er einen Regenschirm und auf dem Rücken trug er einen großen Wanderrucksack. Er stellte sich in den Gang und blickte zu Adam hinüber. War es nur Zufall oder beobachtete der Mann ihn? Adam fiel wieder ein, was sein Vater gesagt hatte. Wirf dein Handy weg und traue niemandem. Er stand auf und öffnete die Schiebetür zum nächsten Waggon. Als er in dem Raum zwischen den Wagen stand, öffnete er sein Handy und nahm die SIM-Karte heraus. Er brach sie in zwei Teile und warf sie mitsamt dem Telefon aus der Tür des anfahrenden Zuges. Seine Kreditkarte flog in letzter Sekunde hinterher. Er blickte in seinen Geldbeutel und entdeckte, dass er genau fünf Euro und siebenundzwanzig Cent besaß. Es würde eine lange Reise nach Deutschland werden.

5

Adam schreckte hoch. Er musste eingenickt sein. Draußen herrschte immer noch pechschwarze Nacht. Der Zug, auf den er gesprungen war, fuhr in Richtung der italienischen Grenze. Hatten sie diese schon passiert? Noch nie in seinem Leben hatte Adam sich so verloren gefühlt. Er wusste nicht einmal mehr, in welchem Land er sich befand.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Kurz vor Mitternacht. Wenn dieser Tag wie geplant verlaufen wäre, dann wäre er jetzt mit Jeremy auf dem Sunscream-Konzert. Sie würden jetzt wahrscheinlich die Zugabe hören und dann mit Jeremys Vater backstage feiern. Doch all das gehörte zu dem Leben, das er hinter sich gelassen hatte. Du darfst niemandem vertrauen, hatte sein Vater ihm eingeschärft. Er hatte eh keine Familienmitglieder, zu denen er Kontakt aufnehmen konnte. Seine Eltern waren beide Einzelkinder gewesen. Er besaß nur einen Großonkel, der irgendwo in Frankreich in einem Seniorenheim wohnte, doch zu ihm hatte er nie richtig Kontakt gehabt. Und Freunde? Konnte er Jeremy vertrauen? War er vielleicht in die ganze Sache verwickelt? Was wusste er eigentlich über ihn? Sie hatten sich vor ein paar Jahren an einem Hotelpool kennengelernt. Erst jetzt fiel Adam auf, dass er eigentlich nie ein normales Gespräch mit Jeremy geführt hatte. Von Anfang an hatten die beiden Jungs immer nur versucht, sich gegenseitig mit Angebereien zu übertrumpfen. Jeremy hatte von Welttourneen und Flügen in Privatjets erzählt, und Adam hatte im Gegenzug mit einer Liste der Luxushotels geprahlt, die er mit seinen Eltern im Laufe seiner Jugend besucht hatte. Außerdem hatte er gerne mit den Eskapaden angegeben, die ihn schon öfter mit der Polizei in Kontakt gebracht hatten. Doch mit seinem Freifahrtschein war er immer ohne Konsequenzen davongekommen. Konnte er Jeremy überhaupt als Freund bezeichnen? Was genau machte eine Freundschaft eigentlich aus? Ging es wirklich nur darum, sich gegenseitig zu beeindrucken? Je länger er nachgrübelte, desto mehr wurde Adam bewusst, dass er eigentlich gar keine richtigen Freunde hatte. Klar, in der Schule blickten die meisten zu ihm auf. Er war ständig in den coolsten Weltmetropolen unterwegs und konnte sich in fünf Sprachen verständigen. Seine Youtube- und Instagramkanäle hatten Tausende Zuschauer, und ein Date für einen Kinobesuch zu bekommen, war für ihn ein Kinderspiel. Doch jetzt, wo er seine Identität verloren hatte und er nicht mehr der coole Adam Cassel war, bemerkte er erst, dass es in seinem Leben niemanden gab, dem er wirklich vertrauen konnte. Oder vielleicht doch? Es gab eine einzige Person, die ihn so mochte, wie er war, ohne dass er sie mit seinem ausschweifenden Lebensstil beeindrucken musste.

Das Quietschen der Bremsen riss ihn aus seinen Gedanken. Er blickte aus dem Fenster. Genova stand auf dem blauen Schild des Bahnhofs. Zu dieser Uhrzeit waren die Bahnsteige fast ausgestorben, nur ein Pärchen mit großen Rucksäcken auf dem Rücken betrat den Zug. Doch kurz bevor sich die Türen wieder schlossen, stiegen zwei Polizisten an der hinteren Eingangstür ein. Adam, der natürlich keinen Fahrschein besaß, reagierte in letzter Sekunde, sprang auf und zwängte sich gerade noch durch die sich schließende Tür. Der Zug setzte sich in Bewegung und war kurz darauf um die nächste Biegung verschwunden. Adam blickte nach links und rechts. Er war allein auf dem leeren Bahnsteig. Für einen Moment überkam ihn völlige Mutlosigkeit. Er fühlte sich verloren. Ohne Familie, ohne Freunde, ohne ein Lebensziel. Er schloss die Augen.

»Du wirst damit fertig«, sagte er zu sich selbst. »Einen Schritt nach dem anderen.«

Sein Magen knurrte. Auch das noch.

»Erster Schritt, etwas zu essen auftreiben.«

Adam kramte seinen Geldbeutel hervor. Ein zerfledderter Fünfeuroschein und ein paar Münzen. Das war wenigstens ein Anfang. Er lief zu einem Automaten, der Schokoriegel, Chips und Coladosen anbot. Adam schob den Geldschein in das Lesegerät, doch er war so zerknittert, dass der Automat ihn wieder und wieder ausspuckte. Adam verlor die Fassung. Er trat, so fest er konnte, gegen den Automaten. »Friss den Schein endlich!«, schrie er.

Zu seiner Verwunderung zeigte sein Ausbruch Wirkung. Mit einem Sirren zog der Automat den Geldschein ein. Adam drückte die Zahlenkombination für einen Schokoriegel, der vor einer Metallspirale steckte. Die Spirale begann sich zu drehen und der Schokoriegel bewegte sich vorwärts. Doch anstatt in das Ausgabefach zu fallen, kippte der Schokoriegel nach vorn und blieb an der Glasscheibe hängen. Adam wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Er entschied sich für Lachen.

»Haha! Das gibt’s nicht! Du Mistding!«

Mit einem letzten Schubser ließ er den Automaten hinter sich. Wo sollte er jetzt etwas zu essen herbekommen? Ein Wassertropfen landete auf seiner Nase. Er blickte nach oben, und wie auf Kommando begann es, in Strömen zu regnen. Adam lief die Treppenstufen zu dem Tunnel hinab, der vom Bahnsteig zum Vorplatz des Bahnhofs führte. Bei dem Bahnhofsgebäude handelte es sich um einen palastartigen Bau mit einer riesigen Uhr in der großen Halle. Adam trat nach draußen, überquerte den Busparkplatz und die Hauptstraße, die am Bahnhof vorbeiführte, und durchquerte einen Park auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Schild eines Fast-Food-Restaurants leuchtete an einem Gebäude in einer Seitenstraße. Adam hielt darauf zu. Er hatte zwar kein Geld mehr, aber er musste wenigstens versuchen, an etwas Essbares zu kommen.

Adam betrat das grell erleuchtete Restaurant. An der Theke stand eine junge Frau in einer Uniform. Sollte er sie um ein paar Pommes anbetteln? Nein, das war nicht seine Art. Er würde es mit Charme und Selbstvertrauen versuchen.