Cotton Reloaded - Sammelband 16 - Oliver Buslau - E-Book

Cotton Reloaded - Sammelband 16 E-Book

Oliver Buslau

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Beschreibung

Eine neue Zeit. Eine neue Mission. Ein neuer Held: Erleben Sie die Geburt einer neuen Legende! COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie "Jerry Cotton".

Drei spannende Thriller in einem Band:

El Doctor: Wer steckt hinter dem geheimnisvollen Drogenboss "El Doctor"? Und in welcher Beziehung steht die gefeierte Operndiva Ana Fernandez zu ihm? Die kolumbianische Sängerin kommt nach New York, um an der Metropolitan Opera die Hauptrolle in einer Verdi-Oper zu übernehmen. Jeremiah Cotton und Philippa Decker vom G-Team des FBI erhalten den Auftrag, den launischen Star zu überwachen. Doch als die Diva nur knapp einem Attentat entkommt, wird daraus schnell ein lebensgefährlicher Job. Und ausgerechnet kurz vor der Premiere verschwindet die Sängerin plötzlich spurlos ...


Junge Helden sterben früh: In New York City sorgt eine neue Bürgerwehr für Aufsehen: Schwarz gekleidete, maskierte, junge Leute wollen in Superhelden-Manier Überfälle und Diebstähle verhindern. Sie nennen sich die V-Guard. Doch dann kommt es zu einem ersten tödlichen Zwischenfall. Special Agent Philippa Decker und Jeremiah Cotton vom G-Team nehmen die Ermittlungen auf. Schon einmal sorgte ein selbsternannter Rächer namens Guardian für Unruhe in Manhattan. Steckt er auch hinter der neuen Organisation? Um das herauszufinden, schleust sich Cotton in das Netz der V-Guards ein - und schwebt schon bald selbst in tödlicher Gefahr ...


Mister Hangman: Ein hochrangiger Mafia-Boss wird hingerichtet - und mit ihm seine gesamte Familie. Dabei stand der Mann im Zeugenschutzprogramm des FBI. Als innerhalb kürzester Zeit weitere Menschen getötet werden, ruft das das G-Team auf den Plan. Denn die Toten alle haben eines gemeinsam: Ihnen wurde mithilfe des Zeugenschutzprogramms eine neue Identität verschafft. Zudem scheint der Killer immer derselbe zu sein: Er hinterlässt an jedem Tatort die Tarot-Karte "Der Gehängte". Die Karte steht für Verrat. Für Philippa Decker und Jeremiah Cotton beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit - bevor "Mister Hangman" weitere Menschen killt, die unter dem Schutz des FBI stehen.



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Seitenzahl: 416

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Inhalt

Cover

Was ist COTTON RELOADED?

Über dieses Buch

Die Autoren

Impressum

Cotton Reloaded 46 – El Doctor

Cotton Reloaded 47 – Junge Helden sterben früh

Cotton Reloaded 48 – Mister Hangman

Was ist COTTON RELOADED?

Dein Name ist Jeremiah Cotton. Du bist ein kleiner Cop beim NYPD, ein Rookie, den niemand ernst nimmt. Aber du willst mehr. Denn du hast eine Rechnung mit der Welt offen. Und wehe, dich nennt jemand »Jerry«.

Eine neue Zeit. Ein neuer Held. Eine neue Mission. Erleben Sie die Geburt einer digitalen Kultserie: COTTON RELOADED ist das Remake von JERRY COTTON, der erfolgreichsten deutschen Romanserie, und erzählt als E-Book-Reihe eine völlig neue Geschichte.

Dieser Sammelband enthält die Folge 46–48 von COTTON RELOADED.

Über dieses Buch

Drei spannende Thriller in einem Band:

El Doctor: Wer steckt hinter dem geheimnisvollen Drogenboss »El Doctor«? Und in welcher Beziehung steht die gefeierte Operndiva Ana Fernandez zu ihm? Die kolumbianische Sängerin kommt nach New York, um an der Metropolitan Opera die Hauptrolle in einer Verdi-Oper zu übernehmen. Jeremiah Cotton und Philippa Decker vom G-Team des FBI erhalten den Auftrag, den launischen Star zu überwachen. Doch als die Diva nur knapp einem Attentat entkommt, wird daraus schnell ein lebensgefährlicher Job. Und ausgerechnet kurz vor der Premiere verschwindet die Sängerin plötzlich spurlos …

Junge Helden sterben früh: In New York City sorgt eine neue Bürgerwehr für Aufsehen: Schwarz gekleidete, maskierte, junge Leute wollen in Superhelden-Manier Überfälle und Diebstähle verhindern. Sie nennen sich die V-Guard. Doch dann kommt es zu einem ersten tödlichen Zwischenfall. Special Agent Philippa Decker und Jeremiah Cotton vom G-Team nehmen die Ermittlungen auf. Schon einmal sorgte ein selbsternannter Rächer namens Guardian für Unruhe in Manhattan. Steckt er auch hinter der neuen Organisation? Um das herauszufinden, schleust sich Cotton in das Netz der V-Guards ein – und schwebt schon bald selbst in tödlicher Gefahr …

Mister Hangman: Ein hochrangiger Mafia-Boss wird hingerichtet – und mit ihm seine gesamte Familie. Dabei stand der Mann im Zeugenschutzprogramm des FBI. Als innerhalb kürzester Zeit weitere Menschen getötet werden, ruft das das G-Team auf den Plan. Denn die Toten alle haben eines gemeinsam: Ihnen wurde mithilfe des Zeugenschutzprogramms eine neue Identität verschafft. Zudem scheint der Killer immer derselbe zu sein: Er hinterlässt an jedem Tatort die Tarot-Karte »Der Gehängte«. Die Karte steht für Verrat. Für Philippa Decker und Jeremiah Cotton beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit – bevor »Mister Hangman« weitere Menschen killt, die unter dem Schutz des FBI stehen.

Die Autoren

Oliver Buslau kam im Jahr 1962 zur Welt und wuchs in Koblenz auf. Er studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Bibliothekswissenschaft in Köln und Wien. Seine Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte er bereits als Schüler. Seit 1999 schreibt er Kriminalromane, u.a. die Serie um den Wuppertaler Privatdetektiv Remigius Rott. Er ist außerdem Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift »TextArt«, einem Magazin für Kreatives Schreiben, das er im Jahre 2000 gründete.

Timothy Stahl, geboren 1964 in den USA, wuchs in Deutschland auf, wo er unter anderem als Chefredakteur eines Wochenmagazins und einer Jugendzeitschrift tätig war. 1999 kehrte er nach Amerika zurück. Seitdem ist das Schreiben von Spannungsromanen sein Hauptberuf. Mit seiner Horrorserie WÖLFE gehörte er 2003 zu den Gewinnern im crossmedialen Autorenwettbewerb des Bastei-Verlags. Außerdem ist er in vielen Bereichen ein gefragter Übersetzer. Er lebt mit seiner Frau und zwei Söhnen in Las Vegas, Nevada.

Alfred Bekker schreibt Krimis, Fantasy, Science Fiction, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schreibt er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen.

BASTEI ENTERTAINMENT

Digitale Originalausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Uwe Voehl

Projektmanagement: Esther Madaler

Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven von

© shutterstock: DmitryPrudnichenko | Yevhen Tarnavskyi | Pavel K | aarrows

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4464-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

El Doctor

Oliver Buslau

1

Der Mann stand im Dunkel neben einem der Lagerhäuser. Die kantigen Umrisse der Gebäude zeichneten sich scharf gegen den Nachthimmel ab.

Erst vor wenigen Minuten war er in diese verlassene Gegend in Newark, New Jersey, gekommen.

Neben ihm stand ein etwas angerosteter Pick-up mit einer Schutzplane über der Ladefläche. Etwa hundert Schritte entfernt verlief eine der kleinen Straßen, die durch das Industriegebiet unweit des Passaic River führten. Im rissigen Asphalt fast versunkene Bahngleise führten vorbei und verschwanden zwischen Unkraut und Büschen.

Jetzt, mitten in der Nacht, gab es hier kaum Verkehr. Ab und zu strich eine startende oder landende Maschine vom nahe gelegenen Newark Liberty Airport über die Gegend hinweg – verbunden mit dem dazugehörigen Lärm.

Der Mann wartete ruhig. Hin und wieder zog er an einer Zigarette. Jedes Mal glühte die Spitze rot auf. Nach einer Weile sah er auf seine Armbanduhr.

Schließlich näherte sich das Brummen eines Dieselmotors. Zwei Scheinwerfer wurden sichtbar, und ein kleiner Lkw bog langsam um die Ecke. Das Fahrzeug wirkte unauffällig und hatte keinen Schriftzug auf der Plane.

Der Mann tat einen Schritt zur Seite. Die Lichter trafen auf den Pick-up. Dann bremste der Lkw, der Motor erstarb, die Scheinwerfer blieben auf Standlicht, und der Fahrer stieg aus. Seine Gestalt war eine dunkle Silhouette, als er auf das Lagerhaus zuging. Er war groß und muskulös.

»Cliff?«, rief er in das Dunkel.

Der Wartende mit der Zigarette trat aus dem Schatten. Der gelbe Schein der Straßenlampe reichte gerade bis dorthin.

»Du bist Joe«, sagte er.

Jetzt war Cliffs grinsendes Gesicht zu sehen. »Genau der bin ich. Und du solltest nicht so viel rauchen. Hat dir das dein Arzt nicht gesagt?«

Cliff schwieg. Die Zigarette war nur noch ein Stummel. Er warf sie weg und zerkrümelte den Rest mit dem Absatz.

Beiden war klar, dass die Namen, die sie ausgetauscht hatten, nicht ihre echten waren. Es ging nur darum, sich gegenseitig zu erkennen.

»Wir sollten nicht so viel quatschen«, sagte Cliff. »Bringen wir’s hinter uns.«

»Wie du willst. Aber wenn ich mal was anmerken darf. Das hier ist der bescheuertste Platz für eine Übergabe, den ich mir vorstellen kann. Hier fahren doch sicher mal die Bullen Streife, oder?«

»Umso besser, wenn wir schneller machen.«

Joe nickte nur, ging zu seinem Lkw und öffnete die hintere Plane. Cliff folgte ihm. Der Ladebereich lag im Dunkeln. Joe hatte vorgesorgt. »Hier – eine Taschenlampe.«

Cliff nahm sie und schaltete sie ein. Der helle Strahl beleuchtete gestapelte Kartons mit dem Logo einer japanischen Elektronikfirma.

»Du hast nichts dagegen, wenn ich mir das erst mal genauer ansehe?«, fragte Cliff, wartete aber keine Antwort ab und stieg in das Dunkel.

»Nur zu«, meinte Joe.

Cliff riss drei Kartons auf. Was sich darin befand, war in Styropor und transparentes Plastik gehüllt. Wenn man es von der Verpackung befreite, sah es aus wie Computergehäuse. Mit ein paar Handgriffen enthüllte Cliff das Innere, und nun zeigte die Taschenlampe ordentlich geschichtete Päckchen. Sie enthielten weißes Pulver.

»Kannst gerne eine Probe nehmen«, sagte Joe von draußen. »Scheinbar stehst du ja auf Stoff. Oder war das eben nur eine normale Kippe?«

Cliff setzte seine Begutachtung fort. Er riss zwei zufällig ausgesuchte Tüten mit dem Fingernagel auf und tastete mit dem Finger nach dem Pulver. Er hütete sich jedoch, etwas davon an die Lippen zu führen. So was sah man hin und wieder im Fernsehen. Niemand, der wirklich mit Drogen zu tun hatte, nahm eine Geschmacksprobe. Man konnte sich auf die Art vergiften, wenn der Stoff nicht in Ordnung war. Oder sich zumindest eine Überdosis verpassen.

Cliff roch an seinen Fingern. Dann beendete er die Kontrolle. »Okay, packen wir um«, sagte er und kletterte aus dem Wagen.

Die Männer arbeiteten schweigend, schnell und effizient. Zehn Kartons wanderten in den Pick-up. Dann holte Cliff aus dem Handschuhfach einen Umschlag mit Geldscheinen.

»Scheint sich ja zu lohnen«, sagte er, während Joe in geübter Geschwindigkeit die Scheine zählte.

»Für dich doch bestimmt auch.«

Cliff zündete sich wieder eine Zigarette an.

»Dann mach’s mal gut«, sagte Joe und verstaute den Umschlag in der Innentasche seiner Jacke.

»Nicht so schnell.«

»Was ist noch? Ich hab’s eilig.«

»Ich will dich nur was fragen.«

Joes Gesichtsausdruck wurde misstrauisch. »Fragen haben wir nicht so gerne. Aber ich kann mir schon denken, was du wissen willst.«

»Tatsächlich?«

»Klar. Das fragen mich alle. Glaub mir.«

»Was will ich denn wissen? Oder besser: Was glaubst du, was ich wissen will?«

Joe machte einen Schritt zurück und sah Cliff abschätzig an. »Alle wollen einen Job bei El Doctor. Und ich bin sicher, dass es darum in deiner Frage geht.«

Cliff lächelte verlegen. »Ja, kann schon sein. Aber was ist daran schlecht? Ich würde mich gerne bei El Doctor bewerben, wenn das ginge.« Er druckste herum. »Hatte daran gedacht, mich zu verändern und so.«

Joe grinste über das ganze Gesicht. »Soso, verändern willst du dich … Was du nicht sagst. Vielleicht solltest du dann erst mal dafür sorgen, dass du bessere Übergabeplätze findest. Das hier ist ziemlicher Mist, weißt du das?«

Cliff seufzte. »Ist vielleicht nicht so optimal. Aber man lernt ja dazu.«

Nun kam Joe wieder dichter an ihn heran und beugte sich herunter. Cliff wich nicht zurück, wehrte sich auch nicht, als der andere ihn am Kragen packte. »El Doctor kann keine Leute gebrauchen, die noch dazulernen müssen«, zischte Joe. »Und bei El Doctor kann man sich nicht bewerben. Er findet dich. Nicht duihn. Ist das wenigstens bei dir angekommen?«

Er schubste Cliff nach hinten wie etwas Lästiges, das man loswerden wollte, wandte sich um, und stieg in seinen Lkw. Der Motor sprang an, und kurz darauf war Cliff wieder im Dunkel der Lagerhäuser allein.

Sofort wandte er sich dem Pick-up zu, holte ein Handy aus den Tiefen des Handschuhfachs und drückte eine Kurzwahltaste.

»Hi Steve, Zeery hier«, meldete sich Zeerookah – kurz Zeery genannt –, der für das G-Team des FBI für alles zuständig war, was mit Elektronik, Computern und den damit zusammenhängenden Überwachungen zu tun hatte. »Hat ja eine Weile gedauert. War’s ein schöner Einsatz?«

Special Agent Steve Dillagio alias Cliff warf die Zigarette weg und lachte. »Allerdings. Hätte nicht gedacht, dass es so leicht ist. Ich denke, du hast ihn auf dem Schirm. Der Sender steckt tief unten zwischen den Kartons mit dem Drogendreck.«

»Yep«, rief Zeerookah. »Er fährt nach Norden. Wahrscheinlich kommt er rüber nach New York, wie wir vermutet haben. Kannst Dienstschluss machen.«

Dillagio lachte. »Dienstschluss? Du hast schon bessere Witze gemacht. Erst mal muss der ganze Mist hier in die Vernichtungsanlage. Und dann bleib ich natürlich am Draht.«

Der Agent trennte die Verbindung und stieg in den Wagen. Sekunden später bog er auf die Straße ab, und alles lag so verlassen da wie zuvor.

2

Das G-Team des FBI wusste, dass Joe in Wirklichkeit Hank Tabble hieß. Und natürlich wusste es schon lange, dass er für El Doctor arbeitete, einen Drogenboss, der in letzter Zeit immer mehr Einfluss gewann. Dass der sich auf seine Bedeutung einiges einbildete, zeigte sein Spitzname, den er sich verdeckten Ermittlungen zufolge angeblich selbst gegeben hatte.

El Doctor – so hatte man auch den legendären Drogenfürsten Pablo Escobar genannt, den skrupellosesten und reichsten aller Drogenhändler. Bis zu seinem gewaltsamen Tod im Jahre 1993 hatte er wahrscheinlich mehr Geld in seinen Besitz gebracht als je ein Mensch vor ihm. Niemand hatte rücksichtloser gemordet, gefoltert und erpresst als Escobar und das von ihm geführte Medellín-Kartell, das den Kampf um Anteile im Drogengeschäft in einen wahren Terror-Krieg verwandelt hatte. Escobar hatte in seinem Heimatland Kolumbien Ländereien besessen, die so riesig wie kleine Staaten waren. Nach wie vor wusste man nicht genau, was aus seinem unermesslichen Vermögen geworden war. Erst kürzlich hatte jemand in Miami für knapp zehn Millionen Dollar eine Villa gekauft, die einst Escobar gehört hatte – nur um sie abreißen zu lassen und auf dem Grundstück nach einem Versteck mit Geld zu suchen.

Und nun war ein neuer El Doctor aufgetaucht. Nach den Ermittlungen von Special Agent Dillagio hatte er einigen Einfluss gewonnen. Seine Identität lag allerdings vollkommen im Dunkeln.

Für das G-Team des FBI bedeuteten die Ermittlungen mühsame Kleinarbeit.

Die Special Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker hatten nur ein paar Hundert Meter südlich des Treffpunkts von Dillagio und Tabble in einem unauffälligen Kombi gewartet. Von Zeerookahs Angaben aus dem Hauptquartier geführt, übernahmen sie die Verfolgung.

»Wenn wir Pech haben, klappert er erst noch weitere Kunden ab«, sagte Cotton, der am Steuer saß und den Wagen durch die nächtliche Stadtlandschaft rollen ließ.

»Was dachten Sie denn, wozu er sonst die ganze Ladung dabei hat?«, meinte Decker. »Es wird eine lange Nacht. Oder sind Sie vielleicht schon müde?« Sie grinste. »Irgendwie habe ich Sie immer so eingeschätzt, dass Sie mit mir ganz gerne die Nächte verbringen. Oder ist das nicht so?«

»So viele Nächte, wie es waren, beantwortet sich die Frage wohl von selbst.«

»Ich meine freiwillig, Cotton. Nicht aus dienstlichen Gründen.«

»Wenn Sie mir da mal eine Chance geben, sehen wir weiter.«

Hin und wieder gab es kleine Momente, in denen es zwischen ihnen ein bisschen prickelte. Zumindest auf Cottons Seite. Doch wenn es mal dazu kam, zeigte sich seine Kollegin, die länger als er beim G-Team war und damit Weisungsbefugnis besaß, doch wieder eher kühl. Meistens dann, wenn es gerade mal für eine Sekunde zu so was wie einem Flirt gekommen war. Wahrscheinlich waren die kleinen Neckereien ihre spezielle Art, mit Stress umzugehen. Und die Ermittlungen im Fall El Doctor hatten schon für ziemlich viel Stress gesorgt.

»Ich frage mich, woher Steve die Geduld nimmt und auch noch so tut, als würde er mit dem Pack Geschäfte machen«, sagte Cotton. »Man sollte die alle einfach hochnehmen und fertig.«

»Und damit neue Arbeitsplätze bei El Doctor schaffen? Tolle Idee. Ich hatte eigentlich gedacht, wir sind hier, um den Sumpf auszutrocknen.«

»Wenn man sich die Berichte unserer Kollegen ansieht, reicht der Sumpf bis auf die andere Seite der Erdkugel. Eigentlich braucht man auch nur die Nachrichten zu verfolgen, um das zu wissen.«

Sie befanden sich jetzt auf der Interstate 95. Cotton drückte aufs Gas. »Da hinten ist er«, sagte Decker.

Cotton fuhr noch etwas schneller – wie getrieben von der Wut, die ihn plötzlich angeflogen hatte. Wenn er sich vorstellte, dass in dem unscheinbaren Lkw einer der Verantwortlichen für unzählige im Drogenelend lebende und auf Raten sterbende Menschen saß …

Aber Decker hatte ja recht. Ungeduld brachte nichts. Es war wie beim Angeln. Man musste einfach warten können, damit einem der ganz große Fisch ins Netz ging.

»Ich hätte als Junge in Iowa meinen Vater öfter beim Angeln begleiten sollen«, sagte er vor sich hin.

Decker runzelte verständnislos die Stirn. »Was meinen Sie?«

»Verstehen Sie eh nicht …«

Jetzt hatten sie Augenkontakt zu dem Lkw, der nun den Highway verließ. Es ging wieder ein Stück durch die unübersichtlichen Vorstädte.

Das Handy, das auf dem Armaturenbrett befestigt und laut gestellt war, meldete sich. Es war Dillagio.

»Na, Leute, wie steht’s? Habt ihr schon eine Idee, wo er hinfährt?«

»Nicht so schnell, Steve«, antwortete Decker. »Wir sind ja dran.«

Dillagio lachte, aber es war kein Humor darin. Es klang eher wie Spott. »Da liefere ich so eine schöne Vorarbeit, und ihr kommt nicht in die Gänge. Braucht ihr vielleicht Hilfe?«

Cotton antwortete. »Damit er dich am Ende noch sieht? Bleib, wo du bist. Oder geh schlafen. Falls du nicht ohnehin schon im Bett liegst.«

»Seid ihr sicher, dass ihr mich heute nicht mehr braucht?«

»Natürlich sind wir sicher. Das heißt, eine Frage hätte ich noch.«

»Ich wusste es. Schieß los.«

»Wie viel Ware ist noch in dem Wagen?«

»Gute Frage, Jeremiah. Du denkst dir messerscharf, dass er euch zum großen Unbekannten führt, wenn alles vertickt ist?«

»Exakt. Er wird ja an irgendwen die Kohle abgeben müssen, wenn er alles verkauft hat.«

»Drei Kartons sind noch drin. Das heißt, er kriegt noch mal dreißig Riesen. Wahrscheinlich hat er jetzt schon über zweihundert dabei.«

***

Seinen nächsten Kunden traf Hank Tabble alias Joe am Hudson River – auf der Seite von New Jersey, an einer abgelegenen Stelle zwischen Hafenkränen und ausgemusterten, vor sich hinrostenden Containern.

Cotton und Decker hielten den abgedunkelten Kombi an der einzigen Zufahrt zu dem Gelände verborgen. Decker stieg aus, kletterte auf einen der Container und beobachtete, wie der Deal vonstattenging.

»Er hat alles übergeben«, sagte sie, nachdem sie wieder zum Wagen zurückgekehrt war. »Jetzt wird es spannend. Mal sehen, ob er das Geld irgendwo hinbringt.«

»Oder sich einfach schlafen legt, mit den über zweihunderttausend unter dem Kopfkissen.«

Der Laster brummte an ihrem Versteck vorbei. Cotton wartete, bis auch der Kunde, der einen dunklen Lieferwagen fuhr, weggefahren war.

Danach gab er die Daten des Lieferwagens an Zeerookah im HQ weiter. Sämtliche Streifenpolizisten in der Umgebung würden Ausschau nach ihm halten, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Lieferwagen gestellt werden würde.

Es war ein beruhigender Gedanke, dass zumindest diese Ladung Gift nicht in den Handel floss.

Der Lkw war jetzt weit vorne. Zeerookah meldete sich und gab durch, wohin er fuhr. »Richtung New York City«, kam es aus dem Handylautsprecher. »Die Sache scheint sich zuzuspitzen.«

Wieder die Interstate 95. Bei Fort Lee ging es über den Hudson. Am südlichen Horizont, wo die breite Wasserfläche ins Meer mündete, leuchteten die Millionen Fenster der Wolkenkratzer von Manhattan – unterbrochen von bunten Lichtern der Neonreklamen, die von hier aus wie eine psychedelische Lightshow wirkten.

Tabble fuhr nicht in die Metropole hinein, sondern hielt sich Richtung Osten. Er durchquerte die Bronx und verlor sich dann in dem Straßengewirr von Soundview, einer Gegend mit Mietshäusern, die sich wie riesige Bauklötze unterschiedlicher Größe in den Himmel erhoben.

»Ob er gemerkt hat, dass ihm jemand folgt?«, fragte Decker.

Zeerookah hatte mitgehört und antwortete. »Kommt mir eher so vor, als hätte er sich verfahren. Wahrscheinlich sucht er einen bestimmten Treffpunkt. Oder jemand dirigiert ihn per Handy irgendwo hin. So wie ich euch gerade.«

»Kannst du das nicht überwachen?«, rief Cotton. »Ich meine, mithören oder Textnachrichten mitlesen oder so?«

Aus dem Smartphone kam ein tiefes Seufzen. »Musst du immer meinen wunden Punkt treffen, Cotton? Glaubst du, ich sitze zu dieser nachtschlafenden Zeit, wo jeder anständige Hacker sich in den Tiefen des Black Internet oder in virtuellen Welten rumtreiben sollte, im Büro – nur um einen roten blinkenden Punkt zu verfolgen und euch zu sagen, wo er gerade ist? Hier laufen parallel über dreißig Scanprogramme, die gleichzeitig auswerten, welche Handys in eurer Umgebung gerade eingeloggt sind und welche Kommunikation darüber erfolgt. Leider kann ich aber nichts Konkretes zuordnen.«

»Und warum nicht?«

Wieder ein Seufzen, diesmal noch tiefer. »Vielleicht weil der Fahrer vor euch keine Anweisungen in ordentlichem amerikanischem Englisch bekommt? Vielleicht weil sie einen bestimmten Code benutzen? So wie ich dir zum Beispiel ja auch einen Treffpunkt durchgeben kann, ohne eine bestimmte Adresse zu sagen. Ich könnte zum Beispiel einfach sagen oder simsen: Gute Hotdogs.«

»Und das heißt dann, dass wir uns am Broadway treffen. Hausnummer 2090.«

»Ganz genau. Weil sich dort das Grey’s Papaya befindet. Bekanntlich der beste Hotdog-Laden in Manhattan.«

Zeerookah war nicht nur der IT-, sondern auch der Fast-Food-Experte des G-Teams.

»Wir haben es verstanden«, schaltete sich Decker ungeduldig ein. »Wo bewegt sich der blinkende rote Punkt jetzt hin, Zeery?«

»Oh, jetzt bewegt er sich gar nicht mehr. Er steht. Ganz in eurer Nähe. Zerega Avenue. Genau an der Stelle, wo die Straße unter dem Highwayknoten hindurchführt. Sieht mir nach einem perfekten Ort für ein Treffen aus.«

Decker schnaubte und brummte etwas davon, dass man das auch gleich hätte sagen können. Cotton gab Gas.

Sie waren nur zwei Querstraßen entfernt. Die Gegend bestand aus Firmengebäuden, Lagerarealen und von hohen Zäunen begrenzten Plätzen. Gebrauchtwagen warteten auf die letzte Chance, wieder regulär auf die Straße gelassen zu werden. Die verschlungenen Highwaystrecken, die hier zusammentrafen, ergaben ein unübersichtliches Geflecht von Hochstraßen. Unten bildeten sie Hallen aus Beton – unterbrochen von runden grauen Säulen.

Cotton drosselte das Tempo und ließ den Kombi langsam unter dem Bauwerk hindurchrollen.

»Da hinten ist er«, sagte Decker. »Fahren Sie weiter. Ganz unauffällig. Zeery, ich schalte dich mal eben weg. Zur Sicherheit.«

Cotton hatte den Lastwagen auch gesehen. Er stand neben einer der Betonwände. Tabble war am Steuer sitzen geblieben.

Sie fuhren etwa hundert Meter weiter. Cotton wendete und schaltete das Licht aus. Decker holte zwei Ferngläser mit integrierten Nachtsichtgeräten aus dem Handschuhfach. Als Cotton sein Gerät eingestellt hatte, sah er, wie Tabble ausstieg und neben dem Wagen wartete. Seine Gestalt war nur als undeutlicher Schemen zu sehen. Aber man konnte gut erkennen, dass er immer wieder nervös gegen die rechte Seite seiner Lederjacke klopfte. Als müsse er sich vergewissern, dass das Geld auch wirklich da war.

Die Agents verfolgten die Szene schweigend. Es waren quälend lange Minuten, in denen nichts weiter geschah – außer das Tabble hin und wieder ein paar Schritte machte, auf seine Jacke klopfte und ab und zu ein Fahrzeug die Straße entlangfuhr.

»Hören Sie das?«, sagte Decker plötzlich.

Es war ein außergewöhnlich helles Motorengeräusch, das sich näherte. Ein hochfrisierter Motor war das. Er kam näher und näher – und dann trat das Fahrzeug in das Blickfeld der Ferngläser. Eine Gestalt stieg von einem Motorrad.

»Wenn wir ihn verfolgen müssen, wird das nicht so einfach sein«, sagte Cotton.

»Da haben wir schon ganz andere Sachen gemeistert«, meinte Decker.

Cotton versuchte, sein Glas schärfer zu stellen, um zu erkennen, um was für eine Maschine es sich handelte. Die Typenschilder waren abmontiert. Trotzdem schien es sich um ein ganz spezielles Modell zu handeln. Allein der Radstand war ungewöhnlich …

Der Motorradfahrer hatte den Helm nicht abgenommen. Jetzt sprachen die beiden miteinander. Tabble griff in die Tasche und händigte den Umschlag aus, der mehrere Jahreseinkommen der Special Agents enthielt.

Plötzlich erkannte Cotton, um was für eine Maschine es sich handelte.

»Ich fürchte, wir sind erledigt«, sagte er.

»Was soll das heißen?«

»Das ist eine Honda Fireblade.«

»Dass es kein Spielzeugmotorrad ist, weiß ich auch, Cotton. Obwohl, so was Ähnliches ist es ja schon. Für Kind gebliebene Männer eben.«

»Decker, die Fireblade fährt fast dreihundert Kilometer in der Stunde Höchstgeschwindigkeit. Sie ist eines der besten Rennmotorräder der Welt. In sieben Sekunden hat sie zweihundert Sachen drauf, während wir noch den ersten Gang suchen.«

Kaum hatte Cotton es ausgesprochen, tat sich da vorne etwas. Der Unbekannte startete die Maschine, und der Sound der knapp 170 PS ließ die Luft zwischen den Betonhallen unter dem Highway erzittern. Tabble hatte sich wieder seinem Pick-up zugewandt. Er war gerade einen Schritt gegangen, da zog der Motorradfahrer etwas aus der Tasche, und eine Sekunde später brach Tabble zusammen.

Der Schuss war in dem Lärm kaum zu hören gewesen.

Der Motorradfahrer gab Gas, und einen Atemzug später zischte die Maschine am Kombi der Agents vorbei.

»Verdammt, er hat geschossen«, rief Decker. »Cotton, hinterher. Ich kümmere mich um Tabble.«

Decker riss die Tür auf, stürzte hinaus, schlug sie zu – und so lange hatte Cotton gebraucht, um den Motor zu starten. Er musste auf dem schmalen Platz wenden, und es vergingen wertvolle Sekunden, bis er überhaupt auf der Straße war.

»Ich hätte Hellseher werden sollen«, schimpfte er, als er endlich Gas geben konnte. »Ich wusste, dass das schiefgeht.«

Das Donnern der Maschine hing immer noch in der Luft, als er die schnurgerade Zeega Avenue nach Süden raste – oder zumindest in dem Tempo fuhr, das man bei einem Pkw mit Höchstgeschwindigkeit von knapp zweihundert »Rasen« nennen konnte. Cotton kam es vor, als würde er immer wieder kleinere Fetzen der Soundwolke einholen, die der Schütze hinterlassen hatte. Aber schon an der nächsten Abzweigung zwischen Zäunen und irgendwelchen Lagergebäuden hatte sich der letzte Rest des Honda-Sounds in nichts aufgelöst.

Das Motorrad konnte überall und nirgends sein. Sinnlos, die Verfolgung fortzusetzen.

Cotton kehrte zum Tatort zurück. Dort stand Decker neben Tabble, der am Boden lag.

»Er ist tot«, sagte sie. »Aber ich konnte noch kurz mit ihm reden. Ich habe ihn zu El Doctor befragt.«

Cotton sah auf die Leiche. Der Mann lag auf dem Bauch, den Kopf zur Seite gedreht. Ein dunkles Rinnsal floss aus seinem Mund.

»Jetzt sagen Sie bloß, er hat uns seinen Namen und seine Adresse gegeben.«

Die Agentin hob die Hand, in der sie ihr Handy hielt. »Das nicht«, sagte sie. »Aber ich habe aufgenommen, was er gesagt hat. Hier.«

Sie startete eine App. Dann hörte man ihre Stimme aus dem Lautsprecher. »Tabble«, sagte sie. »Sagen Sie mir, wer El Doctor ist.«

Darunter war ein hässliches, tiefes Stöhnen von dem Sterbenden zu vernehmen. Er versuchte, Worte zu formen. »Sagen Sie es mir, Tabble«, sagte Deckers Stimme. Halten Sie durch. Hilfe ist unterwegs.«

Wieder das Stöhnen. Langsam bildete sich eine Aussage, die man verstehen konnte. Es war tatsächlich ein Name.

»Ich habe Fernandez verstanden«, sagte Cotton.

Decker nickte. Ihre Stimme im Handy sagte: »Fernandez, habe ich das richtig verstanden?«

Der Verletzte gab mit großer Anstrengung ein deutliches »Ja« von sich. Die nächsten Worte waren wieder undeutlich, und dann sagte er vollkommen verständlich: »Fernandez. Ana Luisa … Wird Sie zu El Doctor …«

Ein langes Stöhnen, dann brach es ab.

Einen Moment herrschte Stille. Die Agents standen schweigend da. Aus der Ferne näherte sich die Sirene der Ambulanz.

3

»Ich fasse also zusammen«, sagte Mr High, Chef des G-Teams. »Der Kurier wurde in eine Falle gelockt und getötet. Wir müssen davon ausgehen, dass das Kartell von El Doctor von unserer Überwachung weiß.«

Er hatte die Agents – neben Cotton, Decker und Zeerookah auch Dillagio – noch in der Nacht in den Besprechungsraum des Hauptquartiers befohlen. Es befand sich mitten in Manhattan, ganz in der Nähe des FBI Field Office New York, und war in einem unauffälligen, einstöckigen Bürohaus unterbracht. Offiziell befand sich darin eine Software-Firma, von der man ohne Weiteres glauben würde, dass hier Tag und Nacht gearbeitet wurde. Die Büros des G-Teams lagen, von unerwünschten Besuchen und von Anschlägen geschützt, unter dem Gebäude in einem ausgedehnten Kellerbereich – natürlich ausgestattet mit kaum zu überbietender Hightech.

Die Uhr zeigte mittlerweile kurz nach drei, aber das spielte keine Rolle. Mr High betrachtete die Führung des G-Teams als seine Lebensaufgabe und war praktisch vierundzwanzig Stunden im Dienst. Niemals hätte man ihm auch nur eine Spur von Übermüdung angemerkt. Auch jetzt saß er, bekleidet mit einem teuren dunklen Maßanzug, hoch konzentriert vor den Agents. Mr High war dunkelhäutig. Das Weiße in seinen Augen sorgte für einen starken Kontrast in seinem Gesicht.

Er wandte sich an Dillagio, der direkt nach seinem letzten Auftrag, die erbeuteten Drogen vernichten zu lassen, hergekommen war. »Sie haben verdeckt ermittelt. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass El Doctor von unseren Bemühungen weiß?«

»Ich glaube, dass er gar nichts weiß«, sagte Dillagio, ohne auch nur eine Sekunde lang zu zögern. »Ich befürchte etwas ganz anderes. Ich schätze, dass es Leute gibt, die El Doctor sein Revier streitig machen wollen.«

»Sie meinen, es droht ein Drogenkrieg?«

Der Agent schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass er droht, Sir. Ich glaube, wir sind schon mittendrin. Ich habe bei meinen Einsätzen herausgefunden, dass sich El Doctor mit großer Skrupellosigkeit in das Geschäft hineingearbeitet hat. Er ist keiner, der ursprünglich aus der Szene kommt. Ein Seiteneinsteiger.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte Decker. »Ich denke, niemand weiß, wer er ist?«

»Das weiß auch niemand. Höchstens ganz bestimmte Mitarbeiter. Und so konnte uns Tabble auch nur einen sehr vagen Hinweis geben. Die Bande hat die berühmte Dreieckstechnik bis zur Perfektion drauf. Jeder kennt immer nur zwei andere. Außer ihm selbst natürlich. Das ist ja der Grund, warum wir einen nach dem anderen abklappern müssen. Darauf, dass er aus einem anderen Geschäftsbereich kommt, deutet etwas anderes hin. Er hat sich am Anfang ungewöhnlich ungeschickt angestellt. Viele seiner ersten Kuriere sind hopsgenommen worden. Erst danach hat er angefangen, zu härteren Mitteln zu greifen, und hat sogar begonnen, Leute, die nicht gespurt haben, zu foltern.«

»Als wollte er ganz bewusst ein neuer Escobar werden?«, fragte Decker.

»So sieht’s aus. Er hat Escobars Methoden genau studiert.«

»Vielen Dank für Ihre Einschätzung der Lage«, sagte Mr High. »Beschäftigen wir uns nun mit dem, was Tabble vor seinem Tod ausgesagt hat. Agent Zeerookah, spielen Sie die Aufnahme noch einmal vor.«

Zeerookah startete auf seinem kleinen betriebsbereiten Notebook, das vor ihm stand, die Klangdatei. Alle hörten sich die Aufzeichnung ein zweites Mal an.

»Wir suchen also eine Person namens Ana Luisa Fernandez«, sagte Mr High.

»Er hat aber noch etwas anderes gesagt«, meinte Zeerookah. »Bevor er den Namen nennt. Man versteht es nur nicht. Ich habe versucht, es mit meinen akustischen Filtern zu bereinigen, aber das hat bisher nicht funktioniert. Ich müsste ein neues Programm entwickeln.«

»Was hindert Sie daran?«, fragte Mr High.

»Nichts, Sir. Ich bin schon dabei.«

»Der Name Fernandez ist nicht gerade selten«, sagte Cotton. »Vor allem in den lateinamerikanischen Ländern. Und ich denke, El Doctor wird wie der echte Escobar aus Kolumbien kommen.«

Zeerookah hatte sich wieder seinem Computer zugewandt und tippte darauf herum. Schließlich strich er sich nachdenklich durch das dichte, tiefschwarze Haar, um das ihn so manche Frau beneidete. Es war ein Erbe seiner indianischen Wurzeln.

»Es klingt zu einfach«, sagte er nachdenklich. »Und es passt auch nicht … Obwohl – warum eigentlich nicht …« Er tippte weiter, offenbar in einen komplizierten Gedanken versunken.

»Könnten Sie uns bitte an Ihren Erkenntnissen teilhaben lassen, Agent Zeerookah?«, mahnte Mr High.

Zeerookah sah auf. »Ja, Sir, selbstverständlich. Ich habe nach Informationen über eine Person namens Ana Luisa Fernandez gesucht. Und da bin ich auf eine gewisse Ana Luisa Salazar Fernandez gestoßen.«

»Salazar?«, fragte Cotton. »Das hat Tabble aber nicht gesagt.«

Decker schaltete sich ein. »In spanischen Ländern bestehen Namen oft aus vier Teilen. Zwei Vornamen, zwei Nachnamen. Man benutzt im normalen Umgang nicht alle.«

»Und die Dame stammt aus Kolumbien«, sagte Zeerookah.

»Hat sie etwas mit Drogengeschäften zu tun?«, wollte Mr High wissen.

»Nicht sie selbst. Aber sie hat Verwandte, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Nichts Großes. Kein wirklicher Drogenhandel. Jedenfalls sie ist die einzige Ana Luisa Fernandez, die auf den Listen der aktuellen Flüge Richtung New York steht. Mal abgesehen, dass es noch etwa vierundsiebzig Personen gibt, auf die der Name auch zutrifft und die schon im Großraum New York leben.«

»Wir lassen die vierundsiebzig Personen überprüfen«, ordnete Mr High an. »Gibt es sonst noch etwas zu der Dame zu berichten?«

»Tabble spricht den Namen so aus, als müsste man ihn kennen«, fuhr Zeerookah fort. »Und die Ana Luisa Fernandez, die ich ermittelt habe, ist eine Sängerin. Sie tritt demnächst in New York auf und kommt morgen mit dem Flugzeug hier an. Direkt aus Kolumbien, wo sie übrigens auch zur Welt kam. Und lebt.«

»Was singt sie?«, fragte Cotton. »Jazz? Oder Pop?« Er besuchte im Stadtteil Williamsburg, wo er wohnte, ganz gerne Pete’s Candy Store, wo gelegentlich Blues gespielt wurde. Den genoss er dann zusammen mit einem Glas Talisker.

»Ana Luisa Fernandez«, sagte Decker, und sie sprach den Namen so aus, als würde sie ihn jemandem vorbuchstabieren. »Natürlich! Dass ich darauf nicht gekommen bin. Sie ist ein absoluter Superstar.«

»Wirklich?« Cotton schüttelte den Kopf. »Der Name ist mir in den Charts noch nie begegnet. Oder ist das ein Pseudonym?«

»Sie ist Opernsängerin, Cotton«, sagte Decker. »Davon verstehen Sie nichts.«

»Sie singt hier in New York in ein paar Tagen die Titelrolle in Verdis La Traviata«, fügte Zeerookah hinzu. »Genauer gesagt übermorgen. Und Tabble war ein Opernfan. Ich habe es an den Playlisten in seinem Handy gesehen. Er hat in den letzten Tagen auch die Website der Metropolitan Opera und von Ana Luisa Fernandez besucht.«

»Tabble wollte uns also sagen, dass diese Sängerin uns zu El Doctor führen kann?«, fragte Mr High.

Zeerookah nickte. »So ist es, Sir.«

»Special Agent Dillagio. Ist es in den Kreisen, in denen Sie ermittelt haben, jemals um Opernmusik gegangen?«

Der Agent hob die Schultern. »Nicht dass ich wüsste. Die Leute, mit denen ich zu tun habe, hören Hip-Hop, Gangsta Rap oder Techno. Wäre auch eher mein Fall, wenn ich ehrlich bin.«

Mr High nickte. Er hatte eine Entscheidung getroffen. »Agent Decker, Agent Cotton. Sie werden die Dame von dem Moment an überwachen, in dem sie amerikanischen Boden betritt. Wir müssen alle Personen überprüfen, die sie trifft. Alle, mit denen sie zu tun hat. Einer davon könnte El Doctor sein.«

»Wir haben nicht viel Zeit«, schaltete sich Zeerookah ein, der wieder auf den Monitor seines Notebooks sah. »Sie probt morgen in der Oper. Oder heute, wir haben ja schon nach Mitternacht. Einen Tag später ist die Aufführung, und am Morgen danach fliegt sie nach Europa, wo sie die Rolle gleich noch einmal singt.«

»Umso schneller müssen wir Ergebnisse erzielen.«

Mr High erklärte das Meeting für beendet. Die Agents meldeten sich ab, um noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Die Maschine aus Kolumbien wurde am Vormittag erwartet.

Nur Zeerookah blieb zurück in dem Besprechungsraum. Er ließ wieder und wieder Tabbles letzte Worte ablaufen. Die Botschaft, bevor er den Namen sagte … Er musste sie entschlüsseln. Es gab da noch etwas Wichtiges, da war er sicher.

Zeerookah war klar, dass für ihn die Nacht noch nicht zu Ende war.

4

Sie kannten die Flugnummer, sie kannten die Ankunftszeit und sogar den Sitzplatz, den die Opernsängerin in dem Flugzeug eingenommen hatte. Als sie die entsprechende Ankunftshalle am JFK-Airport erreichten, gerieten sie in eine Menschenmasse aus Fans und Presseleuten, die ebenfalls auf die Diva warteten.

»Was ist denn hier los?«, rief Cotton. »Man könnte glauben, hier kommt ein Superstar an.«

Decker schüttelte ungläubig den Kopf. »Haben Sie es immer noch nicht begriffen? Sie ist ein Star. Nur weil Sie nichts von Opern verstehen, kennen Sie sie nicht. Sie gehört zu den weltbesten Sopranistinnen. Sie ist eine zweite Maria Callas und verdient an einem Opernabend genauso viel wie Madonna bei einem Auftritt.«

»Maria wer …?«

Decker stöhnte angesichts so großer Ignoranz.

Gemeinsam arbeiteten sie sich durch das Gedränge. Bis sie vorne angekommen waren, hatten sie einige Verwünschungen von anderen Wartenden hinnehmen müssen.

Cotton fragte sich, wie sie den Auftrag überhaupt ausführen sollten. Wenn die Dame gleich auftauchte und alle möglichen Fans, Presseleute und wen sonst noch traf, dann wuchs die Zahl der Menschen, die sie überprüfen mussten, schon in den ersten Stunden in die Hunderte.

Ein Jubel ging durch die Menschen. Die Diva kam aus dem abgesperrten Bereich. Sie war groß, schlank und dunkelhaarig und trug neben einem teuer aussehenden Kostüm mit halblangem Rock in Dunkelblau eine luxuriöse Handtasche und glitzernden Schmuck. Drei junge Männer in schwarzen Anzügen waren für das Gepäck der Künstlerin zuständig, das sie auf einem Rollwagen transportierten. Es war ein wahres Gebirge aus Koffern und Hutschachteln.

Kaum war Ana Luisa Fernandez ins Blickfeld der Menge geraten, blieb sie stehen, winkte – und strahlte die Menschen mit einem Showlächeln an. Applaus brandete auf. Ein Blitzlichtgewitter prasselte auf sie hernieder. Ein Mann vom Fernsehen arbeitete sich mit seiner Kamera ganz nach vorne, ein Moderator mit einem Mikrofon versuchte, die Diva in ein Gespräch zu ziehen. Sie beantwortete auch ein paar Fragen, andere Journalisten riefen ihr etwas zu. Das Stimmengewirr ergab eine große Lärmwolke, in der man sein eigenes Wort nicht verstand.

Ein gut gekleideter grauhaariger Mann im Maßanzug näherte sich der Lady und begrüßte sie mit Küsschen links und Küsschen rechts – was ebenfalls ein Blitzlichtgewitter provozierte.

Fans drängten sich heran, um Autogramme zu bekommen. Ein paar Minuten lang ging die Sängerin auf den Wunsch ein und kritzelte ihren Namen in mitgebrachte Bücher und auf CDs. Auf einen Wink des Grauhaarigen wandte sich die Sängerin ab, und abgeschirmt von weiteren Männern, die wahrscheinlich Bodyguards waren, bewegte sich der Tross in Richtung Parkhaus.

Cotton und Decker hatten sich vorbereitet und übernahmen die Verfolgung der luxuriösen Limousine, die Ana Luisa Fernandez nach Manhattan brachte.

Decker saß am Steuer. Cotton kontaktierte Zeerookah mit laut gestelltem Handy. Der Agent hatte während der Ankunft der Diva Fotos gemacht und sie dem IT-Spezialisten geschickt. Es dauerte keine Minute, da kam schon die Auswertung.

»Der Grauhaarige heißt Marc T. Nolan«, sagte Zeerookah. »Seit acht Jahren ist er der Manager von Ana Luisa Fernandez. Er hat sie zu einem Superstar der Opernszene gemacht. Man sagt ihm nach, einer der härtesten Agenten im klassischen Musikbereich zu sein.«

Cotton wurde klar, wie wenig er von der Welt der Opern und Sinfoniekonzerte verstand. Er hatte immer gedacht, Ellbogenkämpfe und harte finanzielle Verhandlungen gäbe es in dem Bereich gar nicht. Er hatte diese Sänger, Pianisten, Dirigenten und Geigenspieler immer für etwas weltfremde Idealisten gehalten. Offenbar war dem nicht so.

»Den Gerüchten nach steht er mit Ana Luisa Fernandez nicht nur in beruflicher, sondern auch in privater Beziehung«, sprach Zeerookah weiter.

»Ist ja toll, wenn man die Ermittlungen mithilfe der Klatschpresse durchführen kann«, meinte Cotton.

»Die Sängerin ist offiziell unverheiratet«, fügte Zeerookah hinzu.

»Hat Nolan irgendwelche Berührungspunkte mit der Drogenszene?«

»Nicht mehr als jeder andere im Showbusiness.«

»Soll das heißen, auch klassische Musiker nehmen Drogen? Nicht nur die alten Rocker mit ihrem Motto Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll? Oder die Leute aus der Clubszene?«

Decker schaltete sich ein. Die Verfolgungssituation war ziemlich entspannt, denn sie waren an der Abzweigung auf die Interstate 495 in den üblichen Stau geraten.

»Opernsänger müssen wahre Schwerstarbeit leisten«, sagte sie. »Sie stehen stundenlang auf der Bühne und singen die schwierigsten Partien, und sie verkörpern auch noch Rollen in einem großen Drama. Und das in verschiedenen Ländern mit all den Problemen, die man auf Reisen so hat. Jetlag, kleine oder größere Unpässlichkeiten und so weiter. Oft müssen sie unter gewaltigem Zeitdruck eine neue Inszenierung einüben. Und bei so einem Stress ist der Griff zum Kokain nicht weit. Und der Stress gilt natürlich auch für das Management.«

»Ich verstehe«, sagte Cotton. »Und wer waren die Typen im schwarzen Anzug?«, fragte er Zeerookah.

»Mitarbeiter einer Security-Firma hier in New York«, kam es aus dem Lautsprecher. »Nolan dürfte sie engagiert haben.«

»Und gibt’s bei denen irgendwas Auffälliges?«

»Kommt drauf an, was ihr unter auffällig versteht. Auch hier bestenfalls ein paar kleine Delikte im Zusammenhang mit Eigengebrauch. Nichts Spektakuläres. Aber ich bleibe dran. Und ich versuche immer noch, herauszufinden, was Tabble wirklich versucht hat zu sagen. Ich hab heute Nacht noch ein Programm geschrieben, das die undeutliche Aussprache einer Person verändern kann, aber bisher kommt nichts dabei raus.« Seine Stimme bekam etwas Wehmütiges. »Wenn ich nicht gezwungen wäre, hier beim FBI zu versauern, könnte ich damit wahrscheinlich richtig viel Geld verdienen. Aber so …«

»Sieh erst mal zu, dass dein Programm funktioniert«, meine Cotton. »Außerdem zwingt dich ja niemand.«

Die Fahrt ging weiter, die Limousine steuerte Manhattan an. Es ging in Richtung Central Park – an den südlichen Rand. Dann hielt der Wagen vor einem fast dreißigstöckigen Haus mit einem repräsentativen Eingang. Zwei Flaggen reckten sich links und rechts in Richtung Straße. Große Blumenkübel standen in der Sonne. Das Ambiente hatte etwas von einem Entree zu einem Palast, wäre das Gebäude nicht nach oben hin auch nur ein weiterer Riesenkasten gewesen, wie sie in Midtown üblich waren. Jeder wusste jedoch, dass sich im Inneren eine Welt aus purem Luxus befand.

Es war das Ritz-Carlton-Hotel, eines der besten und teuersten Häuser seiner Art in New York.

»Ich frage mich, in welchem Zimmer unser Opernstar nächtigen wird«, sagte Cotton.

»Zimmer? Machen Sie keine Witze. Ich bin sicher, die Dame bewohnt eine ganze Suite.«

Sie standen mit ihrem unauffälligen Pkw etwas abseits und beobachteten, wie der Chauffeur um das Fahrzeug herumging und der Sängerin die Tür öffnete. Nach ihr verließ Nolan den Wagen. Ein ganzer Trupp von Hotelbediensteten kümmerte sich um das Gepäck, das Stück für Stück aus dem Kofferraum geholt wurde.

»Wir sind nicht die Einzigen, die sie verfolgt haben«, sagte Cotton. »Schauen Sie mal da drüben.«

Eine Menschentraube näherte sich dem Hotel. Sie bestand aus Leuten unterschiedlicher Altersschichten – vom Collegegirl bis zum Rentner. Es handelte sich wieder um Fans, die ihrem Idol nahe sein oder ein Autogramm ergattern wollten. Die Hotelangestellten waren darauf eingestellt und bildeten eine Sperre – was völlig unnötig war, denn Ana Luisa Fernandez war längst in dem Gebäude verschwunden. Aber man wollte vermeiden, dass sich andere illustre Gäste belästigt fühlten.

»Unser Auftrag ist so nicht auszuführen«, sagte Cotton. »Wir können so eine Prominente nicht wirklich überwachen. Auch wenn Zeerookah all seine elektronischen Tricks einsetzt.«

»Sie müssen einfach Geduld haben, Cotton«, mahnte Decker.

»Sie mögen welche haben und zusehen, wie die Lady im Hintergrund irgendwelche Geschäfte macht. Ich habe darauf keine Lust.«

»Reißen Sie sich zusammen.«

»Will ich aber nicht. Wir verlieren kostbare Zeit. Ich schaue mich mal ein wenig um«. Cotton fasste nach der Türverriegelung

»Was soll das heißen?«

»Ich gehe jetzt da rein und überwache die Dame. Wie es unser Auftrag ist.«

»Das geht nicht.«

»Wieso nicht?«

»Weil wir uns nicht als FBI-Agents zu erkennen geben dürfen.«

»Das ist auch nicht meine Absicht.«

»Cotton, warten Sie …«

Doch er hatte schon den Wagen verlassen. Decker konnte ihm nicht folgen, weil sie nicht in einer offiziellen Parkzone stand. So was war hier auch schwer zu finden. Gegenüber verlief die südliche Zeile des Central Park. Dort hatten die legendären Kutschen ihren Platz, mit denen man eine romantische Rundfahrt unternehmen konnte. Die Attraktion wurde vor allem von Touristen genutzt.

Cotton ging festen Schrittes die Straße entlang. Ohne auch nur im Geringsten zu zögern und als wäre es das Normalste der Welt, passierte er die Angestellten, die das Gepäck der Sängerin auf einen großen Rollwagen mit Messinggriffen geladen hatten und es nun in Richtung Eingang bugsierten. Sie machten ihm sogar Platz, als er die Lobby betrat.

Die Fans, die immer noch in Sichtweite herumstanden, sahen ihn neugierig an. Vielleicht hielten sie ihn für einen der Stars, die hier verkehrten. Dabei war sein Outfit völlig unpassend für diese Umgebung.

Wie meistens trug Cotton Jeans und Pullover. Darüber hatte er eine leichte Lederjacke an, die seine 45er Kimber verdeckte. Aber reiche Hotelgäste mussten ja nicht unbedingt teuer gekleidet sein. Viele pflegten sogar ganz bewusst ein gesundes Understatement.

Im Inneren kam es ihm vor, als hätte er eine andere Welt betreten. Kostbarer heller Marmorboden. Getäfelte Wände aus rötlichem Holz. Hinter der Lobby ein Salon – darin mit glänzenden Stoffen bezogene Sessel und Sofas. Dort war der Boden mit weichen Teppichen ausgelegt. Von irgendwo her kam eine sanfte Wolke aus klassischen Klängen.

Die Rezeption lag links. Der Angestellte im perfekt sitzenden Anzug, der hinter dem ebenfalls mit teuren Hölzern geschmückten Tresen stand, telefonierte gerade.

Die Aufzüge befanden sich auf der anderen Seite. Es war gerade eine Kabine offen. Cotton ging einfach weiter, und es gelang ihm, ungehindert hineinzukommen. Welche Etage sollte er anwählen? Egal, erst mal weg von hier unten. Er drückte auf den Knopf für ein weit oben liegendes Stockwerk. Die Kabine setzte sich in Bewegung. Kurz darauf gelangte er auf einen ebenfalls mit edlen Teppichen ausgelegten Flur.

Niemand war zu sehen. Cotton ging eine Weile an den Zimmern entlang. Es wäre natürlich reine Glückssache gewesen, wenn es genau die Etage von Ana Luisa Fernandez gewesen wäre. Jemand kam ihm entgegen. Offenbar ein Zimmermädchen. Es war eine junge Schwarze, höchstens zwanzig Jahre alt.

Sie sah ihn an und grüßte freundlich. Cotton versuchte, auch hier souverän wie ein Hotelgast zu wirken. Sie blieb stehen. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«

»Nein, danke«, sagte Cotton und setzte sein gewinnendstes Lächeln auf, dessen er fähig war. »Ich gehe nur auf mein Zimmer.«

Er wollte weitergehen, aber sie trat ihm in den Weg. »Entschuldigen Sie, Sir, aber da sind Sie hier falsch. Welche Nummer haben Sie denn?«

Verdammt, woher wusste sie, dass er falsch war? Natürlich weil sie in so einem Luxushotel jeden einzelnen Gast kannten. Oder jedes Zimmermädchen kannte zumindest die Gäste auf seinem Flur.

»Ach, wissen Sie …«

Was sollte er sagen? Es gab was Besseres als Ausflüchte.

Er zückte seine Geldbörse, und achtete darauf, dass das Mädchen seine Waffe nicht sah. Schließlich hielt er ihr einen Zehn-Dollar-Schein vor die Nase.

»Ich wollte eigentlich nur wissen, in welchem Zimmer … Ich meine, in welcher Suite Miss Fernandez logiert …«

Das Mädchen war nicht im Geringsten beeindruckt und hielt plötzlich ein kleines Funkgerät in der Hand. Jetzt wirkte sie gar nicht mehr so freundlich. »Zudringlicher Fan in der elften«, sagte sie nur. Dann wandte sie sich an Cotton: »Sie müssen gehen, Sir, bitte. Sie haben kein Recht, hier zu sein.« Den Geldschein beachtete sie nicht. Wahrscheinlich hätte man ihr tausend anbieten müssen. Mindestens.

Cotton versuchte, sich herauszureden. »Hören Sie, ich will ja gar nichts von Miss Fernandez. Ich bin auch gar kein Fan. Ich bin Journalist. Ich schreibe über Opernsängerinnen seit …«

»Wenn Sie Journalist sind, wissen Sie ja sicher, dass es heute Abend eine Pressekonferenz gibt. Haben Sie überhaupt einen Presseausweis?« Eine tiefe Stimme hinter Cotton hatte gesprochen. Da standen zwei Glatzköpfe – wahrscheinlich zwei von den Typen, die den Agents schon am Flughafen aufgefallen waren. Aus der Nähe betrachtet, wirkten sie sehr durchtrainiert.

Cotton hob die Hände. Er wollte eine Auseinandersetzung gar nicht erst provozieren.

»Verlassen Sie bitte sofort das Hotel, Sir«, sagte der eine der beiden. Ohne Cotton zu berühren, nahmen sie ihn in die Mitte.

Der Agent ging mit zum Aufzug, und sie brachten ihn nach unten. Auf der Straße, ein paar Schritte entfernt, wo die Fans standen, ließen sie ihn stehen. »Es wäre besser, wenn Sie hier weggingen«, rief der andere Bodyguard den Leuten entgegen. Es waren immerhin noch etwa dreißig Personen, die herumstanden – einige mit gezückten Autogrammbüchern oder einer CD in der Hand. Presse war keine zu sehen, soweit Cotton das erkennen konnte.

»Das ist ein freies Land hier«, rief ein älterer Mann mit Hut und Trenchcoat, der ein Foto von Ana Luisa Fernandez in der Hand hielt. »Wir dürfen hier auf der Straße stehen, denn die Straße ist öffentlich. Und wenn Miss Fernandez ihre Fans begrüßen will, dann darf sie das auch.«

Der Mann redete ins Leere. Die Bodyguards waren wieder ins Innere des Hotels zurückgekehrt.

»Ich wusste, dass du ein Fan und kein Hotelgast bist«, sagte eine Stimme neben Cotton. »Ganz clever, wie du an denen vorbeimarschiert bist. Aber das klappt leider nicht. Haben wir alle schon versucht.«

Er musste den Kopf etwas senken. Neben ihm stand eine kleine blonde Frau. Cotton korrigierte sich sofort: ein Mädchen. Eine Studentin. Vielleicht achtzehn, neunzehn Jahre alt. Sie strahlte ihn an. »Ich bin Judy«, sagte sie. »Studierst du auch Gesang?«

»Wie bitte?«, fragte Cotton.

»Na ja, viele von den jüngeren Leuten, die Fans von Luisa Fernandez sind, studieren selbst Musik oder sogar Operngesang. Ich versuche gerade, mich auf die Aufnahmeprüfung an der Juilliard School vorzubereiten. In drei Wochen singe ich vor. Hoffentlich klappt’s.«

»Na, dann wünsche ich viel Erfolg.«

Plötzlich hatte sie etwas Sehnsuchtsvolles in den Augen. »Und du? Was machst du?«

»Ach …« Cotton wusste nicht, was er sagen sollte. Er war noch damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wo er das Wort Juilliard schon mal gehört hatte. Offenbar war das eine Musikschule.

»Gehörst du zu den Leuten, die Luisa Fernandez nachreisen?«, fragte sie.

»Dazu komme ich eigentlich gar nicht.«

»Sie tritt ja auch immer wieder mal hier in New York auf. Die Karten sind allerdings nicht ganz billig. Wenn man Beziehungen hat, kommt man in die Proben.« Sie lächelte verschwörerisch. »Heute Nachmittag zum Beispiel. Da ist die Generalprobe für La Traviata. Ich gehe dahin. Ich weiß ja nicht, was du vorhast …«

Cotton war klar, dass er da auch hinmusste. »Da würde ich dich gerne begleiten.«

»Ich wette, du weißt nicht, wie ich das anstelle.«

Cotton nahm seinen ganzen Charme zusammen, lächelte zurück und sah Judy tief in die Augen, bevor er weitersprach. »Und ich wette, du wirst es mir gleich sagen …«

Sie wiegte neckisch den Kopf hin und her. »Hast du was zu schreiben dabei?«

Er holte einen Stift hervor und gab ihn ihr. »Streck mal deine Hand vor«, sagte sie. Er tat es, und dann malte sie langsam eine Telefonnummer auf seinen Handrücken. »Ich weiß eine Menge über Luisa Fernandez«, fuhr sie stolz fort. »Ich weiß, wann sie welche Proben hat. Ich kenne alle ihre Aufnahmen. Die habe ich mir von dem Gehalt als Kellnerin in einem Café in Brooklyn abgespart. Ich habe sogar die brandneue Aufnahme der La Traviata, die gerade rausgekommen ist. Und soll ich dir was sagen?« Sie öffnete ihre Tasche und ließ Cotton hineinsehen. Darin war eine CD-Box mit einer Unterschrift auf dem Cover. »Es ist ein signiertes Exemplar. War besonders teuer. So was wird im Internet gehandelt. Was hast du denn bisher mit ihr gesehen?«

Cotton hatte befürchtet, dass die Frage kommen würde. »Keine Ahnung …«

»Keine Ahnung? Das gibt’s doch nicht!«

»Ich meine – keine Ahnung, wo ich da anfangen soll zu erzählen.«

»Ja, sicher, das verstehe ich. Aber weißt du was? Ich kläre das mit der Probe heute. Ruf mich in einer halben Stunde an. Bis dahin weiß ich Bescheid.« Das Strahlen ihrer blauen Augen wurde noch intensiver. »Wir können zusammen hingehen. Und vielleicht vorher noch was trinken oder so. Oder danach … uns über die Aufführung unterhalten … Wär doch nett …«

Sie wurden unterbrochen, als neben ihnen ein Wagen hielt. Am Steuer saß Decker, die Cotton böse anfunkelte.

Judys Gesicht versteinerte schlagartig. »Ich glaube, da will jemand was von dir. Ich gehe wohl mal besser.« Ihre Enttäuschung war unübersehbar.

»Nein, warte«, rief Cotton, aber Judy war schon mit langen Schritten und erhobenem Kopf losgegangen. Sie hatte ein solches Tempo drauf, dass ihr blondes Haar nach hinten wehte.

Cotton stieg bei Decker ein. Sie fuhr sofort weiter.

»Musste das sein?«, rief er. »Ich war gerade im Begriff, wichtige Informationen zu erhalten – und da kommen Sie und trampeln alles nieder.«

»Wichtige Informationen, klar«, schnaubte die Agentin. »Wir sind nicht hergekommen, damit Sie mit irgendwelchen Girlies auf der Straße flirten. Wir müssen Ana Luisa Fernandez im Auge behalten, schon vergessen?«

»Das wollte ich ja. Ich war sogar im Hotel …«

»Und? Was haben Sie rausgekriegt? Haben Sie sie überhaupt sehen können? Nur für eine einzige Sekunde?«

»Nein, das nicht, aber …«

»Man hat Sie also rausgeschmissen. Das war sonnenklar. Cotton, Sie haben keine Ahnung, wie es in der Opernszene zugeht. Sie verstehen nichts davon. Sie können sich noch nicht mal als interessierter Fan ausgeben. Jeder sieht Ihnen sofort an, dass Sie mit wahrer Kultur nichts am Hut haben.«