Customer Centricity - Adam Bird - E-Book

Customer Centricity E-Book

Adam Bird

4,9

Beschreibung

Nichts ist mehr in der Medienindustrie, wie es einmal war. Bisherige Geschäftsmodelle haben nicht den versprochenen Erfolg gebracht. Wichtig ist ein besseres Kundenverständnis, direkter Kundenzugang und eine stärker ausgeprägte "After-Sales"-Orientierung der Medienanbieter.

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Bird, Adam; Vogelsang, Gregor; Künstner, Thomas

Customer Centricity

Die neue Chance für die Medienindustrie

www.campus.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2003. Campus Verlag GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

E-Book ISBN: 978-3-593-40371-7

|9|Vorwort

Zu Anfang des dritten Jahrtausends steckt die Medienbranche wieder einmal im Umbruch. So erstaunt es kaum, wenn allgemein von einer Krise gesprochen wird. Doch diesmal geht es um mehr als nur um einige technische oder taktische Kurskorrekturen: Möglicherweise befindet sich die Branche am Anfang einer der tiefgreifendsten Veränderungen seit der Erfindung des Buchdrucks. Ursache dafür sind nicht nur die technologischen Veränderungen wie die Digitalisierung, die rapide weiter fortschreitende Vernetzung und die Entwicklung breitbandiger Mobiltelefone, die unsere Medienlandschaft nachhaltig verändern werden. Es geht bei dieser Veränderung vielmehr um eine Machtverschiebung von den Produzenten der Inhalte hin zu den Endkunden, den Mediennutzern.

Daher ist es für die Medienunternehmen unerlässlich, ein neues tieferes Kundenverständnis zu entwickeln, wenn sie den Wandel erfolgreich bestehen wollen. Genau darum geht es bei unserem Konzept der »Customer Centricity«. Die Kundenbeziehungen gehören ins Zentrum der Unternehmensstrategie: Sie müssen aktiv gestaltet werden. Wie das geschehen kann, davon handelt unser Buch.

Wir möchten zunächst vor zwei Missverständnissen warnen. Missverständnis Nummer eins: »Customer Centricity« ist keine Management-Methode, kein neues Tool, mit dem Medienunternehmen wieder auf Kurs gebracht werden sollen. Vielmehr ist »Customer Centricity« ein neuer gedanklicher Ansatz, ein Perspektivenwechsel, fast möchten wir sagen: eine Denkungsart. Folglich geht es in diesem Buch auch nicht darum, |10|Maßnahmen zu beschreiben, wie »Customer Centricity« erfolgreich implementiert werden kann. Zwar werden wir viele Beispiele aus unterschiedlichen Branchen kennen lernen, wie das in der Praxis funktioniert, doch geht es dabei nicht um Empfehlungen oder gar um Patentrezepte, die einfach übernommen werden können. Die wesentlichste Veränderung, die durch »Customer Centricity« stattfinden soll, ist die Veränderung in den Köpfen der Medienmacher. Kurzum, es geht um nichts Geringeres als um ein neues Selbstverständnis.

Missverständnis Nummer zwei: »Customer Centricity« ist ein alter Hut, längst bekannt unter dem Namen Kundenorientierung, wahlweise auch Customer Relation Management. Unser Buch wird zeigen, dass »Customer Centricity« weit über diese Vorstellungen hinausgeht und allenfalls am Rande mit ihnen zu tun hat. Wir werden über strategische Positionierungen sprechen (Kapitel 3), über weitreichende Veränderungen in der Organisation der Medienunternehmen (Kapitel 4), wir werden Produkte und Dienstleistungen vorstellen, die im Sinne der »Customer Centricity« funktionieren (Kapitel 5). Wir werden uns dem veränderten Werbemarkt nähern (Kapitel 6) und einen Ausblick wagen, wie die Zukunft der Medien im Zeichen der »Customer Centricity« aussieht. Dabei wird dreierlei deutlich werden: In vielen Bereichen (vor allem außerhalb der Medienbranche) ist »Customer Centricity« bereits Realität, während die meisten Medienunternehmen noch einen weiten Weg vor sich haben. Wenn sie nicht rechtzeitig handeln, werden andere die Geschäfte machen, die sie heute beherrschen – schneller, kostengünstiger und näher am Kunden. Schon jetzt drängen branchenfremde Unternehmen mit Erfolg in die angestammten Reviere der Medien. Auch davon wird auf den folgenden Seiten die Rede sein. Und noch ein dritter Punkt: Es steht eine Renaissance des Vertriebs bevor. Medienunternehmen werden hier wesentlich stärker als bisher vernetzt denken müssen – auch über die Grenzen ihres Unternehmens hinaus.

Dieses Buch hätte nicht geschrieben werden können ohne die zahlreichen anregenden Gespräche, die wir geführt haben, mit unseren Klienten aus der Medienbranche, mit Praktikern und Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachrichtungen. Unterstützt wurden wir durch unsere Kollegen |11|Martin F. Brunner, Michael Fischer, Julia Lorey und Niko Steinkrauß, die ihre Erfahrung aus zahlreichen Medienprojekten haben einfließen lassen. Darüber hinaus waren noch weitere Mitarbeiter von Booz Allen Hamilton beteiligt, die hier nicht alle namentlich genannt werden können. Ihnen allen gebührt unser Dank.

New York, München im Mai 2003

Adam Bird, Gregor Vogelsang und Thomas Künstner

|13|Kapitel 1:

»Customer Centricity« – Wachstumschance für die Medien?

»Erzählen Sie uns nicht, dass wir in einer Krise stecken – erzählen Sie uns, wie wir da wieder rauskommen.« Viele unserer Gespräche mit Unternehmern, Topmanagern und Verbandsfunktionären der Medienbranche haben im Jahr 2002 genau so begonnen. Dabei wollten unsere Gesprächspartner mit dieser Aufforderung nicht wirklich über das nächste Kostensenkungs- oder ein weiteres Anzeigensteigerungsprogramm sprechen. Vielmehr war diesen Leuten ein tiefes Unbehagen anzumerken und das hing mit einer viel grundlegenderen Frage zusammen: Stimmt es tatsächlich, dass in der Medienbranche in den kommenden Jahren mit einem grundsätzlich niedrigeren Umsatzniveau zu rechnen sei und man sich daher auf ein gutes Kostenmanagement verlegen müsse, wie es ein Verlagsmanager auf dem Printgipfel der Medientage München prognostiziert hatte?

Vielen war klar, dass die Wachstumsdynamik der Branche schon lange an Fahrt verloren hatte und dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Die meisten Unternehmen hatten mehr oder minder rigide Programme zur Kostensenkung hinter sich. Und davon waren auch die Redaktionen und andere kreative Bereiche nicht ausgenommen, die bislang immer als Tabuzonen gegolten hatten. Manche unterzogen zudem ihre Anzeigenvermarktung einer eingehenden Prüfung und richteten sich auf die neuen Herausforderungen ein.

Aber wo ist die überzeugende Wachstumsperspektive, wo ist der nächste Quantensprung, wie lässt sich die Zukunft des Unternehmens langfristig |14|sichern? Das waren die Fragen, um die sich spätestens ab Mitte 2002 viele Gespräche drehten. In der Medienbranche wird der nächste Wachstumsschub – das ist wohl mittlerweile den meisten klar – nicht mehr vom schlichten Handel mit »Eyeballs« kommen, also dem Aufbau von Medienmarken, der anschließenden Bündelung von Reichweiten und dann dem Engrosverkauf an Werbungtreibende. Denn ein ganz entscheidendes Problem mit diesem Handel besteht darin, dass es für die Medienunternehmen immer aufwändiger geworden ist, in einer Medienwelt, die sich immer weiter fragmentiert, die erforderlichen Reichweiten zu erzielen und dann auch zu halten. Die Akquisition und Bindung neuer Leser, Zuhörer, Zuschauer und Surfer wird immer teurer. Gleichzeitig ist der Erfolg solcher Maßnahmen oftmals ungewiss, denn diese neuen Kunden werden häufig nicht auch zu treuen Kunden. Damit aber ist das Geschäftsmodell der Medienunternehmen in seinem eigentlichen Kern betroffen. Wenn es ihnen nicht gelingt, die Konsumenten auf Dauer für ihre Produkte zu gewinnen, sie zu faszinieren, mitunter auch zu begeistern, dann entziehen sie sich ihre Geschäftsgrundlage. Denn das ist die entscheidende Fähigkeit der Medien, auf ihr bauen die Geschäfte mit den Werbungtreibenden und den Distributoren erst auf (s. Abbildung 1-1).

In den vergangenen Jahren haben wir zu diesem Thema zahlreiche Gespräche geführt und wir haben an Diskussionsrunden und Strategieklausuren großer, globaler Medienkonzerne teilgenommen. Dabei hat sich für uns und unsere Gesprächspartner immer deutlicher gezeigt: Die Branche steht vor einer wirklich großen Zäsur. In Zukunft wird nicht mehr die Aufmerksamkeit möglichst vieler Konsumenten die wichtigste »Währung« der Medien sein, an ihre Stelle tritt vielmehr die Qualität sowie der Dialog – der direkte und unmittelbare Austausch mit den Kunden. Natürlich zählt noch immer die Fähigkeit, Aufmerksamkeit herzustellen und auf der Basis von großen Medienformaten und -marken zu bündeln, die im Bewusstsein und Tagesablauf fest verankert sind. Doch das allein reicht künftig nicht aus. Vielmehr geht es darum, »Konsumenten-Response« hervorzurufen und systematisch zu nutzen. Erst wenn ihnen das gelingt, sind die Medien den künftigen Herausforderungen tatsächlich gewachsen, denn die Branche steht an der Schwelle, die sie |15|von der »Ökonomie der Aufmerksamkeit« zur »Ökonomie der Interaktion« hinüberführt.

Abbildung 1-1: »Kunden« in der Medienwelt

Die Aufmerksamkeit der Leser, Zuschauer, Zuhörer und Surfer ist flüchtig – bei stark zunehmender Tendenz. Diese Aufmerksamkeit wird überstrapaziert; sie ist teuer erkauft und die Unsicherheit der Investition ist für die Medienunternehmen und vor allem für die Werbungtreibenden größer denn je. Interessanterweise wird dieser Abschied von der Ökonomie der Aufmerksamkeit besonders von den bislang wichtigsten Kunden der Medienunternehmen vorangetrieben – den Werbungtreibenden. Bei ihnen wächst die Einsicht, dass zu viel Aufwand in die – oft sehr teure – Gewinnung neuer Kunden investiert wird, zu wenig dagegen in das Halten und Pflegen bereits existierender Kundenstämme.

Unternehmen verlagern daher ihre Marketingbemühungen von der Kundengewinnung, also dem Anfang vom Lebenszyklus des Kunden, auf |16|den gesamten Verlauf der Kundenbeziehung. Denn genau diese soll intensiviert und möglichst langfristig gestaltet werden, insbesondere in den hochprofitablen Kundensegmenten. Es geht damit also nicht nur um eine Verlagerung hin zur Antwort, sondern vor allem auch um einen neuen Fokus: auf die Qualität des Know-hows über die Zielgruppe aufbauend auf diesen Antworten. Das verstärkt den Druck auf die Medienunternehmen, neue Plattformen – online, mobil und klassisch – für diesen neuen Fokus der Werbungtreibenden zur Verfügung zu stellen, sie mit den massenmedialen Formen der Werbung intelligenter zu verknüpfen und damit zwangsläufig stärker über die Interaktion mit den Mediennutzern nachzudenken.

Die Frage ist also, wie können die Medienunternehmen umfassend darauf reagieren, wie können sie diese Entwicklungen für sich nutzen und so mit einer klaren Orientierung gewissermaßen »zurück auf den Fahrersitz« gelangen? Welches strategische Konzept ist dafür notwendig und sinnvoll?

Das war das Thema unserer Diskussionen mit vielen Medienunternehmen. In unseren Projekten haben wir zudem gemeinsam mit unseren Kunden den Weg aus der bestehenden Krise, die Antwort auf diese Fragen gesucht. Die Erfahrungen, die wir dabei gemacht, und die Einsichten, die wir gewonnen haben, möchten wir in diesem Buch darstellen. Wir möchten die unserer Meinung nach wichtigsten Schlussfolgerungen und Lehren für die Medienbranche daraus ableiten und auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Wir haben diesen gemeinsamen Nenner »Customer Centricity« genannt. Darunter verstehen wir die Wiederentdeckung des Kunden als zentrale Aufgabe des unternehmerischen Denkens und Handelns in der Medienbranche. Der Kunde ist unzweifelhaft der wichtigste, aber für die meisten Medienunternehmen nach wie vor am schwersten zu beherrschende Faktor für ein zukünftiges Wachstum.

Wer »Customer Centricity« mit Kundenbindung, mit Kundenorientierung oder mit Kundenfokus übersetzen will und möglicherweise gelangweilt abwinkt, weil er das ja schon kennt, der hat noch nicht verstanden, worum es geht. »Customer Centricity« ist weit mehr als die bloße Kundenorientierung oder das Bekenntnis, der Kunde stehe im Mittelpunkt. Es geht nicht um die Empfehlung, eine Direktmarketingabteilung ins Leben zu rufen oder einen Kunden-Klub, und wir sprechen auch |17|nicht davon, mit ein paar Merchandising-Produkten den Kundenumsatz zu erhöhen oder mit der geeigneten Software ein Customer-Relationship-Management-System (kurz CRM) aufzubauen. »Customer Centricity« geht weit darüber hinaus. An einem Beispiel fernab der Medienbranche lässt sich vielleicht am besten illustrieren, was wir meinen.

Maßgefertigte Fahrräder heißen in Japan schlicht »National«. Produziert werden sie von der National Industrial Bicycle Corporation (NIBC), einer Tochter von Matsushita. Wer ein National erwerben will, geht zu einem Fahrradhändler und beschreibt seine Wünsche: Rahmengröße, Sattelform, Farbe, und so weiter. Nach zwei Tagen erhält der Kunde ein Dankschreiben von NIBC und nach weiteren zwei Wochen steht das neue Fahrrad vor der Tür. Fertig ist das Produkt eigentlich schon nach drei Tagen. NIBC hält es aber noch für weitere elf Tage zurück, weil sonst kein Kunde glauben würde, dass er ein für ihn individuell gefertigtes Produkt in den Händen hält.

NIBC hat durch sein Geschäftsmodell viel mehr als Kundenorientierung oder Kundenbindung erreicht. Das Unternehmen hat eine bedrohliche Kommoditisierung1 seiner Produkte gestoppt und gleichzeitig die Wertschöpfung seiner Branche neu definiert. NIBC verfügt daher nicht nur über besonders zufriedene Kunden, sondern über stets wachsende Informationen zu den wechselnden geschmacklich bedingten Vorlieben der Kunden und Trendsetter im Fahrradmarkt. Diese Informationen nutzt NIBC nicht allein für besonders clevere Kundenbindungsmaßnahmen, sondern überträgt sie darüber hinaus in die Massenproduktion. Und so produziert NIBC Fahrräder, die den Publikumsgeschmack treffen, qualitativ hochwertig sind und für die Konkurrenz unerreichbar bleiben. Kurz: Das Unternehmen hat sich neue Wertschöpfungsspielräume erschlossen – als Marke, als Produzent überragender Produkte und als kundenorientiertes Unternehmen.

Medienunternehmen können somit von NIBC – außer dem Fahrradbauen – fast alles lernen. »Customer Centricity« verstehen wir in diesem Sinn als eine Antwort auf die großen strukturellen Herausforderungen, vor denen die Medienbranche steht. Neben einem sich verschärfenden |18|Verdrängungswettbewerb in einem ökonomisch weiterhin ungünstigen Umfeld haben diese Herausforderungen vor allem etwas mit der Machtverschiebung innerhalb der Wertschöpfungskette zu tun: von den Anbietern hin zu den Abnehmern, von den Sendern hin zu den Empfängern. Diese Machtverschiebung ist von vielen Medienunternehmen aus unserer Sicht bislang unterschätzt worden. Und es besteht die begründete Gefahr, dass sie sie weiter unterschätzen, vor allem die Möglichkeiten, die sich durch die neuen Technologien und die Onlinemedien ergeben. Nach dem Zusammenbruch der New Economy und den kostenintensiven Erfahrungen mit eigenen Onlineangeboten tendieren nur wenige Medienunternehmen dazu, das Thema ganz oben auf die Agenda zu setzen. Nach der anfänglichen Euphorie ist das Pendel nun in die entgegengesetzte Richtung ausgeschlagen. Das ist zwar verständlich, und doch könnte es ein verhängnisvoller Fehler sein, denn auch im Mediengeschäft gilt die alte Fußballweisheit von Sepp Herberger: »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.« Gerade weil im Onlinebereich eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist, dürfen die Medien jetzt das Thema nicht vernachlässigen. Denn das nächste Spiel in Sachen Online kommt bestimmt. Und es ist sicher kein Fehler, gut darauf vorbereitet zu sein.

Gelegentlich wird der Eindruck erweckt, es sei gar nicht so sehr die Mediennutzung, die durch das Onlinemedium revolutioniert wird. Tatsächlich: Nicht jeder, der durch das Internet surft und Dateien herunterlädt, wird gleich zu seinem eigenen Programmchef oder zum Verleger. Viel bedeutsamer für die Medienunternehmen und ihre Ökonomie ist die Tatsache, dass sie nun in der Lage sind, die Kundenreaktion direkt zu empfangen und ökonomisch zu verwerten – und zwar mit einem vergleichsweise geringen Aufwand. In diesem Sinne meinen wir von einer Revolution sprechen zu können. Das traditionelle Verhältnis von Sender und Empfänger ändert sich grundlegend: Die Kommunikation verläuft nicht mehr einseitig (allenfalls mit der Möglichkeit zum gelegentlichen Feedback des Empfängers), sondern von vornherein in beide Richtungen, und das auf eine verblüffend direkte, einfache Art und Weise.

Dieser Umstand wird bis heute noch immer unterschätzt und nicht annähernd von den Medienunternehmen ausgeschöpft. Gleichzeitig haben |19|das Onlinemedium und die Möglichkeit der direkten Antwort und persönlichen Auswahl natürlich einen entscheidenden Einfluss auf das Nutzungsverhalten der Konsumenten: Sie selbst greifen tiefer in die Wertschöpfung der Medien ein. Neben dem eigentlichen Inhalt, dem Content, stehen für sie nun auch andere Aspekte des Medienproduktes im Vordergrund, die bislang eher eine Nebenrolle spielten: bessere Orientierung und Navigation, mehr Bequemlichkeit und Zeitgewinn sowie die Möglichkeit zur Bildung virtueller, bis zu einem gewissen Grade auch personalisierter Inhaltepakete (»Virtual Personalized Packaging«). Und das auf allen möglichen Kanälen, sei es nun online oder offline, mobil oder stationär, digital oder analog.

Damit hat aus unserer Sicht insgesamt eine Veränderung in der Wertschöpfung der Medienbranche begonnen, die grundlegend ist. Für diejenigen, die auch in Zukunft überdurchschnittlich wachsen wollen, wird es darauf ankommen, diese Veränderung nicht nur zu verstehen, sondern sich darauf einzustellen und dabei neue Spielräume für ihr Wachstum zu eröffnen. »Customer Centricity« ist ein Transformationsprogramm, das auf eine neue strategische Perspektive, ein breiteres Marken- und Produktverständnis abzielt und dadurch die Organisation des Unternehmens auf allen Ebenen und in allen Bereichen verstärkt auf den Kunden ausrichtet. Neben der Fokussierung auf den Kunden hat unsere Projekterfahrung gezeigt, dass »Customer Centricity« sechs Elemente umfassen muss, um erfolgreich zu sein:

die Sicherung der strategischen Balance zwischen Inhalt, Marke und Kundenzugang;

die Erhöhung der Wertschöpfung aus der Kundenbasis;

das Besetzen von Lebenswelten der Kunden;

das Maßschneidern massenmedialer Inhalte;

aktives Partnermanagement im Verdrängungswettbewerb;

die Veränderung in den Köpfen der Medienmacher.

|20|Balance zwischen Inhalt, Marke und Kundenzugang

Worauf kommt es mehr an, auf die Inhalte oder die Infrastruktur, die für die Verbreitung der Inhalte sorgt? »Content is King«, hieß es Ende der 1990er-Jahre, als viele Onlineredaktionen hoffnungsfroh alle möglichen Inhalte ins Netz stellten, um damit Kunden anzulocken und irgendwann auch Geld zu verdienen. Das Kalkül ging nicht auf und so machte eine neue Devise die Runde: »If content is king, distribution is King Kong.« Wobei unterstellt wurde, dass der Gorilla gegenüber einem menschlichen Monarchen allemal die Oberhand behalten würde. Doch ob das nun schlüssig ist oder nicht, die lang debattierte Frage hat sich beim Konsumenten längst entschieden: Sie muss mit einem klaren »Sowohl als auch« beantwortet werden.

Für qualitativ hochwertige Inhalte und ihre kreative Aufbereitung gibt es nach wie vor keinen Ersatz. Herausragendes Talent in der Inhaltekreation bleibt auch in Zukunft eine der differenzierenden Ressourcen, und die richtige Mischung aus Talent und operativer Exzellenz bildet den Kern jedes nachhaltigen Erfolgs in der Branche.

Doch damit ist es für die Medienunternehmen längst nicht mehr getan. Vielmehr wird es in Zukunft entscheidend auch darum gehen, dieses Talent an der Kundenschnittstelle besser zu entfalten. Die entscheidende Fähigkeit wird darin bestehen, durch klaren Fokus auf die profitablen Kundensegmente und durch genaue Kenntnis der Kundennutzung Formate und Plattformen zu entwickeln, welche die Interaktion mit dem Kunden möglichst umfassend, möglichst langfristig und möglichst gewinnbringend für beide Seiten erlauben. Das bedeutet aber viel stärker als bisher eine bessere und kreativere Kombination aus verschiedenen Wertschöpfungselementen: gute Inhalte, weitreichende und ausbaufähige Marken, das Wissen um die Nutzung durch die Konsumenten und eine entsprechende Verpackung an der Kundenschnittstelle.

Es wird nur noch sehr wenigen Medienunternehmen gelingen – und wenn nur durch eine außerordentlich überragende Differenzierung –, sich mit lediglich einem dieser Elemente in Zukunft auf Dauer zu behaupten.  |21|Nur eine Kombination aus mindestens zwei dieser drei differenzierenden Werthebel oder »Choke Points«2 in der Wertschöpfungskette der Medien sind notwendig: Inhalt, Marke oder Kundenzugang. Aus diesen Ingredienzien erst entsteht das Paket, mit dem der Kunde in der Welt der »Customer Centricity« erfolgreich bedient werden kann. Denn es geht um mehr als Unterhaltung und Information – es geht um Orientierung, Zeitgewinn, Komfortgewinn. Das geht nur, wenn das richtige Paket aus Inhalten und Markensignal zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist.

Klar sollte daher auch sein, dass die Wertschöpfung der Medien von der Kundenschnittstelle her neu durchdacht werden muss. Auf Dauer, so glauben wir, werden nur zwei bis drei strategische Positionierungen in Kombination mit dominanten Marktpositionen überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Erfolg haben.

Erhöhte Wertschöpfung aus der Kundenbasis

Konsumenten zu gewinnen und sie zu binden wird zukünftig der entscheidende Erfolgsfaktor sein – nicht nur in der Medienbranche, aber gerade auch da. Es ist keine ganz neue Erkenntnis und dennoch findet sie in der Praxis viel zu wenig Anerkennung: Loyale Kunden haben in der Regel höhere durchschnittliche Umsätze und sind in der Regel auch profitabler, denn sie müssen nicht immer wieder neu geworben werden. Mit anderen Worten, das Unternehmen generiert mit diesen Kunden insgesamt eine höhere Wertschöpfung. Das Konzept der »Customer Centricity« fordert von den Unternehmen, eine höhere Wertschöpfung aus der existierenden Kundenbasis zu generieren als bisher. Das bedeutet für die Medien aus unserer Sicht, zuallererst ein stärkeres Augenmerk auf die Segmentierung und die Wirtschaftlichkeit ihrer Kunden zu richten. Darüber hinaus heißt das, stärker als bisher segmentspezifisch zu denken und zu handeln.

|22|Stellen wir uns vor, dass die Tageszeitung der Zukunft an unterschiedliche Kundensegmente auf unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlichen Formaten vertrieben wird: an die Heranwachsenden als Push-Service über das Mobiltelefon oder die integrierte Spielekonsole, an die Geschäftsreisenden als Headline-Service zum PDA (»Personal Digital Assistant«) oder auf das immer mitgeführte Ausgabemedium »elektronisches Papier« und an ältere Leser traditionell als Printausgabe. Heute erscheint das noch utopisch, morgen jedoch bereits denkbar und übermorgen vielleicht schon selbstverständlich.

Kundensegmente werden die entscheidende Größe sein, an der Medienunternehmen Produktnutzung und Produktnutzen differenzieren und natürlich auch bepreisen werden. Es zeigt sich bereits heute schon, dass unterschiedliche Nutzergruppen unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche an Medien haben. Um diese Ansprüche zu erfüllen, werden Inhalte in Zukunft also über ganz verschiedene Plattformen an die unterschiedlichen Zielgruppen geliefert werden müssen.

Damit ein Medienunternehmen solch ein segmentiertes Angebot überhaupt anbieten kann, muss es seine Kunden genau kennen. Dafür genügt es natürlich nicht, bloß Namen und Adressen der Kunden zu verwalten, wie es vielfach noch geschieht. Auch ist es viel zu wenig, diese Stammdaten mit einigen demografischen Angaben und statistischen Überlagerungen anzureichern. Erforderlich ist vielmehr eine detaillierte, fast tagesgenaue Kenntnis der Kundennutzung. Mit Direktmarketing-Aktivitäten, einer Abonnentendatenbank oder der Marktforschung allein ist es nicht getan. »Customer Centricity« bedeutet also, sein Unternehmen auf Kundensegmente und nicht nur auf Produkte zu konzentrieren und es vor allem dauerhaft, umfassend und an möglichst vielen Stellen auf Empfang zu stellen. Kundeninformationen müssen in der gesamten Organisation verbindlich ausgetauscht werden und zu messbaren Ergebnissen führen. Medienunternehmen können so zu Kraftwerken in Sachen Marken-, Produkt- und Vertriebsinnovation werden. Austausch fördert Ideen! Nur so werden bessere Kundenkenntnisse und damit einhergehend effizientere und marktgerechtere Produktentwicklungen sowie eine echte und nachhaltige Ausweitung der Wertschöpfung ermöglicht.

|23|Unsere Erfahrung zeigt, dass das größte Innovations- und Kreativitätshemmnis in den Medienunternehmen die organisatorisch aufgerichteten Silos sind – Abteilungen ohne Durchlässigkeit, ohne Verbindungen zu anderen Teilen des Unternehmens. Daraus resultiert oft genug eine gewisse Schwerfälligkeit, die gerade für Medienunternehmen ein erheblicher Nachteil ist.

Fokus auf Lebenswelten der Kunden

Die Macht der Marken ist ungebrochen. In einer mit Informationen, Produkten und Lebensentwürfen überfrachteten Welt sind so genannte Leuchtturm-Marken nach wie vor von unschätzbarem Wert. Sie reduzieren die verwirrende Vielfalt auf ein überschaubares Maß, sie bieten Orientierung. Entscheidend dafür ist, dass diese Marken Lebenswelten besetzen. Sie stehen für einen ganzen Komplex von Motiven und Werten, die von ihrer Klientel geteilt werden.

Was damit gemeint ist, zeigt das Beispiel Disney. Dieser Name garantiert »Unterhaltung und Spaß für die ganze Familie«. Damit hat Disney die Marktführerschaft in einer der wichtigsten Lebenswelten erreicht. Das Disney-Imperium hat es zudem geschafft, diese Lebenswelt wirklich zu bereichern und die so angesprochenen Menschen zu begeistern, zu erfreuen und an seine unverwechselbaren Produkte zu binden. Damit ist Disney nicht schon ein Erfolgsbeispiel für »Customer Centricity«. Aber das Unternehmen beherrscht einen ihrer wichtigen Bausteine sehr gut: Menschen in wichtigen Lebensbereichen nicht nur Produkte, sondern auch Sicherheit anzubieten – die Sicherheit, nichts »Falsches« zu tun, wenn man seinen Kindern ein Produkt aus dem Hause Disney schenkt. In Disney-Filmen gibt es keine beunruhigende Gewalt oder andere problematische Inhalte, die Kinder belasten könnten. Es ist diese Verlässlichkeit, die sich auszahlt.

Was Disney für die Familie, das ist MTV für das junge Publikumssegment oder ESPN in den USA für die Sportwelt. Medienunternehmen, die |24|es verstehen, solche Marken zu entwickeln und mit Produkten zu möglichst globalen Franchises auszubauen, schaffen Mehrwert für die Konsumenten und damit für das Unternehmen. Es wird für den überdurchschnittlichen Erfolg von Medienunternehmen von großer Bedeutung sein, solche Marken in ihrem Portfolio zu haben.

Doch nicht nur für die Inhalteanbieter ist es wichtig, sich an den Lebenswelten ihrer Kunden zu orientieren. Auch für diejenigen, die an der Schnittstelle zum Kunden sitzen oder die benötigte Nutzer-Technologie weiterentwickeln, kommt es darauf an, den Kontakt zur Lebenswelt der Anwender und Nutzer herzustellen und zu halten. Mit den Worten von IBM-Chef Lou Gerstner: »Eine neue Technologie ist erst dann wirklich etabliert, wenn sie vollständig in den Lebensstil der Konsumenten integriert ist.«

Masse versus Maßanfertigung

Wenden wir uns noch einmal dem Beispiel Tageszeitung zu. Wir alle wissen, dass nicht annähernd das gelesen wird, was sie an bedrucktem Papier ins Haus liefert. Wäre sie alles in allem nicht so günstig – man würde sich über diese Rohstoff-Verschwendung ärgern; manch einer hat bereits jetzt das Gefühl, zu viel für einen Stapel von ungenutztem Altpapier zu bezahlen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Technologie, die in der Lage ist, die Tageszeitung stärker auf die Lesebedürfnisse abzustimmen, sehr attraktiv. Viele Kunden werden sie nutzen, sobald sie ihnen zur Verfügung steht. Das lässt sich bereits heute nachweisen, da die ersten Angebote dieser Art verfügbar sind. Dabei heißt Individualisierung über eine Gesamtheit eines Kundenportfolios betrachtet gewiss nicht, dass man es nun mit unzähligen singulären Einzelprofilen zu tun bekommt, mit ganz einzigartigen Vorlieben und Abneigungen (im Sinne des bekannten »Segment of One«, jedem Kunden sein eigenes Kundensegment). Vielmehr werden sich die wirklich relevanten Kundenwünsche identifizieren und quantifizieren lassen; viele Individuen mit ähnlichen Vorlieben bilden dann die maßgebenden |25|Kundensegmente. Für solche Segmente ist eine begrenzte, anhand klarer Differenzierungskriterien vorgenommene »Massen-Maßanfertigung«, ganz nach dem Beispiel NIBC, die richtige Vorgehensweise. Die Fähigkeit, solche Möglichkeiten zu entdecken und durch die richtige Paketierung für sich zu nutzen, wird in der Welt der »Customer Centricity« von überragender Bedeutung sein.

Die entscheidenden Dimensionen für diese »Massen-Maßanfertigung« werden dabei nach unserer Erfahrung durch drei Merkmale gekennzeichnet sein.

Benötigt werden Produkte, welche die Aufmerksamkeit der Menschen fesseln. Kurzfristig sicher auch durch Gags und Gimmicks im Sinne der so genannten Spaßgesellschaft, langfristig wohl nur durch Qualität, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Ganz im Sinne alter Redaktionsrichtlinien, wie es sie schon seit den 1940er-Jahren gibt: Immer interessant und spritzig und immer leicht lesbar! Die menschliche Seite, der Human Touch, ist wesentlich. Information allein ist kein differenzierender Faktor mehr für die meisten Medienprodukte.

Benötigt werden auch Produkte, die Orientierung bieten und die Navigation in der Informations- und Entertainment-Gesellschaft erleichtern; zum Beispiel übersichtliche Zusammenfassungen zu relevanten Fragen, intelligente Verlinkung mit weiteren Informationen oder Medienangeboten. Gerade hier besteht ein noch großes ungenutztes Potenzial.

Gefordert sind Produkte, die einfach zu nutzen sind beziehungsweise das Leben entscheidend erleichtern. Wer erst einmal mehrseitige Bedienungsanleitungen lesen muss, wird die Möglichkeiten neuer Technologien sicher niemals ergreifen. Intuitive Nutzerführung oder selbsterklärende Medienangebote sind hingegen attraktiv.

|26|Partnermanagement im Verdrängungswettbewerb

Die Welt der »Customer Centricity« wird ohne Frage immer komplexer, denn Medienunternehmen werden differenziertere Umsatzströme über mehr Plattformen und mit unterschiedlichen Technologien und Risikoprofilen erhalten. Neue Geschäftsmodelle, neue Produktkonstellationen – Produkte werden in Zukunft weniger besessen, sie werden gemietet –, neue Zahlungsmethoden und -wege, die Simulation von »Supermarkt-Check-outs« im Medienunternehmen durch »Micropayment«, neue Systeme und Fähigkeiten (»Digital Rights Management«) werden entstehen oder sind bereits im Aufbau. Oft können diese neuen Entwicklungen aus eigener Kraft nicht vorangetrieben oder begleitet werden. Sie machen es daher geradezu zwingend erforderlich, Partnerschaften einzugehen, um erfolgreich zu sein. Doch viele Medienunternehmen sind darauf nicht hinreichend vorbereitet:

»Wenn Sie mir erklären, dass wir für diese Strategie Partner brauchen, dann vergessen Sie es. Wir sind im Partnermanagement notorisch schlecht!« Dieser Verzweiflungsruf einer Unternehmensplanerin in einem europäischen Medienhaus ist leider allzu typisch. Aber zum »Customer-Centricity«-Erfolg gehören Partner. Erfolgreiche »Customer Centricity« ist auch erfolgreiches Partnermanagement. Damit lassen sich Skaleneffekte, Produktmöglichkeiten, technologische Innovation und vor allem Kundenzugang erschließen. Das Geschäftssystem wird immer komplexer, und zu seiner Bewältigung brauchen die Medienunternehmen neue Managementfähigkeiten, sei es im Partnermanagement, im Risikomanagement oder im internen Management (einschließlich neuer Planungs-, Steuerungs- und Monitoringprozesse). Führungsfähigkeit wird in dieser Umgebung neu interpretiert werden müssen.

Doch nicht nur die Bedeutung von strategischen Partnerschaften wird zunehmen, zugleich wächst der Wettbewerbsdruck in der Medienbranche noch weiter und der Konkurrenzkampf wird härter. In einigen Bereichen kommen auch neue Wettbewerber hinzu, zum Beispiel aus dem Telekommunikationsbereich, der Softwareindustrie, aus dem Handel und aus |27|anderen Konsumgüterbranchen, die noch vor ein, zwei Jahren nicht auf dem Radarschirm der Unternehmensplaner in den Medienkonzernen auftauchten. Mittlerweile sind sie aber zu ernsthaften Konkurrenten in einigen Bereichen der Medienwertschöpfung geworden.