Darf ich das? - Vivian Mary Pudelko - E-Book

Darf ich das? E-Book

Vivian Mary Pudelko

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Beschreibung

"Aufmerksam für die eigenen Bedürfnisse zu bleiben, ist ein lebenslanger Prozess. Was wir vor allem brauchen, ist: Zeit. Für das, was wachsen will." Darf ich während eines Meetings kurz den Raum verlassen, um einen Moment durchzuatmen? Darf ich mein Kind etwas später aus dem Kindergarten abholen, um noch in Ruhe in einem Café zu sitzen? Was darf ich eigentlich? Und wenn ich es nicht weiß – wer sagt es mir dann? Während Babys durch Schreien klarmachen, dass etwas nicht stimmt, verlernen wir häufig im Laufe unseres Lebens die Fähigkeit, Unwohlsein oder Bedürfnisse klar zu äußern. Stattdessen hetzen wir im Alltag von einem To-do zum nächsten, im sicheren Glauben, es allen recht machen zu müssen. Auf uns selbst vergessen wir dabei fast immer. Vivian Mary Pudelko ermutigt mit einer Extraportion positivem Denken und Optimismus dazu, unerschrocken zu erkunden, was wir wirklich brauchen. Ob das nun eine Mütze voll Schlaf, eine Runde Tanzen oder einfach der Biss in eine saftige Semmel ist, lassen Sie es zu! Denn die Erlaubnis, uns etwas Gutes zu tun, ist der Schlüssel zu einem liebevollen, fürsorglichen und umsichtigen Umgang mit uns selbst.

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VIVIAN MARY PUDELKO

Darf ich das?

WIE SELBSTFÜRSORGE IM ALLTAG GELINGT

Mit Illustrationen von S.R. Ayers

Inhalt

Einleitung

Selbstfürsorge – was ist das?

Mein Körper – mein Anker

Achtsamkeit

Selbstmitgefühl

Ressourcen

Resilienz

Hindernisse in der Selbstfürsorge und der Wert sich von anderen umsorgen zu lassen

Ausblick

Danke

Literaturverzeichnis

Weiterführende Literatur

„Schokolade löst keine Probleme,aber das tut ein Apfel auch nicht.“

(Unbekannt)

Einleitung

Schön, dass du mein Buch in deinen Händen hältst und wir uns gemeinsam auf diese Reise begeben. Dieses Buch möge Selbstfürsorge zum Anfassen für dich sein, für ein Mehr an analogen und für ein Weniger an digitalen Zeiten. Es ist mir ein Anliegen, mit diesem Buch einen Begleiter für deinen Alltag zu schaffen, mögen dich meine Worte also aufmuntern, trösten, beruhigen oder inspirieren. Vielleicht helfen sie dir auch, mehr im Alltag zu dir zu finden und einen Moment innezuhalten.

Viele Jahre lang habe ich als Musiktherapeutin in ganz unterschiedlichen Bereichen gearbeitet: in Einrichtungen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen, im Senioren- und Pflegeheim, mit kleinen Kindern und in der Psychiatrie. Gleichzeitig praktizierte ich aber auch immer als Yogalehrerin, unterrichtete Yoga und Meditation in Kursen oder Workshops.

Die längste Zeit am Stück verbrachte ich als Musiktherapeutin auf der Akutstation einer Psychiatrie. Es war eine herausfordernde und zugleich sehr berührende und schöne Arbeit. Dort kamen ausschließlich Menschen in Krisensituationen hin, daher lag immer ein gewisses Maß an Anspannung in der Luft. In diesem überaus intensiven Berufsalltag sicherte meine persönliche Yogapraxis, sowohl zu Hause als auch am Arbeitsplatz, damals mein Überleben, wie es die Musiktherapeutin Mary Priestley 1983 so gut formulierte. Yoga half mir, die Balance zwischen großer Anspannung und Entspannung zu suchen, zu finden und auch zu halten. So zählt meine Arbeit auf der psychiatrischen Akutstation heute mit zu den schönsten Jahren, die ich als Musiktherapeutin in einem freudvollen, inspirierenden Team gearbeitet habe. Rückblickend war Yoga also meine Selbstfürsorgestrategie.

Im Rahmen einer Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste (Pudelko 2014) befasste ich mich Jahre später intensiv mit dem Thema der Selbstfürsorge. Ich fragte mich, was andere in der Psychiatrie arbeitende Menschen für ihre Selbstfürsorge im Alltag wohl täten. Was sie sowohl in ihrer Freizeit als auch während der Arbeitszeit machten? Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Thema der Selbstfürsorge ließ meine inneren Rollen der Musiktherapeutin und der Yogalehrerin zusammenwachsen – und die Selbstfürsorge wurde in all ihrer Vielfalt schließlich zu meinem unternehmerischen Schwerpunkt.

Inzwischen begeistert mich in meinen Seminaren mit Student*innen, Mitarbeiter*innen aus Kliniken und anderen Institutionen, wenn ich erfahre und erlebe, was den Einzelnen im Trubel des Alltags dabei hilft, sich zu entspannen, Kraft zu schöpfen und zu sich zu kommen. Eine überaus individuelle Angelegenheit!

Auch nach vielen Jahren der intensiven Auseinandersetzung mit der Selbstfürsorge spaziere ich nicht durchgehend glücklich, entspannt und geerdet durch mein Leben. Ich realisiere vielmehr von Tag zu Tag, dass die Fähigkeit, auf sich selbst zu schauen und den eigenen Bedürfnissen gegenüber aufmerksam zu bleiben, eines lebenslangen Prozesses bedarf. Aber keine Sorge, denn es ist ein wunderbarer Prozess, der mithilfe von theoretischem Wissen, kleinen Übungen, Impulsen und Tools im Alltag unterstützt werden kann – die ich dir hier in diesem Buch vorstellen werde.

Am Herzen liegt mir, dass du deinen Stress reduzieren kannst, und dies ohne Ausrufezeichen, also ohne Druck oder Spannung. Das Ganze soll vielmehr so ablaufen, wie das Leben nun mal gebaut ist: mit viel Zeit. Denn Selbstfürsorge ist in erster Linie eine längere Entwicklung, wie gesagt, sogar ein lebenslanger Prozess. Gestehe dir also diese Zeit zu, die Zeit für einen inneren Wandel, für das, was neu wachsen mag.

Und das Schöne daran? Du kannst genau hier anfangen. Hier, jetzt und mittendrin. Dort, wo du jetzt stehst. In deinem Umfeld und mit den Menschen, die dich umgeben. Beginne, dich wieder mehr wahrzunehmen mit all deinen Bedürfnissen und Wünschen, mit deinen Vorstellungen und Plänen. Gib’ ihnen und dir (mehr) Raum im Alltag!

Falls du allerdings das Problem hast, dass du dich nur noch schwer spüren kannst und das Gefühl hast, dass das Leben mit seinen Forderungen und Erwartungen endlos über dich hereinbricht, dann braucht es eine Auszeit. Sei es eine Reise, ein Kurzurlaub, ein begleiteter Rückzug. Frische Luft, räumlicher Abstand zum Alltag, eine andere Umgebung. Einfach Zeit für dich. Manchmal braucht es darüber hinaus auch professionelle Hilfe. Bitte wende dich dann an eine/n kompetente/n Therapeut*in.

Jedes Kapitel beginnt mit einer ausladenden Einführung in das jeweilige Thema. Wichtig war mir, diese wissenschaftlich begründeten Inhalte in lockere und leicht verständliche Worte zu fassen. Die vielen, kleinen Erzählungen aus meinem Alltag, die sich in jedem Kapitel an die Einführung anschließen, sind im Laufe der letzten sieben Jahre entstanden, in denen ich mich öffentlich schreibend mit dem Thema der Selbstfürsorge beschäftigt habe.

In dieser Zeit ist viel passiert. Daher erzähle ich aus unterschiedlichen Perspektiven von der Selbstfürsorge im Alltag: als Mutter zweier Kinder, als Unternehmensgründerin, dann als Mutter dreier Kinder und als Selbstständige. Schließlich als Mensch in einer Krise, einem daraus folgenden jahrelangen Umbruch und einem gefühlt kompletten Neustart ins Leben.

Im gesamten Buch findest du viele umsetzbare Impulse, denn das Wesentliche ist: Du darfst deine eigene Erfahrung machen und überprüfen, ob und was von dem Geschriebenen für dein gegenwärtiges Leben relevant oder wahr ist. Du kannst also direkt in das Buch auf den dafür zur Verfügung gestellten Seiten hineinschreiben oder dir separat Notizen machen. Am meisten wirst du von den Gedanken hier profitieren, wenn du immer wieder innehältst und deine Impulse für dich zu Papier bringst.

Am Ende jedes Kapitels habe ich konkrete Tipps aufgeschrieben, aber diese sind in erster Linie eben nur das: Tipps. Sachen, Ideen, Übungen, die mir persönlich guttun und gut getan haben. Du wirst diese auf deine Art und Weise erleben. Probiere sie aus, sortiere dann aus, was sich nicht gut anfühlt, und behalte das, was für dich stimmig ist. Das kannst du dann in deinen Alltag integrieren. Wenn es passt, wird es dich mit einem Gefühl der Freude und Leichtigkeit erfüllen.

Lass deine Selbstfürsorge wachsen. Lass dich wachsen. Im Hier und Jetzt. Wir dürfen wieder lernen, uns Zeit zu geben, zu nehmen, Zeit für das Schöne im Leben einzufordern. Vergiss dabei nicht: Veränderungen brauchen Zeit. Sie brauchen Geduld und ganz viel Wärme. Und Liebe. Vor allem Liebe für dich selbst.

„Das Leben ist eben nun mal nicht immer gut, es ist polar organisiert. Es macht einen unglücklich, andauernd zu versuchen, das Wohlgefühl zu maximieren. Denn daran werden wir immer scheitern. Wir bewegen uns zwischen Gegensätzen: Erfolg und Misserfolg, Lust und Schmerz, Beschleunigung und Entschleunigung, Beharrung und Veränderung, Zufriedenheit und Unzufriedenheit. Es gibt kein Leben, das nur auf der einen Seite angesiedelt ist. Zweck einer Lebenskunst kann nur sein, dafür zu sorgen, dass wir auch mit den negativ empfundenen Seiten gut zurechtkommen.“

Wilhelm Schmid (2018, S. 97)

Selbstfürsorge – was ist das?

„Eine super Sache, die du da machst mit der Selbstvorsorge. Ähm … Selbstversorger. Oder wie nennst du das nochmal? Selbst… führung?“ – Ich nenne das Selbstfürsorge!

Immer wieder ist es mir eine große Freude, welche Bezeichnungen meine Mitmenschen, denen ich vor inzwischen acht Jahren von meiner Forschungsarbeit über Selbstfürsorge und meinem Vorhaben, mich mit diesen inspirierenden Inhalten selbstständig zu machen, erzählt habe, für diesen Bereich gefunden haben. Selbst-für-sorge? Das war damals wirklich noch ein Fremdwort, was es für viele aber heute nicht mehr ist. Zudem sind Selbstversorger, Selbstvorsorge und auch die Selbstführung letztendlich auch Aspekte der Selbstfürsorge.

Selbstfürsorge – ein Wort für einen ganz natürlichen Prozess, für eine uns vielleicht angeborene Fähigkeit? So zu leben und so zu handeln, wie es unserem Überleben, unserem Wohlergehen, unserem inneren Streben entspricht. Ja, so wie damals, als wir das Licht der Welt erblickten: Als Babys schreien wir, wenn uns zu kalt oder zu warm ist. Wir melden uns, wenn wir Hunger oder Durst haben. Ja, und wir senden deutliche Signale, wenn wir körperliche Nähe brauchen. Laut und anhaltend, bis wir (hoffentlich) gehört und wahrgenommen werden. Zu Beginn des Lebens ist es unser Überlebenstrieb, aber wir verlernen im Laufe des Lebens, unsere Bedürfnisse klar zu äußern. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe: Manchmal glauben wir, unser Gegenüber könnte uns unsere Bedürfnisse von den Augen ablesen. Oder wir sind vielleicht oft auf Ablehnung gestoßen, wenn wir unsere Wünsche geäußert haben. Teilweise wissen wir eigentlich nicht, was wir wollen und brauchen. Die Gründe können also ganz vielfältiger Natur sein.

Selbstfürsorge wird von Jahr zu Jahr populärer. Das Wort klingt zwar immer noch etwas befremdlich, scheint aber etwas Gutes zu verheißen. Häufig taucht es im Zusammenhang mit dem Begriff Wellness auf und steht so zunächst einmal mit körperlichem Wohlbefinden in Verbindung. Bilder von einer Therme, Sauna, Massage drängen sich dabei in den Vordergrund. Und ja, ein Thermenbesuch oder eine Massage als kleine Auszeit vom Alltag kann ein sehr selbstfürsorglicher Akt sein – muss er aber nicht. Es sich auf der äußerlichen, körperlichen Ebene gut gehen zu lassen, ist bereits ein Teil der Selbstfürsorge, doch langfristig vermag sie, viel tiefer in unsere Persönlichkeitsschichten zu gehen.

Betrachten wir also zunächst den Begriff und dessen Hintergrund. Hier kommt meine absolute Lieblingsdefinition von Selbstfürsorge ins Spiel, die bereits vor über 20 Jahren(!) vom Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker Joachim Küchenhoff in seinem Kapitel „Die Fähigkeit zur Selbstfürsorge – die seelischen Voraussetzungen“ formuliert wurde:

„[…] die Fähigkeit mit sich gut umzugehen, zu sich selbst gut zu sein, sich zu schützen und nach sich selbst zu schauen, die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen, Belastungen richtig einzuschätzen, sich nicht zu überfordern oder sensibel auf Überforderungen zu bleiben.“ (1999, S. 151)

Mir gefällt, dass Küchenhoff die Selbstfürsorge als eine Fähigkeit bezeichnet. Das heißt, wir haben diese möglicherweise bereits in unserem Alltag oder in uns angelegt, wir können sie weiter ausbauen oder – für mich der fast wichtigste Aspekt: Wir können sie erlernen. Selbstfürsorge ist also eine Fähigkeit, die wir besitzen, entwickeln oder immer weiter verfeinern können.

In meinen Seminaren oder Coachings betone ich gern auch den letzten Teil dieser Definition: „sensibel auf Überforderungen zu bleiben“. Überforderungen sind an sich nichts Schlechtes. An unsere Grenzen zu kommen und phasenweise auch über unsere Grenzen hinauszugehen, ist Teil unseres Daseins als Menschen. Uns auszuprobieren, neue Erfahrungen zu machen, etwas zu riskieren – all das gehört zum Leben dazu. Gefühle der Überforderung sind somit völlig natürlich. Dennoch dürfen wir eine Sensibilität für diese Momente der persönlichen Überforderung entwickeln. Unser Alltag ist oftmals angefüllt mit Anforderungen und Erwartungen, die an uns gestellt werden. Genau hier ist demnach ein guter Beginn für den Prozess der Selbstfürsorge: Wir dürfen zuerst einmal aufmerksam dafür werden, wo und wann wir uns im Alltag zu viel anstrengen, uns selbst zu viel abverlangen.

Im Rahmen meiner Forschungsarbeit habe ich damals drei Wesensmerkmale der Selbstfürsorge herausgearbeitet, die sich bis heute auch in meiner praktischen Arbeit stets bewahrheiten. Ein Stück Theorie kann hilfreich sein, zu wissen, „Ach, das betrifft nicht nur mich allein.“ Zu erfahren, was bereits in der Sache der Selbstfürsorge liegt, kann uns Mühen und Anstrengungen ersparen. Ja, Theorie kann entlasten, daher mag ich von diesen drei Wesensmerkmalen nun erzählen.

Die drei Wesensmerkmale der Selbstfürsorge

Die Selbstfürsorge ist individuell und sie zeigt sich in ganz unterschiedlichen Formen: Was dem einen Menschen gut tut, kann für den anderen vollkommen unpassend sein. Es geht also darum, wahrzunehmen, was einem selbst guttut und Kraft spendet. Ist es vielleicht das erfrischende Bad im kühlen Wasser? Oder ein Waldspaziergang? Die bewusst gewählte Zeit für einen Kaffee oder Tee? Das Zusammensein mit Freundinnen oder Freunden? Die Zeit für sich, für den Rückzug? Vielleicht auch ein spontaner Tanz zum momentanen Lieblingssong oder doch eher das abendliche Lesen im Bett?

Ich möchte dich einladen, individuelle Möglichkeiten zu erforschen, um wieder zu dir selbst zu finden. Orte, Aktivitäten, Handlungen zu entdecken, die auf körperlicher, seelischer und/oder geistiger Ebene nährend wirken. Wenn wir wissen, was uns Halt und Kraft gibt, hilft uns dies auch in herausfordernden Zeiten ein wenig, denn wir können dann in schwierigen Momenten auf Bewährtes und Vertrautes zurückgreifen.

Die Inhalte der selbstfürsorglichen Tätigkeiten können sich abhängig von der Lebensphase, dem Alter, unseren Möglichkeiten und sogar je nach Jahreszeit ändern. Etwas, was mir diese Woche oder diesen Monat guttut, mich inspiriert, mich nährt, kann zu einem späteren Zeitpunkt einfach nicht mehr passend sein. Dies bedeutet, stets aufs Neue zu überprüfen, was dir guttut, und was aber nicht.

Das bringt mich zum zweiten Wesensmerkmal der Selbstfürsorge: Sie ist nichts, womit wir uns eine Zeit lang beschäftigen, um es dann als abgeschlossenes Projekt zu betrachten. Hier mal einen Vortrag besucht, dort mal an einem Wochenendseminar teilgenommen oder ein gutes Buch gelesen – und jetzt wissen wir, wie es geht. Nein, die Selbstfürsorge begleitet uns ein Leben lang. Sie ist ein Aspekt im Leben, der Aufmerksamkeit und Zeit braucht.

Es gibt die großen Zeiten der Selbstfürsorge: längere Pausen und Aktivitäten, die den eigenen Bedürfnissen entsprechen. Und es gibt die kleinen Zeiten, die Momente mitten im Alltag: beim ganz bewussten Spüren und Atmen in der U-Bahn, in einer Warteschlange an der Kasse, bei einer Tasse Kaffee oder Tee, in einem netten Zwiegespräch mit einer Kollegin, im geschlossenen Raum der Toilette und so weiter. Das sind die kleinen Aktivitäten, die dir wichtig sind, die dir Freude und Kraft schenken. Momente, die Ruhe und Entspannung in dein Leben bringen.

Es braucht Zeiten im Alltag, die bewusst für die Selbstfürsorge reserviert sind.

Manchmal müssen wir mit aller Kraft an diesen, uns selbst versprochenen Aktivitäten und Handlungen festhalten, entgegen allem äußeren Druck und den Erwartungen unserer Mitmenschen. Gleichzeitig sollte sich aber auch keine Routine in diese Handlungen einschleichen: Selbstfürsorge als weiterer abzuhakender Punkt im Alltagsplan? Bitte nicht, denn in manchen Momenten ist es viel selbstfürsorglicher, geplante Selbstfürsorge-Zeiten zu streichen, zu verschieben oder bewusst durch etwas anderes zu ersetzen. Möglicherweise geht es darum, im Sinne der Selbstfürsorge bestimmte Aufgaben zu erledigen, weiter zu arbeiten, an etwas dranzubleiben.

Selbstfürsorge bedeutet also einen lebenslangen Prozess: Dementsprechend viel Zeit dürfen wir uns zugestehen, um eine Haltung von mehr Geduld, Nachsicht und Verständnis für uns selbst zu entwickeln. Viel Zeit, um uns immer mehr eigene Räume zu schaffen und zu erobern, um immer mehr die Aspekte im Alltag zu leben, die uns am Herzen liegen.

Die Schweizer Psychotherapeutin Eva Kaul bekräftigt in ihrem Artikel „Selbstfürsorge – von der Philosophie zur Praxis“: Selbstfürsorge sei

„kein Ziel […], das wir irgendwann erreicht haben, sondern ein Wert, der uns eine Richtung vorgibt, Tag für Tag. Immer wieder können wir uns fragen: Wie kann ich unter den gegebenen Umständen mit all den äußeren und inneren Hemmnissen mein Leben diesem Wert entsprechend gestalten?“ (2012, S. 5)

Es geht also nicht darum, irgendwohin zu gelangen, irgendwann anzukommen, sondern im Hier und Jetzt anzusetzen. Täglich. Das klingt anstrengend? Muss es nicht, kann es aber zwischendurch sein. Denn wir erobern uns neue Räume und Möglichkeiten. Das braucht Kraft, die allerdings auf ein Vielfaches wieder zu uns zurückkommt. Versprochen!

Das dritte und letzte Wesensmerkmal beinhaltet die innere Legitimierung oder einfacher ausgedrückt: die innere Erlaubnis. Darf ich einen kurzen Spaziergang machen, bevor ich meiner Arbeit am Schreibtisch nachgehe? Darf ich während einer wichtigen Besprechung aufstehen und auf die Toilette gehen, um dort in Ruhe einen Moment durchzuatmen? Darf ich mich mittags für ein kleines Schläfchen hinlegen? Darf ich genussvoll ein großes Stück Schokoladentorte essen? Darf ich mein Kind eine Stunde später als normalerweise aus dem Kindergarten abholen, um noch in Ruhe in einem Café zu sitzen? Darf ich die Verabredung mit einem Freund kurzfristig absagen, weil mir heute gar nicht danach ist? Darf ich mein Handy für mehrere Stunden oder gar einen ganzen Tag ausmachen? Darf ich das? Was darf ich eigentlich? Und wenn ich es nicht weiß – wer sagt es mir dann?

All diese Fragen sind Ausdruck der inneren Legitimierung, die sich in der einfachen, aber häufig so tiefgehenden Frage äußert: Darf ich das? Wir sind erwachsene Menschen. Wir dürfen über die Erfüllung unserer Bedürfnisse und Wünsche selbst entscheiden. Wie schön! Aber das ist oft gar nicht so einfach. Denn diese innere Legitimierung kann uns dabei immer wieder in die Quere kommen, wenn sich die eigenen Bedürfnisse und Wünsche melden. Wie eine von innen kommende Stimme zensiert sie (meist unbewusst) unsere Wünsche bereits im Ansatz. Oder sie schiebt diese einfach zur Seite, wenn sie nicht in unser sonstiges Selbst-, Tages- oder Lebenskonzept passen.

Die innere Legitimierung ist ein weiterer wichtiger Teil der Selbstfürsorge. Die frühen Beziehungserfahrungen beeinflussen den Umgang mit sich selbst und sind maßgeblich an der Ausbildung dieser inneren Stimme beteiligt. Auch unsere gegenwärtigen Beziehungen, zu Freund*innen, Partner*innen, Arbeitskolleg*innen, können uns Möglichkeiten für Selbstfürsorge schenken – oder verwehren.

Die Musiktherapeutin Stefanie Hoffmann beschreibt in ihrer wissenschaftlichen Diplomarbeit Selbstfürsorge und ihre Bedeutung für die musiktherapeutische Haltung (2010), wie schwer und manchmal unmöglich es die frühkindlichen verinnerlichten Werte und Verhaltensnormen machen, sich den eigenen Bedürfnissen und Wünschen zuzuwenden. Diese individuellen und sozialen Prägungen, die uns in und durch unser Leben begleiten, scheinen wesentlich für den Zugang zur Selbstfürsorge, zu sich selbst umsorgenden Handlungen, zu sein. Das kann uns traurig machen oder auch wütend, vielleicht sind wir davon auch irritiert oder verzweifelt. Daher möchte ich hier wieder einmal daran erinnern, dass wir unsere Fähigkeit zur Selbstfürsorge üben und trainieren können, und das, wie wir schon wissen: ein Leben lang! Wie wir aufgewachsen sind und was wir bisher in unseren Leben erlebt haben, ist ein wichtiger Teil, doch genauso haben wir jederzeit die Möglichkeit, neue und andere Verhaltensweisen auszuprobieren und zu erlernen.

Das bedeutet: Es wird zentral, sich selbst unablässig die innere Erlaubnis auszusprechen, für sich sorgen zu dürfen, sich selbst wichtig zu nehmen und den eigenen Bedürfnissen genügend Raum im Alltag zu geben. Gerade dann, wenn das Umfeld so gar nicht mit unseren Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen übereinstimmt. Die Kernfrage „Darf ich das?“ erfordert somit lebenslangen persönlichen Einsatz, und wir dürfen sie stets mit einem kraftvollen, bestärkenden, manchmal auch warmen, beruhigenden Ja beantworten.

Es ist eine Herausforderung, auch dann für uns zu sorgen, wenn die Mitmenschen unsere Handlungen und Impulse nicht teilen, abwerten oder sogar ablehnen. Dir unter diesen erschwerten Bedingungen dennoch zuzugestehen, für dich sorgen zu dürfen und deine eigenen Bedürfnisse zu erfüllen, kann dann aber auch sehr glücklich machen.

Küchenhoff spricht in Bezug auf die innere Legitimierung von einem „Ringen“ um diese Haltung, die gebunden sei an die „Fähigkeit zur Abgrenzung, zur Behauptung, aber auch (an) die Möglichkeit, andere Menschen mit ihren eigenen Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen akzeptieren zu können“ (1999, S. 161–162).

Wir weiten den inneren und äußeren Raum für uns selbst aus, müssen ihn aber auch unseren Mitmenschen zugestehen. Zum einen geht es also darum, für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche einzustehen und sich klar von den Erwartungen und Ansprüchen des Freundeskreises, der Familie, des Kolleg*innenkreises abzugrenzen. Zum anderen wirkt aber auch auf unsere innere Legitimierung ein, inwiefern wir mehr Toleranz gegenüber unseren Mitmenschen entwickeln, indem wir lernen, deren Bedürfnisse und Wünsche wahrzunehmen und zu akzeptieren. Wir weiten also den inneren und äußeren Raum für uns selbst aus und müssen ihn auch unseren Mitmenschen zugestehen.

Drei Wesensmerkmale der Selbstfürsorge:Sie ist individuell, bedeutet einen lebenslangen Prozess und braucht die innere Erlaubnis.

IMPLUS FÜR DICH: DEINE INNERE ERLAUBNIS

Welche Fragen stellst du dir innerlich im Alltag, wenn es um deine Impulse geht? In welchen Situationen wirst du unsicher, wie du dich verhalten darfst, wenn deine eigenen Wünsche sich stärker regen? Was irritiert dich momentan am meisten?

Die fünf Ebenen der Selbstfürsorge

Wir können sehr individuell für uns sorgen, wir können dies aber auch auf verschiedenen Ebenen des Seins tun. Die Sozialpädagogin/Coach Gandhera Brechbühl und die Psychotherapeutin Silvia Pfeifer-Burri sprechen in ihrem Artikel „Warum Selbstfürsorge so wichtig ist und uns dennoch oft schwerfällt“ (2012) von fünf Ebenen der Selbstfürsorge: der körperlichen, der emotionalen, der kognitiven, der sozialen und der spirituellen Ebene.

1

Selbstfürsorge auf der körperlichen Ebene bezieht sich auf den Schlaf, das Essen und Trinken sowie auf die Bewegung. Es gilt zu schauen, wie unser persönliches Schlafbedürfnis aussieht und wie wir uns so ernähren können, dass es uns guttut und sich gut anfühlt. Zusätzlich dürfen wir für ausreichend Pausen und Bewegung sorgen. Wichtig ist, dass die ausgeführte Bewegung uns Freude bereitet, also zu uns selbst passt. Da gibt es ein großes Spektrum an Bewegungsmöglichkeiten: Spaziergänge, Laufen, Tanzen, Schwimmen, Yogaübungen, Fußball spielen mit den (Enkel-)Kindern, bis hin zum Treppensteigen oder Gehen von Umwegen.

IMPULS FÜR DICH: DIE KÖRPERLICHE EBENE

Achte ich auf die Signale meines Körpers? Nehme ich regelmäßig Mahlzeiten zu mir? Trinke ich genug? Bewege ich mich ausreichend? Nehme ich mir Zeit für Entspannung? Mache ich genügend Pausen im Alltag? Mache ich Urlaub? Sorge ich für genug Schlaf? Erlaube ich mir im Krankheitsfall, zu Hause zu bleiben?

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Selbstfürsorge auf der emotionalen Ebene meint, dass wir unsere eigenen Gefühle wahrnehmen und ausdrücken. Die emotionale Selbstfürsorge beinhaltet auch, sich Zeit für Menschen zu nehmen, die uns persönlich wichtig sind und uns gut tun. Es bedeutet sich im Alltag Zeit für sich selbst zu nehmen und vor allem auch Zeit für Genuss und Freude zu finden.

IMPULS FÜR DICH: DIE EMOTIONALE EBENE

Nehme ich meine Gefühle wahr? Gebe ich meinen eigenen Gefühlen genügend Raum? Erlaube ich mir, meine Gefühle auszudrücken: Ärger, Wut, Trauer, Liebe, Freude, gute Laune, Humor?

Verbringe ich Zeit mit anderen Menschen und pflege persönliche, wichtige Beziehungen zu anderen? Habe ich in meinem momentanen Leben Möglichkeiten zum Lachen und zur Lebensfreude? Nehme ich mir Zeit für das, was mir Spaß macht? Sorge ich für Zeit, um allein zu sein? Habe ich Zeit zum Genießen? Zum Feiern? Für meine Lieblingsfilme, Lieblingsmusik und meine Lieblingsbücher?

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Selbstfürsorge auf der kognitiven Ebene bezieht sich auf einen wertschätzenden Umgang mit unseren Gedanken, Haltungen und Meinungen. Wir schenken uns Zeit zur Reflexion und begegnen uns in unseren Gedanken respektvoll. Gleichzeitig geht es aber auch darum, sich geistig Pausen zu schenken und weder zu unter- noch zu überfordern. Das vielbeliebte Multitasking unserer Zeit ist ein wunderbares Übungsfeld, bei dem wir regelmäßig ansetzen können, um immer wieder geistig zu entschlacken, indem wir zum Beispiel das Handy zeitweise beiseite legen oder ganz im gegenwärtigen Erleben sind, also: im Gespräch, beim Kochen, im öffentlichen Nahverkehr oder auf der Toilette. Auf die gleiche Weise können wir uns dann bewusste, fokussierte Handyzeiten schenken.

IMPULS FÜR DICH: DIE KOGNITIVE EBENE

Nehme ich mir Zeit zum Nachdenken und zum Reflektieren? Schreibe ich Tagebuch? Bin ich gegenüber mir selbst wertschätzend? Schenke ich mir selbst auch immer wieder Anerkennung?

Wie sieht mein Umgang mit dem Handy aus? Fühle ich mich teilweise davon bedrängt oder überfordert? Oder genieße ich auch die Möglichkeiten, mich auf digitalem Weg zu vernetzen und zu informieren?

Suche ich geistige Herausforderungen? Gibt es in meinem Alltag genügend Raum für mentale Inspiration? Achte ich auch darauf, mich geistig nicht zu überfordern?

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Selbstfürsorge auf der sozialen Ebene beinhaltet das Zusammensein mit anderen Menschen in einem Maß und einer Qualität, die uns guttut. Es geht um soziale Kontakte im Alltag und die Zeit für gemeinsame Erlebnisse. Unsere Bedürfnisse bezüglich des sozialen Zusammenseins ändern sich im Laufe unseres Lebens bzw. je nach Gemütslage und Lebenssituation. Genauso meint Selbstfürsorge in diesem Bereich aber auch, auftretende oder empfundene Konflikte im Miteinander anzusprechen und zu klären.

IMPULS FÜR DICH: DIE SOZIALE EBENE

Gibt es Zeit für das Zusammensein mit anderen Menschen? Nehme ich mir Zeit für kleine Begegnungen zwischendurch, für das Führen eines Telefonats, das Schreiben einer persönlichen Nachricht, einer E-Mail oder vielleicht auch mal ganz in Ruhe einen Brief?

Spreche ich Konflikte an und kläre diese? Stehe ich im Alltag für mich selbst ein? Zeige ich anderen Menschen verschiedene Aspekte meiner Persönlichkeit?

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Selbstfürsorge auf der spirituellen Ebene