Coming out – Ich entscheide, wer ich bin! - Kyra Weider - E-Book

Coming out – Ich entscheide, wer ich bin! E-Book

Kyra Weider

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Beschreibung

Roman für Jugendliche über die erste Liebe, queere Identität und Vertrauen in großer Schrift, ab 12 Jahren, perfekt geeignet als Unterrichtslektüre an weiterführenden Schulen, Kl. 7 – Kl. 10 +++ Samuel will viel lieber ins Basketball-Training, statt Mathe zu pauken. Im Team ist alles unkompliziert – vor allem mit Dilan, bei dem sich Sam immer besonders wohl fühlt. Sein Herz schlägt bis zum Hals, als Dilan ihn zu seinem Geburtstag einlädt. Doch dort hält er plötzlich die Hand eines Mädchens. Warum fühlt sich Sam deshalb so mies? Noch bevor er sich seine Gefühle selbst eingestehen kann, vertraut er sich einem Teamkollegen an – und das hat Folgen …

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Seitenzahl: 106

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Impressum

Titel

Kurz – Leicht – Aktuell – Real

Coming out – Ich entscheide, wer ich bin!

Autorin

Kyra Weider

mit Beiträgen von Oliver Hust

Sensitivity Reading

Aşkin-Hayat Doğan

Umschlagmotiv und Motive im Innenteil

Coverfoto: © Dragon Images, Basketballkorb und Pfeife: © ftstudio, Emojis (S. 75, 77f., 81, 114): © Aratehortua – alle Shutterstock.com

E-Book-Herstellung und Auslieferung

readbox publishing, Dortmund, www.readbox.net

Verlag an der Ruhr

Mülheim an der Ruhr

www.verlagruhr.de

Ab 12 Jahre

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

© Verlag an der Ruhr 2022

E-Book ISBN 978-3-8346-4845-7

Begleitendes Unterrichtsmaterial:

K.L.A.R. – Literatur-Kartei:

Coming out – Ich entscheide, wer ich bin!

Oliver Hust

Kl. 7–10, 64 S., A4

Hefter: ISBN 978-3-8346-4846-4

PDF (Pro-Lizenz): ISBN 978-3-8346-4847-1

PDF (Premium-Lizenz): ISBN 978-3-8346-4848-8

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Zur Autorin

1

Der Unterricht zieht sich wieder ewig. Jede Minute fühlt sich wie eine volle Stunde an. Doch ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass auch dieser endlose Schultag bald vorbei sein wird. Ich beginne, mir auszumalen, wie ich den restlichen Tag verbringen werde.

Sobald ich zu Hause bin, muss ich mir nur noch bis 17 Uhr die Zeit vertreiben. Denn dann habe ich endlich Basketballtraining.

Dort muss ich nicht die Minuten zählen, bis ich endlich nach Hause kann. Beim Basketball kann ich einfach Spaß haben. Leider habe ich nur zweimal die Woche Training.

Schule muss ich mir stattdessen fast jeden Tag antun. Wer hat sich das überhaupt ausgedacht?

Ich schrecke zusammen, als mich mein Sitznachbar anstößt. Fragend schaue ich ihn an.

Seine Augen wandern nach vorne und ich folge seinem Blick zu unserem Mathelehrer, Herrn Lohmann. Um mich herum packen schon alle ihre Sachen ein.

„Samuel?“, fragt mich Herr Lohmann.

„’Tschuldigung, was haben Sie gesagt?“, frage ich zurück, während ich ängstlich darüber nachdenke, was gleich passieren wird.

Hab ich was falsch gemacht?

Herr Lohmann antwortet mir lächelnd: „Ich hatte bloß Jonas, Anna und dich gebeten, noch kurz dazubleiben. Ich möchte noch etwas mit euch besprechen.“

Was genau ist denn los? Herr Lohmann ist immer nett, aber er wird mich kaum loben, so abwesend wie ich in der Schule immer bin.

Irgendeinen Fehler muss ich also gemacht haben. Während alle anderen den Raum verlassen, räume ich nervös mein Zeug zusammen und versammle mich mit Anna und Jonas vor dem Pult.

„Ihr fragt euch bestimmt, was ich von euch möchte“, beginnt Herr Lohmann und schaut uns erwartungsvoll an. Wir nicken verhalten und ich hoffe, dass es keinen Ärger gibt.

„Eure Leistungen haben in den letzten Wochen leider stark nachgelassen. Wenn das so weitergeht, ist eure Versetzung möglicherweise gefährdet. Mir ist es vor allem wichtig, euch bei den Hausaufgaben nicht abzuhängen. Wenn ihr eine Frage habt und es euch vielleicht unangenehm ist, diese vor den anderen zu stellen, könnt ihr auch gerne nach der Stunde zu mir kommen, okay?“ Wieder nicken wir zögerlich und ich atme erleichtert auf. Erst jetzt fällt mir auf, wie angespannt ich bisher war. Eigentlich habe ich bei Herrn Lohmann nichts zu befürchten, ich weiß, dass er nur das Beste für uns will.

Ich habe ihn schon seit einem Jahr in Mathe und mag ihn echt gerne, obwohl ich auch nicht mehr verstehe als vorher. Auf die letzte Klassenarbeit in Mathe habe ich irgendwie noch eine 4- bekommen, aber an das Thema kann ich mich schon nicht mehr erinnern.

Es interessierte mich auch nicht wirklich.

„Wir sollten jetzt daran arbeiten, dass ihr den Stoff aufholt und eure Noten verbessert.

Dafür habe ich ein paar Übungsblätter extra nur für euch vorbereitet. Mit denen könnt ihr die wichtigsten Themen der letzten Wochen wiederholen. Das ist natürlich freiwillig, aber ich denke wirklich, dass es euch helfen wird.“

„Ist das denn viel Arbeit?“, fragt Anna.

„Von nix kommt nix“, antwortet Herr Lohmann und kramt Blätter aus seinem Ordner.

„Und wenn wir keine Zeit für die Extra-Aufgaben haben? Allein für die normalen Hausaufgaben brauche ich schon ewig, weil ich so schlecht bin!“, wirft Jonas ein und verschränkt die Arme.

„Jonas, die Welt besteht nicht aus guten und schlechten Menschen, sondern nur aus mittelmäßigen. Ihr habt alle dasselbe Potenzial und müsst nur etwas daraus machen! Das Ganze ist wie gesagt ein Angebot – nutzt es oder lasst es. Aber diese Blätter können euch wirklich helfen, im Unterricht besser zurechtzukommen. Das ist doch sicher in eurem Interesse“, antwortet Herr Lohmann ruhig.

Nach ein paar Sekunden unangenehmer Stille ergänzt er: „Ihr könnt die Aufgaben auch gemeinsam machen. Wenn man miteinander redet, lernt man sowieso am besten.“

Er reicht uns die Arbeitsblätter und wir verlassen stumm den Raum, nur Anna verabschiedet sich leise. Auf zusätzliche Aufgaben scheint niemand von uns Bock zu haben.

Das alles ist zwar keine Strafe, fühlt sich aber trotzdem so an.

2

Auf dem Weg nach Hause überfliege ich kurz die Überschriften der Arbeitsblätter.

Enttäuscht stelle ich fest, dass ich nicht einmal alle Wörter kenne. Irgendwas mit Stichproben und Verteilungen. Und dann steht noch so ein komisches „Ziegenproblem“ als Spaßaufgabe da. Schon im Unterricht hatte ich nichts davon verstanden, wieso sollte es jetzt anders sein? Und was eine Ziege mit Mathe zu tun hat, will ich gar nicht erst wissen. Ich schiebe die Blätter zu den anderen ungelesenen Arbeitsblättern und beschließe, erst mal nicht weiter darüber nachzudenken.

Später ist ja noch Training und das ist erst mal wichtiger. Ob Dilan heute wieder da ist?

Als ich den Flur unserer Wohnung betrete, sind meine Eltern beide nicht da. Sie arbeiten noch und kommen nicht nach Hause, bevor ich zum Training muss. Bis dahin bin ich also allein. Mit aufgewärmter Lasagne vom Vortag gehe ich in mein Zimmer und schalte meinen Laptop an. Kurz denke ich noch an die Übungsblätter, aber es wäre eh Zeitverschwendung, daran zu arbeiten. Also schreibe ich Özcan an, ob er Lust hat, mit mir ein paar Missionen in SEA OF THIEVES zu spielen. Özcan kenne ich noch aus der Grundschule, seine Familie ist damals leider weggezogen. Zum Glück haben wir den Kontakt bis heute nicht verloren, weil wir uns häufig in Online-Spielwelten treffen.

Fünf Minuten später stehen wir zu dritt auf dem Deck eines virtuellen Zweimaster-Schiffes, setzen die Segel und stechen in See.

Özcan hat noch seinen Kumpel Leon zum Spiel mit eingeladen, den er aus seinem Fußballverein kennt.

„Ahoy, ihr Landratten, was gibt’s denn Neues bei euch?“ fragt Özcan, während ich auf dem Bildschirm meines Laptops dabei zusehe, wie seine Spielfigur eine Angel rausholt und ins Meer wirft.

Leon beginnt, davon zu erzählen, dass er immer noch Streit mit seinen Eltern hat. Sie zwingen ihn dazu, Nachhilfeunterricht in Mathe zu nehmen, obwohl er ganz gute Noten hat. Seine Zeit würde er lieber mit zusätzlichem Fußballtraining verbringen, erklärt er uns. Mit mulmigem Gefühl schaue ich zu dem Blätter-Stapel auf meinem Schreibtisch. In diesem Moment zieht Özcans Spielfigur einen dicken Fisch an Land und wir sehen, wie sie ein kleines Freudentänzchen aufführt. Als er wieder seine Angel ins Wasser wirft, setzt er das Gespräch fort: „Sam, würdest du lieber Mathe-Übungen oder Training nehmen?“

Mit dieser Frage erwischt mich Özcan kalt.

Er hatte schon immer ein Talent dafür, in meinen Kopf reinzuschauen. Tatsächlich würde ich mich über ein bisschen Mathe-Nachhilfe freuen, weil ich dann diese nervigen Blätter von Herrn Lohmann nicht machen müsste. Dann würde mein Vater auch weniger Stress wegen meiner Noten machen. Aber dafür das Training zu opfern? Ich weiß nicht.

Die Frage von Özcan macht mir zu schaffen, aber ich versuche, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen und antworte: „Das Training natürlich. Meine Mitspieler sind einfach die besten Leute, die ich hier in der Gegend kenne! Und lass uns bitte nicht über Schule sprechen. Mein Mathelehrer hat mir heute einen Stapel Extra-Aufgaben gegeben“. „Oh, nee, was ’ne Drecksschwuchtel! Ja, kann ich sofort verstehen, Mann“, ruft Leon.

Ich sehe, dass Leon seine Spielfigur erst lachen und dann mit den Armen wie ein gackerndes Huhn wedeln lässt. Das machen wir immer, wenn uns im Spiel etwas Lustiges passiert. Und irgendwie ist es das erste Mal, dass ich überhaupt nicht darüber lachen kann. Ich bereue es sofort, ihnen die Sache mit Herrn Lohmann erzählt zu haben. Er ist kein schlechter Lehrer und irgendwie finde ich es total falsch, dass ihn jemand mit diesem Wort beleidigt. Leon kennt ihn gar nicht, wieso sagt er sowas? Irgendwie verdirbt mir diese Situation die Laune, aber ich tue so, als würde ich Leon zustimmen. Wenn ich Herrn Lohmann verteidigen würde, würde ich damit nur eine anstrengende Diskussion riskieren.

Und irgendwie kostet es viel mehr Kraft, jemanden zu verteidigen, als jemanden schlechtzureden.

3

Damit ich früher zum Training kann, spiele ich die Mission mit meinen beiden Freunden nicht fertig. Voller Vorfreude packe ich meine Sachen zusammen und verlasse das Haus. Vielleicht sind ja schon ein paar von den anderen da, denke ich. Mit den Leuten aus der Schule habe ich nicht wirklich viel zu tun. Freundschaften haben sich da irgendwie nie ergeben, vielleicht weil in meiner Klasse alle eher zurückhaltend sind. Außer die Kessmeier-Zwillinge, die immer blöde Kommentare aus der letzten Reihe rufen. Im Basketballteam gibt es solche Leute zum Glück nicht.

Wir sind durch gemeinsame Siege und Niederlagen sehr miteinander verbunden. Jonas und ein Junge aus meiner Parallelklasse sind die einzigen aus der Gruppe, die auch auf meine Schule gehen. Der Rest geht auf die Schulen am Bahnhof und im Wohngebiet.

Hoffentlich ist Dilan wieder gesund, mit ihm macht es immer am meisten Spaß. Außerdem ist er einer der besten im Team.

Als ich an der Halle ankomme, ist noch niemand da, also lege ich meine Tasche vor die Eingangstür. Neben der Halle ist ein Sportplatz mit einer Laufbahn. Ich ziehe Kopfhörer an und beginne, zu laufen. Ich genieße das Gefühl, einfach zu laufen, weil es Spaß macht und nicht, weil ich zu spät bin und irgendwo hinmuss. Auf gerader Strecke schließe ich die Augen und fühle mich zum ersten Mal heute so richtig frei. Nur ich und meine Füße, die im Takt der Musik den Boden berühren. Als ich spüre, dass gleich eine Kurve kommt, öffne ich die Augen. Erst jetzt fällt mir auf, wie gut das Wetter heute ist. Vielleicht gehen später noch ein paar Leute raus und spielen ein lockeres Match nach dem Training. Hoffentlich komm ich dann zu Dilan ins Team. Er grinst immer so lustig zu mir rüber, wenn er einen Pass in die andere Richtung antäuscht, den Ball dann aber zu mir wirft. Aus den Augenwinkeln sehe ich plötzlich eine Gestalt neben mir. Ich drehe mich zur Seite und blicke in genau das grinsende Gesicht, an das ich gerade gedacht habe.

„Hey!“, ruft Dilan.

„Oh, äh. Hallo“, erwidere ich etwas überrascht und ziehe mir die Kopfhörer aus den Ohren. Unbewusst breitet sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus. Soll ich ihm sagen, dass ich gerade an ihn gedacht habe?

„Gute Idee, sich schon mal warm zu machen. Ist es okay für dich, wenn ich mitlaufe?“, fragt er.

„Natürlich!“, antworte ich erfreut. „Bist du denn wieder fit?“

„Ja, war zum Glück nur eine Erkältung. Habe ich denn letztes Mal irgendwas verpasst?“

„Nee, nicht wirklich.“ Aber ohne dich war es nur halb so gut, denke ich.

Bei Dilan muss ich mich nicht verstellen.

Anders als bei Leon. Anders als bei den anderen aus der Mannschaft. Die mögen mich zwar, aber auch nur dann, wenn ich erfolgreich spiele. Aber mit Dilan kann ich auch über meine Probleme reden und er hört zu. Nach ein paar Runden setzen wir uns auf eine Bank neben der Laufbahn.

Ich traue mich, ihm von Herrn Lohmanns Extra-Übungsblättern zu erzählen. Auch er kennt meinen Mathelehrer nicht, weil er ja auf eine andere Schule geht. Im Vergleich zu Leon reagiert er aber sehr verständnisvoll, als ich ihm die Geschichte erzähle. „Der meint es wirklich gut mit dir, Sam. Er will dir einfach helfen und er hat Recht. Von nix kommt nix. Aber du schaffst das, das weiß ich.“

Wieder sieht mich Dilan mit diesem Grinsen an. Und während ich in seine großen braunen Augen schaue, ist da plötzlich ein neues Gefühl.

Heute Vormittag sagte Herr Lohmann, es gäbe keine wirklich guten Menschen, sondern nur mittelmäßige. Jetzt, in diesem Moment bin ich sicher, dass er sich irrt: Es gibt verdammt gute Menschen.

4