Die Legenden von Karinth (Band 4) - C. M. Spoerri - E-Book

Die Legenden von Karinth (Band 4) E-Book

C.M. Spoerri

5,0

Beschreibung

Maryo war der Erfüllung seiner Aufgabe so nahe, doch die Götter scheinen nicht auf seiner Seite zu stehen. Daher muss er sich auf die Hilfe einer Gemeinschaft verlassen, die ihre eigenen Pläne verfolgt, und merkt bald, dass es nur noch eine Handvoll Gefährten gibt, denen er vertrauen kann. Mit ihnen versucht er, seine Mission weiterzuverfolgen, deren Gelingen allerdings immer aussichtsloser erscheint. Denn sie führt ihn ausgerechnet in die Welt der Toten.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte Karinth

Landkarte Nordkarinth

Kapitel 1 - Thesalis

Kapitel 2 - Maryo

Kapitel 3 - Roter Tarkar

Kapitel 4 - Edana

Kapitel 5 - Roter Tarkar

Kapitel 6 - Darien

Kapitel 7 - Maryo

Kapitel 8 - Roter Tarkar

Kapitel 9 - Maryo

Kapitel 10 - Darien

Kapitel 11 - Edana

Kapitel 12 - Thesalis

Kapitel 13 - Edana

Kapitel 14 - Maryo

Kapitel 15 - Thesalis

Kapitel 16 - Maryo

Kapitel 17 - Roter Tarkar

Kapitel 18 - Darien

Kapitel 19 - Maryo

Kapitel 20 - Edana

Kapitel 21 - Maryo

Kapitel 22 - Thesalis

Kapitel 23 - Maryo

Kapitel 24 - Darien

Kapitel 25 - Maryo

Kapitel 26 - Maryo

Kapitel 27 - Maryo

Kapitel 28 - Edana

Kapitel 29 - Roter Tarkar

Kapitel 30 - Darien

Kapitel 31 - Roter Tarkar

Kapitel 32 - Roter Tarkar

Kapitel 33 - Maryo

Kapitel 34 - Edana

Kapitel 35 - Maryo

Kapitel 36 - Thesalis

Kapitel 37 - Maryo

Kapitel 38 - Edana

Kapitel 39 - Roter Tarkar

Kapitel 40 - Maryo

Kapitel 41 - Maryo

Kapitel 42 - Maryo

Kapitel 43 - Amyéna

Kapitel 44 - Maryo

Kapitel 45 - Maryo

Kapitel 46 - Amyéna

Epilog

Schlusswort

Glossar

 

C. M. Spoerri

 

 

Die Legenden von Karinth

Band 4

 

 

Fantasy

 

 

Die Legenden von Karinth (Band 4)

Maryo war der Erfüllung seiner Aufgabe so nahe, doch die Götter scheinen nicht auf seiner Seite zu stehen. Daher muss er sich auf die Hilfe einer Gemeinschaft verlassen, die ihre eigenen Pläne verfolgt, und merkt bald, dass es nur noch eine Handvoll Gefährten gibt, denen er vertrauen kann. Mit ihnen versucht er, seine Mission weiterzuverfolgen, deren Gelingen allerdings immer aussichtsloser erscheint. Denn sie führt ihn ausgerechnet in die Welt der Toten.

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Ursprünglich aus der Klinischen Psychologie kommend, schreibt sie seit Frühling 2014 erfolgreich Fantasy-Jugendromane (Alia-Saga, Greifen-Saga) und hat im Herbst 2015 mit ihrem Mann zusammen den Sternensand-Verlag gegründet. Weitere Fantasy- und New Adult-Projekte sind dabei, Gestalt anzunehmen. Über ihre Homepage www.cmspoerri.ch werdet Ihr über alle Neuigkeiten informiert.

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Oktober 2019

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2019

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski | alexanderkopainski.de

Landkarten: C. M. Spoerri 2019

Illustrationen: Shutterstock.com | fotolia.de

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat Druckfahne: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-107-9

ISBN (epub): 978-3-03896-106-2

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Manchmal beginnt ein Leben erst mit dem Tod …

C.

Landkarte Karinth

 

Landkarte Nordkarinth

 

 

Kapitel 1 - Thesalis

 

»Held! Held, wo steckst du schon wieder?«

Thesalis strich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und sah sich ratlos um. Die Amazone stand mitten im Wald, der an das Fischerdorf angrenzte, welches sie und Edana vor zwei Tagen erreicht hatten. Hier sollten sie auf Maryo und den ›roten Tarkar‹ warten, während diese die Elfenprinzessin aus den Klauen irgendeiner Bürgermeisterin von Karinth befreiten.

Dinge, die Thesalis normalerweise nicht interessiert hätten, betrafen sie doch die erbärmlichen Leben von Menschen und einem Elfen. Geschweige denn, dass sie sogar dabei geholfen hätte.

Normalerweise …

Doch seit sie dem dunkelhaarigen Elfen und der Magierin begegnet war, war nichts mehr normal gewesen. Obwohl sie keine Visionen mehr heimsuchten, seit diese Elfenprinzessin nach Karinth gekommen war, spürte sie, dass sie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hatte. Ob diese allerdings beinhaltete, dass sie nun hier, mitten zwischen Bäumen im Unterholz, stand und nach einem störrischen Wolfswelpen namens Held suchte, wusste nur Göttin Artaami.

»Held! Verdammt, jetzt hör auf, dich zu verstecken!«, rief sie und zupfte an dem unbequemen Oberteil herum, das sie seit Kurzem trug. Sie hatte es sich auf Anraten Edanas zugelegt, da sie bemerkt hatte, wie die Blicke der Dorfbewohner auf ihrer nackten Brust ruhten, welche die Amazonenkleidung preisgegeben hatte.

Tiere … allesamt!

»Ich werde jetzt gehen und lasse dich hier alleine zurück.« Die Amazone brummte missmutig.

Aber sie wusste selbst, dass sie das niemals übers Herz bringen würde. Der kleine Wolf mit dem blendend weißen Fell hatte nur noch sie, nachdem der ›rote Tarkar‹ – seine Götter mögen ihn bestrafen! – dessen ganzes Rudel regelrecht abgeschlachtet hatte. Noch jetzt spürte die Amazone eine Gänsehaut, wenn sie an den Anblick dachte, der sich ihr damals auf der Waldlichtung geboten hatte. Überall tote Wölfe und mittendrin Arkan, das rote Haar verklebt, Gesicht, Hände … sein ganzer Körper blutverschmiert.

Sie schüttelte die Befangenheit ab und atmete leise durch. Der Morgennebel strich um ihre Füße, welche in robusten Stiefeln steckten, und Vögel begrüßten zwitschernd den neuen Tag. Es war ruhig und friedlich hier, als gäbe es kein Leid in diesem Land.

Doch die Amazone wusste es besser … zu gut erinnerte sie sich an das Massaker, das diese Elfenbrut in ihrem Dorf angerichtet hatte, und selbst jetzt, da alles so idyllisch um sie herum anmutete, packte sie die blanke Wut. Sie würde jeden einzelnen dieser Bastarde qualvoll töten, sobald sie ihre Aufgabe hier erfüllt hatte. Und das wäre bald, denn wenn dieser Maryo endlich seine Prinzessin gefunden hatte, könnte sie in die Amazonenhauptstadt zurückkehren und die Unterstützung anfordern, die ihr die Amazonenkönigin zugesagt hatte.

Thesalis presste die Lippen aufeinander, ehe sie ein grimmiges Lachen ausstieß. Oh ja, sie würde ihre Schwestern rächen und nicht eher ruhen, bis jeden Elfen im Hochwald das Schicksal ereilt hatte, das er verdiente.

Sie zuckte zusammen, als zu ihrer Rechten ein leises Knacken ertönte. Rasch drehte sie sich in die Richtung und verengte die Augen, während sie ihre Umgebung musterte. In den Wäldern musste man auf der Hut sein, selbst als Amazone, denn die Natur machte keinen Unterschied zwischen Rassen.

»Held?«, flüsterte sie und ging in die Hocke, um ein weniger gutes Ziel zu bieten, sollten sich in ihrer Nähe Gegner aufhalten.

Wieder erklang ein Knacken, dieses Mal näher.

Thesalis griff langsam nach ihrem Dolch und zog ihn aus der Scheide, ohne den Blick von der verdächtigen Stelle abzuwenden. Sie blieb regungslos in ihrer Position.

»Held?«, wiederholte sie leise.

Der kleine Wolf hatte sich in letzter Zeit angewöhnt, sich an sie anzuschleichen, daher rechnete sie damit, dass er demnächst aus dem Gebüsch gesprungen kam.

Ein Laut des Entsetzens entwich ihren Lippen, als mit einem Mal das Brüllen eines Löwen erklang. Nein … keines Löwen – so klang kein Löwe. Es war eine Mischung aus Kreischen und Grollen, die Thesalis das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Sie duckte sich gerade noch rechtzeitig, sonst wäre sie mit dem Ungetüm zusammengeprallt, das mit einem gewaltigen Sprung aus dem Wald preschte.

Im Bruchteil eines Lidschlages erkannte sie, was sie da vor sich hatte: einen Mantikor, eines der gefährlichsten Wesen von Karinth.

Thesalis rollte sich ab und entging damit haarscharf den giftigen Geschossen, die hinter ihr in die Erde einschlugen. Schon war sie wieder auf den Beinen und fixierte die Bestie mit den Augen.

Es handelte sich um ein ausgewachsenes Exemplar mit dem Körper eines Löwen, dem Schwanz eines Skorpions und den Flügeln eines Adlers. Ein Geschöpf, das wirkte, als hätten die Götter sich nicht für ein Tier entscheiden können und deswegen drei in einem einzigen vereint. Als der Mantikor sein gewaltiges Gebiss zu einem weiteren Brüllen öffnete, fiel Thesalis’ Blick auf die drei hintereinanderliegenden Zahnreihen, mit denen das Wesen problemlos einen menschlichen Arm durchzubeißen vermochte. Die Mähne wirkte, als würde ein unsichtbarer Wind hindurchfegen, aber es handelte sich um Giftstacheln, die erneut auf Thesalis zuschossen.

Sie hechtete zur Seite und hörte die Stacheln neben sich in einen Baumstamm fahren. Der Dolch in ihrer Hand wirkte lächerlich, aber es war leider die einzige Waffe, die sie dabeihatte, und sie würde damit ihr Leben verteidigen.

Ein weiteres Mal rollte sie sich ab und sprang auf die Beine. Sie gab dem Mantikor keine Gelegenheit, sie noch einmal mit Giftstacheln zu beschießen, sondern ging zum Angriff über. Mit lautem Amazonengeschrei stürzte sie sich auf die Bestie, deren Kopf ihr bis knapp unter die Brust reichte.

Auch der Mantikor brüllte noch einmal und Thesalis sah ihre Chance. Mit aller Kraft rammte sie das Messer in das riesige Maul und zog es blitzschnell wieder heraus, während sie an der Bestie vorbeipreschte. Sie hörte hinter sich ein Heulen und wirbelte herum, um ihren Gegner im Auge zu behalten.

Blut tropfte aus den Fängen der Kreatur und ihr Brüllen war jetzt ohrenbetäubend – und voller Wut.

›Stirb, Amazone!‹

Sie wusste zwar, dass diese Bestien die Intelligenz eines Menschen besaßen und sprechen konnten, dennoch glitt eine Gänsehaut über ihren Rücken, als sie die Mantikor-Stimme nun hörte. Anscheinend hatte er ihre Herkunft trotz der Kleidung, die sie trug, problemlos erkannt.

»Stirb selbst!«, rief sie und rannte erneut auf die Bestie los.

Diese hob eine ihrer Löwenpranken, um nach ihr zu schlagen, während der Giftstachel ihres Skorpionschwanzes sich nach vorne bog. Thesalis wich erst der Tatze, dann dem Stachel aus und versenkte ihren Dolch mit einer hektischen Bewegung im Hals der Kreatur.

Das Brüllen wurde noch lauter, auch wenn Thesalis das nicht für möglich gehalten hätte. Sie drückte ihre Hände auf die Ohren und versuchte, Distanz zwischen sich und dem Mantikor zu schaffen. Doch die Schreie schwollen weiter an, bis sie taumelte und befürchtete, dass ihr Trommelfell platzen könnte. Diesen Moment der Unachtsamkeit nutzte das Ungetüm und schlug erneut nach ihr. Es traf sie zwar nur leicht, dennoch hinterließen seine Pranken eine blutige Spur auf ihrem Oberschenkel.

Durch die Wucht des Schlages ging Thesalis in die Knie und stöhnte schmerzerfüllt auf.

›Bringen wir das zu Ende!‹, dröhnte seine Stimme in ihrem Kopf.

Sie starrte in die Augen des Löwen, der sich zu ihr herunterbeugte und sie mordlüstern musterte. Schon senkte der Mantikor den Skorpionstachel auf sie, von dem eine grünliche Flüssigkeit tropfte.

Thesalis tastete nach ihrem Dolch, der ihr aus der Hand geglitten war, aber der Mantikor stellte kurzerhand seine Löwenpranke auf ihren Unterarm und verlagerte sein Gewicht, sodass die Amazone glaubte, ihr Handgelenk knirschen zu hören.

Verdammt … sie war dieser Bestie ausgeliefert. Doch sie würde ihrem Tod ins Auge blicken, wenngleich sie nicht erwartet hatte, auf diese Weise zu sterben.

Mit zusammengepressten Lippen starrte sie zu der Bestie hoch, deren Stachel nun direkt über ihrer Brust schwebte. Doch ehe die Spitze sie durchbohren konnte, schoss etwas Weißes von der Seite auf sie zu und prallte mit voller Wucht gegen die Löwenpranke, die Thesalis’ Unterarm festhielt.

Der Mantikor ließ vor Überraschung etwas lockerer, was Thesalis nutzte, um ihren Arm loszureißen. So schnell, dass ein menschliches Auge es nicht hätte sehen können, ergriff sie ihren Dolch, riss ihn in die Höhe und stieß ihn direkt zwischen die Augen des Ungetüms.

Einen Augenblick lang starrte der Mantikor ungläubig auf sie herunter, dann, ganz langsam, kippte er mit einem Laut, der an ein Keuchen erinnerte, zur Seite.

Thesalis rollte sich unter ihm hervor und sprang wieder auf die Beine, um ihren Dolch aus dem Schädel des Ungetüms zu reißen. Dabei fuhr ein scharfer Schmerz durch ihren Oberschenkel, aber ihr Blick wurde von dem weißen Wolf angezogen, der zähnefletschend neben dem toten Ungetüm stand, die Nackenhaare aufgestellt.

»Held«, flüsterte sie, was die Aufmerksamkeit des Welpen auf sie lenkte. »Du … hast mir gerade das Leben gerettet.«

Der kleine Wolf stellte sein Knurren ein und wedelte mit dem Schwanz, als hätte er sie verstanden. Er warf noch einmal einen Blick zur Bestie, ehe er sich dazu entschloss, zu Thesalis zu gehen und sich seine wohlverdienten Streicheleinheiten abzuholen.

Sie bückte sich und schlang die Arme um seinen weichen Körper, drückte ihn an sich. Der Welpe leckte ihr freudig übers Gesicht, während die Amazone ihre Finger in seinem Fell vergrub.

»Du bist ein guter Jäger«, sagte sie leise.

Ein Grunzen war die Antwort, während Held versuchte, nach einer ihrer blonden Haarsträhnen zu schnappen.

»Komm jetzt, wir sollten ins Dorf zurückkehren«, meinte Thesalis und erhob sich mit dem Wolfsjungen auf dem Arm. Sie warf einen letzten Blick auf den Mantikor, der regungslos zu ihren Füßen lag, dann wandte sie sich ab und kraulte Held unter dem Kinn. »Und hör auf, ständig abzuhauen. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Es ist noch nicht lange her, da standest du an der Schwelle zum Tod – du solltest dich schonen.«

Held leckte ihr quer über die Wange und schmiegte dann sein Köpfchen gegen ihr Kinn. Selbst wenn Thesalis gewollt hätte, sie hätte ihm nicht länger böse sein können. Der kleine Wolf war ihr in den vergangenen Tagen so sehr ans Herz gewachsen, dass sie sich bereits jetzt ein Dasein ohne ihn kaum mehr vorstellen konnte. Und er hatte seinem Namen gerade alle Ehre gemacht und ihr das Leben gerettet.

Ja, Held war anders als ihr Panther Csilla. Er war … bedingungslos treu.

Lächelnd wandte sich die Amazone in Richtung des Fischerdorfs Ketar, wo sie und die Magierin ein Zimmer in einer Herberge gemietet hatten. Insgeheim konnte sie es dem Wolf nicht verübeln, dass er immer wieder durch die Wälder streifte – ihr wäre ein Bett auf einem Fleckchen Moos auch lieber gewesen als diese harte, mit Stroh gefüllte Matratze, die nach Schweiß müffelte und …

 

… voller Blut war.

Thesalis schrie auf und hörte noch, wie Held in ihren Armen winselte, da wurde alles um sie herum bereits dunkel.

 

»Keiner entkommt mir …«, flüsterte eine hohle Stimme, die viel zu tief für ein menschliches Wesen anmutete. Im ersten Moment dachte sie, der Mantikor spreche zu ihr, aber die Stimme war vollkommen anders … viel bedrohlicher und … grausamer.

Sie riss die Augen auf und erkannte eine Schattengestalt, welche direkt über ihr schwebte und eine Klaue nach ihr ausstreckte, von der Blut tropfte. Die Amazone befand sich nicht mehr auf der Waldlichtung, sondern im Zimmer ihrer Herberge. Doch sie konnte sich nicht rühren, ihr blieb nur, das Wesen anzustarren, das sich über ihr immer mehr materialisierte, während dunkle Rauchschwaden von ihm ausgingen und sich wie ein Netz um ihren Körper legten.

In ihr tobten Todesangst und Grauen gleichermaßen, doch sie hatte keine Möglichkeit, der Gestalt zu entkommen. Der schwarze Nebel hüllte sie immer stärker ein, bis sie nichts mehr sah außer Dunkelheit um sich herum. Ihr wurde so kalt wie noch nie in ihrem Leben und sie spürte das Zittern, das durch ihren Körper schlich und sich in jeder Muskelfaser festsetzte.

»Du gehörst jetzt mir«, erklang die tonlose Stimme. »Für immer und in alle Ewigkeit.«

Sie wollte schreien, sich wehren, doch sie spürte, wie sich ihr Körper aufzulösen begann. Wie jede Faser sich der Dunkelheit hingab, sich mit ihr verband … und dann … starb sie.

 

Ihr Körper zuckte unter unkontrollierbaren Krämpfen, ihre Kehle schrie, aber kein Ton wollte ihr entweichen. Sie wand sich auf dem Waldboden, spürte immer noch die Klauen, die ihren Körper gepackt hatten. Schaum bildete sich vor ihrem Mund und das Gefühl, ihr Brustkorb würde zerdrückt, nahm ihr die Luft zum Atmen.

»Held«, stieß sie unter größter Anstrengung hervor. »Geh. Hol. Hilfe.«

Der Wolfswelpe saß neben ihr, leckte ihr über die Stirn in dem schwachen Versuch, zu helfen.

»Bitte.« Thesalis presste die Augen zusammen, ehe ein weiterer Krampfanfall sie laut aufkeuchen ließ. »Geh.«

Held legte den Kopf schief und musterte seine Gefährtin, die immer wieder von Krämpfen gepeinigt wurde. Er schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte, aber nicht zu wissen, was zu tun war. Seine Pfoten stützten sich auf ihren Körper, er winselte leise und stupste sie mit der Nase an.

Thesalis’ Finger gruben sich in die laubbedeckte Erde und ihr wurde erneut schwarz vor Augen, als die Schmerzen unaushaltbar wurden. Tränen rannen über ihre Wangen. Ihre Muskeln zitterten unter der Anstrengung und den Schmerzen, doch sie hatte keine Chance, die Kontrolle über ihren Körper zurückzuerlangen. Was sie gesehen – gespürt – hatte, war zu grauenvoll gewesen. Zu dunkel …

Ja, sie würde hier sterben. Das wurde ihr mit einer plötzlichen Klarheit bewusst.

Sie nahm die warme Zunge des Wolfes wahr, der über ihren Arm leckte, bevor er seinen Kopf darauf bettete.

Der letzte Gedanke, ehe sie sich in die Schwärze fallen ließ, galt ihm.

Wer würde jetzt für ihn sorgen?

Kapitel 2 - Maryo

 

Maryo starrte den rothaarigen Mann vor sich fassungslos an, während er den Arm weiterhin um Edanas Taille gelegt hatte – der Frau, die er über alles liebte.

Sie standen in der Herberge, hinter ihnen lag das Zimmer, in welchem gerade Ungeheuerliches geschehen war. Etwas, das er immer noch nicht ganz begreifen konnte: Die Elfenprinzessin Amyéna Némys war von einem Dämon entführt worden … in die Unterwelt. Und der ›rote Tarkar‹ schien mehr darüber zu wissen, als er bisher zugegeben hatte.

»Du hast uns also die ganze Zeit etwas verschwiegen?«, fragte der Elf mit heiserer Stimme an den ›roten Tarkar‹ gewandt.

Dieser schien zum ersten Mal, seit Maryo ihn kannte, verlegen zu sein. Er fuhr sich durch das dunkelrote Haar und strich es nach hinten, ehe er seine Smaragdaugen wieder auf Maryo und Edana richtete. »Nun, wir alle haben unsere Geheimnisse, nicht wahr?«

»Raus mit der Sprache!«

Jetzt kam Bewegung in Maryo und er löste sich von Edana, die ungewöhnlich still war. Kein Wunder, sie waren gerade Zeuge geworden, wie einem Mann bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen worden war.

»Wir sollten das an einem … weniger blutigen Ort besprechen«, meinte der ›rote Tarkar‹ und nickte vielsagend zu dem Toten, der immer noch mitten im Gästezimmer der Herberge lag.

»Du denkst jetzt tatsächlich ans Bluttrinken?!«, knurrte Maryo ungehalten und war drauf und dran, den Sklavenhändler am Kragen zu packen.

Der ›rote Tarkar‹ hob seine mit vielen Ringen geschmückten Hände und schenkte ihm ein schiefes Grinsen, das nicht ganz zu dem immer noch angespannten Ausdruck in seinen Augen passen wollte. »Ich bin ein Schwarzblut, das ist meine Natur. Wenn ich Blut rieche …«

»Schon kapiert«, brummte Maryo und deutete mit dem Kopf in Richtung Treppe, die nach unten in den Wirtsraum führte. »Wir werden den Wirt informieren, dass hier oben ein toter Heiler liegt, und dann erzählst du uns nochmals haargenau, was du soeben angedeutet hast.«

»Ach und was willst du dem Wirt sagen? Dass ein Dämon hier war, deine Prinzessin entführt und dem Kerl, der sie retten wollte, vorher noch rasch das Herz rausgerissen hat?« Der ›rote Tarkar‹ setzte einen ironischen Gesichtsausdruck auf. »Der wird uns die Wache oder – noch schlimmer – den Bauernpöbel auf den Hals hetzen, so viel ist gewiss.«

»Dann verlassen wir eben dieses Kaff!« So langsam ging Maryo die Geduld aus. Er hatte geglaubt, dass er die Elfenprinzessin endlich zurück nach Westend bringen könnte, und dann … kam irgend so ein Dämon, der durch ein Blutritual gerufen worden war, und schnappte sie ihm vor der Nase weg!

Diese verdammten Magier …! Er hasste Karinth!

»Wir können nicht einfach so davonsegeln, da war doch noch diese hübsche Amazone.« Der ›rote Tarkar‹ legte den Kopf schief. »Ist sie immer noch im Wald?«

Die letzte Frage war an Edana gerichtet, die ihnen bei ihrer Ankunft erzählt hatte, dass Thesalis im nahe gelegenen Wald nach ihrem Wolfswelpen suchte, der wieder einmal abgehauen war.

Als Maryo sich ihr zuwandte, erschrak er fast über die Kraftlosigkeit, mit der sie dastand. Er hatte sie als starke, selbstbewusste Kapitänin kennengelernt. Nun schien jedoch jegliches Feuer in ihr erloschen zu sein – es wirkte, als hätte eine Blume tagelang zu wenig Wasser erhalten.

Edana hob den Blick und betrachtete den Sklavenhändler mit einem müden Lächeln. »Wenn sie noch nicht zurück ist, wird sie wohl immer noch nach Held suchen. Wir müssen auf sie warten.«

Maryo nickte langsam, ehe er den Arm um ihre Schulter legte. Augenblicklich lehnte sie sich gegen ihn und schlang ihrerseits den Unterarm um seine Taille. Allein die Tatsache, dass sie so anschmiegsam war, beunruhigte den Elfen.

Nein, Edana war im Moment nicht sie selbst …

»Anderer Vorschlag«, meinte der ›rote Tarkar‹, der die Magierin ebenfalls stirnrunzelnd betrachtet hatte. »Ihr kehrt auf den ›Seefalken‹ zurück und ruht euch aus. Der Tag gestern war aufwühlend und die Nacht lang. Da ich als Schwarzblut keinen Schlaf benötige, kümmere ich mich währenddessen um die Leiche.« Er hob die Hand, als Maryo etwas einwenden wollte. »Keine Sorge, mein Lieber, ich werde den Heiler nicht verspeisen – der Dämonengeruch haftet an ihm wie das schreckliche Duftwasser einer Puffmutter. Ich lasse Chahur mit einem Seesack herkommen und wir bringen ihn ungesehen nach draußen. Haben wir schon öfter machen müssen, ihr fragt besser nicht nach, wieso.« Er zwinkerte Maryo und Edana zu. »Am Abend treffen wir uns auf dem ›Seefalken‹ und ich erzähle euch alles, was ihr wissen wollt.«

»Wer garantiert uns, dass du nicht einfach abhaust?«, fragte Maryo argwöhnisch.

»Ich sagte doch: Wenn ihr in die Totenwelt geht, komme ich mit«, rief ihm Arkan in Erinnerung. »Also keine Sorge, ich bleibe brav hier in Ketar. Vielleicht werde ich mal selbst kurz durch die Wälder streifen, ist schließlich schon ein Weilchen her, seit ich gejagt …«

»Geh einfach«, knurrte Maryo. »Bis am Abend.«

»Bis am Abend, gnädiger Herr.« Arkan verbeugte sich formvollendet und zwinkerte den beiden nochmals zu, ehe er die Tür zum Gästezimmer schloss und dann die Treppe hinunterging, um seinen Plan in die Tat umzusetzen.

Maryo blickte ihm nach, dann wandte er sich an Edana, die immer noch neben ihm stand und irgendeinen Punkt am Boden zu fixieren schien. »Wo hast du deine Sachen?«, fragte er und bemühte sich, seine Stimme sanft klingen zu lassen.

»In der Kommode neben dem Bett. Ich kann sie aber selbst …«

»Warte hier. Thesalis hat ihr Bündel auch dort?«

Edana nickte nur und Maryo betrat noch einmal das Zimmer. Er warf einen Blick auf den Heiler, dessen verblüffter Gesichtsausdruck noch im Tode davon zeugte, dass er nicht gewusst hatte, wie ihm geschah, als er so sinnlos starb. Vielleicht hatte er Familie. Eine Frau und Kinder, die heute Morgen vergebens darauf warten würden, dass er nach Hause kam.

Verdammt, seit wann dachte er über Menschen auf diese Weise nach?!

Maryo schüttelte den Kopf und ging zur Kommode, um die beiden Bündel herauszunehmen, die Edana und der Amazone gehörten. Dann verließ er den Raum mit raschen Schritten und schloss die Tür wieder hinter sich.

»Danke.« Edana lächelte. »Ich hätte den Anblick nicht noch einmal ertragen.«

»Komm.« Maryo legte ihr eine Hand auf die Schulter, drückte sanft zu. »Wir gehen auf dein Schiff und du erzählst mir unterwegs, was du auf der Reise mit Thesalis erlebt hast.«

Er warf sich die beiden Bündel über die Schulter und ergriff ihre Hand. Der Wirt schien sich nicht zu wundern, dass Edana die Herberge verließ – sie hatten ihr Zimmer bezahlt, daher stellte er keine Fragen.

Maryo hörte nur mit halbem Ohr zu, was Edana ihm auf dem Weg zum Schiff erzählte. Das meiste drehte sich um den jungen Wolf, der anscheinend die beiden Frauen gehörig auf Trab gehalten hatte. Wenigstens führte das Thema dazu, dass sie ab und an lachte bei der Erinnerung und sich ihre Befangenheit sichtlich löste.

Es war früher Morgen und die Sonne gerade dabei, über den Horizont zu klettern. In jedem anderen Moment hätte Maryo kurz innegehalten und das Farbenspiel bewundert, welches das Himmelsgestirn ihnen über dem Meer bot. Aber da war dieses beklemmende Gefühl in seinem Herzen … diese Angst, dass die Stunden und Tage, die er noch mit Edana verbringen durfte, bald gezählt waren. Jeder Moment war kostbarer als ein Edelstein, denn die Zeit arbeitete gegen sie.

Doch Maryo bemühte sich, diesem Gefühl nicht zu viel Raum zu geben. Was zählte, war, dass er hier und jetzt mit Edana zusammen war, ihre Hand hielt.

Gemeinsam betraten sie das Schiff, und die Matrosen begrüßten ihre Kapitänin. Aber Maryo führte Edana geradewegs zu ihrer Kabine im Bug. Er wollte mit ihr allein sein.

Allerdings ging sein Plan nicht auf, denn kurz vor ihrem Ziel stellte sich ein breitschultriger dunkelblonder Mann in ihren Weg, die Hände in die Hüfte gestemmt.

»Da ist ja unsere Kapitänin wieder«, meinte er schmunzelnd.

Edana, die Maryo gerade berichtet hatte, dass der Wolf schon ›Sitz‹ machen konnte, unterbrach sich mitten im Satz und warf sich dem Mann förmlich an den Hals. »Sabal!«, rief sie voller Freude.

Ihr Quartiermeister umarmte sie seinerseits und hob sie dabei etwas von den Planken in die Höhe, da er größer als sie war. Maryo unterdrückte den Drang, ihm Edana zu entreißen, und knirschte stattdessen mit den Zähnen. Er sollte nicht eifersüchtig sein auf den Kerl und dennoch mochte er es nicht, wie er sie gerade an sich presste.

»Schön, dich gesund und munter wiederzusehen!« Sabal lachte. »Als wir angelegt haben, hattest du ja keine Zeit, dich mit dem Fußvolk abzugeben.« Endlich ließ er Edana wieder auf die Planken, aber seine Arme blieben dennoch an ihren Hüften, was Maryos Zähneknirschen verstärkte.

»Tut mir leid«, murmelte die dunkelhaarige Magierin nun. »Das war nicht böse gemeint.«

»Ich könnte dir nie böse sein.«

Zwinkerte er seiner Kapitänin da etwa gerade zu?!

Maryo hielt es nicht länger aus, ließ die beiden Bündel zu Boden sinken und legte eine Hand auf Edanas Schulter, was Sabal dazu veranlasste, sich ihm zuzuwenden. »Wir werden uns etwas hinlegen«, erklärte der Elf und sah zufrieden, wie der Quartiermeister seine Kapitänin endlich losließ.

»Ich würde gerne vorher noch etwas essen«, erklärte diese. »Kommst du mit mir zur Kombüse, Maryo?«

Ehe der Elf etwas antworten konnte, knurrte sein Magen bereits verdächtig, denn er hatte seit gestern Abend nichts mehr gegessen.

»Das war dann wohl ein Ja.« Edana lächelte. »Leistest du uns Gesellschaft, Sabal?«

»Ein anderes Mal vielleicht«, wich der Dunkelblonde aus, nicht aber, ohne Maryo einen stählernen Blick zuzuwerfen.

Dieser zuckte jedoch nicht einmal mit der Wimper, während er die Bündel wieder schulterte. Solange der Kerl Edana nicht zu nahe kam, war für ihn alles in Ordnung, denn er wusste, dass sie zu ihm gehörte. Dennoch mochte er es nicht, wenn sie von anderen Männern angefasst wurde – auch nicht von ihrem ältesten Freund Sabal, da ihm sehr wohl bekannt war, dass sie mit ihrem Quartiermeister einst das Bett geteilt hatte. Zwar vor seiner Zeit, allerdings hegte Sabal immer noch Gefühle für die Kapitänin und hätte sich wohl liebend gern wieder in rauen Seenächten mit ihr in den Laken vergnügt.

»Dann bis später«, verabschiedete sich Edana von Sabal, und Maryo entging nicht, dass sie ihm zärtlich über den Unterarm strich, was dem Quartiermeister ein ungewolltes Lächeln entlockte.

Gut, er mochte es auch nicht, wenn Edana andere Männer anfasste …

Er war froh, als sie nun wieder zu zweit über das Deck zur Kombüse gingen, um sich mit Brot und Fleisch sowie einem Wasserschlauch einzudecken. Edana trug ihre Beute zum Achterdeck, wo sie sich hungrig über das Essen hermachten. Nach allem, was sie erlebt hatten, tat es gut, sich den Bauch vollzuschlagen. Sie sprachen kaum etwas, genossen die Ruhe auf dem Deck, das nur von den ranghöchsten Mannschaftsmitgliedern betreten werden durfte.

Als sein Magen satt und zufrieden war, spürte Maryo eine bleierne Müdigkeit in seine Knochen schleichen. Er hatte die ganze Nacht an der Seite der Elfenprinzessin verbracht und jetzt wollte er nur noch ein Bett, Edana neben sich und dann ein paar Stunden schlafen, ehe er sich erneut der Realität stellen musste: Sie würden in die Totenwelt gehen, um Amyéna den Fängen dieses Dämons zu entreißen.

Auch Edana schien müde zu sein, denn sie gähnte immer öfter, bis Maryo ihr vorschlug, sich in ihre Kabine zurückzuziehen.

 

Nachdem sie den Raum im Bug des ›Seefalken‹ betreten hatten und Maryo die Tür hinter sich verschlossen hatte, warf er die beiden Bündel achtlos zu Boden, was Edana eine Augenbraue heben ließ. Er wandte sich ihr zu, blickte in ihr schönes Gesicht, betrachtete den fein geschwungenen Mund, die dunklen Haare, die hohen Wangenknochen.

Diese Frau hatte er in den vergangenen Wochen lieben gelernt, obwohl sie einem Volk angehörte, das er bis zu ihrem ersten Aufeinandertreffen verachtet hatte. Aber sie hatte ihm gezeigt, dass Vorurteile eine Schwäche waren, die zusätzlich von Ignoranz und damit Dummheit zeugten, da man sich nicht mit der Kultur oder dem Wesen eines anderen befassen wollte. Er hatte gemerkt, wie überheblich er gewesen war. Wie arrogant … wäre er Edana nicht begegnet, wäre er vielleicht nie über seinen eigenen Schatten gesprungen – und hätte nie erkannt, dass es zwischen Schwarz und Weiß noch ganz viel Farbe gab. Zum Beispiel das Hellblau eines Bergsees, der sich in Edanas Augen widerzuspiegeln schien.

Ihr Lächeln, das sich nun auf ihren Zügen ausbreitete, während er sie musterte, drang bis in sein Innerstes vor und war damit gefährlicher als jedes Schwert, das sich in sein Herz hätte bohren können. Nur dass er sich liebend gern dieser Gefahr stellte, den süßen Schmerz regelrecht genoss, welchen die Sehnsucht nach ihrer Berührung auslöste.

War das Liebe? Ja. Maryo war sich sicher, dass sich Liebe genau so anfühlen musste.

Sie hatten zusammen bereits so viel durchgemacht und er bewunderte sie für ihre Stärke, ihre Entschlossenheit, ihre Zerbrechlichkeit, die sie nur ihm zeigte … und mit einem Mal überkam ihn wieder dieses Gefühl der Angst …

Nein, er durfte sie nicht verlieren. Würde sie nicht verlieren!

Ehe sie etwas einwenden konnte, packte Maryo sie an der Hüfte und drängte sie gegen das Holz der Kabinenwand, küsste sie so stürmisch, dass sie ein verblüfftes Keuchen von sich gab. Aber ihre Überraschung dauerte nur einen Lidschlag, dann schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und erwiderte den Kuss nicht minder leidenschaftlich. Es schien, als halte sie sich an ihm fest, um nicht zu fallen. All die angestaute Anspannung der letzten Stunden bündelte sich in ihnen und verdrängte die Müdigkeit, die Maryo eben noch gefühlt hatte.

»Maryo«, hauchte Edana an seinen Lippen. »Ich …«

»Zieh dich aus«, unterbrach er sie und schob seine Hände unter ihr Hemd, nachdem er dieses aus ihrer Hose gezogen hatte.

Seine Finger ertasteten ihre Brüste, streichelten sie, während er wieder seinen Mund auf ihren presste.

Er brauchte sie jetzt. Brauchte das Gefühl, dass sie bei ihm war. Hier und jetzt.

Edana schien es ebenso zu gehen, sie entledigte sich mit fliegenden Fingern ihrer Kleidung, ehe sie Maryo half, seine eigene auszuziehen, denn er trug immer noch die rotgoldene Robe, die für ihn in Karinth maßgeschneidert worden war. Als sich ihr nackter Körper gegen seine Haut drückte, wusste er, dass er sie für immer lieben würde. Ganz gleichgültig, wie seine Gefühle der Elfenprinzessin gegenüber waren.

Das hier.

Edana.

Das war echt.

Das war Leben.

Das war Liebe.

Eine, die er greifen konnte und die er verdammt noch mal verdient hatte.

»Diese Wunde«, riss Edana ihn aus seinen Gedanken. Sie strich ihm sanft über die Schulter, wo noch gut sichtbar war, dass er vor Kurzem einen Pfeil abbekommen hatte. »Dann lief also doch nicht alles so glatt, wie du mir weismachen wolltest.« Angst schwang in ihrer Stimme mit.

Er küsste sie und ergriff ihre Hand, zog sie von der Narbe weg, die er vergessen hatte, mit Magie verschwinden zu lassen. »Das war nur ein Streifschuss«, murmelte er an ihren Lippen. »Edana … ganz gleichgültig, was geschieht – ich werde zu verhindern wissen, dass irgendjemand uns trennt«, versprach er, ehe er sie auf seine Arme hob und zum Bett trug.

Edana lächelte ihn mit so viel Wärme an, dass ihm beinahe schwindelig wurde. Er küsste ihren Körper, ließ seine Zunge über die Stellen gleiten, die sie zum Seufzen brachten. Alles an ihr war es wert, verwöhnt zu werden. Sie war so wunderschön, ihr Duft so betörend … er verlor sich in ihr, verlor sich in der Leidenschaft, mit der sie sich unter seiner Zärtlichkeit wand, während er sich immer weiter nach unten küsste, zu dem Punkt, der sich bereits nach ihm verzehrte.

Zeit wurde bedeutungslos, es konnten Stunden vergangen sein oder auch nur Minuten, während denen Maryo ihr zeigte, was sie ihm bedeutete.

Geborgenheit, Zuversicht, Liebe, Hoffnung … das alles war sie für ihn – und noch so viel mehr. Ihre Stimme, während sie seinen Namen keuchte, steigerte sich zu einem Stöhnen, als er seine Liebkosungen intensivierte … schöner als jede Musik, die er je gehört hatte. Sie drückte den Rücken durch, drängte sich ihm entgegen, während sie in ihrer Leidenschaft verglühte.

Als sie schwer atmend auf dem Bett lag, schob er seinen Körper wieder über sie, und sein langes dunkles Haar fiel wie ein Schleier um ihr Gesicht, sorgte dafür, dass sie in diesem Moment abgeschirmt von der Außenwelt waren. Es gab nur ihn und Edana, die ihn mit einem glücklichen Lächeln betrachtete.

»Ich will dich spüren«, flüsterte sie, nachdem er sich zu ihr heruntergebeugt hatte, um sie erneut auf den Mund zu küssen.

Er sah ihr in die Augen, die wirkten, als würde er den Himmel an einem besonders sonnigen Tag über sich sehen. So hell, so warm …

Sie schlang die Beine um seine Hüfte, zog sein Becken noch näher zu sich. Sie sahen sich an und Maryo wusste, dass er diesen Blick niemals vergessen würde, während er sich mit ihr vereinte.

»Oh, entschuldigt!«

Der Mann, der diesen besonderen Moment zunichtemachte, klang ganz und gar nicht, als täte es ihm leid.

Maryo reagierte blitzschnell und legte sich flach auf Edana, um ihren nackten Körper zu verbergen, ehe er mit einem wütenden Knurren den Kopf zur Tür wandte, wo jetzt der ›rote Tarkar‹ grinsend im Rahmen lehnte. Allerdings war dieses Grinsen weniger breit als sonst.

»Das versteht ihr also unter ›sich ausruhen‹?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Kannst du nicht anklopfen?!« Maryos Stimme war ein einziges Grollen, während er spürte, dass Edana unter ihm ihre Hände gegen seine Schultern stemmte.

»Könnt ihr nicht abschließen?«, erwiderte Arkan seelenruhig.

Maryo ignorierte ihn und hob seinen Körper ein wenig an, um Edana nicht unter sich zu erdrücken – schließlich war die Magierin um einiges kleiner und zierlicher als er. Sie dankte es ihm mit einem raschen Lächeln, ehe sie sich ebenfalls zu Arkan wandte.

»Was willst du hier?« Ihre Stimme klang kräftiger als zuvor und kein bisschen verlegen, obwohl sie nur durch Maryos Körper vor den Blicken des Sklavenhändlers geschützt wurde. Sie verzichtete auf die förmliche Anrede – es hätte in dieser Situation auch überhaupt nicht mehr gepasst.

»Ihr solltet euch das ansehen«, meinte Arkan nun mit einem Kopfnicken nach draußen. »Ich war im Wald, um zu jagen, und da … kommt einfach mit.«

Maryo stöhnte genervt. »Sag doch einfach mal, was Sache ist, statt ständig um den heißen Brei zu reden!«

Der ›rote Tarkar‹ zuckte mit den Schultern. »Wie du wünschst. Es geht um Thesalis, sie ist – nun ja, ohnmächtig würde ich es nicht nennen …«

Am liebsten hätte Maryo ihm eine gescheuert, aber dann hätte er sich von Edana entfernen müssen, und noch mehr, als diesem Kerl eine runterzuhauen, war ihm daran gelegen, sie vor seinen Blicken zu schützen.

»Geh raus, wir kommen nach«, brummte er daher.

»Aye. Ihr solltet euch besser beeilen, sie sieht nicht gut aus.« Damit wandte sich Arkan ab und verließ die Kabine.

»Scheint wirklich wichtig zu sein, wenn er es nicht einmal drauf ankommen lässt, dir beim Anziehen zuzusehen«, murmelte Maryo, ehe er sich von Edana runterrollte und sich erhob. »Das holen wir aber nachher nach.« Er deutete auf das Bett, von dem Edana nun ebenfalls aufstand.

Sie lächelte ihn an und drückte ihm einen Kuss auf den Hals. »Versprochen. Aber wir sollten jetzt wirklich nachschauen, was unseren Sklavenhändler derart aus der Fassung bringt, dass er es sogar riskiert, deinen nackten Hintern zu sehen.«

»Ich denke, er wollte vielmehr deinen sehen, ›Rosae‹«, erwiderte Maryo und verzog den Mund.

»Woher weißt du, wie mein Mädchenname … ach, meine Eltern …« Edana seufzte leise. »Aber bitte nenn mich nicht so, ich mag diesen Namen nicht.«

»Er passt auch nicht zu dir.«

Maryo betrachtete missmutig die Karinther Robe. Nein, die würde er nicht nochmals anziehen. Er sah sich nach seinem eigenen Bündel um, das er hier in der Kabine gelagert hatte, und holte daraus Ersatzkleidung, welche ihm der ›rote Tarkar‹ geliehen hatte – schwarze Leinenhosen und ein schwarzes Hemd sowie dunkle Stiefel. Viel besser als dieses lächerliche Kostüm, das er auf dem Sortire hatte tragen müssen. Oder hieß es Soirte?

Er schüttelte den Kopf und wandte sich wieder zu Edana um, die bereits fertig angezogen war und ihn schmunzelnd beobachtete.

Er würde ihr später erzählen müssen, dass ihre Eltern höchstwahrscheinlich tot waren, da sie dem Blutritual beigewohnt hatten … jetzt war allerdings nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Er hatte es gerade erst geschafft, sie aus der Erstarrung zu holen, in die sie nach dem Auftauchen des Dämons in der Herberge gefallen war.

»Also, lass uns nachschauen gehen, was mit Thesalis los ist.«

Kapitel 3 - Roter Tarkar

 

Eine Stunde zuvor …

 

Lautlos pirschte er sich an das Reh heran, das im hohen Gras einer Lichtung friedlich rastete. Arkans Körper hatte sich mit den Schatten vereint, war kaum zu erkennen. Noch zwei Schritte, dann sprang das Tier panisch auf – aber es war schon zu spät. Das Schwarzblut hatte ihm einen Dolch ins Herz gejagt, der es augenblicklich tötete. Auch wenn das Monster in ihm gerne das Tier hätte leiden sehen, so folgte Arkan diesem Drang nicht, sondern unterdrückte ihn.

Er war ein Mensch. Kein Monster. Das versuchte er sich jedenfalls immer wieder einzureden, wenn er dem Verlangen des Schwarzblutes trotzte. Dennoch brauchte er Blut, um am Leben zu bleiben …

Er trank den noch warmen Lebenssaft und fühlte, wie er mit jeder Sekunde stärker und das Schwarzblut in ihm ruhiger wurde. Es würde sich in den nächsten Tagen zurückziehen und ihn in Frieden lassen – bis es wieder Hunger bekam.

Arkan trank so lange, bis er ganz er selbst war, dann wischte er sich das Blut mit ein paar Grashalmen von Gesicht und Händen und erhob sich, um zum Schiff zurückzukehren. Chahur und er hatten die Leiche des Heilers an den Dorfrand zu einer Holzfällerhütte geschafft, wo man sie finden würde. Der Schock wäre groß, aber der Mann hatte ein anständiges Begräbnis verdient.

Gerade als er die Lichtung verlassen hatte, drang ein leises Wimmern an seine Ohren. Wäre sein Schwarzblut-Gehör nicht viel besser als das eines Menschen gewesen, hätte er es wohl überhört. So aber blieb er stehen und lauschte.

Da war es wieder. Es klang wie ein Kind, das weinte.

Ein Kind mitten im Wald?

Stirnrunzelnd wandte sich Arkan in die Richtung und ging schnellen Schrittes auf das Wimmern zu. Wenn ein Kind aus dem Dorf sich verlaufen hatte, musste er ihm helfen.

Je näher er kam, desto mehr erinnerte das Wimmern aber nicht mehr an das eines Kindes, sondern klang nach einem verletzten Tier, und er blieb erneut stehen.

Tiere retten gehörte nicht gerade zu seinen Stärken …

Doch da drang ein erbärmliches Jaulen an sein Ohr, das so kläglich und hilflos klang, dass er nicht anders konnte, als weiterzugehen. Er schob die Äste eines Busches zur Seite – und blieb wie angewurzelt stehen, während seine Augen in die eines weißen Wolfswelpen blickten, der mitten im Jaulen innehielt und ihn seinerseits anstarrte.

Für eine Sekunde sahen sie sich an, dann sprang der Wolf auf alle viere und stellte die Nackenhaare auf, während er ein Knurren von sich gab, das sich wohl bedrohlich hätte anhören sollen.

Arkans Blick fiel hinter ihm auf einen riesigen Löwenkörper, dessen Schwanz der eines Skorpions war und dem Adlerflügel aus dem Rücken wuchsen.

»Ein Mantikor«, stieß er aus.

Allerdings war dieses Exemplar da vor ihm zum Glück tot.

Dann erblickten seine Augen eine blonde Frau, die nur ein paar Schritt weiter wie erstarrt auf dem Boden lag. Ohne den Wolf zu beachten, stürzte er zu ihr.

»Thesalis!«, rief er und schüttelte sie an der Schulter.

Sie zeigte keine Reaktion. Ihre Hände waren verkrampft, die Lippen zusammengekniffen, die Augenlider regelrecht aufeinandergepresst, als würde sie sie vor etwas verschließen wollen. Jeder ihrer Muskeln schien angespannt zu sein.

»Verdammt«, stieß Arkan hervor, der noch nie so etwas gesehen hatte. »Verdammter Mist!«

Ein Mantikor war nicht zu so etwas fähig. Diese Kreaturen besaßen zwar ein Gift, das sie ihren Opfern mit Geschossen entgegenschleuderten, aber dessen Wirkung trat augenblicklich ein und führte sofort zum Tod. Oder zu einer Ohnmacht, die dann im Tod endete. Thesalis schien nicht ohnmächtig zu sein, denn dann wären ihre Glieder erschlafft, und sie atmete noch – war also auch nicht tot.

Arkan musterte eine frische Wunde an ihrem Oberschenkel, die jedoch nur oberflächlich wirkte. Zudem war keinerlei Gift an ihr zu finden.

Der Wolfswelpe war etwas zurückgewichen, da er zwar sein Frauchen verteidigen wollte, aber sich wohl noch zu gut an das Blutbad erinnerte, das Arkan bei ihrem ersten Aufeinandertreffen veranstaltet hatte. Dennoch hörte er nicht auf zu knurren und die Zähne zu fletschen.

Arkan warf ihm einen flüchtigen Blick zu, ehe er sich wieder über Thesalis beugte. Er versuchte, ihre zur Faust verkrampften Finger zu lösen – keine Chance.

»Was ist mit dir geschehen, kleine Amazone?«, murmelte er.

Es war ihm schleierhaft, wieso sie in dieser Starre hier auf dem Waldboden lag.

»Ist das ein Zauber?«

Natürlich gab sie ihm keine Antwort.

Seufzend erhob er sich und sah auf sie herunter. »Das wird dir jetzt nicht gefallen«, meinte er an den Wolf gewandt. »Aber zu deinem eigenen Schutz: Greif mich nicht an, verstanden?«

Der Wolf fletschte erneut die Zähne, blieb aber an Ort und Stelle stehen.

Arkan bückte sich und hob Thesalis auf seine Arme. Es war umständlicher, als er gedacht hatte, denn ihr steifer Körper ließ sich kaum beugen und lag fast wie ein Brett auf seinen Unterarmen. Zudem war die Amazone schwerer, als er aufgrund ihrer zierlichen Figur vermutet hätte.

»Du könntest dich etwas kooperativer zeigen«, murmelte er in ihr Gesicht. »Ich rette hier gerade dein Leben und so.«

Doch Thesalis behielt Augen und Mund zusammengekniffen, reagierte auf nichts.

»Diese Verkrampfungen werden dir morgen einen ausgewachsenen Muskelkater bescheren«, sprach Arkan weiter, während er mit ihr durch den Wald ging. Er registrierte, dass der Wolf ihm mit etwas Abstand folgte, es jedoch nicht wagte, ihn aufzuhalten. »Die Götter führen unsere Wege immer wieder zusammen«, stellte Arkan fest. »Womöglich wollen sie, dass du aufhörst, mich zu hassen.«

An wen er die Worte richtete – Thesalis oder ihren Wolf –, war gleichgültig. Beide antworteten nicht. Beide hassten ihn weiter.

Aber das war nichts Neues für Arkan, daher schritt er durch den Wald, um die Amazone aufs Schiff zu verfrachten. Vielleicht wüssten Maryo oder Edana einen Rat, wie man sie aus dieser Starre befreien könnte.

 

 

Gegenwart …

 

»Was bei den Göttern …« Edana kniete neben der Amazone auf dem Deck des ›Seefalken‹, wo Arkan sie hingelegt hatte. »Du hast sie so gefunden?«

»Aye.« Der ›rote Tarkar‹ nickte und verschränkte die Arme, während er – wie die anderen Matrosen, die um Thesalis herumstanden – die Amazone betrachtete. »Sie lag so auf dem Waldboden neben einem toten Mantikor und ihr Schoßhündchen neben ihr. Genau wie jetzt.« Er deutete mit dem Kinn auf den weißen Wolf, der sich neben die Amazone gelegt und den Kopf auf ihre Brust gebettet hatte. Sobald sich jemand außer Edana ihm näherte, fletschte er die Zähne, ansonsten wimmerte er leise vor sich hin.

»Ein Mantikor, sagst du?«, hakte Edana nach.

»Ja. Aber er scheint nicht an dem Zustand unserer Amazone schuld zu sein. Zumindest habe ich noch nie von einem Mantikor gehört, der sein Opfer lähmen kann.«

Die Magierin nickte und strich Thesalis ein paar Strähnen aus der Stirn, was die Tätowierung, die sie normalerweise zu verbergen versuchte, entblößte.

»Was sind das eigentlich für Zeichen auf ihrer Haut?« Arkan ging in die Hocke, um es sich näher anzusehen.

»Das wird Tieren, die dem Elfengott als Opfer dargebracht werden sollen, ins Fell gebrannt«, ertönte Maryos Stimme über ihm.

Arkan hob den Blick und sah ihn ungläubig an. »Das sind also Opfermale?«

Der Elf nickte. »Aye. Sie wurde von Elfen gefangen genommen und gefoltert. Daher mag sie mich nicht sonderlich.« Er verzog den Mund zu einem halbherzigen Grinsen.

»Kann man ihr nicht verübeln«, murmelte Arkan und lenkte seinen Blick wieder auf die blonde Kriegerin. »Diese Verkrampfungen … Ich kenne keinen Zauber, der so etwas zu schaffen vermag – du etwa?« Die Worte waren an die Magierin gerichtet, die stirnrunzelnd die Amazone betrachtete. Er verzichtete auf die förmliche Anrede – das tat er bei Maryo auch und nachdem er die beiden zusammen im Bett überrascht hatte, schien es ihm angebrachter, auch Edana mit ›du‹ anzusprechen.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe so etwas noch nie gesehen, auch nicht in Altra.« Edana versuchte, die Fäuste der Amazone zu lösen, scheiterte jedoch ebenso wie Arkan vorhin.

»Das kann nicht gut sein für ihren Körper«, bemerkte Maryo.

»Aye. Auf keinen Fall.« Arkan nickte bestätigend. »Wir müssen versuchen, sie aus dieser Starre zu befreien … nur wie?«

»Vielleicht ein warmes Bad?«, schlug Edana schulterzuckend vor.

»Schaden kann es auf jeden Fall nicht.« Arkan runzelte die Stirn. »Aber vielleicht sollten wir die Ursache für diese Erstarrung erst herausfinden?«

Edana seufzte und schien eine Weile zu überlegen. Dann schlug sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Die Verbindung!«

Arkan sah sie fragend an. »Was für eine Verbindung?«

»Du meinst …«, murmelte Maryo.

»Aye! Natürlich!« Edana hob den Blick und sah den Elfen an.

»Jetzt seid ihr es aber, die um den heißen Brei redet«, brummte Arkan missmutig. »Würde mir mal einer erklären, was ihr genau meint?«

»Amyéna und Thesalis scheint das Schicksal miteinander verbunden zu haben – oder die Götter … wie auch immer«, antwortete Edana. »Thesalis hat Visionen von Amyéna und umgekehrt. Es kann sein, dass in dem Moment, als der Dämon Amyéna entführt hat, auch Thesalis diese Entführung mitbekam. Als Vision oder Ähnliches. Und diese Erfahrung muss sie in eine regelrechte Schockstarre verfrachtet haben.«

Arkan nickte langsam. »Aye, das würde Sinn ergeben«, meinte er. »Aber wie bringen wir sie da wieder raus?«

Jetzt zuckte Edana mit den Schultern. »Ich habe leider keine Ahnung …«

»Ich kenne jemanden, der uns helfen könnte«, meldete sich in dem Moment Maryo zu Wort.

Arkan hob erneut den Blick und sah ihn an. »Ach und wen?«

»Diesen Kerl, der den Dämon hätte beschwören müssen«, antwortete der Elf mit finsterem Blick. »Er müsste sich mit Dämonenmagie auskennen, nicht wahr? Die andere Person, die mir in den Sinn käme, wäre deine Schwester, aber ich bezweifle, dass sie uns helfen würde – sollte sie nicht vom Dämon getötet worden sein.«

Arkan spürte einen Schauer bei dem Gedanken, was Cassandría womöglich widerfahren war. Er mochte sie nicht, aber sie war immer noch seine Schwester und sosehr er auch ihr Tun verurteilte, so hoffte ein Teil von ihm doch, dass sie dem Dämon hatte entkommen können.

»Wie kommst du darauf, dass ausgerechnet Darien uns helfen wird?«, fragte er nun mit etwas zu rauer Stimme. Er kannte den Magier aus früheren Zeiten, als er selbst noch in Karinth gelebt hatte. Allerdings nur flüchtig, da Darien nicht zu den obersten Kreisen des Hochadels gezählt hatte damals – eine Tatsache, die sich geändert zu haben schien, sonst hätte Cassandría ihn nicht an ihrer Seite geduldet.

»Ah, richtig, so hat deine Schwester den Kerl genannt.« Maryo schnaubte. »Er hat sich öffentlich gegen sie gestellt. Ich glaube, das qualifiziert ihn dafür, dass er uns eher hilft als Cassandría.«

Arkan erhob sich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Die Dornenherzen waren anwesend. Wenn Darien das Blutritual überlebt hat, werden sie ihn wahrscheinlich mitgenommen haben – ein mächtiger Magier wie er, der sich öffentlich gegen meine Schwester stellt, ist für sie ein gefundenes Fressen, da er ihnen helfen könnte, das Ziel ihrer Vereinigung zu erreichen und die Magier in Karinth zu schwächen. Und er wird mit ihnen mitgegangen sein, denn die Alternative ist, von meiner Schwester getötet zu werden. Niemand fällt ihr in den Rücken, ohne mit dem Leben dafür zu zahlen.«

»Dann sollten wir zu den Dornenherzen gehen.« Maryo nickte.

»Und wenn dieser Darien nicht dort ist?«, fragte Edana zweifelnd. »Thesalis kann nicht ewig in dieser Starre bleiben – das hält ihr Körper nicht aus.«

»Dann gibt es noch jemanden, den wir fragen könnten, und die Dornenherzen werden uns dabei helfen.« Arkan atmete leise durch und seine Augen glitten zu Chahur, die in der Nähe stand und seinen Blick stumm erwiderte. »Aber ich würde lieber nochmals in die Höhle des Löwen gehen als zur Alternative.«

Dass Maryo ihn mit schmalen Augen betrachtete, entging ihm nicht. Aber er würde ihm nicht alles verraten, solange es nicht notwendig war.

Kapitel 4 - Edana

 

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Thesalis und ihr Wolf sicher in einer Kabine untergebracht worden waren, kehrte Edana ans Deck zurück.

Es war bereits Nachmittag und sie wollten schnellstmöglich ablegen, um nach Karinth zu reisen – oder zumindest in die Nähe, um von dort aus zu Fuß in die Stadt zu gelangen. Der Seeweg war zu gefährlich, denn sie wussten nicht, was sie in der Hauptstadt erwartete und ob jemand das Verschwinden des ›Seefalken‹ aus dem Hafen mit Amyénas Rettung in Verbindung bringen würde.

Maryo war in ihre Kabine zurückgekehrt, um dort zu meditieren und seinen Schlaf nachzuholen, während Arkan half, das Schiff zum Auslaufen bereit zu machen. Er war ein hervorragender Seefahrer, der auch ohne ihr Zutun sah, wo Hand angelegt werden musste. Er und Chahur hielten die Mannschaft auf Trab, sodass Edana sich zu Sabal auf die Kommandobrücke zurückziehen und mit ihm die Route besprechen konnte.

»Mir gefällt nicht, was du alles für diesen Elfen tust«, murmelte ihr Quartiermeister, nachdem Edana ihn mit knappen Worten über ihre Pläne informiert hatte.

»Ich weiß, dass du dir Sorgen um mich machst.« Sie sah ihn ernst an. »Aber ich treffe meine eigenen Entscheidungen und gehe den Weg, den die Götter für mich vorgesehen haben.«

»Die Götter …« Sabal schnaubte. »Die Götter kümmern sich herzlich wenig um uns Menschen oder das, was wir wollen. In den vergangenen Wochen, in denen du nicht an Bord warst, hatte ich alle Hände voll zu tun, die Mannschaft von einer Meuterei abzuhalten. Das hier« – er machte eine allumfassende Geste mit dem Arm – »der ›Seefalke‹, das ist dein Leben. Darum solltest du dich kümmern. Darum, dass dein Platz hier auf der Kommandobrücke dir nicht streitig gemacht wird.« Er sah sie eindringlich an, dann wandte er den Blick ab und starrte in die Wanten hoch, ehe er sie erneut musterte. »Aber abgesehen davon, dass ich finde, dass du die falschen Prioritäten setzt, ist mir nicht wohl dabei, dass du vorhast, in die Stadt zurückzukehren – das ist fast noch gefährlicher als eine Meuterei. Was, wenn dich jemand wiedererkennt? Es gab einen Grund, wieso du Karinth damals verlassen hast, schon vergessen?«

»Nein, das habe ich nicht.« Edana schüttelte den Kopf. »Aber die Situation hat sich geändert. Wir müssen Thesalis aus dieser Starre befreien und daher bleibt uns keine andere Wahl, als in die Stadt zu den Dornenherzen zu gehen. Und ich werde dieses Mal mit dabei sein – noch einmal lasse ich Maryo nicht alleine.«

Sabal verengte seine dunklen Augen und musterte sie. »Wie gesagt, mir gefällt nicht, was du alles für ihn tust.«

»Das ist mir durchaus bewusst. Und auch, dass ich nur hier stehen kann, weil du mir den Rücken stärkst. Ich hoffe, das bleibt noch eine Weile so, selbst wenn ich Dinge tue, die du nicht nachvollziehen kannst.« Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, wandte sie sich ab und ließ den Blick über ihr Schiff gleiten, das zum Aufbruch bereit war. »Achtern frei?«, rief sie und sofort wurde ihre Frage von einem Matrosen bejaht. »Leinen los, setzt die Fock!« Ihr Befehl hallte über Deck.

Bald darauf fuhr der Wind in das vorderste Segel und der ›Seefalke‹ begann, vom Fischerdorf weg zu fahren.

Sabal neben ihr hatte die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete mit zusammengepressten Lippen, wie die Mannschaft mit geübten Handgriffen Edanas Anweisungen folgte. Auch wenn er sich Sorgen machte, so wusste sie, dass er ihr nicht widersprechen würde. Sie kannten sich schon so lange, dass ihm klar war, dass es nichts brachte, sie von ihrem Vorhaben abbringen zu wollen. Und sie war froh darum, dass er ihr den Rücken deckte, wenn es notwendig war, denn ihr war bewusst, dass ihre Mannschaft sie nur seinetwegen weiterhin als Kapitänin akzeptierte.

 

Als das Schiff ein gutes Stück auf dem Meer war, verließ Edana die Kommandobrücke und ging zurück in ihre Kabine, wo sie Maryo mit geschlossenen Augen auf ihrem Bett liegend vorfand. Anscheinend war er während des Meditierens dann doch eingeschlafen, was ihr ein Lächeln entlockte.

Behutsam legte sie sich neben ihn und spürte, wie er sich zu ihr drehte, einen Arm um sie schlang und sie näher zu sich zog. Also schlief er doch nicht … oder sein Elfengehör hatte ihr Eintreten bemerkt.

Sie schmiegte sich mit dem Rücken an seine Brust und lauschte seinem Atem, der sanft über sie hinwegzog.

Ja, sie hatte Sabal vorhin angelogen. Es fiel ihr keineswegs leicht, nach so vielen Jahren in die Hauptstadt zurückzukehren, denn sie hatte Angst. Angst davor, was sie in Karinth erwartete. Angst vor dem Plan, in die Totenwelt zu gehen.

Aber mit Maryo an ihrer Seite wurde diese Angst zur Zuversicht. Es würde ihnen gelingen. Es musste einfach.

 

Anscheinend war sie eingeschlafen, denn sie schreckte hoch, als es an der Tür klopfte. Maryo, der immer noch hinter ihr lag und seinen Arm um sie gelegt hatte, strich ihr über die Hüfte und richtete sich dann etwas auf.

»Was gibt’s?«, rief er und klang weder verschlafen noch verärgert.

»Kann ich reinkommen, oder muss ich Gefahr laufen, wieder unfreiwillig Zeuge davon zu werden, dass Elfen wirklich nur am Kopf Haare besitzen?«, erklang Arkans Stimme von draußen.

Edana schmunzelte und erhob sich vom Bett, um ihm zu öffnen. »Keine Gefahr«, sagte sie, als sie dem rothaarigen Kapitän gegenüberstand.

Er legte den Kopf schief. »Zu schade, dass du nicht oben lagst.« Er grinste, dann wurde er ernst. »Es ist Abend, wir wollten uns am Abend treffen, nicht wahr?«

Edana blickte an ihm vorbei und bemerkte, dass die Sonne tatsächlich gerade dabei war, unterzugehen. Sie hatte länger geschlafen, als sie geglaubt hatte. »Ja.« Sie nickte. »Tut mir leid, eigentlich wollte ich mich nur kurz hinlegen und …«

»Ja, Elfen und ihre Ausdauer im Bett.« Arkan lachte und zwinkerte ihr zu. »Dir sei verziehen, schöne Kapitänin.«

Sie überlegte, ob sie seine Vermutung, dass Maryo und sie nicht nur geschlafen hatten, richtigstellen sollte, dann ließ sie es und trat stattdessen zur Seite. »Komm rein, ich lasse uns etwas zu essen und zu trinken bringen. Und dann erzählst du, was du uns die ganze Zeit verheimlicht hast.«