11,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 11,99 €
Covered Colors ist SPIEGEL-Bestseller! Er hat eine Gabe. Sie ist seine Muse. Nova hat ein Problem. Die Edelsteinerbin braucht einen respektablen Job und – noch viel wichtiger – eine vorzeigbare Beziehung. Und zwar dringend. Am besten, noch bevor ihr Vater in die Stadt kommt. Nach einer stürmischen Nacht mit Henry Saint Clair, der so gar nicht in Novas übliches Beuteschema passt, beginnt ein Plan in ihr heranzureifen: Henry soll ihren Freund spielen. Im Gegenzug kann sie ihm dabei helfen, die eine Sache wiederzufinden, die er vor Jahren verloren hat: seine Liebe zur Kunst. Denn ausgerechnet Nova entpuppt sich als Muse des einstigen Kunstwunderkindes, durch die Henry mit einem Mal wieder dieses Kribbeln in den Fingern spürt … Intrigen, Skandale und gebrochene Herzen In der Fortsetzung der Golden-Hearts-Trilogie verknüpft Marina Neumeier erneut auf gekonnte Weise die Einzigartigkeit der Kunstwelt mit Münchens High Society. Luxus trifft Leidenschaft in dieser spicy Opposites-attract-Romance.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 572
Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhalt
Playlist
1NOVAMünchen, wir haben …
2NOVAGespottet: @luis_hrzg, der …
3NOVASelbst eure liebsten …
4HENRYJesus fucking Christ. …
5NOVAAlle lieben Maskenbälle! …
6HENRY»Zum allerletzten Mal, …
7NOVAKinder, wir haben …
8NOVAAufgepasst, Kindel, unsere …
9HENRYIch will nicht …
10NOVABREAKING NEWS: @supernova …
11HENRYIch hasse Novas …
12NOVAWir geben zu, …
13HENRYEs ist kurz …
14NOVANa, na, na, …
15NOVALiebe Kindel, kündigt …
16HENRYDie schneeweiße Freitreppe …
17NOVALeutchen, Leutchen, wer …
18NOVACuteness der Woche: …
19HENRY»Okay, Gaspard, bitte …
20NOVAWir unterbrechen das …
21NOVAEs ist nur …
22NOVADiese Woche ist …
23HENRY»Weißt du, Arschgesicht, …
24NOVAKaum hat der …
25HENRYMein Geburtstag ist …
26NOVAWas der Place …
27NOVASkandal im Sperrbezirk, …
28NOVABREAKING NEWS!! Keine …
29HENRYDie Zeit scheint …
30NOVAHeute ist ein …
EpilogNOVAIst diese Holzbank …
Danksagung
Triggerwarnung
Liebe Leser*innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für die gesamte Geschichte!
Wir wünschen euch das bestmögliche Lesevergnügen.
Für alle, die sich immer ein bisschen unwohl dabei fühlen, vor anderen zu essen. Für alle, die beim Kleiderkaufen das Gefühl bekommen, dass sie unpassend sind; nicht die Schnitte.
Playlist
John Borleo – Champagne Supernova
Imagine Dragons – Demons
Taylor Swift – But Daddy I Love Him
Shirin David – Brillis
Taylor Swift – The Archer
Jack Harlow – Lovin On Me
The Neighbourhood – Daddy Issues
Taylor Swift – Bejeweled
shy niko – icy girl
Neon Trees – Everybody Talks
Imagine Dragons – Next to Me
Maroon 5 – She Will Be Loved
ELIF – Unter meiner Haut
Why Don’t We – Hooked
KUMMER – Bei Dir
Bausa und Apache 207 – Madonna
Marilyn Monroe – Diamonds Are a Girl’s Best Friend
Nova
@muenchner_kindel
München, wir haben ein Wörtchen mit dir zu reden. Haben dieses Jahr alle ihre Neujahrsvorsätze zuuu ernst genommen und sind übermäßig brav? Wo ist das Drama? The sparkle? Dürfen wir daran erinnern, dass März ist und es bisher keinen nennenswerten Skandal gegeben hat? Schocker! Schickeria, wir erwarten mehr Einsatz, vor allem jetzt, da die närrische Zeit in vollem Gange ist.
Nachricht senden
»Hat jemand von euch eine Ahnung, was Ophthalmologie ist?«
Ich schaue vom Display meines Handys auf und blicke fragend zwischen meinen beiden besten Freunden Lilli und Hugo und unserer Nachbarin Minnie hin und her. Wir vier sitzen seit etwa zwei Stunden im Wohnzimmer unserer WG und bereiten uns mit lockerem Vorglühen und einer Sushi-Lieferung auf den heutigen Abend vor. Zugegeben, wir sind hauptsächlich mit Trinken beschäftigt, denn obwohl wir zu einer Faschingsparty gehen, erfordert die Veranstaltung keine aufwendige Kostümierung – ganz nach meinem Geschmack und der einzige Grund, warum ich mich dazu habe überreden lassen, am Rosenmontag zu feiern. Das letzte Mal habe ich mich als Kind in ein kratzendes Polyesterkostüm gezwängt, in dem man nach fünf Minuten wie eine ungeduschte Fußballmannschaft riecht, und dabei will ich es belassen.
Stattdessen verlangt der legendäre Münchner Medizinerball im Bayerischen Hof nach einem White-Tie-Dresscode plus Maskierung. Und zwar Maskierung wie in verrucht-geheimnisvolle Gesichtsmasken aus Samt und Satin und nicht Ich verstopfe mir die Poren nachhaltig mit Kinderschminke, indem ich mich wie ein Clown anmale.
Minnie, die deutlich zurückhaltender ist als wir drei und von Lilli sanft, aber beharrlich dazu genötigt wurde, sich uns heute Abend anzuschließen, scheint sich unsicher zu sein, ob von ihr ernsthaft eine Antwort erwartet wird. Sie studiert Malerei und ist erst Ende Januar von einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Florenz zurückgekehrt. Und obwohl ich sie bis dahin eher oberflächlich von Begegnungen im Hausflur kannte, ist mir sofort klar gewesen, dass sie eine Weile brauchen würde, um aufzutauen. Da ist sie bei Lilli in den besten Händen und ich glaube, dass wir eine ruhige, besonnene Komponente in unserem Gespann gut gebrauchen können.
Hugo, der sich seine sandblonden Haare minutiös mit Klammern festgesteckt hat, damit sie später die perfekte Wasserwelle ergeben, wirft mir einen desinteressierten Seitenblick zu. »Klingt wie eine Geschlechtskrankheit. Hast du Angst, sie dir eingefangen zu haben, oder warum willst du das wissen?«
Von Lilli kommt ein Kichern. »Du hast literally ein Handy in der Hand, Nova. Das Zauberwort heißt Google.«
Ich gebe den zwei Klugscheißern mein bestes Augenrollen und Hugo ergänzt: »Was auch immer dieses Wort bedeutet, du hast es definitiv dermaßen falsch ausgesprochen, dass selbst Google dich nicht verstehen würde. Wie war das gleich, Oralmonogamie?«
Manchmal frage ich mich echt, warum ich es mir antue, mit den beiden zusammenzuwohnen. Ich könnte mich wunderbar dekadent in einer Suite im Mandarin Oriental einmieten, das Spa nur eine Aufzugsfahrt entfernt, und einfach den hauseigenen Butler beauftragen, solche Fragen für mich zu beantworten. Der wäre zumindest nicht so frech wie diese Landplagen.
»Oph-thal-mo-lo-gie«, übe ich mit konzentriert gerunzelter Stirn die korrekte Aussprache. »Oph-thal-mo-lo-gie.« Immerhin habe ich beschlossen, das Wort an diesem Abend noch einige Male zu sagen.
»Das ist Augenheilkunde«, wirft Minnie ein, die das Googeln übernommen hat und mir mit jeder Sekunde mehr ans Herz wächst.
Augenheilkunde also … hm. Nicht gerade sexy, aber who cares?
»Ohne Witz, Supernova, was soll das werden?« Inzwischen habe ich wohl Hugos aufrichtiges Interesse geweckt, denn er beobachtet mich neugierig.
»Ich habe online nachgeschaut, welche Facharztrichtung das höchste Bruttogehalt hergibt, und das ist mit Abstand Ophthalmologie. Chirurgen schmieren dagegen heftig ab.«
Lilli, bei der der Groschen direkt gefallen ist, prustet los. »Nova, nicht dein Ernst!«
»Klar.« Lässig zucke ich mit den Schultern. »Der Ball ist nicht ausschließlich für Mediziner und ihr könnt euch sicher sein, dass ich jeden, dem ich über den Weg laufe, zuerst nach seiner Fachrichtung fragen werde, bevor ich ihm erlaube, mit mir zu tanzen oder mir einen Drink auszugeben.«
Die beiden schütteln sich regelrecht vor Lachen, während Minnies Gesicht ein einziges Fragezeichen ist. Noch kennt sie mich nicht so gut und Lilli erklärt etwas atemlos: »Nova hat sich zum Ziel gesetzt, so bald wie möglich einen reichen Ehemann klarzumachen.«
Ich verdrehe die Augen. »Wenn du es so formulierst, klingt das furchtbar oberflächlich und materialistisch.«
»Bist du das nicht?« Grinsend wischt sich meine beste Freundin über die tränenden Augenwinkel, ehe sie Minnies tiefrotes Haar weiterflicht.
»Okay, ein Teil von mir definitiv. Aber in erster Linie will ich Gold Digger vermeiden, indem ich ihren Kontostand checke und mir sicher sein kann, dass sie mich nicht wegen meinem wollen.« Been there, done that und ich habe die Nase voll davon. Sollte es mit meinem Traum von der Ehe nicht klappen, reicht es vollkommen, wenn ich mit Mitte fünfzig eine Cougar werde und einen Toyboy durchfüttere. Ich habe in meinem Leben und dem meiner Mutter zu viele Männer kommen und gehen sehen, die uns Gott und die Welt versprochen haben und am Ende nur hinter den Brillis her waren. Meine strikten Kriterien sind reine Vorsichtsmaßnahmen und ich habe schon lange aufgehört, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, ob ich dadurch unsympathisch oder abgehoben wirke. Es ist meine Welt und sie läuft nach meinen Regeln.
Minnie nickt, als könnte sie mich verstehen, und Hugo ist ein Schatz, der nicht weiter nachhakt, sondern eine neue Flasche Champagner entkorkt.
Das Kleid, das ich mir für heute ausgesucht habe, ist allein für sich in seiner schlichten Eleganz spektakulär. Bodenlang, tiefroter Samt, herzförmiges Corsagen-Dekolleté, Beinschlitz. Und ein Rückenausschnitt, der fast bis zum Po reicht und weitestgehend meine Rückseite frei lässt. Ich hätte es dabei belassen können, um für Aufsehen auf dem Ball zu sorgen, aber da ist ein Schmuckstück aus der Sammlung meiner Mutter, das bereits viel zu lange auf seinen großen Auftritt wartet. Meine Mutter, Nadja Sobieska, hat sich ein Schmucklabel aufgebaut und handelt dafür regelmäßig mit den besten Steinen auf der berühmten Diamantenbörse in Antwerpen. Die Frau ist eine Naturgewalt in ihrem Business und gehört nicht grundlos zu den erfolgreichsten in ihrer Branche. Und ich bin ihr bevorzugtes Aushängeschild, das sie liebend gern mit Protostücken und Sonderanfertigungen überhäuft.
Eines dieser Teile habe ich gestern aus dem Tresor in unserem Keller geholt und heute Morgen sorgsam auf meinem Bett ausgebreitet, damit sich die vielen Kettchen und Stränge nicht verheddern: Es ist ein spektakuläres Collier, das vom Nacken bis hinunter zu meinem Steiß reicht. Mehrere mit Diamanten und Swarovskis besetzte Stränge werden an den Seiten meines Kleides entlang mit eingearbeiteten Stecknadeln und Klammern befestigt und bilden auf meinem bloßen Rücken ein Gitternetz aus funkelnder, unvergleichlicher Pracht. Lilli und Minnie haben mir gerade dabei geholfen, das Prunkstück anzulegen, und bestaunen es mit großen Augen, während ich mich vor meinem Spiegel drehe und wende. Mich mit kritischem Blick begutachte, um zu checken, ob alles so sitzt, wie es soll.
Ich bin keine schlanke Person, war ich noch nie, und es stört mich überhaupt nicht, dass sich ein paar Speckröllchen direkt unter den Schulterblättern abzeichnen. Die Diamanten funkeln so gleißend, dass sowieso keiner darauf achten wird, und mein Hintern in diesem Kleid … Showstopper. Mehr sage ich nicht.
Es kostet eine Menge Energie und Durchhaltevermögen, um dieses Mindset über meine Figur und mich aufrechtzuerhalten, aber wenn ich es nicht tue, macht es niemand. Ich muss meine eigene beste Cheerleaderin sein und diese Überzeugung nach außen tragen, um zu kontrollieren, wie andere mich wahrnehmen. Und wenn das heißt, Tag um Tag die selbstbewusste, selbstverliebte Nova zu sein, dann ist es so.
»Immer wenn ich denke, du könntest dich nicht selbst übertreffen, gelingt es dir doch.« Weiterhin baff schüttelt Lilli den Kopf und kommt dann rüber, um mir einen schmatzenden Kuss auf die Wange zu drücken. »Wenn du dir heute Abend keinen Kerl angelst, weiß ich auch nicht weiter.«
Mein Lächeln ist aufrichtig, als ich ihr Kompliment annehme, einen Arm um sie schlinge und sie kurz an mich ziehe. Ich will an ihre Worte glauben; den Part, in dem es darum geht, den Einen zu finden. Bestenfalls heute Abend und für immer.
Die Sache ist nur die: Mir jemanden zu angeln, ist nie das Problem gewesen. Dass sie bei mir bleiben, dagegen sehr wohl.
Einlass zum Medizinerball ist um zwanzig Uhr und selbstverständlich ist es nach neun, als wir am Bayerischen Hof vorfahren. Hugo, der als Erbe eines uralten Grafentitels auf Luxus wie einen Fahrer der Familie zugreifen kann, hat uns seinen privaten Chauffeurservice organisiert, der uns vor dem Luxushotel absetzt. Nach dem Vorzeigen unserer Einladungen stoßen wir auf den Rest der Truppe, der anscheinend auf uns gewartet hat, bevor wir uns alle im Großen Festsaal ins Getümmel stürzen. Lilli wirft sich prompt in die Arme eines großen dunkelhaarigen Kerls in maßgeschneidertem Smoking – ihr Freund, Vincent, der sie umschlingt, als hätten sie sich ein halbes Jahr nicht gesehen. Trotz seiner Maske fällt mir auf, dass er eine Miene wie sieben Tage Regenwetter zieht. Offensichtlich bin ich mit meiner Abneigung gegen Fasching nicht allein. Neben ihm steht Lillis jüngerer Bruder Luis, genauso groß wie Vincent, das dunkelblonde Haar verstrubbelt, und irgendetwas gibt mir das Gefühl, dass er sich in seinem Frack verkleidet vorkommt. Und dahinter … die üblichen Verdächtigen: Marius Marquart, Lisa-Marie Schönberg, Amaya Mansoor. Wir treten zu ihnen und das Geschnatter wird ohrenbetäubend. Wangenküsschen fliegen wie Geschosse durch die Luft, Outfitkomplimente werden verteilt … und ein lang gezogener Pfiff ertönt.
»Mamma mia, Sobieska. Willst du uns heute Abend alle töten?« Marius hat einen Blick auf meine Rückseite erhascht und gibt sich beste Mühe, wie der Fuckboy zu klingen, der er ist. Aber sosehr er sich bemüht, bei mir wird er nicht landen – auch wenn seinem Papa die Hälfte der Münchner Immobilienwelt gehört.
»Falls du dir Sorgen machst, an blauen Eiern zu sterben, weil ich dich niemals ranlassen werde: Die Chancen stehen nicht schlecht.«
Er greift sich an die Brust, als hätten ihn meine Worte wie ein Giftpfeil getroffen, und lacht. »Keine Ahnung, ob ich den Kerl, der dich irgendwann abkriegt, bemitleiden oder feiern soll.«
»Zerbrich dir nicht den hübschen Kopf darüber.« Ich schicke ihm ein Luftküsschen und krame meine Maske aus der Handtasche. Schon beim Einlass sind wir ermahnt worden, ja unsere Maskierung anzulegen, und irgendwie brenne ich geradezu darauf. Nicht, dass ich wirklich denken würde, die Halbmaske aus rotem Samt würde tatsächlich meine Identität verschleiern, doch immerhin können wir eine Weile so tun. Die Illusion ist das halbe Vergnügen und ich werde nach allen Regeln der Kunst in ihr aufgehen. Heute bin ich Nova Sobieska, die ihre große Liebe finden wird. Nicht die Nova, die gut genug fürs Bett ist, aber darüber hinaus niemanden lange halten kann. Eine Nova, die gekommen ist, um zu erobern, und länger bleiben wird als eine Nacht. Und wenn dabei ein Ophthalmologe für sie rausspringt, umso besser.
Nova
@muenchner_kindel
Gespottet: @luis_hrzg, der sich mit einer rothaarigen Unbekannten einen hitzigen Schlagabtausch an der Bar des Medizinerballs geliefert hat. Quellen vor Ort wissen zu berichten, dass unser sonst so smoother Womanizer ziemlich außer sich schien. Unfassbar, aber existiert dort draußen wirklich eine Frau, die immun gegen den legendären Luis-Charme ist? Wer ist sie? Und was müssen wir tun, um mehr Details über ihr Verhältnis zu Hottie Herzog zu erfahren?
Nachricht senden
Der mäßig talentierte Sänger der Band grölt Wolfgang Petrys Wahnsinn durch den gesteckt vollen Festsaal und ich habe einen Schlager nie mehr gefühlt, als die Faschingsmeute Hölle, Hölle, Hölle! im Chor brüllt.
Mediziner sind ein einziger Haufen wandelnder Red Flags. Zumindest diejenigen, denen ich bisher begegnet bin. Es geht auf Mitternacht zu und ich bin so frustriert, dass ich schreien könnte. Aller Optimismus vom frühen Abend ist längst verpufft; ausgelöscht von all den Severins und Ravis und Patricks, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin und die sich einer nach dem anderen als unerträglich herausgestellt haben. Keiner, ich wiederhole, kein Einziger ist ohne einen sexistischen Spruch ausgekommen und Ophthalmologen sind sie auch nicht gewesen. Nun lehne ich an der Bar und erhole mich von meinem letzten Gespräch mit einem Medizinstudierenden, der sich als Sean vorgestellt hat. Die Unterhaltung lief ungefähr so:
Ich: »Und, hast du dich für eine Fachrichtung entschieden? Ophthalmologie soll ein spannendes Feld sein.«
Er: »Ich werde zwar Radiologe, aber ich weiß genug über Augenheilkunde, um sagen zu können, dass ich meinen Blick nicht mehr von deinen Titten nehmen kann, Baby. Du hast meine Augen verhext.«
An diesem Punkt hätte ich ihm fast meinen Drink ins Gesicht geschüttet. Doch anstatt meinen köstlichen French 75 an ihn zu verschwenden, habe ich auf dem Absatz kehrtgemacht, mein Glas in einem Zug geleert und warte jetzt auf meinen nächsten, dringend benötigten Gin-Champagner-Cocktail.
Die Hitze im Saal ist unerträglich, meine Samtmaske klebt mir unangenehm auf dem Gesicht und am liebsten würde ich gehen. An Fasching feiern zu gehen, war einfach eine blöde Idee. Ich weiß schon, warum ich damit genauso wenig anfangen kann wie mit Halloween; Verkleidung hin oder her. Die Leute sind in so einem unausstehlichen Ballermann-Gröl-Modus und wenn überhaupt aufs Vögeln aus. Etwas, das heute Abend nicht zu meinen primären Zielen gehört. Wahrscheinlich ist die Hoffnung naiv gewesen, auf einer Veranstaltung wie dieser jemanden zu treffen, der es ernst meint.
Meine Freunde habe ich vor einer Ewigkeit aus den Augen verloren. Hugo hat sich auf magische Weise in Luft aufgelöst, nachdem uns Geflüster darüber erreicht hat, dass Julien Gaspard mit einigen seiner Teamkollegen aufgekreuzt sei, und Lilli und Vincent habe ich das letzte Mal eng umschlungen zu Ohne dich tanzen gesehen. Doch da … als ich mich auf meinem Barhocker drehe und den Blick schweifen lasse, sticht mir Minnies flammend rotes Haar zwei Plätze weiter ins Auge. Der Kerl, der direkt neben mir sitzt, versperrt mir ein wenig die Sicht auf sie, aber Minnie redet so laut, dass ich sie über den allgemeinen Lärmpegel hinweg verstehen kann.
»Du behauptest nicht ernsthaft, die Akademie sei nutzlos!«
Oha, so laut und empört habe ich unsere ruhige Minnie Maus ja noch nie gehört. Interessiert beuge ich mich vor, luge an den breiten Schultern vorbei und stelle zu meinem Erstaunen fest, dass Minnie sich mit Luis zankt. Mit verschränkten Armen steht er unmittelbar vor ihr und grinst sie so provokant an, dass selbst eine Heilige an die Decke gehen würde. Seine Maske verbirgt nicht, wie sehr er es genießt, sie gegen sich aufzubringen. Meine Güte, der Junge weiß manchmal echt nicht, was gut für ihn ist. Nun, mir jedenfalls ist die Show der beiden als Ablenkung von meiner eigenen Misere überaus willkommen. Man reiche mir Popcorn!
»Ich sage bloß, dass deine geliebte Akademie aus niemandem einen guten Künstler macht. Ohne Talent könnte man sich von Picasso selbst unterrichten lassen und wäre am Ende auch kein Genie.«
»ES SIND NUR LEUTE MIT TALENT AN DER AKADEMIE!«
»Tja, komisch, denn ich bin nicht dort und dennoch besser als alle, die lieber über Kunst reden, anstatt sie zu machen.«
»Graffiti ist keine Kunst, sondern Sachbeschädigung!«
»Und du bist süß, wenn du sauer bist. Trotzdem würde ich dich nicht einmal mit der Kneifzange anfassen.«
»Fass mich an, Luis Herzog, und ich zeige dir, was eine langweilige Akademiestudentin mit ihren Utensilien anstellen kann!« Minnie stürmt davon, jedoch nicht, ohne Luis dabei kräftig mit der Schulter zu rammen. Kopfschüttelnd und mit funkelnden Augen sieht er ihr hinterher, ehe er in die andere Richtung abzieht. Das war … Wow, ich glaube, mein Unterkiefer ist offiziell auf den Fußboden geknallt. Ich mache mir eine mentale Notiz, morgen bei Minnie zu klingeln, um mir eine Tasse Mehl zu leihen und ihr alles über dieses Spektakel aus der Nase zu ziehen. Die Gute ahnt nicht, was sie sich mit einer Freundschaft mit uns aus dem dritten Stock eingebrockt hat.
»Hat dir nie jemand gesagt, dass es ungezogen ist, die Gespräche anderer zu belauschen?« Eine tiefe Stimme, dunkel und herb wie Zartbitterschokolade, dringt an mein Ohr.
Ein Blitz rast bei diesem Klang jäh durch meinen Körper, sorgt dafür, dass sich jeder Muskel anspannt und ich sofort aufrecht sitze. Langsam drehe ich den Kopf nach rechts, zu dem Kerl auf dem Barhocker neben mir, den ich nur als Hindernis wahrgenommen habe, als es darum ging, Luis und Minnie zu beobachten. Doch jetzt materialisiert er sich vor meinen Augen und ich frage mich, wie zum Teufel ich ihn nicht bemerken konnte. Selbst im Sitzen wird deutlich, dass er groß ist und den klassischen schwarzen Smoking sehr gut ausfüllt. Dieser erste Blitz, er verzweigt sich sofort, verästelt sich in meiner Blutbahn zu etwas Heißem und Elektrisierendem, während ich die messerscharfe Jawline, die leicht hohlen Wangen und die irre markanten Wangenknochen am Rand seiner Halbmaske betrachte. Die untere Gesichtshälfte schreit Perfektion und Moment mal … Diese Züge kommen mir verdammt bekannt vor. Das ist doch das typische Saint-Clair-Blau, das durch die Augenschlitze seiner Maske leuchtet?
Zu meiner Schande muss ich eingestehen, dass mich die Erkenntnis, wen ich gerade angeiere, beinahe rücklings von meinem Hocker wirft. Ich verliere tatsächlich im Sitzen das Gleichgewicht und auch wenn ich mir sicher bin, dass ich nicht gefallen wäre, lässt er seine Hand vorschnellen und stützt mich. Die Spitzen und Kanten meines Rückencolliers bohren sich in meine bloße Haut, aber ich spüre nur die Hitze seiner Finger, die Metall und Diamanten augenblicklich erwärmt. Fuck, eine Berührung und er droht, ein Brandmal auf mir zu hinterlassen.
»Du bist … nicht Vincent.«
Seine Hand verweilt an meinem unteren Rücken, obwohl ich mich längst wieder gefangen habe, und ich kann mich nicht dazu durchringen, sie wegzuschieben. Diese Geste ist so galant und das Prickeln, das sie über meine Haut schickt, etwas, das ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Sämtliche abwertende Gedanken darüber, dass hier alle nur vögeln wollen, verflüchtigen sich, als sich in mir selbst Hunger regt. Heißhunger auf mehr von diesen Händen auf mir. Es ist ein spontaner, intensiver Impuls, der mich überrascht und nicht loslässt. Eine winzige Berührung hat genügt, um ihn zu entfachen. Was könnte erst passieren, sollte seine Hand weiterwandern? Mehr von mir berühren, mehr von mir in Brand stecken?
»Hundert Punkte, ich bin nicht Vincent.« Amüsement schwingt in seiner Stimme mit, während das, was ich von seinem Gesicht sehe, ernst bleibt. »Aber das wusstest du direkt, nicht wahr? Ansonsten hätte ich längst einen Tritt in die Eier kassiert.«
Hinter meiner Maske ziehe ich die Brauen hoch. »Warum hätte ich das tun sollen?«
»Weil mein Bruder mit deiner besten Freundin zusammen ist und du es ihn hättest spüren lassen, wenn er mit anderen Frauen flirten würde.«
Ah, er weiß also auch, wer ich bin. Diese Masken sind derart nutzlos.
Meine Mundwinkel zucken. »Du flirtest also mit mir, Henry?« Ich lasse seinen Namen bewusst über meine Zunge rollen, mit dieser rauchigen Härte des polnischen Akzents, der sich immer wieder bei mir einschleicht. Obwohl ich in München geboren und aufgewachsen bin, habe ich zu Hause bis zum Kindergarten fast ausschließlich Polnisch gesprochen und Deutsch erst später gelernt.
»Wenn du es nicht merkst, muss ich dringend an meinen Skills arbeiten.«
Keine Ahnung, was gerade passiert. Oder weshalb. Das hier ist Henry Saint Clair … Vincents Bruder. Der irgendetwas mit mir anstellt, das meinen Hormonhaushalt durchdrehen und mich hinterfragen lässt, wieso er mir bisher nie aufgefallen ist. Oder warum er diesen Abend gewählt hat, um wie aus dem Nichts aufzutauchen und mich durcheinanderzubringen. Ehrlich gesagt habe ich ihn bis jetzt nicht wirklich auf dem Schirm gehabt. Henry hält sich größtenteils aus unserer Schickeria-Bubble raus, ist selten dabei, wenn wir ausgehen oder abhängen, und bleibt generell eher im Hintergrund. Das letzte Mal habe ich ihn bei unserer Silvesterparty gesehen und auch da hatten wir gefühlt zero Interaktion.
Wenn überhaupt, ist er immer nur Saint Clairs jüngerer Bruder für mich gewesen. Mit Betonung auf jünger. Nicht dieser Mann, der mit selbstbewusster Lässigkeit so dicht neben mir sitzt, dass der Ärmel seines Jacketts meinen bloßen Arm streift und ich sein Bein an meinem spüre. Wann sind wir uns so nahe gekommen? Und wieso fällt es mir so verdammt schwer, normal zu atmen?
»Bist du nicht ein bisschen zu jung, um mit den großen Mädchen zu spielen?«, necke ich ihn, denn Angriff scheint mir die beste Methode zu sein, um wieder die Oberhand zu gewinnen. Irgendwie muss ich diese Verwirrung, die er in mir auslöst, besiegen und mich zusammenreißen.
Nachdenklich streicht sich Henry mit dem Daumen über die Unterlippe und lenkt meine Aufmerksamkeit damit auf seinen Mund. Volle, verheißungsvolle Lippen, die der perfekte Kontrast zu den strengen, finsteren Linien seines Gesichts sind. Und noch etwas fällt mir auf: die Tätowierungen auf seinem Handrücken und seinen Fingerknöcheln. Nicht nur halbherzige, kleine Motive, sondern Tinte, die praktisch jeden Winkel seiner Haut bedeckt.
»Wie alt bist du, Nova?«
»Dreiundzwanzig.«
Er lässt seine Finger über meinen Rücken gleiten, dreht wie nebenbei ein paar baumelnde Diamanten und streicht spielerisch die Kettchen entlang. Ich spüre die Bewegung bis tief in meinen Unterleib zucken.
»Ich werde am zehnten Mai dreiundzwanzig«, entgegnet er dann. »Und ich denke, ich könnte es durchaus mit dir aufnehmen.«
Der Atem entweicht mir mit einem stummen Seufzen. Die Ballermann-Schlager-Musik um uns herum ist längst in den Hintergrund gerückt, verdrängt von diesem Kokon, in den mich seine Stimme wickelt.
»Warum?«, frage ich.
Er neigt den Kopf und ein paar dunkle Strähnen fallen ihm in die Stirn. »Warum was?«
»Warum bist du gerade hier? Mit mir?« Gespannt halte ich die Luft an, ehrlich neugierig auf seine Antwort.
Henry lehnt sich auf seinem Hocker zurück und sein Blick schweift zu dem beleuchteten Wandregal voller Alkoholflaschen hinter der Bar. Es wäre mir lieber, er würde mich ansehen.
»Für die Akten: Ich war schon da, als du dich neben mich gesetzt hast.« Wieder dieser Anflug von Humor in seiner Stimme, den er sich mit keiner Regung anmerken lässt. »Und dann war da dieser superfrustrierte Seufzer und ich konnte nicht anders, als was zu sagen.« Mit den Fingern pult er am Etikett seiner Bierflasche, das sich an den Ecken löst. »Ist etwas passiert?«
Er klingt beiläufig, doch irgendetwas sagt mir, dass Henry nicht der Typ ist, der beiläufige Fragen stellt. Wie gesagt, ich weiß, dass er eher ruhig ist und nur dann spricht, wenn er einen triftigen Grund dazu hat. Nicht wie ich, die ständig ohne Punkt und Komma plappert. Auch jetzt kann ich einfach nicht den Mund halten.
»Dieser Abend hat mir auf ganzer Linie demonstriert, welche Vollpfosten Männer sein können.«
Henry dreht den Kopf zu mir und ich klopfe mir innerlich auf die Schulter, seine volle Aufmerksamkeit zurückerobert zu haben. »Da kann ich dir nicht widersprechen. Kerle können so scheiße sein«, sagt er mit einem winzigen Schmunzeln. »Aber nicht alle.« Seine Hand, die sich noch immer auf meinem Rücken befindet, wandert von Edelstein zu Edelstein.
»Du meinst also, du bist die Ausnahme von der Regel?«
»Ich kann es zumindest probieren. Soll ich dich von deinem Frust ablenken?«
Sein Angebot schwebt in der aufgeladenen Luft. Vieldeutig und verlockend. Ehrlich, es fühlt sich so an, als würde statische Ladung zwischen uns funken, und ich kann der Versuchung nicht widerstehen. Henry ist so anders als die Typen, hinter denen ich sonst her bin, und irgendwie macht es genau das umso aufregender. Und vielversprechend. Mediziner und BWLer haben mich bisher verlässlich enttäuscht, warum nicht etwas anderes wagen?
Also halte ich Henry meine Hand hin, für den Moment zufrieden damit, mich seiner Führung zu überlassen, und er ergreift sie. Tätowierte, elegante Finger verflechten sich mit meinen und der Kontrast jagt mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Ein oberflächlicher Gedanke, so typisch Nova, aber er wirkt so rau und ungeschliffen neben meinen manikürten Nägeln und zierlichen Diamantringen. An Henry scheint gar nichts glatt oder gestriegelt, darüber kann auch sein maßgeschneiderter Smoking nicht hinwegtäuschen.
Ich lasse mich von Henry vom Barhocker ziehen, mein Drink vergessen auf dem Tresen, und hinein in das Meer aus Tanzenden.
Die aufgekratzte, volltrunkene Menge um uns herum rückt in den Hintergrund, sobald Henry die Hände auf meine Hüften legt und mich zu sich zieht. Griechischer Wein läuft und unsere Bewegungen passen sich dem vergleichsweise langsamen Tempo des Songs an. Wir sind uns so nahe und jeder Teil von mir reagiert hypersensibel auf die Stellen, an denen wir uns berühren. Meine Brust, die seine streift; die Art, wie er mich hält – selbstbewusst und doch mit genügend Abstand, um nicht aufdringlich zu wirken. Wobei … ich hätte gern mehr. Mehr von seiner Körperwärme in diesem stickigen Saal, mehr von seinen Händen, deren Hitze sich sogar durch den schweren Samt meiner Robe brennt. Schon nach wenigen Minuten mit Henry scheint mein Frust von vorhin meilenweit entfernt und ich fühle mich so gut. Henry ist größer als ich, aber kein Riese und trotzdem komme ich mir so ungewohnt klein in seinem Griff vor. Wenn man wie ich zur Curvy Fraktion gehört, ist das so was wie der heilige Gral. Sich neben einem normalgewichtigen Mann insgeheim nicht wie eine Tonne zu fühlen, sondern wie etwas, das er handeln kann. Gott, das macht mich mehr an, als es sollte.
»Verrate mir, was dieser Blick bedeutet. Ich habe eine Vermutung.« Henry hat sich heruntergebeugt, um direkt in mein Ohr zu sprechen. Beinahe gerate ich ins Stolpern, weil sich meine Zehen unwillkürlich in den Schuhen krümmen. Heilige Scheiße, ich liebe seine Stimme und was es mit mir macht, sie so dicht an meiner Haut zu spüren.
»Lass es darauf ankommen und sag mir, was du denkst«, locke ich und da erscheint ein Grinsen auf seinen Lippen. Ich bin ein wenig geblendet davon, wie es sein Gesicht verwandelt, wie unfassbar gut er dabei aussieht. Fuck, Henry Saint Clair ist ein verdammt hübscher Junge und sein Lächeln eine Waffe, die er aus gutem Grund nur wohldosiert einsetzt.
Henry antwortet nicht sofort. Stattdessen löst er eine Hand von meiner Hüfte, lässt sie gemächlich an meiner Seite nach oben wandern und anschließend wieder nach unten. Immer weiter nach unten, bis er kurz vor dem skandalös tiefen Ausschnitt meines Kleids über dem Steißbein verharrt, während wir uns weiter zum langsamen Rhythmus der Musik bewegen. »Irgendetwas sagt mir, dass du am liebsten losstürmen und ein Zimmer für die Nacht mieten würdest.«
Ich schnalze mit der Zunge. »Wie schäbig wäre das denn!«
»Selbst in einem Fünf-Sterne-Haus wie diesem?«
»Besonders da. Ich würde dich mit nach Hause nehmen.«
»Und dann?«
Gemächlich streiche ich über seine Brust. »Würde ich vergessen, dass du Saint Clairs kleiner Bruder bist und es eine verdammt schlechte Idee wäre, jedes einzelne deiner Tattoos mit der Zunge nachzufahren.«
Das strahlende Blau seiner Augen verdunkelt sich und ich hätte geschworen, dass so etwas nur in Romanen passiert, aber ich bilde es mir nicht ein. Die beneidenswert dichten Wimpernkränze senken sich, überschatten seine Iriden und ich entdecke Emotionen, die in ihnen hochkochen. Dunkel und hungrig und so verdorben.
»Ich bin auch ein Saint Clair«, erinnert er mich. »Und mein Bruder …«
»War nie interessant für mich.« Ich falle ihm blitzschnell ins Wort, damit er nicht auf dumme Gedanken kommt. Vincent und ich, nein, das hat nie zur Debatte gestanden. Denn im Gegensatz zu Lilli und Vincent ist mir jahrelang klar gewesen, dass die beiden einen ausgedehnten Balztanz umeinander veranstaltet und diesen als hasserfüllte Rivalität getarnt haben.
»Eigentlich will ich nicht über Vincent reden.« Seine forschenden Hände werden wagemutiger und ziehen mich so nah an ihn heran, dass kein Blatt mehr zwischen uns passt. Meine Brust ist an seine gedrückt und sein Duft steigt mir in die Nase. Erdige Kräuter – Rosmarin vielleicht? –, saubere Wäsche und seine ganz eigene Note, die mir den Atem raubt. Gott, ich möchte ihn inhalieren wie mein Lieblingsparfüm, und wenn mich das nicht creepy macht, weiß ich auch nicht.
»Eigentlich will ich überhaupt nicht mehr reden«, haucht er. »Ich will gar nichts sagen, darin war ich nie gut, sondern …« Er stockt und ich finde, dass er sich zu wenig Credits gibt. Alles, was er mit dieser Stimme bisher zu mir gesagt hat, ist runtergegangen wie Öl und hat dafür gesorgt, dass aufkeimende Erregung wie ein zweiter Puls in meinem Unterleib wummert.
»Sondern?«, hake ich nach und lasse meine Hände zu seinem Nacken wandern, wo sich sein glänzendes schwarzes Haar in kurzen Löckchen ringelt, die wie Seide durch meine Finger gleiten.
»Ich will dich küssen, jeden Winkel von dir, und sehen, was ich tun muss, damit du mich anflehst, dich zu vögeln.«
Wahrscheinlich büße ich gerade einen Teil meines Verstands ein, denn alles in mir schreit Ja. Ja dazu, seine Worte wahr werden zu lassen und darauf zu scheißen, dass ich One-Night-Stands aus gutem Grund abgeschworen habe. Dazu, dass Henry nicht der ist, nach dem ich suche, aber genau der sein könnte, den ich brauche. Zumindest für diesen Moment.
Mit dem letzten verbliebenen Fünkchen Willenskraft, weil ich das trotzdem nicht unkommentiert auf mir sitzen lassen kann, verenge ich die Augen und zische: »Merk dir eins, Henry Saint Clair. Ich flehe nicht und ich bettele nicht. Niemals. Und Kerle mit einer so großen Klappe wie du bringen es selten.« Tun sie nie, doch das muss er nicht wissen, weil Henry, entgegen seiner Großspurigkeit, die ich irgendwie einen Ticken zu sexy finde, nichts weiter über mich erfahren soll.
Sein Gesichtsausdruck wird verschlagen, ein Dämon, der provoziert worden ist, und dennoch schaffe ich es nicht, etwas anderes als prickelnde Aufregung zu spüren. Henry scheint so gar kein Vanilla-Typ zu sein und das gefällt mir. Sehr sogar.
»Vorsicht, womit du mich provozierst, Princess. Ich liebe gute Herausforderungen.«
Und ich muss wohl etwas neben mir stehen, denn ich beschließe hier und jetzt, dass ich genau das sein will. Seine Herausforderung. Diejenige, an der er sich die Zähne ausbeißen darf und die jede Sekunde davon lieben wird. Für heute Nacht. Danach kann ich wieder anständig sein und die Sache mit dem ernsthaften Dating weiterverfolgen.
Also fahre ich ihm mit meinen leicht spitzen Nägeln vom Nacken hoch bis zum Scheitel und beobachte, wie Henry dabei beinahe in die Knie geht. Ein merkliches Schaudern durchläuft seinen Körper, kurz schließt er die Augen und sein Kopf sinkt nach hinten, in meine Berührung hinein. Na, wer sagt’s denn? Wenn überhaupt werde ich es schaffen, dass er mir zu Füßen liegt.
»Nenn mich noch einmal Prinzessin, mój książę, und du erfährst, was es bedeutet, wenn ich provoziert werde.«
Henry schmunzelt nur, dunkel und ohne eine Prise Humor. »Was bedeutet Moitschause?«
Er bemüht sich, mir nachzusprechen, und ich muss mir ein Grinsen verbeißen, weil er meine Muttersprache so herrlich zerhackstückt.
»Es bedeutet nerviger Mistkerl und jetzt komm, bevor ich es mir anders überlege.«
Nova
@muenchner_kindel
Selbst eure liebsten Zyniker der Stadt werden weich, wenn wir uns die ersten Bilder anschauen, die vom Medizinerball bei uns reinflattern #silli sind aber auch einfach nur Zucker. Wer hätte letzten Herbst gedacht, dass @the_saint_clair so goldig dabei aussehen könnte, wenn er seiner Liebsten die Lyrics von Ohne dich entgegensingt. Keep going, wir brauchen mehr Footage von diesem Abend!
Nachricht senden
Ohne viele Worte kommen wir überein, dass wir mit dem Taxi zu mir fahren. Mein Hirn hat netterweise aus irgendwelchen Untiefen die Info hervorgekramt, dass Henry im Haus seines Vaters wohnt, und ich werde die WG höchstwahrscheinlich den Großteil der Nacht für mich allein haben. Lilli und Vincent übernachten lieber bei ihm, weil die Wände schalldichter sind. Dem Herrn sei gedankt für so viel Klarsicht. Und Hugo hat es sich zur Gewohnheit gemacht, für längere Zeit zu verschwinden, sobald Julien im Bild erscheint. Ich bin argwöhnisch und wittere, was bei den beiden läuft, auch wenn Hugo noch nicht mit mir darüber gesprochen hat. Ein Grafenerbe, der sich wegen seines erzkonservativen Vaters nicht outen kann, ist das eine, ein ebenso wenig geouteter prominenter Fußballprofi das andere. Diese Kombi könnte kompliziert werden und der Beschützerinstinkt gegenüber meinem besten Freund, der schon so viel Scheiße einstecken musste, rumort wie ein Monster in mir. Wenn er Hugo wehtut oder ihm diese Affäre das Herz bricht, werde ich Julien Gaspard in seine Einzelteile zerlegen. Und das hat absolut nichts mit der Tatsache zu tun, dass ich selbst mal ein Auge auf ihn geworfen habe. Mein Interesse an ihm ist oberflächlich gewesen und verflogen, nachdem ich bemerkt habe, dass er sich nicht zu Frauen hingezogen fühlt.
Die kurze Taxifahrt durchs nächtliche München zieht indes wie ein Rausch an mir vorbei. Gleichzeitig verlangt sie mir alle Selbstbeherrschung ab. Obwohl Henry und ich schweigend auf der Rückbank sitzen, ist sich jede Faser meines Körpers seiner Anwesenheit bewusst und summt wie unter elektrischer Spannung. Wie selbstverständlich liegt seine Hand auf meinem Oberschenkel; groß und mit diesen schlanken, feingliedrigen Fingern, von denen ich bereits weiß, welche Magie sie auf meiner Haut auslösen können. Dynamitfinger. Es sollte mich wirklich nicht so sehr anmachen, diese Hand auf meinem Bein zu sehen, ihren sicheren Griff zu spüren und mir vorzustellen, wo er mich sonst noch anfassen könnte. Deswegen halte ich stur den Blick auf die Kopfstütze vor mir gerichtet. Wenn ich Henry jetzt ansehe, lasse ich womöglich alle Zurückhaltung fallen und würde mich auf der Rückbank des Taxis auf ihn stürzen. Und das will ich dem armen Fahrer nicht antun. Wir sind nicht Blair und Chuck in dieser einen Folge Gossip Girl. Auch wenn es mir verdammt verlockend vorkommt, mich bei voller Fahrt abzuschnallen, auf Henrys Schoß zu klettern und zu sehen, wohin die Tattoos führen, die unter dem offenen Kragen seines Hemds hervorblitzen. Aber ich reiße mich zusammen. Noch ein kleines bisschen.
Ich will vor Erleichterung laut aufseufzen, als Henry und ich endlich vor meiner Haustür stehen und ich mit wild pochendem Herzen aufschließe. Schweigen knistert in der Luft, sobald wir das Haus betreten haben und ich den Lift rufe. Nur über meine Leiche laufe ich jetzt drei Stockwerke nach oben. Während wir warten, bete ich, dass sich die Stimmung zwischen uns nicht ändert, bis wir in der WG sind. Dass ich nicht die Wohnungstür öffne und wir uns awkward gegenüberstehen. Diese Gedanken verschwinden jedoch, als der Fahrstuhl ankommt und die Türen sanft aufgleiten. Henry lässt mir gentlemanlike den Vortritt und ich will mich zu ihm umdrehen, um meine Nerven zu beruhigen, indem ich ihn wegen seiner Manieren aufziehe, aber so weit komme ich nicht. Die Fahrstuhltüren schließen sich und Henry tritt von hinten an mich heran. So nah, dass es keinen Zentimeter Spielraum zwischen der verspiegelten Innenwand und seinem Körper gibt, mit dem er sich gegen mich drängt. Und Mamma mia, ich spüre jede Menge von ihm. Instinktiv wölbe ich den Rücken, schmiege meinen Po enger an seinen Schritt, womit ich ein heiseres Aufstöhnen ernte. Im Spiegel trifft sein glühender Blick meinen und die Art, wie er mich ansieht, so hungrig und ruchlos, lässt mich erschaudern. Das Beben jagt bis tief in meinen Unterleib, ein köstliches, warmes Ziehen, das nach mehr verlangt. Als hätte Henry es gespürt, schiebt er ein Bein zwischen meine, wodurch der Rock meiner Robe gefährlich hochrutscht, aber von mir aus könnte er mich auf der Stelle ausziehen. Der Druck seines Schenkels an meiner Mitte, das Pochen, das er auslöst, macht entschieden zu viel mit mir. Das hier ist schon jetzt so anders. Ganz neu, verglichen mit dem, was ich bisher gekannt habe. Ich mag Männer, ihre Körper und Berührungen und wie sich ihre Küsse anfühlen. Doch bisher hat es niemand geschafft, mich binnen kürzester Zeit an einen Punkt wie diesen zu bringen, mich zittrig und hungrig und heiß zu machen.
Henry beugt sich hinunter und streift meine langen schwarzen Haare beiseite, um Zugang zu meinem Hals zu bekommen, während er seine Hüften weiter gegen mich schmiegt. Die Berührung seiner Lippen an der empfindlichen Stelle unter meinem Ohr entlockt mir ein hingerissenes Keuchen, das in dem Moment zu einem Japsen wird, in dem er meine Haut zwischen die Zähne nimmt und kurz zukneift.
»Oh, kurwa!«, entfährt es mir ungeplant. Das sind Worte, die eigentlich in meinen Gedanken hätten bleiben sollen.
»Und was bedeutet das?« Henrys Stimme vibriert an meinem Hals, während er mich weiter küsst und an mir knabbert.
»Verfluchte Scheiße«, übersetze ich diesmal wahrheitsgemäß.
»Hm, davon will ich mehr hören.«
Ein ungläubiges Lachen entwischt mir, das an der Spiegelscheibe kondensiert. Er will ernsthaft, dass ich polnisch fluche? »Polnisch ist nicht unbedingt die heißeste Sprache.«
Da legt Henry eine Hand um meine Kehle, schiebt sie hoch, bis er mein Kinn umfasst und meinen Kopf so neigt, dass ich ihn im Spiegel ansehe. »Alles, was aus deinem Mund kommt, ist heiß, Princess. Und ich habe das Gefühl, dass ich etwas richtig mache, wenn ich dich dazu bringe, deine Muttersprache zu benutzen.«
Kurz geistert die Frage durch meinen Kopf, woher genau er weiß, dass Polnisch meine Muttersprache ist, aber sie verflüchtigt sich, denn der Aufzug kommt auf unserer Etage an und wir steigen aus. Henry hat den Arm um meine Taille gelegt, als könnte er genauso wenig auf Körperkontakt verzichten wie ich. Erwartung und Hunger pulsieren durch meine Blutbahn und verdammt, jetzt habe ich sogar Probleme, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. Argh, ich mache so was doch nicht zum ersten Mal!
Henry gluckst dunkel und obwohl er amüsiert klingt, kommt der Laut nicht an ein Lachen heran. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er das selten macht; so richtig lachen.
»Kriegst du die Tür nicht auf? Von mir aus können wir auch im Treppenhaus bleiben oder zurück in den Aufzug …«
Entsetzt reiße ich die Augen auf und lasse den Schlüsselbund beinahe fallen. »Da gibt es garantiert eine Kamera!« Mir wird heiß und kalt, als mir bewusst wird, was die durchaus vorhandene Videoüberwachung im Lift bereits von uns aufgenommen haben könnte. Mir ist selten etwas peinlich, aber wenn ich mir vorstelle, dass irgendwelche Menschen in einer Sicherheitsfirma die Bänder checken und uns beim Rummachen sehen …
»Hey.« Henry legt eine Hand um die Faust, mit der ich die Schlüssel umklammere, und ich drehe ihm das Gesicht zu. »Das war nur ein Witz, weil ich dich heute Nacht ganz für mich allein haben möchte.« Er drückt einen Kuss neben meinen rechten Mundwinkel. Instinktiv neige ich mich ihm näher zu, denn mir wird klar, dass er bisher einen Bogen um meine Lippen gemacht hat. Und ich will ihn dort. Sehr, sehr dringend. »Außerdem wäre das vor der Tür nicht möglich. Das halbe Haus würde aufwachen.«
»Weil du zu laut wärst?«, frage ich unschuldig.
»Jetzt bist du diejenige, die große Töne spuckt.«
Ich recke mich auf die Zehenspitzen, als sein Mund meine Unterlippe berührt. Samtig und warm und viel zu flüchtig.
»Ich will nicht deine Schreie hören, ich will deine Flüche, Nova. Irgendetwas sagt mir, dass unter dieser Schale der piekfeinen Society-Prinzessin ein verdammt dreckiges Mundwerk lauert.«
Wenn er wüsste, wie wenig piekfein ich eigentlich bin …
Er neigt sich wieder zu mir, doch nun komme ich ihm entgegen und lege die andere Hand in seinen Nacken. Ich will diesen Kuss. Wie er mich von der ersten Sekunde an verbrennt, seine Lippen das flackernde Streichholz, das in mein Benzin fällt. Es fühlt sich auf merkwürdige Weise so an, als hätten wir nur aufeinander gewartet, um diese Kettenreaktion auszulösen. Perfekter Funke, perfekter Brennpunkt. Mir ist klar, dass wir nicht lange lodern werden, aber für den Moment verliere ich mich in unserem Inferno. In der Art, wie sich sein Mund an meinem bewegt, wie er schmeckt, welche Schockwellen es durch mein System schickt, wenn meine Zunge gegen seine streicht. Henry küsst mich, dass es mir durch Mark und Bein geht. Intensiv, aufmerksam – wie ein Dämon, der mir jedes meiner Laster von den Lippen stiehlt, um mir die perfekte Sünde zu kredenzen.
Ich bin so darin versunken, ihn zu küssen, zu brandschatzen und zu kosten, dass ich erschrecke, als der Schlüssel im Schloss klickt. Henry hat meine Hand gedreht, um aufzuschließen, und wir stolpern in die Diele. Drinnen drängt er mich prompt gegen die Wohnungstür, die etwas zu heftig zufällt, die Schlüssel klirren auf den Boden und Henry … verschlingt mich. Dass er mich für sich will und das nicht an einem Ort, an dem uns jemand stören könnte, ist nicht geblufft gewesen. Jetzt, in der Abgeschiedenheit der Wohnung, lässt er jede Zurückhaltung fallen – und ich liebe es. Wir sind schnell und wild und ich brenne lichterloh. Es würde mir überhaupt nichts ausmachen, wenn wir es gegen die Tür gelehnt tun würden.
Ein ungeduldiges Knurren kommt über seine Lippen, als er fieberhaft an den Seiten meines Kleids nach den Verschlüssen des Rückencolliers tastet und zunächst nicht dahinterkommt, wie sie zu öffnen sind. Aber dann hat er den Dreh raus und ich drücke den Rücken durch, um ihm den Zugang zu erleichtern, was mich gleichzeitig viel enger an ihn presst. Gott, sein Körper fühlt sich so hart und fest an, das genaue Gegenteil zu meinen weichen Kurven, die sich an den besten Stellen gegen ihn schmiegen.
Während Henry mich aus dem Schmuckstück schält, reiße ich ungeduldig an den Knöpfen seines Hemds und lege mit jedem entblößten Zentimeter Haut Tinte frei. Mit fiebrigen Lippen fahre ich über einen Schriftzug aus kantigen Buchstaben, der sich direkt unter seinen Schlüsselbeinen entlangzieht. Tattoo Nummer eins gekostet, check!
Wir sind ein Wirbelwind aus ungeduldigen Lauten und geknurrten Flüchen, aber dann hat Henry alle Verschlüsse des Colliers geöffnet. Das nicht unbeträchtliche Gewicht des Kleids verschwindet und er legt es überraschend sorgsam auf dem Ottoman neben dem Schuhregal ab.
»Dein Schlafzimmer. Jetzt.« Henrys samtiger Bariton lässt mich erschaudern und ich nehme ihn an der Hand, um ihn zu meiner Tür zu ziehen. Wir stolpern in den dunklen Raum und ehe ich mich’s versehe, lande ich auf dem Bett. Ich strecke die Hand zur Lampe auf dem Nachtkästchen aus, weil ich Henry sehen muss, und kurwa! Das Licht geht an und da ist er, die Knie an den Rand meines Boxspringbetts gestützt, und zieht sich ungeduldig das Jackett aus. Dann das offene Hemd. Danach richtet er sich in einer geschmeidigen Bewegung auf, streift sich die Anzughose ab, und …
Für einen Augenblick erstirbt sogar meine innere Stimme, denn ich kann nichts weiter tun, als Henry in seinen Boxerbriefs anzustarren. Von meinem Verstand ist nichts außer einem seltsamen Vakuum übrig, durch das ein paar Fetzen polnischer Flüche geistert. Der Kerl ist ein Kunstwerk! Und damit meine ich nicht nur seine definierten Muskeln und die Andeutung eines Sixpacks, sondern vor allem seine Tattoos. Tintenbilder schlängeln sich verstreut von den Händen über die Unterarme hinauf zu den Schultern und die Brust. Auf den ersten Blick kann ich kein übergeordnetes Konzept hinter den Motiven erkennen, aber die wilde Mischung aus Symbolen und Schrift hat ihre eigene, perfekte Ästhetik. Er ist so sexy, dass mein Puls einen Zahn zulegt. Das hier ist echt und ich bin es, die er mit einem Ausdruck ansieht, als wollte er mich mit Haut und Haaren verschlingen. Als würde er mich genauso unwiderstehlich finden wie ich ihn und verdammt, das ist einfach nicht selbstverständlich.
Zumindest gibt es mir das nötige Selbstbewusstsein, mich aufzusetzen und hinter mich zu greifen, um den Reißverschluss an meinem Steiß zu öffnen. Das Oberteil gleitet nach unten, kühle Luft küsst meine Brüste und Henry hilft mir, den restlichen schweren Stoff der Robe abzustreifen. Dann die Feinstrumpfhose – mehr als die und einen String hat das Kleid nicht zugelassen, damit sich nichts abzeichnet. Jetzt bin ich quasi nackt vor ihm und egal, wie selbstbewusst ich sonst bin, das ist eine Challenge. Ist es irgendwie jedes Mal. Mein Körper ist nie einfach nur ein Körper gewesen, sondern mit Erwartungen und Bullshit und Komplexen aufgeladen. Ganz ehrlich: Es ist scheiße schwer, zur High Society zu gehören und nicht gertenschlank zu sein. Weil das besonders in diesen Kreisen der glorifizierte Standard ist; etwas, worüber man sich definiert, wenn es nicht mehr ausreicht, es über die Dicke seines Geldbeutels zu tun. Viel zu oft habe ich sie über mich reden hören: Ihre Mutter ist reich wie Krösus, warum ist ihre Tochter trotzdem fett? Sie kann sich jedes Fitnessprogramm, jede überteuerte Abspeckkur leisten. Sie soll mal was tun! Nun, Geld kann einem bis zu einem gewissen Grad durchaus den perfekten Body kaufen, aber darum ging es mir nie. Besonders meine Mutter hat mir beigebracht, dass ich gut bin, genau so wie ich bin, und sollte mir nach einer Veränderung sein, muss der Impuls von mir kommen. Doch ganz gleich, mit wie viel Selbstbewusstsein und Liebe sie mich gefüttert haben mag: Wir alle haben unsere Schwachstellen, Makel und Unsicherheiten – selbst der perfekteste Mensch der Welt – und an manchen Tagen sind sie eben lauter. Ganz egal, was ich mir immer wieder sage oder wie ich mich nach außen gebe. Im Allgemeinen mag ich mich, wie ich bin, allerdings muss das nicht für den Rest gelten. Und obwohl ich mich bemühe, Meinungen von anderen an mir abprallen zu lassen, ist das bei Henry gerade nicht so leicht. Keine Ahnung, woher das plötzlich kommt, aber ich will ihm gefallen, genau so wie ich bin. Deshalb halte ich die Luft an, als er mich in Augenschein nimmt, den Blick über jeden Winkel von mir wandern lässt, während ich mich nicht verstecke. Speckrollen am Bauch, silbrig weiße Dehnungsstreifen an der Hüfte und Narben an den Brüsten inklusive. Doch an seinem Ausdruck ändert sich nichts; falls überhaupt möglich, wird das Lodern in seinen Augen nur heißer, als müsste er die Zähne zusammenbeißen, um sich zu zügeln.
»Du bist perfekt«, bringt er schließlich mit heiserer Stimme hervor, in der nichts als Aufrichtigkeit mitklingt.
Ein Lachen blubbert in mir hoch. »Ich bin vieles, aber sicherlich nicht perfekt.«
Henry beugt sich vor, die Arme neben meinen Schultern abgestützt, und ich bin ein bisschen abgelenkt davon, wie nah sein Mund vor meinem schwebt. »Dann muss ich dich vielleicht so lange vögeln, bis du es mir glaubst. Denn, Princess, ich bin so hart für dich, dass ich gleich explodiere.«
Ich muss schlucken, sehr angestrengt, und anstatt ihm mit Worten zu antworten, rutsche ich auf der Matratze nach hinten, um bequemer zu liegen. Er folgt mir, sein kräftiger, kunstvoller Körper über mir und um mich herum. Ein Beben läuft durch mein Inneres, bis tief in den Bauch, und ich will ihn mit einer Heftigkeit, die mir selbst ein wenig Angst macht. Wünsche mir Dinge, von denen ich eigentlich genau weiß, dass sie für mich unerreichbar sind. Aber ich werde alles genießen, was ich bekommen kann.
»Kondome sind im Nachtkästchen. Oberste Schublade«, hauche ich und winde mich aus dem String. Während er sich rüberbeugt, strecke ich die Hand aus und lege sie vorn an seine Shorts. Rany boskie, er hat wirklich nicht übertrieben, hart zu sein. Seine Erektion drängt gegen den schwarzen Stoff und ich fahre seine Länge hinauf, um zu checken, worauf ich mich gefasst machen kann. Eine ganze Menge, wie es scheint. Henry murmelt ein paar unverständliche englische Flüche, die Folienverpackung wird aufgerissen, ich ziehe seine Briefs runter und dann …
»Bist du bereit?« Henry verteilt Küsse auf meinen Brüsten, wandert nach oben und spricht gegen meine Haut, während er seinen Schwanz träge zwischen meinen Beinen reibt. Es ist Himmel und Hölle und wenn er nicht merkt, wie bereit ich bin, drehe ich durch. Nun gut, er besteht wohl darauf, es aus meinem Mund zu hören. Und vielleicht bin ich auch ein klein wenig perplex darüber, wie schnell ich an diesen Punkt gekommen bin, ohne ausgiebiges Vorspiel. Mein Körper scheint genau zu wissen, dass dies kein liebevoller Pärchensex wird, sondern eine einmalige Sache zwischen zwei Menschen, von denen zumindest einer alles tut, um sich von einem Abend voller Enttäuschungen abzulenken. Henrys Gründe sind mir relativ egal. Ihn danach zu fragen, würde die ungeschriebenen Grenzen eines One-Night-Stands überschreiten und darauf lege ich keinen Wert. Schnell und dreckig und dann Adios, amigo.
»So was von bereit«, bestätige ich schließlich und recke mich ein wenig, um seine Unterlippe zwischen die Zähne zu nehmen.
Henry packt meinen Oberschenkel, drückt meine Beine etwas weiter auseinander und schiebt sich dann vor. Ein prickelnder Funkenschauer rast mein Kreuz hinauf, als er in mich eindringt, und ich kann ein Keuchen nicht unterdrücken. Das fühlt sich beschissen gut an. Ich brauche einen Moment, um mich daran zu gewöhnen, wie sehr er mich ausfüllt, wie intensiv sich jede Bewegung in meinem Innern anfühlt, während er mit einem tastenden Rhythmus in mich stößt. Und dann schneller wird. Fester.
Keuchend und murmelnd gebe ich ihm zu verstehen, dass es mir gefällt, dass er genau so weitermachen soll, und Henry tut es. Ich habe mit allem gerechnet, nur nicht damit, dass ich so reagieren könnte. Mein Körper gehorcht mir nicht länger, mein Geist verpufft zu Wasserdampf, als Welle um Welle von süßer, heißer Lust in mir aufbrandet.
Wahrscheinlich zerkratze ich Henrys Rücken gerade mit meinen Nägeln, aber er wirkt nicht so, als würde es ihn kümmern, eher im Gegenteil. Er ächzt meinen Namen, legt den Kopf in den Nacken und die Bilder auf seiner Haut scheinen bei jeder Bewegung seiner Muskeln zu tanzen.
»So perfekt. Bloody hell.« Er beugt sich zu mir hinunter und ich lächele in den Kuss hinein, weil ich ihm nicht glauben kann. Auch wenn es schön wäre, wenn ich es könnte.
Henry
III. III. MCMLXX
Jesus fucking Christ. Ich vögele Nova Sobieska. Nova, der unerreichbare Traum von so ziemlich jedem Kerl in München, zerkratzt mir gerade mit den Nägeln den Rücken, während ihre Pussy mich bei jedem Stoß heiß umschließt. Verdammte Scheiße, ist das gut. Fest beiße ich die Zähne zusammen, versuche, mich zu beherrschen, an etwas zu denken, das mich davon ablenkt, wie perfekt sich jeder einzelne Zentimeter anfühlt, den mein Schwanz in sie hineingleitet. Feuchte Hitze, ihre Haut wie Samt unter meinen Fingern und ihre Stimme, die meinen Namen haucht. Ich muss langsamer machen, ernsthaft. Weil es noch nicht enden soll. Ich bin zweiundzwanzig, verdammt, keine sechzehn und halte länger als vier Minuten durch.
Keine Ahnung, wie ich klare Gedanken fassen oder überhaupt atmen kann, denn es fühlt sich so an, als stünde mein Hirn kurz davor, sich zu verflüssigen. Dabei will ich jeden Winkel von ihr berühren und küssen, jede sündige Kurve erforschen und mir Zeit lassen, aber fuck … Sie hebt ihr Becken, ihr aufgewühlter Atem ein heißer Kuss, dort, wo sie ihr Gesicht an meinen Hals presst. Gleich darauf stoße ich heftiger in sie, ein markerschütternder Rhythmus, der sie keuchen und wimmern lässt. Musik in meinen Ohren. Spiritus für meine Lust.
»Zeig’s mir«, raune ich ihr zu, als ich spüre, dass ich es nicht mehr lange aushalten werde. »Zeig mir, wie du für mich kommst.«
Spannung jagt prompt durch ihren Körper, eine Schockwelle, bis in ihren Schoß, wo sie meinen Schwanz so tief in sich umfängt und zudrückt, bis ich das Gefühl bekomme, eine Faust würde ihn packen.
Haut klatscht auf Haut, die Sehnen an meinem Hals treten garantiert hervor, so fest beiße ich die Zähne zusammen. Ein aussichtsloser Kampf, um bei Sinnen zu bleiben, nur noch ein bisschen …
Nova stöhnt auf, der heißeste Laut der Welt, und ich werde mitgerissen. Von meinem Höhepunkt, der unaufhaltsam anschwillt und vom Steißbein aus nach oben steigt. Raserei. Das hier ist pure, unerbittliche Raserei und ich kann mich nicht länger gegen sie wehren. Nicht mehr langsam machen und den Moment hinauszögern, sondern sie so nehmen, wie es alles in mir verlangt. Schnell und hart und markerschütternd. Die Art, wie sie die Nägel in meine Schultern gräbt, sagt mir, dass sie es mag, dass sie selbst so kurz davor ist.
Und dann ändert sich alles.
Keine Ahnung, wie ich es bemerken kann, aber am Rande meines Bewusstseins fällt es mir auf. Nova zieht eine Show ab. Eben noch keuchend und bebend, vor Lust schaudernd, wechselt sie plötzlich in einen anderen Modus. Die Spannung in ihrem Innern wird weniger, sie wirft den Kopf ins Kissen, die Augen geschlossen und ihre Stimme ist so anders, als sie stöhnt: »O jaaaaa. Ja. Mhmmm.«
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Orgasmuslaute sein sollen. Orgasmuslaute einer Pornodarstellerin, an deren Klitoris drei Minuten von ihrem Drehpartner herumgerubbelt worden ist, als wollte er einen Rotweinfleck aus seinem Hemd bekommen. Sie spielt und wird dermaßen fake, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen. Es fühlt sich so falsch an und ich will innehalten, um diesem Bullshit auf den Grund zu gehen, den sie vor einer Minute definitiv nicht nötig gehabt hat, aber well … ich komme. So richtig. Mein Körper hat die Kontrolle übernommen und ist nicht mehr zu stoppen, als ein fucking echter Höhepunkt mich überrollt. Einen kostbaren Augenblick lang ist dieses Gefühl – rauschhafte Euphorie und Lust – alles, was ich bin, und mein Geist verstummt. Die Dämonen, die mich in Novas Bett getrieben haben, verziehen sich und meine Muskeln werden zu Wachs. Ich weiß, dass dieser Zustand der Leichtigkeit nur kurz andauern wird. Spätestens morgen kriecht die Anspannung wie ein schleimiges, widerliches Ding zurück, das sich als Ballast auf meinen Magen legt und Schmerz verlangt. Es ist ein fucking anstrengender Balanceakt, diese Dunkelheit in mir so weit in Schach zu halten, dass ich nach außen hin normal wirke und sich niemand sorgt. Vögeln hilft, aber gerade vermiest es mir definitiv die Laune, dass ich allein einen Höhepunkt gehabt habe. Und ich weiß, Männer sind zu neunundneunzig Prozent ahnungslose Flachwichser, wenn es um die sexuellen Bedürfnisse von Frauen geht, allerdings bin ich mir sicher, dass Nova kurz davor war. Das konnte sie mir nicht vorspielen.
Ich verharre noch einen Moment, koste die letzten Nachbeben aus und rolle mich dann zur Seite. Einige Atemzüge lang liege ich schweigend neben Nova, starre an die Zimmerdecke und versuche, mein Gehirn auf Normalbetrieb zu bekommen. Die Stunden, seit sie sich zu mir an die Bar gesetzt hat, sind ein einziger Rausch aus Anziehung und Begehren gewesen und jetzt, da es vorbei ist, muss ich erst mal klarkommen. So muss sich ein kalter Entzug anfühlen.
Nova räkelt sich, streckt die Arme und gibt ein Seufzen von sich, als hätte sie eben die Ekstase schlechthin erlebt und wäre richtig satt und befriedigt. Bullshit.
Also drehe ich mich auf die Seite, stütze meinen Kopf auf den rechten Arm und sage beiläufig: »Hast du bei Typen sonst Erfolg damit?«
Nova richtet den Blick auf mich, ihre Lider auf halbmast und das Grau ihrer Augen ganz verhangen und warm. »Hm?«
Hitze ballt sich tief in meinem Bauch, als ich sie so betrachte. Nackt und wunderschön und mit einer verdächtig roten Stelle am Hals. Shit, da habe ich ihr wohl wie ein Teenie einen Knutschfleck verpasst. Aber ich habe einfach nicht widerstehen können. Ihre Haut ist so blass und fein und ein sicherlich problematischer, prähistorischer Teil von mir ist ziemlich zufrieden damit, eine Spur auf ihr hinterlassen zu haben.
Weil ich nicht anders kann, schnappe ich mir eine Strähne ihres seidigen schwarzen Haars und wickele sie mir um den Finger. Prompt tauchen Bilder vor meinem inneren Auge auf – wie ich mir mehr von diesem Haar um die Faust schlinge, Nova den Kopf zurückwirft und ich sie von hinten … Nope, ganz falsche Richtung! Eine zweite Runde kommt erst infrage, wenn ich weiß, warum sie mir etwas vorgespielt hat. Dabei geht es nicht um mein Ego, sondern um meinen Anspruch, beide Parteien im Bett glücklich zu machen. Ist immerhin Teamwork.
»Diese Show, die du abziehst«, sage ich und beobachte Nova ganz genau. »In der du so tust, als hättest du einen Höhepunkt.«
Alles Verschlafene verschwindet mit einem Schlag aus ihrem Gesicht und sie reißt die Augen auf. »Ich habe nicht …«
Mahnend lege ich ihr einen Finger auf die Lippen. »Bist du dir sicher, dass du diesen Satz beenden willst, Princess?« Ich liebe das temperamentvolle Aufblitzen in ihren Augen, wenn ich sie so nenne. Nova zu reizen, kommt mir in etwa so ungefährlich vor, wie einen dösenden Tiger mit einem Stock zu piksen, aber ich kann es nicht sein lassen.
Schließlich schiebt sie meine Hand von ihrem Mund und seufzt unzufrieden. »Woran hast du es erkannt?« Sie wirkt nicht beschämt, sondern eher … beleidigt. Als hätte ich sie in ihrer Ehre gekränkt, indem ich ihre kleine Showeinlage durchschaut habe. Hm.
»Weil du ungefähr so authentisch geklungen hast wie Heidi Klums Lachen.«
Pikiert zieht Nova die Nase kraus. »Ein schmeichelhafterer Vergleich ist dir nicht eingefallen?«
»Für einen gefakten Orgasmus? Wohl kaum.«
Erneut seufzt sie. »Ich hatte Spaß, nimm es nicht persönlich.«
Es nicht persönlich nehmen? Entschuldigung, aber what the fuck? »Habe ich etwas falsch gemacht?«
Nova wirkt regelrecht verdutzt. »Nein, wirklich nicht, Henry! Ach verdammt, tut mir leid, normalerweise muss ich nie solche Gespräche führen.«
Ich verzichte auf die Frage, mit welchen Schnarchnasen, die fake und echt anscheinend nicht unterscheiden können, sie davor im Bett war. Allein, wie sich ihre Tonlage verändert hat … So offensichtlich!
Nova streckt die Hand aus und streicht über ein Tattoo, das sich an der Innenseite meines rechten Unterarms entlangzieht. »Das sind römische Zahlen, nicht wahr? Sieht nach einem Datum aus. Mann, es ist verdammt lange her, dass ich das in der Schule gelernt habe. Diese ersten Striche stehen für eine Drei …«
Mit meiner Linken schnappe ich mir ihre wandernde Hand, weil mich ihre Berührung zu sehr ablenkt. »Weich dem Thema nicht aus.«
Nova schnauft unzufrieden. »Was willst du groß darüber reden? Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht an dir liegt. Solltest du nicht glücklich und zufrieden sein und drauf scheißen, was mit mir ist?«
Again, mit welchen Vollpfosten hat sie es bisher zu tun gehabt?