Dark: Addiction - Josy B. Heard - E-Book

Dark: Addiction E-Book

Josy B. Heard

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Beschreibung

Eine Kindheit ohne Liebe und Aufmerksamkeit hinterlässt tiefe Wunden auf der Seele eines Kindes. So auch bei der achtzehnjährigen Evelyn Pierce. Darum fällt ihr die Entscheidung leicht, ihre Sachen zu packen und ihrem Elternhaus den Rücken zuzukehren. Eine neue Stadt, ein neues Leben, eine neue Zukunft - endlich soll alles besser werden. Mit einem exzellenten Highschoolabschluss bewaffnet, schreibt sie sich an der University of Tampa ein, ohne einen Plan zu haben, was sie dort überhaupt studieren möchte. Und während sie dabei ist, herauszufinden, wer sie sein will, gibt es jemanden, der ihr nicht von der Seite weicht. Der gut aussehende, mysteriöse Tobias McFaith lässt sie nicht aus den Augen. Doch je mehr sie versucht, ihn zu ignorieren, desto mehr fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Aber hinter diesem hübschen Gesicht verbirgt sich eine Geschichte, die Evy an ihre Grenzen bringt. Bald schon stellt sie sich die Frage, ob er es Wert ist, dass sie ihre neugewonnene Freiheit aufgibt, nur um ihn zu retten.

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Josy B. Heard

Dark

 

Addiction

 

Band 1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dark

Addiction

 

Josy B. Heard

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: © Copyright by Josy B. HeardCover- und Umschlaggestaltung: © Copyright by Florin Sayer Gabor; www.100covers4you.com

Verlag: Josy B. Heard

c/o Block ServicesStuttgarter Str. 10670736 Fellbach

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

 

Für Dich

 

Weil du genug bist.

Immer!

 

 

 

Prolog

 

 

Es war einmal ein kleines Mädchen. Sie war ein aufgewecktes Ding. Abenteuerlustig, fröhlich, und jeder, der sie kannte, verliebte sich in ihren Frohsinn. Sie war der Augenstern ihres Vaters. Er trug sie auf Händen und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab.

Doch als das Mädchen größer wurde und die Komplimente überhandnahmen, änderte sich ihr Leben.

Ihre Mutter, eine herrische Frau, die stets um die Gunst der Bewunderung warb, wurde von einer bösartigen Kraft befallen. Diese vergiftete ihr Herz und ließ es gläsern werden. Die Mutter kehrte sich nach innen und suchte in ihrem Herzen aus Glas die Schönheit, die sie von außen nicht bekam.

Mit den Jahren verschlimmerte sich ihr Zustand. Immer, wenn sie ihren Blick nach außen richtete, sah sie ihre Tochter. Das leuchtende Ebenbild ihrer selbst.

Ihr vergiftetes Herz sah die Gefahr, die von dem Mädchen ausging und flüsterte der Mutter niederträchtige Dinge ins Ohr. In ihrer Gier nach Anerkennung hörte die Mutter darauf und fing an, nach dem Frohsinn ihrer Tochter zu trachten. Sie stahl ihrem eigenen Kind die Tugend der unversehrten Seele, indem sie Selbstzweifel in den kleinen Geist streute. Im Schlaf verunreinigte sie ihre Träume mit Tiraden aus Hässlichkeit und Furcht. Am Tage fing sie die vorteilhaften Worte, die der Tochter zuteilwurden, ab und lenkte sie auf sich.

Sie nahm der Tochter die Schönheit, raubte ihr die Zuversicht und hinterließ ein Trümmerfeld aus zerstörten Hoffnungen. So schaffte es die Mutter, die Gunst der Wohlgesonnenen auf sich zu ziehen, während die Tochter im Nebel ihres Giftes langsam erstickte.

Niemand half dem Kind, denn es rief nicht um Hilfe.

Bald darauf sah niemand mehr das Kind, denn es war nur noch ein winziger Fleck in der hellen Sonne, die einzig über dem Haupt ihrer Mutter strahlte.

Schließlich verstummte das Kind und gab sich dem Umstand geschlagen, nie wieder wichtig zu sein.

Nie wieder gesehen zu werden.

Nie wieder gehört zu werden.

Nie wieder genug zu sein.

Gefangen in den Scherben ihres Selbst, verschlossen in dem Herzen aus Glas, das ihr Liebe schenken sollte. Dazu verdammt in dem Meer aus Zweifeln zu ertrinken.

 

Doch diese Geschichte ist noch nicht vorbei. Sie fängt gerade erst an! Und es ist meine Geschichte … 

Kapitel 1 Im Nachtbus Richtung Freiheit

 

 

Ich saß im Nachtbus Richtung Florida. Meine zitternde Hand umklammerte mein Handy. Auf dem Display zeigte die Uhr kurz nach Mitternacht. Dahinter strahlte mich mein Desktopbild an. Es zeigte mich und meine Mutter, eng umschlungen mit kunterbunten Haaren auf dem Holifestival in Birmingham. Kaum zu glauben, dass dieses Foto erst wenige Wochen alt war.

Fremde hielten uns oft für Schwestern. Verglichen uns mit Schneeweißchen und Rosenrot. Meine Mutter mit ihrer hellen Haut und den makellosen Gesichtszügen, immer perfekt gestylt, immer im Rampenlicht. Dagegen war ich, mit meinen Sommersprossen, den hellbraunen Haaren, die sich nie richtig bändigen ließen, und den runden Wangen, das hässliche Entlein neben dem wunderschönen Schwan. Ich war weder Schneeweißchen noch Rosenrot. Ich war nur ein dunkler Fleck, der die Schönheit der Sonne befleckte.

Diese Frau dort auf dem Foto war die böse Hexe aus dem Märchenbuch. Strahlendes Lächeln, tiefblaue Augen und glatte Gesichtszüge, die zu einer Dreißigjährigen, nicht aber zu einer Fünfzigjährigen passten. Nichts deutete darauf hin, dass hinter diesem Gesicht eine verdorbene Persönlichkeit steckte, der ich es zu verdanken hatte, dass ich mitten in der Nacht mit verheulten Augen in einem nach Schweiß stinkenden Bus saß. Vollkommen allein und ohne eine Ahnung zu haben, was als Nächstes passieren würde.

Danke, Mom, für alles und nichts.

Mein Handy gab den Geist auf, noch bevor ich das Hintergrundbild ändern konnte. Warum ich es überhaupt ausgewählt hatte, wusste ich selbst nicht. Vermutlich als Erinnerung daran, nicht so zu werden wie sie. Schon mich von ihr überreden zu lassen, auf dieses bescheuerte Festival zu gehen, war saudämlich gewesen. Weder hatte ich Freude an solchen Ausschweifungen, noch genoss ich die derartig aufdringliche Präsenz in ihrer Gegenwart. Nur weil es ihr Geburtstagswunsch gewesen war, hatte ich sie begleitet. Und es sofort darauf bereut. Während sie sich mit den Massen vergnügt hatte, war ich im Abseits gelandet, war mir meine Lieblingsbluse mit Bier versaut worden und ein betrunkener Vollhorst hatte mir in die Handtasche gekotzt. Es war ein grandioser Ausflug mit ihr gewesen. Nicht!

Seufzend steckte ich das Handy zurück in meinen Rucksack und stopfte ihn anschließend unter den Sitz. Es regnete, was dafür sorgte, dass die Klimaanlage des Busses die schwülwarme Luft von draußen hineinblies und das Innere in ein müffelndes Treibhaus verwandelte.

Die Reihen vor und hinter mir waren leer. Nur auf der Rückbank lümmelten ein paar Teenager herum, die lautstark die Musik irgendeines Gossenrappers hörten. Hätte ich für jedes ›Bitch‹ oder ›Pussy‹, welches der Typ grölte, einen Dollar bekommen, dann wären jetzt exakt siebenundzwanzig Dollar mehr in meiner Tasche. Dabei hatte der Song erst angefangen.

Mein Blick wanderte nach draußen. Die Interstate 75 war wie immer total überfüllt. Dass in Fort Lauderdale morgen die letzte Summerbreak-Party stattfinden würde, machte die Situation auf den Straßen nicht gerade besser.

Partybusse, Hipsterkutschen und Autos, aus deren Fenstern mehr Rauch als aus einem Industrieschornstein quoll, rasten an uns vorbei.

Es war mir so was von egal.

Ich wollte nur noch weg aus Alabama. Sehr weit weg.

Gut, Tampa war jetzt nicht am anderen Ende der Welt, aber immerhin brachte es fünfhundert Meilen zwischen mich und meine Mutter.

Fünfhundert Meilen Abstand, die ich brauchte, um mich zu beruhigen. Damit ich die letzten Tage verdauen konnte.

Das sie krank im Kopf war, hatte ich schon immer gewusst. Dass ihre Psychosen aber solche Ausmaße annehmen konnten, war mir neu gewesen und hatte mich total unvorbereitet getroffen. Ihr Gefühlsausbruch auf meiner Highschool-Abschlussfeier lässt sich wohl am treffendsten mit dem Untergang der Titanic beschreiben. Doch im Gegensatz zu Rose würde sie Jack in den Hintern treten, um auf das letzte Rettungsboot zu gelangen, und anschließend eine riesengroße Show darüber abziehen wie furchtbar sein Tod doch für sie war.

Jap, so ein Mensch war meine Mutter.

Hauptsache im Mittelpunkt. Nie hatten die anderen Schuld und immer war sie das Opfer.

Eigentlich hätte es mich nicht überraschen sollen, dass Mom ausgerechnet an meinem großen Tag einen Streit mit Dad vom Zaun brach. Natürlich vor den versammelten Gästen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, endete der Abend damit, dass meine Mutter mit einem Küchenmesser bewaffnet auf der Veranda stand und damit drohte, sich die Pulsadern aufzuschlitzen. Klingt logisch. Ein Ehestreit rechtfertigte gewiss einen Suizidversuch auf der Abschlussfeier der einzigen Tochter.

Es eskalierte so sehr, dass wir die Polizei rufen mussten, die filmreif unser Grundstück stürmte und die Party auflöste. Mitgenommen haben sie meine Mutter nicht. Auch eine Vorstellung beim Psychiater hielten sie nicht für angemessen. Ein langes Schläfchen, um den Alkoholpegel wieder ins Messbare zu bringen, und eine kleine Auszeit genügte laut den Beamten, damit meine Mutter ihre Persönlichkeitsstörung wieder in den Griff bekäme.

Selbstverständlich hatte das nicht gereicht.

Am nächsten Morgen hatte sie sogar noch einen Zahn zugelegt und unser halbes Mobiliar zertrümmert. Genauso hatte ich mir meine letzten Tage zu Hause vorgestellt. Ein normaler, rührseliger Abschied wäre ja auch viel zu langweilig gewesen. Standesgemäß verabschiedete man sich in meiner Familie mit Pauken und Trompeten und einem Nervenzusammenbruch der Extraklasse.

Meine Mutter hatte gar nicht mitbekommen, wie ich meine Sachen gepackt und aus dem Haus gestürmt war. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich im Badezimmer einzuschließen, der Flasche Champagner in den Flaschenhals zu heulen und dieser zu berichten, wie bedauerlich ihr armes Leben doch war.

Wenigstens hatte mein Vater Zeit für mich erübrigen können und mich kurz an sich gezogen, mir zweihundert Dollar in die Hand gedrückt und mir viel Glück gewünscht. Und von diesem Geld hatte ich mir die Fahrkarte in die Freiheit gekauft.

Ich rieb mir mit den Fingern die müden Augen und blickte nach vorn. Über der Fahrerkabine hing ein Monitor, der unsere Fahrtstrecke anzeigte. Wir hatten gerade Atlanta hinter uns gelassen und Fort Payne wurde immer kleiner. Geplante Ankunft in Tampa war in sechs Stunden.

Es war an der Zeit, die Augen zu schließen und von der Zukunft zu träumen.

Kapitel 2Ankunft mit Hindernissen

 

 

Grelles Neonlicht riss mich aus der sicheren Dunkelheit des Schlafes. Ein viel zu lautes Piepen klingelte in meinen Ohren. Zerknittert öffnete ich die Augen und blinzelte gegen das künstliche Licht an, das sich in meine Netzhaut brannte. Leuchtstoffröhren waren mir schon immer zuwider gewesen. Sie erinnerten mich an Krankenhäuser, und ich hasste Krankenhäuser.

Die Türen des Busses standen weit geöffnet und ein warmer Luftzug wehte durch den Mittelgang. Ich drehte mich um. Die Rückbank war verlassen. Die Teenies hatten sich schon aus dem Staub gemacht.

Plötzlich schob sich ein Schatten über mich und löschte das Licht. »Raus mit dir, Püppchen, wir sind da«, brummte mir der Fahrer des Nachtbusses entgegen.

Man sah der Typ fertig aus. Ich kramte meinen Rucksack unter dem Sitz hervor. »Entschuldigung, bin wohl eingeschlafen.« Mit eingezogenem Kopf quetschte ich mich am Busfahrer vorbei und hüpfte nach draußen. Es war noch dunkel, aber die Sonne würde bald aufgehen. Der Nachthimmel hatte bereits seine Sterne fallengelassen und färbte sich Indigo. Ich sah mich um. Auf der Leuchtreklame stand Greyhound: Bus Station.

Ich hatte es geschafft. Ich war tatsächlich in Tampa.

Ein wohliges Gefühl von Freiheit flatterte durch meinen Bauch und schüttelte mir die Schläfrigkeit aus den Knochen. Überall standen geparkte Busse. Davor ihre Fahrer mit qualmenden Zigaretten zwischen den Fingern. Einige wirkten, als würden sie gleich umkippen, andere unterhielten sich leise. An der Ecke kauerte ein Obdachloser. Eine Strickmütze tief ins Gesicht gezogen, mit verschränkten Armen und einem Labrador auf dem Schoß liegend. Schön zu sehen, dass es überall das gleiche Elend zu entdecken gab.

Ich lief zu der Wartehalle, die sich langsam mit Berufspendlern füllte. Davor stand ein Zeitungsspender. Ich schnappte mir die aktuelle Tageszeitung und einen Stadtplan, der ebenfalls dort ausgelegt war.

Dann wollen wir mal.

Mein Orientierungssinn war in etwa so ausgeprägt wie der einer blinden Eule. Trotzdem war ich voller Zuversicht, als ich die Karte auseinanderfaltete und mir vors Gesicht hielt. Da mein Handy immer noch im Dornröschenschlaf verweilte, musste ich mich wohl oder übel mit der Papierversion der Karten-App zufriedengeben.

Gleich auf Anhieb fand ich die Busstation, an der ich mich befand. Perfekt, mein auserkorenes Ziel befand sich nur eine Meile von hier entfernt. Was bedeutete, ich konnte mir das Geld für ein Taxi sparen und zu Fuß laufen. Voller Tatendrang zurrte ich den Rucksack auf meinem Rücken fest und stapfte los.

Die Straßen waren wenig befahren. Der Berufsverkehr würde wohl erst noch kommen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es hier in Tampa anders ablaufen sollte als in Fort Payne. Zumal diese Stadt hier um ein Vielfaches größer war als meine Heimatprovinz. Trotzdem ließ mich dieser ungewohnte Freiraum etwas paranoid werden. Ich erwischte mich dabei, wie ich verstohlene Blicke über die Schultern warf. Als erwartete ich regelrecht, dass mich jemand verfolgte, was totaler Blödsinn war. Die Menschen, die mir um diese Stunde entgegenkamen, hingen entweder mit der Nase in ihren Smartphones oder steckten mit den Köpfen in ihren Ausschnitten, da sie nach einer durchzechten Nacht auf ihrem persönlichen Walk of Shame den Heimweg angetreten hatten. Keine Sau interessierte sich für das Provinzmädchen mit der Stadtkarte in der Hand.

An der nächsten Häuserecke orientierte ich mich neu. Mein Ziel war die University of Tampa. Während der achtstündigen Busfahrt hierher hatte ich mich dazu entschlossen, mein Glück an der Universität zu versuchen. Ich hatte die Highschool mit exzellenten Ergebnissen abgeschlossen, warum diese also nicht nutzen? Zumal mein eigentlicher Plan jetzt ohnehin hinfällig war. Meine Mutter würde lange darauf warten können, dass ich nach Hause zurückkam, um in ihrer Immobilienkanzlei mit einzusteigen. Selbst wenn sie mich mit Saurons Ring zu sich lockte, würde ich ihr Angebot ablehnen. Nicht nach dieser Aktion auf meiner Abschlussfeier. Lieber würde ich mich mit einem Kopfsprung in die Feuergruben des Schicksalsberges stürzen, als in der Firma dieser Frau zu arbeiten.

Ich erreichte die Kennedy Boulevard Bridge, die über den Hillsborough River führte. Weitere zehn Minuten später stand ich vor der University of Tampa. Zumindest sagte mir das Straßenschild, dass es sich um die Universität handelte. Das Gebäude, das sich vor mir erhob, wirkte eher, als hätte es Aladin mit seinem fliegenden Teppich hergebracht. An jeder Hausecke zog sich ein Backsteinturm nach oben, der mit einer runden, silbernen Turmspitze versehen war. Es war eine bizarre Mischung aus viktorianischen Elementen, die mit glänzenden Kuppeln und Minaretten garniert worden war. So als hätte sich der Taj Mahal mit der St. Patricks Cathedral gepaart und ein Kind gezeugt.

Wie ein blindes Huhn suchte ich nach der richtigen Tür. Große, reich verzierte Vorbauten schmückten die Pforten. Jeder Eingang sah gleich aus. Eine halbe Stunde irrte ich um das Hauptgebäude herum, bis ich endlich die Tür fand, die zur Verwaltung führte. Natürlich war sie verschlossen.

Verdammter Mist!

Es war wohl doch nicht so schlau von mir gewesen, kurz vor dem Wochenende von zu Hause zu flüchten. Ich hätte mir denken können, dass die Campusverwaltung an einem Samstagmorgen nicht besetzt sein würde.

Frustriert trat ich den Rückzug an und setzte mich auf den Gehweg, der gegenüber dem Gebäude lag.

Was sollte ich bis Montag machen?

Ich hatte keine Bleibe, kaum Bargeld in der Tasche und kannte mich hier überhaupt nicht aus. Ich war echt am Arsch.

Das Geräusch von quietschenden Reifen ließ mich aufhorchen. Ein schwarzer SUV donnerte in die Straße. Mit heruntergelassenen Fenstern dröhnte der derbe Bass von Housemusik durch die Gassen. Schnell zog ich die Beine ein, während das Auto in einem Affentempo immer näherkam. Auf plattgefahrene Füße hatte ich nämlich wenig Lust.

Vier Typen mit verspiegelten Sonnenbrillen saßen darin, wippten mit ihren Köpfen zum Takt der Musik und feierten sich selbst.

Als sie an mir vorbeifuhren, lehnte sich der Beifahrer aus dem Fenster und präsentierte mir seinen von oben bis unten tätowierten Arm. Dieser Augenblick schien in Zeitlupe an mir vorbeizuziehen. Ich gaffte den Beifahrer an oder viel mehr seinen vollgekritzelten Arm. Warum wusste ich selber nicht. Das Schlangentattoo sah noch nicht einmal ansprechend aus, dennoch hingen meine Augen auf den schwarzen Linien, die sich über den Bizeps spannten.

Das Auto war schon an mir vorbei, da drehte sich der Typ plötzlich um, schob sich die Sonnenbrille von den Augen und zwinkerte mir zu.

Unwillkürlich musste ich lächeln. Vermutlich waren die Jungs ebenfalls auf dem Weg nach Fort Lauderdale und in meinem Kopf hörte ich eine leise Stimme flüstern, die gerne mitgefahren wäre. Dabei mochte ich Partys noch nicht einmal. Heute war wirklich ein eigenartiger Tag.

Gott, ich hatte mir wirklich den falschen Zeitpunkt ausgesucht, um hier aufzuschlagen.

Doch jetzt half kein Jammern. Ich brauchte einen Schlafplatz fürs Wochenende. Bevorzugt befand der sich in einem Haus und nicht unter dem nächsten Brückenbogen. Mit etwas Glück erbarmte sich vielleicht eine zurückgebliebene Studentin meiner und nahm mich für zwei Tage bei sich auf. Dafür müsste ich aber erst einmal eine Studentin finden. Und das erschien mir auf einem ausgestorbenen Campus wie ein Sechser im Lotto …

Aber wie hieß es so schön? Auch ein blindes Korn findet einmal ein Huhn … Oder lautete das Sprichwort anders?

Kapitel 3Schweißtreibende Begegnung

 

 

In der Hoffnung, irgendeiner Menschenseele zu begegnen, sammelte ich meinen Kram zusammen und machte mich daran, das Campusgelände etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Mit einem Croissant bewaffnet, das ich mir beim Bäcker besorgt hatte, lümmelte ich mich auf den Rängen des Sportplatzes zusammen. Es war wieder an der Zeit, in Kontakt mit der feindlichen Außenwelt zu treten.

Ich holte die Powerbank hervor und stöpselte mein Handy ein. Es dauerte nicht lange und der kleine Apfel erschien auf dem Display. Eine Minute später entsperrte ich den Bildschirm. Prompt machte es Bing.

Gut ein Dutzend Nachrichten erwarteten mich, allesamt von meiner Mutter. Nein, eine von Dad war auch dabei.

Seufzend öffnete ich den Messenger-Dienst und scrollte durch den Chatverlauf.

Die erste Nachricht hatte sie mir um drei Uhr morgens geschrieben.

 

Hey Honigbärchen,

wo bist du? Du verstehst doch sicher meine Reaktion. Dein Vater hat sich einfach unmöglich verhalten. Das konnte ich nicht ertragen.

 

Ich schnaubte, als ich den Spitznamen aus meiner Kindheit las und scrollte weiter. Honigbärchen …

Die übrigen Nachrichten waren im Abstand von je einer halben Stunde bei mir eingetrudelt und beinhalteten das übliche Blabla.

Melde dich … Du solltest wieder nach Hause kommen … Ruf mich an …

Keine Spur von Reue, geschweige denn einer Entschuldigung. Kopfschüttelnd schloss ich den Chat und öffnete Dads Nachricht. Der einzige Mensch im Universum, der sich tatsächlich um mich sorgte, auch wenn er es nur selten zeigte. Tief in meinem Herzen wusste ich jedoch, wie sehr er mich liebte und dass er alles für mich tun würde. Alles, außer meine Mutter vor die Tür zu setzen. Es war mir echt ein Rätsel, wie er es mit ihr aushielt. Aber irgendetwas musste sie an sich haben, was er anziehend fand …

Ich öffnete den Chat und las die Nachricht.

 

Deine Mutter ist wirklich sauer, weil du dich nicht ordentlich von ihr verabschiedet hast. Bitte ruf sie an, sobald du die Zeit dafür findest.

Ach, und schau bei Gelegenheit mal auf dein Konto, dort findest du dein Abschlussgeschenk. Gebe aber nicht alles auf einmal aus und viel Spaß in Florida. Ich weiß, du wirst alles erreichen, was du dir vornimmst.

Dad.

 

Ein Lächeln zog an meinen Mundwinkeln. Wir waren echt nicht reich. Eher gehörten wir zur gehobenen Arbeiterklasse und das mein Vater mir Geld zum Abschluss schenkte, war weder selbstverständlich, noch hatte ich das erwartet.

Nachdem ich den Messenger beendet hatte, machte ich die Onlinebanking-App auf und schaute auf mein Konto. Mein Mund klappte auf und fast wäre mir der Unterkiefer auf die Brust gedonnert, als ich die Summe las, die dort stand. Mit dem Geld würde ich locker drei Monate über die Runden kommen. Ich reckte mein Gesicht gen Himmel und schickte in Gedanken ein megafettes ›Danke‹ nach Fort Payne. Hoffentlich hatte er meine Mutter in dieses Geschenk eingeweiht, andernfalls …

Nein … Falsche Richtung … 

Ich sollte mich darüber freuen und nicht schon wieder an das was-wäre-wenn denken.

Mittlerweile war es später Morgen geworden. Doch immer noch war der Campus gähnend leer. Gerade als ich meine Suche fortsetzen wollte, schlenderte eine Frau auf den Sportplatz. In megaknappen Sport Tights und schwarzen Tanktop betrat sie die Laufbahn und begann damit, sich zu dehnen. Einen Moment blieb mein Blick an ihren Haaren hängen. Ihre Frisur hatte starke Ähnlichkeit mit der von Leela aus Futurama. Nur das sich Leela keinen Undercut rasiert hatte.

Die Frau drehte mir den Rücken zu und streckte ihren Oberkörper, dabei entdeckte ich das leuchtendrote Logo, welches sich zwischen ihren Schulterblättern befand.

Jackpot!

Es war das Universitätslogo, was mit höchster Wahrscheinlichkeit bedeutete, dass die Frau, die jetzt am Startblock in die Knie ging, hier studierte.

Während sie eine Runde nach der anderen lief, pirschte ich mich unauffällig in die erste Reihe, packte die Tageszeitung aus und tat so, als würde ich lesen.

Zwanzig Minuten später verlangsamte sie endlich ihr Tempo und ließ sich auslaufen.

Das war meine Chance. Wie eine Heuschrecke hüpfte ich von meinem Platz auf und schnappte mir den Rucksack. Als ich sie erreichte, wischte sie sich gerade den Schweiß mit einem Handtuch von der Stirn.

»Entschuldige bitte. Darf ich dich was fragen?«, fing ich an und knetete die Zeitung in meinen Händen. Fremde Menschen schüchterten mich ein, doch wenn ich nicht auf der Straße schlafen wollte, musste ich da jetzt durch. Überrascht drehte sie sich um und musterte mich, ehe sie erwiderte: »Klar! Schieß los.« Sie drehte ihre Wasserflasche auf und trank einen Schluck.

»Ich bin neu hier und suche eine Wohnung. Eigentlich hatte ich vorgehabt, in einem der Studentenwohnheime unterzukommen, doch leider ist die Verwaltung am Wochenende nicht besetzt, daher sitze ich gerade auf der Straße. Hast du vielleicht einen Tipp für eine günstige Übernachtungsmöglichkeit?« Ich redete so schnell, dass ich am Ende tief Luft holen musste, um nicht zu kollabieren. Die Frau zog einen frischen BH aus ihrer Tasche. »Fängst du hier nach den Semesterferien dein Studium an?«

»Habe ich vor. Ich wollte mich am Montag einschreiben.«

»Cool! Ich komme jetzt ins zweite Semester. Tampa ist echt ein Traum.« Sie zog Tanktop und Sport-BH aus und stand plötzlich oberkörperfrei vor mir.

Schnell drehte ich mich weg und starrte auf meine Füße. Ihre Freizügigkeit überforderte mich. Ihr hingegen schien es nichts auszumachen, mit den Brüsten vor meinem Gesicht herumzuwackeln. Lässig hielt sie den BH in ihrer Hand und fragte mich weiter. »Kommst du aus Florida?«

Ich räusperte mich und konzentrierte mich auf den rotbraunen Sportplatzboden. Der erschien mir im Augenblick weitaus attraktiver als ihr Busen. »Nein, aus Alabama.«

Endlich zog sie sich wieder an. »Ehrlich? Warum bist du dann so blass?«

Verdutzt hob ich den Kopf und schaute sie an. Sie hatte ihren schief gelegt und die Augenbrauen tief ins Gesicht gezogen. Da »weil ich ein Vampir bin und dein Blut trinken will« wohl keine angemessene Antwort gewesen wäre, verkniff ich mir den Spruch und zuckte nur mit den Achseln. »Also … hast du einen Tipp für mich?«

»Wie heißt du eigentlich?«

Gott, hörte die mir überhaupt zu?

»Evy Pierce.«

Mit einer geschmeidigen Bewegung löste sie ihren Zopf, dann schüttelte sie ihre lilafarbigen Haare aus, kämmte sie sich über die rechte Schulter und reichte mir anschließend die Hand. »Ich bin Camilla Lewis, aber nenn mich ruhig Camy.«

»Freut mich, Camy.«

Wieder ging sie in die Hocke und sammelte ihr Zeug zusammen. »Tampa ist eine teure Stadt, aber wenn du willst, kann ich dir bei der Suche helfen.«

»Ähm … klar … gerne!«

»Super, dann komm mit. Gleich um die Ecke gibt’s ein Starbucks.« Als würden wir uns schon ewig kennen, legte sie mir ihren Arm um den Hals und verteilte ihren Achselschweiß auf meiner Schulter. Mit einem verhaltenen Grinsen ließ ich mich von ihr mitziehen und unterdrückte den Impuls, sie von mir wegzustoßen.

Sie war meine beste, - und im Moment meine einzige -, Chance auf eine Unterbringung, da sollten etwas streng riechende Körperausdünstungen auf meiner Haut wohl zu ertragen sein.

Kapitel 4Wohnungsfund mit Spürsinn

 

 

Ein paar Minuten später liefen wir durch die Tür des Starbucks. Endlich sah ich wieder Menschen, die in meinem Alter waren.

Wir bestellten uns Kaffee ohne dieses ganze Extra-Schicki-Micki-Geschmacksgedöns und suchten uns einen Fensterplatz.

»Also, Südstaatenschönheit, warum ausgerechnet Tampa? Gibt es in Alabama keine Universitäten?« Camy nippte an ihrem Kaffee und schaute mich mit hochgezogenen Brauen an.

»Doch, gibt es. Aber mir Stand der Sinn nach etwas Neuem.«

»Ah ja …« Sie stellte ihren Becher ab. »Fliehst du vor einem Kerl oder deiner Familie?«

Mir blieb der heiße Kaffee im Hals stecken. Ich krächzte und prustete, während Camy mich mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen betrachtete.

»Ähm …«, stammelte ich, »nichts von alledem?«

»Beantwortest du meine Frage mit einer Gegenfrage?« Mit verschränkten Armen lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück. Ihre grünen Augen fraßen sich förmlich in mich hinein, während mir die Hitze in die Wangen schoss. Schnell drehte ich meinen Kopf zur Seite und räusperte mich, um das elendige Kratzen im Hals endlich loszuwerden. Mit Blick auf die Straße gerichtet antwortete ich leise: »Sagen wir mal so, mit einem Kerl hat mein Aufenthalt hier nichts zu tun.«

»Also die Familie. Habe ich mir schon gedacht. Du wirkst auf mich nicht so, als hättest du ein gebrochenes Herz«, sie holte tief Luft, »sondern eher eine gebrochene Seele.«

Wie bitte?

Wie lange kannte ich Camy jetzt? Fünf Minuten? Wie war es möglich, dass mich eine fremde Person so gnadenlos durchschaute? Scheinbar trug ich eine Leuchtreklame mit der Aufschrift beschissene Kindheit, bitte bemitleidet mich auf der Stirn.

Lange erwiderte ich nichts, doch irgendwann nahm ich meine Augen vom chaotischen Straßenverkehr, der mittlerweile hinter dem Schaufenster tobte, und drehte mich ihr wieder zu. »Können wir das Thema lassen? Ich bin nach Tampa gekommen, um diesem ganzen Scheiß zu entkommen.«

Tatsächlich flackerte in Camys Gesicht so etwas wie Mitleid auf, doch sie tat mir den Gefallen und wechselte das Thema. »Also Wohnungssuche. Zeig mal her.« Sie griff sich die Tageszeitung, die ich an der Busstation mitgenommen hatte und schlug die Wohnungsannoncen auf. »Holla, die Waldfee! Du bist nicht zufällig die Erbin eines Ölscheichs, oder so was?«

Verdutzt schüttelte ich den Kopf. »Nein, wieso?«

Sie drehte die Zeitung und schob sie zu mir rüber. Bei den Hotelpreisen, die mir fröhlich entgegensprangen, klappte mir der Mund auf.

»Darum«, sagte sie und zog die Zeitung wieder weg. Mir sackten die Schultern nach unten und ich rutschte tiefer, bis mein Hinterkopf auf der Stuhllehne lag. »Verdammter Mist, das kann ich mir nicht leisten.«

»Das kann sich kein Normalsterblicher leisten.«

»Und was mache ich jetzt? Ich kann doch nicht bis Montag auf der Straße wohnen?« Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare und fing an, meine Schläfen zu massieren. Die letzte Nacht machte sich langsam bemerkbar und ich spürte, wie ein Migräneanfall im Anmarsch war. Im milden Versuch, diesen unterdrücken zu können, schnappte ich mir den Süßstoffspender und kippte eine große Ladung davon in meinen halb leeren Kaffeebecher. Camy hatte ihren ausgetrunken und spielte verträumt an dem Plastikdeckel herum.

»Was ist eigentlich mit dir?«, fragte ich. Ich brauchte etwas, was mich von der Tatsache ablenkte, dass ich die nächsten zwei Nächte womöglich unter freiem Himmel schlafen musste. Als wäre sie von einer Tarantel gebissen worden, fuhr Camy zusammen und ließ den leeren Becher lautstark auf den Tisch fallen. »Sorry, was hast du gesagt?«

Was für eine erstaunliche Person. Sie schaffte es glatt, mitten in einem Gespräch abzudriften und zu träumen. Ich ließ mir nichts von meiner Überraschung anmerken und wiederholte freundlich die Frage. »Warum bist du hier?«

»Oh, na ja, bei mir war es tatsächlich die Flucht vor einem Kerl. Lange Geschichte …« Sie wischte mit der Hand und fuhr fort. »Jedenfalls hat mein Bruder Clayton so von der Uni hier geschwärmt, dass ich mich letztes Semester kurzerhand hier eingeschrieben habe und hergezogen bin.«

»Von wo kommst du?«, fragte ich und leerte meine süße Kaffeeplörre.

»Aus Montana.«

Die nächste Stunde erzählte mir Camy von ihrem Ex-Freund. Dass er sie betrogen hatte. Und das gleich mehrfach. Aber das sie mittlerweile darüber hinweg war und es sowieso nicht funktioniert hätte. Und das die Entscheidung, nach Tampa zu gehen, die beste ihres Lebens gewesen war.

Auch wenn das Leitmotiv bei ihr ein anderes war, entdeckte ich viele Parallelen zwischen uns.

Weitere drei Kaffee später verließen wir endlich Starbucks und machten uns auf den Weg zurück zum Campus.

»Was willst du jetzt machen?«, fragte mich Camy, als wir am Sportplatz vorbei in Richtung Studentenwohnheim liefen.

»Keine Ahnung. Wahrscheinlich kampiere ich irgendwo auf dem Unigelände und bete dafür, nicht überfallen zu werden.«

»Hmh …« Mitten auf dem Weg blieb sie stehen und packte mich an der Schulter. »Wenn du willst, kannst du bei mir bleiben. Meine Mitbewohnerin kommt erst am Montag wieder und das Studentenwohnheim ist wegen der Summerbreak so gut wie ausgestorben.«

Mein Herz machte einen Satz. »Ist das dein Ernst?«

»Klar! Vorausgesetzt natürlich, dass du keine Serienmörderin bist.« Sie bedachte mich mit demselben Blick, den Benedict Cumberbatch in Holmes auflegte, wenn er einem neuen Hinweis auf der Spur war. Ich breitete die Arme aus und drehte mich einmal im Kreis, bevor ich erwiderte: »Sehe ich wie eine Killerin aus?«

Sie hob die Schultern und legte nachdenklich den Zeigefinger an ihre Lippen. »Nicht wirklich, aber bislang bin ich auch noch keiner Killerin über den Weg gelaufen.«

Wir brachen in schallendes Gelächter aus. Nachdem wir uns wieder gefangen hatten, überkreuzte ich die Finger und sah sie eindringlich an. »Ich schwöre bei Oprah, dass ich kein Ripper bin.«

Weiterhin mit einem fetten Grinsen im Gesicht schüttelte sie den Kopf und hakte sich bei mir unter. »Das hoffe ich.«

»Was studierst du eigentlich?«, fragte ich, während wir die Straße überquerten und um die nächste Ecke bogen.

»Forensik im Hauptfach und Kriminologie im Nebenfach.«

»Oh«, brachte ich erstickt hervor. »Dann sollte ich wohl wirklich besser keine Serienmörderin sein.«

Camy schüttelte sich vor Lachen und hielt sich den Bauch.

»Nein, das solltest du nicht.«

Das erklärte den alles durchschauenden Blick von eben. Zumindest konnte ich mir jetzt sicher sein, dass sie ebenfalls keine Killerin war. Wer aussah wie Veronica Mars mit lilafarbigen Undercut, konnte wohl kaum eine Schwerverbrecherin sein, oder?

Vor uns wurde ein neunstöckiges Backsteinhaus sichtbar. Die oberste Etage bestand aus weißen Steinen. Große verspiegelte Fenster reflektierten das Sonnenlicht und warfen es zurück auf die darunterliegenden Straßen. Der Eingangsbereich war etwas vom Haus abgesetzt und bestand aus Kalkstein. In schwarzen Buchstaben stand Vaughn Center genau in der Mitte zwischen den Backsteinsäulen. Darunter befand sich ein runder Vorbau, der von zwei Fensterfronten umgeben war.

Camy zog mich die Stufen hoch und drückte die Türen auf. »Willkommen im Vaughn!«

Kühle klimatisierte Luft schlug mir ins Gesicht und bescherte mir eine Gänsehaut. Draußen waren es locker dreißig Grad im Schatten. Hingegen herrschten hier in der Lobby arktische Temperaturen.

Um die kalte Luft, die auf meine feuchte Haut traf, etwas abzuwehren, rieb ich mir über die Oberarme und schaute mich um. Links und rechts waren Gänge, die mit grau melierten Fliesen ausgekleidet waren. In der Mitte der weiten Eingangshalle führte eine rotgeflieste Treppe nach oben. Über uns schimmerten in die Decke eingelassene Spotstrahler in einem warmen gelben Licht. Beige Loungesessel gruppierten sich um runde Tische und verteilten sich im gesamten Eingangsbereich. Es wirkte wie eine Hotellobby, nicht wie ein Studentenwohnheim.

Ich ließ Camy vorlaufen und folgte ihr bis ins dritte Stockwerk. Wie sie schon sagte, waren die Gänge leer und verlassen. »Wieso bist du eigentlich nicht in Fort Lauderdale?«

Sie schloss die Tür auf und winkte mich herein. »Ich muss trainieren. Nächsten Samstag spielen wir gegen die Atlantic und die sind als Gegner nicht zu unterschätzen.«

Sie bemerkte meinen verdatterten Gesichtsausdruck und fügte hinzu, während sie sich auf ihr Bett fallen ließ: »Ich bin im Fußballteam.«

Ich zog mir den Stuhl vom Schreibtisch und setzte mich. »Du siehst nicht aus wie eine Fußballspielerin.«

Schlagartig fiel Camy das Grinsen aus dem Gesicht und gleichzeitig auch sämtliche Farbe.

Oh, oh! … Fettnäpfchenalarm!

»Ach nein? Wie haben Fußballspielerinnen denn auszusehen? Wie Kerle? Ohne Titten und mit kurz geschorenen Haaren?«

Mit meinen Füßen scharrte ich über den Teppichboden und rollte mit dem Stuhl zurück in Richtung Tür. Entschuldigend hob ich die Hände in die Luft. »Tut mir leid, das war nicht böse gemeint. Ich meinte damit, dass du eher wie eine Läuferin aussiehst. Zumindest habe ich das gedacht, als ich dich auf dem Sportplatz gesehen habe.«

Ihre Nasenflügel blähten sich wie bei einem Pferd und ich wartete nur darauf, dass Dampf aus ihren Ohren quoll. So wie es bei den Zeichentrickserien immer der Fall gewesen war.

Doch es passierte nichts.

Einen kurzen Moment lang starrte sie mich finster an, ehe sie sich rücklings in ihr Kissen fallen ließ und die Arme hinterm Kopf verschränkte. »Ach so! Ich dachte schon, du bist auch so eine, die in Geschlechterrollen denkt und jeden in Schubladen steckt.«

Ah ja, alles klar, Feministin im Zimmer! Das sollte ich mir für die Zukunft merken.

»Ich? Niemals! My Pussy my Choice!«, grölte ich und warf meinen rechten Arm in die Luft … und fing mir erneut einen schrägen Seitenblick von ihr ein. Doch die Farbe kehrte endlich in ihr Gesicht zurück und sie entspannte sich. »Na, dann ist ja alles gut.«

Noch mal Schwein gehabt.

Kapitel 5Heimtückisches Gewissen

 

 

Ich ließ mich von Camys Gebrabbel berieseln, während ich auf dem Bett ihrer Zimmergenossin lümmelte und mich durch die Collegebroschüren wälzte. Da mein Aufbruch aus Fort Payne mehr als nur überstürzt war, hatte ich keinen blassen Schimmer, was genau ich hier eigentlich studieren wollte. Das Angebot war riesig. Erschwerend kam hinzu, dass ich mich hier weder beworben noch eingeschrieben hatte. Ich sollte mich glücklich schätzen, wenn ich überhaupt noch hier aufgenommen wurde.

Frustriert warf ich den Flyer auf den Stapel, der sich bereits auf dem Fußboden befand.

»Und, schon entschieden?« Camy lag auf der Seite und hatte den Kopf auf ihre Hände gestützt. Ihren Zopf hatte sie gelöst, wodurch sich ihre farbenfrohe Haarpracht wie ein Wasserfall über ihre Schultern ergoss und bis auf das Kopfkissen fiel, das sie sich unter den Arm geklemmt hatte.

»Ich glaube, ich werde erst einmal einige Orientierungskursen besuchen und sehen, wo überhaupt noch ein Platz frei ist.« Ich machte es ihr gleich und seufzte, als ich mir das Kissen zurechtklopfte und anschließend meinen Kopf darauflegte.

»Wird wohl das Beste sein.«

»Woher hast du gewusst, was du studieren willst?«, fragte ich und sah sie hoffnungsvoll an.

Sie drehte sich auf den Rücken und streckte ihre Beine in die Luft. »Das stand irgendwie schon immer fest. Mein Vater ist Detective Chief Inspector, meine Mutter Police Officer. Schon im Kindergarten habe ich für Recht und Ordnung gesorgt. Sehr zum Leidwesen meines Bruders. Er konnte keine Scheiße bauen, ohne dass ich ihn nicht deswegen verpetzt hätte.« Ihre Beine plumpsten zurück auf die Decke und sie grinste mich schelmisch an.

»Erzähl mir was von deinem Bruder«, bat ich sie und setzte mich auf. Ich rutschte nach hinten, bis mein Rücken an der Wand lehnte. Dabei achtete ich akribisch darauf keines der unzähligen Fanposter, die daran klebten abzureißen. Camys Mitbewohnerin hatte einen ziemlich eigenwilligen Musikgeschmack. Von Taylor Swift bis Billie Eilish war alles vertreten. Direkt über mir hing sogar ein Poster von 6six9nine.

»Clayton …«, fing Camy an, »ist ein herzensguter Mensch, der leider ein Talent dafür hat, sich in beschissene Situationen zu bringen.« Sie holte tief Luft und schüttelte leicht mit dem Kopf. Ich rutschte höher und beugte mich etwas vor. Ich hatte das starke Gefühl, dass Clayton das genaue Gegenteil von Camy war.

»Schon auf der Highschool hat er es geschafft, eine beachtliche Sammlung an Vorstrafen zu sammeln. Drogen, Alkoholmissbrauch, Diebstahl – er hat alles mitgenommen, was in irgendeiner Weise verboten war.«

Clayton war also ein typischer Bad Boy. Interessant …

»Es war seine eigene Art, gegen unsere Eltern zu rebellieren«, fuhr sie fort.

»Eure Eltern müssen doch regelmäßig durch die Decke gegangen sein.«

Camy lachte auf eine verstörende Weise und setzte sich auf. »Machst du Witze? Die sind nicht nur durch die Decke gegangen, die haben die halbe Bude eingerissen wegen Clayton.«

Ja, das konnte ich mir wirklich gut vorstellen.

»Als Clayton dann wegen versuchter Vergewaltigung angezeigt wurde, eskalierte es völlig. Mein Vater schmiss ihn raus und jagte ihn förmlich bis nach Tampa.«

What the Fuck!

Mehr fiel mir darauf nicht ein. Sprachlos saß ich auf dem Bett und glotzte Camy an.

»Keine Sorge, die Anzeige wurde fallen gelassen. Diese Bitch wollte ihm nur eins auswischen. Er hatte überhaupt nichts dergleichen getan.«

Trotzdem! Mit so einer Anzeige in der Tasche erhielt man doch automatisch den Stempel als Schwerenöter. Bei einer anderen Gelegenheit musste ich Camy unbedingt fragen, was genau es damit auf sich hatte.

»Tampa war für ihn die Rettung gewesen. In einer neuen Stadt ohne seine ›Gang‹wurde es langsam besser. Im ersten Semester hat er sich echt reingehangen und wir dachten wirklich, er fängt sich wieder.«

»Aber?« Ich wusste, es gab ein Aber.

»Aber«, sie seufzte und ließ den Kopf hängen, »dann lernte er Tobias kennen. Seitdem geht es wieder bergab. Das ist einer der Gründe, warum ich hier studiere.«

»Was ist der andere Grund?«, fragte ich nach, obwohl meine Gedanken zu diesem Tobias abdrifteten. Der musste ja der Teufel höchstpersönlich sein, wenn er so einen Einfluss hatte.

»Mein Ex? Hast du mir nicht zugehört?« Camy riss mich aus meinen Gedanken, ehe ich sie weiter vertiefen konnte.

Shit! Nein, hatte ich nicht. Ich war viel zu sehr in die Studienhefte versunken gewesen und hatte kein einziges Wort von ihr mitbekommen. Doch das wollte ich ihr nicht sagen. Der Verbalanfall von vorhin hatte mir gereicht und ich wollte nicht herausfinden, wie sie auf meine Ignoranz reagierte. Auch wenn ich ihr nicht absichtlich nicht zugehört hatte.

»Klar, habe ich das«, sagte ich zögerlich und verzog den Mund zu einer komischen Grimasse. Camy verdrehte genervt die Augen. »Eigentlich wollte ich mit ihm nach Utah gehen. Doch nach seiner ›Ich bumse mich durch die halbe Stadt‹-Aktion hatte sich das für mich erledigt.«

Stimmt, da klingelte etwas in meinem Hinterkopf, als sie das wiederholte.

Scheinbar waren doch ein paar Informationen bis in mein Hirn vorgedrungen. Schnell nickte ich, um ihr zu signalisieren, dass ich doch zugehört hatte.

»Als Clay dann letztes Jahr in den Semesterferien völlig bekifft nach Hause kam und es mit Dad wieder nur Streit gab, habe ich mich hier eingeschrieben. Damit ich auf ihn aufpassen kann.« Sie zuckte mit den Schultern, als wäre dies nichts Besonderes. Ich fand jedoch, dass das eine wirklich selbstlose Tat von ihr gewesen war. Sie stellte ihre eigenen Träume hinten an, um für ihren Bruder da zu sein. Etwas, was ich für meine Mutter nicht tun würde. Nicht mehr tun würde, um genauer zu sein. Bei meiner nächtlichen Flucht hatte ich mir geschworen, unabhängig von ihren Launen zu handeln. Nach den ganzen Jahren, in denen ich mich ihren Marotten unterordnen musste, würde ich jetzt mein eigenes Ding durchzuziehen. Egal wie verzweifelt sie versuchen würde, mich zurückzuholen.

Warum in aller Welt überkam mich dann aber plötzlich ein schlechtes Gewissen?

Am liebsten hätte ich mich umgedreht und meinen Kopf so lange gegen das Poster mit der Rapperfratze gehauen, bis dieses beschissene Gefühl in meinem Bauch wieder verschwunden war. Doch ich wusste, es würde nichts bringen.

Camy sprang auf und strich sich das Oberteil glatt. »Ich bin am Verhungern. Lust auf Pizza? Da könnte ich dir gleich die Cafeteria zeigen.«

Mein Magen meldete sich tatsächlich bei dem Wort ›Pizza‹. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass es bereits später Nachmittag war. Wir hatten den halben Tag hier im Zimmer rumgehangen.

Nicht das ich mich beschwert hätte. Es gab definitiv schlechtere Arten, seinen Tag zu verbringen. Zum Beispiel mit Trübsal blasen vor der geschlossenen Collegeverwaltung. Was hatte ich nur für ein Glück, dass mir so ein Schicksal erspart geblieben war.

Camy öffnete die Zimmertür und schaute mich erwartungsvoll an. Doch ich blieb sitzen und zögerte. »Ich müsste nur noch kurz telefonieren. Macht es dir etwas aus, schon allein vorzugehen? Ich komme gleich nach.«

Trotz der Aussicht auf was Fetttriefendes hielt mich eine Sache zurück. Etwas, dass mir wieder in den Kopf geschossen war, während Camy von ihrem Bruder erzählt hatte. Etwas, von dem ich wusste, dass es nicht besser werden würde, je länger ich es hinauszögerte.

Das Telefonat mit meiner Mutter stand noch aus.

Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich sie noch eine ganze Weile schmoren lassen. Doch ich wusste, wie sehr es meinen Vater belastete. Schon allein weil ich mir sicher war, dass meine Mutter ihm die ganze Zeit die Ohren vollheulte, weil ich mich nicht bei ihr meldete. Und dann war da auch noch dieses heimtückische Gewissen, das sich aus der Versenkung zurückmeldete und mich anflehte, ihr zu vergeben.

Bevor ich mich vollends auf Tampa und Camy einlassen konnte, musste ich diese eine Sache noch hinter mich bringen. Danach stand meiner Freiheit nichts mehr im Weg. Außer vielleicht die Absage der Uni, die ich am Montag bekommen könnte, weil ich es versäumt hatte, mich innerhalb der Bewerbungsfristen hier einzuschreiben.

Das jedoch waren Probleme der Zukunft. Jetzt musste ich zunächst die Probleme von gestern klären, um überhaupt an morgen denken zu können.

Kapitel 6Bühne frei für die Egomanin

 

 

Das Handy lag entsperrt in meiner Hand, während ich einige Male tief durchatmete. Mit geschlossenen Augen drückte ich die Wähltaste. Es klingelte dreimal, dann hörte ich die vertraute Stimme meiner Mutter. »Evy, Schatz, wie geht es dir?«

»Hey, Mom. Mir geht’s spitze. Ich bin gut angekommen.«

»Oh, das ist wunderbar. Ist Tampa so, wie du es dir vorgestellt hast?«

Das war ein neuer Rekord. Sie stellte mir gleich zwei Fragen über mein Wohlbefinden hintereinander. Das hatte es noch nie gegeben. »Ja, Tampa ist großartig und der Campus ist der Wahnsinn.«

»Das freut mich zu hören. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Dein Aufbruch kam ja ziemlich überstürzt.«

Du hast dir Sorgen um mich gemacht? Wirklich? Das wäre ja mal was ganz Neues.

Ich biss mir auf die Unterlippe und atmete gegen den Drang an, ihr genau das entgegenzuschmettern. »Ja, ich weiß, aber es musste sein. Ich musste einfach weg von zu Hause.«

Es folgte Stille am anderen Ende der Leitung. Kurz dachte ich, sie hätte aufgelegt, doch dann hörte ich, wie sie seufzte. Ich machte mich schon darauf gefasst, mit Vorwürfen ihrerseits überrollt zu werden, doch sie blieben zu meinem Erstaunen aus. Stattdessen fragte sie mich: »In welchem Wohnheim bist du untergekommen? Es war doch sicherlich schwer, so kurzfristig noch einen Platz zu bekommen.«

Schwang da aufrichtige Sorge in ihrer Stimme mit? Telefonierte ich wirklich gerade mit meiner Mutter?

»Ähm …«, stammelte ich. »Eigentlich habe ich noch keinen Wohnheimplatz. Ich bin bei einer Kommilitonin untergekommen. Die Collegeverwaltung macht erst am Montag wieder auf. Erst dann kann ich mich um die Einschreibung und den ganzen Rest kümmern.«

Sofort spürte ich die Veränderung. Auch ohne meiner Mutter gegenüberzustehen, spürte ich, wie es in ihrem Kopf anfing zu rotieren. »Und diese Kommilitonin kennst du woher? Sag mir bitte nicht, dass du bei einer wildfremden Person abgestiegen bist!«

»Doch, bin ich. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Camy studiert im zweiten Semester Kriminologie. Ihre Eltern sind beide bei der Polizei.«

»Das hat sie dir erzählt, aber hast du es auch überprüft?«

Ja, Mutter, ich habe sowohl ihr Führungszeugnis als auch ihren Ausweis überprüft, als sie mir angeboten hat, bei sich zu wohnen.

»Vertrau mir einfach, okay?«

Langsam kehrte die Wut zurück. Wie ein Hefeteig gor sie in meinem Magen und wuchs mit jedem Wort, das Mom sagte weiter an. Ein verächtliches Schnauben erreichte mich durchs Telefon. Damit der Zorn, der in mir brodelte, nicht zu übermächtig wurde, fing ich an, mir in den Nasenrücken zu kneifen. Genau das wollte sie. Sie wollte mich aus der Reserve locken, doch ich hatte nicht vor, darauf anzuspringen.

Konzentriere dich aufs Atmen. Ein und aus. Ein und aus.

Doch meine Mutter kam gerade erst in Fahrt. »Ich wusste sofort, dass es eine blöde Idee von dir war, nach Tampa zu gehen. Was willst du überhaupt dort? Du hättest hierbleiben und für mich arbeiten können. Ich hatte alles schon durchgeplant.«

»Das weiß ich, aber ich möchte meinen eigenen Weg gehen. Kannst du das nicht verstehen?«, unterbrach ich sie mit außergewöhnlich ruhiger Stimme.

»Nein, kann ich nicht. Jeder aus der Nachbarschaft fragt mich, wo du bist. Warum du dich anders entschieden hast. Weißt du, wie peinlich es für mich ist, ihnen sagen zu müssen, dass du einfach so weggegangen bist?«

Hello Again! Da war sie ja wieder.

Ich nahm das Handy vom Ohr und schaute kurz aufs Display. Unser Telefonat dauerte bislang exakt drei Minuten und dreißig Sekunden. Nach weniger als fünf Minuten hatte sie es geschafft, von mir zu sich zu wechseln.

»Mom, es tut mir leid, wenn ich dich in eine blöde Situation gebracht habe, aber ich muss selbst herausfinden, was ich aus meinem Leben machen will. Ich habe die Entscheidung für mich getroffen, nicht um dir damit wehzutun.«

Dass sie der Tropfen war, der mein Fass zum Überlaufen gebracht und mich in die Flucht getrieben hatte, verschwieg ich. Es würde ohnehin nichts bringen. Sie würde es nicht verstehen.

Ihre Stimme war einige Oktaven nach oben gewandert und ein zartes Zittern hatte sich daruntergemischt.

Wirklich fabelhaft!

Wenn sie etwas gut konnte, dann war es auf Kommando heulen. Und sie wusste, dass sie mir damit ein schlechtes Gewissen machte.

»Du hast es trotzdem geschafft, mich damit zu verletzen. Ich habe in den vergangenen Monaten meinen Kunden erzählt, wie stolz ich bin, dass du bei mir einsteigst. Jetzt muss ich wie ein Hund vor ihnen kriechen und diese Aussage revidieren. Kannst du dir vorstellen, wie unprofessionell so etwas wirkt?«

Öhm, nein? Ich glaube auch nicht, dass es deine Kunden interessiert, ob deine Tochter für dich arbeiten wird oder nicht.

»Und«, fuhr sie fort, »dazu kommt, dass ich mich seit deinem Verschwinden nur noch mit deinem Vater streite.«

Huch, das war aber ein schneller Themenwechsel. Bei dem Tempo würde sogar Flash vor Neid erblassen. Scheinbar trug ich jetzt auch die Schuld an ihren Eheproblemen.

»Er hat mir von dem Geschenk erzählt …«

Shit! Dad hatte sie nicht eingeweiht.

»Ich habe mich wirklich sehr über das Geschenk gefreut. Es bedeutet mir wirklich viel.« Instinktiv griff ich mir ans Herz. Diese Geste berührte mich immer noch zutiefst. Jetzt, wo ich wusste, dass er es hinter dem Rücken meiner Mutter gemacht hatte, sogar noch mehr.

»Ja, das kann ich mir vorstellen.«

Von der Trauer in ihrer Stimme war nichts mehr zu hören. Hatte sie einen eingebauten Schalter im Hirn, den sie nach Belieben umlegen konnte? Von zu Tode betrübt auf unendlich vorwurfsvoll in drei Sekunden. Damit hängte sie sogar einen Porsche 911 ab.

Es war der Wahnsinn!

Und das meinte ich wörtlich. Es war der Wahnsinn, der da aus ihr sprach. Eine andere logische Erklärung gab es für ihr Verhalten nicht.

»Mit diesem Geld wollte ich eigentlich einen Firmenwagen kaufen, damit du unabhängig von mir deine Aufträge erledigen kannst. Aber das ist ja jetzt nicht mehr nötig.«

Oh, Dad! Warum hast du mir das nicht gesagt?

»Das wusste ich nicht«, sagte ich kleinlaut.

Jetzt hatte sie es geschafft. In meinem Bauch erwachte ein flackerndes Licht, das schnell heller wurde und unangenehm in meiner Brust brannte.

Willkommen zurück, schlechtes Gewissen. Ich hatte dich überhaupt nicht vermisst.

»Mom, es tut mir wirklich leid und ich bin mir sicher, dass es Dad genauso leidtut. Wenn du willst, zahle ich dir das Geld zurück.«

Hatte ich das gerade wirklich gesagt?

»Na so weit kommt es noch! Was sollen denn die Nachbarn von uns denken?«

Woher sollten sie es denn überhaupt wissen? Ach, was dachte ich da überhaupt! Mom hatte ihnen bestimmt schon erzählt, welch großzügiges Geschenk ich von ihnen – ja, von ihnen, nicht von Dad – zum Abschluss bekommen hatte. Das sie mir das Studium finanzierten und das ich es ohne ihre Unterstützung nicht schaffen würde. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie meine Mutter in einer Traube von Menschen stand und ihnen ihre Uneigennützigkeit vor die Füße kotzte.

Genau das brauchte sie.

Die Bestätigung der Menschen um sie herum, dass sie die Größte war.

Der Nabel der Welt, ohne den alles zusammenbrechen würde.

Die Retterin in der Not, ohne die nichts funktionieren würde. Genau das waren die Streicheleinheiten, die ihr Ego regelmäßig brauchte.

Da ich auf ihre Frage nichts erwiderte, echauffierte sie sich ungeniert weiter. »Aber komm ja nicht angekrochen, wenn du merkst, dass es ein Fehler war, nach Florida zu gehen. Ich weiß nicht, ob dann immer noch ein Platz in der Firma auf dich wartet.«

»Lieber gehe ich auf dem Strich anschaffen, als zurückzukommen«, flüsterte ich so leise, dass sie es nicht hören konnte.

»Hast du etwas gesagt?«

»Nein, Mom. Ich kann mich nur erneut dafür entschuldigen. Es tut mir leid, dass ich dich in so eine missliche Lage gebracht habe. Es tut mir leid, dass dich mein plötzlicher Aufbruch verletzt hat, und es tut mir leid, wenn ich deine Pläne durcheinandergebracht habe. Aber ich glaube wirklich, es war die richtige Entscheidung.«

Sie räusperte sich laut. »Na ja …«

Das nachfolgende schnalzen mit der Zunge war nicht zu überhören. »Ich nehme deine Entschuldigung an.«

Sie klang wie ein bockiges Kind, dem man vor dem Abendessen die Schokolade weggenommen hatte.

»Also, mein Honigbärchen, ich muss jetzt auflegen. Melde dich, sobald du eingeschrieben bist und ein vernünftiges Dach über den Kopf hast. Ich möchte den Leuten nicht sagen müssen, dass meine Tochter wie eine Landstreicherin von einem Haus zum nächsten zieht.«

»Das mache ich, Mom.«

»Bis dann!« Ein Knacken ertönte, im Anschluss brach die Verbindung ab und die Leitung war tot. Sie hatte nicht einmal gewartet, bis ich mich verabschiedet hatte.

Ich pfefferte das Telefon aufs Bett, schnappte mir das Kopfkissen und presste es mir ins Gesicht.

Dann schrie ich, bis ich in meinem Hals ein trockenes Kratzen spürte.

Hatte ich echt angenommen, es würde ein schönes Gespräch werden? Nein, hatte ich nicht. Aber damit hatte ich auch nicht gerechnet. Obwohl … eigentlich doch.

Es war zum verrückt werden!

Manchmal hatte ich den Hauch einer Hoffnung, dass sich meine Mutter ändern würde. Dass sie anfangen würde, sich um mich zu kümmern und sich für mich zu interessieren.

Nach diesem Gespräch war mir mal wieder klargeworden, dass dies ein ewiger Traum bleiben würde.

Das Kissen landete wieder auf der Matratze und begrub mein Handy unter sich. Besser so! Für heute hatte ich genug von all dem Scheiß.

Ich streckte die Beine aus, stand auf und lief zum Spiegel, der neben Camys Schreibtisch hing.

Ich sah genauso aus, wie ich mich fühlte. Blass und eingeschüchtert. Die Haare standen wirr in alle Richtungen ab, nur mein Pony klebte mir in der Stirn.

Mit den Fingern bändigte ich das Chaos, das auf meinem Kopf herrschte. Letztendlich fasste ich meine Haare zu einem hohen Dutt zusammen und kniff mir danach in die Wangen, um wieder etwas Farbe in mein Gesicht zu zaubern. Immer noch schrecklich, aber zumindest sah ich nicht mehr wie Gargamel aus.

Nachdem ich wieder tageslichttauglich war, schnappte ich mir mein Portemonnaie und verließ das Zimmer.

Jetzt brauchte ich wirklich ein riesiges Stück Pizza. Und Schokolade. Tonnen von Schokolade …

Kapitel 7Zuckersüße Gefühlsentgleisung

 

 

Unsere Bäuche waren vollgestopft mit Pizza, unter den Armen balancierten wir Schokoladenriegel und Chips zurück zum Studentenwohnheim.

Mittlerweile war es später Abend und allmählich erlosch das Tageslicht und machte Platz für die Lichter der Stadt. Der graublaue, wolkenlose Himmel wurde immer wieder von bunten Laserstrahlen durchbrochen, die von den umliegenden Klubs in die heranbrechende Nacht geschossen wurden. Dazu vibrierten tiefe Basstöne über die Häuserwände und durch den Boden. Jetzt krochen auch die verbliebenen Studenten aus ihren Löchern und zeigten sich. Wer nicht mit zur Summerbreak-Party gefahren war, stürzte sich ins Nachtleben von Tampa.

Und hier gab es eine große Auswahl an Aktivitäten. Neben unzähligen Klubs und Bars waren vor allem die Stippklubs bei den weiblichen Campusbewohnern überaus beliebt. Meinte Camy jedenfalls.

Und jetzt, wo ich mit eigenen Augen sah, wie die Frauen gekleidet waren, glaubte ich ihr auch. Die meisten von ihnen trugen Klamotten, die eher einem schmalen Gürtel glichen als einem Rock. Die Rückansichten der an uns Vorbeistolzierenden bestätigte dies, denn auch hier sah man mehr Arschbacke als Bein.

Camy konnte nicht umhin, abfällig zu schnauben, als die nächste Truppe an uns vorbeigestakst war. »Ich habe nichts gegen nackte Haut, aber kann man die nicht wenigstens mit ein wenig Würde präsentieren?«

Dem konnte ich nicht zustimmen. Von mir aus sollten sie nur. Wie hieß es so schön? Wer hat, der kann. Hätte ich so eine Figur, würde ich mich wohl auch in so eine Wurstpelle zwängen.

Hatte ich aber nicht.

Ich war zu klein, mit zu vielen Kurven, sodass ein Minikleid an mir eher wie ein Kartoffelsack wirkte und ich wie ein Gartenzwerg aussah. Erschwerend kam hinzu, dass ich mich permanent unwohl in meiner Haut fühlte. Wenn einem von klein an eingebläut wurde, dass man das Gegenteil von schön ist, fällt es schwer, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen.

Der Lieblingsspruch meiner Mutter, wenn ich vor dem Spiegel mit meinem Aussehen herumexperimentiert hatte, lautete: »Aus einer Nebelkrähe macht man keinen Silbervogel.« Das sagte doch eigentlich alles.

Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, erreichten wir das Wohnheim und flitzten in Camys Zimmer zurück. Genau in dem Moment, wo wir unsere süßen Sünden auf den Fußboden fallen ließen, klingelte ihr Handy. Während sie es aus der Gesäßtasche ihrer Jeans angelte, schnappte ich mir die Jelly Beans und schmiss mich rücklings auf das Bett ihrer Mitbewohnerin. Ich riss die Tüte auf und stopfte mir gleich eine ganze Hand von den Dingern in den Mund. Ich liebte Jelly Beans, vor allem die Rosafarbenen, die wie Zuckerwatte schmeckten.

Camy hingegen stand mittig im Zimmer und verzog Mund und Nase so, als hätte sie gerade einen tiefen Atemzug aus einer öffentlichen Damentoilette genommen.

»Waf if?«, schmatzte ich mit halb vollem Mund und hielt mir schnell die Hand vor die Lippen, da ich sonst die Jelly Beans wieder ausgespuckt hätte.

»Eine Nachricht von meinem Bruder. Dieser Vollidiot. Sieh dir das an.« Schnurstracks schmiss sie das Handy in meine Richtung. Es landete ungebremst auf meinem vollen Pizzabauch. »Uff.« Schnell schluckte ich die letzten Beans runter und rappelte mich auf. »Danke für die Vorwarnung.«

»Sorry, aber diese Knalltüte macht mich rasend.«

Nachdem ich mich von der Wurfattacke erholt hatte, hielt ich mir das Handy vors Gesicht und betrachtete das Bild. Auf dem ersten Blick erkannte ich nichts Auffälliges. Nur vier Kerle auf einer Beachparty. Dank der Bilder, die Camy mir zuvor gezeigt hatte, erkannte ich ihren Bruder auf Anhieb. Jedoch hätte ich auch so gewusst, wer ihr Bruder war. Er sah genauso aus wie Camy, nur eben als männliche Variante. Die schmale Nase, die hohen Wangenknochen und die mandelförmigen Augen, die durch dichte, dunkle Augenbrauen umrandet waren. Einzig die schwarzbraunen Haare und der Dreitagebart unterschieden ihn von seiner Schwester.

Zwei schlanke, aber durchtrainierte Typen, standen links und rechts von ihm und hatten je einen Arm um seine Schultern gelegt.

---ENDE DER LESEPROBE---