Cristiano Ronaldo. Die preisgekrönte Biografie - Guillem Balagué - E-Book

Cristiano Ronaldo. Die preisgekrönte Biografie E-Book

Guillem Balagué

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Beschreibung

Dies ist die Geschichte eines der besten Fußballer aller Zeiten und dem größten Superstar der letzten Jahre. 1985 auf Madeira geboren, blickt Cristiano Ronaldo auf eine einmalige Weltkarriere mit zahlreichen Erfolgen in Lissabon, Manchester, Madrid und Turin zurück. Zuletzt wechselte er unter spektakulären Umständen nach Saudi-Arabien. Gespannt blickt die Fußballwelt auf seine Teilnahme an der EM 2024. Der preisgekrönte Autor Guillem Balagué zeichnet Ronaldos Lebensweg meisterhaft nach, von der Ausbildung unter Alex Ferguson, dem Aufstieg zum Weltfußballer in England und Spanien, dem Gewinn der Europameisterschaft mit Portugal bis zu seinem Rekordtransfer nach Saudi-Arabien. Er zeigt das Bild eines Ausnahmetalents und akribischen Arbeiters, dessen Trainingsmethoden für Aufsehen sorgten und der zum Idol für eine ganze Generation wurde. Dabei stützt der Autor sich auf erstklassige Quellen, Interviews mit zahlreichen Wegbegleitern und einen exklusiven Zugang zu Ronaldos persönlichem Umfeld. Ausgezeichnet mit dem British Sportsbook Award

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Seitenzahl: 705

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Inhalt

Anmerkung des Autors

Prolog: Was wir sind, wo wir sind, wohin wir gehen

Madeira

Lissabon

Manchester United

Karriere in Manchester, aber längst nicht am Ziel

Das Transferlabyrinth von Real Madrid

Real Madrid – den Traum leben?

Real Madrid – eine Achterbahnfahrt

Ein weiterer Trainer, der scheitert

Zwei Superhelden

Sieg, Spektakel und Anfang vom Ende

Abschied von Madrid

Abenteuer Juventus Turin

Noch einmal Manchester United

Saudi-Arabien – Ende einer Karriere?

Quellen

Dank

Anmerkung des Autors

Alle Zitate aus Sekundärquellen sind im Text nummeriert, eine Liste ist im Literaturverzeichnis enthalten. Alle weiteren Zitate stammen, sofern im Text nicht anders angegeben, aus Interviews, die ich geführt habe, oder aus Äußerungen bei Pressekonferenzen, Interviews nach dem Spiel und Ähnlichem. Alle anderen Informationen sind das Ergebnis der umfangreichen Recherchen, die ich für dieses Buch unternommen habe.

Guillem Balagué

Prolog

Was wir sind, wo wir sind, wohin wir gehen

Es kursieren Nachrichten, dass ich mich angeblich beleidigend über Lionel Messi geäußert haben soll. Das ist absolut falsch, und ich habe meinen Anwalt damit beauftragt, die Verantwortlichen zu verklagen. Ich habe den größten Respekt vor allen meinen Berufskollegen, und Messi ist da natürlich keine Ausnahme.Cristiano Ronaldo auf Facebook, 11. November 2014

Ronaldo, oder wer auch immer seine Facebook-Posts verfasst, bezog sich auf Aussagen, die ich in meinem Buch Messi1 zitiert hatte, der ersten autorisierten Biografie des argentinischen Fußballers. Als ich von Ronaldos Reaktion via Twitter erfuhr, war klar, dass es einen Aufruhr geben würde.

* * *

Laut Manu Sainz, Ronaldos Pressesprecher in jenen Tagen, war die Wut des Portugiesen „sehr groß“. Und der Spieler habe so schnell als möglich und auf möglichst öffentliche Weise reagieren wollen.

Ronaldo versuchte, eine Nuss mit einem Vorschlaghammer zu knacken, und er tat das, indem er den oben zitierten Post an seine hundert Millionen Follower schickte. War das nötig gewesen? In den kommenden Tagen würde er bei einem Freundschaftsspiel in Manchester auf Messi treffen. Dort könnte er die Sache in einem persönlichen Gespräch mit seinem argentinischen Rivalen aus der Welt räumen.

Der „beanstandete“ Absatz aus dem Buch war bereits seit elf Monaten in der Öffentlichkeit. Warum also ein Jahr später diese dramatische Reaktion?

In dieser Woche, in der zahlreiche Länderspiele anstanden, hatte der Daily Telegraph das Erscheinen der Taschenbuchausgabe zum Anlasse genommen, nochmals Auszüge aus Messi zu veröffentlichen. Es handelte sich um die Passagen, in denen es um Arsenals Versuch ging, Leo zu verpflichten – und um die Beziehung zwischen Messi und Ronaldo – und damit ging es los.

Zunächst hatten spanische Medien ein Wort aufgegriffen, es aus dem Zusammenhang gerissen, verdreht und zudem noch falsch aus dem Englischen übersetzt.

Das Wort war „Motherfucker“.

Ich hatte geschrieben, dass Ronaldo „den Floh“ so in der Kabine vor seinen Mannschaftskameraden genannt hatte.

* * *

Zum Zeitpunkt des Telegraph-Abdrucks hatte ich bereits mit der Recherche für mein nächstes Buch begonnen. Dieses hier.

Ich hatte mit Cristiano die Möglichkeit besprochen, mit ihm über sein Leben, seine Denkweise und seine Vergangenheit zu reden. „Kein Problem“, hatte er mir gegenüber bei vier verschiedenen Gelegenheiten geäußert. Auch hatte ich mit seinem Berater Jorge Mendes gesprochen, der noch zehn Tage vor dem besagten Facebook-Post einer Zusammenarbeit zugestimmt hatte, obwohl wir beide Zweifel hatten, ob das eine gute Idee sei oder nicht. Warum, werde ich später erklären.

Was können wir über Ronaldo lernen, wenn wir seine Reaktion betrachten? Hat sie meine Wahrnehmung von ihm verändert? Und: Was würde nun aus der besprochenen Zusammenarbeit werden? Mir war bis dahin nicht bewusst gewesen, wie groß mein Einfluss augenscheinlich war. Jedenfalls war der Medienrummel nun in vollem Gange. Es war wieder einer jener Stürme, die aufzogen, wenn die Namen Messi und Ronaldo in einem Satz genannt wurden. Vor allem während einer Länderspielwoche, in der es vergleichsweise wenig an Fußballnachrichten gibt.

Was mag sonst noch passiert sein, dass Ronaldo sich veranlasst sah, einen solchen Post rauszuhauen? Da musste mehr dahinterstecken.

Einige Zeit später wurde mir klar: Es waren nur noch zehn Tage bis zum Ende der Abstimmung für den Ballon d’Or, eine Auszeichnung, die Ronaldo zum dritten Mal gewinnen sollte. Sicherlich wollte er mit seinem Facebook-Post nur verhindern, dass die Leute ihre Stimme für den diesjährigen Ballon d’Or noch einem anderen gaben. Oder doch nicht? Und: Was soll man zur Reaktion der Medien sagen?

Das Thema wurde zu einer großen Nachricht und erhielt, wie ich finde, unverhältnismäßig viel Raum in den Sportteilen der Zeitungen und im Radio, insbesondere in Spanien. Noch in der Nacht von Ronaldos Beitrag sprach ich bei Onda Cero, dem Radiosender, für den ich arbeite, über das Thema. Eigentlich hatte ich das nicht tun wollen. Ich wollte, dass mein Messi-Buch für sich spricht. Aber ich hatte gerade ein Interview mit dem Präsidenten von Real Sociedad San Sebastián, Jokin Aperribay, für die Radiosendung Al primer toque geführt, und der Moderator überredete mich, etwas zu sagen, was auch immer es sein mochte.

Ich sagte das, was ich seither immer wieder gesagt habe: „Es steht alles in dem Buch.“ Und das hier kann man in Messi nachlesen:

Ronaldo, vielleicht ein Symptom für die Unreife, die so viele Fußballer kennzeichnet, hält es für notwendig, vor seinen Mannschaftskameraden eine tapfere Miene aufzusetzen, keine Angst vor Messi zu haben und sich der Herausforderung zu stellen. Alles sehr machohaft, sehr falsch. Einige Spieler von Real Madrid sagen, dass CR7 einen Spitznamen für ihn hat: „Motherfucker“, und wenn er sieht, dass jemand vom Verein mit Leo spricht, wird auch er „Motherfucker“ genannt. In diesem Zusammenhang vergleicht Ronaldo ihre Beziehung für gewöhnlich mit der zwischen der Republik Irland und dem Vereinigten Königreich. Und die Madrider Spieler mit ihrem nicht gerade subtilen Sinn für Humor in der Kabine haben eine lange Liste von Witzen, in denen Messi als Ronaldos Hund oder Marionette auftritt oder in einer Designerhandtasche des Portugiesen aufbewahrt wird. Und noch viel Schlimmeres.

Es stellte sich heraus, dass nicht viele Leute das Buch gelesen hatten und auch keiner von ihnen die Zeit fand, den betreffenden Absatz herauszusuchen, bis ich ihn in der Nacht des Facebook-Posts auf Twitter veröffentlichte.

All das spricht nicht gerade für meine Wichtigkeit im spanischen Medienzirkus: Fast niemand fühlte sich genötigt, mein Buch zu lesen, obwohl es die erste autorisierte Biografie des „Flohs“ war. Und natürlich spiegelte die Sache auch die Geschwindigkeit wider, mit der Nachrichten generiert und konsumiert werden. Ich begann, die verschiedenen Reaktionen durchzugehen.

Ein Mann, den ich sehr bewundere, Paco González, hatte mir in seiner Sendung auf COPE Radio2 auf die Finger geklopft. Er sagte, dass es Dinge gibt, die nicht erzählt werden müssen, wie etwa das Gerede in der Kabine, das dort verbleiben sollte. Abgesehen davon, dass Paco González ein herausragender Kommunikator ist, besteht ein Teil seines Erfolgs aus eben solchen Informationen, die ihn aus der Kabine erreichen. Eine Handvoll Journalisten wiederum spielte die selbstlose Rolle der „Ronaldistas“, die den Spieler angesichts der Anschuldigungen verteidigten. Sie verstehen ihren Job als Vermittler der Interessen des Fußballers.

Natürlich war es nicht angenehm, unter die Lupe genommen zu werden, aber es vermittelte mir eine Vorstellung davon, was Spieler erleben, wenn sie ein- oder zweimal pro Woche 90 Minuten lang auf dem Platz stehen und öffentlich von Fans beurteilt werden. Und dann am nächsten Tag wieder von den Medien.

* * *

War es sinnvoll, dieses Wort, diesen Absatz, dieses Kabinengeplauder in das Messi-Buch aufzunehmen? Ein Werk, an dem ich ein Jahr gearbeitet hatte, mit Hunderten von Stunden an Gesprächen und Gedanken, die auf 600 Seiten zusammengetragen wurden, wurde nun wegen eines einzigen Wortes kontrovers diskutiert. War das Buch durch das Zitat besser geworden? Hatte es substanziell zu Leos Geschichte beigetragen?

Vielleicht hat es nicht viel zu Messis Leben beigetragen. In Wirklichkeit sagte die Passage mehr über Ronaldo aus als über seinen ewigen Widersacher, über das Bedürfnis des Portugiesen, sich vor seinen Teamkollegen zu produzieren.

Vielleicht hätte ich es weglassen sollen. Aber: Hatte ich wirklich etwas falsch gemacht?

Alles, was ich veröffentliche, wird gründlich gecheckt, besonders bei einem Thema wie diesem, besonders bei einer Biografie. Außerdem werden alle Bücher von den Anwälten des Verlags geprüft. Der Kontext, der nicht beachtet wurde und wird, war entscheidend: Ronaldo und Messi respektieren einander aufgrund ihres ähnlichen fußballerischen Werdegangs. Bei ihnen mischen sich gegenseitiger Respekt mit Gefühlen, die man für seinen Erzfeind hat, aber vor allem reagieren sie unterschiedlich auf den Erfolg des anderen. Cristiano ist ein Krieger, sobald er sein Haus verlässt, wenn er sich anzieht, spricht oder sich eben wie ein Fußballer verhält. Er hat vor niemandem Angst. Er darf und will kein Anzeichen von Schwäche zeigen. Im Gegenteil.

Während ich immer wieder über die Situation nachdachte, konzentrierte sich die spanische Sportpresse längst auf andere Neuigkeiten: Sergio Ramos hatte das eine oder andere über die Nominierung bestimmter spanischer Nationalspieler gesagt. Die Aussagen wurden implizit als Stichelei gegen Cesc Fàbregas und Diego Costa verstanden, die aus dem aktuellen Nationalmannschaftskader von Trainer Vicente del Bosque gestrichen worden waren. Eine kontroverse Geschichte löste die andere ab.

48 Stunden im Auge eines Hurrikans. Nur 48, aber es kam mir viel länger vor.

Dabei ging mir eine Frage nicht aus dem Kopf: Kann dich die Wahrheit retten? Ich konnte nicht aufhören, über die Rolle des Sportjournalismus in jenen Ländern nachzudenken, die ich gut kenne: England und Spanien.

Als Sportjournalisten können wir nur einen Teil dessen berichten, was wir wissen. Es gibt fast immer zwei Gespräche mit unseren Informanten und Interviewpartnern: eines mit eingeschaltetem Mikrofon und ein anderes ohne. Viele Geschichten sind bekannt, werden aber aus einer Vielzahl von Gründen nicht veröffentlicht: Seien es gute Gründe (unzureichende Quellen, warten auf den richtigen Zeitpunkt …) oder schlechte (um einen Freund nicht zu verärgern, eine Quelle nicht zu verlieren oder die Angst vor der Isolation, die die Veröffentlichung einer Exklusivmeldung immer begleitet).

Es wird nur ein Teil der Wahrheit erzählt. Das, was wir für interessant halten. Oder das, was sich unserer Meinung nach am besten verkaufen lässt.

Man kann, oder besser gesagt, man muss, wenn es um Fakten geht, genau, fair und unvoreingenommen sein. Die Art und Weise, wie eine Geschichte dargestellt und behandelt wird, muss sauber sein. Aber objektiv zu sein, ist von dem Moment an, in dem ein Wort zur Beschreibung einer Sache gewählt wird, ein Ding der Unmöglichkeit.

Natürlich sind wir einem Berufskodex unterworfen. Und wir müssen uns gut stellen mit unseren Chefs und Auftraggebern, heute mehr denn je, da unsere wirtschaftliche Arbeitssituation so prekär geworden ist. Derjenige, der zahlt, hat das Sagen. Derjenige, der zahlt, bestimmt die Parameter dessen, was wahr ist und was nicht. Und Informationen werden gekauft und verkauft, weil sie ein Produkt sind, erst recht im glitzernden Showbiz des Profifußballs.

Außerdem unternehmen mächtige Leute große Anstrengungen, um Einfluss auf das Geschriebene zu nehmen. Ich weiß, dass ein wichtiger Vereinspräsident in Spanien – erfolglos – versucht hat, den Chef einer großen Sportzeitung aus dem Amt zu drängen, um dessen kritische Berichterstattung zu verhindern. Der Klubboss versuchte es mit persönlichen Anschuldigungen und anderen Druckmitteln. Ich werde hier nicht sagen, wer daran beteiligt war. Ich werde Ihnen vorerst nur die eine Hälfte der Geschichte erzählen.

Sehen Sie? Sportjournalismus ist nicht einfach nur Ergebnisberichterstattung.

* * *

Während eines Auftritts des Journalisten Manu Sainz in der Fernsehsendung El chiringuito de Jugones3 sprach er über seine Beziehung zu Ronaldo, kurz nachdem der Spieler wegen aggressiven Verhaltens im La-Liga-Spiel gegen Córdoba des Feldes verwiesen worden war:

Cristiano ist ein Vorbild, auch wenn er mal einen Fehler macht. […] Neulich sagte er nach dem Spiel gegen Córdoba im Mannschaftsbus zu mir: „Ich möchte, dass du ein paar Dinge für mich schreibst. Ich hatte noch keine Zeit, mich zu entschuldigen, und ich möchte, dass du etwas schreibst.“ Ich wollte es tun, habe es dann aber nicht getan, weil die Leute vom Klub sagten, es sei besser, das auf Twitter zu erledigen.4

Dinge im Namen eines Spielers schreiben? Einige Leute waren verärgert. Manche sprachen von schlechtem Journalismus. „Manu ist nur der Schreiber von Ronaldo“, sagten andere. Doch so funktioniert ein großer Teil der Branche: Für ein gewisses Maß an Unterwerfung erhält man im Austausch Informationen. Was ich vorher noch nie so deutlich gehört hatte, war das Konzept „Er gab mir ein paar Sätze zum Aufschreiben“.

In England verteidigen viele Journalisten die Trainer und Spieler auch, weil sie mit ihnen befreundet sind. Ich werde nicht verraten, wer diese Leute sind. Ich zum Beispiel habe eine Schwäche für Rafa Benítez, ich habe gesehen, wie er trainiert und wie er arbeitet. Ich kenne viele Gründe für seine Entscheidungen und seine Denkweise. Ich verteidige ihn über meine journalistischen Pflichten hinaus, weil ich das Gefühl habe, dass er ungerecht behandelt wird. Hinter meinen Äußerungen über Rafa steckt eine Art Kreuzzug. Denn in seiner Zeit als Liverpool-Trainer hatte er in einer berühmt gewordenen Pressekonferenz im Dezember 2014 mit Aussagen über Manchester Uniteds Boss Sir Alex Ferguson, über Schiedsrichter, die FA und José Mourinho den Status quo in der Premier League infrage gestellt. Ich dachte immer, wenn Rafa Engländer wäre, wäre er mit dieser Aufmüpfigkeit zum Nationalhelden gekürt worden.

Aber ist das Journalismus?

Handelt es sich dabei um intellektuelle Korruption oder sind wir einfach nur das Ergebnis davon, wie die Branche funktioniert?

Ich für meinen Teil werde nie in der Lage sein, objektiv zu sein, wenn es um Cristiano Ronaldo geht. Aber ich sage Ihnen eines: Lesen Sie einfach weiter.

* * *

Vielleicht kennen Sie Oliver Sacks, den berühmten Neurologen, Arzt, Bestsellerautor – ein chronisch introvertierter Charakter. Sacks war neugierig auf die Welt und unser Gehirn, aber unfähig, mit den Menschen ein sinnvolles Gespräch zu führen oder gar eine Beziehung einzugehen, wie er in seiner Autobiografie On the Move erklärt.

Bisweilen war er jedoch selbst so bass erstaunt über seine Beobachtungen, dass er nicht anders konnte, als davon zu erzählen:

Ich spreche fast nie mit Leuten auf der Straße. Aber vor einigen Jahren gab es eine Mondfinsternis, und ich ging nach draußen, um sie mit meinem kleinen Teleskop zu betrachten. Alle anderen auf dem belebten Bürgersteig schienen nichts von dem außergewöhnlichen Himmelsereignis über ihnen mitzubekommen, also hielt ich die Leute an und sagte: „Schauen Sie! Sehen Sie, was mit dem Mond passiert!“, und drückte ihnen mein Teleskop in die Hand. Die Leute waren überrascht, auf diese Weise angesprochen zu werden, aber fasziniert von meinem offensichtlich unschuldigen Enthusiasmus. Sie schauten durch das Teleskop und sagten: ‚Hey, Mann, danke, dass ich mir das ansehen durfte, danke, dass du es mir gezeigt hast.“‘

Ich verspreche Ihnen in diesem Buch keine Objektivität, aber ich verspreche Ihnen uneingeschränktes Engagement und offene Neugierde, wie wir sie alle für Ronaldo, sein Leben und seine Karriere haben.

Es gibt noch ein weiteres Problem, das die Beziehung zum Hauptdarsteller einer Biografie gefährden kann, auf das ich gerne hinweisen möchte. Stellen wir uns vor, ich hätte Cristiano davon überzeugen können, mir persönlich zu erzählen, wie er dorthin gekommen ist, wo er heute ist. Vielleicht würde er sagen: „Ich mag arrogant erscheinen, aber ich bin es nicht, wegen diesem und jenem.“ Vielleicht würde er zugeben, dass er es ist, sich aber weigern zu akzeptieren, wie andere über ihn urteilen. Vielleicht würde er sagen, dass er möchte, dass alle ihn lieben. Vielleicht würde er sagen, dass er keine Lust hat, morgens zur Arbeit zu gehen. Oder dass es ihm manchmal einfach keinen Spaß macht, Fußball zu spielen. Aber: Wer ist schon in der Lage, so brutal, offen und aufrichtig zu sein?

Wir alle haben Makel, Schwächen, Probleme, Gedanken, für die wir uns schämen, Geschichten aus der Vergangenheit, die wir zu verbergen versuchen. Und wenn sie doch ans Licht kommen, versuchen wir, sie zu vertuschen. Das gilt umso mehr für jene unter uns, die in der Öffentlichkeit stehen.

Und das ist die Grenze, gegen die der Biograf ankämpft: Ein Interview mit seinem Protagonisten garantiert nicht den Zugang zur Wahrheit. Es garantiert allenfalls die Wahrheit aus Sicht des Subjekts.

Hinzu kommt, dass Cristiano Ronaldo seit 2012 die Hauptfigur einer groß angelegten Imagekampagne ist, die Jorge Mendes initiiert, der Kopf von GestiFute und einer der bekanntesten Spielerberater der Fußballwelt. Hätte ich die GestiFute-Version der Ronaldo-Geschichte erzählen sollen?

Zu dieser Zeit ging ich mit einem ehemaligen Spieler essen. Er war seit mehr als dreißig Jahren im Fußballbusiness unterwegs, war in einer Zeit historischer Titelgewinne der Topstar einer legendären Mannschaft gewesen und verdiente sein Geld inzwischen als Trainer.

„Du weißt doch“, sagte er zu mir, „dass du nicht die Wahrheit aufschreiben kannst, oder? Sie werden dich kontrollieren wollen. Und es ist ganz normal, dass sie das tun.“

* * *

Zwei Wochen vor der eingangs geschilderten Facebook-Episode zeigte mir ein Handy einen Anruf von einer mir unbekannten portugiesischen Nummer an. Konnte das Jorge Mendes gewesen sein? Ich wollte ihn persönlich treffen, nachdem ich seine Einladung zu den Globe Soccer Awards angenommen hatte, die er seit 2010 jährlich in Dubai organisiert und die dazu dienen, die Erfolge des Mendes-Imperiums zu feiern.

Bei der Veranstaltung, an der ich teilnahm, wurde Mendes’ portugiesischer Landsmann (und Klient) Deco als Spieler des Jahrzehnts ausgezeichnet. Xavi Hernández vom FC Barcelona, den man mitsamt seiner Familie für ein paar Tage nach Dubai einflogen hatte, erhielt den Preis für den besten Spieler der letzten zehn Jahre. Ganz im Ernst: Die Titel der Auszeichnungen bei diesen Awards werden der jeweiligen Gästeliste angepasst. Gleichwohl ist die Vernetzung in Dubai auf allerhöchstem Niveau.

Ich besaß nur eine spanische Telefonnummer von Mendes, der die meiste Zeit in Madrid verbringt, und wartete, wie gesagt, seit Längerem auf seinen Anruf. Wir hatten ein paar Nachrichten ausgetauscht. Und ich hatte das Gefühl, dass das entscheidende Gespräch, das unsere Beziehung während der Arbeit an diesem Buch bestimmen würde, kurz bevorstand.

Von dem Moment an, als die Presseabteilung von Real Madrid meine Interviewanfragen bezüglich Ronaldo an Mendes weiterleitete und man mir ausrichtete, dass ich mit seinem Agenten sprechen müsse, um ein Gespräch mit Ronaldo zu arrangieren, wusste ich, dass alles in einem schwierigen und möglicherweise einmaligen Telefonat entschieden werden würde. Mendes redet nicht um den heißen Brei herum. Es gibt keine Pausen in den Gesprächen mit ihm. Peng, Peng, Peng und das wars. So spricht man mit Mendes. Oder besser gesagt, so spricht er mit einem.

Ich war bereits in Funchal (Madeira) und Lissabon gewesen. Ich hatte mit Spielern von Real Madrid gesprochen. Ich hatte einige Zeit in Manchester verbracht und dort lange Gespräche mit etlichen Personen geführt, die Teil von Cristianos Leben waren. Ich besaß eine Menge Informationen. Meine verschiedenen Erfahrungen mit Ronaldo – ich hatte ihn für den TV-Sender Sky Sports interviewt und zudem einige seiner kommerziellen Veranstaltungen moderiert – das war schon was. Mit den mir vorliegenden Informationen hätte ich das Buch schreiben können. Aber ich war fest entschlossen, mit Mendes zu sprechen, trotz dem zu erwartenden Kampf um die Kontrolle darüber, was veröffentlicht werden dürfte. Ich hatte ihm wiederholt Textnachrichten geschickt: „Sprich mit Leuten, die mich kennen, Jorge. Du wirst herausfinden, was für eine Art von Schriftsteller und Mensch ich bin.“ „Ich bin nicht auf der Suche nach einem autorisierten Buch, aber wir könnten uns unterhalten und du könntest mich auf dieser Reise begleiten.“

Darauf hatte ich entweder negative Antworten erhalten oder gar keine.

Im Rahmen meiner Recherchen las ich die Ronaldo-Biografie von Mario Torrejón, einem ehemaligem Journalisten, inzwischen stellvertretender Geschäftsführer einer Spielerberateragentur. Für sein Buch hatte er damals mit Mendes zusammengearbeitet und sowohl diesen als auch Ronaldo und Real Madrids Präsidenten Florentino Pérez interviewen können. Ich glaube jedoch, dass er einen Preis dafür gezahlt hat: Viele der in dieser Biografie erzählten Geschichten tragen den Stempel von GestiFute.

Ich rief also diese portugiesische Telefonnummer zurück. Wenn es Mendes wäre, würde ich sehen, wohin das Gespräch führt.

Es war Mendes.

„Hör mal“, sagte er zu mir ohne Begrüßungsfloskeln, „ich habe beschlossen, dir zu helfen, aber verarsch mich nicht! Ich habe mit Leuten gesprochen, die mir gesagt haben, dass du ein guter Kerl bist.“

Später fand ich heraus, dass Mendes u. a. den Marca-Chefredakteur Óscar Campillo um seine Einschätzung mich betreffend gebeten hatte.

„Das Problem ist“, setzte Mendes unser Telefonat fort, „dass ich nicht weiß, was du schreiben wirst. Du hast ja das Messi-Buch verfasst. Bei Mario Torrejón wussten wir von der ersten Minute an, was er schreiben wollte. Ich weiß nicht wirklich, wie ich dir helfen kann. Ich möchte dir ja helfen, aber ich weiß nicht so recht, wie.“

Schon steckten wir in einer Sackgasse. Nun war es ein Kampf darum, wer die Oberhand behält.

„Ich weiß nicht, was du schreiben wirst. Ich weiß nicht, mit wem du sprechen wirst.“

„Willst du wissen, mit wem ich spreche? Ich kann dir sagen …“

„ Nein, du kannst tun, was du willst.“

„Aber alle sagten mir, ich solle mit dir sprechen.“

„Der Verein sollte mehr Verantwortung übernehmen. Aber ich weiß nicht, ob wir miteinander sprechen werden, weil ich nicht weiß, was du tun und was du schreiben wirst.“

„Wir können uns zusammensetzen und alles besprechen. Ich werde dir erklären, welche Aspekte ich zu behandeln gedenke.“

Ich sagte Mendes außerdem, dass ich noch einige Interviews führen müsse, bevor ich wüsste, was ich schreiben wolle, und dass sich das Konzept des Buches im Laufe der Arbeit daran weiter herausbilden würde. Das stimmte zwar nicht ganz, aber es verschaffte mir etwas Zeit.

Ronaldos Entourage hat verstanden, dass man, um ihn bei Laune zu halten, das Wettkampftier in ihm füttern muss. Man muss Ronaldo garantieren, dass jeder und alles ihm zu Diensten steht. Man muss die Kritiker auf Distanz halten oder sie kontrollieren, das Narrativ gestalten und ihn auf seinem Sockel halten. Das hilft ihm, mehr Ballons d’Or und Trophäen zu gewinnen. Und: Es ist auch gut fürs Geschäft.

Eine Frage blieb unbeantwortet in jenem Gespräch mit Mendes. Was passiert, fragte ich ihn, wenn wir in einer Sache nicht einer Meinung sind? „Wir werden das besprechen“, sagte er.

Ich dachte mir zum Beispiel: Was ist mit dem Wechsel von Ronaldo zu Real Madrid? Ich weiß, was sich abgespielt hat. Ich habe die Verträge gesehen. Aber was ist, wenn Mendes die ganze Geschichte nicht erklären will, auch nicht das Angebot von Manchester City, das er anscheinend gerne angenommen hätte? Oder: Wie lässt sich aus der Perspektive von Ronaldo erklären, dass er in der Kabine von Manchester United den einzigen Spind gegenüber einem Spiegel zugesprochen bekommt? Wird das im Buch als Banalität oder als Ausdruck einer eitlen Persönlichkeit behandelt? Können wir über Narzissmus sprechen? Würden Mendes und Ronaldo mich die Anwesenheit (und Abwesenheit) eines alkoholkranken Vaters analysieren lassen, der gegen Ende seines Lebens jegliche Hilfe verweigert hat?

„Nur damit du es weißt“, betonte Mendes, „ich trage die volle Verantwortung dafür. Einige Leute in meinem Lager sagen mir, ich solle nicht mit dir arbeiten, aber ich denke, dass du ein anständiger Kerl bist. Wir werden das zusammen machen, aber du kannst mich nicht verarschen.“

Er sagte mir, er wisse nicht, wie er mir helfen könne, weil er nicht wisse, wie er mich kontrollieren könne. Ich habe ihm ein gewisses Maß an Kontrolle angeboten, aber keine vollständige.

Seit der Facebook-Kontroverse habe ich nicht mehr mit Mendes gesprochen.

Tatsächlich rief Mendes nach dem Posting einige Meinungsmacher in den spanischen Medien an. Wenn Ronaldo verärgert ist, multipliziert Mendes das mit zwanzig. Er wollte, dass seine Freunde in den Medien die Geschichte umgehend dementieren und meine Glaubwürdigkeit infrage stellen.

* * *

Am 18. November 2014 trafen Portugal und Argentinien in einem Freundschaftsspiel im Old Trafford aufeinander. Im Vorfeld des Spiels drehte sich alles um das Verhältnis von Ronaldo zu Messi. Es wurde viel darüber geschrieben, hin und wieder wurde das berüchtigte Wort aus meinem Buch erwähnt. Es wurde aus dem Zusammenhang gerissen, an anderer Stelle eingepflanzt und aufgebauscht.

Ich hatte geplant, nach Manchester zu reisen, wollte aber keinem der beiden Spieler über den Weg laufen. Ich konnte mir bildhaft vorstellen, wie Ronaldo mich vor meinen Journalistenkollegen ignorieren würde, während er früher stehen geblieben wäre, um mich zu grüßen und mit mir zu plaudern. Ich konnte mir vorstellen, wie Messi mir die Hand schütteln und mit mir sprechen würde, wie er es manchmal tut. Das würde reichen, dachte ich, damit jemand die Geschichte wieder aufgreift. Warum eine weitere Steilvorlage liefern?

Wahrscheinlich war die Situation überhaupt nicht so ernst, aber meine Paranoia hatte zugenommen.

* * *

Der Facebook-Post beendete die Debatte mit Mendes über die Kontrolle des Inhalts dieses Buches, und ehrlich gesagt fühlte ich mich danach befreit.

Für die Version von Real Madrid, Mendes oder Ronaldo gibt es offizielle Bücher oder solche, an denen sie mitgearbeitet haben. Ich ziehe es vor, mich an der Konstruktion dieser Legende nicht zu beteiligen. Und tatsächlich hatte und habe ich keine andere Wahl: Was Sie hier lesen werden, ist meine Version von Ronaldos Reise, was ihn beeinflusst hat, welche madeirischen Züge ihm geblieben sind, wie er sich bei Manchester United entwickelt hat, was Real Madrid für ihn getan hat und weshalb er nach Saudi-Arabien gewechselt ist. Ich werde über seine Arroganz und Eitelkeit sprechen, darüber, weshalb er das Bedürfnis hat, als der Beste anerkannt zu werden – und das ständig und überall. Was treibt ihn an? Warum arbeitet er so viel härter als alle anderen?

Als ich über Ronaldos Arbeitswut und seine Selbstoptimierung nachdachte, las ich in der AS ein großartiges Interview von Marco Ruiz mit Arrigo Sacchi, dem legendären Trainer der AC Milan aus den 1980er-Jahren:

„Ihre Spieler sprechen in den höchsten Tönen von Ihnen, aber sie sagen auch: ‚Er war ein Workaholic.“‘

„Es gibt einen italienischen Dichter, der zu sagen pflegte: ‚Es gibt keine Kunst ohne Besessenheit.‘ Wenn man nicht viel investiert, bekommt man auch nicht viel zurück. In seinem Buch sagte Carlo [Ancelotti]: ‚Arrigo war so entschlossen und überzeugt, dass wir sagten: Wir müssen weitermachen.‘ Es war fast schon eine Frage des Fanatismus. Diese Qualität habe ich bei allen großen Trainern gesehen: Lobanowskyj, Michels, Guardiola, Kovacs … Sie haben alles gegeben, was sie geben konnten. Ich bin nach zwanzig Jahren harter Arbeit in den Ruhestand gegangen. Ich konnte mit diesem Tempo nicht mithalten. Ich war erschöpft. Nur eine Gewissheit trieb mich an: Dass man es immer besser machen kann. Meine Mailänder Mannschaft hat innerhalb weniger Monate den Europapokal, den europäischen Supercup und den Weltpokal gewonnen. Baresi sagte zu mir: ‚Jetzt sind wir die Besten der Welt.‘ Ich antwortete ihm: ‚Ja, bis heute um Mitternacht.‘“5

Dass man es immer noch besser machen kann, ist eine innere Haltung, die auch Ronaldo zu dem gemacht hat, was er ist.

Wobei es mehr Cristianos gibt als nur den Besessenen. Nehmen Sie zum Beispiel den Großspurigen oder den Großzügigen. Derjenige, der sich auf dem Spielfeld entwickelt hat, derjenige, der sich selbst geschaffen hat, derjenige, der als Teenager allein war. Derjenige, der seine Familie beschützt und dabei zu einem Felsen geworden ist. Derjenige, der das, was er erreicht hat, auf kontroverse Weise feiert. Derjenige, der seine Boni verschenkt.

Ich bin weit gereist, um möglichst viele Blickwinkel auf diesen Mann zu entdecken. Dabei traf ich in Madeira und Portugal im Allgemeinen jedoch auf ein gewisses Misstrauen, wenn es darum ging, über Ronaldo oder Mendes zu sprechen. Warum war man so ängstlich? Warum scheint die einzig mögliche Beziehung zu einem der beiden eine unterwürfige zu sein?

Und: Wäre es möglich, all das zu ergründen, wenn die endgültige Manuskriptfassung von Jorge Mendes hätte abgesegnet werden müssen?

Ich entdeckte beispielsweise, dass es auf dem Trainingsgelände von Manchester United in Carrington ein Kulturschock gegeben hatte. Viele Menschen waren an der Entstehung von Ronaldo beteiligt (so sagt man). Viele wollten ihn verändern, weil sie nicht daran glaubten, dass er nur halb so gut werden könnte, wie er später werden sollte. Einige haben sogar das Vertrauen in ihn verloren, da er das individuelle Spiel über die Ziele der Mannschaft stellt. Vielleicht haben sie ihn schließlich verändert, aber nicht alle würden zugeben, dass Cristiano seinerseits auch die Kultur einer der berühmtesten Fußballvereine der Welt verändert hat.

Es bedurfte einigen Kratzens, um die Lackschichten zu entfernen, die jenen Ronaldo bedecken, den sein Umfeld der Welt heutzutage zu verkaufen versucht, ohne dabei seine menschlichen Stärken und Schwächen aus den Augen zu verlieren. Wird meine Version dieses Lebens besser sein als die von anderen Autoren? Die Wahrheit ist: Es spielt keine Rolle. Eines ist jedoch sicher – ich werde versuchen, es anders zu machen. Jeder kann schließlich den Eiffelturm fotografieren, aber der Schlüssel liegt darin, eine Aufnahme zu machen, die noch niemand gesehen hat.

Vielleicht wird es nicht der Ronaldo sein, den Sie alle sehen wollen, oder der Ronaldo, den er sehen will, oder der Ronaldo, den Mendes dargestellt haben möchte, oder sogar der Ronaldo, der er wirklich ist. Oder der Ronaldo, den seine Kritiker so gut „kennen“.

Was folgt, basiert auf Recherchen, Analysen, Studien, jahrzehntelanger journalistischer Erfahrung, auf Gesprächen mit Menschen, die ihn kennen, Psychologen, Soziologen, Spielern, mit denen er die Kabine geteilt hat, Vereinsvorständen, einigen seiner Trainer sowie auf Gesprächen, die ich mit ihm und seinem Umfeld vor der Kontroverse geführt habe … sowohl offiziell als auch inoffiziell.

Ronaldo lässt die Welt in sein Leben hineinsehen. Er gibt häufig Interviews, und Kameras dürfen bei Preisverleihungen hinter die Kulissen blicken. CNN erhielt 2012 freien Zugang zu seinem Haus für ein Gespräch, dem britischen TV-Moderator Piers Morgan gab er 2022 ein viel beachtetes Exklusivinterview usw. Auf diese Weise entsteht allmählich das Bild eines Gewinners.

Es wird nicht einfach sein, den richtigen Ronaldo zu finden.

* * *

Und für diejenigen, die sich das an dieser Stelle vielleicht fragen: Nein, ich habe nie einen Anruf von Ronaldos Anwälten erhalten.

1 Guillem Balagué, Messi, 2013

2 Spanischer Radiosender

3 Spanische TV-Sendung, in der über Fußball debattiert wird, in erster Linie über die Vorkommnisse bei Real Madrid und dem FC Barcelona.

4 El chiringuito de Jugones (Sendung auf dem Kanal Sexta TV), 26. Januar 2015

5 Ruiz, Marco, „Este Real Madrid tiene algo de nuestro gran Milán“, AS, 21. November 2014

Madeira

Wenn wir geboren werden, sind wir das Ergebnis von vier Faktoren, die wir uns nicht aussuchen können: unserer Mutter, unseres Vaters, unserer Geschwister und des Ortes, an dem wir das Licht der Welt erblicken. Daraus entwickelt sich die Leidenschaft, die uns antreibt. Alle anderen Einflüsse sind Nebensache, Dekoration. Ich weiß, ich weiß, nicht jeder wird dieser Definition zustimmen.

Es wird indes noch etliche Seiten dauern, um zu erkennen, was Cristiano Ronaldo antreibt – womit also beginnen? Mit der Mutter, der Familie, dem Ort, an dem er geboren wurde?

Dolores Aveiro ist die Mutter, die ihren zwölfjährigen Sohn von zu Hause weggehen ließ, damit er seinen Traum leben konnte, Profifußballer zu werden. Es tat weh, doch sie ließ sie ihn in so jungen Jahren davonziehen. Vielleicht war es die beste oder die einzige Möglichkeit. Vielleicht war es aber auch, weil ihr etwas Ähnliches widerfahren ist. Man sagt ja oft, dass die Tugenden und Fehler des Lebens sich von Generation zu Generation wiederholen. Seinerzeit hatte Dolores’ Vater die Familie verlassen, nun ging Cristiano nach Lissabon, um dort seine Karriere bei Sporting fortzusetzen. Für mich ist da ein unsichtbarer Faden, der beide Erfahrungen miteinander verbindet. Man muss das Leben seiner Mutter kennen, um Ronaldo zu verstehen.

Insofern müssen wir jenen Ort besser kennenlernen, an dem Dolores und Cristiano geboren wurden, an dem sie aufgewachsen sind und von dem sie schließlich geflohen sind. Wir müssen nach Funchal reisen.

Funchal ist …

… die Hauptstadt der portugiesischen Insel Madeira vor der Nordwestküste Afrikas.

… eine extrem grüne Insel, die erfüllt ist vom Geist der Verstorbenen und der heutigen Bewohner, die kurz vor dem Ableben stehen.

… ein Gefängnis ohne Türen.

… ein Scheideweg.

… ein Sprungbrett.

Und: Funchal wurde zufällig entdeckt.

Gehen wir zurück ins frühe 15. Jahrhundert, in das Zeitalter der großen Entdeckungen. Heinrich der Seefahrer, Infant von Portugal und erster Herzog von Viseu6, bewegte sich am Hof des portugiesischen Königs. Heinrich hatte trübe Augen, aber eine entschlossene Stimme, und verschaffte sich mit viel Geschick das Monopol auf die Erkundung der afrikanischen Küste. Er versammelte die besten Navigatoren und Kartografen des Landes und damit der gesamten damaligen Welt. Er schickte sie auf die Entdeckung neuer Länder mit Rahseglern, meist Dreimaster, ausgestatte mit einfachen Instrumenten: einem Astrolabium7, einer Sanduhr und einem Kompass.

Die Winde vor der afrikanischen Küste waren tückisch, die jungen Kapitäne João Gonçalves Zarco und Tristão Vaz Teixeira verirrten sich, es vergingen Tage, ohne dass Land in Sicht kam. Dann entdeckten sie eine Insel mit goldenen Stränden, die sie Porto Santo („Heiliger Hafen“) nannten. Nachdem sie die Gewässer kartiert hatten, kehrten die Seefahrer nach Portugal zurück, um von ihrer Entdeckung zu berichten.

„Danke“, sagte Infant Heinrich. „Kehrt jetzt zurück und kolonisiert die Insel. Und sucht weiterhin nach neuen Horizonten.“

Das war im Jahr 1419.

Nicht weit von Porto Santo entfernt, in südlicher Richtung, erkannten die Forscher riesige Wolkenformationen, die, wie jeder weiß, der schon einmal auf Madeira war, ebenso charakteristisch für die Insel sind wie ihre steilen Straßen und der Wein.

Jede Seemeile war ein Schritt ins Unbekannte, ein Kampf gegen Aberglaube und Angst, ein Kampf gegen Winde und Wellen. Von Porto Santo aus gelangten sie zur Bucht von Machico, dem Tor von Madeira, 400 Kilometer von den Kanarischen Inseln entfernt und auf demselben Breitengrad gelegen wie Casablanca in Marokko: Madeira war entdeckt worden.

Heinrich der Seefahrer schickte bald darauf Familien, vor allem Bauern von der Algarve, um die neuen Ländereien zu besiedeln. Heute leben dort fast 270 000 Menschen.

Zwar wurde das portugiesische Kolonialreich 1975 formell aufgelöst, aber Madeira blieb als ein Überbleibsel dieser goldenen Ära, wenn auch bis heute wie ein entfernter Cousin, der der Familie in Portugal reichlich fremd ist.

* * *

Vor meiner ersten Reise nach Funchal machte ich einen Zwischenstopp in Lissabon. Ich traf mich mit Freunden im Clube de Jornalistas zum Essen, einem Ort, den man für einen Hort intellektueller Diskussionen halten könnte. Nicht jedoch, wenn es um Madeira geht: „Die Madeirer haben nicht nur einen seltsamen Akzent, sie sind auch seltsam“, so die landläufige Meinung. Ich nehme an, Sie haben von der Armut gehört, die die Insel prägt. Es handelt sich um eine kleine Diktatur mit dem am längsten amtierenden Staatschef des Landes. Madeira ist nicht Portugal, es ist etwas anderes.

Und als touristische Destination? „Für Engländer aus der Unterschicht“, erklärte uns ein Mann, der noch nie einen Fuß auf Madeira gesetzt hatte. Das müsse man auch nicht, sagte er.

Nach der Landung auf dem winzigen Flughafen von Funchal bemerkte ich, dass die Statue von Kapitän Zarco immer noch im Stadtzentrum stand und über die Nachkommen jener Familien von der Algarve wachte, die sechs Jahrhunderte zuvor die Insel vulkanischen Ursprungs besiedelt hatten. Und wie schon die Entdecker, wurden auch wir von tiefhängenden Wolken empfangen, die man fast mit der Hand berühren konnte.

Es war Mai, eine anstrengende Fußballsaison ging zu Ende, ich wollte mich auf Madeira etwas Entspannen und locker Kontakt mit Leuten aufnehmen, die mit der Hauptfigur meines neuen Buches in Verbindung standen. Ich suchte mir ein Hotel in Funchal, nahm mir einen Mietwagen (ohne zu wissen, dass die Straßen Madeiras mitunter über dreißig Prozent Steigung aufwiesen), und machte mich auf die Suche nach ersten Informationsquellen. Einige Lokaljournalisten zeichneten im Gespräch ein überraschendes Bild von Ronaldo. Wann immer er nach Funchal zurückkehre, wirke er distanziert und zeige wenig Interesse an dem, was er hinter sich gelassen habe. Das erinnerte mich an das, was man in Liverpool über die Beatles sagt: Es schmerzt die Liverpooler, dass John, Ringo, George und Paul sich ihrer Geburtsstadt gegenüber nie ersichtlich dankbar gezeigt haben.

Was Ronaldo und Madeira betraf, so war er dort augenscheinlich mit einigen Leuten ins Geschäft gekommen, die sich von ihm Geld geliehen hatten, ohne sich an die damit verbundenen Versprechen zu halten. In der Zwischenzeit, so erzählten die Journalisten mir, hatte sich Cristiano mit der Clique der Mächtigen der Insel angefreundet.

Lassen Sie uns das in einen Zusammenhang bringen. Der ehemalige Präsident der autonomen Region Madeira, Alberto João Jardim, war 37 Jahre lang im Amt, ehe er im Januar 2015 seinen Rücktritt erklärte. Für die einen war Jardim ein herausragender Politiker, Wohltäter und Kämpfer für die Sache Madeiras. Für die anderen der vertrat er das Establishment. In seiner Abschiedsrede vor Journalisten am Tag seines Ausscheidens aus dem Amt sagte er: „Ich hatte nicht vor, jemanden zu verletzen, aber wenn jemand unfair zu mir ist, muss er dafür bezahlen.“ Jardim war ein Mann, mit dem sich gutzustellen angezeigt war.

Ein erster Blick zeigt zwei Arten von Madeirern: solche wie Jardim, denen die Insel alles bedeutet, und solche wie Zarco, der Entdecker, der wegging, um neue Welten zu erobern, aber der ein Haus auf der Insel behielt. Tatsache ist: Kein Madeirer geht jemals wirklich weg …

Die ersten Siedler bewirtschafteten das Land, und auch heute noch bilden landwirtschaftliche Kleinbetriebe den wichtigsten Wirtschaftszweig der Insel, der jederzeit auf Missernten gefasst sein muss. Da das Land überdies knapp ist, mussten Menschen zu jeder Zeit auswandern. Die meisten taten es in der Hoffnung, eines Tages zurückzukehren.

Es bildeten sich große Gemeinschaften von Madeirern an so weit entfernten Orten wie Südafrika und Venezuela, und die meisten von ihnen wurden schon bald nach der Ankunft in ihren neuen Ländern zu führenden Größen in ihren Branchen: Bau- und Fabrikarbeiter, Rechtsanwälte und Unternehmer im Hotel- und Gaststättengewerbe. Man verlässt sein Heimatland nur, wenn man eine andere Welt erobern will. Heute rühmen sich 750 000 über den ganzen Globus verteilte Madeirer ihrer Herkunft. Erinnert das nicht irgendwie an Ronaldo?

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Auf dieser ersten Reise in Cristianos Heimatland suchte ich auch seinen Geburtsort auf: das bescheidene Quinta do Falcão, hineingebaut in einen Berghang und bestehend aus zwei steilen Straßen, kleinen Häusern mit Wäscheleinen vor den Fenstern, einem Geschäft und einer Bar mit Plastikdach und erhöhter Terrasse auf einem unebenen Zementblock. Das Haus von Cristiano wurde gut zehn Jahren abgerissen, um dort Sozialwohnungen zu errichten.

Dank der Zuschüsse der Europäischen Union wuchst der Wohlstand auf der Insel, doch obwohl die autonome Regierung das gern verbergen möchte, schwimmt Madeira tatsächlich in einem Meer wirtschaftlicher Ungleichheit. Um einen Rückgang des Tourismus zu verhindern, spricht die autonome Regierung davon, dass nur etwa zwei Prozent der Madeirer unterhalb der Armutsgrenze leben. Nach Angaben der Wohlfahrtsorganisation União hingegen beläuft sich die tatsächliche Zahl auf zwanzig Prozent. Arbeitslosigkeit ist weitverbreitet, und die staatlichen Leistungen erreichen nicht jeden Bedürftigen. Mehr als 28 000 Bürger Madeiras sind auf subventionierte Lebensmittel angewiesen. Demgegenüber beläuft sich der Anteil der Wohlhabenden an der Gesamtbevölkerung der Insel auf 10 Prozent.

Um die Jahrhundertwende vollzog sich ein interessanter Wandel. Seit dem 17. Jahrhundert nämlich, als Madeira ein wichtiger Hafen für britische Händler auf ihren langen transatlantischen Reisen war, ist Madeira eng mit Großbritannien verbunden. Während der Napoleonischen Kriege besetzten britische Soldaten Madeira, um eine Kolonisierung durch die Franzosen zu verhindern. Einige Briten beschlossen, sich ganz auf der Insel niederzulassen.

In viktorianischer Zeit (1837–1901) verbrachten Damen mit unverkennbar britischen Nachnamen wie Blandy und Leacock die Vormittage mit dem Genuss von Madeirawein und die Nachmittage mit Tee in den Salons ihrer luxuriösen Villen.

Der Zweite Weltkrieg bedeutete dann den Anfang vom Ende des britischen Einflusses sowie der strategischen Bedeutung des Hafens. Die Generation, die sich nun mit dem wirtschaftlichen Niedergang konfrontiert sah, verkaufte die Häuser, in denen ihre Familien jahrhundertelang gelebt hatten, und kehrte ins Vereinigte Königreich zurück. Heute gibt es auf Madeira keine 200 britischen Einwohner mehr, doch die Vorstellung, dass der britische Lebensstil eine beneidenswerte und bessere Lebensart darstellt, hält sich bei den Madeirern (wie bei den Portugiesen generell) hartnäckig.

Nach drei Jahrhunderten unter britischer Herrschaft wurde der koloniale Stil auf der Insel durch eine neue Generation von Geschäftsleuten ersetzt. Sie waren Nachkommen portugiesischer Auswanderer, die ihr Geld in Südafrika oder Venezuela gemacht hatten. Familien wie die Pestanas, die Roques und die Berardos kehrten zurück und investierten in die Infrastruktur der Insel und stabilisierten die Wirtschaft.

Von der Spitze des Hügels, auf dem sich mein Hotel befand, konnte ich einige spektakuläre Wohnhäuser sehen, aber auch mehr oder weniger ärmliche die Hütten, halb fertige Häuser auf trockenem Ödland und Müll auf der Straße. Und viele müde aussehende, ältere Menschen, die scheinbar ziellos umhergingen.

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Am letzten Tag meines Aufenthalts traf ich auf Ricardo Santos, den Sohn des Präsidenten von Andorinha, Cristianos erstem Verein. Er war ein gleichaltriger Mannschaftskamerad von ihm, sowohl im Verein als auch beim Kicken auf der Straße. Sie waren eng befreundet. Aber mit einem schüchternen Blick betonte er, dass ihm dieser Teil seines Lebens jetzt wenig bedeute.

Auf dem Weg zum Flughafen rief ich Fernando Egídio an, einen bekannten Soziologen, der in Funchal lebt. Er lehnte es ab, mit mir über Ronaldo zu sprechen. Er war nicht der Einzige.

Ich habe das Gefühl, dass viele Madeirer einen übermäßigen Respekt vor dem Spieler haben. Und doch waren auf der Insel auf den ersten Blick kaum Anzeichen für jene fast religiöse Verehrung auszumachen, die man etwa Lionel Messi in Rosario oder Diego Maradona in Buenos Aires entgegenbringt. Vielleicht ist das aber auch nur ein Spiegelbild der Art und Weise, wie der Fußball in verschiedenen Ländern gelebt wird.

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Im Gegensatz zu dem, was einige seiner Landsleute sagen, liegt Cristiano Madeira sehr am Herzen und er hat ein echtes Interesse an dem, was dort passiert. Er wählte die Insel als Standort für das erste Hotel seiner CR7-Kette, das im Sommer 2016 eröffnet wurde; die nächsten dieser Lifestylehotels wurden in Lissabon, Madrid, Marrakesch und New York City eröffnet. Er besitzt ein Haus an der Küste, hat in der Nähe ein weiteres für seine Mutter gebaut. Er spendete großzügig für die Fluthilfe auf der Insel im Jahr 2010, als die Überschwemmungen vierzig Tote und mehr als hundert Verletzte forderten. Dieses Engagement hat seinem Heimatland dabei geholfen, die Position Madeiras als Reiseziel zu stärken.

Im Dezember 2013 eröffnete Ronaldo ein Museum, in dem 155 seiner Trophäen und Medaillen, 27 von Mannschaftskameraden nach Hattricks signierte Spielbälle und zahlreiche Fotos ausgestellt sind, die seine Geschichte erzählen. Oder zumindest einen Teil davon. Die Daily Telegraph konstatierte im Mai 2014: „Pelé, der Größte von allen, brauchte drei Weltmeisterschaften, 1281 Tore und weitere 31 Jahre nach dem Ende seiner Karriere, bevor es jemand für nötig hielt, ein Museum in seinem Namen zu eröffnen.“8 Der Eingang führt durch zwei Schiebetüren, die den Blick auf ein überlebensgroßes Foto von Ronaldo freigeben und den Besucher in eine „moderne Aladinhöhle“ führt, in der seine größten Erfolge dokumentiert sind.

Wie der katalanische Dichter Salvador Espriu sagte, ist der Spiegel der Wahrheit in winzige Fragmente zerbrochen. Die Besucher, die das Museum in einer normalen Woche empfängt, freuen sich, mit ihrem Eintritt ein Stück jenes Märchens zu erhaschen, das die Familie Ronaldo erzählen möchte. Espriu sagte auch, dass jedes der Stücke einen Lichtschimmer enthält. Ronaldos Trophäen sind gewiss real, aber ebenso real ist der schwierige Hintergrund, den die Familie Santos Aveiro ertragen und schließlich überwunden hat.

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Maria Dolores Aveiro wurde in Caniçal auf Madeira geboren, wo das Leben in den 1950er-Jahren hart war. Ihr Bruder war ein Jahr zuvor zur Welt gekommen, wurde aber erst nach der Geburt seiner kleinen Schwester Dolores offiziell registriert. Für arme Leute sind die amtlichen Dokumente oft wie eine Fremdsprache und ein lästiges Ärgernis.

Die Geschichte von Ronaldos Mutter ist ein unablässiger Kampf um die Gestaltung ihres Schicksals, wobei die Chancen von Geburt an schlecht standen.

Als Dolores fünf Jahre alt war, verstarb ihre 37-jährige Mutter Matilde an einem Herzinfarkt. Matilde hinterließ vier Kinder. In der Familie gab es kaum Geld für Lebensmittel oder Kleidung. Die mütterliche Zuneigung fehlte, und so übernahm Dolores, die älteste Schwester, von klein auf die Rolle, die Mutterrolle.

Ihr Vater, José Viveiro, schickte die vier Geschwister schließlich in zwei verschiedene religiöse Waisenhäuser. Dort weinte Maria Dolores jeden Tag. Von den Nonnen wurden die Zöglinge bereits für kleine Vergehen körperlich gezüchtigt. Dolores versuchte mehrmals zu fliehen, die Bestrafung fiel hart aus. Ihr Vater besuchte sie so gut wie nie. Ihre Hauptsorge war, dass es ihren Geschwistern gut geht und sie irgendwann wieder vereint werden. Eines Tages tauchte Vater José mit seiner neuen Frau Ángela auf. Die Stiefmutter hatte fünf eigene Kinder und war mit einem sechsten schwanger.

Als Maria Dolores schließlich neun Jahre alt wurde, stellten die Nonnen ihrem Vater ein Ultimatum für seine mit blauen Flecken übersäte Tochter: Er müsse sie mitnehmen. Und das tat er auch.

In der Folge wurde Dolores von ihrer Stiefmutter geschlagen. Sie lief fort, und um weitere solcher Ausbruchsversuche zu verhindern, fesselten sie sie an die Beine eines Tisches. Die häusliche Gewalt erstreckte sich auch auf Dolores’ Geschwister. Der Vater wollte sie in eine psychiatrische Klinik einweisen, aber der Arzt sagte ihm, dass mit seiner Tochter alles in Ordnung sei. Es war nicht seine Tochter, die ein Problem hatte.

Dolores dachte daran, sich das Leben zu nehmen.

In dem Haus von José und Ángela, das von zwölf Personen bewohnt wurde, gab es weder Wasser noch Strom. Fünf Kinder schliefen in einem Zimmer. Ihr Vater nahm sie mit dreizehn Jahren von der Schule. Sie musste Weidenkörbe flechten. Die Arbeit begann um 5.30 Uhr in der Früh, an sechs Tagen in der Woche. Dann wurde Dolores achtzehn Jahre alt.

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Sie freundete sich mit dem zwei Jahre älteren José Dinis Aveiro aus der Nachbarschaft an, der bei einem Fischhändler arbeitete. Sie begegneten sich, wenn sie zum Markt ging oder auf dem Heimweg war. Er brachte sie zum Lachen. Er war voller Leben, gab ihr das Gefühl, attraktiv und respektiert zu sein. Sie verliebte sich. Als ihr Vater davon erfuhr, gab er ihnen ein Zeitfenster von drei Monaten, um zu heiraten – ein Maul weniger zu stopfen, dachte er.

Sie heirateten und zogen zusammen in das Haus von Dinis’ Eltern, wo sie alle vier in einem Zimmer schliefen, nur durch einen Vorhang getrennt.

Die Zeit schien stillzustehen, und Dolores erlebte eine Ruhe, die ihr einen ersten Vorgeschmack auf das Gefühl von Zufriedenheit verschaffte. Sie hatten keine großen Pläne, Verhütung war kein Thema. Elma, ihr erstes Kind, kam ein Jahr nach der Hochzeit zur Welt. Bald darauf, während sie sich noch von der Geburt ihres ersten Kindes erholte, wurde Dolores erneut schwanger. Doch das gemeinsame Glück währte nicht lange. Dinis wurde zur Armee einberufen.

Angola, Guinea-Bissau und Mosambik, damals allesamt portugiesische Kolonien, kämpften um ihre Unabhängigkeit, und Portugal versuchte, sein Imperium zusammenzuhalten und seine wirtschaftlichen Interessen zu bewahren.

Während Dinis für sein Vaterland in Afrika kämpfte, wurde Hugo geboren, das zweite Kind.

Und an der Front schien etwas in Dinis zu sterben.

Zehn Monate später kehrte er in sein Elternhaus in Santo António zurück, jetzt schon etwas grauer. Sein Lächeln hatte sich verflüchtigt. Er war zehn Monate fort, aber um zehn Jahre gealtert. Seine Unschuld und sein Strahlen hatte er auf afrikanischem Boden zurückgelassen, sein Kopf war voll mit den schrecklichen Bildern des Krieges, ähnlich wie bei unzähligen seiner Kameraden. Dinis Körper war unversehrt, aber er wurde im Krieg innerlich verstümmelt und verlor seine Begeisterung für alles, auch für seine Frau.

Von da an konnte man ihn schon frühmorgens am immer selben Ort antreffen: in der Bar.

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Dolores musste plötzlich die Rolle des Vaters genauso wie die der Mutter übernehmen. Sie ging nach Frankreich, allein, um dort zu arbeiten. Sie dachte, wenn sie mit ihrer Arbeit als Hausmädchen in Paris genug Geld verdienen würde, könnte die Familie nach Frankreich umziehen.

Doch die räumliche Distanz bewirkte, dass sie sich zusehends von ihren Kindern und ihrem Mann isolierte, die derweil von ihren Schwiegereltern versorgt wurden.

In einem seltenen Moment der Klarheit sagte Dinis zu ihr am Telefon: „Wenn wir geboren wurden, um arm zu sein, werden wir es auch sein … Aber sei wenigstens deinen Kindern nahe.“

Fünf Monate später kehrte sie nach Hause zurück und wurde bald darauf mit Katia schwanger. Dolores war zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt.

Nach der Nelkenrevolution9 und dem Ende der Diktatur von Salazar10 1974 bezogen sie ein verlassenes Haus, wie es auch viele andere Portugiesen damals taten. Dinis beobachtete sie, wie sie mit einem Kind auf dem Arm und den beiden anderen im Schlepptau auf das neue Grundstück zuging. Alles erschien ihm sehr weit weg, als ob er von außen auf die Dinge schauen würde. Er war immer noch arbeitslos, ein weiterer Mann auf Madeira, dem es an Orientierung fehlte.

Mit dreißig wurde Dolores erneut schwanger. Das Kind war ungeplant. Es gab nicht ausreichend Essen für alle. Und ihr Ehemann war nach wie vor irgendwie abwesend. Sie unternahm einen Abtreibungsversuch: Ein Nachbar riet ihr, abgekochtes Schwarzbier zu trinken und dann so lange zu laufen, bis sie kurz vor der Ohnmacht stehe. Es funktionierte nicht.

Ein Arzt wollte ihr nicht helfen und sah keinen Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. „Es wird die Freude des Hauses sein“, munterte er Dolores auf. Und als das Baby geboren wurde, sagte er: „Bei dem stattlichen Gewicht könnte er ein Fußballer werden!“

Dolores benannte den Neugeborenen nach dem damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Ronald Reagan.

Cristiano Ronaldo dos Santos Aveiro kam am 5. Februar 1985 zur Welt – und fast wäre er in Australien geboren worden.

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José Viveiro, der Vater von Dolores, beschloss wie viele seiner Freunde Madeira zu verlassen und mit Ángela und ihren Kindern nach Perth zu gehen. Dolores versuchte, ihn zu überreden, die ganze Familie mitzunehmen. Woraufhin José meinte, es gebe dort nicht ausreichend Platz. Als ob Australien ein kleines Land wäre …

José und Ángela, die inzwischen verstorben ist, lebten in Yangebup, einem Vorort von Perth, der nach Melbourne, Sydney und Brisbane viertgrößten Stadt Australiens. Im Jahr 2006, als die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stattfand, bezahlte Ronaldo ihnen Reise und Unterkunft, damit sie ihm bei den Spielen Portugals zusehen und mit ihm den vierten Platz feiern konnten.

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Bevor wir fortfahren, gibt es eine interessante biografische Information, die es wert ist, festgehalten zu werden: Ronaldo hat afrikanische Wurzeln. Cristianos Urgroßmutter väterlicherseits war Isabel Rosa Piedade, die in Praia geboren wurde, der Hauptstadt von Kap Verde. Mit sechzehn Jahren wanderte sie nach Funchal aus, wo sie José Aveiro heiratete. Isabel und José hatten einen Sohn namens Humberto, den Vater von José Dinis und Großvater von Cristiano.

Dieses afrikanische Erbe könnte einen Teil seiner angeborenen Fähigkeiten als Fußballer erklären. Kurz gesagt: Die bei schwarzen Sprintern vorherrschende Muskelfaser (weiß, Typ II, für schnelle Kontraktionen, die schnell und explosiv Energie produzieren, ohne Sauerstoff zu benötigen) ist genau jener Typ, mit dem Ronaldo geboren wurde.

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Im neuen, „geliehenen“ Haushalt Aveiro musste jeder mit anpacken. Elma und Hugo gingen früh von der Schule ab, um zu arbeiten. Elma kellnerte in einem Hotelrestaurant, während Hugo in einem Aluminiumwerk arbeitete. Sie waren noch keine siebzehn Jahre alt.

Auch Dolores erlebte eine Veränderung: Sie ersetzte die Weidenkörbe durch einen Löffel und arbeitete in der Küche eines Hotels in Funchal, musste aber weiterhin jeden Escudo umdrehen.

Brot kam immer auf den Tisch, alle zwei Wochen gab es Aufschnitt und sonntags Fleisch. Das Menü zur Wochenmitte bestand aus einer Suppe, die Dolores in den wenigen Stunden zubereitete, die sie zwischen ihren Arbeitsschichten zu Hause verbrachte. Mit Brot und Butter. Hühnchen war für Familienfeiern reserviert. Aber niemand im Haushalt musste hungern.

Sie kauften nie Kleidung, sondern trugen abgelegte Sachen von anderen Familien auf. Als sie aus denen herausgewachsen waren, teilten sich die Aveiro-Kinder Hemden, Hosen und sogar Unterwäsche mit ihren Cousins und Cousinen.

Die Familie zog schließlich nach Quinta do Falcão, einem Dorf in der Nähe des Friedhofs von Santo António, wo Sozialwohnungen gebaut worden waren, aus ungestrichenen Ziegeln und Holzplatten, weit weg von den von Touristen frequentierten Gegenden.

Das war sicherlich eine Verbesserung, auch wenn die Dächer der Häuser aus Asbest bestanden; auch waren sie nicht wasserdicht, Dolores musste die Gemeinde um Material zur Ausbesserung bitten.

„Wir hatten drei Zimmer, eines für mich und meine Schwester, eines für Hugo und Cristiano und eines für meine Mutter und meinen Vater“, erklärt Katia später in einem Fernsehinterview. „Es war ein sehr bescheidenes Haus, aber ich erinnere mich, dass es sehr komfortabel war und wir dort glücklich waren.“

In diesem Dorf, in dem Alkohol und Drogen allgegenwärtig waren, lebten und spielten die Kinder auf der Straße. Niemand sah darin jedoch eine Einschränkung – das ist es ja auch nie, wenn sich alle in der gleichen Situation befinden.

„Das Haus existiert nicht mehr“, sagt Katia. „Wenn ich in diesem Viertel unterwegs bin, bekomme ich immer eine Gänsehaut und würde gerne eines Tages zurückkehren [um dort zu leben]. Ich weiß, dass es nicht möglich ist, aber wenn ich mich an alles erinnere, was wir dort erlebt haben … Worte werden dem nicht gerecht.“

Im Jahr 2008 wurde das Haus abgerissen, obwohl Ronaldo da schon ein Star bei Manchester United war. Niemand dachte daran, es für die Nachwelt zu erhalten. Heute findet sich an der Stelle ein mit Unkraut bewachsener Parkplatz.

In Quinta do Falcão stehen noch immer Hochhäuser, in denen Tanten und Onkel von Ronaldo leben, mit deren Kindern er früher auf der Straße gespielt hat. Dort lebte auch Filomena Aveiro, Cristianos Großmutter väterlicherseits, bis zu ihrem Tod.

Die Menschen in Quinta do Falcão gehen in den Häusern und Wohnungen ein und aus, niemand schließt seine Türen ab. Ronaldo wurde inmitten von Menschen geboren, und so hat er auch immer gelebt: Seine Häuser in Manchester und Madrid waren Gästehäuser für Freunde und Familie. Die Tür stand immer offen.

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Es gibt ein wunderschönes Foto des sechzehnjährigen Ronaldo im Trikot von Sporting Lissabon, das bei einem Besuch auf Madeira aufgenommen wurde. Er war nach Quinta do Falcão gekommen und bat darum, dass man ihn vor seinem alten Haus ablichtet. Auf dem Motiv runzelt er die Stirn und strahlt gleichzeitig vor Stolz. Es ist der einzig erhaltene Schnappschuss von Ronaldo vor seinem ersten Zuhause.

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In Quinta do Falcão gibt es keinen vernünftigen Ort, an dem man Fußball spielen kann, ohne jemanden zu stören. Es existiert weder ein Park noch ein geeignetes Stück Brachland. Marítimo, einer der wichtigsten Klubs der Insel, ist nur zehn Minuten zu Fuß entfernt, aber in Quinta do Falcão haben die Jugendlichen keine andere Wahl, als auf den steilen und unebenen Straßen des Viertels zu spielen. Es sei denn, sie gehen ein paar Kilometer weiter an den Strand.

Ronaldos Vater kam eine halbe Stunde zu spät zur Taufe seines eigenen Sohnes. Dinis, der schon als Kind Fußball gespielt hatte und beim kleinen Ortsverein Andorinha Zeugwart war, beschloss, dass Andorinhas Mannschaftskapitän Fernando Barros Sousa der Taufpate seines Sohnes sein sollte. Dinis erachtete ihn als gutes Vorbild für Cristiano, eine natürliche Führungspersönlichkeit und dank einigen geschäftlichen Erfolges mit ausreichend finanziellen Mittel ausgestattet.

Die Zeremonie war für 18 Uhr angesetzt, aber Andorinha hatte um 16 Uhr ein Spiel, sodass klar war, dass Vater und Pate es nicht pünktlich zur Taufe schaffen würden. Doch Dinis änderte den Plan nicht. Er ging zum Spiel. Währenddessen musste der Priester beruhigt werden. Die übrigen Kinder hatte er bereits getauft. Nur Cristiano noch nicht – weil sein Vater nicht anwesend war!

Wenn Menschen um einen herum Fußball spielen, wenn die Vorbilder Fußballer sind und wenn der Vater die Stirn hat, wegen eines Spieles zu spät zur Taufe zu kommen, ist es fast logisch, dass man Fußballer wird.

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Eine Szene aus dem Dokumentarfilm CR9 vive aquí11 über Cristiano Ronaldo:

„Ich habe die Spitze der Welt erreicht. Jetzt will ich unsterblich sein“, sagt er mit kindlicher Stimme, beugt sich über den Bildschirm, auf dem ein Mosaik aus Passfotos von ihm als Baby zu sehen ist, und sagt dabei so etwas wie: „Tititititi, Cristiano Ronaldo.“ Er macht eine Bewegung, als wolle er den Jungen auf dem Foto streicheln. Er geht weg und lacht. Ronaldo lacht viel.

CR: „Das bin ich! Drei Monate alt! Seht euch den Jungen an! Wie süß! Mit einem Goldarmband an meinem Handgelenk.“

Dann nimmt Cristiano eine lustige Pose ein, bei der klar ist, dass er über sich selbst lacht. Währenddessen hält seine Schwester Katia ihren Sohn in den Armen. Ronaldo fragt sie: „Sieht er mir ähnlich?“ Die Fernsehkamera fokussiert erneut das Foto des kleinen Cristiano mit seinen großen, wachen Augen. Er schaut nicht ins Objektiv des Fotografen, sondern auf jemand anderen.

CR: „Er wird ein Fußballer wie sein Onkel.“

Das Baby beginnt zu weinen und Cristiano beruhigt seine Schwester.

CR: „Ich war auch so, keine Sorge.“

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Katia brachte Cristiano zur Schule und wartete dann auf ihn, damit sie gemeinsam nach Hause gehen konnten. Sie half ihm bei den Hausaufgaben. Da Maria Dolores nicht alles im Griff hatte, lernte Katia schnell, wie sie ihren jüngeren Bruder im Zaum halten konnte. „Aber er hat mir nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt [lacht], nein“, erinnert sie sich. „Früher habe ich mich ständig über ihn geärgert. Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Katia, wenn du zu Hause bist, lass Cristiano nicht zum Fußballspielen raus, bevor er seine Hausaufgaben gemacht hat.‘ Wir hatten eine Vorder- und eine Hintertür. Ich sagte zu Ronaldo, zu Hause nannten wir ihn immer ‚Ronaldo‘, nicht ‚Cristiano‘: ‚Ronaldo, mach bitte deine Hausaufgaben.‘ ‚Okay‘, antwortete er. Aber als ich nach ihm rief, war er nicht mehr da. Dann war meine Mutter wütend auf mich, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam.“12

Für Maria Dolores war das alles eher eine Frage der Autorität: „Er war ein rebellischer Junge, aber er wusste auch, wie man zuhört. Wenn man seine Aufmerksamkeit erregte, hörte er auf das, was man ihm sagte, er war gut erzogen.“13

„Er war immer aktiv dabei, wenn wir am Ende des Schuljahres Theater, Tanz und Gesang aufführten“, erinnert sich Schwester Graça, eine Grundschullehrerin an der Schule São João in Funchal. „Cristiano fragte immer nach Hauptrollen. Aber er war ziemlich faul, er vergaß oft die Hausaufgaben.

„Ich erinnere mich, dass sie mich manchmal am Ohr packte und mir einen Klaps gab“, scherzt Cristiano.14

„Ich war ein guter Junge, weil ich von meiner Mutter, meinem Vater und meinen älteren Geschwistern kontrolliert wurde. Ich glaube, ich war sehr fleißig, glaube ich jedenfalls … [Gelächter].“15

Dinis, der Vater

Dinis Aveiro hatte nicht mehr als die obligatorische Schulbildung genossen. Nach seinem Militärdienst blieb ihm deshalb nichts anderes übrig, als seinen Lebensunterhalt mit körperlicher Arbeit zu verdienen. Nach einer Anstellung als Fischhändler war er Steinmetz und Stadtgärtner, war insgesamt aber länger arbeitslos als in Lohn und Brot. Als sich ihm die Möglichkeit bot, beim fünftklassigen Verein Andorinha Gelegenheitsjobs zu übernehmen, nahm er dies dankbar an.

Der Verein erhielt Zuschüsse von der Stadt und verfügt heute über einen Kunstrasenplatz mit Flutlicht, aber in der Anfangszeit musste man auf angemieteten Plätzen oder auf fremden Sportanlagen spielen. Schließlich bekamen sie einen Acker zugewiesen, und es wurden eine kleine Bar und ein Lagerraum gebaut. Dinis musste die Ausrüstung einsammeln, sich um die Bälle kümmern, die Utensilien für die Trainer vorbereiten, die Trikots auslegen, die Toiletten putzen und den Rasen mähen …

Die Bedeutung des Fußballs nahm in der Familie allmählich zu, der gemeinsame Besuch von Andorinha-Spielen wurde zur Gewohnheit, vor allem von Spielen der Jugendmannschaft, in der Hugo Aveiro kickte.

Alle sagen, dass José Dinis ein guter Kerl war. Er war beliebt, ruhig und hatte eine tiefe, heisere Stimme. Das wenige Geld, das er hatte, gab er für Alkohol aus.

Er teilte das Schicksal vieler anderer Kriegsveteranen, die depressiv wurden und in Armut versanken, eingeschlossen vom Meer.

Auf Madeira fängt man morgens an zu trinken und hört nicht mehr auf. Sie sagen, es sei eine kulturelle Sache, wie in Großbritannien oder den nordischen Ländern. Das bevorzugte lokale Getränk ist eine Art Schnaps, der mit Honig und Zitrone, Passionsfrucht oder anderen Früchten gemischt und heiß getrunken wird. Von den Fischern wurde er als Muntermacher verwendet. Der Schnaps hat es in sich, er ist billig. Zwei Gläser und man ist gut dabei.

Arnaldo, einer meiner Reiseleiter auf Madeira, erzählte mir, dass sein Vater ihm zum ersten Mal Alkohol gab, als er vier Jahre alt war. In den Bars der Insel gab es keinen Saft, aber einen Punsch, den man dem kleinen Jungen gab, um ihn ruhig zu halten, während die Männer sich unterhielten und miteinander tranken.

Dinis gehörte nicht zu jener Art Trinkern, die laut oder gar aggressiv wurden. Er blieb höflich und ruhig, während er sich die Stunden mit Alkohol vertrieb.

Ronaldo war acht, neun Jahre alt und genoss die Gesellschaft seines Vaters. An vielen Abenden schlug die Uhr elf und Cristiano wollte zu Bett gehen, aber ohne seinen Vater zu Hause konnte er nicht einschlafen. Also ging er mit seiner Schwester oder einem Freund in die Bar, um ihn abzuholen. Dinis ging oft nur widerwillig mit heim. Er wäre lieber noch an seinem Platz in der Ecke der Bar geblieben. Leise, trinkend. Ohne Ärger zu verursachen. Seinen Gedanken nachgehend.

Wenn er bereit war, nach Hause zu gehen, legte er seinen Arm um Cristianos zarte Schultern. In so jungen Jahren übernahm Ronaldo allmählich die Rolle der Vaterfigur, die sein eigener Vater nicht ausfüllte.