Conversion (Band 2) - C. M. Spoerri - E-Book

Conversion (Band 2) E-Book

C.M. Spoerri

5,0

Beschreibung

Ich bin Skya und stamme von der Insel Diés. Dieser Satz kam mir bis vor Kurzem ohne Zögern über die Lippen. Aber ... alles hat sich als einzige Lüge herausgestellt und die größten Offenbarungen stehen uns noch bevor. Was hat es mit den Deimos und Alba auf sich? Monster, die zum Töten erschaffen wurden, von Menschen, die Gott spielen? Was ist meine Rolle in dieser fremden Welt, die wir als Rettung angesehen haben und die uns dennoch alle Hoffnung nimmt? Ich habe noch keine Antworten auf meine Fragen erhalten, aber ich werde nicht aufgeben, bis ich die Wahrheit kenne. Warum ich diesen Monolog führe? Weil ... Ich weiß nicht, was mit Zero los ist. Ich erkenne ihn nicht wieder. Er verändert sich, macht mir Angst. Da ist diese Hitze, die ihn innerlich aufzufressen droht, und ich befürchte, dass ich ihn verliere. Ich muss ihm helfen. Es gibt immer einen Weg. Immer.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Kapitel 1 - Zero

Kapitel 2 - Skya

Kapitel 3 - Skya

Kapitel 4 - Skya

Kapitel 5 - Skya

Kapitel 6 - Zero

Kapitel 7 - Zero

Kapitel 8 - Skya

Kapitel 9 - Zero

Kapitel 10 - Zero

Kapitel 11 - Tess

Kapitel 12 - Zero

Kapitel 13 - Tess

Kapitel 14 - Zero

Kapitel 15 - Edean

Kapitel 16 - Skya

Kapitel 17 - Zero

Kapitel 18 - Tess

Kapitel 19 - Skya

Kapitel 20 - Skya

Kapitel 21 - Zero

Kapitel 22 - Skya

Kapitel 23 - Skya

Kapitel 24 - Edean

Kapitel 25 - Skya

Kapitel 26 - Zero

Kapitel 27 - Zero

Kapitel 28 - Skya

Kapitel 29 - Skya

Kapitel 30 - Edean

Kapitel 31 - Tess

Kapitel 32 - Edean

Kapitel 33 - Zero

Kapitel 34 - Zero

Kapitel 35 - Edean

Kapitel 36 - Skya

Kapitel 37 - Zero

Epilog - Príma

Dank

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C. M. Spoerri & Jasmin Romana Welsch

 

 

Conversion

Zwischen Göttern und Monstern

Band 2

 

Dystopie

 

Conversion (Band 2): Zwischen Göttern und Monstern

Ich bin Skya und stamme von der Insel Diés. Dieser Satz kam mir bis vor Kurzem ohne Zögern über die Lippen. Aber … alles hat sich als einzige Lüge herausgestellt – und die größten Offenbarungen stehen uns noch bevor. Was hat es mit den Deimos und Alba auf sich? Monster, die zum Töten erschaffen wurden, von Menschen, die Gott spielen? Was ist meine Rolle in dieser fremden Welt, die wir als Rettung angesehen haben und die uns dennoch alle Hoffnung nimmt?

Ich habe noch keine Antworten auf meine Fragen erhalten, aber ich werde nicht aufgeben, bis ich die Wahrheit kenne.

Warum ich diesen Monolog führe? Weil … Ich weiß nicht, was mit Zero los ist. Ich erkenne ihn nicht wieder. Er verändert sich, macht mir Angst. Da ist diese Hitze, die ihn innerlich aufzufressen droht, und ich befürchte, dass ich ihn verliere. Ich muss ihm helfen. Es gibt immer einen Weg. Immer.

 

 

Die Autorinnen

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt zusammen mit ihrem Mann in der Schweiz. Sie schreibt in erster Linie Jugendromane im High-Fantasy-Genre sowie New-Adult-Romane.

 

Jasmin Romana Welsch wurde 1989 in Graz geboren und lebt auch heute noch mit ihrem Freund und ihrer Hündin Yuki in der Steiermark. Aus ihrer Feder stammen mehrere Jugendbücher, in denen sich fast immer humoristische, aber auch dramatische Akzente wiederfinden.

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, September 2017

© Sternensand-Verlag GmbH, Zürich 2017

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski | alexanderkopainski.de

Korrektorat: Wolma Krefting | bueropia.de

Satz: Sternensand Verlag GmbH

Druck und Bindung: Smilkov Print Ltd.

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-906829-65-4

ISBN (epub): 978-3-906829-64-7

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Freundschaft

ist eine Seele

in zwei Köpfen.

Bei Autorinnen können es

durchaus auch mehrere Seelen sein … ;-)

 

 

 

Viel Freude mit dem Finale unserer Geschichte

 

Corinne & Jasmin

 

 

Kapitel 1 - Zero

 

Ich fiel und verbrannte dabei.

Immer tiefer, immer heißer, immer endgültiger.

Zuvor war da noch das Meer gewesen, blaue Wellen, ein Horizont, der Lunamontem. Ich hatte mich glücklich fühlen wollen, frei. Aber dann hatte dieses Feuer in mir plötzlich zu lodern begonnen und war unerträglich geworden.

Diés-Augen. Tiefe, kluge, dunkle Sterne, die mich sorgenerfüllt gemustert hatten.

War sie noch hier? Brannte sie mit mir? Hoffentlich hatte ich sie beschützen können.

Seit mein Bewusstsein der Realität entglitten war, waren meine Gedanken dabei, hinter dem trügerischen Nebel aus Vergessen und Verdrängen aufzuklaren. Meine Seele brannte trotzdem und ich fiel weiter und weiter in einen Abgrund, aus dem ich nie wieder würde hochklettern können. Vielleicht war es gut, in Flammen zu stehen. Vielleicht war es meine Bestimmung, zu brennen und zu fallen.

Etwas floss durch meine Adern und unterdrückte die Hitze, die ich gerade genießen lernen wollte.

Ein Gift. Es fühlte sich wie Gift an …

Wer tat mir das an?

Wieso tat er mir das an?

Oder waren es mehrere? Ich konnte mehrere Stimmen hören …

Vielleicht wollten sie mich töten, aber ich war stark, auch wenn ich brannte. Das Gift verbot mir, das Hier und Jetzt zu begreifen. Ich vergaß wieder alles, sogar meinen Namen. Mein Bewusstsein hing irgendwo zwischen Traum, Halluzination und Wirklichkeit gefangen.

So viele fremde Stimmen, die ich nicht hören wollte.

»Die Mutation ist noch nicht abgeschlossen …«

Mutation? Ich mutierte nicht, ich verbrannte nur.

»Wir brauchen Messwerte seines Zustandes, sofort! Lasst ihn mutieren, ich will sehen, was mit seiner DNS passiert!«

»Aber wenn er zu Kräften und zu Bewusstsein kommt, dann könnte er uns …«

»Nein! Kettet ihn fest! Wir brauchen diese Werte! Wenn er aufwacht, brecht seinen Verstand!«

Niemand würde mich zerbrechen. Ich wollte nur brennen …

Die Bilder, die vor meinem inneren Auge aufflackerten, schmerzten regelrecht. Sie kamen irgendwo ganz tief aus meinem Bewusstsein, so tief, dass es sich unnatürlich anfühlte, sie zu sehen. Ich hatte sie nicht heraufbeschworen, sondern diese Stimmen und ihr Gift waren schuld daran.

Es fühlte sich an, als würden diese fremden Leute um mich herumstehen und in meiner Seele lesen.

Ich sah Dinge aus meiner Vergangenheit. Dinge, die ich erlebt hatte …

Ich sah meinen Vater. Dieser große, starke Nox, der immer so streng mit mir gewesen war und den ich trotzdem geliebt hatte. Und ich sah meine Mutter, obwohl ich mich eigentlich nicht an sie erinnern konnte.

Dennoch waren die Bilder mit einem Mal da – Bilder, die ich noch nie gesehen hatte.

Meine Eltern saßen in einem Boot, auf dem Meer, fuhren dem Horizont entgegen, mit mir. Als der Himmel über ihnen zerriss und in Blitzen und Glut zerging, brachte ich den Tod. Ich sah meine Mutter sterben, weil das kleine Monster in ihren Armen sie tötete. Mein Vater schrie und weinte. Ein großer, starker Nox, der in Tränen und Schmerz versank. Als er den Himmel geflickt hatte, war es vorbei und das Monster verschwand in mir – ich blieb.

War es damals wirklich so passiert? Hatte ich meine Mutter getötet? Wieso wollten diese fremden Menschen so furchtbare Geschichten in meiner Seele lesen?

Ich konnte mich nicht dagegen wehren, das Gift drang tiefer vor. Immer tiefer in meinem Verstand.

Die Bilder zeigten mir Nox, meine Insel, auf der ich größer und stärker geworden war. Ich sah meinen Bruder Calem und all die anderen. Glückliche Marionetten, welche an unsichtbaren Fäden tanzten, die aus dem Himmel kamen.

Der Rat. Die schöne Flora, die meinen Vater küsste, bevor er ein letztes Mal in den Lunamontem ging. Neurus, der mit der Peitsche vor mir stand und auf mich einschlug. Was für ein Monster er gewesen war.

Oder war ich das Monster? Wer war ich eigentlich? Mir fiel mein Name noch immer nicht ein.

Ich sah Dinge passieren, an die ich mich gar nicht erinnern konnte, weil ich nicht dabei gewesen war.

Keine Träume, die Wahrheit, ich war mir sicher.

Diés- und Nox-Räte, die sich im Schutz der Dämmerung trafen und über Lügen beratschlagten, die sie an uns verfütterten wie Brotkrumen an hungrige Fische. Die Diés-Rätin Praeda und den alten Neurus mit Amuletten um ihren Hals, die den Himmel zerreißen lassen konnten. Mächtige Schlüssel, die früher meiner Mutter und meinem Vater gehört hatten. Ich hatte sie im Boot gesehen. Bevor meine Mutter …

»Macht ihn los! Was macht ihr mit ihm?!«

Diese Stimme. Ich kannte sie. Sie drängte mein Bewusstsein näher an die Realität, weg von den Bildern, die sie irgendwie aus meiner Seele lasen. Mir wurde wieder wärmer. Das Feuer begann, gegen das Gift in meinen Venen anzukämpfen. Als ich weiche, zitternde Hände an meinen Wangen fühlte, riss ich die Augen auf.

Ihr Gesicht, diese schönen, weichen Züge, nach denen mein Innerstes sich so sehnte – ich konnte mich auf sie fokussieren, während der Hintergrund in schummrigen Wellen in meinem Blickfeld tanzte.

»Alles wird gut!«, hauchte sie mir mit bebender Stimme entgegen. Ihr nächster Satz galt nicht mir, sie schrie ihn und ihre Miene wurde streng. »Macht ihn endlich los!«

Ich wollte die Hände heben, sie umarmen, an mich ziehen. Doch ich fühlte Ketten um meinen Körper, kalt und unnachgiebig. Sie hielten mich an der harten Fläche gefangen, die an meinem Rücken verlief.

Ihr Gesicht verschwand, weil sie sich umdrehte und ich begann, meine Umgebung schemenhaft wahrzunehmen.

So viel Silber, so viel glänzendes Metall und grelles Licht, das in meinen Augen brannte. Ich wollte ihr sagen, dass sie wieder näher kommen sollte, weil ich sie brauchte, aber ich hatte vergessen, wie meine Stimme klang, also konnte ich sie auch nicht benutzen.

»Ihr habt gesagt, ihr helft ihm!«

Wieder ihre Stimme. Sie konnte so wütend klingen. So wie jetzt.

»Aber ihr fesselt ihn und schließt ihn an irgendwelche Maschinen an! Seht ihr nicht, dass er leidet? Helft ihm doch. Ihr quält ihn!«

Sie kämpfte für mich, weil ich auch für sie gekämpft hatte, vor gar nicht allzu langer Zeit … oder?

Ja. Ich hatte sie beschützen wollen, dann begann ich, die Kontrolle an das Feuer zu verlieren. Auf meiner Insel Nox … mitten im Chaos.

Waren wir noch dort?

Nein, ich hatte das Boot ins Meer gezogen, und wir waren der Ungewissheit in die Arme gesegelt.

Sah es so aus? Das Land der Götter? Kahl, weiß, kalt, grell und silbern?

Nein. Neben sie trat kein Gott, sondern ein Mann im weißen Kittel mit seltsam braunen Haaren.

»Wir tun ihm nichts. Wir verhindern nur, dass er uns alle tötet!«, sagte er mit energischer Stimme.

Töten. Ich wollte sie nicht töten. Ich wollte sie nur küssen.

Sie blickte wieder in meine Richtung und ich sah Sorge in ihren dunklen, großen Augen glänzen.

Komm wieder zu mir. Ich will dich spüren. Bitte.

Als könnte sie meine Gedanken lesen, setzte sie sich in Bewegung und ging wieder auf mich zu. Kurz bevor sie mich erreichte, wurde sie aber am Arm gepackt.

Mein Blick verschleierte sich wieder, weil das grelle Licht meine Augen so stark tränen ließ.

Wer stand da neben ihr?

Ein Nox. Einen Kopf größer als sie, breite Schultern, starke Arme. Er sah aus wie ich. Sie blickte zu ihm hoch, und in mir züngelten die Flammen auf.

»Geh nicht zu ihm«, murmelte der fremde Nox. »Er ist im Moment nicht er selbst. Komm. Hier ist es nicht sicher für dich.«

Das Knurren aus meiner Kehle tönte gemeinsam mit dem Knacken des Metalls, das sich unter meinen angespannten Muskeln verzog. Alle Augen waren plötzlich auf mich gerichtet, auch ihre. Sie riss sich nicht von ihm los. Er durfte sie anfassen, und mein Blut begann zu kochen.

»Geh zu deiner Freundin und dem anderen Nox. Sie brauchen dich jetzt. Ich passe auf ihn auf. Ich schwöre dir, dass er nicht sterben wird. Das hier ist notwendig, ich erkläre dir noch, warum«, sagte er und legte seine Hände auf ihre Schultern. »Vertrau mir, Skya …«

Skya.

Meine Skya!

Ihr Name löste Gefühle in mir aus, die mich so unbeherrscht werden ließen, dass mein Blick sich wieder verschleierte und mein Bewusstsein mir erneut entglitt. Ich hörte nicht mehr, was sie zu ihm sagte, sah nicht mehr, ob er ihr noch näher kam, aber das hätte ich auch nicht ertragen.

Schwärze, eine ganze Weile. Eine weitere Dosis Gift, die durch meine Adern schnellte wie kleine, kalte Eiskristalle.

Ich fühle mich so elend …

»Du bist stärker, als wir vermutet haben.«

Die tiefe Stimme ließ mich die Augen aufschlagen und zuerst wieder nur verschwommene Umrisse erkennen.

Der Nox von vorhin stand so nah, ich dachte zuerst, ich würde in einen Spiegel blicken. »Unterdrück die endgültige Mutation, so lange du kannst. Du hilfst uns, Daten zu sammeln, die wir brauchen, um diesen elenden Krieg endlich zu beenden.«

Kein Spiegel, er war nicht ich, der Nox sah mir nur unheimlich ähnlich. Sein Haar war etwas länger als meines, fiel ihm bis zu den Schultern. Ein angedeuteter Dreitagebart zeichnete sich auf seinem Kiefer ab. Die Augen waren eisblau, sein Blick eindringlich. Er hatte seine Hand um meinen Hals gelegt, nicht fest, aber bestimmend genug, um mir das Atmen schwer zu machen. Ich fühlte etwas Spitzes in meine Schlagader stechen, dann ließ er mich los und trat einen Schritt zurück.

»Es tut mir wirklich leid für dich, aber in dieser grausamen Welt sind Opfer leider eine Notwendigkeit geworden.«

Sein schwaches, müdes Lächeln und der sanfte Tonfall linderten die aufkommende Hitze in mir nicht. Im Gegenteil. Meine Muskeln spannten sich wieder an und ein Knurren drang aus meiner Kehle.

Nur er und ich, der seltsame Raum war sonst leer, Skya war verschwunden.

»Mach dir keine Sorgen. Ich passe auf sie auf. Ihr wird nichts passieren. Sie ist stark, sie wird darüber hinwegkommen. Sie wird … über dich hinwegkommen.«

»Nein …«

Das erste Wort aus meiner Kehle. Meine Stimme klang so fremd, rau, düster und von der Wut gezeichnet, die dieser elende, arrogante Nox mit seinem geheuchelten Mitgefühl bei mir auslöste.

Er seufzte und schüttelte langsam den Kopf.

Ich wollte ihn zerfetzen! Wären diese Ketten nicht gewesen, wäre das Mitleid in seinen Augen zu Angst geworden.

»Du verstehst nicht, was hier passiert«, erklärte er in belehrendem Tonfall. »Wir wollen diese Welt retten, den Krieg beenden. Du leistest einen großen Beitrag, indem du dich opferst. Wenn es dir dann leichter fällt: Tu es für Skya. Du liebst sie, oder?«

Ich knurrte wieder, aber das Geräusch verlieh meinen Gefühlen im Moment genügend Ausdruck.

Er seufzte erneut und wandte sich von mir ab.

Die Stelle an meinem Hals, in die er vorhin gestochen hatte, wurde plötzlich eiskalt. Irgendetwas machte sich in mir breit und es fühlte sich wieder nach Gift an.

»Ich … töte … dich … wenn du sie … anfasst. Monster!«

Die Worte kamen kaum noch verständlich aus meinem Mund, aber der Nox drehte sich noch mal nach mir um und trat wieder näher, beugte sich zu mir herunter. So nahe, dass seine Wange beinahe meine berührte. Meine Lippen zuckten vor Wut und Blutrausch, aber ich konnte mich noch immer nicht bewegen.

Als er mir die Worte ins Ohr hauchte, zerbrach etwas in mir, das nie wieder ganz werden würde.

»Nicht ich bin das Monster, sondern du, Zero.«

Kapitel 2 - Skya

 

Ich lief in dem Raum auf und ab, als wäre ich ein Wolf, den man in einen zu kleinen Käfig eingesperrt hatte.

Es war kaum auszuhalten … diese Ungewissheit. Diese lähmende Angst. Diese zermürbenden Sorgen …

Was war mit Zero los? Warum erkannte er mich nicht mehr? Warum hatte er diese dunklen Augen, die nichts mehr mit den blauen Iriden gemeinsam hatten, die mir so vertraut waren? In die ich mich verliebt hatte? In denen ich mich selbst sah?

Wo war er bloß?

Im Nebenraum … ja. Aber … er war dennoch nicht mehr bei mir. Und es fühlte sich an, als entferne er sich mit jeder Sekunde, die verstrich …

Ich sehnte mich nach seinen Armen, nach seinem Herzschlag, sogar nach seinem überheblichen Lächeln. Wie viel hätte ich dafür gegeben, noch einmal einen seiner flapsigen Sprüche zu hören. Seine Lippen auf meinen zu spüren. Seine Hände, die mich an sich zogen, über meinen Körper strichen.

Doch wie er mich vorhin angesehen hatte … so … gefühllos. So kalt. Kälter, als ich es von ihm gewohnt war. Und dennoch hatte dieses Feuer in ihm gebrannt. Diese Hitze …

Ich schauderte, als ich daran dachte.

Zum ersten Mal hatte ich es wahrgenommen, als er im Boot, das wir zur Flucht von der Insel Nox gebraucht hatten, am Morgen aufgewacht war. Als er mich genau wie vorhin angesehen hatte. Schon da bemerkte ich, dass etwas in ihm sich veränderte. Aber ich hatte es der Erschöpfung zugeschrieben. Den schlimmen Stunden, die wir auf Nox erleben mussten.

Ich trug immer noch das hellgraue Kleid, das die Räte mir für die Hinrichtung gegeben hatten. Meine Haare waren inzwischen jedoch zerzaust und die Blüten darin verwelkt.

Meine Ziehmutter Praeda … sie hatte uns gerettet. Vor dem, was mir und Zero bevorgestanden hatte. Vor unserem Tod.

Wir hatten fliehen können – dank ihr.

Und jetzt waren wir im Land der Götter … wo es keine Götter gab. Nur weiß gekleidete Menschen mit komischen Haarfarben. Und Fragen – Unmengen von Fragen.

Ob wir in eine bessere Zukunft geraten waren, wagte ich zu bezweifeln. Hier war nichts besser … denn Zero war nicht mehr bei mir. Gab mir keinen Halt mehr. Ich war alleine. In einer fremden Welt. Mit fremden Personen.

Meine Freundin Mona war zusammen mit Zeros Bruder Calem und meinem Jugendfreund Teias weggebracht worden. In einen Raum, den sie ›Kantine‹ nannten. Wo es für uns alle etwas zu essen gab. Aber ich hatte keinen Hunger gehabt, als sie mich ebenfalls dorthin bringen wollten. Ich hatte bei Zero bleiben wollen.

Was taten sie ihm nur an? Warum pumpten sie immer wieder diese weiße Flüssigkeit in ihn? Was sahen sie auf ihren Monitoren, die neben ihm standen? Was war eine DNS?

Man hatte mir nichts gesagt. Meine Fragen nicht beantwortet. Hatte mich behandelt wie einen Fremdkörper.

Ich sah mich in dem kleinen Raum um, in den der langhaarige Nox mich gebracht hatte.

Es gab hier nicht viel zu sehen. Die Wände waren kahl, weiß, keinerlei Möbelstücke oder sonstige Einrichtungsgegenstände. Das Zimmer besaß zwei Türen. Eine führte zu Zero, die andere zu dem Gang, durch den wir hergekommen waren. Von der Decke schien ein viel zu helles Licht, das mich blendete, wenn ich nach oben sah. Ich vermisste den Schein von Feuer und das natürliche Licht der Sonne.

Der Nox hatte mich angewiesen, hier auf ihn zu warten, bis er mich holen käme.

Es war derselbe junge Mann, der uns zusammen mit dem Diés-Inducer auf dem Meer gefunden hatte. Edean hieß er. Ein komischer Name, den ich mir kaum merken konnte … Edean war groß, breitschultrig, muskulös. Er sah Zero sehr ähnlich, war ungefähr in demselben Alter, hatte eine gerade Nase, hohe Stirn und eisblaue Augen. Jedoch waren seine blonden Haare länger und er trug einen Dreitagebart.

Er war ein Nox, wie Zero.

Doch er war nicht er. Er war … anders. Fremd.

Fremd wie alles hier …

Ich ballte die Hände zu Fäusten und spürte Übelkeit in mir hochsteigen.

Was, wenn Zero mir ebenfalls fremd bleiben würde? Was, wenn der Mann, der geschworen hatte, immer der Zero zu bleiben, dem ich mich hingegeben hatte … was, wenn er nie wieder so sein würde wie damals?

Tränen traten in meine Augen und ich versuchte mit aller Kraft, sie zurückzudrängen. Vergebens. Beim nächsten Blinzeln rannen sie über meine Wangen, und ich schmeckte wenige Sekunden später die salzige Flüssigkeit auf meinen Lippen.

Verdammt … ich hatte geglaubt, hier würde uns eine gemeinsame Zukunft erwarten. Stattdessen waren wir in weiterer Ungewissheit gelandet … in Schmerz und Zweifel.

Nicht einmal eine Sitzgelegenheit gab es hier. Ich lachte freudlos bei diesem Gedanken. So absurd. Als ob mein größtes Problem gerade wäre, wo ich mich hinsetzen sollte … ich hatte viel, viel größere Probleme …

Als ich des Herumwanderns müde wurde, setzte ich mich auf den Boden, den Blick auf die Tür gerichtet, die mich von Zero trennte. Dahinter konnte ich keinen einzigen Laut hören. Es war so still um mich herum, wie es in meinem ganzen Leben noch nie gewesen war.

Ehe ich mich in dieser Stille gefangen fühlen konnte, sprang ich wieder auf und lief zur Tür.

Edean hatte mich zwar angewiesen, auf ihn zu warten, aber ich hielt diese Ungewissheit nicht länger aus. Ich musste wissen, was sie da drin mit Zero anstellten.

Als ich nach Viereck, das rechts neben dem Spalt war, der sich geöffnet hatte einer Klinke suchte, fand ich jedoch keine. Nur ein leuchtendes, kleines, als Edean mich hierher gebracht hatte.

Panik ergriff mein Herz mit eisiger Hand und drückte es zusammen, bis ich kaum noch Luft bekam.

War ich eine Gefangene? Hatten sie mich hier drin eingesperrt?

Was wollten diese Nox und Diés und die anderen Personen mit den komischen Haarfarben von mir? Warum durfte ich nicht zu Zero?

Mit aller Kraft kämpfte ich gegen die Angst an, rang sie nieder.

Ich brauchte Antworten – keine weiteren Fragen!

Entschlossen ballte ich meine Hände zu Fäusten. Aber bevor ich gegen die Tür hämmern konnte, öffnete sie sich so plötzlich und lautlos, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurückwich.

Vor mir stand Edean und sah stirnrunzelnd auf mich herunter. Er trug dieselbe weiße Kleidung, die er auch getragen hatte, als er uns vor wenigen Stunden auf dem Meer aufgelesen hatte. Seinen Kapuzenumhang hatte er jedoch abgelegt und so konnte ich durch das enge Shirt erkennen, wie muskulös er gebaut war. Was nicht weiter verwunderlich war, schließlich war er ein Nox. Für den Kampf geschaffen. Er überragte mich genau wie Zero um einen Kopf, sodass ich mein Kinn etwas anheben musste, um ihn anzuschauen.

»Was macht ihr mit ihm?«, wiederholte ich die Frage, die ich ihm gefühlt hundert Mal bereits gestellt hatte. Ich versuchte jedoch, weniger wütend zu klingen als zuvor. Das hatte mir nur die Konsequenz eingebracht, dass Edean mich weggeschickt hatte.

Der Nox musterte mich kurz mit seinen stechend blauen Augen, dann zog er die Brauen zusammen. »Wie fühlst du dich?«

Eine vollkommen absurde Frage. Ich wollte ihm schon an den Kopf werfen, dass er sich wohl vorstellen könnte, wie ich mich fühlte, nachdem sie den Mann, den ich an meiner Seite haben wollte, festgekettet hatten wie einen Schwerverbrecher und irgendwelche Dinge mit ihm anstellten, die ich nicht verstand. Die er nicht verstand.

Doch er hob die Hand in die Luft, ehe ich ihn anfahren konnte. Offenbar hatte er die Antwort an meiner Mimik abgelesen. »Es geht ihm gut«, erklärte er stattdessen. »Nun … zumindest so gut, wie es ihm in seinem Zustand gehen kann.«

»Was macht ihr mit ihm?!«, wiederholte ich meine Frage energischer.

Er schien einen Augenblick lang abzuwägen, was er mir erzählen konnte, dann legte er den Kopf schief. »Wir halten ihn am Leben.«

»Am Leben?!« Meine Stimme überschlug sich beinahe. »Warum? Stirbt er an dieser Hitze, die in seinem Inneren glüht?« Ich konnte nichts dagegen tun, dass ich mich zittrig anhörte. Ich war einem Nervenzusammenbruch schon sehr, sehr nahe.

»Beruhige dich, Skya«, murmelte Edean und trat einen Schritt auf mich zu, um mich bei den Schultern anzufassen.

Ich trat von ihm weg und funkelte ihn stattdessen wütend an. »Sag mir endlich, was hier los ist!«, verlangte ich. »Ich weiß, dass ihr mir etwas verschweigt. Und ich will wissen, was!«

Edean seufzte leise, dann zuckte er mit den Schultern. »Du bist eine sehr hartnäckige, kleine Diés«, sagte er und es klang beinahe wie eine Kapitulation. »Ich werde dir erzählen, was du wissen möchtest. Aber nicht hier. Folge mir bitte.«

Ich rührte mich nicht vom Fleck. »Wohin? Und was passiert mit Zero?«

»Ihm wird in der Zwischenzeit nichts geschehen«, antwortete der Nox und warf einen raschen Blick zu der Tür, aus der er gekommen war. »Versuch, mir zu vertrauen. Bitte. Weder ich noch die anderen wollen dir Böses.«

»Ach ja? Und warum darf ich dann nicht zu ihm?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an.

Ich wusste, dass ich keine Chance hatte, zu Zero zu gelangen, solange es dieser Nox mir nicht erlaubte. Er war größer, stärker und schneller als ich. Dennoch war ich nahe daran, es drauf ankommen zu lassen – und wenn ich auch nur einen einzigen Blick auf Zero werfen und mich vergewissern könnte, dass es ihm wirklich gut ging.

»Du darfst nicht zu ihm, weil es gefährlich für dich ist«, antwortete Edean in ruhigem Tonfall. Er klang fast, als versuche er, einem störrischen Kind zu sagen, dass es nicht mit vollem Magen baden gehen sollte. »Den Grund werde ich dir erklären – aber nicht hier.«

Ich zögerte, dann nickte ich, da ich einsah, dass er nicht von seiner Meinung abweichen würde. »Darf ich ihn wenigstens noch sehen, ehe wir von hier weggehen?«

Dem Nox war anzumerken, dass er am liebsten meine Bitte verneint hätte, aber schließlich nickte er. »Gut, aber nur zwei Sekunden. Sollte er aufwachen und dich sehen, wird es gefährlich. Nicht nur für dich.«

Ich spürte bei seinen Worten einen Schauer über meinen Rücken jagen.

Was war das bloß für eine Hitze, das Zero innerlich verbrannte? Warum hatten diese Fremden ihn auf die Trage geschnallt? Warum war er so gefährlich?

Edean ging an mir vorbei und griff nach einem viereckigen Plastikstück, das mit einer Kordel an seinem Hosenbund befestigt war. Dieses hielt er an die leuchtende Fläche neben der Tür und mit einem kaum hörbaren Zischton öffnete sich diese wie durch Zauberhand. Ich begriff, dass dieses viereckige Ding in seiner Hand wohl eine Art Schlüssel sein musste. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Aber diese Leute hier schienen ohnehin viele Dinge zu besitzen, die wir auf Diés und Nox nicht gekannt hatten.

Ich atmete tief durch und trat dann hinter ihm in den weißen Raum, aus dem ich vorhin weggeschickt worden war.

Auch wenn ich auf den Anblick gefasst war, der sich mir bot, zog sich dennoch mein Herz schmerzhaft zusammen, als ich Zero auf der Vorrichtung liegen sah. Sein Körper war mit dicken Eisenketten auf einer Art Tisch festgebunden. An den Fußgelenken trug er Riemen, die ihn auf der Liege festhielten. Die Hände waren vor seinem Bauch aneinandergefesselt und die Ketten verliefen davon links und rechts um die Trage herum, sodass er sich kaum rühren konnte. Sein Oberkörper war nackt und mit irgendwelchen Sonden übersät, die rötlich blinkten. Von ihnen führten unzählige Kabel weg und zu einem Gerät, auf dessen Monitor Zahlen und Diagramme erschienen. Dahinter standen mehrere weiß gekleidete Frauen und Männer, die uns stirnrunzelnd musterten, ehe Edean ihnen mit einem Wink zu verstehen gab, dass er mir erlaubt hatte, nochmals einzutreten.

Ich blieb zwei Meter von Zero entfernt stehen und versuchte, nicht die Fassung zu verlieren.

Da lag er … der Nox, der mich geküsst hatte. Der Nox, der mir geholfen hatte. Der Nox, den ich liebte.

Zero …

Mein Zero.

Mein Herz krampfte bei der Erinnerung daran, wie stark er noch vor wenigen Stunden gewesen war. Wie viel Halt er mir gegeben hatte.

Ich vermisste seine Stimme. Sein Temperament. Seine Blicke …

Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle und ich schluckte ihn mit aller Kraft runter.

Hinter mir spürte ich Edean, der so nahe zu mir getreten war, dass er mich jederzeit packen konnte, sollte ich auf den Gedanken kommen, noch näher zu Zero zu gehen.

»Er wurde jetzt in eine Art Koma versetzt«, erklärte er mir und ich spürte unwillkürlich eine Gänsehaut, als ich seine Stimme so nahe an meinem Ohr vernahm.

»Was heißt das?«, flüsterte ich.

»Er schläft.«

»Wie lange?«

»So lange, wie er die Mutation noch unterdrücken kann.«

»Mutation?« Ich drehte meinen Kopf etwas in Edeans Richtung und konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie er nickte.

»Komm, Skya. Ich werde deine Fragen beantworten. Aber nicht hier. Wenn er deine Stimme hört, kann es sein, dass er aus dem Koma erwacht und dann ist es zu spät für ihn.«

Zu spät …

Was bedeutete das? Wofür zu spät?

Ich kämpfte gegen den Drang an, ihm diese Frage zu stellen und gab dem Druck an meiner Schulter nach. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie Edean seine Hand darauf gelegt hatte.

Mit einem letzten Blick auf Zero wandte ich mich ab und verließ den Raum. Zurück ließ ich mein Herz, das um den Nox weinte, in den ich mich in einer anderen Welt verliebt hatte.

Kapitel 3 - Skya

 

Ich folgte Edean durch weiße, kahle Gänge. Alles wirkte so steril, wie ich es noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ich fühlte mich unwohl und fehl am Platz.

Als wir endlich zu einer Glastür kamen, die ganz offensichtlich nach draußen in einen Innenhof führte, atmete ich so laut und erleichtert auf, dass Edean sich zu mir umdrehte, ehe er die Tür öffnete und mich hinausbat.

Wir betraten eine Art Garten. Zumindest wirkte es, als hätte jemand hier einige Blumenbeete anlegen wollen. Aber die Blüten waren so spärlich zwischen den penibelst gepflegten Kieswegen angepflanzt, dass es eher wie ein Kunstwerk wirkte und nicht wie ein gemütlicher Aufenthaltsbereich.

Der Innenhof war rechteckig und wurde durch vier Gebäudefassaden begrenzt. Es gab bis auf die Tür, durch die wir gekommen waren, keinerlei andere Ausgänge. Nur Fenster, die jedoch durch helle Planen verborgen waren, welche wohl die Sonne abhalten sollten. Es war inzwischen später Nachmittag, aber die Sonnenstrahlen brannten heiß vom wolkenlosen Himmel über uns herunter. Die Hauswände waren ebenso weiß wie das meiste, was ich bisher hier zu sehen bekommen hatte.

Dieser Innenhof war ein weiteres, steriles Gefängnis …

Edean ging mir voran zu einem hellen Baldachin, der Schatten vor der wärmenden Sonne spendete. Ich blieb kurz stehen und ließ mich von ihren Strahlen trösten – dem Einzigen, was mir vertraut war. Sie wärmten mich und ich schloss die Augen, als ich mein Gesicht der Sonne zuwandte. Einen Moment lang war ich versucht, zu Göttin Solaris zu beten – dann überlegte ich jedoch, dass es wohl nie eine Göttin gegeben hatte, und ließ es. Stattdessen folgte ich Edean in den Schatten.

Eigentlich hätte ich mich verloren fühlen sollen. Traurig. Hoffnungslos.

Aber ich bekämpfte all diese Gefühle, die ich hätte empfinden sollen. Drängte sie tief in mein Innerstes. Ich musste jetzt stark sein. Nach vorne schauen. Das Beste aus der Situation machen – und vor allem: Antworten erhalten.

Der Zusammenbruch würde kommen – später. Wenn ich alleine war. Denn was ich bisher alles erfahren hatte, hatte ich noch nicht wirklich verarbeiten können. Wenn mir erst einmal das ganze Ausmaß der Lügen bewusst wäre, würde ich wahrscheinlich stundenlang weinen.

Jetzt war allerdings noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Also setzte ich mich auf einen der eisernen Gartenstühle, die unter dem Schattendach standen und mit bequemen Kissen bestückt waren. Sie waren um einen runden Tisch herum angeordnet, auf den irgendjemand allerlei Gebäck, Obst und Knabbereien hingestellt hatte. Außerdem eine Kanne voll Wasser sowie Gläser. Es war so schön angerichtet, dass es mir unwirklich erschien.

Aber was war schon die Wirklichkeit? Was war Lüge? Was die Wahrheit?

Edean füllte zwei Gläser mit Wasser und reichte mir eines, ehe er sich mir gegenüber hinsetzte. Ich stellte das Getränk jedoch unangetastet auf den Tisch zurück, was dem Nox ein leises Seufzen abrang.

»Du vertraust mir nicht, das kann ich verstehen«, meinte er mit einem Blick auf mein Glas. »Aber das Wasser ist nicht vergiftet und du solltest wenigstens etwas trinken. Ihr seid lange auf dem Meer gewesen, ohne Proviant und ohne Getränke. Dein Körper braucht Flüssigkeit, Skya.«

Ich erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Was ich brauche, sind Antworten.«

Edean sah mich nachdenklich an, dann trank er einen großen Schluck Wasser. »Nun gut. Ich habe dir versprochen, dass ich dir deine Fragen beantworte.« Er griff nach der Obstschale und hielt sie mir hin. »Du trinkst und isst, ich rede. Abgemacht?«

Ich sah das Obst skeptisch an, ohne mich zu rühren.

»Wenn ich dich töten oder überlisten wollte, Skya, hätte ich andere Mittel dazu. Zudem hätte ich dich dann wohl kaum hierher geführt.« Langsam konnte ich Ärger in den hellblauen Augen aufblitzen sehen. »Iss und trink etwas.«

Ich zögerte, griff dann aber nach ein paar Trauben und steckte mir die erste in den Mund. Im Grunde hatte er recht: Ich hatte seit vielen Stunden nichts mehr zu mir genommen und mein Magen knurrte leise, als ich die Traube herunterschluckte und eine zweite aß, ehe ich einen Schluck Wasser probierte. Es war das Beste, was ich seit Langem gekostet hatte – viel besser, als das Wasser auf den Inseln.

Edean beobachtete mich, dann nickte er wohlwollend. »Wie gesagt: Wir wollen dir hier nichts Böses«, wiederholte er und griff selbst nach einem Gebäck, das wie eine gefüllte Teigtasche aussah. Er aß die Hälfte davon und musterte mich dann wieder. »Dein … Freund. Er ist ein Deimos – oder zumindest ist er gerade dabei, zu einem zu mutieren«, erklärte er ohne Umschweife.

Ich verschluckte mich beinahe an der nächsten Traube, als er dieses Wort aussprach.

Deimos …

Ich hatte diese Bezeichnung schon einmal gelesen. Im Tagebuch von Zeros Vater, das ich im Baum in Zeros Zelt gefunden hatte. Bei den Zeichnungen … dort waren weißhaarige Wesen mit schwarzen Augen abgebildet gewesen. Sie hatten beängstigend gewirkt. Bedrohlich.

War Zero gerade dabei, zu solch einer Kreatur zu werden? Mein Zero?

»Was sind Deimos?«, fragte ich mit bebender Stimme.

Edean schenkte mir einen Blick, in dem ich Mitleid erkannte. »Monster …« Er zuckte entschuldigend mit den Schultern, als er sah, wie ich die Augenbrauen zusammenschob. »Es tut mir leid, aber das sind sie nun mal. Sie sind ein Nebenprodukt. Mit fehlerhafter DNS.«

»Was ist DNS?«

»Die Abkürzung für Desoxyribonukleinsäure. Daraus sind wir alle erschaffen. Es ist unser körperlicher Bauplan. Zellen, aus denen wir bestehen – grob gesagt. Ich kann dir nachher Bücher geben, wo du alles nachlesen kannst.«

Ich nickte seine Antwort ab und fuhr mit meinen Fragen fort: »Und was bedeutet es, dass Zero ein Deimos wird? Was hat das mit diesem Götterexperiment zu tun? Was erforscht ihr?«

»Das sind viele Fragen – zu einer längeren Geschichte.« Edean verengte die Augen und runzelte die Stirn, als ob er nicht genau wissen würde, wo er beginnen sollte.

»Erzähl sie mir«, verlangte ich und griff selbst nach einer Teigtasche. Mein Magen brauchte dringend Nahrung, das wurde mir erst bewusst, nachdem ich die Trauben aufgegessen hatte.

»Ich muss ganz vorne beginnen.« Edean warf mir einen kurzen Blick zu, dann griff er nach einem viereckigen, flachen Gerät, das neben dem Essen auf dem Tisch gelegen hatte und das ich erst jetzt bemerkte. Er wischte mit dem Finger darüber und hob dann den Blick, um mich anzusehen. »Das hier ist ein Tablet«, erklärte er. »Wir verwenden diese Geräte, um miteinander zu kommunizieren – und ich kann dir darauf eine Zeichnung erstellen, die dir helfen wird, das Ganze zu verstehen.«

Wieder wischte er und tippte mit dem Zeigefinger auf der Fläche herum, dann hielt er mir das Tablet entgegen. Darauf konnte ich nun eine Figur oben links erkennen, über die der Nox das Wort ›Menschen‹ geschrieben hatte.

»Unser Land ist eines der größten und fortschrittlichsten Länder dieses Planeten.« Edean legte das Tablet vor mich hin, während ich die Teigtasche probierte – sie schmeckte köstlich. »Die Wissenschaft ist auf einem sehr hohen Stand, fernab von dem, was du von den Inseln kennst. Das ›Götterprojekt‹ wurde ins Leben gerufen, als wir angegriffen wurden – ein Krieg mit einem anderen Land, der drohte, unsere Heimat auszulöschen.«

Er wischte mit dem Finger auf der Bildoberfläche herum und plötzlich erschienen die Wörter ›Götterprojekt‹ und ›Genmanipulation‹.

Er holte leise Luft und machte eine fahrige Handbewegung. »Das ist viele Jahre her. Unsere Wissenschaftler begannen, ihre neueste Forschung für militärische Zwecke zu nutzen. Ein heute sehr umstrittener Schritt, der etwas losgetreten hat, das das Leben auf dieser Welt grundlegend veränderte. Die Forscher erschufen mittels Genmanipulation Lebewesen, die in den Krieg gegen das andere Land ziehen konnten. Menschliche Mutationen, die sie zum Leben erweckten. Diese Wesen waren ausdauernder als alles, was es bis dahin gegeben hatte – sie brauchten keinen Schlaf, kaum Nahrung und ihre Kräfte waren übermenschlich. Super-Soldaten. Und natürlich besaßen sie das Potenzial zur Zerstörung. Allerdings hatten sie keinerlei Gerechtigkeitsempfinden. Es waren einfach Monster. Erschaffen zum Töten.«

Ich hatte im Essen innegehalten und sah Edean mit großen Augen an. »Die Deimos?«

Der Nox schüttelte zu meiner Erleichterung den Kopf. »Nein. Das waren noch nicht die Deimos. Den Soldaten-Mutationen wurde von den Wissenschaftlern der Name ›Alba‹ gegeben. Sie sollten Bestien sein, deren Anblick allein dafür sorgte, dass der Feind kapitulierend und zitternd in die Knie sank.«

 

Mein Blick glitt auf das Tablet, während Edean auf dem Bildschirm eine riesenhafte Gestalt rechts des Menschen erscheinen ließ. Sie war muskulös und wirkte einschüchternd, mit Klauen eines Monsters.

Eben in diesem Moment erschienen die Begriffe ›Monster‹ und ›gefährlich‹ neben der Figur.

Mit einem Mal verging mir der Appetit und ich legte die Teigtasche, die ich eben noch hatte aufessen wollen, zurück auf den Teller, um stattdessen das Glas Wasser leerzutrinken. Mein Mund fühlte sich staubtrocken an.

Edean deutete auf die rechte, riesenhafte Figur und lachte bitter auf. »Sie wurden dazu erschaffen, den Tod zu bringen. Und den Tod brachten sie.« Ich vermeinte zu erkennen, wie sein Blick kälter wurde. Ein scharfer Zug erschien um seinen Mund und er strich sich mit der Hand über das stoppelige Kinn. »Sie zerstörten das feindliche Land. Aber da sie nicht zwischen Gut und Böse unterschieden, wandten sich die Alba auch gegen die eigenen Verbündeten. Gegen ihre Erschaffer. Sie griffen Städte an. Töteten Menschen. Chaos brach aus, das beinahe den Untergang für die menschliche Rasse bedeutet hätte.«

Er schüttelte leicht den Kopf und warf mir einen Blick zu, den ich nicht wirklich deuten konnte. Ich vermeinte, Ärger darin aufblitzen zu sehen. Aber sein Unmut war nicht gegen mich gerichtet.

Ehe ich genauer ergründen konnte, auf wen Edean wütend war, verflüchtigte sich die Emotion in seinen Augen wieder und er fuhr fort: »Nun … was machen Menschen, wenn sie etwas erschaffen haben, das sie selbst nicht töten können?«

Ich erkannte, dass die Frage rhetorisch gemeint war, also antwortete ich nicht darauf.

»Tja … sie erschaffen etwas, das für sie das andere Etwas tötet«, beantwortete Edean seine eigene Frage und ein zynisches Lächeln spielte um seinen Mund.

Er strich sich ein paar seiner langen Haare aus dem Gesicht und hinter die Ohren. Dann ergriff er das Tablet erneut und zeichnete darauf herum, bis unterhalb des Menschen zwei weitere Figuren standen. Eine hatte einen Mond und die andere eine Sonne auf ihrer Brust.

»Das ›Götterprojekt‹ wurde in das Experiment ›Solaris‹ und ›Lunos‹ gewandelt«, erklärte er, während er auf seine Zeichnung deutete. »In der Hoffnung, Soldaten zu erschaffen, die gegen die Alba bestehen konnten. Sie verwandelten Menschen in Kämpfer. Dadurch entstanden Wesen, die du kennst, weil du ihnen selbst angehörst, genau wie ich: Diés und Nox. Wir sind allesamt Waisenkinder, von denen es leider im Krieg eine Menge gibt. Keiner kennt seine leiblichen Eltern, wir wurden direkt nach unserer Geburt zur Adoption freigegeben – und vom Götterprojekt adoptiert. Niemand von uns hatte die Wahl, ob er ein Nox oder Diés werden wollte. Unsere DNS wurde in den ersten paar Wochen unseres Lebens so verändert, dass die Genmanipulation nur anhand der Beeinflussung durch den Mond oder die Sonne hervorgerufen wird. Damit wurde gewährleistet, dass wir das Menschliche in uns nicht verlieren. Wir behalten unseren Sinn für Gerechtigkeit, unsere Fähigkeit, moralisch zu handeln und zu fühlen. Dennoch sind wir für den Krieg geschaffen. Aber zumindest bei Tage verlieren wir Nox unsere Kräfte und ihr Diés könnt während der Nacht ausgeschaltet werden. Ein Schutzmechanismus für die Menschen, mit dem sie sicherstellten, dass sie unser – den neuen Schöpfungen – irgendwie wieder Herr werden könnten, sollte es notwendig sein. Denn Nox und Diés zusammen sind gefährliche Waffen. Kriegsmaschinen mit blauen und schwarzen Augen.« Wieder spielte dieses sarkastische Lächeln um seine Lippen, während er einen Kreis um den Menschen, die Nox und die Diés auf dem Tablet zeichnete.

»Aber … warum ist es so schwierig, die Alba zu töten, wenn Diés und Nox sie zusammen bekämpfen können?«, wollte ich wissen.

Edean sah mich mit schmalen Augen an. »Die Alba sind den Diés und Nox ebenbürtig. Auch wenn sie sich nicht vermehren können und Einzelgänger sind, so dauert es dennoch Jahre, sie auszurotten. Und es ist eine äußerst gefährliche Aufgabe, gegen sie vorzugehen. Denn sie suchen in den Menschenstädten nach Nahrung und hungrige Alba sind entsprechend gereizt. Sie sind Fleischfresser.«

Mehr musste er mir nicht erklären. Es war klar, dass die Wissenschaftler damals kalkuliert hatten, dass Alba ihre Feinde als Nahrungsquelle sehen würden. Ich schauderte und versuchte, nicht daran zu denken, dass eines der Alba vielleicht in eben diesem Moment in unserer Nähe war.

Edean schien meine Angst zu erkennen. »Keine Sorge, die Gegend hier um das Forschungszentrum ist sauber. Aber ich kann dir ein stillgelegtes Alba zeigen, wenn du möchtest. Wir haben eines in einem unserer Labors. Die Kreatur ist nicht mehr funktionsfähig und dient nur noch zu Forschungszwecken.«

Ich schüttelte unwillkürlich den Kopf. »Nein, nicht nötig … erzähl mir erst mal alles über diese Deimos.«

Edean nickte. »Wo war ich stehen geblieben? Ah ja, die Nox und Diés wurden erschaffen. Leider passierte bei der Zusammenstellung ihrer DNS ein Fehler. Die Diés und Nox sollten so menschenähnlich wie möglich erschaffen werden. Aber es war geplant, dass keines der beiden Völker sich fortpflanzen kann, damit wir früher oder später aussterben. Doch selbst wenn sie es ursprünglich ›Götterprojekt‹ nannten, die Menschen waren niemals Götter.« Edean verzog die Lippen zu einem müden Schmunzeln. »Menschen bleiben Menschen und sie machen Fehler. So geschah es, dass aus der Verbindung eines Diés und einer Nox der erste Deimos geboren wurde. Eine Mutation, die alles, was bis dahin existierte, in den Schatten stellte. Selbst die Alba.«

Er tippte wieder auf seinem Tablet herum und rechts von den Diés und Nox erschien eine weitere Figur, die er als ›ungeplantes Produkt‹ bezeichnete. Sie war etwas größer und muskulöser als ein Mensch, aber schlanker als ein Alba. Zudem trug sie eine Sonne und einen Mond in ihrem Körper. Edean schrieb die Worte ›verfallen‹, ›gefühllos‹, ›gewissenlos‹, ›gefährlich‹ und ›Monster‹ daneben.

Er ließ die Worte auf mich wirken, während ich seine Zeichnung anstarrte.

Dann fuhr er in beschwörendem Tonfall fort: »Zero ist nicht mehr der, der er einmal war. Er mutiert gerade zu einem Deimos … und Deimos sind Monster, die kräftiger und zerstörerischer sein können als alle menschlichen Mutationen zusammen. Ihre Kräfte sind nicht auf den Tag oder die Nacht beschränkt. Sie sind gefährliche Kreaturen, die in einen wahren Blutrausch verfallen können. Sie haben keine Gefühle, werden nur vom Drang zu töten kontrolliert.«

Wieder seufzte er und lehnte sich etwas in seinem Stuhl zurück, während er mir einen Blick zuwarf, den ich erneut nicht richtig zu deuten wusste. Er ließ das Tablet nun vor mir liegen. Ließ mich die Bilder noch einmal eingehend ansehen und verinnerlichen.

»Das ist … grauenhaft«, hauchte ich nach einer Weile und dachte mit Entsetzen daran, dass Zero eben in diesem Moment mutieren könnte. Ein Gedanke, der kaum auszuhalten war.

»Ja, das ist es in der Tat«, nickte Edean und auf seinen Gesichtszügen zeichnete sich wieder Mitleid ab. »Wir wussten das. Alle Nox und Diés wussten, was passieren kann, wenn wir uns miteinander verbinden. Aber … wir sind nun mal auch irgendwie Menschen und scheinen aus unseren Fehlern nicht zu lernen.« Er schüttelte resigniert den Kopf und sah mich dann durchdringend an. »Es ist eine seltsame Anziehung, die zwischen euch Diés und uns Nox herrscht. Das war früher so und wird wohl auch so bleiben. Kein Wunder. Wir wurden erschaffen, um miteinander in den Krieg zu ziehen. Dass wir nicht nur in der Schlacht Seite an Seite sein wollen, wurde den Forschern leider zu spät bewusst. Es wurden – wider besseres Wissen – immer mehr Deimos geboren, die man aussetzen oder brechen musste. So lange, bis es ein Kontaktverbot zwischen Diés und Nox gab. Die Deimos, die da draußen leben, töten zwar einen Großteil der Alba, aber sie machen auch vor Menschen nicht halt.«

»Heißt das …«, ich räusperte mich, da meine Stimme rau klang, »ihr tötet die Deimoskinder?«

Edean schüttelte den Kopf. »Bis ein Deimos sich nach der Geburt verwandelt, dauert es fast drei Jahre. Die Mutation lässt sich danach zwar eine Zeit lang unterdrücken, aber nicht lange. Und das Unterdrücken ist mit größten Schmerzen für das Kind verbunden, denn es geschieht im Labor, wo wir versuchen, weitere Erkenntnisse über ihre DNS zu erlangen. Daher werden Deimos-Kinder immer noch von vielen Eltern in aller Heimlichkeit ausgesetzt in der Hoffnung, dass sie da draußen überleben. Die Alternative wäre, dass sie hier im Labor gebrochen werden.«

Edean blickte mich kurz an, um zu überprüfen, ob ich ihm noch folgen konnte. Ich nickte. Was er mir erzählte, war zwar alles neu für mich, aber ich verstand, dass die Deimos nicht von Geburt an böse waren, sondern erst zu unkontrollierbaren Killermaschinen wurden, wenn sie mutierten.

»Nun, wir Wissenschaftler versuchen seit Jahren, die DNS der Diés und Nox zu verändern, um sie unfruchtbar zu machen und zu verhindern, dass neue Deimos geboren werden«, fuhr Edean fort. »Damit könnten wir uns endlich nur auf die Alba konzentrieren, um sie auszurotten.«

Der Kloß, der sich bei Edeans Erklärungen langsam in meinem Hals gebildet hatte, war nahe dabei, mir die Stimme zu nehmen. »Deshalb das Kontaktverbot auf den Inseln«, flüsterte ich.

Der Blick des Nox wurde wieder einfühlsamer, als er mich musterte. »Ja, das sollte zumindest so sein. Die Räte auf euren Inseln waren selbst Wissenschaftler und hätten eigentlich wissen sollen, dass es verboten ist, Kinder zu zeugen. Dass Zero dennoch entstehen konnte, hat das Experiment zerstört.«

Ich erstarrte. »Diés und Nox … unsere Inseln … wir waren also nur ein Experiment?«

»Nun ja.« Edean zuckte mit den Schultern. »So könnte man es nennen. Die Forscher wollten herausfinden, ob Diés und Nox irgendwann Seite an Seite mit den Menschen leben können. Ob sie dazu fähig sind, sich in Friedenszeiten in Systeme zu integrieren und an Strukturen zu halten. Es war geplant, die Diés und Nox eurer Inseln großzuziehen und irgendwann hierherzubringen. Als Soldaten, solange der Krieg da draußen andauert. Solange es Alba gibt, die die Menschen bedrohen. Daher haben wir immer wieder Diés- und Nox-Säuglinge auf eure Inseln gebracht – wir haben quasi eine Population gezüchtet. Eine, die nicht nur Soldaten, sondern auch normale Menschen sein können. Das Paradies braucht die Hölle, um zu glänzen. Genau wie der Frieden den Krieg …«

Er holte kurz Luft und sah in den Himmel. Ich saß regungslos da, versuchte, alles für mich einzuordnen.

»Du musst wissen, dass wir Diés und Nox die menschenähnlichsten Wesen sind, die die Wissenschaftler je erschaffen haben«, fuhr Edean nach einer Weile fort. »Im Grunde wurden wir aber zum Töten gemacht. Um die Alba zu vernichten, sodass dieser Planet endlich kein Kriegsschauplatz mehr ist und Frieden einkehrt.« Sein Blick richtete sich wieder auf mich. »Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, sollen die Diés und Nox, die danach noch leben, in die menschliche Welt integriert werden. Das ist der Kern des Götterprojekt-Bereiches, bei dem ich mitarbeite.«

Mir wurde eiskalt. Edean war selbst ein Nox. Er wusste, dass er eine Mutation und kein richtiger Mensch war – und nahm es einfach so hin. Er forschte sogar, wie man diese ›Fremdkörper‹ in die Welt dieser braunhaarigen und rothaarigen Menschen integrieren konnte …

Ich wusste nicht mal, ob ich jemals integriert werden wollte.

Ich wusste nichts mehr …

Ehe ich in den Strudel der Verzweiflung eintauchen konnte, der mich mit jeder Sekunde stärker zu sich zog, verdrängte ich diese Gefühle wieder in den hintersten Winkel meines Herzens.

Noch nicht. Ich musste stark bleiben.

Es gab noch so viele Sachen, die ich wissen musste. So viele offene Fragen …

Aber ich musste bedacht vorgehen – die richtigen Antworten erhalten.

Ich atmete tief durch und versuchte, trotz allem, einen kühlen Kopf zu bewahren. Nach einigen Sekunden hatte sich der Strudel wieder etwas beruhigt und der Druck auf meiner Brust wurde ein wenig leichter.

»Du bist ein Nox und es ist Tag«, bemerkte ich und war froh, dass meine Stimme wieder gefasster klang. »Wie kommt es, dass ich keinerlei Schwäche an dir erkennen kann?«

Edean sah mich einen Moment lang verdutzt an, dann wurde sein Lächeln wärmer, echter. »Du bist klug, aber das ist für eine Diés ja nicht weiter verwunderlich«, meinte er. »Wir Wissenschaftler haben Medikamente, die unsere körperlichen Kräfte an diejenigen der Menschen anpassen. Das ermöglicht mir, auch bei Tag wach und kräftig zu sein und in der Nacht stattdessen zu schlafen. Es ist zwar ein etwas … unangenehmes Gefühl, aber notwendig, wenn man zu den Inducern gehört.«

»Du bist ein Inducer?«, fragte ich verblüfft.

Edean nickte zur Antwort. »Ja. Wir sind uns sogar schon einmal begegnet. Als du den Säugling in Empfang genommen hast.«

»Das warst du?« Meine Augenbrauen schnellten in die Höhe.

Die Vorstellung, dass er mich damals schon gesehen hatte, war irgendwie … beängstigend.

Wieder nickte Edean. »Ja, das war ich.«

Diese Lügen … sie umgaben mich schon so lange. Und ich war ihnen immer wieder begegnet, ohne sie genügend infrage zu stellen. Hatte einfach hingenommen, was die Räte uns erzählt hatten. Hatte diese Gehirnwäsche über mich ergehen lassen …

Jetzt, wo alles aufflog, wurde ich mit jedem Wort, das Edean erzählte, leerer. Mein Herz blutete, aber es tat es so leise, dass mein Körper kaum Kraft dazu benötigte. Meine Seele fühlte sich bereits taub an, weil ich meine Gefühle so stark unterdrückte.

Dennoch wurde die Verzweiflung in mir wieder lauter.

Ich wollte einfach nur noch nach Hause, in mein Zuhause auf Diés. In mein Bett, meinen Kater Dämon an mich gekuschelt. Und aus dem Albtraum aufwachen, in dem ich mich befand.

»Du kannst froh sein, dass du auf den Inseln aufgewachsen bist«, fuhr der Nox fort. »Das war die friedlichste Version des Götterprojekts.«

»Die … friedlichste?«, hauchte ich.

Edean nickte. »Ja. Aber das Inselexperiment ist ja leider gescheitert.«

»Was bedeutet das?«

»Wir werden die Inseln sprengen.« Edean sagte es so gelassen, dass ich schauderte.

»Das könnt ihr doch nicht machen!«, wandte ich ein und spürte mit einem Mal die Kraft in mir wieder aufflammen, die gerade dabei gewesen war, sich aus mir zurückzuziehen und mich der Verzweiflung auszuliefern. »Auf den Inseln leben Nox und Diés! Kinder!« Ich schaute Edean mit geweiteten Augen an.

Er erwiderte meinen Blick einen Moment lang nachdenklich. »Ich weiß«, hörte ich ihn tonlos sprechen. Er klang müde. »Ich bin nicht der, der diese Entscheidungen trifft. Aber ich sehe ein, dass es das einzig Sinnvolle ist. Wir können nicht riskieren, dass einer der Räte hierher zurückkommt. Sie haben uns belogen, uns Zeros Existenz verschwiegen, obwohl sie wussten, was er ist. Sie sind potenzielle Gefahren – wer weiß, was sie insgeheim geplant haben. Vielleicht wollen sie die Menschheit vernichten. Vielleicht selbst an die Macht gelangen. Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Dass es bei euch Deimos gab, zeigt uns, dass wir ihnen nicht mehr vertrauen können. Wir wissen nicht, wie viele Deimos noch auf Diés und Nox schlummern und vielleicht in eben diesem Moment mutieren. Die Alternative ist, dass wir die Inseln ihrem Schicksal überlassen – das ist allerdings noch grausamer, als wenn wir sie einfach sprengen.«

Ich schluckte hart.

Edean musterte mich beinahe entschuldigend. »Ich weiß, in deinen Ohren muss das herzlos klingen. Aber deine Inseln waren ein Projekt. Eines von vielen, die es bei den Experimenten von Lunos und Solaris gibt. Du begreifst die Notwendigkeit von Rationalität und Opfern erst, wenn du zu verstehen gelernt hast, wie die Welt unter diesem Krieg leidet.«

»Was passiert jetzt mit uns? Mit mir? Mit Zero?«, wollte ich wissen.

»Wenn du einverstanden bist, wirst du zu einer Soldatin ausgebildet. Damit kannst du helfen, gegen die Alba zu kämpfen.« Er stockte einen Moment, dann wurde seine Stimme leiser und ich hörte das Mitleid deutlich heraus. »Zero allerdings … er wird sterben.«

»Nein«, hauchte ich. »Nein!« Ich sprang auf und schrie jetzt beinahe: »Ich lasse nicht zu, dass ihr ihn tötet!«

Edean erhob sich ebenfalls und war mit einem raschen Schritt bei mir. Er packte mich am Arm, ehe ich in Richtung Labor davonstürmen konnte und zog mich zurück. »Du wirst es nicht verhindern können, Skya«, sagte er mit eindringlicher Stimme. »Zero ist ein Deimos. Wenn seine Mutation abgeschlossen ist, wird er sich gegen uns wenden. Er wird töten. Und keiner wird ihn mehr aufhalten können. Er hat bereits einmal getötet, das haben wir in seinen Erinnerungen gelesen. Willst du, dass er es wieder tut? Würde er es wollen? Als Monster zu leben?«

Ich schluckte und versuchte, die Tränen zu unterdrücken, die dennoch in meine Augen schossen und unaufhaltsam über meine Wangen rannen.

Ich hatte mitbekommen, was die Wissenschaftler miteinander besprochen hatten. Zero hatte seine Mutter getötet … ihm waren die Erinnerungen danach von den Hypnotiseuren der Diés genommen worden. Auf Anweisung seines eigenen Vaters, der seinen Sohn nicht mit dieser Schuld hatte leben lassen wollen …

Ich hätte vielleicht ähnlich gehandelt.

Denn ich wusste, dass Zero schon beinahe an dem vermeintlichen Wissen zerbrochen war, dass seine Geburt zum Tode seiner Mutter geführt hatte. Wenn er erfahren hätte, dass er seine Mutter als Kind getötet hatte … damit hätte er damals nicht umgehen können.

Leider kannte ich die Antwort auf Edeans Frage nur zu gut: Nein.

Ich wusste, dass Zero das nicht wollen würde. Er wollte kein Monster sein …

»Im Moment hilft er uns, die Mutation zu begreifen«, fuhr Edean fort und lockerte den Griff um meinen Arm etwas, da er merkte, dass ich nicht losstürmen würde. »Wir hatten noch nie einen Nox in unserem Labor, der erst als Erwachsener zu einem Deimos mutiert ist. Etwas muss seine Veränderung unterdrückt haben und wir müssen herausfinden, was. Womöglich ist er der Schlüssel dazu, dass wir die Deimos-DNS verstehen. Er hilft uns.«

»Hilft euch? Indem er sich opfert?« Meine Stimme brach und ich schluchzte laut auf. Alleine die Vorstellung, dass Zero sterben würde, nahm mir die Luft zum Atmen, ließ mein Herz gefrieren und schickte kalte Schauer durch meinen ganzen Körper.

»Ja.« Edean nickte. »Glaub mir, wenn er sich für die Forschung opfert und wir ihn töten, ehe die Mutation abgeschlossen ist, ist das das Beste für ihn – und uns. Die Alternative ist, dass wir ihn brechen.«

»Brechen?« Ich verstand nichts mehr und unterdrückte ein weiteres Schluchzen. Er hatte dieses Wort schon vorhin erwähnt … was bedeutete es bloß?

Edean hatte mir so viele Informationen in den letzten Minuten gegeben, dass ich nicht wusste, wie und ob ich das alles jemals verarbeiten konnte.

Der Nox sah mich kurz gedankenversunken an, dann zog er mich mit sich. »Noch ist Zeit. Noch kann ich dir zeigen, was die Alternative zu seinem Tod wäre. Du kannst entscheiden, ob du das für ihn möchtest.«

Kapitel 4 - Skya

 

Ich versuchte, mir den Weg zu merken, während mein Herz bei jedem Schritt schrie, meine Seele weinte und mein Körper zitterte.

Zero würde sterben …

Zero würde sterben …

Zero würde sterben …

Der Satz wiederholte sich immer und immer wieder in meinen Gedanken und drohte, meinen Verstand zu zerfressen. Ich hatte kaum mehr die Energie, meine Gefühle niederzuringen, aber ich musste gegen den Drang kämpfen, mich der Verzweiflung hinzugeben. Ansonsten wäre ich von der Wahrheit zerrissen worden.

Irgendwie gelang es mir, nicht laut loszuheulen. Ich hatte keine Ahnung, woher ich diese Kraft nahm. Sie war einfach da … stammte vielleicht aus den letzten Stunden, die ich mit Zero auf Nox in seinem Zelt hatte verbringen dürfen.

Vor dem inneren Auge sah ich wieder sein Gesicht, sein Lächeln, seinen Blick, als er sich über mich gebeugt hatte. In seinem Bett, wo alles nach ihm gerochen hatte. Als er mir zeigte, wie sehr man einen Menschen lieben konnte … wie groß die Erfüllung war, wenn man ganz und gar eins wurde. Ich hörte sein Flüstern, Raunen, Stöhnen. Seine Stimme, die murmelte, wie schön ich sei. Wie sehr er mich begehrte …

Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen …

Die Worte, die er mir ins Ohr geraunt hatte, hallten in meinen Gedanken nach.

Ich klammerte mich an diese Erinnerungen wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring. Versuchte, daran Halt zu finden. Nicht die Nerven zu verlieren.

Als Edean vor einer weiteren Tür anhielt, bemerkte ich, dass wir in einem Bereich angekommen waren, der belebter war als die Gänge vorhin. Es war ein weitläufiger, runder Raum, in dem viele Sitzecken und sogar einige Topfpflanzen zu sehen waren. Davon gingen mehrere Türen ab – und Fenster, die etwas Sonnenlicht hereinließen. Irgendwie wirkte dieser Raum weniger steril als die vorherigen.

Ich sah Personen, die geschäftig umhergingen und hinter den vielen Türen verschwanden, während weitere wieder hereinkamen und sich auf die Sofas setzten, die hier herumstanden. Ich musterte die Männer und Frauen, die diese komischen Haarfarben besaßen, die ich vorher auf Diés und Nox nie gesehen hatte. Alle waren einfach gekleidet, trugen dunkle Hosen und helle Oberteile. Sie grüßten Edean und mich freundlich.

Keiner hier wirkte wie ein Feind und dennoch wusste ich, dass sie auch keine Freunde waren. Nicht, solange sie Zero sterben ließen.

»Das hier ist der Aufenthaltsraum unserer Forschungsstation«, erklärte Edean. »Hinter dieser Tür befindet sich die Bibliothek.« Er deutete auf eine Drehtür, auf die er zuging.

Ich folgte ihm hindurch. Als Letztes hätte ich erwartet, dass der Nox mich in eine Bibliothek bringen würde.

Vor uns erstreckte sich ein Zimmer, in dem mehrere Bücherregale standen, die rechts und links von uns aufgereiht waren. Ein weicher, grauer Teppich sorgte dafür, dass unsere Schritte gedämpft wurden. Auch dieser Raum war weiß gestrichen, aber dank der vielen Bücherregale wirkte er weniger steril.

Gemütlich anmutende, dunkelgraue Sessel waren in kleinen Grüppchen angeordnet. Einige Menschen befanden sich hier und waren ins Lesen vertieft. Es war so still, dass ich meinen eigenen Atem hören konnte.

Warum führte mich Edean hierher?

Er hatte mir doch zeigen wollen, wie …

Weiter kam ich nicht mit meinen Überlegungen, denn in dem Moment trat ein Junge, der ungefähr in meinem Alter war, vor uns, bei dessen Anblick sich alles in mir zusammenzog. Ich keuchte leise auf.

Er hatte pechschwarze Augen und Haarsträhnen, die wie flüssiges Silber sein jugendliches Gesicht umrahmten. Nicht weiß, wie auf den Zeichnungen von Zeros Vater, sondern silbern. Er trug dunkle Hosen und ein dunkles Hemd. Beides wirkte sehr gepflegt.

Ein Deimos – das musste ein Deimos sein!

Unwillkürlich blieb ich beim Eingang der Bibliothek stehen und starrte das Wesen an, das uns gegenüberstand. Einen Augenblick lang erwartete ich, dass Edean ihn angreifen würde, aber der Nox trat so ruhig und gelassen auf den Jungen zu, als sei er ein Freund von ihm.