Crushing Heads and Breaking Hearts - Magret Kindermann - E-Book

Crushing Heads and Breaking Hearts E-Book

Magret Kindermann

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Beschreibung

To-Dos um in einer Welt voller Zombies deine Lieblingsmenschen zu finden: • Lerne endlich, deine Waffen nicht zu verlieren, es ist nicht Tag 1 der Apokalypse! • Freundschaft ist am wichtigsten – gute Freunde verlassen sich nicht, hörst du? • Es ist eine grausame, hässliche Zombiewelt, also bring viel Kuchen mit. • Denk dran: Wo du dir einen Feind gemacht hast, ist der zweite nicht weit. • Und sag endlich dem süßen Typen, wie toll du ihn findest, du Emotionsknoten!

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Wenn ich Lagerfeuerkuchen backe

Wenn Zombies feiern gehen

Wenn ich in eine Verfolgungsjagd gerate

Wenn ich eine Flugzeugtür öffne

Wenn ich über eine Gartenhecke blicke

Wenn mich Gollum mitnimmt

Wenn ich Schmetterlinge sehe

Wenn ich zu viel Glück habe

Wenn ich wieder Teenagerin bin

Wenn ich zehn Jahre älter bin

Danksagung

Impressum

GedankenReich Verlag

N. Reichow

Neumarkstraße 31

44359 Dortmund

www.gedankenreich-verlag.de

Crushing Heads and Breaking Hearts

Text © Magret Kindermann, 2023

Cover & Umschlaggestaltung: Phantasmal Image

Lektorat & Korrektorat: A.C. Loclair

eBook: Grit Bomhauer

ISBN 978-3-98792-076-9

© GedankenReich Verlag, 2023

Alle Rechte vorbehalten

Ich sage nicht Hallo, weil er den Jackenkragen hoch über sein halbes Gesicht zieht. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, dreht er sich weg, um anscheinend von der Gruppe junger Frauen nicht erkannt zu werden, hinter denen ich stehe. Mit schnellen Schritten läuft er weiter.

Hier hinter mehreren sicheren Mauern und Zäunen gibt es keinen Grund, sich davonzuschleichen, schon gar nicht für Eile. Was auch immer Simon zu verheimlichen hat: Ich will es wissen.

Mit etwas Abstand hefte ich mich an seine Fersen. Er geht auf die äußere Mauer zu, hinter der nur Gärten und Felder sind, die von einem hohen Zaun vor den Zombies schützten.

Zahlreiche Filme und Serien aus Zeiten, in denen es noch Netflix und Prime gab, haben mich gelehrt, dass sowas nichts Gutes heißen kann. Wäre mein Leben ein The-Walking-Dead-Spin-off, dann hätte sich Simon wohl mit einer anderen Gruppe verbrüdert, die unseren sicheren Ort einnehmen will, nun lässt er sie durch ein Loch im Zaun hinein, damit sie uns überraschen und erschießen oder davonjagen. Oder es sind gleich Zombies, die er reinlassen will. Wegen eines Tumors im Kopf ist er wahnsinnig und glaubt, die Menschheit sei der Ursprung allen Übels und die Zombies die Lösung. (Teilweise kann ich ihm da nicht mal widersprechen.)

Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger fällt mir ein, was er wirklich vorhaben könnte. Seine Locken wippen, sie sind schon wieder zu lang. Obwohl, was heißt schon zu lang? Zu lang für einen Werbespot? Ich denke, er kommt klar, solange er nicht über seine Haare stolpert. Außerdem mag ich es, wenn sie zu lang sind und er sie sich immer wieder nach hinten streicht. Es ist eine schöne Geste, als würde er sich selbst streicheln. Dann fällt es vielleicht nicht so sehr ins Gewicht, dass ich es nicht tue.

Nun erreicht er das Tor, das uns von den Gärten trennt. Es ist unbewacht, obwohl links und rechts schlanke Wachtürme stehen. Wenn der Zaun dahinter durch eine Mauer ersetzt und ein neues Gebiet eingenommen ist, werden auch dort keine ständigen Beobachter mehr gebraucht werden. Ich warte im Schatten, bis mir das Quietschen verrät, dass Simon hindurchgegangen ist, dann folge ich.

Eigentlich war ich gekommen, um an seine Tür zu klopfen und ihn zu küssen. Das ist nichts Neues, aber tatsächlich habe ich es nie gemacht. Als wir hier in Bruchsal ankamen, waren wir noch ein Paar oder zumindest zwei Leute, die sich danach sehnten, eins zu werden. Aber die Gefahrlosigkeit gab mir viel Zeit zu denken und weil nichts mehr für mich Sinn ergab, verfiel ich in eine Starre. Was haben eine Zombie-Apokalypse und das Verlieben gemeinsam?

Es ist das Nichtstun, das sich auf den ersten Blick wie eine sichere Handlung anfühlt, aber in Wahrheit zu langsamen Verhungern führt. Im ersten Fall tatsächlich, im zweiten Fall ist es ein seelisches Verhungern.

Anfangs meinte ich es auch eher als Umsortieren, als müsste ich meinen Einkauf erst einmal in den Kühlschrank und die Regale räumen, bevor ich mich auf die Couch setzen kann. Wir hatten nach viel Tortur Bruchsal erreicht und waren endlich in Sicherheit. Ich denke, ich wollte erst einmal ankommen. Bruchsal sollte nicht gleichbedeutend mit einer Romanze sein. Dieser Ort sollte mehr sein und ein ganzes Leben füllen können. Wahrscheinlich hatte ich nur Schiss, dass die Beziehung irgendwann zerbricht und ich nichts anderes mehr habe. Also hab ich es gleich gelassen. Wer nichts hat, verliert auch nichts.

Der größte Schwachsinn des Universums, das ist mir auch klar. Deswegen stehe ich ja ständig nachts auf der Straße und will ihn küssen. Ich stelle mir das immer aufregend vor und dann werde ich schnell wuschig, der Gedanke daran, Simon zu küssen, ist ein reinster Porno. Bei ihm geklopft habe ich noch nie. Vielleicht habe ich Angst, dann doch nicht mehr gehen zu können. Vor allem befürchte ich aber auch, dass er mich gar nicht mehr will.

Es ist nicht leicht, Simon noch in der Dunkelheit auszumachen. Spät abends ist hier niemand und Licht wird sowieso so nah am Zaun vermieden, weil es die Untoten anlockt wie Motten. Um ihn nicht zu verlieren, traue ich mich näher ran. Vielleicht will er auch nur die Nacht nutzen, um die Felder zu plündern. Es ist zwar erst Mai, aber es gibt schon sowas wie Blumenkohl, Mangold oder Spinat. Das weiß ich so genau, weil ich beim Gärtnern helfe, das ist meine neue Leidenschaft. Zu einem kleinen Anteil, weil es Spaß macht, am meisten jedoch, weil ich mir erhoffe, mit dem neuen Wissen ein paar Jahre länger zu überleben.

Nein, er steuert tatsächlich den Zaun an. Das Tor liegt weiter südlich, also kann er nicht rauswollen. Was aber kann er so nah am Zaun zu tun haben? Wenn er wirklich eine Meuterei vorhat, muss ich ihn stoppen, fällt mir ein und mir wird heiß. Scheiße, ich kann sowas nicht.

Dann wird mir bewusst, dass Simon niemals so einen Quark vorhat. Obwohl ich ihn so gut auch wieder nicht kenne. Eigentlich kenne ich ihn wegen der Sache mit dem Verlieben sogar noch weniger, weil ich ihm deswegen eine Art Vertrauensvorschuss gebe. Nur weil ich verliebt bin, heißt es nicht, dass er auch liebenswert ist.

Vor dem Zaun fliegt angesammelter Schrott rum. Kaputte Möbel für Feuerholz, rostende Autoteile, irgendwelche Trümmer. Er klettert drauf – und da trifft mich die Erkenntnis. Nicht nur will er zum Zaun, er will drüber klettern, zu den Zombies. Kein Mucks verrät, dass sie wenige Meter von uns entfernt warten.

Der Wind weht mir ins Gesicht, noch eiskalt erinnert er mich, dass der Winter noch nicht lange her ist. Unbeweglich beobachte ich, wie Simon den Autoreifen erreicht, der ganz oben aufliegt. Er schwingt sich über den Zaun, landet mit einem stumpfen Geräusch des Aufpralls und ist verschwunden. Mein Herz klopft.

Ich kann ihn verpfeifen. Ich kann hier auf ihn warten, um sicherzugehen, dass er wiederkommt, und zwar lebendig. Vorsichtig trete ich an die Maschen heran und versuche, etwas zu erkennen. Nur wenige Sterne dringen durch die Wolkendecke und beleuchten die Untoten, die wie Pfähle auf der Wiese stehen. Ohne Reize durch Licht oder Geräusche verharren sie. Es ist eine Weile her, dass ich sie so nah gesehen habe. Der Wind weht mir ihren fauligen Geruch rüber. Zwischen ihnen huscht eine Gestalt hindurch, ich erkenne die wippenden Locken.

Ich seufze. Ich bin dumm, ich weiß es. Bevor ich zu viel nachdenken kann, ziehe ich mich an einem alten Bürotisch hoch und klettere bis zum Autoreifen. Simon verschwindet gerade in einer kleinen Straße, die zu Wohnhäusern führt.

In meiner Hosentasche ertaste ich ein Taschenmesser, immerhin. Dann schwinge ich mich ebenfalls über den Zaun und lande auf beiden Füßen.

Der nächste Untote ist vielleicht zehn Meter von mir entfernt. Er grunzt und hebt den Kopf, aber nach ein paar taumelnden Schritte erstarrt er wieder, als er kein erneutes Signal bekommt. Dabei muss mein Herz so laut sein. Der Zombie glotzt, vielleicht kann er noch träumen. Wie alt er geworden ist, kann ich nicht mehr erkennen, das Fleisch ist zu eingefallen. Er sieht aus wie 300 Jahre alt, aber womöglich war er kaum älter als ich. Es mag irre sein, aber ich bilde mir gerne ein, dass jeder Zombie, dem ich begegne, gestorben ist, um jemanden zu schützen. Das macht sie besser, wenn das überhaupt geht.

Ich richte mich wieder auf und blicke mich um. Irgendwo in meiner Brust wütet eine unterdrückte Panik. Auf keinen Fall war ich so naiv, zu denken, nie wieder in eine gefährliche Situation zu geraten, nur weil ich in Bruchsal bin. Ich hätte nur nie vermutet, dass ich mich freiwillig unter Zombies begebe, weil ich einen Typen süß finde.

Simon ist irgendwo da hinten, also mache ich mich auf den Weg. Wenn ich herausfinden will, was er hier verloren hat, muss ich aufholen. Das weiche Gras dämpft meine Schritte und der Nebel verschluckt mich. Als ich den asphaltierten Weg erreiche, sehe ich ihn um die Ecke verschwinden.

Plötzlich bin ich sauer. Was auch immer es ist, es wirkt auf mich wie ein Vertrauensbruch. Die anderen und ich, wir sind doch seine Leute. All unsere Familien sind tot, also kommt man wahrem Zusammenhalt wohl nicht mehr näher. Dachte ich zumindest. Ich will ihn zur Rede stellen, aber rennen ist zu laut. Ein Zombie steht unweit von mir mit dem Gesicht zu einer Hauswand, wie zu einer Strafarbeit verdammt. Dem geblümten Kleid nach handelt es sich um eine Frau.

Also versuche ich mich an etwas zwischen schleichen und rennen, dabei muss ich aussehen wie Goofy. Um die Ecke erwartet mich eine Kreuzung und keine Spur von meinem Verfolgten. Ich drehe mich im Kreis, ich bin allein, weder Tote noch Lebende sind bei mir.

Ich will schon den Weg wählen, der zur Autobahn führt, da bemerke ich das Tor eines Hinterhofs. Es ist kein schickes Gegossenes mit Schnörkeln, stattdessen ist es aus alten Möbelteilen zusammengenagelt. Es ist after-apokalyptisch, der neue Trend überall. Das Grinsen in meinem Gesicht spricht Bände. Ich weiß, was Simon hier angestellt hat.

Das Tor ist mit einer Schlaufe gesichert, die ich hinter mir wieder über das Tischbein lege. Simon hat sich ein Nest gebaut. Ein Zuhause, einen sicheren Ort. Der nur sicher sein kann, weil niemand davon weiß. Weil Menschen Wichser sind.

Hinter dem Tor hängen zusammengeflickte Decken wie ein großer Vorhang, wahrscheinlich, um Geräusche zu dämpfen. Ich schiebe eine Stoffecke zur Seite und flackerndes Licht trifft mich. In der Mitte des Hinterhofs brennt ein Feuer in einer Schale. Schnell ziehe ich den Vorhang hinter mir wieder zu, bevor jemand auf das Licht aufmerksam werden kann.

Simon hockt mit dem Rücken zu mir am Feuer und schichtet weiteres Holz drauf.

»Was zur Hölle?«, frage ich.

Simon fährt herum und landet auf dem Hintern. Als er mich erkennt, fängt er vor Erleichterung an zu lachen. »Bea! Komm doch rein.« Als wäre ich zum Hausaufgaben machen vorbeigekommen.

»Das Licht, bist du wahnsinnig? Das lockt alle an!«

Jetzt ist er wieder auf den Füßen und ich stürme auf ihn zu, für einen Moment glaube ich, ihn ins Feuer stoßen zu wollen.

»Ich hab alles abgehängt, sogar die meisten Wohnungen sind klar.«

»Die meisten?«

Er zeigt hinter sich auf die mehrstöckige Hauswand. Der Feuerschein erhellt weiter oben die Fensterscheiben, an denen sich hier und da Untote die Nase plattdrücken. Am Glas klebt Blut und andere Schmiere, ich bin im reinsten Halloweentraum.

»Grundgütiger«, entfährt es mir.

»Es sind nur Einzelne, sie sind nicht stark genug. Und selbst wenn sie durchbrechen, fallen sie so tief, dass sie wahrscheinlich sofort tot sind.«

»Wahrscheinlich«, betone ich seine Wortwahl nachträglich.

»Hier ist es sicher, komm. Ich zeige es dir.«

»Das hier ist verboten«, sage ich, folge ihm aber. »Das Feuer kann zur Gefahr für ganz Bruchsal werden.«

»Niemand bemerkt das Feuer. Und wer soll mich anklagen? Kriege ich nen Verweis von Merkel persönlich?«

Ein Satz, den ich ständig höre. Denn nichts und niemand ist mehr da. Die Menschheit ist bei null und darf sich selbst regulieren. Und irgendwie hat Simon ja auch recht. Warum sollte er nicht selbst einschätzen können, wie gefährlich sein Feuer ist? Als einzige Lichtquelle weit und breit wären wir sowieso als erstes tot, falls uns Untote entdecken würden.

Simon nimmt den Haken von der Gartenhüttentür. »Ich weiß nicht, ob dir das klar ist, aber das hier hat bisher sonst niemand gesehen. Es ist nichts Besonderes, aber es ist meins.« Er öffnet die Tür und ich ziehe den Kopf ein, als ich hindurchgehe.

Die Wände sind mit ausgelatschten Perserteppichen ausgelegt. Auf dem Boden liegt eine Matratze mit Kissen und Decken. Auf der anderen Seite sind Bücher gestapelt.

»Ist das eine Couch oder ein Bett?«, frage ich.

»Macht das ein Unterschied?«

»Eine Couch bedeutet, du kommst ab und zu her, um irgendeinen kranken Kick davon zu kriegen, während unmittelbar um dich herum die Zombies schleichen. Ein Bett bedeutet, du wohnst hier und du glaubst nicht an Bruchsal.«

Simon kratzt sich am Kopf und weicht meinem Blick aus. Er hebt eins der Bücher auf und wendet es mehrmals. »Was gibt es denn daran zu glauben? Bruchsal hat dicke Mauern und ist deswegen, was es ist. Alles andere ist nur etwas, das Menschen sich einreden. Keine Ahnung, warum die das brauchen. Wenn sie die Sicherheit wählen, sollen sie sich das auch eingestehen. Ach, weiß auch nicht.« Er bricht ab und legt das Buch zurück. »Ich komm mir da drin einfach manchmal vor wie diese Insekten in den Plastikverpackungen, die irgendwann an die Reptilienhaustiere verfüttert werden.«

»Wenn da einmal Zombies eindringen, sind wir alle dran«, ergänze ich.

Endlich blickt er mich an. So einen stillen, ehrlichen Moment hat es schon lange nicht mehr zwischen uns gegeben. Fast fühlt es sich an, als wäre über unseren Köpfen eine Bettdecke.

»Ich würde eher sagen, es ist eine Couch, auf der ich manchmal einschlafe«, sagt er.

»Verrat mir nur eins«, sage ich und setze mich auf die Matratze. »Wenn die Zombies in Bruchsal einmarschieren, gehöre ich dann zu den Grillen und bin daher Futter? Oder warum bin ich nicht bei dir hier?«

»Ich wusste nicht, wo wir stehen. Und auch nicht, ob du das hier gutheißt.«

Stimmt, das weiß ich noch immer nicht. Er hat recht, was Bruchsal betrifft, wir sind dort nicht frei. Aber was bedeutet das schon, Freiheit? Vorher lebten wir in Deutschland, machte uns das frei? Freiheit kommt bruchstückchenhaft und die größte Freiheit ist das Überleben.

»Deine Hütte ist gemütlich«, sage ich.

Er lacht und will sich zu mir setzen. Draußen knackt etwas, sein Gesicht wird steinhart und seine Hand greift sich um einen Speer mit Widerhaken, der hinter die Bücher geklemmt war und mir erst jetzt auffällt.

Seine Hand weist mich an, zurückzubleiben, aber ich bin schon an seiner Seite. Wir blicken über den Hof. Das Feuer wirft große Schatten von Monstern an die Häuserwände um uns herum. Vertrocknete Bohnenranken im Beet erinnern an knöcherne Hände, die aus dem Erdreich stoßen. Aber Tote können nicht mehr untot werden, zum Glück. Mir wird schlecht, als ich daran denke, dass zwischen mir und allen Zombies der Welt nur ein selbstgebautes Tor aus Schrott steht.

»Hast du die Wohnungen wirklich durchsucht?«, flüstere ich.

»In den meisten ist niemand mehr oder jetzt tot. Wirklich tot.«

»Und das Tor hält?«

»Keine Armee, aber die hätte ja auch keinen Grund, hier reinzukommen.«

Hier in Simons Hinterhof ist es irgendwas zwischen gruselig und friedlich.

»Es war wohl nur das Feuer«, sage ich. »Warum musstest du auch nur unbedingt Feuer machen? Hätte dir nicht ne schwache Lichterkette gereicht?«

Noch während ich spreche und meinen Blick die Häuserwände hochgleiten lasse, weiß ich, was nicht stimmt. Die Zombies hinter den verschmierten Fensterscheiben sind weg.

Ich stoße Simon an. »Sie sind weg.«

Er hebt den Speer an, aber weiß nicht, worauf er ihn richten soll. Normalerweise beunruhigen uns Zombies, die da sind – nicht, wenn wir keine sehen.

»Irgendwas muss sie von der anderen Seite angelockt haben«, sagt Simon.

Weil wir keine Ahnung haben, was das sein könnte, kriegen wir eine Scheißangst und wir treten das Feuer aus. Zurück in der Dunkelheit schlüpfen wir unter dem Vorhang hindurch. Vor dem Tor ist die Straße nicht mehr leer. Sie ziehen ihre Füße schwer über den Asphalt.

»Das sind die, die sich vor Bruchsal rumgetrieben haben«, flüstert Simon dicht an meinem Ohr.

Das ist ein gutes Zeichen, oder? Sie ziehen ab, sie lassen uns in Ruhe. Allerdings weiß ich, dass es Blödsinn ist. Untote kommen immer wieder. Und was viel schlimmer ist: Sie strömen genau an uns vorbei. Wie viele sind es? Wann werden wir denken, der letzte sei vorbeigezogen und wie viele Nachzügler werden es trotzdem noch sein?

»Sobald eine größere Lücke entsteht, rennen wir raus und zwängen uns da unter die Treppe«, flüstere ich und zeige auf eine Treppennische die Straße runter.

In dem Moment übertönt laute Musik die Untoten, die von der Autobahn her schallt und stetig lauter wird.

»Ein Auto«, sagt Simon und späht verwirrt durch das Tor hinaus.

Es ist tatsächlich eins und es prescht an uns vorbei. Betrunkenes Johlen bleibt als Schall bei uns und ich konnte einen Blick auf viele lange Arme erhaschen, die durch die offenen Fenster gestreckt waren und im Takt der Elektromusik wippten. Staub fliegt mir in die Augen.

Simon zieht mich zurück. »Da können wir unmöglich zurück.«

Ein Untoter schaut durch den Zaun und tastet mit dem, was von seinem Unterarmknochen übrig ist, nach den Lücken. Wir flüchten uns wieder hinter den Vorhang.

»Was für Idioten!«, schimpft Simon. »Was denken die sich nur?«

Ich will ihn am liebsten auch zurechtweisen, immerhin hat auch er sich davongeschlichen, um sich eine Privatparty zu schmeißen, aber das bringt uns jetzt auch nichts. Außerdem finde ich auch die Begründung für meine Anwesenheit nicht besonders klug.

»Die werden die ganze Nacht aus dem Häuschen sein«, sage ich und überlege. »Wir können nicht hierbleiben und warten, bis einer aus Versehen durch deinen Zaun fällt.«

»Der ist stabil!«

»Ich will es ungern ausprobieren. Wenn einer durch ist, ...«

»Kommen sie alle rein, ja ja.«

Ich betrachte die Hauswand, an deren Fenster sich vor Kurzem noch die Untoten die Nase plattgedrückt haben.

Simon sieht meinen Blick und nickt. »Wir können durch das Haus durch auf die Querstraße. Dort müssten die Zombies nicht ganz so angefixt sein.« Er mustert mich. »Hast du eine Waffe dabei?«

Verlegen ziehe ich mein Taschenmesser. »Ich hab nicht wirklich geplant, auf Selbstmordtour zu gehen.«

»Offensichtlich hat es dich nicht abgehalten.« Er ergreift meinen Unterarm und zieht mich auf eine verbarrikadierte Tür zu. »Der Hausflur müsste sicher sein, zumindest war er es damals. Die Wohnungstüren sind nicht unbedingt die dicksten, aber wir haben gute Chancen. Den Rest sehen wir, wenn wir auf der anderen Seite durch sind.« Und schon räumt er Blumenkübel zur Seite.

»Dachtest du wirklich, du könntest Zombies mit Tomatenpflanzen abhalten?«, frage ich.

»Halt die Klappe und hilf mir!«

»Viel bedenklicher ist doch, dass wir jetzt dorthin wollen, von wo du Zombies befürchtet hast.«

Trotzdem helfe ich und wuchte die Kübel beiseite. Die Hintertür des Hauses ist nicht nur nicht abgeschlossen, sie hängt auch noch völlig locker in ihrem Rahmen. Als der letzte Kübel weg ist, fällt sie uns entgegen. Ein dunkler Schlund erwartet uns. Noch während ich mich zu überzeugen versuche, dass Dunkelheit nicht das ist, wovor ich mich fürchten sollte, kracht es hinter uns. Der Vorhang wölbt sich und graue Finger blitzen hervor.

Wir hasten in den Hausflur.

»Dein beschissenes Tor!«, zische ich.

»Ich hab nicht gerade mit einer Armee gerechnet!«, presst Simon hervor, doch er wirkt nicht sauer, eher erschrocken.

Beim Rennen klammern wir uns aneinander und ich kann nicht aufhören, daran zu denken, wie unfassbar peinlich es wäre, jetzt wegen sowas zu sterben. Wir sind in einem Treppenhaus und ich kann nicht ausmachen, ob wir für die Eingangstür hochmüssen oder nicht.

»Hast du diese Wohnungen hier nicht gesäubert?«, frage ich.

Simon antwortet nicht, vielleicht schüttelt er mit dem Kopf, ich weiß es nicht.

»Okay«, sagt er schließlich und bleibt stehen. »Lass uns kurz warten.«

»Auf was?«, frage ich mit schriller Stimme.

»Bis wir uns an die Dunkelheit gewöhnen, sonst kommen wir nie raus.«

Irgendwo über uns sind Fenster, durch die ich einen einzelnen Stern sehe. Ich habe die Orientierung verloren und weiß nicht, wo die Tür ist, die zurück zum Hof führt, in den gerade ein, zwei oder eine Million Zombies eingebrochen sind.

»Wir müssen da lang«, sagt Simon und blickt an mir vorbei.

Ich aber sehe, an was er sich lehnt. Es ist eine zersplitterte Wohnungstür und durch den Spalt quetscht sich gerade ein untoter Arm.

»Lauf!«, kreische ich viel zu laut und zerre an ihm.

Simon macht einen Satz und prallt dann vor etwas zurück, das hinter mir ist. Ich fahre rum und stehe einem gigantischen Zombie mit Doppelkinn gegenüber. Der Kiefer ist an einer Seite nur noch mit einem Hautfaden mit dem restlichen Kopf verbunden, was den Untoten nicht daran hindert, sich auf mich zu stürzen. Ich spüre sein Fleisch schon auf mir, da rammt Simon seinen Speer durch den offenen Mund bis ins Gehirn. Der Untote fällt in sich zusammen und bleibt als Berg zitternd liegen. Hinter Simon versucht sich nun der andere Zombie ganz durch den Spalt zu quetschen.

Wir halten uns nicht damit auf, ihn zu töten, Simon zieht nur seinen Speer aus dem Fleischberg und wir rennen weiter. Die Haustür knarrt und wir sind auf der Straße, viel zu schnell, denn wir hatten keine Zeit, uns umzusehen.

Auch hier haben die Untoten etwas von der Party mitbekommen. Halb benommen stolpern sie durch die Gegend, dank der lauten Tür und unseres Lärms eben nun vor allem auf uns zu. Behände flitzen wir durch sie hindurch, es sind zum Glück nicht sonderlich viele.

Simon führt mich beharrlich in eine Richtung und ich bin so orientierungslos, dass ich nur hoffe, dass er einen Plan hat.

Hat er. Vielleicht hundert Meter von uns entfernt erkenne ich die breite Straße, die zum Tor nach Bruchsal führt. Es sind immer Zombies, wegen denen ich so um mein Leben renne, denke ich. Und was ich am wenigsten verstehe: Warum hatte ich vor der Apokalypse so oft schlechte Laune? Meine Angst verfliegt, denn rennen, das kann ich. Ich bin dicht hinter Simon, das Tor liegt direkt vor uns und jetzt rufen wir laut, denn scheiß drauf, ob die Zombies uns hören, viel wichtiger ist es, dass die hinter dem Zaun uns bemerken und das hochgelobte Tor öffnen. Während ich renne, bin ich mir sicher, dass Sicherheit und Freiheit vielleicht doch dasselbe ist.

Das Tor öffnet sich, wir sind drin. Hinter uns quietscht es und das Tor ist wieder zu. Mit einem Schlag kehrt die gesamte Geräuschkulisse zurück. Zombies drängen sich hinter uns mit Gurgeln und Stöhnen gegen die Maschen.

»Seid ihr verletzt?«, fragt eine Frau. Ich kenne sie flüchtig, sie heißt Andrea oder Susanne oder so ähnlich. Was sie eigentlich meint, ist, ob wir gebissen wurden.

»Wir sind okay«, sage ich und stütze mich mit den Armen auf meine Knie ab.

Auch Simon keucht und wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Da waren irgendwelche Knallerbsen mit nem Auto«, beginnt er.

»Meint ihr die da?« Sie zeigt auf ein Auto, das an der Seite parkt, der Motor knistert noch. Daran lehnt ein Mann, der mir leider, leider viel zu sehr bekannt ist. Es ist fucking Henrik. Ein wütender Mensch irgendwas zwischen Bösewicht und Midlife-Crisis, der sich selbst zu wichtig nimmt und zu gerne auf dem Leben anderer herumtrampelt. In meiner Heimatstadt, in der ich vorher alleine ausgeharrt hatte, war ich auf ihn und seine Gruppe, zu der auch Simon gehört hatte, getroffen. Er mochte nicht, dass ich seinen Führungsstil kritisierte, hängte mir einen Mord an und ließ Simon zum Sterben zurück. Ich kann nicht noch mehr untertreiben, wenn ich sage, dass ich ihn nicht leiden kann. Tatsächlich glaube ich nicht, dass es noch einen gefährlicheren Lebenden auf der Erde gibt. Obwohl ich nichts verschreien will ...

An Henriks Seite hängt eine kichernde Frau im Survival-Look aus dem Katalog mit langen Zöpfen. Ich weiß nicht, was mich in dem Moment so wütend macht, ob es die Tatsache ist, dass er vor Bruchsal meine Freundin Brooke umgebracht hat, dass er eben leichtsinnig unser aller Leben aufs Spiel gesetzt hat oder dass er verheiratet ist, und zwar nicht mit diesem Resident-Evil-Möchtegern. Sie kann nichts dafür, wahrscheinlich ist sie sogar ein toller Mensch, aber wer neben ihm steht und ihn anhimmelt, wirkt automatisch wie der Schoßhund des Teufels.

»Heute mal wieder deine Frau hintergangen, Henrik?«, frage ich und stapfe auf ihn los.

Er blickt hoch und an seinem debilen Grinsen erkenne ich, dass er blitzblau ist. Bevor er auch nur was erwidern könnte, schleudere ich ihm meine Faust ins Gesicht und Gott, tut das gut, das war lange nötig.

»Fuck!«, brüllt er und hält sich die blutende Schläfe.

»Was ist denn mit dir nicht richtig?«, fragt seine Tussi.

Erst jetzt fällt mir auf, dass hinter dem Wagen noch weitere stehen. Ein Glatzkopf und ein kleiner mit Brille kommen um das Auto herum zu uns.

Der Kleine lacht und fegt die flache Hand durch die Luft, als hätte er sich verbrannt. »Oho, hat sich eine deiner Freundinnen gerächt?«

»Miese Schlampe«, sagt Henrik und sein Lid zuckt. Seine Hand greift durch das offene Autofenster, auf dem Sitz liegt sicherlich eine Waffe.

Simon zerrt mich davon, bevor ich ihm entgegenschreien kann, er soll mich doch wie Brooke abknallen. »Wir haben für heute genug Prügel eingesteckt, findest du nicht?«, fragt er.

Den restlichen Weg bricht es einem von uns immer mal wieder heraus: »Was für Esel!« Oder: »Die knöpfe ich mir noch vor!«

Am Ende sagt Simon: »Ich bin nur traurig um meinen Hinterhof.«

Wir sind vor seinem Gebäudekomplex und wir bleiben stehen, um uns verlegen anzulächeln. Ich würde ihn gerne danach fragen, warum er sich in Gefahr bringen musste, um etwas zu finden, dass sich nach ihm anfühlt, aber ich weiß nicht, wie. Ein Teil von mir versteht es sogar, auch wenn es unlogisch ist.

»Na dann«, sagt Simon.

»Na dann«, erwidere ich.

Er entscheidet sich um und geht nicht hinein: »Weißt du was, ich bringe dich noch nach Hause. Es ist mir unwohl dabei, dich nach allem, was heute Nacht war, nicht bis zu deiner Haustür zu bringen.«

»Wir sind hinter den Mauern, hier sind wir sicher.«

»Trotzdem.«

Nun schweigen wir und gehen, weil es sich jetzt wirklich wie ein Date anfühlt. Vor meiner Wohnungstür holt Simon tief Luft.

»Weißt du, nicht nur die Zombies sind gefährlich. Wegen ihnen bringe ich dich nicht bis zu deiner Tür.«

Erschrocken blicke ich ihn an. Er hat recht. Wie seltsam er ist. Einerseits so naiv, dass er sich eine olle Gartenhütte in einer Gefahrenzone als Zuhause sucht, anderseits so viel durchdachter als ich.

»Danke«, sage ich. »Fürs Heimbringen.«

Ich schließe die Tür hinter mir.

Etwas, von dem ich gehofft hatte, dass es mit der Hochkultur stirbt: Wecker. Ich strecke die Hand aus und finde den kleinen Reisewecker neben der Matratze auf dem Boden. In meinem Gesicht klebt ein Fuß und die dazugehörige Person murmelt etwas, was im Weckerscheppern untergeht.

»Was?«, frage ich, als endlich Ruhe herrscht, und schubse den Fuß weg.

»Ich hasse dich.« Nils hebt seinen unglücklichen Kopf, seine Haare stehen in explodierter Beatles-Manie ab.

»Dann schlaf in deinem eigenen Bett.« Ich stehe auf und gähne. Ich vermisse Snoozen. »Außerdem kannst du dich einfach wieder umdrehen, wenn du willst.«

Wieder murrt Nils und ich habe es satt, ihn ständig wie eine Mutter daran zu erinnern, nicht rumzunuscheln. Mit meinen 18 Jahren sollte ich selbst noch meine eigenen Eltern in den Wahnsinn treiben, anstatt hier Mami für einen vorpubertären Elfjährigen zu spielen.

»Was?«, keife ich daher. »Lass den Mund zu, wenn dich eh keiner verstehen soll.«

»In meinem Bett riecht es nach Zombies«, sagt Nils und sein Klein-Jungen-Gesicht taucht zwischen den Bettdecken wieder auf.

Er mag eine Nervensäge sein, aber egal, was seine Kinderaugen schon gesehen haben und wie cool er tut, er braucht meinen Schutz. Ich kratze mich ausgiebig an der Augenbraue, um zu verbergen, wie nahe mir das geht. »Los aufstehen«, sage ich.

Er springt auf, plötzlich munter, und verschwindet in Boxershorts und dicken Socken in seinem Zimmer. Er lässt eine Graphic Novel auf dem Boden zurück, sein Lesezeichen schaut daraus hervor: eine Kinokarte. Sie ist von den Zeiten, als er noch selbst ins Kino ging, da sah er Avengers 4: Endgame. Ich selbst schlafe im Wohnbereich mit der unnützen Küchenzeile, dann gibt es noch ein Badezimmer, genauso unbrauchbar.

Auf dem Boden liegt zusammengeknüllt meine Jeans und ich streife sie über. Sie ist besät mit Flecken: Gras und Erde. Unter der Bettdecke finde ich den Pullover, den ich nachts im Halbschlaf ausgezogen habe. Die Nächte sind noch kalt, aber sobald Nils neben mich krabbelt, schwitze ich doch. Selten hält er es mal in seinem eigenen Bett aus.

Die hässlichen, staubigen Vorhänge quietschen, als ich sie zur Seite ziehe. Der Himmel ist grau und rosa, in wenigen Minuten wird die Welt wie in strahlend blaue Farbe getunkt sein. Ich mag den kurzen Moment am Morgen, wenn ich auf die Straße blicke. Die Nachbarschaft besteht aus einer Handvoll Hochhäuser, im Vergleich zu meinem Elternhaus in einer romantischen Kleinstadt definitiv ein Downgrade, aber ich bin nicht alleine und sicher. Ich kann weit gucken und weit und breit ist kein Zombie in Sicht. Das ist das neue Luxusleben, selbst Kim Kardashian geht es wahrscheinlich nicht so gut. Ich öffne das Fenster und lasse kühle Frühlingsluft hinein.

Nils fällt zurück ins Zimmer, seine Beine sind in einer Jeans verwurschtelt und er macht einen Laut, als würde alle Luft auf einmal aus der Lunge gepresst werden. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen und frage dann schuldbewusst, ob er sich wehgetan hat.

Er hebt die Hände und betrachtet sie, weil er die Frage anscheinend sonst nicht beantworten kann. »Alles gut. Ich hab wohl noch halb geschlafen.«

Wir verlassen die Wohnung, im Treppenhaus schleichen wir, um nicht gehört zu werden. Sonst schleiche ich, um nicht gefressen zu werden, heute liegt es an Jakob, ein griesgrämiger Waldschrat, mit dem ich zusammen im Stützpunkt angekommen bin, und irgendwie sind wir befreundet. Nichts verbindet so sehr wie gemeinsam kämpfen, denn dafür braucht man Vertrauen.

Die Wohnung, die Nils und ich nun alleine bewohnen, teilten wir vorher mit Jakob, aber er ist genervt ausgezogen. Zu unserer Nachbarin Linda und mit ihrem Kleinkind wirken sie wie eine Survival-Familie. So ist das aber mit Jakob, er hält es nie lange aus, ohne sich zu verlieben. Er erzählt immer gerne von seinen Schwärmereien, selten auch mal von seiner Ehe vor der Apokalypse oder von Brooke, die wir leider verloren haben. Eine Weile gibt er nun schon keine Geschichten über die Liebe mehr zum Besten und ich werte das als Zeichen, dass es mit Linda gut läuft. Er ist wahrscheinlich damit beschäftigt, glücklich zu sein, anstatt davon zu träumen.

Heute hat er Geburtstag und wir mussten schwören, es nicht zu feiern. Am Arsch der Großmutter des Teufels, natürlich feiern wir! Ich hab nicht umsonst die Zombie-Apokalypse überlebt.

Wir wollen ihm einen Kuchen backen und das ist ohne Backofen schwerer als gedacht. Also wagen wir das Experiment, einen Kuchen über dem Lagerfeuer zu backen. Theoretisch muss das doch möglich sein, Hitze ist Hitze. Aber was weiß ich schon, früher konnte ich mir höchstens Fertig-Asia-Nudeln machen. Die Küche der Endzeit ist weniger geschmacksorientiert und wir essen alles, was wir in die Finger bekommen. Für den Kuchen haben wir drei Wochen Zutaten gesammelt, die nun wie Heiligtümer in meinem Rucksack liegen.

Sechs Stockwerke später sind wir auf der Straße und vor lauter Adrenalin laufen wir mit einem irren Kichern zwischen den Atemzügen bis zum Kartoffelfeld, hinter dem das Tor liegt. Es gibt mittlerweile fünf Ringe, die sich als Mauern um Bruchsal, den Militärstützpunkt, ziehen. In der Mitte befinden sich die Verwaltung, das Lagerhaus, das Krankenhaus und einige Wohnhäuser, die vor allem von den Soldaten und ihren Familien bewohnt werden. Wobei sich Soldat hier auf das bezieht, was man jetzt macht, man braucht keine militärische Ausbildung oder Uniform dafür. Alle können Soldaten sein, wenn sie die Zäune und Tore Bruchsals bewachen wollen.

Die anderen zwei Ringe füllten sich stetig mit Menschen, was bei der Fülle an leerstehenden Häusern kein Problem war. Im vierten Ring stehen vor allem Gewächshäuser, außerdem gibt es ein kleines Feld mit Ziegen und Schafen. Ein Hühnerstall steht leer, irgendwer hat sich hier im Winter bedient. Der fünfte Ring ist Brachland, denn die äußere Mauer steht noch nicht sonderlich lang. Ich weiß nicht, was dort geplant ist, aber langfristig kommen bestimmt noch mehr Menschen, die eine Unterkunft brauchen.

Ein paar Kilometer weiter draußen liegt ein See, der noch nicht gekippt ist und große Fischschwärme hat. Ich habe gehört, dass der mit dem nächsten Ring eingefasst werden soll, das würde ein gigantisches Stück Land für uns bedeuten, das bisher noch von Zombies bewandert wird. Die Idee kam von Jakob, der sich ab und zu aus Bruchsal raugeschlichen hat, um dort zu fischen. Manchmal ist ihm die ganze Sicherheit zu viel, glaube ich.

Unser Ziel liegt zwischen zwei Gewächshäusern, dort ist meine Feuerstelle, die ich im Frühling mit mehreren großen Steinen gebaut habe. In den Gewächshäusern pflanze ich Gemüse an, das ist zumindest der Plan. Bisher habe ich nur kleine Setzlinge, die täglich ein paar Millimeter höher sind. Nie habe ich mehr im Leben erreicht. Einiges werde ich dem allgemeinen Lagerhaus abtreten müssen, aber der Rest sollte Nils und mich zumindest ein paar Monate vor dem Verhungern retten.

Der Junge flitzt nun los, um leicht entzündbare Gräser und Zweige zu finden. Ich packe dabei aus. Mehl und Backpulver fand ich selbst während meiner Streifzüge durch die Stadt, die noch nicht von uns wieder eingenommen ist. Vanillezucker ist heutzutage nicht sonderlich begehrt, das schenkte mir Linda. Zucker war hart zu bekommen, dafür musste ich nachts eine Gruppe wahnsinniger Jugendliche durch verlassene Häuser abseits der Mauern führen. In der Dunkelheit stehen Zombies wie blöde rum, weil sie vor allem von Licht angezogen werden. Dafür lockt sie das kleinste Rascheln an, was sie in meinen Augen noch gefährlicher als tagsüber macht. Das sahen die Jugendlichen leider anders, die sich vor Lachen kaum einkriegten. Sie gehören zur ersten Welle, die in Bruchsal ankamen oder gar schon hier waren. Die meisten von ihnen kennen Zombies nur aus Erzählungen, sie ärgern sich vor allem über den Verlust ihrer Playstation. Auf dem Rückweg liefen wir auf Zehenspitzen durch die freie Welt, als einer von ihnen mit dem Fuß hängen blieb und laut schimpfte. Sein Gemaule endete in einem Wimmern, weil ich ihm gewaltsam den Mund zuhielt. Hinter uns kam Bewegung in die Büsche, es war zu spät. Ich schrie: »Lauft!« Ich habe niemanden von ihnen verloren, aber um ehrlich zu sein, habe ich ja genau das aufs Spiel gesetzt, als ich für eine Packung Zucker die Tour zusagte.