Country Roads - Mila Brenner - E-Book

Country Roads E-Book

Mila Brenner

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Beschreibung

Welchen Traum hast du für dein Leben? Seit Wochen drückt sich Heather vor dieser Entscheidung. Ihre Mutter wünscht sich, sie würde ein Studium an der CU beginnen. Doch Heather weiß: Ohne ihre Unterstützung wird es die McCorie Pferderanch nicht mehr lange geben. Als ihre Mutter ihr dann auch noch von der Idee erzählt, Chris Channing auf der Farm arbeiten zu lassen, fragt Heather sich ernsthaft, was in sie gefahren ist. Denn Chris ist faul, verantwortungslos und klopft ständig dumme Sprüche. Aber mit seiner frechen Art sorgt er nicht nur für Unruhe, sondern für eine ganze Menge Herzklopfen bei Heather.

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Mila Brenner

Country Roads

Boulder Lovestories

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Abschied

Ein furchtbarer Wochenstart

K.o. in der zweiten Runde

Zwei ganz unterschiedliche Leben

Ein empfindlicher Nerv

Freundinnen

Familiengefühl

Geheime Sehnsucht

Verräterisches Herzklopfen

Träume kennen keine Sonntage

Glitzerponys

Feuerfunken

Eine schwierige Entscheidung

Geständnisse

Der Weg nach vorne

Impressum neobooks

Abschied

Ein Morgen wie alle anderen auch. Dennoch erfüllte mich weder Langeweile noch Frust. Ich war voller Vorfreude und Tatendrang. Der Sonntag war mein absoluter Lieblingstag. Obwohl ich auch an diesem Tag der Woche schon um fünf Uhr aufstand. Gerade weil ich es nicht anders kannte, störte mich das jedoch kein bisschen. Im Gegenteil. Schon vor dem ersten Klingeln des Weckers war ich wach und schwang die Beine über mein Bett. Ich brauchte keine Rücksicht auf meine Mom zu nehmen, denn sie war der einzige Mensch, dem es gelang jeden Tag in der Woche noch vor mir aufzustehen. Egal wie oft ich schon meinen Wecker zehn oder zwanzig Minuten vorgestellt hatte, ich kam jedes Mal in die Küche und fand sie am gedeckten Frühstückstisch sitzen. Gelassen saß sie da, trank ihren schwarzen und viel zu starken Kaffee. Irgendwann hatte ich es aufgegeben und eingesehen, dass meine Mom über magische Antennen verfügte, was mich anging. Vermutlich hatte sie die entwickelt, um den Job meines Dads nach bestem Gewissen mit zu übernehmen. Egal wie oft ich ihr sagte, dass sie das nicht tun musste und dass ich mir keine bessere Mom vorstellen könne, prallten meine Worte an ihr ab. Ich wusste nicht, woher ihre Angst kam, mir könne was fehlen und ich könne sie dafür verantwortlich machen, aber ich wusste weshalb sie sich nicht von ihrer Meinung abbringen ließ. Es gab nur eine Sache in der sie mich genauso oft schlug, wie im Aufsteh-Wettbewerb. Und das war in der Sturheit. Ich kannte niemanden, der so stur war wie sie. Und ich hatte in meinem Leben schon jede Menge sture Menschen kennengelernt. An Konkurrenz mangelte es ihr also nicht.

Die Dielen des Bodens kündigten jeden meiner Schritte an, als ich mein kleines Zimmer durchquerte, um die Dachbodenluke zu öffnen. Meine Mutter hatte mir schon oft angeboten, zu tauschen. Ihr Schlafzimmer war größer und hatte den Luxus eines integrierten Bads. Aber darauf hatte ich mich nicht eingelassen. Ich mochte den Dachboden. Es war mein Reich. Da der Aufstieg über die schmale Leiter mühsam war, kam meine Mom nur hoch, wenn es wirklich unumgänglich war und so hatte ich schon früh die Vorteile meines Zimmers erkannt. Außerdem gab es nirgendwo im ganzen Haus einen solch wunderschönen Ausblick wie hier. Die Dachfenster boten freie Sicht auf den Sternenhimmel und ich hatte mein Bett genau in der Mitte des Raums stehen, unter den Fenstern. Unklug, weil dort besser ein Schreibtisch Platz gefunden hätte, aber das war mir egal. Ich liebte das Gefühl, als würde ich unter freiem Himmel einschlafen. Es gab nichts Großartigeres. Dafür nahm ich auch das Aufheizen hier oben in Kauf, obwohl ich es dann außer am Morgen kaum aushielt.

Tatsächlich stand ich ja schon um fünf auf und ging selten vor zwölf ins Bett. Und die Stunden des Tages, die ich nicht schlief, war ich entweder draußen bei unseren Pferden im Stall, oder ich saß mit meiner Mom zusammen im Wohnzimmer. Wir hatten immer etwas zu reden. Die Farm gab so viel her und da war ja immer noch mein Abschluss. In den letzten Wochen vor meiner Abschlussprüfung hatte ich so viel gelernt, dass ich das Gefühl gehabt hatte, kaum etwas anderes zu tun, als Bücher zu lesen, Aufgaben zu lösen und Testklausuren zu schreiben. Es war mir überaus lästig gewesen. Meine Mom wusste das, weshalb sie es sowieso lieber sah, wenn ich in der Küche lernte, wo sie ein Auge darauf haben konnte, dass ich mein Schulbuch nicht heimlich gegen eine Biografie von Julie Krone tauschte. Sie war der berühmteste weibliche Jockey im Pferdesport und mein größtes Vorbild. Ich kannte die meisten Biografien über sie auswendig, aber das verriet ich natürlich niemandem. Nicht mal meiner Mom, die das nur wieder zum Anlass genommen hätte, um zu streiten.

So wie wir es in letzter Zeit immer wieder taten, wenn es um meine Zukunft ging. Sie wollte das Beste für mich. So wie die meisten Eltern eben. Aber ich war mir – wie die meisten jungen Menschen wohl – nicht ganz sicher, dass sie auch wirklich wusste, was das Beste für mein Leben sein sollte. Wie sollte sie das auch entscheiden, wenn ich selbst nicht fähig war, eine Entscheidung zu treffen bei der sich keine Zweifel regten? Denn das war das Dilemma meiner Situation. Ich hätte gegen den Wunsch meiner Mom, zu studieren, rebellieren können. Wenn ich mir ganz sicher gewesen wäre, dass sie falsch lag. Aber das war ich nicht. Ich war jedoch auch nicht bereit meine Träume, die Ranch und sie einfach aufzugeben, nur um ein Leben mit all den Sicherheiten zu leben, auf die sie keinen Wert legte. Warum musste ich anders sein und durfte nicht genauso risikobereit sein, wie sie es war?

Das wollte mir nicht in den Kopf und ich glaubte, so wie ich sie nicht verstand, verstand sie mich nicht. Es war eine Tatsache, aber die Sturheit meiner Mom verantwortlich dafür, dass wir es nicht dabei beließen und auf später vertagten, sondern immer wieder von vorn damit begannen.

Außer an Sonntagen. Schon gar nicht an diesem heute.

Nachdem ich mich geduscht und meine Locken gekämmt hatte, was nur im nassen Zustand überhaupt den Versuch wert war, zog ich mich im Bad um. Es war zu umständlich, dafür wieder nach oben zu klettern. In weniger als fünf Minuten war ich in meine Reithose und ein salbeifarbenes T-Shirt geschlüpft und auf dem Weg in die Küche.

Natürlich behielt ich Recht. Meine Mom saß am Tisch, trank Kaffee und sah von ihrem Planer hoch, als ich mich auf meinen Stuhl fallen ließ und vergeblich versuchte, mein wüstes Haar in ein Haargummi zu pressen.

„Selbst in nassem Zustand ist das absolute Drecksarbeit.“

„Sei froh, dass du so wunderbare Naturlocken und so herrlich dickes Haar hast. Für dein Haar würde so manche Frau töten“, entgegnete meine Mom bevormundend.

Ich schnaubte. „Bezweifle ich. Und wenn doch, muss eine solche Frau ein ernsthaftes Problem haben. Haar wie meines toll zu finden, ist ein Hinweis darauf, dass demjenigen nicht klar ist, was es bedeutet Locken zu haben. Vielleicht wünscht sie sich diese Locken auch bloß, weil sie eigene Komplexe zu überdecken versucht. Was wiederum auf mangelndes Selbstvertrauen und zu wenig Selbstliebe hindeutet. Oder es liegt daran, dass wir uns oft einfach das wünschen, was wir nicht haben.“

Meine Mom lächelte. „Gesprochen wie eine kluge Psychologiestudentin.“

Ich verdrehte die Augen.

„Was denn? Ich sag ja nur, dass ich Recht hatte.“

„Hm. Hätte ich mir denken können, dass es dir gelingt, ein harmloses Gespräch über meine verteufelten Haare zu nutzen, um mir einzureden, ich solle endlich meine College Bewerbungen abschicken.“

„Du hast auch nicht mehr viel Zeit, Heather.“ Sie sah mich an und ich erkannte, dass es ihr ernst war. Der Spaß war verschwunden. „Die meisten Universitäten nehmen Bewerbungen nur bis November an. Du solltest dein Fenster nicht verpassen.“

„Ich habe noch nicht entschieden, ob ich wirklich aufs College will.“

„Was willst du sonst tun?“

Ich zuckte mit den Achseln.

„Ich frage mich nur, weil du ja weißt, dass ich dich für deine Arbeit auf der Ranch nicht bezahlen kann und kein Interesse daran habe, dass du für immer da oben auf meinem Dachboden lebst. Was für Alternativen bleiben dir also, frag ich mich, ohne Collegeabschluss. Willst du bei Lance einen Aushilfsjob annehmen?“

Ich warf ihr einen giftigen Blick über den Tisch zu und machte mich anschließend über das Frühstück her. Lance war einer unserer Nachbarn. Er hatte eine Rinderfarm und meine Mom wusste sehr genau, dass ich Pferde liebte, mit Rindern aber auf Kriegsfuß stand.

„Das Frühstück ist lecker“, lenkte ich sie vom Thema ab. Ein Sonntagsfrühstück bestand bei uns aus geröstetem Toast, Rührei aus Eiern von unseren eigenen Hühnern, frischer Petersilie aus dem Kräutergarten und Erdbeermarmelade. Die war allerdings gekauft, seitdem meine Grandma nicht mehr lebte. Mit dem Einkochen hatte meine Mom es nicht so. Selbst der Kräutergarten lebte nur noch, weil ich mich so liebevoll um ihn kümmerte. Ihren grünen Daumen hatte meine Grandma ebenfalls nicht an Josie weitergegeben.

„Für den Kräutergarten wäre es ein Todesurteil, wenn ich fortgehe“, griff ich meinen Gedanken auf und spielte auf die Collegegeschichte an.

Meine Mom hatte ihre Kaffee ausgetrunken, spülte gerade die Tasse durch und sah nun über die Schulter zu mir.

„Ohne mich würde der ganze Kräutergarten den Bach runter gehen. Du schaffst es, einen Kaktus vertrocknen zu lassen“, argumentierte ich ausführlicher.

„Na und.“ Sie sah mich unbekümmert an. „Dir ist schon klar, dass ich die Kräuter jederzeit für deine Ausbildung opfern würde, oder?“

Diesmal war ich es, die mit den Augen rollte. „Du treibst mich noch zur Weißglut, Josie.“

Für Außenstehende war es sicher befremdlich, das merkte ich immer wieder, wenn neue Reitschüler zu uns kamen. Aber schon seitdem ich 13 war, sprach ich Josie nicht mehr mit Mom an. Es klang freundschaftlicher und so sehr es meine Mom liebte, sich einzumischen, so viel mehr war sie doch eine Freundin für mich. Wer sonst hätte den Job auch übernehmen sollen? Ohne eine Schule hatte es mir immer an Kontakten gefehlt. Natürlich kamen jeden Sommer Mädchen zum Reiten her. Ab und an blieben sie länger als die Reitstunden, aber richtige Freundschaften hatten sich daraus nicht ergeben. Zumal die meisten Mädchen im Alter von 8 bis 14 waren. Danach schien sich das Interesse an Pferden bei den meisten zu verlieren. Ein Phänomen, das ich nicht verstand und ganz sicher nicht teilte.

„Hast du vor, dich heute mit Hazel zu treffen?“

„Übst du dich im Gedankenlesen?“, konterte ich. Es machte mich nervös, wenn sie das tat. Ich war mir keinesfalls sicher, ob sie einfach eine verdammt gute Intuition besaß, junge Menschen grundsätzlich leicht zu durchschauen waren, oder ob es einfach an mir lag.

„Bin ich ein offenes Buch?“

Meine Mom grinste. „Nicht schon wieder diese Frage, Heather. Für mich bist du kein offenes Buch. Ich kann nur ganz gut erkennen, worüber du nachdenkst.“

Skeptisch sah ich sie an. „Ist das nicht das Gleiche?“

„Ach was“, sie winkte ab und bedeutete mir damit deutlich, dass das Thema für sie erledigt war. „Triffst du dich nun mit Hazel oder nicht?“

„Nein, sie hat abgesagt. Irgendwas Familiäres.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

„Sollte es dich nicht interessieren, wenn es deiner Freundin nicht gut geht? Vielleicht braucht sie gerade jetzt wen zum Reden.“

„Josie“, unterbrach ich sie und warf ihr einen Blick zu, von dem ich behaupten würde, er sagte bereits deutlich, was ich von ihrer Einmischung hielt.

„Abgesehen davon, dass wir nur halb so enge Freundinnen sind, wie du immer behauptest, hast du Null Erfahrung auf dem Gebiet. Ratschläge von jemandem, dessen bester Freund der Ehemann unserer Nachbarin ist, ein Typ mit dem du Jahre kaum geredet hast, sind echt keine große Hilfe.“

„Du vergisst Ghita“, wehrte meine Mom sich und klang dabei nicht, als rechtfertigte sie sich. Ihr Selbstbewusstsein war bewundernswert, aber in Momenten wie diesen hasste ich es. Es war unmöglich gegen sie zu gewinnen.

„Was auch immer“, murmelte ich und gab damit zu, geschlagen worden zu sein. Daraufhin kam sie zu mir, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und lächelte.

„Es wird dir gut tun, mal rauszukommen. Fahr nach Boulder, verbring den Tag mit Hazel und vergiss den ganzen Rest.“

„Du erhoffst dir bloß, dass Hazel mich überredet, mich ebenfalls in Boulder an der CU einzuschreiben.“

„Ich halte es für sinnvolle Unterstützung.“ Sie lächelte. „Aber mehr als das, finde ich es gut, dass du endlich eine Freundin in deinem Alter hast.“

Ich verzichtete darauf, anzubringen, dass ich mit Ghita enger befreundet war als sie. Ghita war zwar 24, aber das merkte ich kaum. Spielte nämlich so gar keine Rolle, wenn man den ganzen Tag nur über Pferde redete und was sonst noch dazugehörte.

Als ich sah, dass meine Mom sich die Schlüssel von der Fluranrichte nahm, hob ich fragend eine Augenbraue. „Was hast du vor?“ Es war erst viertel vor sechs. Wohin konnte sie schon um diese Uhrzeit wollen?

„Ich fahre mal eben zu Alec rüber.“

„Du fährst mal eben um diese Uhrzeit zu Alec rüber? Warum?“

Und plötzlich verstand ich. Es konnte nur um mein Pferd gehen.

Grace war ein Thoroughbred. Ich hatte das Pferd von einem alten Freund meines Grandpas bekommen. Sein Sohn war Pferdetrainer, aber als er bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, ging der ganze Rennstall den Bach runter. Am Ende waren sie hoch verschuldet und mussten schließlich verkaufen. Josie hatte davon gehört, war bei der Auktion dabei und hatte zwei Pferde mitgebracht. Thunder, ein fünfjährigen Wildfang mit Feuer im Hintern und ohne nennenswerte Abstammung und dann Tiger Lilly. Für Rennen zu alt, aber mit einem hervorragenden Stammbaum. Und das Beste an Tiger Lilly war, sie war gedeckt worden. Sie war zwar schon alt und der Tierarzt hatte bei der Untersuchung behauptet, er könne nicht garantieren, dass sie das Fohlen überhaupt gesund zur Welt brächte, doch für Mom war es nicht nur ein Risiko, sondern sie sah vielmehr die Chance dahinter. Eine, die sich ausgezahlt hatte, denn Grace kam gesund zur Welt. Da Tiger Lilly vier Monate nach Gracies Geburt starb, kümmerte ich mich sehr intensiv um sie. Was bedeutete, wir beide waren nicht voneinander zu trennen. Sie war mein ein und alles und seitdem sie alt genug war, versuchte ich Mom zu überzeugen, sie für Rennen trainieren zu lassen.

„Geht es um Grace?“, fragte ich, obwohl ich mir schon längst sicher war, die Antwort zu kennen.

So wie meine Mom das Gesicht verzog, wusste ich, dass ich richtig lag.

„Ich dachte, wir fahren zusammen rüber. Alec wollte sich Grace heute Vormittag ansehen und du hast versprochen, dass ich dabei sein darf. Niemand kennt sie so gut wie ich, Josie.“

„Das mag sein. Aber es geht hier nicht darum, wie gut du Grace kennst, oder darum, Alec von ihren Qualitäten zu überzeugen, indem du ihm mit deiner liebenswerten Art das Herz weich klopfst.“

Ich stöhnte laut, aber sie überging mein Protest.

„Er kennt sich mit Pferden aus, Heather. Du hast gesehen, wie gut er ist. Sein Vater war einer der erfolgreichsten Trainer und später Züchter. Er versteht was von Rennen. Ich bin bereit, deinem Wunsch nachzugeben. Alec soll sich eine Meinung bilden, ob es sich für uns lohnt, Grace im Frühjahr für die Kentucky Derby Prep Season anzumelden.“

Im Oktober würde Grace zwei Jahre alt sein. Wir hätten jede Menge Zeit, sie zu trainieren und fit zu machen, bevor im Februar die Anmeldungen starteten. Die Anmeldegebühr war nicht so hoch, dass hatte ich bereits recherchiert. Wenn es für die Kentucky Oaks nicht reichte, konnten wir auch im April einige Rennen im Arapahoe Park bestreiten. Der Race Track lag nahe Aurora und war nicht weit von Boulder entfernt. Ich hatte mir alles gut überlegt und das Leuchten in meinen Augen musste Mom verraten haben, was ich geplant hatte.

„Wenn, und ich betone wenn Alec der Meinung ist, sie hat eine Chance und er sich außerdem bereit erklärt, sie zu trainieren für einen Preis, den ich zahlen kann, werde ich darüber nachdenken.“

Ich sah sie ungläubig an. „Nachdenken? Was gäbe es da noch zu überlegen?“

„Schätzchen, wir müssen nicht nur Alec bezahlen, Grace würde anderes Futter brauchen, andere Check-Ups, eine andere Ausrüstung und selbst die freien Rennen zu Trainingszwecke haben eine Anmeldegebühr. Ganz zu schweigen von den Fahrtkosten und dem Gehalt für einen richtigen Jockey, ohne den wir Grace für gar kein Rennen anmelden brauchen.“

Und da waren wir beim Thema angekommen. Ich hielt der Herausforderung in ihrem Blick stand und wich nicht aus. Diesmal nicht. Sie war sturer, als jeder Mensch, den ich kannte. Aber ich war ihre Tochter und würde nicht kleinbeigeben.

„Du müsstest keinen Jockey bezahlen, wenn du mich reiten lässt.“

„Heather…“

Aber ich unterbrach sie direkt. „Ich bin kein Profijockey, das weiß ich. Aber Grace ist auch kein Profirennpferd. Wir sind beide Frischlinge. Ich kenne Grace seit dem ersten Tag, den sie auf der Welt ist. Zusammen können wir fliegen und ich weiß, dass wir Großes erreichen können. Warum lässt du es mich nicht versuchen?“

„Es gibt sehr wenige weibliche Jockeys, Heather, und noch weniger Frauen reiten in den ganz großen Rennen. Meinetwegen darfst du gerne so viel reiten wie du möchtest. Gerne kannst du Grace im Training helfen und warmmachen. Aber ich möchte, dass du dir für deine Zukunft etwas anderes überlegst, als Jockey zu sein. Damit wirst du weder ein sicheres Einkommen haben, noch ein Leben abseits der Rennstrecke führen können. Du wirst nicht mal Zeit für Freunde oder einen Mann haben, ganz zu schweigen davon, dass du bei einem Maximalgewicht von 58 Kilo nicht an Kinder denken brauchst.“

„Wirklich?“ Ich sah sie scharf an und meine Stimme bebte erregt. „Kinder? Ich soll studieren, damit ich als Mutter mein Dasein friste?“

„Das habe ich nicht gesagt“, wehrte sie sich. Ich sah in ihren Augen, dass meine Worte sie verletzt hatten. Dabei hatte ich es gar nicht so gemeint.

„Aber ich möchte, dass du Alternativen hast. Wenn du dich später für etwas anderes entscheiden möchtest, als Ungewissheit und monatlich wiederkommende Geldsorgen, will ich, dass du die Chance dazu hast.“ Ihr Blick war ernst. „Ich hatte sie nicht, Heather.“

Ich verschränkte die Arme. „Was soll das heißen? Bereust du es etwa? Wärst du jetzt lieber woanders? Irgendwo in Denver, in einem hübschen Büro mit einem weißen Reihenhaus oder einer kleinen Drei-Zimmer Wohnung?“

„Darum geht es mir nicht. Du bist zu jung, um zu verstehen, was es bedeutet die Verantwortung für so eine Ranch zu tragen. All das allein zu machen und nicht einfach jeden Morgen aufzuwachen und zu wissen, du fährst zur Arbeit, Ende des Monats bekommst du dein Gehalt und wenn du sparst, geht es dir damit sogar so gut, dass du eventuell mal in den Urlaub fahren kannst.“

Ich wusste, dass die letzten Monate alles andere als einfach waren. Sie hätte sich andernfalls niemals von Belle und Henry getrennt, die beide schon vier Jahre bei uns gewesen waren. Aber es kamen immer weniger Erwachsene zu uns, die Pferde für Ausflüge brauchten. Die Konkurrenz war groß und die Nachfrage nahm ab. Sie konnte mehr Geld damit verdienen, die frei gewordenen Boxen an Pferdebesitzer zu vermieten. Jedenfalls behauptete sie das.

„Du bist nur dagegen, weil es bedeuten würde, dass ich viel herumreise.“

Als Jockey arbeitete man saisonabhängig und war selten an einen Rennstall gebunden. Viel wahrscheinlicher trainierte man Pferde für verschiedene Arbeitgeber und unterschiedliche Rennen. Jedenfalls solange, bis man sich einen Namen gemacht hatte.

„Was ist verkehrt daran, Träume zu haben?“ Ich sah meine Mom hoffnungsvoll an.

„Gar nichts, Heather.“ Sie schüttelte den Kopf. „Träume zu haben, ist niemals verkehrt.“

„Und warum kannst du dann nicht akzeptieren, dass ich werden will, was du bist? Wieso ist es nicht okay für dich, dass ich mir nichts mehr wünsche, als hier zu sein, dir zu helfen, mit unseren Pferden zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass wir die Ranch behalten können?“

Sie seufzte und diesmal klang es beinah so, als gäbe sie nach.

„Nichts daran ist verkehrt. Ich bin sehr froh und unwahrscheinlich stolz darauf, wie sehr du mich unterstützt. Egal, was ich von dir verlange, du bist immer bereit zu helfen. Aber kannst du nicht auch verstehen, dass ich Angst habe? Irgendwann blickst du zurück und merkst, dass du hier festsitzt und keine Alternativen im Leben hast. Ist es falsch, wenn ich mir mehr für dich wünsche? Und bevor du antwortest, bedenke bitte, dass ich nicht nur deine Freundin, sondern auch deine Mom bin.“

Sie setzte diesen Blick auf, den sie nur dann anwendete, wenn sie unbedingt Recht behalten wollte und wusste, dass ich ihr mit jenem Blick niemals eine Bitte abschlagen würde.

„Nein“, gab ich ehrlich zu. „Das ist nicht falsch. Und ich verstehe dich.“ Ich sagte es nicht nur wegen ihres Blicks. „Ich habe auch nicht behauptet, dass ich über das College nicht nachdenke. Doch ich möchte Grace reiten, als ihr Jockey.“

Sie seufzte.

„Gib mir die Chance, dass Alec mich reiten sieht. Lass ihn entscheiden.“

Meine Mom sah nicht überzeugt aus und ich lenkte ein. „Hör dir wenigstens seine Meinung an. Ob ich eine Chance hätte. Und danach können wir uns in Ruhe über die Möglichkeiten unterhalten. Versprichst du mir das?“

Sie schwieg ein paar Sekunden länger als mir lieb war, aber dann nickte sie.

„Na schön. Aber nicht mehr heute. Du kannst dich um die Pferde kümmern. Thunder braucht auch mal wieder Auslauf und ich habe später noch Reitstunden und weiß nicht, ob ich heute dazu komme. Ich verspreche dir, ich rede mit Alec darüber und höre mir an, was seine Meinung dazu ist. Wenn er mich überzeugt, rufe ich dich an und du kannst vorbeikommen.“

„Und was ist mit Hazel?“, fragte ich. „Soll ich nicht nach Boulder fahren und mich ihr aufdrängen?“

„Nein“, sie lachte. „Sich aufzudrängen, ist niemals sinnvoll. Glaub mir. Selbst ohne viele Freundinnen, weiß ich darüber gut Bescheid. Ruf sie später einfach an, erkundige dich, wie es ihr geht. Lad sie ein, das nächste Mal nach dem Reiten bei dir zu bleiben. Dann könnt ihr gemeinsam was unternehmen.“

Ich nickte. Ganz so würde ich es nicht machen. Ich war keine sechs mehr, aber vielleicht konnten Hazel und ich das nächste Mal gemeinsam ausreiten. Sie nahm lang genug Unterricht, so dass ich ihr zutraute, eine Runde mit mir im offenen Gelände zu reiten.

Meine Mom kam herum, küsste mich auf die Stirn und dann verließ sie die Küche. Mit einem Seufzer sah ich auf den gedeckten Tisch und die volle Spüle, in der noch das Geschirr von gestern Abend lag.

Bevor ich ausreiten konnte, musste ich erstmal den Abwasch machen. Das erledigte ich in einer Viertelstunde Rekordzeit, was daran lag, dass ich Spüldienst gewohnt war. Ich hatte schon zu Grandmas Zeiten in der Küche meine kleinen Pflichten gehabt. In meiner Familie war Faulenzen eine Todsünde und das Wort Freizeit ein Fremdwort. Es sei denn, man verstand Reiten als Freizeit und hatte sonst keine Hobbys. Was nicht selbstverständlich war, aber auf mich zutraf. Es hatte seine Vorteile, wenn man nicht ganz so war, wie die meisten anderen Mädchen in meinem Alter.

Sobald ich in der Küche fertig war, ging ich in den Stall. Die Tiere begrüßten mich mit Wiehern. Sie erkannten mich an meinem Schritt und während ich mich der ersten Box widmete, summte ich leise vor mich hin. Ich wusste, dass sie das mochten.

Ich hatte erst zwei Boxen ausgemistet, als das Telefon klingelte. Wir hatten schon seit Jahren ein zweites Telefon im Stall. Sehr praktisch, wie sich auch jetzt wieder herausstellte, denn hier drin hätte ich Alecs Anruf sonst sicher verpasst.

Ich war mir sicher, dass es Alec war. Niemand sonst rief sonntags um sieben an. Und Mom wäre bestimmt zu stolz, um zuzugeben, dass sie sich getäuscht hatte.

Denn eines hatte sie in ihrer Argumentation nicht bedacht. Alec war ein richtig guter Pferdekenner und würde ein super Trainer sein. Was bedeutete, dass er Mom niemals einen Rat geben würde, ohne mich zuvor auf Grace reiten gesehen zu haben. Und nicht einfach so, sondern auf einer Rennbahn.

Ich war mir daher sehr sicher, dass Alec wollte, dass ich vorbeikam, bevor er sich ein Urteil bildete. Mit einem gutgelaunten Lächeln stellte ich die Mistgabel beiseite, eilte zum Telefon und nahm ab.

„McCorie Ranch“, meldete ich mich.

„Heather?“

Ich lächelte breit und überhörte dabei völlig, wie angespannt Alec klang.

„Alec, du bist es wirklich. Ich habe schon damit gerechnet, dass du anrufst.“

„Heather“, unterbrach er mich. „Du musst herkommen.“

„Zu euch?“

„Nein, ich bin an der Kreuzung Bluebell Road.“

Das war bei uns ganz in der Nähe. „Was machst du denn da?“

„Heather, ich erkläre dir alles, wenn du hier bist. Aber komm und beeil dich.“

Alecs Ton klang gar nicht so locker wie sonst. Es erinnerte mich daran, dass er früher mal Polizist gewesen war. Denn genau so stellte ich mir die Stimme eines Polizisten vor, wenn er einem mitteilte, dass etwas Furchtbares passiert war. Das hatte ich als Kind ständig geträumt, weil es leichter war, sich auszudenken, mein Vater hätte einen Unfall gehabt, statt mich einfach im Stich zu lassen.

Ein ungutes Gefühl krabbelte nun meinen Rücken hinauf, so wie eine Kolonne von Ameisen. Unaufhaltsam.

„Was ist passiert?“

„Das erzähle ich dir nachher.“

„Ist was mit Mom?“

„Deiner Mom geht es gut. Aber …“

„Grace“, flüsterte ich leise. Es gab nur einen Grund warum er anrief, obwohl ich nicht verstand, warum er deswegen an der Bluebell Road war und nicht bei sich auf der Ranch. Und wieso zum Teufel klang er so, als sei etwas sehr Schlimmes passiert?

„Geht es um Gracie?“

Alec sagte etwas, was ich durch Störgeräusche kaum verstand. Auf mein Nachfragen hin erhielt ich ebenfalls nur Undeutlichkeiten. Frustriert legte ich auf.

Ich verlor keine Zeit, als ich Thunder sattelte und aufzäumte. Er war das schnellste Pferd im Stall und da Mom das Auto hatte, blieb mir nur ein Pferd. Wobei ich das jederzeit einem Auto vorzog. Denn offiziell hatte ich nicht mal einen Führerschein.

Keine fünf Minuten später ritt ich aus dem Stall über den Hof. Ich trieb Thunder zu Höchstleistungen an und schon bevor ich etwas sah, hörte ich in der Ferne die Sirene eines Krankenwagens.

Das war der Moment, in dem mir das Herz in die Hose rutschte und ich ahnte, dass wirklich etwas Schlimmes passiert sein musste. Doch wie schlimm, erkannte ich erst, als ich die Szene vor mir sah und Thunder so abrupt stoppte, dass ich fast aus dem Sattel fiel.

Moms Autotür war verbeult, ein anderer Wagen stand quer und sah noch viel schlimmer aus. Aber all das nahm ich nicht wahr. Meine Augen waren auf den umgekippten Transporter geheftet. Trotz der vielen Menschen, erkannte ich etwas Braunes. Ich wusste dass es Gracie war. Alec richtete sich auf. Ich kam näher geritten, diesmal langsam. Als ich aus dem Sattel glitt, fühlte es sich an, als wäre ich leicht wie eine Feder. Ich merkte nicht mal, wie ich auf ihn zukam.

„Wir warten auf den Tierarzt für eine endgültige Diagnose.“ Alec hielt mich an den Schultern fest, aber ich hatte nur Blicke für Grace, wie sie da auf dem Boden lag.

„Es sieht nicht gut aus, Heather.“ Er entschuldigte sich oder sagte irgendwas Nettes. Was genau hörte ich nicht mehr, denn ich hatte mich losgerissen, und war, um Grace herumgegangen. Ich kniete mich vor sie. Ihre dunklen, warmen Augen sahen auf und unsere Blicke trafen sich.

„Gracie“, flüsterte ich und merkte nicht mal, dass ich weinte. Alles was ich sah, war die Treue in ihren Augen und den endgültigen Abschied. Bevor Dr. Lawson, unser Tierarzt, hier war, war mir bereits klar, dass das die letzten Minuten mit Grace waren. Ich wusste es, weil sie es mir mitgeteilt hatte und ich fühlte es tief in meinem Herzen. Ihre Schmerzen, die zu meinen wurden.

Mir war in jenem Moment nicht klar, wie lang dieser Tag mich verfolgen und wie sehr dieser Abschied mein Leben verändern würde.

Ein furchtbarer Wochenstart

„Morgen, Heather.“

„Morgen“, ich nickte Ghita zu und setzte mich an den Tisch. Das Müsli stand schon bereit.

Meine Mom sah von Ghita zu mir und wieder zu Ghita. An ihrem darauffolgenden Seufzen konnte ich erkennen, dass sie genervt war. Wie schön. Dann empfanden wir ja ähnlich. Wenigstens in einer Sache.

„Du musst deine schlechte Laune nicht an Ghita auslassen, weißt du.“

„Lass doch, Josie“, mischte sich Ghita ein, aber meine Mom ignorierte sie. Ghita wusste nicht, dass Josie sich niemals von etwas abbringen ließ. Aber woher auch? Sie war ja nicht ihre Tochter. Ich schon und daher rechnete ich auch gar nicht damit, dass sie einlenkte.

„Es ist nicht in Ordnung.“

„Und du duldest es nicht. Ich weiß“, beendete ich ihre Rede und sah sie finster an.

„Glaub nicht, dass ich Mitleid mit dir bekomme, weil du beschlossen hast, dich wie ein Kind aufzuführen.“

Ich hob eine Augenbraue. „Ich dachte das bin ich? Behandelst du mich nicht bei allem anderen so?“

„Nein, nur bei Angelegenheiten, in denen es mir nützlich ist.“ Sie lächelte mich an.

Aber diesmal erreichte ihr Humor nichts. Ich lächelte nicht und gab auch nicht nach. Es war meine Mom, die schließlich wegsah und sich Ghita zuwandte.

„Also was steht heute an?“

„Du hast nachher einen Termin mit dem Futterlieferanten. Um 12 kommen die Alcotts vorbei, um über den neuen Vertrag zu sprechen, und um zwei kommen die Evans.“

„Richtig. Bist du bis um zwei wieder hier?“, wollte Josie von Ghita wissen.

„Kann ich noch nicht sagen.“

„Wo bist du denn?“

Ich wollte mich nicht dafür interessieren, konnte aber nichts dagegen machen. Noch ehe ich so richtig darüber nachgedacht hatte, war mir die Frage auch schon herausgerutscht. Ghita lächelte mich an.

„Alec und ich fahren zu einer Pferdeauktion.“ Sie legte den Kopf schräg. „Hast du nicht Lust mitzukommen?“

„Nein.“

„Aber wieso nicht?“ Ghita sah mich an. „Ich bin sicher, du könntest uns helfen. Du hast immerhin ein gutes Auge für Pferde.“

„Das hat Alec auch. Ihr macht das schon“, wehrte ich entschlossen ab. Das Kapitel lag hinter mir.

„Außerdem habe ich schon was anderes vor.“

„Ach ja?“ Meine Mutter sah fragend zu mir. „Was denn?“

„Wenn ich den Stall ausgemistet habe, fahre ich mit dem Bus nach Boulder.“

„Wann wirst du wieder zurück sein?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß ich noch nicht. Warum?“

„Weil ich dich nachher hier auf der Farm brauche.“

„Wann nachher?“

„Um zwölf.“

„Für das Gespräch mit den Alcotts?“ Ich sah sie verwundert an. „Das ist doch reine Verhandlung.“ Die Alcotts stellten seit Jahren ihre Pferde bei uns unter. Danger war ihr neuster Kauf und ich war mir sicher, weil sie schon Lightning und Quake hier stehen hatten, wollten sie nun einen Sonderpreis rausschlagen.

„Ich wüsste nicht, wie ich dir dabei helfen kann.“

„Es geht auch nicht um die Alcotts.“

„Dann ist ja gut.“ Ich versuchte es so klingen zu lassen, als wäre das Gespräch beendet.

„Ich brauche dich wegen einer anderen Sache. Jetzt da Ghita nicht da ist und ich den ganzen Mittag über Termine habe.“

„Bist du sicher? Denn, wenn ich mich richtig erinnere, warst du es, die behauptet hat, sie käme ohne mich zurecht und ich solle nicht bis zum Semesterbeginn damit warten, mich rar zu machen. Du wolltest eine schonungslose und sofortige Abnabelung.“

„Heather“, entgegnete meine Mom, aber ich ließ sie nicht aussprechen.

„Wenn es nach dir gegangen wäre, hätte ich glatt ausziehen sollen. Das wäre so viel praktischer. Denn dann hättest du der neuen Aushilfe gleich den Dachboden vermieten können.“

„Das ist nicht fair.“

Überrascht sah ich zu Ghita, die sich sonst aus diesen Dingen heraushielt. „Du weißt, dass deine Mom dich gerne hier hat. Sie möchte nur nicht deiner Zukunft im Weg stehen.“

„Oh das tut sie nicht“, erwiderte ich frostig.

„Schon gut.“ Meine Mom nutzte ihren nachsichtigen Ton, was mir bewies, dass sie ihre Worte an Ghita richtete, nicht an mich.

„Es ist eine Ausnahme, Heather. Christopher Channing kommt heute um zwölf. Ich hatte vergessen, dass ich die Gespräche mit den Alcotts und den Evans am Mittag habe, sonst hätte ich ihn gleich morgens herbestellt.“

Christopher Channing. Und da war er gefallen. Der Name, der das letzte bisschen meiner guten Laune in null Komma Nichts zerstörte.

„Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich mich um ihn kümmere?“

„Ich würde, dich nicht fragen, wenn ich es nicht müsste“, konterte Josie. „Ich weiß, dass du keine Lust hast, mit ihm zu reden.“

„Und du verstehst nicht warum?“

„Ich verstehe warum.“

„Das glaube ich nicht. Wenn es so wäre, hättest du dich niemals auf diesen verrückten Deal eingelassen.“

„Dass er für vier Monate bei uns arbeiten wird, hilft mir mehr, als ein bisschen Geld es getan hätte. Der Wagen ist nicht mehr der Neuste und der Transporter hätte nicht viel Geld von der Versicherung eingebracht. Und …“

Bevor meine Mom, ihren Namen aussprechen konnte, hielt ich sie auf. „Sag es nicht!“, giftete ich. „Ich weiß das alles. Da sie keine nachweisbaren Einnahmen für die Ranch erbracht hat, gibt es von der Versicherung nur den durchschnittlichen Entschädigungssatz.“ Wir hatten Grace nicht in die Versicherung aufgenommen gehabt.

„Der hätte nicht viel mehr als die Kosten des Tierarztes abgedeckt.“ Meine Mom sah mich an. In ihrem Blick bat sie um Verständnis. „Da die Channings unbedingt eine Anzeige verhindern wollten, konnte ich bei diesem Deal viel besser verhandeln.“

Sie hatten die Tierarztkosten übernommen, die Rechnung des neuen Transporters bezahlt und sich bereit erklärt, dass ihr Sohn für vier Monate auf unserer Ranch arbeitete. Dafür hatte Mom auf die Anzeige verzichtet. Es sollte Wiedergutmachung und Strafe in einem sein.

„Ich hasse dieses Arrangement trotzdem. Und das hast du auch gewusst, als du es vorschlugst.“

„Ich wusste, es würde dir nicht gefallen. Aber nur so können wir die nächsten Monate etwas Geld sparen und dir ein neues …“

An dem Punkt sprang ich regelrecht von meinem Stuhl auf. Er kippte nach hinten und meine Mom hielt in ihrem Satz inne.

Ohne sie oder Ghita anzusehen, verließ ich die Küche. Ich warf die Tür ins Schloss und es war mir egal, dass ich mich aufführte, wie ein trotziges Kind. Nicht mal als Kind war ich so kindisch gewesen. Das war mir wohl bewusst. Aber ich konnte nicht verstehen, dass niemand begriff, wie es mir ging. Wie es sich anfühlte, dass der Typ, der Schuld an Gracies Tod hatte, hier arbeiten würde. Dass ich ihn für vier Monate jeden Tag sehen musste. Es fühlte sich viel mehr wie eine Strafe für mich als für ihn an. Und ich hasste es.

„Morgen, Heather.“

Ich sah auf. Blind vor Wut hatte ich gar nicht gemerkt, dass Alec seinen Volvo auf dem Hof geparkt hatte. Er klopfte gerade seinen Hut ab, setzte ihn auf und kam dann zu mir. Obwohl ich stinksauer war, entfloh mir ein Lächeln, als er sich gegen die Säule des Verandadaches lehnte und mich prüfend ansah.

„Dicke Luft?“

„Wie kommst du denn darauf?“, wollte ich von ihm wissen und lehnte mich ihm gegenüber an die andere Säule.

„Nur so eine Ahnung.“

„Aha.“ Ich lächelte etwas breiter, als er mich weiterhin mit diesem durchdringenden Blick ansah, ohne etwas zu sagen. „Er kommt heute.“

Alec verstand ohne jede weitere Erklärung, von wem die Rede war.

„Wenn du willst, kannst du mit mir und Ghita mitkommen“, schlug er vor. „Hilft dir nicht für morgen und übermorgen. Aber ich hätte nichts dagegen.“

„Danke.“ Ich meinte es ehrlich und sah ihm an, dass er das auch herausgehört hatte.

„Du lehnst trotzdem ab?“

„Ich will mir keine anderen Pferde ansehen.“ Schon wieder hörte ich mich trotzig wie ein Kleinkind an.

„Wäre vielleicht gut für dich.“

„Sie sind nicht Gracie.“

Alec lächelte verständnisvoll. „Nein, sind sie nicht.“ Er belehrte mich keines besseren und er sagte auch sonst nichts. Er wusste, dass Worte meinen Schmerz nicht erträglicher machen konnten. Genau deswegen war er so ziemlich der einzige Mensch, mit dem ich seit dem Unfall über Grace gesprochen hatte. Der Einzige, der wusste, wie es in mir wirklich aussah.

„Ich hoffe, du bist nicht sauer deswegen.“ Vorsichtig sah ich ihn an.

„Ich bin nicht sauer, Heather.“ Er kam zu mir und strich mir übers Haar. „Ich mag Ghita. Sie hat nicht so ein gutes Auge für Pferde wie du, aber immerhin mag sie Countrymusik.“

Ich lachte über seinen Witz. Obwohl ich nicht wusste, ob das stimmte. Ghita war so umgänglich, dass ich mir nie sicher war, ob sie wirklich all das mochte, was sie vorgab zu mögen, oder ob sie nur gut darin war, sich anzupassen.

Ich war offensichtlich eine Niete darin. Ich konnte mich an keine Veränderungen anpassen. Alle anderen um mich herum waren stark genug, einfach weiterzumachen. Ich fühlte mich nicht dazu in der Lage, so zu tun, als ob ich an irgendetwas Interesse hatte. Geschweige denn, dass ich es empfunden hätte.

„Mach es ihm schwer, aber sei nett.“ Alec sah mich auffordernd an.

„Warum sagst du das?“, wollte ich wissen.

„Er hat es verdient.“

„Dass ich es ihm schwer mache, ganz sicher. Aber dass ich nett zu ihm bin?“

„Ja, das auch.“ Alec führte es nicht weiter aus. Doch sein Blick genügte, um mir ein schlechtes Gewissen zu machen.

„Ich hatte mir vorgenommen, ihn zu hassen. Ich hasse ihn“, murmelte ich mit gesenktem Blick auf meine Reitstiefel.

„Das kannst du ruhig. Ich täte es an deiner Stelle sicher auch.“

„Aber er hat es nicht verdient, willst du damit sagen?“

„Er hat verdient, dass du nett zu ihm bist. Ich bin sicher, er kann es gebrauchen.“

„Ach ja?“ Ich begriff nicht, warum dieser Channing meine Nettigkeit brauchte.

Alec nickte und dann öffnete sich die Tür.

„Dachte mir doch, dass ich dich gehört habe.“ Meine Mom kam heraus und umarmte Alec freundschaftlich. Ghita folgte ihr und sah mich an.

„Hast du es dir anders überlegt, Heather?“

Ich schüttelte den Kopf. Immer noch beschäftigten mich Alecs Worte.

„Schade.“ Ghita seufzte und wandte sich Alec zu. Sie klinkte sich in das Gespräch zwischen ihm und Mom ein. Ich ließ ich die drei allein, um in den Stall zu gehen, die Pferde auf die Weide zu bringen und danach die Boxen auszumisten.

Im Augenblick waren im Stall bloß zehn der zwanzig Plätze belegt. Darunter befanden sich Penny und Rick. Penny war dabei die erste Wahl für die zögerlichen Anfänger. Sie war mittlerweile 15 Jahre alt. Auf ihr hatte ich reiten gelernt und daher war Penny für mich nach wie vor etwas Besonderes. Ich ließ mir immer besonders viel Zeit, wenn ich sie striegelte und verwöhnte sie mehr, als es Mom Recht war. Wobei ich annahm, dass sie nur so tat, als störe es sie. Rick war kein Shetland Pony, sondern ein American Shetland Pony und damit ein wenig schmaler und größer im Bau. Auf ihm konnten diejenigen sitzen, die für Penny zu groß waren.

Für die älteren Reitschüler oder erfahreneren Reiter hatten wir drei weitere Pferde: Esther, Lola und Terry. Alle drei gehörten der Rasse Missouri Foxtrotter an. Eine sehr beliebte und weit verbreitete Pferderasse in Amerika. Für uns waren sie wegen der weichen Gangart ideal, weil sie für ungeübte Reiter leicht zu reiten waren und über ausgesprochen gute Ausdauer verfügten. Bei Geländeausritten war das immer hilfreich.

Thunder, Moms Pferd war ein Quarter Horse. Genau wie Gracie es gewesen war. Nur ohne den tollen Stammbaum. Allerdings bedeutete das nicht, dass er nicht ein erstklassiges Rennpferd abgegeben hätte. Thunder war schnell und Feuer besaß er auch. Allerdings war er mit seinen fünf Jahren nicht mehr der Jüngste, wenn es darum ging, mit dem Rennsport anzufangen. Das war Alecs Meinung und ich hatte ihm zugestimmt, ohne mich laut dazu zu äußern. Nachdem Grace eingeschläfert worden war, hatte jede Erwähnung an Rennsport zu sehr wehgetan. Es tat immer noch sehr weh. Aber das bedeutete nicht, dass ich mich nicht mehr für den Sport und die Tiere interessierte.

Ich streichelte Penny. „Ich liebe euch ja, das weißt du, mein Mädchen, nicht wahr?“ Die treuen Augen des Ponys wirkten, als verstände sie jedes Wort. Und wenn es nach mir ging, war das auch so. Ich lächelte, wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und nahm Lola und Esther, die beiden Schwestern, am Halfter. Rick und Penny folgten uns ohne dass ich mir Gedanken darum machen musste. Nachdem ich die vier auf die Weide gebracht hatte, brachte ich auch Thunder und Terry hinaus.

Das waren unsere sechs Pferde, die wir zusammen auf der Weide hielten. Dazu kam noch Ghitas Hengst Dash. Ein wunderschönes Curly Horse. Dash war vier Jahre alt und Ghita ritt mit ihm Turniere, wann immer sie dazu kam. Zuerst im Springen, aber in diesem Jahr hatte sie angefangen, sich fürs Westernreiten zu interessieren und dank der Lernwilligkeit, die Curly Horses eigen war, hatten sie sogar an einem Turnier in Aurora mitgemacht. Dabei hatten sie den fünften Platz belegt, was für einen Einsteiger nach einem Wochenendturnier im K.O. System wirklich gut war.

Dash durfte ebenfalls zu unseren Pferden auf die Weide. Die zwei Pferde der Alcotts kamen auf eine andere Koppel. Lightning und Quake waren beide Western Show Pferde und als solche sehr erfolgreich. Das letzte Pferd, was ich hinausführte, gehörte Marian Beckett. Ihre Stute Angel war nichts Besonderes, so wie die Pferde der Alcotts, aber ihre Besitzerin dafür umso mehr. Marian Becketts Eltern besaßen viel Geld. Was sie arrogant und versnobt jedem unter die Nase rieb, der es wissen oder nicht wissen wollte. Sie befürchtete andauernd, dass ihre Stute krank werden und wir uns nicht gut genug um sie kümmern könnten. Denn Marian kam nur noch an den Wochenenden zum Reiten hierher, seitdem sie letzten Sommer mit dem Studium an der Boulder University begonnen hatte. Um ganz sicher zu gehen, bestand sie darauf, Angel bei den Pferden der Alcotts zu wissen. Da die nichts dagegen hatten, taten wir Marian den Gefallen, obwohl ich strikt dagegen gewesen war, ihr eine Sonderbehandlung zu gestatten. Anderseits bezahlten ihre Eltern gutes Geld für Angels Unterbringung und meine Mom hatte Recht, wenn sie den Forderungen nachgab, statt unserem Stall eine weitere leere Box hinzuzufügen.

Auch diese Pferde waren sehr schnell auf die Weiden gebracht. Sie freuten sich darauf. Vor allem Quake und Lightning genossen die Freiheit. Sie hatten anstrengende Wochen hinter sich, in denen sie fast jedes Wochenende an Western Shows teilgenommen hatten. Es war schön anzusehen, wie sie nun herumtrabten, sich gegenseitig neckten und einfach ihr Dasein genossen.

Es lenkte mich soweit ab, dass meine Wut langsam aber sicher verrauchte. Als ich zurück in den Stall kam, fühlte ich mich nicht mehr ganz so sehr, als müsste ich etwas kaputtmachen. Ich trug die Pferdeäpfel und das feuchte Stroh sorgfältig ab, spülte die Futter und Wassertröge aus und anschließend füllte ich sauberes Stroh auf. Obwohl der Stall nur halb gefüllt war und ich somit nur zehn Boxen auszumisten hatte, war ich fast zwei Stunden beschäftigt, bis ich ganz fertig war. Mittlerweile war es um neun.

Alec und Ghita waren längst losgefahren und meine Mom saß in ihrem Büro, im Stall und telefonierte.

Ich schlich mich aus dem Stall, falls sie auf die Idee kam, mich zu sich zu rufen, um noch mal über die Sache mit Christopher Channing zu sprechen. Im Haus ging ich ins obere Stockwerk, zog meine Klamotten aus und sprang unter die Dusche. Erst als ich wieder sauber war und mein Haar von hängengebliebenen Strohhalmen befreit hatte, zog ich mir etwas Frisches an. Dabei machte ich nicht viel Aufheben, aber ich trug keine Reithose, sondern eine beigefarbene Leinenhose und darüber eine dunkelbraune Bluse mit weißen kleinen Blümchen.

Die Sachen waren schon zwei Jahre alt. Jedenfalls konnte ich mich daran erinnern, sie zu meinem siebzehnten Geburtstag getragen zu haben, als Mom mit mir in Boulder zur Feier des Tages etwas essen gegangen war. Keine Ahnung, ob sie für mich, jetzt da ich in zwei Monaten 19 wurde, zu mädchenhaft geworden waren. Über so etwas hatte ich mir nie Gedanken gemacht.

Ich war mir sicher, Hazel hätte eine Meinung dazu gehabt. Obwohl sie ein Dreivierteljahr jünger als ich war, kannte sie sich mit diesen Dingen viel besser aus. Allerdings hatte sie sich auch jahrelang mit Mode und Mädchenkram beschäftigt. Ich dagegen nie.

Der Gedanke an Hazel tat weh. Nicht so sehr wie der an Rennsport oder Gracie. Aber immer noch genug. Nachdem ich herausfand, dass ihr Bruder den Unfall verursacht hatte, hatte ich mich geweigert mit ihr zu reden. Wenn sie zum Reiten hergekommen war, richtete ich es ein, nicht daheim zu sein und wenn sie unangemeldet kam, floh ich auf den Dachboden und weigerte mich, herunterzukommen. Meine Mom war nicht bereit, am Telefon für mich zu lügen und sagte Hazel, dass ich keine Lust hatte mit ihr zu reden. Nach einigen erfolglosen Versuchen, sich mit mir zu treffen, hatte sie aufgegeben.

Ich wusste, dass der Unfall nicht ihre Schuld war. Natürlich nicht. Sie war nicht ihr Bruder. Wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen und es tat ihr furchtbar leid. Aber der Gedanke machte es nicht leichter. Ich hatte nie eine wirkliche Freundin gehabt und wusste daher nicht, ob so etwas dazu gehörte. Oder ob Hazel sich nur entschuldigen wollte, weil sie sich für ihren Bruder schämte. Jedenfalls war meine Unsicherheit ihr gegenüber viel mehr der Grund für meine Flucht, als dass ich sauer auf sie war. Ich war mir nicht sicher, ob sie das wusste.

Aber genau deswegen fuhr ich heute nach Boulder. Ich hatte mich daran erinnert, dass Hazel heute zu einer Einführungsveranstaltung der CU gehen wollte. Ich hatte nicht vorgehabt, dahin zu gehen. Aber da ich nicht einfach bei ihr zuhause anrufen oder auftauchen wollte, fand ich, war es eine gute Gelegenheit, Hazel dort zu treffen und ihr zu sagen, dass es mir leid tat, wie ich mich in den letzten sechs Wochen verhalten hatte. Ich wusste nicht, ob wir wirklich Freundinnen waren, es werden konnten oder ob wir im Grunde gar nichts gemeinsam hatten. Aber wenn ich sie mit meinem Verhalten verletzt hatte, tat es mir leid und das sollte sie wissen.

Unten in der Küche befestigte ich eine Notiz am Kühlschrank. Ich schrieb meiner Mom, dass ich mich bemühte, um zwölf wieder da zu sein, aber nichts versprechen könne, weil ich bei einer Einführungsveranstaltung der Universität sei. Das war selbst für sie ein Grund, den sie verstehen würde. Immerhin war sie es gewesen, die mich gedrängt hatte, mich so schnell wie möglich einzuschreiben.

Seitdem Gracie fort war, hatte ich nicht mehr viel zum Argumentieren gehabt. Sämtliche anderen Pläne waren mit ihr gestorben. Ebenso wie meine Wünsche. Jetzt wusste ich nicht mehr, was ich wollte. Ich war noch verwirrter als vorher. Denn nach wie vor fühlte es sich nicht gänzlich falsch an, wenn ich mit dem Landbus nach Boulder hinein fuhr und an der Apprahoestreet ausstieg, um zum Campusgelände zu gehen. Im Gegenteil, jetzt fühlte es sich sogar besser an. Ich entkam den schmerzhaften Erinnerungen, die mir auf der Farm ständig auflauerten. Aber ob ich glücklich war? Ob das hier das Richtige für mich war? Da war ich mir nach wie vor nicht sicher. Denn wenn ich die vielen anderen jungen Menschen zusammenstehen sah, die College T-Shirts trugen, mit Schildern für Vereinigungen und Clubs warben, die von Partys erzählten, von süßen Mädels und coolen Jungs, sich über die kommende Footballsaison statt über Pferdesport unterhielten, fühlte ich mich, als wäre ich von einem anderen Planeten. Ich gehörte einfach nicht dazu. Aber wollte ich das denn überhaupt?

Seufzend schlängelte ich mich durch die Gruppierungen, die mir herzlich wenig Aufmerksamkeit schenkten. Genauso wenig wie ich ihnen. Als ich das zentrale Gebäude der Universität erreichte, war es stiller geworden. Weniger Studenten liefen hier herum. Nur diejenigen, die heute tatsächlich an der Einführungsveranstaltung teilnahmen. Und zu meinem Glück gab es weniger Vernünftige, als Unvernünftige unter den Erstsemestern. Andernfalls wären meine Chancen, Hazel in der Menge ausfindig zu machen, in sich zusammen gefallen. So aber entdeckte ich sie nach einigen Minuten Suchens. Sie hatte mich nicht gesehen und ich machte sie auch nicht auf mich aufmerksam. Ich wusste ja nicht, ob sie mich überhaupt sehen wollte. Erst als ich sie fast erreicht hatte, sah sie doch in meine Richtung. Sie erkannte mich, weswegen ich schüchtern die Hand hob und ihr zuwinkte. Danach sah ich sie unsicher an. Ich war stehen geblieben und unglaublich erleichtert, als sie mich hier nicht vor all den Leuten stehenließ, die plötzlich zu mir sahen, als sei mein Winken eine offizielle Einladung gewesen, mich anzustarren.

„Heather.“ Sie klang genauso zögerlich, wie ich mich fühlte. „Ich wusste nicht, dass du heute hier sein würdest.“

Ich fragte mich, ob sie damit sagen wollte, dass sie unter den Voraussetzungen nicht gekommen wäre. Sie musste es mir im Gesicht abgelesen haben, denn plötzlich lächelte sie zurückhaltend.

„Aber ich freue mich darüber.“

Keine Ahnung, weshalb ich mich so erleichtert bei ihren Worten fühlte. Aber ich war es. Erleichtert.

„Ich bin gar nicht wegen der Veranstaltung hier“, gab ich zu. In ihren Augen glaubte ich zu lesen, dass sie sich das schon gedacht hatte. Vielleicht erinnerte sie sich auch nur gut genug daran, wie skeptisch ich dem ganzen Projekt Studium entgegen sah.

„Ich wollte mich bei dir entschuldigen, Hazel“, sprach ich weiter. Motiviert von ihrem Lächeln, das gleich noch eine Spur fröhlicher nach meinen Worten wurde.

„Ich hoffe, du weißt, dass ich nicht wirklich sauer auf dich war, wegen …“ Ich kam ins Strudeln und brach den Satz ab. Stattdessen sah ich sie ehrlich an. „Du weißt schon, was ich meine. Es lag nicht an dir. Ich war einfach nur ziemlich verwirrt und traurig und wollte allein sein.“

„Das verstehe ich sehr gut. Ich wollte dir auch gar nicht auf die Nerven fallen.“ Sie zupfte an ihrem T-Shirt herum, das knallgelb war und auf dem eine riesige Kirsche abgebildet war. Ich verstand nicht, was es für eine Bedeutung hatte. Aber ein Urteil erlaubte ich mir nicht. Immerhin trug ich eine fast zwei Jahre alte Mädchenbluse, eine langweilige Leinenhose und noch langweiligere Sandalen, die ich mir von meiner Mom geliehen hatte.

„Warum wolltest du mich dann sehen und mit mir reden?“, fragte ich sie geradeheraus und sie sah sich um.

„Wollen wir vielleicht wohin gehen, wo es etwas ruhiger ist?“

„Aber fängt die Veranstaltung nicht gleich an?“

Sie lächelte. „Ich schätze ich verpasse nichts Wichtiges, solange ich rechtzeitig wieder da bin, um mich einzutragen.“ Sie ging an mir vorbei und ich folgte ihr.

„Wo willst du dich denn eintragen?“, wollte ich von ihr wissen.

„Sie bieten für Neulinge diverse Orientierungskurse an. Um sich mit den Onlinetests und all dem Kram zurechtzufinden, den man erstmal machen muss, bevor man sich im November für das Frühlingssemester einschreiben kann.“

Ich wollte sie fragen, warum sie nicht ihre Mutter fragte. Die war immerhin Professorin an der Universität und musste sich demnach doch mit allem Wichtigen auskennen. Aber dann fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, das Hazel ihrer Mutter nicht auf die Nase binden wollte, weshalb sie erstmal nur eine Auswahl an Kursen belegen wollte, ohne schon so genau zu wissen, was sie damit machen wollte. Dabei wusste sie es sehr genau. Das war neben ihrem Interesse an Pferden der Grund gewesen, dass wir beide uns überhaupt näher kennengelernt hatten.

„Du willst das also immer noch wie geplant durchziehen?“

„Natürlich. Ich habe mir schon ausgedruckt, welche Vorkurse ich brauche. Ich hoffe bei den Orientierungsveranstaltungen wird mir klar, für welche Angebote ich mich am besten entscheiden sollte und wie ich die Credits möglichst schnell zusammen bekomme, um mich dann an der CVMBS einzuschreiben.“

CVMBS stand für College of Veterinary Medicine and Biological Science. Das College ermöglichte einem den PhD und andere Abschlüsse für Tiermedizin hier in Colorado. Es war Teil der Colorado State University in Fort Collins. Mit dem Zug fuhr man etwa 1,5 Stunden, mit dem Auto wohl nur eine Stunde. Behauptete Hazel. Ich wusste nicht, ob ich es wollte. Aber nach Gracies Tod dachte ich ernsthaft darüber nach, mich an der CU einzuschreiben und mich Hazel anzuschließen, wenn sie die Vorkurse belegte. Um die erforderlichen 60 Credits zu sammeln, würde ich eine Weile brauchen. Mindestens ein Jahr, eher zwei. Und bis dahin würde ich auch wissen, ob ich wirklich Tierärztin werden wollte, oder es nicht eine andere Möglichkeit gab, meine Mom auf der Ranch zu unterstützen und mit Pferden zu arbeiten.

Hazel setzte sich auf eine Bank in die Sonne und ich setzte mich neben sie. Sie zog aus ihrer Tasche einen grünen Schnellhefter und reichte ihn mir.

„Ich habe dir auch alle Unterlagen ausgedruckt.“

„Was für Unterlagen?“ Verwirrt erwiderte ich ihr Lächeln halbherzig.

„Die erforderlichen Vorkurse, die Möglichkeiten, wie sie sich hier umsetzen lassen und sämtliche wichtigen Emailadressen und Kontaktpersonen, wenn du Fragen hast.“ Sie sah mich an. „Das war es, was ich dir geben wollte.“

„Deswegen wolltest du mich sehen? Die Mappe hier war der Grund für deine Anrufe?“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

„Ich dachte mir, dass du keinen Kopf dafür haben würdest. Aber das Zeitfenster für die Einschreibung ist nur begrenzt und ich wollte dir helfen.“

„Mir helfen?“

„Dir eine Möglichkeit zeigen, dass du sowohl deine Mom zufriedenstellen, als auch das tun kannst, was du gern machst.“

So wie sie. Nur ich war nicht wie sie.

„Das ist sehr nett, Hazel. Aber du weißt doch, dass du diejenige bist, die immer schon Tierärztin werden wollte. Ich dagegen …“ Ich senkte den Blick, „ich wollte eigentlich bloß mit Pferden arbeiten. Jockey werden, Trainerin oder Pferdewirtin, so wie meine Mom.“ Ich brauchte keinen medizinischen Titel und ich träumte auch nicht davon, eine eigene Tierarztpraxis zu eröffnen. Meine Träume waren vielleicht in den Wolken schwebend, aber ich blieb dabei bescheiden.

„Natürlich, ja.“ Unsicher nickte Hazel. Ich sah wie sie auf ihre Hände starrte.

„Es war trotzdem sehr nett von dir“, überwand ich mich. Sie hatte nur freundlich sein wollen. Ich nahm an, das Studium war leichter durchzuziehen, wenn man einen Verbündeten hatte und nicht alleine damit war.

„Ich danke dir, wirklich“, fügte ich ehrlich an und endlich lächelte sie wieder. „So viel Arbeit und alles.“

„Ach das war doch nichts.“

„Doch das war es. Ich habe den Dschungel doch gesehen und mich kaum darin zurechtgefunden.“

Sie kicherte. „Ich weiß, was du meinst. Es hat auch eine Weile gebraucht, bis ich‘s kapiert habe und alle Informationen zusammen hatte, die ich finden konnte.“

„Das hättest du nicht tun brauchen. Ich meine, wir sind nicht mal richtige Freundinnen.“

Ich erkannte sofort, dass ich etwas Falsches gesagt hatte. Wobei meine Worte nicht so sehr das Problem waren. Es hatte so geklungen, als wollte ich betonen, dass ich nicht ihre Freundin war. Aber das hatte ich gar nicht gewollt. So war es nicht gemeint gewesen.

Hazel stand bereits auf und mir war klar, dass es für jeden Versuch, mich zu erklären zu spät war. Ich konnte meine Worte nicht zurücknehmen.

„Ich muss dann jetzt los, sonst verpasse ich doch noch die ganze Veranstaltung.“

„Okay“, erwiderte ich lahm und suchte nach einem Ausweg. Irgendwas musste es doch geben? Es war nicht meine Absicht, sie vor den Kopf zu stoßen. Im Gegenteil. Es hätte der Versuch sein sollen, ihr zu erklären, dass noch nie jemand so etwas für mich gemacht hatte, weil ich eben noch nie eine Freundin gehabt hatte. Und dass es jetzt anders war, weil es sie gab.

Als ich Hazel hinterher sah, revidierte ich diese Meinung fürs Erste. Es sah nicht so aus, als wäre ich besonders gut darin, mich zu entschuldigen oder Freundschaften zu schließen.

Allein zu der Veranstaltung zu gehen, machte in etwa so wenig Sinn für mich, wie Hazel hinterherzurennen. Mein erster Versuch sich zu entschuldigen war ziemlich in die Hose gegangen. Ich ging nicht davon aus, dass ich mich beim zweiten Mal besser anstellte.

Ich hätte gar nicht erst herkommen sollen, dachte ich enttäuscht. Nicht von Hazel, aber von mir selbst. Es war schwierig für mich. Auf Mädchen meines Alters zuzugehen, ganz zu schweigen davon, mich mit ihnen anzufreunden. Den meisten Kontakt hatte ich zu Pferden und wenn ich den zu Menschen näher betrachtete, handelte es sich entweder um neunjährige Mädchen oder erwachsene Frauen wie Ghita oder meine Mom. Die einzigen beiden Mädchen in meinem Alter, die ich kannte, waren Hazel und Marian. Letztere konnte ich nicht ausstehen und mit Hazel machte ich offensichtlich alles falsch, was ich nur falsch machen konnte.

Meine Mom hätte jetzt sicher behauptet, dass im Leben alles wie beim Reiten war. Wenn man beim ersten Versuch aus dem Sattel fiel, musste man eben wieder aufsteigen und das am besten sofort. Ich glaubte leider nicht genug an diese Theorie, beziehungsweise an das Übertragen auf „Freundschaften knüpfen“, so dass sie mir genug Mut gab, Hazel nachzulaufen und einen neuen Versuch zu unternehmen.

Da ich nun aber einmal in Boulder war, entschied ich mich, zu bleiben und nicht mit dem nächsten Bus zurück zur Ranch zu fahren. Ich steckte den Schnellhefter in meinen Rucksack, was mir erneute Gewissensbisse machte. Danach schlenderte ich über das Campusgelände, wobei ich größere Menschengruppen geschickt umging. Ich fühlte mich wie eine stille Beobachterin und je mehr ich sah, umso weniger hatte ich das Gefühl, dazuzugehören. Ich fragte mich, ob ich das jemals würde. Vielleicht wollte ich es auch nicht?

So viele Fragen schossen mir durch den Kopf, so viele Möglichkeiten, so viele Entscheidungen und alles was ich dem entgegen zu setzen hatte, war Unsicherheit. Von so vielen Dingen hatte ich keine Ahnung und so wie es schien, am Wenigsten von mir selbst.

Ich wusste nicht mehr, was ich wirklich wollte und hatte mit Gracie die einzige Freundin verloren, die mich immer aufzuheitern verstanden hatte. Selbst wenn sie mir nie geantwortet hatte, hatte ich bei ihr immer das Gefühl gehabt, dass die Probleme kleiner wurden. Wenn ich mit ihr ausgeritten war, hatte ich mich danach immer besser gefühlt und das Vertrauen wiedergefunden, dass alles in Ordnung kommen würde. Als Gracie eingeschläfert worden war, hatte ich nicht nur ein Pferd oder eine Freundin verloren. Ich hatte meinen Weg verloren. Ohne sie schien ich nicht mehr so richtig zu wissen, wer ich war oder sein wollte.