Talamadre - Mila Brenner - E-Book

Talamadre E-Book

Mila Brenner

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Beschreibung

Manche Geheimnisse werden begraben, um sie zu vergessen. Die frisch gebackene Archäologin Holly Martin nimmt an ihrer ersten Ausgrabung in Ägypten teil. Unwissentlich befreit sie ein uraltes Wesen, seitdem lassen sie die grausamen Erinnerungen daran nicht mehr los. Der charismatische James Wescott, Anführer des Talamadre Ordens, glaubt nicht an einen Zufall. Er bietet ihr seine Hilfe an und verspricht, sie zu beschützen. Trotz der verschlossenen Art fühlt Holly sich mehr und mehr von seinen faszinierend grünen Augen angezogen. Doch sie ahnt nicht, dass James eigene Gründe hat, das Monster zu finden. Welches gefährliche Spiel treibt diese uralte Macht mit den Talamadre? Kann Holly James wirklich ihr Leben anvertrauen? Der Auftakt zu Mila Brenners romantischer Urban Fantasy – Reihe.

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Mila Brenner

Talamadre

Gefährliches Spiel

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Mila Brenner

Dank

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

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24.

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26.

27.

28.

29.

30.

31.

Impressum neobooks

Mila Brenner

Talamadre: Gefährliches Spiel

Buch

Manche Geheimnisse wurden begraben, um vergessen zu werden.

Die junge Archäologin Holly Martin nimmt an ihrer ersten Ausgrabung in Ägypten teil. Ein rätselhafter Ruf führt sie immer wieder in die unterirdischen Tunnel und zu einer kleinen Schlangenabbildung. Als sie unwissend ein uraltes Wesen namens Satek befreit, entkommt Holly seiner Blutgier nur knapp mit dem Leben. Die grausame Erinnerung an das Erlebte lässt sie nicht mehr los und verfolgen sie bis in den Schlaf.Der charismatische James Wescott, Anführer des Talamadre Ordens, glaubt nicht ein einen Zufall. Der Londoner bietet ihr seine Hilfe an und verspricht, sie zu beschützen. Trotz seiner verschlossenen Art fühlt Holly sich mehr und mehr von seinen faszinierend grünen Augen angezogen. Aber sie ahnt nicht, dass James eigene Gründe hat, Satek zu finden.

Welches tödliche Spiel spielt Satek mit den Talamadre und kann Holly James wirklich vertrauen?

Autorin

Mila Brenner lebt mit ihrem Ehepartner und ihren beiden Kindern, sowie Katze Bria in der hübschen Pfalz.Seit 2011 ist Mila als Bloggerin in der Bücherszene zuhause und verbindet dort ihre größten Leidenschaften: Schreiben, Lesen und Reden.

Gefährliches Spiel ist der magische Auftakt zu ihrer romantischen Urban Fantasy Reihe: Order of the Talamadre.

Weitere Werke der Autorin

Märchenzauber

Das Buch erscheint im November in einer neuen Auflage beim Feelings Verlag.

Mehr Informationen auf der Website: https://www.milabrenner. de

Und auf der FB Seite: https://www.facebook.com/pages/Boulder-Lovestory/784605901630622

Impressum

Mila Brenner, >>Talamadre: Gefährliches Spiel << 1. Auflage

Copyright © 2015 Mila Brenner

Alle Rechte, einschließlich die des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Satz & Lektorat: J. SchymanskiCover: buchkauzIllustrationen: 123rf.com, © Sergey Pykhonin, nejron, kjolak, Vitaly ViluaSchriftarten: Habibi, Cherry Swash, Sail, Liberation Serif, Mate © www.fontsquirrel.com, Georgia, Arial, Times New RomanZitat: © Hans-Christoph Neuert und Elmar Kupke, deutsche Dichter, Essayisten und Aphoristiker, Quelle: »Lyricon 1«

Mail: [email protected]: https://www.facebook.com/talamadreWebsite: www.milabrenner.de

J. SchymanskiHolbeinstr. 4255543 Bad Kreuznach

Dank

Du hast mich beruhigtin deinem Schweigen

und mich geborgenin deinem Lächeln

ich hatte Zeitich zu sein…

Hans-Christoph Neuert und Elmar Kupke

1.

Holly„I never believed in monsters. But I should have.“

Ägyptische Wüste, 15.09.2016

So früh am Morgen vertrug Holly die holprige Fahrt zum Arbeitsplatz der letzten sechs Wochen nie. Der kleine Bus brachte ihre Kollegen und sie zu der Ausgrabungsstätte, die erst im vorigen Jahr eröffnet worden war. Sie lag eine halbe Busstunde von Abydos entfernt in der ägyptischen Wüste. Holly sah aus dem Fenster und hoffte, sich auf diese Weise von der nagenden Übelkeit abzulenken. Sie musste versuchen, ihr Frühstück bei sich zu behalten. Das Mittagessen bestand nur aus Obst und Wasser und erst heute Abend konnte sie wieder auf eine richtige Mahlzeit hoffen. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich bis auf die Knochen blamierte, wenn sie sich in der Gegenwart der anderen Forscher in diesem stickig engen Bus übergab.„Alles okay?“, fragte Kate, die neben ihr saß.„Geht schon.“Kate war seit etwas mehr als fünf Jahren ihre beste Freundin. In Cambridge hatten sie sich im Studentenwohnheim ein Zimmer geteilt und waren schnell zu Freundinnen geworden.„Soll ich dich ein bisschen ablenken?“, bot Kate fröhlich an.„Ja, erzähl mir was. Irgendwas.“Kate redete gern. Am liebsten den ganzen Tag. Holly ließ sie meistens reden, denn auch wenn sie der Tratsch über die anderen Kollegen nicht sonderlich interessierte, mochte sie Kates Stimme. Ihre Fröhlichkeit war ansteckend.Während sie Kate zuhörte, warf sie einen Blick über die Schulter. Die anderen Kollegen, die von den Universitäten aus Miami und Pittsburgh stammten, waren still. Einige schliefen. Ihr Ausgrabungsleiter, Professor Hill, unterhielt sich mit seinem Assistenten, Doktor Jones, dessen Namen sie für einen Archäologen passend fand. Sie waren ihre Vorgesetzten und teilten die Teams in die Ausgrabungssektoren ein. Holly und Kate arbeiteten seit zwei Wochen an der Dokumentation der Wandfresken und Bemalung in einem der Nordtunnel. Während Kate lieber Artefakte in einem Sektor an der Oberfläche geborgen hätte, gefiel Holly die Arbeit in dem engen Tunnel. Sie hatte schon immer gern gezeichnet und das Abzeichnen der zuvor sorgsam konservierten Wandbilder hatte sie seit dem ersten Tag dieser Arbeit fasziniert. Da ließ sich sogar das Gefühl eingesperrt zu sein, ertragen.Hollys Abende bestanden darin die Aufzeichnungen aus ihrem Journal zu entschlüsseln. Ihr Spezialgebiet in der Ägyptologie waren Hieroglyphen. Aus ihrer Familie hatte sie damit niemanden für sich gewinnen können. Nicht einmal ihren Vater, der als Geschichtsprofessor lehrte. Ihr fünf Jahre älterer Bruder Michael wurde nicht müde, sie damit aufzuziehen, wie sehr ihre in der Familie liegende Schönheit verschwendet war, weil sie nur mit toten Dingen zu tun hatte. Aber für Holly waren sie nicht tot. Für sie wurde Geschichte erst lebendig, wenn sie durch die Überreste lange vergangener Kulturen zu ihrer Arbeitsstätte ging. Das Gefühl tiefer Ehrfurcht mischte sich mit Neugier und dem Drang, Altes neu zu entdecken.Nachdem sie ihre Ausrüstung abgeholt hatte und in den Gang kletterte, überkam sie ein wohliges Gefühl. So als sei sie verliebt … verliebt in ihre Arbeit. Es war Hollys erste, große Ausgrabung, an der sie beteiligt war. Und ja, sie war ein wenig besessen davon hier im Staub zu hocken und bei Kunstlicht Hieroglyphe für Hieroglyphe sauber und ordentlich zu katalogisieren. Ihre Arbeit würde Aufschluss über Einzelheiten zu diesem Grabfund geben. Aber das allein war es nicht, was sie motivierte. Holly redete mit niemandem darüber. Aber wenn sie lange genug an die Wände starrte, begannen sich die Götterbilder zu bewegen. Wahrscheinlich war es das Wüstenklima oder die fehlende Frischluft.„Siehst du das hier. Das verstehe ich einfach nicht. Es ergibt keinen Sinn.“ Hollys Bleistiftspitze deutete auf ein kleines Symbol neben der aufwendig herausgearbeiteten Abbildung des Sonnengottes Ra. Sie wartete, bis Kate zu ihr kam und einen Blick darauf warf.„Bedeutet bestimmt nichts.“ Kate schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, weshalb ich studiert habe. Wir sitzen hier unten fest, während Hill und die anderen da oben die bedeutenden Funde einheimsen. Wir dagegen zeichnen, säubern und“, sie seufzte. „Die Kammer am Ende des Ganges ist leer. Das ist doch Arbeit für Studenten.“ Kate brachte Holly damit zum Lachen.„Das sagst du nur, weil du hier unten deine Sonnenbräune verlierst.“„Na und. Das ist doch mein gutes Recht. Was glaubst du, was Kenny davon halten wird?“ Kate lachte heiter.„Kenny liebt dich, wie du bist. Ob nun sonnengebräunt oder blass wie ein Schneehuhn.“„Hoffentlich vergisst er das nicht, solange ich hier bin.“ Kate schob ihre Hornbrille zurück und grinste sie frech an.Holly hatte Kate nur bei ihrer Hochzeit mit Kenny vor etwas mehr als einem Jahr mit offenen Haaren und Kontaktlinsen gesehen. Sie war eine bildhübsche Braut gewesen. Aber das waren Bräute an ihren Hochzeitstagen immer. Für Kate war es der schönste Tag in ihrem Leben gewesen. Doch Holly hatte damals festgestellt, dass sie Hochzeit und Kinder nicht in ihrer Zukunft sah. Das hier war ihre Zukunft.Die Stirn gerunzelt, lenkte Holly wieder auf die Arbeit. „Was sagst du nun ernsthaft dazu?“Kate hockte sich neben sie und Holly wartete auf ihr Urteil.„Das ist schon seltsam. Siehst du die Ränder des Zeichens. Sie sind ganz glatt.“ Kate fuhr mit dem Finger darüber. Holly leuchtete mit der Taschenlampe das etwa vier Zentimeter große Zeichen an. Wenn sie es abstrahierte, sah es aus wie eine auf dem Kopf stehende Schlange.„Es ist eingraviert, Kate. Die Wandbilder an diesem Teil des Ganges sind aber aufgetragen.“ Sie starrte auf die Schlange.Kate stand auf und wendete sich kopfschüttelnd ab. „Du bist ein hoffnungsloser Fall. Weißt du, im ersten Semester habe ich ja noch versucht, dir ein paar süße Jungs vorzustellen. Aber jetzt wundert es mich nicht mehr, dass du immer noch Single bist.“Ihre Freundin meinte es nicht böse. Holly wusste das und hörte nicht mehr genau hin, als Kate ihr predigte, wie übertrieben es sei, hinter jeder Auffälligkeit etwas Besonderes zu wittern. Immer noch faszinierte Holly die kleine Abbildung, die da nicht hingehörte. Das war ihr Archäologen-Bauchgefühl. Sie tippte mit dem Radiergummi an ihrem Stift auf die Schwanzspitze der Schlange. Nichts passierte. Was sollte auch passieren? Das waren nur Jahrtausende alte Steine, nicht mehr.‚Mach dich nicht verrückt, Holly, indem du dem Ganzen zu viel Bedeutung zuschreibst’, ermahnte sie sich innerlich. Aber während sie Ras Kopfschmuck untersuchte und sich Notizen zu den Skizzen machte, fanden ihre Gedanken immer wieder die Schlange. Als ob sie von der Schlange magisch angezogen wurde. Eine Stimme in ihrem Kopf rief sie aus der Ferne.Bewegte Wandbilder waren ja eine Sache, aber Stimmen in ihrem Kopf, das würde ihr jeder bestätigen, waren ganz klar was Anderes. Vielleicht war es besser, wenn sie für einen Moment Pause machte und an die frische Luft ging. Holly wollte Kate gerade fragen, ob sie mitkommen wollte, als sie plötzlich Schreie hörte. Erschrocken zuckte sie zusammen. Es hörte sich an, als näherten sich viele Menschen. Holly konnte laut und deutlich Schritte vernehmen. Beinah klang es als seien die Leute auf der Flucht. Ein Schauer kroch ihren Rücken hinunter. Sie drehte sich um und sah zu Kate, die eine Schrifttafel abpauste.„Hörst du das auch, Kate?“„Was?“„Die Schritte. Da kommen Leute.“„Wir kriegen Besuch?“ Kate stand auf und lauschte. „Ich höre gar nichts.“„Wirklich?“ Holly kniff die Augen zusammen und starrte in die Dunkelheit.„Nein. Hier ist nichts. Geht es dir gut?“„Aber da waren doch Schritte.“ Holly wich Kates Blick aus. Sie lauschte angestrengt, aber was immer sie zuvor gehört hatte, suchte sie vergeblich. Es war still. Totenstill.„Du solltest wirklich mehr trinken. Hier“, Kate warf ihr eine Flasche mit stillem Wasser zu. „Und wenn du willst, kannst du auch eine Pause machen. Ich warn dich aber, es ist bald mittags. Da oben wird es brütend heiß sein.“„Danke.“ Holly nahm ein paar Schlucke. „Es geht schon wieder.“„Bist du sicher?“„Ja, klar“, versprach sie leichthin. Doch innerlich war sie aufgewühlt. Die Schreie hatten so echt geklungen. Wenn sie schon in so jungen Jahren begann, durchzudrehen, wie sollte sie den Job bis zu ihrer Pensionierung durchhalten?Sie wandte sich zurück an ihre Arbeit und sofort fiel ihr Blick wieder auf die Schlange. Sie klemmte den Stift zwischen die Seiten des Notizbuchs und legte es weg. Vor dem Bild des Tiers, das schwarzgolden im Licht der künstlichen Lampe schimmerte, ging Holly in die Hocke.„Was willst du hier nur?“, murmelte sie leise. Mit der Hand berührte sie den Stein und fuhr die Wellen der Außenkanten entlang bis zum Kopf der Schlange.Autsch! Holly war an einer scharfen Kante hängen geblieben und zog die Hand zu sich. Blut quoll aus ihrem Zeigefinger.„Verdammt!“, fluchte sie wütend.„Holly!“ Kate war aufgesprungen. „Was ist passiert? Bist du okay?“„Ja, keine Sorge. Nichts passiert. Ich habe mich nur geschnitten.“„Zeig mal her.“ Kate kam zu ihr und begutachtete den Schnitt. „Das sieht tief aus. Ich hole besser etwas zum Desinfizieren und Verbinden. Damit solltest du nicht spaßen, sonst entzündet sich noch was.“„Danke, Kate.“„Gern geschehen. Ich will sowieso mal an die Luft. Es ist ziemlich stickig hier drin. Ich bring uns bei der Gelegenheit gleich ein paar von diesen … wie heißen diese leckeren Früchte gleich wieder?“„Feigen“, antwortete Holly lachend.„Ja genau, sag ich ja. Feigen. Davon bringe ich uns ein paar mit. Sonst sind sie nachher alle aufgegessen, bis wir hier fertig sind. Du rührst dich solang nicht von der Stelle.“„Versprochen.“Sie sah Kate hinterher und seufzte. Der Tag fing ja nicht besonders gut an. Für einen so kleinen Schnitt blutete die Wunde doch stark. Ein kalter Schauer stieg ihr in den Nacken und lief ihr den Rücken hinunter. Es fühlte sich an, als habe jemand die Temperatur unter den Gefrierpunkt gedreht. Sie hatte überall eine Gänsehaut. Geriet sie in einen Schock, nur wegen der kleinen Wunde? Sie war doch sonst nicht so empfindlich.„Die Schlange …, Holly, die Schlange.“Als führte sie jemand, kniete sie sich in den Staub und drückte ihren blutenden Zeigefinger in die Vertiefung, die den Schlangenkopf darstellte. Sobald sie den Finger wegnahm, fühlte sie sich wie befreit.Im nächsten Augenblick begann die Erde zu vibrieren. Intuitiv sprang Holly auf und ging zwei Schritte zurück. Für einen Moment glaubte sie, der Tunnel stürze ein und das seien ihre letzten Sekunden. Sie bildete sich ein, einen Mechanismus von Seilzügen hinter den Wänden zu hören. Aus der Richtung der leeren Kammer kam ein kratzendes Geräusch, das ein Stein macht, wenn er über einen anderen Stein schabt. Das Beben wurde schwächer. Holly ging getrieben von ihrer Neugier in Richtung des Geräuschs. Als sie das schwarze Loch in der Wand sah, stockte ihr der Atem. Die Öffnung war vorher nicht da gewesen. Sie wollte gar nicht darüber nachdenken, wie es dazu gekommen war. In ihr kroch ein Gefühl der Übelkeit herauf. Das kam nicht von der Aufregung. Sie hatte ein schlechtes Gefühl, wenn sie daran dachte, hineinzugehen.Dann lösten die Stimmen der Anderen Hollys Starre auf. Plötzlich war sie umringt von Kollegen, selbst Professor Hill und Doktor Jones waren hier. Kate legte ihr die Hand auf die Schultern.„Was hast du gemacht? Hey, du siehst ganz schön blass aus. Willst du dich kurz setzen?“Holly schüttelte den Kopf. Sie konnte es nicht erklären. Auch auf die Nachfragen der Kollegen fand sie keine passenden Worte und stammelte nur etwas von einem durch sie ausgelösten Mechanismus. Ihre Kollegen untersuchten die Öffnung, während die beiden Ausgrabungsleiter sich besprachen. Schnell einigten sie sich darauf, den Gang zu erforschen. Professor Hill bot ihr an, mit ihm voranzugehen. Und so vielleicht in die Geschichtsbücher einzugehen. Das war sein Wortlaut, als er die herangebrachten Taschenlampen verteilte. Aber Holly schlug das Angebot aus. Etwas in ihr warnte sie davor. So stark, dass sie am liebsten Kates Ärmel festgehalten hätte, als diese der ersten Gruppe folgte.Erschöpft lehnte sich Holly gegen die kalte Steinwand. Sie war unentschlossen, ob sie an die frische Luft gehen oder hier warten sollte. Der Schnitt hatte aufgehört zu bluten. Dafür hämmerte nun ein stechender Schmerz hinter ihren Schläfen.Die Wissenschaftler, die wie sie zur zweiten Gruppe gehörten, unterhielten sich aufgeregt. Aber sie verstand kein Wort von dem, was sie sagten. Die Kopfschmerzen überlagerten alle Umgebungsgeräusche. Holly schloss die Augen, atmete ein, zählte bis zehn. Die Technik hatte sie von ihrem Vater gelernt. Sie atmete langsam aus. Zwei Mal wiederholte sie die Übung. Als sie fertig war und die Augen öffnete, brach die zweite Gruppe gerade auf und betrat den Gang. Wieder krampfte sich etwas in ihr zusammen. Aber sie schob es auf die Kopfschmerzen. Dabei wischte sie alle Bauchgefühle weg und ging zu dem Rucksack mit der Ausrüstung. Sie befestigte die Stirnlampe an ihrem Kopf und fühlte sich wie ein Höhlenforscher, sobald sie in den Schatten trat, den die Halogenstrahler nicht ausleuchteten. Anstatt den Kollegen zu folgen, blieb Holly mit offenem Mund stehen. Sie fragte sich, ob ihre Kollegen diese Wände ignoriert hatten.„Wow …“, staunte sie voller Ehrfurcht. Der Lichtkegel ihrer Lampe glitt über die Wände links und rechts von ihr. Auf den ersten Blick erkannte sie die farbig intensiven Wandzeichnungen zu ihrer Linken. Sie waren so gut erhalten, als seien sie erst gestern gefertigt worden. Obwohl Holly wusste, das sie es mit einem historischen Schatz zu tun hatte, der mehrere tausend Jahre alt war. Sie trat näher an die Wand, um die Bilder besser sehen zu können. Das Licht war miserabel. Aber sie konnte Ra erkennen. Er saß mit seinem Falkenkopf und der Sonnenscheibe als Schmuck in aller Herrlichkeit auf seinem Thron. Neben ihm reihten sich Hieroglyphen aneinander. Sie nahm ihr Notizbuch, klappte es auf und skizziert Ra grob. Ihr fiel auf, wie ungewöhnlich die Symbolschrift war. Holly konnte sie nicht entziffern. Sie sah Monate der Arbeit vor sich.Sie steckte ihr Notizbuch weg und ging langsam den Gang weiter. Er fiel nun leicht ab. Ihr Herz begann erneut, aufgeregt zu klopfen. Da waren die Kinder des Ra, Shu und Tefnut. Sie erkannte Isis und lächelte über den gut erhaltenen Zustand der aufgetragenen Schicht weißer Pigmente, aus der ihr Gewand war. Beidseitig reihten sich Schriften und Gottheiten des alten Ägyptens auf. Der ungewöhnliche Reigen deutete offensichtlich den Tunnel entlang. Holly folgte Apophis, der Götterschlange, deren Schuppen im Schein der Lampe prunkvoll glänzten. Sie trat näher und betrachtete die edlen Schuppen. Sie bestanden tatsächlich aus Gold und die Darstellung der Schlange erinnerte sie an die kleinere Ausgabe draußen im Gang, die sie untersucht hatte. Sie dachte an den Schnitt und stellte fest, dass ihr Finger nicht mehr länger weh tat. Erleichtert richtete sie den Blick wieder nach vorn in den Gang. Und in dem Augenblick fiel es Holly auf.Die Stille.Es war so still, dass sie ihren eigenen Atem hörte. Und das war undenkbar. Denn in ihrer Nähe hielten sich mehr als eine Handvoll Archäologen in einem neu entdeckten Teil der Grabkammer auf. Die Ruhe war unmöglich. Wenn die Kammer nur halb so viel historischen Wert wie diese Malereien bot, dann war das eine Sensation. Und so eine Sensation würde ausgiebig besprochen werden. Wieder fühlte es sich an, als stünde sie im ewigen Eis der Arktis. Sie war noch nie dort gewesen, wusste im selben Atemzug aber, dass es so sein musste. Zögerlich folgte sie dem riesigen Schlangenkörper bis zum Kopf. Als der Tunnel eine Biegung machte, nahm Holly die Lichter der Taschenlampen wahr. Sie bewegten sich nicht in dem dahinter liegenden Raum. Sie beschleunigte ihre Schritte und stolperte in die Kammer, ohne sich daran zu stören, wie verwundert sie alle ansehen würden. Denn, was ihre Kehle herauf kroch, war ein Kloß aus Angst und Panik, den sie nicht länger herunterschlucken und ignorieren konnte.Die Kammer in der Holly stand war größer, als sie gedacht hatte. Ihre Blicke aber lagen nicht bewundernd auf den Wänden. Sie war mit dem Fuß an etwas Weiches gestoßen. Der Scheinwerferkegel ihrer Stirnlampe kreuzte den Strahl einer Taschenlampe. Sie senkte den Kopf und blickte in Dr. Jones’ aufgerissene Augen. Der Expeditionsleiter, der gerade noch an ihr vorbei gegangen war, lag auf dem Rücken, das Gesicht zu einem Schrei verzerrt. Sie ertastete an seinem Hals keinen Puls und konnte die Todesursache nicht ausmachen. Sie war keine Ärztin.Holly zitterte am ganzen Körper. Überall im Raum verteilt, wo immer sie hinsah, lagen ihre Kollegen. Sie sah das Blut als schwarzrote Schatten im Zwielicht. Ihr stockte der Atem. Sie fühlte ihre Beine nachgeben. Da lag Jimmy. Kate hatte versucht ihr Jimmy vorzustellen, aber er war nicht Hollys Typ gewesen. Jetzt sah sie in seine stumpfen Augen. Sie schüttelte den Kopf, sobald sie dort hinsah, wo seine Brust sein sollte. Ein Loch klaffte zwischen den zusammengesunkenen Schultern.„Oh Gott ...“ stotterte Holly. Sie presste eine Hand auf den Mund und kämpfte gegen das Würgen an. Sie stolperte vorwärts.„Kate?“ Suchend blickte sie sich um und wich den am Boden liegenden Menschen aus. Ein Blick reichte aus, um zu sehen, dass sie nicht mehr lebten. Ihre Körper zeigten grässliche Entstellungen.„Kate!“ Vor Panik überschlug sich Hollys Stimme. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen. Unruhig glitt das Licht über den Boden, bis Holly erstarrt innehielt.„Kate …“ Ihre Stimme stockte. Alle Hektik fiel von Holly ab und sie näherte sich Kate wie in Trance. Sie hockte sich vor den verdrehten Körper ihrer Freundin. Kates Augen waren geschlossen. Kein Puls. Ganz langsam und vorsichtig drehte sie Kate auf den Rücken. Hollys Unterlippe bebte und ihr Atem wurde immer wieder von Schluchzern unterbrochen. Sie tat unbewusst, was sie vor Jahren in einem Erst-Hilfe Kurs gelernt hatte. Beatmen, Herzmassage, Beatmen. Beatmen, Herzmassage, Beatmen. Aber es war zu spät. Kate war nicht mehr bei ihr. Verzweifelt schluchzte Holly auf. Der Schmerz fraß sie auf, überlagerte jede Logik, obwohl eine Stimme ganz tief in ihrem Unterbewusstsein sie dazu aufforderte, sich in Sicherheit zu bringen.Plötzlich knackte es an der Stirnseite der Kammer. Holly sah auf. Ihr Lichtkegel fiel auf eine gebeugte Gestalt. Erleichterung überrollte sie. Jemand hatte überlebt.„Helfen Sie mir! Bitte, ich habe hier Kate! Wir müssen sie hier raus schaffen.“Ein gurgelndes Geräusch war die einzige Antwort, die sie erhielt. Holly erstarrte. Mit einmal war ihr eiskalt. Was war, wenn sie nicht mit einem Opfer hier in dieser Kammer war, sondern mit dem Täter? Eine Gänsehaut breitete sich über ihren Körper aus. Instinktiv ließ sie Kates leblosen Körper los und rutschte langsam in Richtung Ausgang. Die Gestalt war verstummt, bewegte sich jetzt aber auf sie zu. Es handelte sich um einen Mann. Holly erkannte seine gerade Körperlinie im Schein ihrer Lampe. Das Licht glitt über seinen nackten Oberkörper. Wie in einem Geschicklichkeitsspiel versuchte sie, ihre Aufregung zu überwinden und den Lichtstrahl ruhig zum Gesicht zu führen. Sie streifte die Schulter oder was die Schulter sein sollte. Sie war irgendwie verschoben. So als sei er verkrüppelt. Seine Beine standen in unnatürlichem Winkel zueinander. Sie konnte sein Aussehen nicht logisch zusammensetzen. An seinem kahlen Kopf hingen zerzauste Strähnen dunklen Haares. Geschockt hielt Holly inne. Die Haut in seinem Gesicht war aufgerissen, wie die Erde eines ausgetrockneten Flussbettes. Statt der Nase klafften dort zwei dunkle Löcher. Anstelle der Lippen sah sie verwitterte Zähne. An ihnen klebte rotes, frisches Blut. Seine Augen waren schwarz wie die Nacht und glühten plötzlich golden auf.Mit einem Schrei, der in ihrer Kehle stecken blieb, sprang Holly auf die Füße und rannte los. Sie stolperte dabei über die Leichen und fing sich mit den Händen ab. In ihrem Kopf hörte sie eine Stimme. Immer wieder rief sie ihren Namen wie ein Echo. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen und rannte an den Göttern vorbei, die sie zuvor bestaunt hatte. Er saß ihr im Nacken. Doch sie wollte nicht mit allen anderen dort unten liegen und zwang ihren Körper, schneller zu rennen.Sobald sie die große Kammer erreicht hatte, war er direkt hinter ihr. Das war unmöglich. Erschrocken schrie sie auf. Was war er? Wer war er? Ihre Beine wollten nachgeben und der Weg an die Oberfläche kam ihr endlos lang vor. Als sie den Ausgang sah, geriet sie ins Stolpern und fiel über ihre eigenen Füße. Holly stürzte nach vorn und riss die Arme zum Schutz vor den Körper. Beim Aufschlag spürte sie stechende Schmerzen, die ihren Unterarm durchzuckten. Gequält stöhnte sie auf und setzte dazu an, um Hilfe zu rufen, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Sie war stumm. Entsetzen machte sich in ihr breit.Da war es wieder, das gurgelnde Geräusch. Noch bevor sie reagieren konnte, packten sie starke Hände und rissen sie herum. Sie sah Sterne vor ihren Augen aufblitzen. Durch den Schleier sah sie sein Gesicht. Seine Augen glühten nicht mehr. Sie waren pechschwarz und so leer, wie die Hoffnungslosigkeit, die Holly in dem Moment begrub. Jede Gegenwehr erschlaffte und sie wusste, dass es jetzt vorbei war. Angst nahm ihr die Luft zum Atmen und sie betete, es möge schnell gehen. Als er sich zu ihr herunterbeugte, roch sie das Blut der Toten. Weder an Monster noch an Gruselmärchen hatte Holly je geglaubt, aber jetzt war sie Gefangene eines Albtraums, aus dem sie gerne aufgewacht wäre. Die Schmerzen, dort wo seine Finger sich in ihre Haut bohrten, zeigten ihr jedoch, dass sie nicht träumte.„Verbannt in die ewigen Stunden; aus Dunkelheit erwacht. Erstrahlen soll Chaos, Schmerz und Tod zu neuer Macht. Unser Schicksal; so sei es; auf ein Neues miteinander verbunden.“Sie wusste nicht, was er damit meinte. Seine Worte gaben keinen Sinn.„Geh nun, mein unwissendes Kind des Lichts.“Er lockerte seinen Griff und sobald Holly spürte, wie sie sich bewegen konnte, rutschte sie unter ihm weg und versuchte dabei die Bilder seines grotesken Gesichts zu verdrängen. Mühsam und am Ende ihrer Kräfte humpelte sie ins Licht. Ihr Blick fiel auf die Arbeiter in den Sektoren vor dem Eingang. Dann plötzlich riss die Druckwelle der Explosion in ihrem Rücken sie zu Boden. Es regnete Geröll. Die Welt zersplitterte in einen unerträglichen Pfeifton und Schmerz riss sie ins Schwarz der Bewusstlosigkeit.

~*~

Als Holly die Augen öffnete, fühlte sich ihr Kopf an, als schlug jemand mit einem Hammer darauf. Ihr Blick war verschwommen und sie tat sich schwer, ihre Umgebung zu erkennen. Es dauerte einen Moment bis sie verstand, dass sie in einem Krankenhauszimmer erwacht war.Das Zimmer war sehr einfach eingerichtet, aber es handelte sich um ein Einzelbettzimmer und Holly war dankbar dafür. Mit ihrem Blick für Details fiel ihr der Inventuraufkleber an der Seite ihres Nachttisches auf. Sie war im Farshout Central Hospital. Das Krankenhaus war nicht weit von Abydos entfernt. Also befand sie sich noch in Ägypten. Sie wollte sich drehen, doch Schmerz raste durch ihren Arm und hüllte für Sekunden alles in grelles Weiß. Erst als es Holly gelang wieder die Augen unter Blinzeln zu öffnen, sah sie auf ihren Arm. Der war vom Handgelenk bis zum Ellebogen eingegipst. Holly schluckte. Je länger sie den Arm anstarrte …Alles kam wieder. Der Sturz holte sie ein, der eisig kalte Griff um ihr Herz. Sein Blick. Das unendliche, leere Schwarz seiner Augen. Das albtraumhafte Glühen und sein gurgelndes Geräusch. Das Blut an seinen verwesten Zähnen. Panik ergriff sie, raste durch ihren Körper, erfüllte sie mit Adrenalin. Der Fluchtgedanke war übermächtig. Gerade als er Holly dazu brachte, sich trotz der Schmerzen aufzurichten, öffnete sich die Tür. Sie sah auf und in ein vertrautes Gesicht.„Michael?“, fragte sie zweifelnd und gleichsam erleichtert. Tränen liefen über ihre Wangen. Erst ein Mal hatte Holly eine ähnlich intensive Erleichterung erlebt. Mit 15 Jahren war sie von zu Hause weggelaufen und den weiten Weg von Nordengland bis in die Hauptstadt getrampt. Nach zwei Tagen und Nächten auf der Straße hatte Michael sie in London aufgesammelt, nachdem sie ihn angerufen hatte. Es war das Dümmste, was Holly in jugendlicher Auflehnung gegen ihre Eltern je getan hatte. Aber Michael war da gewesen. Und auch heute war er da. In seiner Umarmung, seiner Nähe, fand sie Trost und es dauerte, bis sie ihre Beherrschung wiederfand. In dem Moment kam ein weiterer Mann herein. Er hatte zwei Becher Kaffee in der Hand, als er bemerkte, das Holly wach war, lächelte er freundlich.„Holly, das ist Aaron. Er ist Dolmetscher.“ Michael sah sie an. „Du wirst nicht glauben, wie schwierig es war, auf die Schnelle jemanden Vernünftiges aufzutreiben, der mir helfen konnte, mich zurechtzufinden.“Holly beobachtete ihren Bruder dabei, wie er all das so natürlich und vertraut erzählte. Ein Schmerz bohrte sich in ihre Brust und ein dunkler Schatten hing in ihren Augenwinkeln.„Aaron wird uns helfen, zu verstehen, was die Ärzte noch mit dir anstellen wollen.“„Wie schlimm ist es denn?“, fragte sie und fürchtete sich vor der Antwort.„Es hat Sie schlimm erwischt. Zahlreiche Prellungen und Schürfwunden, zwei angeknackste Rippen, der Knöchel ist verstaucht und der Arm gebrochen. Aber nicht all zu kompliziert versichern die Ärzte. Am meisten Sorgen hat ihnen die Schädelprellung gemacht. Aber das Sie nun wach sind, ist schon mal ein gutes Zeichen.“„Seit wann bist du eigentlich wach?“, fragte Michael dazwischen. „Hast du schon einer Schwester bescheid gegeben?“„Nein. Ich bin gerade eben erst aufgewacht. Daran habe ich noch gar nicht gedacht.“„Ich mache das schon“, bot sich Aaron an und gab Holly und Michael die Möglichkeit, einen Moment unter sich zu sein.„Wie fühlst du dich?“„Mein Mund ist so trocken, kann ich vielleicht etwas zu trinken bekommen?“„Natürlich. Warte.“ Michael stand auf und brachte ihr ein Glas Wasser. Nachdem Holly hastig ein paar Schlucke getrunken hatte, sah sie die vielen Fragen im Gesicht ihres Bruders. Sie schüttelte den Kopf und zuckte bei dem Schmerz in ihren Schläfen zusammen. Ihr fielen selbst genügend Fragen ein.„Michael, was genau ist passiert? Wie kommst du hierher Und was ist mit den anderen? Geht es Kate gut?“ Die kindische Hoffnung, sie hatte nur einen schlechten Traum gehabt, breitete sich wie ein Lauffeuer in ihr aus. Aber es verglomm als Strohfeuer, sobald sie in Michaels Augen sah.„Holly, ich kann dir nicht sagen, was passiert ist. Das wollte ich von dir erfahren. Ich erhielt vorgestern einen Anruf, du lägest im Krankenhaus. Ich hab sofort einen Flug nach Kairo gebucht und bin hergekommen. Im Fernsehen und in den Zeitungen haben sie davon berichtet.“Er wich ihrem Blick aus. „Sie sind wohl alle tot. Es gibt 14 Vermisste, die zum Zeitpunkt der Explosion mit dir dort gearbeitet haben. Aber es wird immer unwahrscheinlicher, sie zu finden.“„Eine Explosion?“ Sie spürte das Unwohlsein in ihrem Magen.„Ja, die Polizei geht davon aus, dass ein Leck an einer Gasleitung zu der Explosion geführt hat.“„Aber … aber es gab keine Gasexplosion! Das Grab ist eingestürzt, nachdem …“ Sie musste, schlucken bei dem Gedanken an ihn. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich. „Es war schrecklich, Michael. Er ist dafür verantwortlich. Er war da.“„Wer Holly? Wovon redest du?“„Dieser Mann. Er hat sie alle umgebracht. Und dann bin ich gerannt. Er hat mich verfolgt und ...“ Ihre Stimme brach. Sie schob die Hände vors Gesicht, denn die Bilder von ihren Kollegen erschienen wieder. Tränen stiegen in ihr auf, die sie versuchte, zurückzudrängen.„Holly, hey …“ Sie spürte wie Michael über ihr Haar streichelte. „Ist doch schon gut. Alles ist gut.“Aber trotz seiner tröstenden Worte, konnte sie die Tränen nicht länger aufhalten. Holly schniefte, schluchzte und zitterte. Dann spürte sie die Schläfrigkeit. Durch den Tränenschleier sah sie den Arztkittel neben ihrem Bett und wie Hände etwas in den Zugang an ihrer Hand spritzten. Bevor sie noch etwas sagen konnte, schlief sie wieder ein.Und als sie aufwachte begann der Albtraum erst, von dem sie gedacht hatte, er wäre mit dem Einsturz des Grabes beendet. Die Polizei steckte in den Ermittlungen fest und befragte sie. Aaron übersetzte sowohl ihnen als auch den Journalisten jedes Mal von Neuem ihre Aussage. Dabei blieb Holly bei der Wahrheit. Ihrer Wahrheit.Nach einer Woche reiste Michael wieder ab. Seine Frau Lara erwartete im Dezember das erste gemeinsame Kind. Sie würden einen Jungen bekommen. Obwohl Michael ihr davon erzählt hatte, wie aufgeregt er war und wie sehr er sich freute, hatten seine Worte sie nicht berührt. Nichts schien durch den Panzer der Angst und der schrecklichen Bilder, die sie verfolgten, zu dringen.Die Bilder waren so echt, das es unmöglich war, das Monster sei eine Einbildung. Nur ein traumatisches Abfallprodukt. Holly spürte, dass sich da alle irrten. Denn sie sah die Bilder, sobald sie die Augen schloss, egal ob am Tag oder in der Nacht. Als habe sich dieses Wesen in ihre Träume geschlichen. Bald auch in ihre Wirklichkeit.Sobald Holly die Erlaubnis der Ärzte erhielt, Ägypten verlassen zu können, atmete sie erleichtert durch und brach unverzüglich auf. Das öffentliche Interesse an dem Unglück war verebbt. Ihre Kollegen waren für Tod erklärt worden. Die offizielle Ursache war eine Gasexplosion. Ausgelöst durch die unsachgemäße Lagerung von Gasflaschen. Holly ertrug diese Lüge mit bitterem Beigeschmack. In der Ausgrabungsstätte hatten sie Solarenergie genutzt, selbst um den starken arabischen Schwarztee zu kochen, den es gegen die Hitze zu trinken gab. Aber sie war es leid, zu erzählen, was wirklich passiert war, wenn ihr ohnehin niemand glauben wollte. Kein Wunder, dass sie sich erleichtert fühlte, als die Maschine abhob und sie Ägypten verließ. Holly flog nicht nach London oder Newcastle, sondern nach Miami. Sie musste nach Hause, nicht zu ihren Eltern oder ihrem Bruder und dessen Familie. Er sollte nicht wissen, dass ihr ihre Familie alles bedeutete.Während die Lichter Kairos unter ihr immer kleiner wurden, sah Holly aus dem Fenster in den schwarzen Nachthimmel. Alles kam ihr vor wie ein Traum, aus dem sie nicht aufwachte. Noch immer fühlten sich ihre Erinnerungen an die Begegnung mit diesem Wesen zäh und klebrig an. Sie bekam Herzrasen und Schweißausbrüche, wenn sie daran dachte. Die Wahnvorstellungen folgten ihr. Und das Frösteln, das sie zum ersten Mal in dem Gang vor der kleinen Schlange hockend gespürt hatte, suchte sie immer wieder heim. Sie blinzelte, als wache sie aus einem Tagtraum auf. Dann sah sie auf den Block in ihrer Hand. Sie hatte ihn unbewusst aus ihrer Tasche genommen. Mit dem Bleistift hatte sie gekritzelt. Und als sie sah, was sie mehrfach gezeichnet hatte, stockte ihr der Atem.Zwei geschlängelte Linien nebeneinander. Am oberen Ende trafen sie sich spitz. Unten dagegen abgerundet. Ein Punkt war ihr Auge. Die gespaltene Zunge nur ein Strich. Holly sah auf die Schlangen und erschrak. Sie wollte den Block zuklappen. Aber sie sah sich nur um. Ihr Sitznachbar schlief seelenruhig. Ihre Augen fanden die Schlangen, es wimmelte nur so von ihnen. Wie in einer Schlangengrube. Und da wusste sie es. Die Linien verschwammen vor ihren Augen, in die Tränen schossen. Eine festgeschriebene Wahrheit breitete sich in ihr aus. Mit Ägypten hatte sie nur das Land hinter sich gelassen. Denn, das alles, was sie erlebt hatte … es war erst der Anfang. Und sie war ganz allein. Die Einsamkeit schnürte ihr die Kehle zu, saß wie ein schwarzes Loch an der Stelle ihres Herzens, breitete sich aus und Holly wartete darauf, dass es sie verschlang. Wenn er sie nicht vorher fand.

2.

Holly„I trust him without knowing I can. I just do.“

Miami, 03.03.2017

Der Himmel war hellblau mit weißen Wolken, wie aus einem Bilderbuch für Kinder. Die Sonne schien sie mit ihren warmen Strahlen zu locken. Sie hatte die Fenster des Wohnzimmers geschlossen, aber es bestand ohnehin nicht die Gefahr, dass sie hier oben Vogelgezwitscher gehört hätte. Ihre Wohnung lag in Downtown Miami und sie hatte ein 2-Zimmer-Apartment in der vierzehnten Etage eines Hochhauses. Vögel hörte man hier oben nicht mehr.Holly war einerseits erleichtert darüber, anderseits fühlte sie heute ein besonders starkes Verlangen nach etwas so Friedlichem, wie Vogelgezwitscher. Friedlich und schön. Sie redete sich ein, so besser ihr Heimweh in seine Schranken weisen zu können. Das war Quatsch und Holly wusste es auch. Aber sie wollte es glauben. Sie hatte keine andere Wahl, denn sie konnte es sich nicht erlauben, auch nur an zuhause zu denken. An ihre Eltern. An Michael und seine Familie. Er war jetzt Vater, was sie zur Tante machte. Aber Andrew Martin, ihren Neffen, der Anfang Januar zur Welt gekommen war, kannte sie nicht. Holly hatte ihn bisher nicht einmal gesehen. Gleich im Oktober, als sie endlich wieder nach Miami zurückgekommen war, hatte sie ihre Profile auf Facebook und Twitter gelöscht. Paranoide Wahnvorstellungen. So hatte es der Therapeut genannt, den sie einige Wochen lang besucht hatte. Das, was sie erlebt hatte, schien Form eines Traumas zu sein, ausgelöst durch Schock und eventuell verstärkt durch ihren Sturz und die schwere Gehirnerschütterung, die sie erlitten hatte. So lautete seine ärztliche Diagnose. Den gesamten November und auch den Dezember hatte sie damit verbracht, ihn davon zu überzeugen, dass er sich irrte. Dass sie nicht unter Wahnvorstellungen oder paranoiden Angstattacken litt, sondern das in dieser Grabkammer etwas … Übersinnliches passiert sein musste.Im Januar war sie nicht mehr zu ihm gegangen. Denn trotz der Sitzungen verschwanden weder Angstzustände, die Panikattacken und schon gar nicht die Träume. Sie verschwanden nie. Nicht nur des Nachts, sondern zu jeder Sekunde des Tages erinnerte Holly sich. Sie glaubte ihre eigenen schrillen Schreie in den Ohren zu haben und den eisenhaltigen, bitteren Geschmack von Blut auf der Zunge zu spüren. Ein Albtraum, der in Dauerschleife durch ihr Bewusstsein lief und nie endete.Holly zog sich mehr und mehr in sich selbst zurück. Sie ignorierte die Briefe und Mails ihrer Familie und auch ihre Anrufe. Zu Anfang hatte ihre Familie sich die Mühe gemacht Nachrichten zu hinterlassen. Holly hörte nicht so sehr auf das, was sie sagten. Allein der Klang ihrer Stimmen waren tröstende Streicheleinheiten für ihre Seele. Sie wärmten Holly und verdrängten für Sekunden die eisige Kälte, die seit Oktober statt Blut durch ihren Körper floss. Obwohl sie die tröstenden Streicheleinheiten so nötig gehabt hätte, untersagte sie sich weiterhin jeden Kontakt aus Angst, Unheil über ihre Familie zu bringen. Denn auch wenn sie nicht mehr darüber sprach, konnte Holly nicht vergessen, was wirklich passiert war. Vielleicht war das normal für Menschen, die nicht mehr schliefen, es sei denn die Erschöpfung übermannte sie und ließ sie eindösen. Dann fing sie an zu träumen. Die Träume kamen immer und wenn sie schreiend und vor Angst zitternd erwachte, wusste Holly, dass ihre Erinnerungen wahr waren. Egal was andere Menschen ihr weismachen wollten.Wenn sie wegen der Albträume nicht mehr schlafen konnte, lenkte sie sich meistens mit Fernsehen ab. Sämtliche Serien, die aktuell im Programm liefen, hatte Holly gesehen. Das Genre war ihr egal. Bei den meisten Serien hätte sie sich nicht mal an den Titel erinnert oder worum es wirklich ging. Bei der Hälfte der Sachen, kannte sie nicht mal wirklich die Namen der Charaktere. Das alles war nur Schall und Rauch. Das, was sie sah, verflüchtigte sich wie Nebel in der Sonne. Übrig blieben nur ihre Erinnerungen, die sie von innen auffraßen. Holly wartete auf den Moment, da nichts mehr von ihr übrig war. Was passierte dann mit ihr?Den Februar verbrachte Holly zunächst reglos, wie ein Tier in Todesstarre. Jeden Tag, beinah jede Stunde rechnete sie damit dem Dämon gegenüberzustehen, der sein Werk beenden wollte. Aber natürlich passierte nichts dergleichen. Im Gegenteil. Die Träume ließen nach. Zuerst nur tagsüber. Doch immerhin so lang anhaltend, dass sie dazu in der Lage war, zu duschen, ohne in einen Weinkrampf auszubrechen. Sie konnte auch wieder vor die Tür und einkaufen. Eine Hürde, die noch im Dezember unüberwindbar gewesen war. Sie hatte sich nur noch von Essen ernährt, das geliefert werden konnte. Ihre Rechnungen stapelten sich zwar nicht, aber fast all ihre Ersparnisse und Reserven waren aufgebraucht. Ihr Lebensstil war ebenso zerstörerisch gewesen, wie ihre Ernährung oder ihr Schlafentzug. Aber all das war ihr damals egal.Aus dieser Blase des Egal-Seins war sie langsam erwacht. Jeden Tag, den sie freier atmen konnte, ein bisschen mehr. Die letzten vier Wochen hatte sie sich zurück in eine Alltagsroutine gekämpft, die beinah normal war. Holly ging wieder zum Friseur, sie ging einkaufen, sie telefonierte mit Susan Peterson von der Universität. Das war die Sekretärin und Hollys Kontakt zu ihrem Professor. Der hatte ihr nach ihrer Genesung eine Auszeit von einem halben Jahr empfohlen. Doch seit ein paar Tagen spielte sie mit dem Gedanken, schon jetzt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Arbeit würde sie mehr beschäftigen, als die langweiligen Fernsehserien oder die Bücher, die sie allesamt kannte. Ihr fehlte nicht das Budeln im Sand, der Gedanke allein war immer noch mit ihren nächtlichen Albträumen verknüpft, die gegenüber den Tagalbträumen nicht weniger geworden waren. Aber ihr fehlte das Zeichnen. Das Recherchieren. Das Enträtseln und das Gefühl sich mit Dingen zu beschäftigen, die tausende von Jahre alt waren und die daher so herrlich ungefährlich waren. Das fehlte ihr. Das Workaholic-Dasein. Ihr Leben. Aber Holly war sich noch nicht sicher, ob es ihr wirklich gelang, es sich zurückzuholen. Sie war nicht dumm. Das, was passiert war, begleitete sie. Die ständige Angst war immer allgegenwärtig. Auch jetzt noch. Aber sie hatte gelernt, sie zurückzudrängen und zu vergessen. Nichts war richtig normal und doch fing sie an, sich wieder so zu fühlen. Sie beschloss, sich der Meinung der anderen Menschen anzuschließen. Sie gab dem übersinnlichen Horror nicht länger Macht über ihr Leben. ‚Vielleicht’, wisperte eine leise Stimme, ‚war alles doch nur eine Wahnvorstellung’. Die Stimme war leise und doch löste sie Hoffnung aus. So intensiv, dass Holly sie noch stärker spürte, als die Sonne, die sie wärmte. Sie raste durch ihren Körper, ließ sowohl ihre Zehen als auch ihre Haaransätze kribbeln. Sie war endlich frei und konnte das Geschehene hinter sich lassen.Schließlich löste Holly sich von dem Anblick ihres Fensters und ging zur Tür hinaus. Sie hatte schon vor einer halben Ewigkeit zum Einkaufen aufbrechen wollen. Genau das tat sie jetzt. Bis zur nächsten Einkaufsmöglichkeit hatte sie es nicht weit. Ihre Kondition hatte spürbar unter der Zeit gelitten, die sie zuhause gehockt hatte. Aber das Brennen in ihren Muskeln hatte etwas Belebendes an sich.Die Sonne wärmte noch ihre Haut, obwohl der Nachmittag mit dem Einsetzen der Dämmerung gerade in den Abend überging. Holly lächelte, als sie das pulsierende Leben sah, was sie umgab und aufnahm, wie eine verlorene und lang vermisste Tochter. Sie gehörte wieder dazu. Sie war wieder ein Teil der ganz normalen Welt.„Vorsicht!“Die Warnung kam zu spät. Holly prallte mit ihrer Papiertüte, die sie vor der Brust trug und die bis zum Rand mit Lebensmitteln gefüllt war, direkt gegen jemanden. Sie griff erschrocken die Tüte etwas fester und drückte so die oben aufliegenden Äpfel und Tomaten heraus. Die Sachen fielen auf den Bürgersteig und machten ein ungesundes, ploppendes Geräusch.Holly verzog das Gesicht. „Mist!“„Ein Glück, das sie keine Eier gekauft haben.“Zum ersten Mal sah sie zu dem Mann, den sie angerempelt hatte. Sie war davon ausgegangen, dass er längst weitergegangen war. In einer vor Leben pulsierenden Stadt war das Stehenbleiben eine Seltenheit. Doch ihr Auffahrunfall war nicht einfach nur stehen geblieben, er hockte vor ihren Füßen auf dem Boden und sammelte ihre Lebensmittel ein. Verdutzt starrte sie ihn an. Erst zeitverzögert bemerkte sie, wie unhöflich sie sich verhielt.„Entschuldigen Sie!“ Holly hockte sich ebenfalls auf den Boden und stellte die Papiertüte ab. Zum Glück war das Päckchen losen Schwarztees nicht auch herausgefallen. Den hatte sie in ihrer Lieblingsteehandlung gekauft. Der Laden importierte aus den besten Gegenden, und füllte den Tee in durchsichtigen Tütchen ab. Die waren jedoch nur vorsichtig mit einem Sticker zugeklebt. Holly war sich sicher, den Schwarztee überall auf dem Boden verstreut zu finden, wäre er hinausgefallen. Schicksal sei Dank, war er verschont geblieben.„Schwarztee?“Überrascht sah sie zu dem Fremden. Der hatte gerade ihre Tomaten in die Tüte gelegt und dafür das Päckchen Tee herausgenommen. Er lächelte nicht direkt. Aber seine Mundwinkel zeigten freundlich nach oben. Es hätte fast ein Lächeln sein können. Jedoch erreichte es nicht seine Augen. Die waren so grün wie … Oliven vielleicht? Vielleicht auch Frühlingsgras. Sie konnte es nicht genauer sagen, denn die Sonne blendete sie. Anders hätte sie sich den Goldschimmer in seinen grünen Augen nicht erklären können. Denn hätten sie dann nicht warm und freundlich aussehen müssen? Seine Augen sahen aber viel mehr untersuchend, abwartend und beinah … beinah gefährlich aus. Holly schüttelte den Kopf. Sie durfte nicht schon wieder anfangen, Gespenster zu sehen, wo keine waren. Seit wann waren grüne Augen – Goldschimmer hin oder her – gefährlich?„Sie trinken also keinen Schwarztee?“„Was?“ Sie sah wieder zu ihm und damit weg von ihren angeschlagenen Äpfeln. So viel zu dem knackigen Obst, was sie sich hatte gönnen wollen. Nach Wochen des Fastfood sehnte sie sich nach etwas Gesundem. Scheinbar wollte das Schicksal ihr mitteilen, dass Vitamine vollkommen überbewertet wurden.„Sie wirken abwesend. Fühlen Sie sich nicht gut?“, fragte er.Oh verdammt! Es war was völlig anderes unter Menschen zu sein, anstatt ständig allein in ihrer Wohnung zu hocken. Wenn man mit anderen Menschen zusammen war, musste man Unterhaltungen führen. Holly musste sich schleunigst wieder abgewöhnen, so in ihre Gedankenwelt abzudriften.„Tut mir leid. Ich bin bloß etwas zerstreut, wie es scheint. Ich wollte Sie wirklich nicht anrempeln.“„Ich nehme Ihre Entschuldigung an. Um die Wahrheit zu sagen, ist dies ein höchst willkommener Zufall.“„Okay, wieso das?“ Holly musterte ihn fragend. „Sie haben unmöglich den ganzen Tag damit zugebracht, darauf zu warten, von jemandem angerempelt zu werden.“ Sie lachte bei ihren Worten. Er sah jedoch so ernst zu ihr, dass sie sich nicht sicher war, ob er ihren Scherz verstanden hatte.„Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe. Ich sollte jetzt wohl besser gehen.“„Ihr Schwarztee!“Sie sah auf die Packung, die er in der Hand hielt.„Lady Grey. Eine gute Wahl“, sagte er mit einem Lächeln und reichte ihr den Tee.Er kannte sich mit Schwarztee aus? Das war keine direkte Seltenheit in ihrer Heimat. Aber das sich hier jemand damit auskannte schon. Zuhause war sie es gewohnt, stundenlang über Tee zu reden. Jeder hatte was dazu zu sagen, eine Meinung zur richtigen Zubereitung und zur richtigen Sorte. Ob man Earl Grey oder Lady Grey lieber mochte, konnte schon mal von einer Diskussion in einen kultivierten Streit ausarten. Ob nun zuerst der Tee oder die Milch in die Tasse kamen, ebenso. Dafür hatten Amerikaner ihren Erfahrungen nach so überhaupt kein Verständnis.„Sie trinken also gerne Schwarztee?“, wollte er wissen. Die Art der Frage rang ihr augenblicklich ein Lächeln ab.„Ja, ich liebe Schwarztee. Am liebsten zur Beruhigung oder zum Nachdenken. Manchmal auch einfach zum Entspannen. Aber mit Milch und ein wenig Zucker. Sonst mag ich ihn nur halb so gerne.“ Neugierig sah sie zu ihm. „Welche Sorte trinken Sie?“„Assam.“ Sein Lächeln erreichte seine Augen. Es ließ sie viel wärmer erscheinen. Er wirkte dadurch offener und so nett, dass sie sich tatsächlich fragte, wie alt er wohl war. Doch da schloss er schon wieder die Augen und der Moment war vorbei. Sein Lächeln glättete sich sofort. Aber seiner Stimme hörte sie es noch an.„Mit Milch, aber ohne Zucker“, verriet er ihr.„Täte dem Assam auch Gewalt an, ihn mit Zucker zu trinken.“„Ist das so?“„Warum kräftigen, bitteren Schwarztee trinken, wenn man ihn dann doch süßt?“„Ich werde mich hüten, Ihnen zu widersprechen.“„Ach ja?“„Einer Dame widerspricht man nicht.“Okay. Schwarztee, nein, Assam mit Milch. Und er nannte sie eine Dame.„Sie sind kein Amerikaner oder?“ Holly musterte den hellgrauen Anzug und da stach ihr die Graham Uhr ins Auge, die er trug. Eine der beliebtesten Uhrenmarken Großbritanniens. Ihr Vater trug sie auch. „Woher kommen Sie?“„London.“Holly nickte bestätigend. „Das dachte ich mir. Dass Sie Brite sind. Es ist die Art, wie Sie reden.“ Jetzt passte auch sein Akzent ins Bild. Er war ihr so vertraut. Ein Stück Heimat, dass ihr wie selbstverständlich erschien und erst jetzt auffiel, da sie wusste, woher er kam.„Sie kommen auch aus London?“„Nein. Ich lebe in Downtown Miami. Aber ich bin gebürtige Engländerin.“ So langsam wurden ihr die Arme schwer. Aber sie wollte noch nicht gehen. Seit Wochen, ach was Monaten, war dies das erste Gespräch das sie mit jemand anderem, als sich selbst, dem Anrufbeantworter oder Susan führte. Das hier war nett. Auf eine merkwürdige und völlig verdrehte Art.„Was für ein Zufall. In der Tat. Was machen Sie hier? Urlaub? Oder sind Sie geschäftlich unterwegs?“„Geschäftlich.“„Ach so.“ Sie lächelte. Das hätte ihr klar sein müssen. Seine Antwort kam nicht überraschend.„Genau genommen war ich auf der Suche nach Holly Martin, aber wie mir scheint, hat der Zufall mich direkt zu Ihnen geführt.“Sie kniff die Augen zusammen und befeuchtete nervös die Lippen. Es war ihr, als hätten sich die ersten Wolken über die Sonne geschoben und es wurde merklich frischer. „Woher kennen Sie meinen Namen?“„Das würde ich vorziehen, nicht auf offener Straße zu bereden. Sie sehen außerdem so aus, als sollten Sie die Tasche nach Hause tragen. Wenn Sie möchten, kann ich das übernehmen.“„Ach ja?“„Ich war sowieso auf dem Weg zu Ihnen. Da kann ich auch Ihre Tasche tragen.“Er sagte das so völlig selbstverständlich, dass sie verblüfft Luft holte. „Was wollen Sie von mir? Wer sind Sie?“„Mein Name ist James Wescott. Ich bin hier, weil ich Grund zur Annahme habe, dass Sie in Gefahr sind, Ms. Martin. Ich bin hier, um Ihnen Schutz anzubieten, den Sie unbedingt annehmen sollten.“„Bitte, was?“ Ein bitteres Lachen staute sich in ihrer Kehle an, aber sie würgte es hinunter. Das Schicksal hatte wirklich einen seltsamen Sinn für Komik. Begrüßte sie an einem sonnig schönen Nachmittag zurück im Leben der Normalität, um ihr dann einen Spinner zu schicken, den sie gerade noch nett gefunden hatte.„Tut mir leid. Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Sie müssen mich mit jemandem verwechseln, Mr. Wescott.“„Das denke ich nicht.“Sie drehte sich um und ließ ihn stehen. Das war unhöflich von ihr, aber Holly war es egal. Sie ging stur weiter, obwohl er sie unbeeindruckt anredete und dabei nicht lauter wurde.„Sie wissen, dass es ihn gibt. Sie wissen, was wirklich passiert ist in Ägypten. Holly! Es zu vergessen, ihn zu ignorieren ist ein Fehler, der tödlich enden wird. Machen Sie das nicht!“Für den Bruchteil einer Sekunde zuckte sie zusammen. Ihre Füße wollten plötzlich nicht weitergehen. Wusste er wirklich, was in Ägypten passiert war?„Ich kann Ihnen helfen.“Sie spürte, dass er eine Antwort wollte. Dass er ihr gefolgt war. Diese Vorstellung reichte, um ihre Füße wieder in Bewegung zu setzen.„Lassen Sie mich bloß in Ruhe!“ Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, wie er ihr folgte. „Ich brauche Ihre Hilfe nicht“, zischte sie und war sich sicher, er hatte ihre Worte gehört. Er zog es bloß vor, sie zu ignorieren. Holly drehte sich um und beschleunigte ihre Schritte. Genau das, was ihr gefehlt hatte. Ein Spinner, der sie mit der Sache von damals belästigte. Als hätten all die aufdringlichen und ihre Intimsphäre in keinster Weise berücksichtigenden Reporter nicht ausgereicht. Es schien als gäbe es kein interessanteres Thema als eine unter Schock stehende, von Bestien faselnde Archäologin. Wobei das eigentliche Wunder des Interesses wohl das war, das sie die einzige Überlebende des tragischen Unglücks war, dass die gesamte Universität und das Museum of History entsetzt und bestürzt hatten. Wochenlang hatte Holly die Journalisten ertragen und in die Schranken weisen müssen. Schließlich hatte sie sich sogar per Anwalt gewehrt, um die Aufdringlichkeit der Presse zu unterbinden und endlich in Ruhe gelassen zu werden. Sie hatte so sehr gehofft, das alles hinter sich gelassen zu haben. Und nun tauchte so ein Kerl, wie der auf. Nein! Sie hatte damit abgeschlossen. Mit der Vergangenheit. Mit allem.