Dark: Faith - Josy B. Heard - E-Book

Dark: Faith E-Book

Josy B. Heard

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Beschreibung

Durch diese Tür zu gehen und Tobias aus ihrem Leben zu streichen, war die schwerste und gleichzeitig beste Entscheidung, die Evy treffen konnte. Dachte sie jedenfalls. Doch wie es der Zufall so will, wird aus ihrem Plan, Tobias zu vergessen nichts. Denn plötzlich wird er ihr Nachbar und zieht im Vaughns neben ihr ein. Wie soll sie ihm aus dem Weg gehen, wenn sie ihm ständig über den Weg läuft? Dazu macht er die Sache nicht gerade leichter für sie. Aus seiner anfänglichen Ignoranz wird bald der Wille, sie zurückzuerobern. Wie wird sie sich diesmal entscheiden? Kann sie ihm vergeben oder hält sie an ihrer Meinung fest, dass sie etwas Besseres als ihn verdient hat? Und als wäre das Gefühlschaos nicht schon perfekt, taucht ein neuer Stern am Himmel auf, der Evy mit seinem Glanz zu sich lockt. Kann Will ihr vielleicht das Licht schenken, das sie sich von Tobias versprochen hatte?

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Dark

Faith

 

 

 

 

 

 

 

Roman

Band 2

 

Josy B. Heard

 

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors/Herausgebers untersagt. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

 

 

 

Impressum:

© 2022 Copyright by Josy B. Heard

1. Auflage 06/2022

Cover: © 2022 Copyright by Josy B. Heard

Umschlaggestaltung: © 2022 Copyright by Josy B. Heard

Bildmaterial: Adobe Stock, Canva

Layout: Josy B. Heard

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

ISBN:

 

Herausgeber            

Josy B. Heard

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

www.josybheard.de

[email protected]

 

 

 

Für Debra

Weil du mein größter Fan bist.

 

 

 

 

Dieses Buch beinhaltet Themen wie

Selbstverletzung, Depressionen, Abhängigkeiten, toxische Beziehungen und Persönlichkeitsstörungen und kann für sensible Personen belastend sein.

 

Prolog Es war einmal

Kapitel 1 Erinnerung

Kapitel 2 Karma

Kapitel 3 Guten Morgen, liebe Sorgen

Kapitel 4 vorhersehbare Zufälle

Kapitel 5 Little Sweets

Kapitel 6 Vom Müssen und Wollen

Kapitel 7 Revanche

Kapitel 8 Orangensaft und Blaubeermuffins

Kapitel 9 Quid pro quo

Kapitel 10 schlechter Tag mit miesen Nachrichten

Kapitel 11 Lungenakupunktur

Kapitel 12 vegane Sonderwünsche

Kapitel 13 letzte Rettung

Kapitel 14 verräterisches Gedankengut

Kapitel 15 Splish Splash

Kapitel 16 geschmackvolle Anmache

Kapitel 17 Revolutionäre Aktivisten

Kapitel 18 Männchen und Frauchen

Kapitel 19 Wilder Ausflug

Kapitel 20 Grimhilde

Kapitel 21 Butter bei die Fische

Kapitel 22 Be Friends

Kapitel 23 nächtlicher Ausflug

Kapitel 24 Bonnie ohne Clyde

Kapitel 25 Neuer Tag, alte Sorgen

Kapitel 26 Roadtrip

Kapitel 27 Sweet Home, Alabama

Kapitel 28 Marzipan kann niemand leiden

Kapitel 28 Die nullte Stunde

Kapitel 29 Heute ist nicht Morgen

Kapitel 30 diplomatischer Roboter

Kapitel 31 Weder vergeben noch vergessen

Kapitel 32 Puderzucker

Kapitel 33 Mit den eigenen Waffen geschlagen

Kapitel 34 Bruce Benner gegen Jean Grey

Kapitel 35 Tanz der Äffchen

Kapitel 36 gewundene Pfade

Kapitel 37 gute und schlechte Fehler

Kapitel 38 unfaires Spiel

Kapitel 39 Regelwerk

Kapitel 40 Alternative Wahl

Kapitel 41 Geschmackssache

Kapitel 42 Abrissbirne

Kapitel 43 falscher Trost

Kapitel 44 unzureichende Medizinkenntnisse

Kapitel 45 Psst!

Kapitel 46 Frost und Sonnenlicht

Kapitel 47 saure Bekenntnisse

Kapitel 48 Brunftzeit

Kapitel 49 Irgendwann ist nicht niemals

Kapitel 50 Flieg nicht in das Licht

Kapitel 51 stichfeste Konsequenzen

Kapitel 52 barfüßiger Notruf

Kapitel 53 kunterbunter Abschiedsschmerz

Kapitel 54 schreckliche Erinnerungen mit Eisgeschmack

Kapitel 55 monkische Züge

Kapitel 56 symbolischer Soßenbinder

Kapitel 57 Fight to bee

Kapitel 58 Im Nachtbus Richtung Freiheit

Epilog

Danksagung

 

PrologEs war einmal

 

 

 

 

 

 

 

Märchen laufen immernachdemselben Schema ab. Ein vernachlässigtes Mädchen wächst im Schatten ihrer bösen Familie auf, wird erniedrigt, missbraucht und ignoriert. Irgendwann taucht wie aus dem Nichts ein edelmütiger Ritter auf, befreit das Mädchen und verliebt sich unsterblich in sie. Sie heiraten, bekommen eine Schar von Kindern und leben glücklich bis an ihr Lebensende. Etwas, was sich wohl jedes Mädchen erträumt …

Doch was ist, wenn der Prinz überhaupt kein Prinz ist? Wenn er nicht die Rettung ist, sondern das Verderben?

Was passiert mit dem Mädchen, wenn es sich verliebt und dann merkt, dass ihr Traum vom edlen Prinzen in Wahrheit ihr schlimmster Albtraum ist?

Was macht das Mädchen dann?

Kapitel 1Erinnerung

 

 

 

 

 

 

 

»Was ist eineSeele?« Professor DaCosta schritt durch die Reihen des Hörsaals.

Ihre Heels knallten dumpf über den Holzfußboden. »Und gibt es sie überhaupt?« Die Augen von zweihundert Studenten folgten ihr durch den Raum.

»Jacob«, rief sie einen Typen aus der mittleren Reihe auf, der aussah, als hätte er seine Seele bereits an den Teufel verkauft.

Prompt rutschte er nach oben und räusperte sich. »Die Seele ist der subjektive Geist, sofern es sie überhaupt gibt. In alten Kulturen glaubte man, dass die Seele das ist, was den Menschen ausmacht. Eine Art Materie, die den Körper bewohnt und ihn leitet und nach dem Tode weiter existiert.«

»Und was ist deine Meinung dazu?« Professor DaCosta nahm ihr feines Brillengestell von der Nase und hielt sich den Bügel an den Mundwinkel. Jacob überlegte einen Augenblick, ehe er die Schultern hob.

»Ich glaube, die Seele ist nichts weiter als unsere Persönlichkeit, geprägt von den Ereignissen des Lebens.«

»Und was geschieht mit ihr, wenn wir sterben?«

»Sie stirbt mit uns«, entgegnete er kühl.

»Und glaubst du, dass wir es in der Hand haben, was aus unserer Seele wird? Denkst du, dass es an uns ist, sie zu formen?«

Im Hörsaal breitete sich eine angespannte Stille aus. Alle warteten auf Jacobs Antwort.

Er hüstelte und antwortete mit rotem Kopf. »Ich glaube, dass wir nur bedingt für unsere Seele verantwortlich sind. Was aus ihr wird, obliegt zumeist den Dingen, die ihr widerfahren. Erfährt sie Schmerz, so wird sie leiden. Erfährt sie Zuneigung, so wird sie lieben. Die Seele entwickelt sich nicht immer so, wie wir es uns wünschen, doch es liegt an uns zu entscheiden, wie wir damit umgehen.«

Ein Raunen wallte durch die Menge. Ich wandte meinem Blick von Jacob ab, der betreten auf seinem Stuhl umherrutschte.

»Danke, Jacob.« Professor DaCosta tippelte zurück zu ihrem Pult. »Ihre Aufgabe für die nächste Stunde ist es herauszufinden, welches Schlüsselereignis Sie in Ihrem bisherigen Leben am meisten geprägt hat. Sowohl positiv als auch negativ. Was glauben Sie, hat Ihre Seele zu dem gemacht, was sie jetzt ist?«

Tischbänke klapperten, Stühle knarrten und Geplapper setzte ein.

»Wir sehen uns nächsten Dienstag.«

Die Psychologievorlesung endete wie immer pünktlich. Professor DaCosta nahm den Zeitplan sehr genau und erwartete dies auch von ihren Studenten. Wer zu spät kam, musste draußen bleiben. Und da das Self Assessment immer näher rückte, wollte niemand etwas verpassen.

Professor DaCosta hüllte sich weiterhin in Schweigen und verriet uns kaum nennenswerte Details, was dort auf uns zukam. Nur das der Test mündlich stattfand, hatte sie uns verraten. Wenigstens stand der Tag schon fest, was bedeutete, dass mir noch fünf Wochen blieben, um mich darauf vorzubereiten.

Fünf viel zu kurze Wochen.

Meinen Traum, Psychologin zu werden, wollte ich auf gar keinen Fall aufgeben, doch bei dem Gedanken an den Test bekam ich Herzrasen und Ohrensausen. Und das gleichzeitig.

Ich hatte tierische Angst davor, dass sie erkennen würden, dass eigentlich ich diejenige war, die eine Therapie benötigte, anstatt darauf hinzuarbeiten, selbst welche zu geben.

Was auch nicht ganz abwegig wäre. Je mehr ich in den Stoff eintauchte, je mehr ich las, umso bewusster wurde mir, wie nötig ich selbst eine Psychotherapie hätte. Doch ich war nicht bereit dafür. Und wusste nicht, ob ich es jemals sein würde.

Ich dachte wirklich, dass wir uns gegenseitig retten könnten. Dass ich das mit dir durchstehen könnte. Doch ich kann es nicht. Und das tut mir am meisten leid.

Zwei Wochen waren vergangen, seit ich diese Sätze laut ausgesprochen hatte.

Zwei Wochen, seitdem ich aus seiner Wohnungstür getreten war und er sie hinter mir zugeknallt hatte.

Vierzehn Tage, acht Stunden und vierunddreißig Minuten …

»Buenos días, Evy. ¿Tienes hambre?« Joseph lehnte an der Wand, als ich aus dem Hörsaal trat. Neben ihm stand Samantha. Sie hielten Händchen und strahlten mich an.

»Redest du mit mir auch irgendwann Mal wieder in einer Sprache, die ich verstehe?«

»Sí, señorita, así es.«

Ich stöhnte laut und verdrehte die Augen. Seitdem feststand, dass Joseph mit Samantha in den Winterferien nach Argentinien reisen würde, sprach er fast durchgehend spanisch.

Samantha studierte Biologie und wollte in der Semesterpause in Patagonien irgendwelche Pflanzen- und Bodenproben nehmen. Joseph würde sie begleiten. Selbst auf ihren Einwand hin, dass sie kaum mit spanisch sprechenden Menschen in Berührung kommen würden, da sie die meiste Zeit alleine durch die Pampa stiefelten, bestand Joseph weiterhin darauf, seine Sprachkenntnisse aufzufrischen.

Sehr zu meinem Leidwesen, denn das einzige spanische Wort, das ich kannte, war Despacito.

Ein Wort, das in seinem Sprachschatz gänzlich fehlte, denn Joseph ging nichts langsam oder gemächlich an. Bei ihm ging es immer gleich auf die Überholspur und das mit Vollgas. Nur Clays Abweisung hatte ihm einen kurzen Dämpfer verpasst, doch seit Samantha an seiner Seite war, nahm er wieder Fahrt auf.

»Steht unsere Verabredung heute Abend noch?«, fragte er, während wir in Richtung Wohnheim liefen.

»Wieso sollte sie nicht mehr stehen?«

»Na ja, es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass du kurzfristig absagst.« Er bedachte mich mit einem vorwurfsvollen Blick.

»Lass sie in Ruhe. Sie hatte ihre Gründe«, kam mir Samantha zur Hilfe, woraufhin ich sie dankbar anlächelte.

»Um acht bei dir. Ich habe es mir notiert und ich werde kommen«, sagte ich mit Nachdruck.

»Und denk an die Pizza!«

Meine Hand schnellte zur Stirn. »Aye, aye, Käpt’n.«

Joseph verpasste mir einen Klaps auf den Arm, der mich schmunzeln ließ, dann liefen wir gemeinsam nach draußen.

Ich freute mich auf heute Abend, auch wenn es gedauert hatte, mich wieder hinauszuwagen. Ich merkte jedoch, dass es an der Zeit war, die Vergangenheit loszulassen und mir das Leben zurückzuholen, welches ich mir aufbauen wollte. Der Filmabend mit Jo und Samantha war der erste Schritt zurück in die richtige Richtung.

Am Vaughn Center verabschiedeten wir uns. Anders als ich wohnte Joseph nicht auf dem Campus, sondern in einer Einraumwohnung im Hyde Park, keine zehn Minuten von der Universität entfernt. Das Geld für die Miete erhielt er von seinen Eltern. Die ihren Sohn mit Freude unterstützten, damit er sich voll und ganz auf sein Studium konzentrieren konnte. Nicht wie bei mir.

Ich hatte von meiner Mutter nur Vorhaltungen bekommen, lediglich mein Vater hatte mich mit einer großzügigen Summe Geld unterstützt, die mir in der ersten Zeit den Rücken freigehalten hatte. Doch das Geschenk, das er mir zum Abschluss gemacht hatte, schrumpfte schnell und auf meinem Konto bewegte sich das Plus nur noch minimal oberhalb des dreistelligen Bereichs. Daran änderte auch der Scheck, den ich für meinen Putzjob in der Workout Zone erhalten hatte, nicht viel. Die Wohnheimkosten waren vergleichsweise günstig, doch die Nebenkosten fraßen sich durch mein Guthaben wie eine Raupe durch den Speck.

Speck, den ich laut Ms. McFaith zu viel auf den Hüften hatte und welcher der Grund gewesen war, warum sie meinen Arbeitsvertrag nach dem Probemonat nicht verlängert hatte.

Diese doofe Schnepfe.

Sie hatte mich mit der Begründung, ich würde nicht ins Portfolio ihres Etablissements passen, entlassen, wodurch ich jetzt gezwungen war, mir einen neuen Job zu suchen. Eine schier unmögliche Aufgabe, die angesichts der mangelnden Stellenangebote zu einem roten Schandfleck auf meiner To-do-Liste mutiert war. Jedes Mal, wenn ich mein Bullet Journal aufklappte, leuchtete mir dieser Punkt mit Wimpeln und blinkenden Pfeilen entgegen und verhöhnte mich.

Das war einer der Hauptgründe, warum ich es in den letzten Wochen kaum aus meiner Tasche geholt hatte. Es gab aber auch noch einen weiteren guten Grund, warum es auf meinem Taschenboden versauerte. Da war noch dieses Märchen, das drinstand und welches ich nicht ein weiteres Mal lesen wollte.

Die Geschichte über den gefallenen Prinzen.

Tobias’ Lebensgeschichte, die neben meiner eigenen Tragödie verewigt war und die mich daran erinnerte, was ich verloren hatte.

Nein, was ich aufgegeben hatte.

Was ich aufgeben musste, damit meine Seele keinen weiteren Schaden nehmen konnte.

Blödes Bullet Journal!

Blödes Herz, das immer noch schmerzte, wenn ich an ihn dachte!

Blöder Tobias!

 

Kapitel 2Karma

 

 

 

 

 

 

 

Der Herbst hielt Einzug in Florida. Die Stimmung auf dem Campus war gedämpft, alle sehnten das Semesterende herbei und schleppten sich träge durch die Tage. Auch das sommerliche Wetter hatte keine Lust mehr und zog sich endgültig zurück. Die Temperaturen stiegen nur noch selten über fünfundzwanzig Grad, dazu gesellten sich lange kräftige Regenschauer. Wer bislang gedacht hatte, in Florida würde es nur Hitze und Sonnenschein geben, der wurde spätestens jetzt eines Besseren belehrt.

Doch ich mochte den Herbst. Die frischen Winde, die er über den Golf von Mexiko schickte, und der verhangene Himmel, der flauschige Wolken über Tampa transportierte. Alles war besser als sengende Hitze und kochend heiße Luft, die einen die Atemwege verödeten.

In den letzten Tagen hatte ich meine Short durch weite Haremshosen ersetzt, noch ein Grund, warum mir der Herbst lieber war als der Sommer. Endlich war ich nicht mehr gezwungen Haut zu zeigen.

Was mich jedoch am meisten Freude war der Umstand, dass meine Haare langsam nachwuchsen. Der Longbob, der mir durch Camy und Joseph verpasst worden war, war nur noch ansatzweise zu erkennen. Dafür kamen jetzt wieder meine natürlichen Wellen durch, die ich so vermisst hatte. Ein zweites Mal würde ich sie nicht an meinen Kopf lassen, da war ich mir so sicher wie Trump mit seiner Meinung zum Betrug bei den letzten US-Wahlen.

Ich nahm noch einen kräftigen Atemzug der frischen Luft, dann verschwand ich im Vaughn. Doch der Weg nach oben in mein Zimmer erwies sich als echte Geduldsprobe. Männer einer Umzugsfirma schleppten einen dreitürigen Kleiderschrank vor mir nach oben und stellten sich dabei ziemlich bescheuert an. Irgendwann schafften sie es dann doch, den Schrank um die Ecke des Korridors zu wuchten und damit durch den Gang zu wanken.

Ich betete dafür, dass ich keinen neuen Nachbarn bekam. Die gegenüberliegenden Zimmer zu meinem standen frei und darüber war ich sehr dankbar. Bei Camy, die eine Etage über mir wohnte, herrschte ein Lärmpegel, bei dem selbst ein Konzert von Guns N' Roses wie eine Oper wirkte. Bis spät in die Nacht hinein wurde dort gefeiert, getrunken und auf den Gängen herumkrakeelt. Da ich gerne zeitig ins Bett schlüpfte und meine acht Stunden Schlaf brauchte, um einigermaßen funktionstüchtig zu sein, wäre es mein wahrgewordener Albtraum, wenn sich zukünftig solch ein Radau direkt vor meiner Zimmertür abspielen würde.

Leider wurden meine Hoffnungen jäh zerstört, als die Möbelpacker den Schrank absetzen. Direkt vor meiner Tür.

»Ich müsste da rein«, entgegnete ich und wedelte mit dem Schlüsselbund vor ihren Nasen herum.

»Oh, na klar.« Die Männer hievten den Schrank beiseite und ich schlüpfte in mein Zimmer.

»Wunderbar!«, knurrte ich und schmiss meine Tasche aufs Bett. Anstatt darauf zu landen, verfehlte sie das Bett um einen halben Meter und krachte auf den Boden. Natürlich hatte ich vergessen, den Reißverschluss zu schließen, wodurch sich der gesamte Tascheninhalt auf den Fußboden ergötzte und es jetzt aussah, als hätte Hermine Grangers Zauberbeutel ins Zimmer gekotzt. Meine Laune sank rapide nach unten, dabei hatte der Tag eigentlich so gut begonnen. Murrend machte ich mich daran, meinen Kram wieder zusammenzupacken, als es an meine Tür klopfte.

»Ich komme!« Wer auch immer das war, er oder sie hatte sich keinen guten Zeitpunkt ausgesucht, um mich zu stören. Etwas zu stürmisch riss ich die Zimmertür auf.

»Hey, meine Steckdosen funktionieren nicht. Kann ich mein Handy bei dir lad…?« Das Ladekabel halb in seiner Hosentasche steckend, hob er den Kopf und sah mich an.

Ich war wie gelähmt. Mein Kopf versuchte, seinen Anblick zu verarbeiten. Ich versuchte, seinen Anblick zu verarbeiten.

»Du«, sagte er.

»Ich«, erwiderte ich genauso perplex.

»Ich such mir jemand anderen.«

Ehe ich etwas erwidern konnte, drehte er sich um und verschwand im gegenüberliegenden Zimmer.

Irgendjemand im Universum musste mich wirklich aus tiefstem Herzen hassen. Wieso sonst sollte ausgerechnet er neben mir einziehen?

Oder es war einfach Karma?

Noch immer auf die Tür starrend, hinter der er soeben verschwunden war, schloss ich langsam meine wieder. Sie fiel mit einem laut Klacken ins Schloss. Einige Sekunden stand ich ganz steif und probierte fieberhaft, einen klaren Gedanken zu fassen. Nachdem meinem Körper wieder eingefallen war, wie man atmete, ließ ich meinen Kopf auf das kalte Holzbrett sinken, bevor ich ihn einige Mal hart dagegen donnerte.

Ausgerechnet Tobias McFaith war mein neuer Nachbar.

Halleluja!

 

Kapitel 3Guten Morgen, liebe Sorgen

 

 

 

 

 

 

 

Der Filmabend bei Jo verlief schleppend. Nach der schockierenden Begegnung im Vaughn war ich wie ausgeknockt gewesen. Natürlich hatten die zwei das bemerkt und herauszufinden versucht, welche Maus mir über den Käse gelaufen war. Ich hatte es trotz ihrer Beharrlichkeit geschafft, die Klappe zu halten. Auch wenn ich eigentlich lieber die ganze Zeit geflucht und mit meinen Fäusten einen Boxsack bearbeitet hätte. Noch immer hatte ich die Hoffnung, dass diese Begegnung nur ein böser Traum von mir gewesen war.

Eine Halluzination.

Und da ich ihn am Abend, als ich nach Hause kam, nicht noch einmal traf, bestand durchaus die Möglichkeit dazu.

Es war kurz vor neun Uhr am Morgen. Seit zehn Minuten hielt ich die Türklinke fest und lauschte. Ich wollte Camy vom Flughafen abholen. Sie war in den Herbstferien bei ihrer Familie in Montana gewesen und da ihre erste Vorlesung am Freitag war, kam sie heute wieder. Ich wollte sie überraschen und hatte sogar so ein lächerliches Willkommensschild gebastelt. In Filmen fand ich es immer niedlich, wenn jemand mit so einem Schild am Flughafen empfangen wurde. Außerdem wollte ich so was schon immer für jemanden machen. Bislang hatte es nur nie jemanden gegeben, der mir so wichtig gewesen wäre, dass er ein Willkommensschild verdient hätte. Darum war Camy gewissermaßen mein erstes Mal.

Mein Ohr presste sich gegen die Tür. Es war still.

Zu still.

Ein letztes Mal holte ich tief Luft, dann öffnete ich die Tür und spähte in den Flur. Es war niemand zu sehen. Ich wagte mich weiter vor und schloss die Tür wieder genauso leise, bevor ich auf Zehenspitzen über den Teppichboden schlich. Nach nicht einmal drei Metern polterte es hinter mir.

»Guten Morgen«, ertönte die raue, altbekannte Stimme.

Ich schloss die Augen und biss mir auf die Wangeninnenseite.

»Morgen«, presste ich hervor. Ich ließ mich auf meine Füße fallen und drehte mich um.

Tobias stand im schwarzen Shirt und Jogginghose vor seiner Tür. Seine Haare kräuselten sich feucht vom Duschen, in seiner Hand baumelte ein Rucksack, der schon bessere Zeiten erlebt hatte. Er schob ihn sich lässig über die Schulter und starrte mich an. Es war ein schier endloser Moment, der mit jeder Sekunde peinlicher wurde, denn keiner von uns beiden wusste, was er sagen oder machen sollte.

Tobias erwachte als Erstes aus seiner Regungslosigkeit. »Ich muss zur Vorlesung.« Er setzte sich in Bewegung, stapfte an mir vorbei, während mich sein Geruch völlig unvorbereitet traf. Leder und herbe Schokolade, dazu ein dezenter Hauch seines Waschpulvers. Als wäre es ein angeborener Reflex, den ich nicht unterdrücken konnte, atmete ich tief ein, als er sich an mir vorbeischob. Sofort schossen mir die bitteren Erinnerungen unserer letzten Begegnung wieder in den Kopf.

Sein gequältes Gesicht.

Die Enttäuschung, die sich darin gespiegelt hatte.

Die Wut, als ich gegangen war.

Sie holten mich ins Hier und Jetzt zurück. Ich sah ihm nach, wie er auf die Treppe zusteuerte und diese in einem hopsenden Schritt hinabstieg. Erst nachdem sein blonder Schopf vollends verschwunden war, konnte ich meine Beine wieder bewegen und stiefelte in den Waschraum.

 

***

 

Ich stand in der Ankunftshalle des Flughafens, vor meinen Füßen zwei Kaffeebecher, in meinen Händen das gebastelte Willkommensschild.

Die ersten Passagiere durchquerten die Sicherheitskontrolle. Ich streckte mich und hielt nach Camys lilafarbigem Kopf Ausschau, entdeckte ihn aber nicht. Immer mehr Menschen drängelten sich links und rechts vorbei. Ich war schon drauf und dran, das Schild runterzunehmen, als mir ein vertrautes Gesicht entgegenlächelte. Doch bei ihrem Anblick riss ich die Augen auf.

Der lilafarbige Undercut war verschwunden, stattdessen leuchtete ein türkisblauer Irokesenschnitt auf, der unkontrolliert wippte, während die Besitzerin dieser Frisur auf mich zugestürmt kam.

»Was machst du denn hier?«, quiekte sie vergnügt und schlang die Arme um mich.

»Ich wollte dich überraschen.« Ich drückte sie fest an meine Brust, ein Auge schielte jedoch auf ihren Kopf.

»Was ist mit deinen Haaren passiert?«, fuhr es aus mir heraus, als wir uns voneinander lösten. Camy drehte sich im Kreis, ehe sie sich sachte über die Haare fuhr.

»Sieht geil aus, oder? Ich hatte mich einfach sattgesehen und wollte was Neues ausprobieren.«

»Aber … das ist ein Iro!«

»Ich weiß. Ich war dabei, als Francis mir den verpasst hat.«

Immer noch hypnotisiert von dem ungewohnten Anblick, drückte ich ihr den Kaffee in die Hand. »Wer ist Francis?«

»Eine alte Freundin. Sie arbeitet als Hairstylistin und wollte neue Schnitte ausprobieren.«

»Und, da hast du dich nur allzu gerne dafür bereit erklärt.«

»Klar doch. Wieso auch nicht.« Sie zuckte beiläufig mit der Schulter, bevor ihr Blick zu mir wanderte. »Wenn ich dich so ansehe, solltest du das nächste Mal mitkommen. Du könntest auch mal wieder einen neuen Haarschnitt gebrauchen.«

»Danke, aber ich verzichte. Ich bin froh, dass meine Haare langsam wieder nachwachsen.«

»Ich weiß nicht, was du hast. Der Longbob hat dir wirklich gut gestanden.« Sie zog die Augenbrauen tief ins Gesicht. Ich ignorierte ihre Miene, die mir verriet, dass sie schon anfing, darüber nachzugrübeln, welche Frisur mir noch stehen könnte, und griff nach ihrer Hand. »Lass uns nach Hause fahren. Ich hab’ Lust auf Burger und einen Filmabend mit meiner besten Freundin.«

»Da bin ich dabei.«

 

***

 

Ich zappte durch das Programm auf der Suche nach einem passenden Film. Ich wusste nicht so richtig, wonach mir der Sinn stand und Camy hatte mir die Auswahl überlassen. Sie lag auf meinem Bett in einer innigen Umarmung mit meinem Kopfkissen.

»Also, was gibt es Neues?«, fragte sie und warf sich eine Handvoll Schokolinsen in den Mund.

»Du warst nur eine Woche weg. Was soll es da Neues geben?« Ich deutete auf meinen Laptop, auf dem die Beschreibung eines Horrorschockers zu lesen war. Camy rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. Ich suchte weiter.

»Als wir hergekommen sind, habe ich Musik aus dem anderen Zimmer gehört. Du hast einen neuen Nachbarn.« Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu, der mich nur seufzen ließ.

»Was? Ist es ein Nudist, der nackt durch die Gänge springt? Oder ist es eine Nymphomanin, die beim Bumsen schreit, als würde sie gerade abgeschlachtet werden?«

Ich verpasste ihr einen Klaps auf den Oberschenkel, der sie laut auflachen ließ.

»Weder noch«, murmelte ich vor mich hin.

»Wenn du mir nicht gleich ein paar Details gibst, geh ich rüber und sehe selbst nach.«

Ich starrte sie finster an und blieb stumm, sie starrte zurück.

»Wie du willst!« Camy schleuderte mir das Kissen entgegen und sprang auf.

»Bleib hier!«, sagte ich frustriert, »Tobias ist mein neuer Nachbar.«

»Du verarschst mich?« Ihr Gesicht wurde auf einmal ziemlich blass. Langsam hockte sie sich wieder aufs Bett und sah mich an. »Was will der hier? Ich dachte, seine Eltern scheißen das Geld wie Goldesel.«

Ich hatte Camy den Kurzabriss von Tobias’ Leben erzählt, ohne dabei groß ins Detail zu gehen. Sie wusste nur, dass sie eine erfolgreiche Fitnesskette betrieben und mit zahlreichen Sponsoren aus der Sportbranche kooperierten. Über die Entscheidung, die Tobias hatte treffen müssen, hatte ich Stillschweigen bewahrt. Und so wie es den Anschein machte, hatte er sich endgültig entschieden und musste jetzt mit den Konsequenzen leben. Doch da er jetzt hier im Vaughn wohnte, ließ den Schluss zu, dass er weiter an seinem Studium festhielt.

Eigenartigerweise freute sich ein kleiner Teil von mir darüber. Ich verdrängte diesen Teil jedoch schleunigst wieder. Tobias gehörte nicht mehr in meine Welt. Ich hatte dafür gesorgt, dass er nicht mehr dazugehört. Und eigentlich sollte ich froh darüber sein. Doch seitdem ich wusste, dass er neben mir wohnte, wurde eine kleine Stimme in mir laut, die meine Entscheidung, ihn aus meinem Leben zu verbannen, in Frage stellte.

»Ich habe ihn nicht gefragt und habe es auch nicht vor. Was hältst du von diesem Film?« Erneut deutete ich auf meinen Laptop. Cameron Diaz strahlte uns mit ihrem Zahnpasta-Lächeln an. Camy nickte und ich startete die Komödie.

In der Hälfte des Films legte Camy den Kopf auf meinen Bauch. Ich lag neben ihr im Bett, der Laptop stand auf meinem Schreibtischstuhl.

»Ich hoffe, du bleibst stark. Ich weiß, es war nicht einfach für dich, mit ihm zu brechen. Doch es war die richtige Entscheidung. Vergiss das bitte nicht.«

Verträumt fing ich an, mit einer bunten Haarsträhne von ihr herumzuspielen. »Mach ich nicht.«

Camy kuschelte sich enger an mich. »Gut.«

Es war wirklich unglaublich. In den letzten Monaten war sie zu einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden. Sie war meine Schwester. Meine Freundin. Mein Gewissen und meine Zuversicht. Sie bedeutete mir alles.

Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, das sie nicht sehen konnte. Die letzten Wochen hätte ich nicht überlebt, wenn sie nicht gewesen wäre.

»Ich bin froh, dass du wieder hier bist«, flüsterte ich.

Sie hob den Kopf und blinzelte. Die Müdigkeit der langen Reise zeichnete ihr Gesicht. »Ich bin auch froh, wieder hier zu sein.«

 

Kapitel 4vorhersehbare Zufälle

 

 

 

 

 

 

 

Camy schlief tief und fest und vereinnahmte mein gesamtes Bett. Sie lag auf dem Bauch, die Bettdecke unter sich, mit meinem Kissen in den Armen. Der bunte Irokese war ihrem nächtlichen Gewusel zum Opfer gefallen. Jetzt fielen ihr die Strähnen wild ins Gesicht.

Ich schnappte mir leise meinen Waschbeutel und ein Handtuch und schlich aus dem Zimmer. Zeitgleich öffnete sich die Nachbartür. Tobias’ Augen weiteten sich, doch sein Gesicht blieb unergründlich. Genau wie gestern trug er ein schwarzes Shirt und Jogginghose. Unter seinem Arm klemmte eine graue Tasche und ebenfalls ein Handtuch.

Einsame Klasse!

Morgen würde ich später gehen. Auf diese vorhersehbaren Zufälle bei der morgendlichen Routine hatte ich keine Lust.

Er murmelte etwas, das sich wie ein »Guten Morgen« anhörte und schlurfte an mir vorbei. Ich trottete stumm hinter ihm her.

An den Duschräumen angekommen, steuerte er nach rechts, während ich in den linken Gang einbog. Doch statt durch die Tür zu verschwinden, hinter der das gleichmäßige prasseln von Wasser zu hören war, verharrte er und sah mich an. Hitze schoss mir in die Wangen, als ich seinen Blick bemerkte. Er sah aus, als wollte er etwas sagen, doch stattdessen schüttelte er nur kurz den Kopf und schlüpfte durch die Tür. Irritiert verschwand auch ich in den Duschräumen. Was auch immer das werden sollte, ich würde nicht zuerst kleinbeigeben. Ich hatte ihn zwar verlassen, doch Fehler hatten wir beide gemacht. Er sogar noch schlimmere als ich.

Das heiße Wasser rieselte mit harten Schlägen auf meine müden Muskeln. Ich ließ mir sehr viel Zeit beim Duschen, in der Hoffnung, einer erneuten Begegnung aus dem Weg gehen zu können. Es funktioniere. Auf dem Rückweg begrüßte mich nur ein leerer, schummriger Gang. Kein blonder Schopf, keine blauen Augen, kein peinliches Schweigen.

Als ich mein Zimmer betrat, saß Camy quietschfidel auf dem Bett und knabberte an einer Lakritzstange.

»Wie kannst du um diese Uhrzeit nur so etwas essen?«

Sie blickte kurz zu mir auf, ehe sie sich wieder meinem Laptop widmete, der auf ihrem Schoss stand. »Zucker bringt meinen Stoffwechsel in Gang und da ich gleich auf den Sportplatz will, ist das mein Frühstück.« Sie wedelte die süße Nascherei durch die Luft.

»Du bist gestern erst wiedergekommen und willst schon wieder trainieren? Du bist echt nicht richtig im Kopf.«

Sie klappte den Laptop zu und biss erneut genussvoll in die Lakritzstange. »Wenn ich nicht trainiere, habe ich die Lakritzstange gleich auf den Hüften. Außerdem war ich in der letzten Woche ziemlich faul und brauch mal wieder etwas Bewegung.« Demonstrativ klopfte sie sich auf den Bauch, an dem kein Gramm Fett zu viel dran war. Ich hatte Camy schon mehrfach nackt gesehen und mit ihrem Körper könnte sie locker auf dem Cover der Sports Illustrated landen.

»Vielleicht sollte ich dich mal begleiten«, stieß ich frustriert aus. Mein Körper war ein einziger Wackelpudding. Mit Sport konnte ich noch nie viel anfangen. Ich war eher der Typ, der mit einer Chipstüte vor dem Fernseher herumlungerte und es sich zum Sport machte, möglichst viele Folgen von Game of Thrones an einem Stück anzusehen. Ich war nicht fett, nur etwas kurvenreicher und ohne Muskelmasse. Einen Umstand, den ich immer hatte ändern wollen, für den ich aber nie die Kraft hatte aufbringen können. Ohne passenden Motivator waren sämtliche Versuche von mir nach kürzester Zeit gescheitert und ich war erneut mit Salzgebäck vor der Glotze gelandet. Die Kommentare meiner Mutter über meine mangelnde Selbstdisziplin hatten dann noch ihr Übriges getan.

Ich stakste zu meinem Kleiderschrank und öffnete die Türen.

»Wenn du das möchtest. Warst du denn schon einmal joggen? Oder zumindest walken?«

Ich überging den amüsierten Tonfall in ihrer Stimme, doch es wurmte mich ein wenig, dass sie mich damit aufzog. Konnte ja nicht jeder so aussehen wie Amanda Bisk.

»Nein, aber ich bin mal erfolgreich vor einem Hund weggerannt, als ich noch die Zeitungen in unserer Nachbarschaft in Fort Payne ausgetragen habe.«

Ich hörte, wie Camy hinter vorgehaltener Hand kicherte.

»Ist ja gut. Dann eben nicht.« Bockig zog ich mir wahllos ein Shirt und eine Hose aus dem Klamottenstapel und knallte die Türen zu.

»Sei nicht eingeschnappt. Ich trainiere gerne mit dir. Es überrascht mir nur ein wenig, das ist alles.«

Sie schenkte mir einen versöhnlichen Augenaufschlag, der meinen Ärger nicht wirklich zügelte. Ich kehrte ihr den Rücken zu und schlüpfte in Windeseile in mein Oberteil. Anders als Camy war ich nicht so freizügig. Eigentlich hatte mich in letzter Zeit nur einer nackt gesehen und an den durfte und wollte ich nicht mehr denken.

Selbst Camy gegenüber war ich nicht so frei und ungezwungen, dabei wusste ich, dass sie mich nicht auslachen würde. Ich konnte mich dennoch nicht dazu durchringen, ihr meinen verhassten Bauch zu zeigen. Die Narben und Risse, die sich über die Haut spannten und mir so peinlich waren, dass ich selbst beim Schwimmen mein Shirt anbehielt.

Wenn ich recht darüber nachdachte, wäre Alaska der bessere Studienort für mich gewesen. Dort hätte ich mich zumindest die meiste Zeit des Jahres unter einer dicken Daunenjacke verstecken können. Hier in Tampa galt man schon als zugeknöpft, wenn man Hotpants anstelle eines Tangas als Badehose trug. Nicht, dass ich jemals freiwillig an den Strand gegangen wäre, um baden zu gehen.

»Wenn du willst, können wir nächste Woche eine Runde durch den Riverfront Park laufen?«

Ich brummte missmutig. »Ja, das können wir tun.«

Kapitel 5Little Sweets

 

 

 

 

 

 

 

Nachdem Camy sich verabschiedet hatte, verließ ich mein Zimmer. In der Cafeteria hatte ich ein interessantes Stellengesuch am Schwarzen Brett hängen sehen und wollte mir das mal genauer anschauen.

Es war ein Job als Barista in einem kleinen Café gleich um die Ecke. Die Arbeitszeiten klangen gut und auch die Bezahlung schien angemessen. Ich konnte bislang zwar keinen Kaffee kochen, ihn dafür aber außerordentlich gut trinken und wie schwer konnte es schon sein, so eine Maschine zu bedienen?

Jenny’s little Sweets & Coffee war ein kleines muckeliges Kaffeehäuschen in einem Eckgebäude.

Die Fensterdekoration bestand ausschließlich aus den Farben pink, rosé und grau sowie einem überdimensionalen Blumenarrangement, das in einer rostigen Gießkanne steckte.

Als hätten die Glücksbärchis eine Party gefeiert und vergessen aufzuräumen. Es war viel zu süß, zu kuschelig, zu flauschig. Das helle Glöckchen, das klingelte, als ich die Tür aufmachte, war genauso vorhersehbar wie die Fenstergardine, die an der Auslage angebracht war. Tortenkreationen, Kekse und süße Teilchen, bei denen ich schon beim bloßen Anblick einen Zuckerschock erlitt, sprangen mir freudig ins Auge und bettelten wie der Backofen aus Frau Holle. Zieh mich raus, zieh mich raus und futtere mich gleich.

Und ich konnte es nicht leugnen, bei dem Anblick lief mir das Wasser im Mund zusammen und der Gedanke daran, mit Camy joggen zu gehen und an meiner Figur zu arbeiten, verflüssigte sich wie Zuckerguss.

Zuckerguss, der weiß und glänzend über die Donuts lief und bestimmt himmlisch nach Vanille schmeckte.

»Gefällt dir, was du siehst?«

Ich schreckte zusammen und löste den Blick von der Auslage. Hinter einer antiken Registrierkasse stand ein Typ, der seine eisgrünen Augen auf mich richtete und mich ertappt anlächelte.

Für einen Moment hatte ich vergessen, wie man mit dem Mund Worte formte. Ich stammelte irgendeinen Kauderwelsch, was den Typen noch breiter grinsen ließ.

Diese Augen waren unglaublich und sie ließen einfach nicht von mir ab. Verlegen strich ich mir die Haare hinter die Ohren und ließ meinen Blick ein letztes Mal über die Backwaren streifen, ehe ich mich aufrichtete und an die Kasse herantrat.

»Und?«, fragte er gedehnt.

»Und?«, wiederholte ich die Frage wie ein begriffsstutziges Kleinkind.

»Womit kann ich dir dienen?«

»Mir dienen?«

Mit einer ausschweifenden Handbewegung zeigte er auf die Waren.

»Oh … Ach so … Ähm …«

»Geht es dir gut?« Das strahlende Lächeln glitt aus seinem Gesicht, stattdessen betrachtete er mich jetzt mit einem besorgten Ausdruck, der mir die Röte in die Wangen trieb. Gott, war das peinlich. Wie alt war ich denn bitte? Zwölf?

Ich räusperte mich und schüttelte die Hände aus. Dann reckte ich die Brust vor und ließ meine rechte Hand so schnell nach oben sausen, dass er vor mir zurückwich.

»Ich bin Evelyn und habe das Stellengesuch von euch gelesen. Ich würde mich gerne als Barista bewerben.«

»Ach, daher weht der Wind. Freut mich, Evelyn. Ich bin William Davis.« Er legte seine Hand in meine und drückte zu. Seine Haut war warm und geschmeidiger als ein frischgepuderter Babypopo. Allgemein wirkte William wie frisch gepudert. Die pechschwarzen Haare waren akkurat zur Seite gelegt und glänzten wie wachshaltige Schuhpolitur. Sein Gesicht war kantig, mit einer kräftigen Kinnpartie, auf der sich nicht einmal der Hauch eines Bartschattens abzeichnete. Er sah jung aus. Sehr jung. Wiederum verliehen ihm die immense Körpergröße und seine Statur etwas Lebenserfahrenes. Breite Schultern, kräftige Oberarme, starke Hände, er machte auf mich den Eindruck, als wäre er körperliche Arbeit gewohnt.

»Darf ich die wiederhaben?« Er zerrte an meiner Hand. Erst da bemerkte ich, dass ich seine nicht losgelassen hatte.

»Oh. Entschuldige bitte«, stammelte ich. Meine Ohrenspitzen fühlten sich verräterisch warm an und leuchteten bestimmt heller als Rudolphs Nase in einem Schneesturm. Er drehte sich von mir weg und ich nutzte diese Gelegenheit und schüttelte meine Haare aus, um meine Ohren und einen Teil meiner genauso heißen Wangen zu verdecken.

»Ich hole meine Mom. Ihr gehört der Laden. Wenn du willst, kannst du dich dorthin setzen.« William zeigte auf einen quadratischen Bistrotisch mit massiver Echtholzplatte, um den zwei vergoldete Metallstühle standen. Ich nickte und zwang mir ein aufgesetztes Lächeln auf die Lippen. Urplötzlich war ich nervös. William machte mich nervös. Seine Augen machten mich nervös.

Er verschwand hinter einem roten Vorhang, während ich mich auf einen der Stühle setzte und tief durchatmete. Ich faltete die Hände, legte sie auf die Massivholzplatte und strich mir mit dem rechten Daumen über den linken Handballen. Eine Eigenart, die ich mir angewöhnt hatte, um meine Nerven zu beruhigen. Lange wartete ich nicht, da bauschte sich der rote Vorhang erneut, und eine Frau in den Fünfzigern tänzelte durch den Raum, direkt auf mich zu.

In einer unbeholfenen Bewegung stellte ich mich hin und strich mir die Hände an der Hose trocken. Gerade noch rechtzeitig, denn die Frau streckte mir selbstbewusst ihre Hand entgegen. »Jennifer Davis. Du bist bestimmt Evelyn.«

»Ja, Ms. Davis, die bin ich.«

Sie hatte einen erstaunlich festen Händedruck. Erneut bot sie mir einen Platz an und wir setzten uns.

»Du bist wegen der Barista-Stelle hier? Hast du denn Erfahrungen?«, fragte sie. Ihre Augen sahen freundlich aus, auf ihrem Mund lag ein aufrichtiges Lächeln, doch ihr Gesicht kam einer Landkarte gleich. Falten um die Augen, um den Mund, auf der Stirn, rings um die Nase. Sie zeugten von einem glücklichen und zufriedenen Leben.

Ihre rotblonden Haare waren mit einem Tuch nach oben gebunden, einige Strähnen rahmten ihr Gesicht ein.

Ich schmunzelte. »Nein, das nicht. Aber ich trinke gerne Kaffee.«

Sie lachte rau und kräftig. »Das sind schon mal optimale Voraussetzungen. Wie könntest du denn arbeiten?«

»Ich bin sehr flexibel. Ich wohne auf dem Campus gleich um die Ecke und habe in diesem Semester nicht viele Vorlesungen.«

Sie stellte mir noch einige Fragen zu meinem Studium und meinen Arbeitsvorstellungen. Als ich endete, nickte sie geschäftig und notierte etwas auf einer Serviette. Sie reichte mir das Stück Papier. »Ruf nächste Woche noch mal an. Ich habe noch einige andere Bewerber, daher kann ich dir noch nichts Genaueres sagen.«

»Das mache ich. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für mich genommen haben.« Wir verabschiedeten uns mit einem weiteren kräftigen Handschlag, ehe sie wieder hinter dem Vorhang verschwand. William drapierte verschiedene Käsekuchen in einer Glasvitrine. Ich stellte meinen Stuhl feinsäuberlich an den Tisch und trat zu ihm. »Tschüss, William.«

»Nenn mich einfach Will«, sagte er. Beherzt wischte er sich die Hände an der Schürze sauber, ehe er mir die Rechte reichte. »Ciao, Evelyn.«

Viel zu schnell löste er seine Hand aus meiner. Er schloss die Vitrine und warf sich die Haare aus dem Gesicht. »Vielleicht sehen wir uns bald wieder.«

Unkontrolliert wanderten meine Mundwinkel erneut nach oben. »Vielleicht«, antworte ich beiläufig. Und als ich aus dem Café lief, hoffte ich, das aus dem ›vielleicht‹ ein ›ganz sicher‹ werden würde.

 

Kapitel 6Vom Müssen und Wollen

 

 

 

 

 

 

 

Am Samstag begleitete ich Camy ins Carlston. Dort fand heute eine Geburtstagsparty einer ihrer Teamkameradinnen statt und sie fand, ich sollte mal rauskommen und unter Leute gehen. Darum hatte sie mich in ein schwarzes Minikleid gesteckt, mir die Haare zu einem französischen Zopf geflochten und mir befohlen, sie zu begleiten.

Jegliche Versuche, mich rauszureden, hatte sie mit einer dicken Make-up-Schicht, die sie mir mit einem Puderpinsel aufs Gesicht geklatscht hatte, erstickt. Camy hatte sich in eine ausgewaschene Baggy Jeans und ein knallenges weinrotes Top geworfen. Damit strahlte sie heute eine Energie aus, die selbst meine müden Batterien wieder zum Flackern brachten.

Als wir im Carlston ankamen, wurde gerade Happy Birthday angestimmt und eine Konfettikanone gezündet. Tausende von kleinen Papierschnipseln schwirrten durch die Luft und setzten sich in unseren Haaren fest. Jetzt sah Camy wie eine explodierte Farbpalette aus, doch dieser Umstand schien sie nicht im Geringsten zu interessieren. Freudestrahlend zog sie mich durch den Raum und ließ mich erst los, als wir den Ehrengast erreicht hatten. Mackenzie Steen, eine Mittelstürmerin der Frauenfußballmannschaft, in der auch Camy spielte, feierte heute ihren einundzwanzigsten Geburtstag. Kein Wunder also, dass die meisten in der feuchtfröhlichen Runde schon beschwipst waren und ein wenig lallten. Da es Mesh, der Besitzer des Carlston, ohnehin mit dem Alter nicht so genau nahm, war dies der perfekte Ort, um den Eintritt in die Volljährigkeit zu zelebrieren.

Mein letzter Aufenthalt hier lag schon einige Wochen zurück und war trotz alledem noch ziemlich präsent in meinem Kopf. Auch damals war es Camy und ihr Fußballteam gewesen, die mich in die Studentenbar geführt hatten. Sehr zu meiner Schande erinnerte ich mich an viel zu viel Wodka, hochprozentige Cocktails und meinen Totalabsturz in einem modrigen Hinterzimmer, bei dem ich Tobias vor die Füße gekotzt hatte.

Auch heute füllten sich die Schnapsgläser schneller, als ich zählen konnte. Es waren endlosfließende Bäche aus Wodka, Tequila und Pfefferminzschnaps. Doch diesmal begnügte ich mich mit Cola light. Von Alkohol hatte ich die Nase voll.

Eine Stunde lang wurde ich von Camy vereinnahmt und von einem Gespräch ins nächste gestoßen. Scheinbar hatte sie es sich zwanghaft zur Aufgabe gemacht, mir neue Freundschaften ans Kreuz zu leiern. Irgendwann schaffte ich es jedoch, mich aus ihrem eisernen Griff zu befreien und mich auf die Toilette zu stehlen. Als ich zurückkam, tanzte sie mit zwei ihrer Teamkolleginnen auf einer improvisierten Tanzfläche zu einem Popsong irgendeiner britischen Newcomerband.

Das war meine Gelegenheit, mich unauffällig an die Bar zu schleichen, um mich am Rand der Theke in den Schatten zu verdrücken.

Mein Interesse an neuen Bekanntschaften bewegte ich irgendwo zwischen null und minus zweihundert.

Ich hatte Joseph, ich hatte Camy, mehr brauchte ich nicht und mehr wollte ich auch nicht. Warum also Zeit in Freundschaften investieren, die vermutlich in kürzester Zeit wieder im Sand verlaufen würden? Da begnügte ich mich lieber mit dem, was ich hatte, denn da war ich mir sicher, dass sich die Mühe lohnte. Ich hatte lieber zwei wahre Freunde als hundert falsche.

Doch ich gönnte Camy den Spaß. Sie war einfach ein anderer Typ als ich. Sie war laut, extrovertiert und brauchte diesen Trubel in ihrem Leben. Sie musste raus und unter Leute, brauchte den Input von Stimmengewirr und lauter Musik, damit sie Camy sein konnte.

Mir reichte ein ruhiger Abend auf der Couch, ein guter Film in netter Gesellschaft, mit der ich stundenlang schweigend nebeneinandersitzen konnte, ohne dass es komisch wurde. Das war mein Verständnis von einer gelungenen Party.

Ich stützte den Ellenbogen auf dem klebrigen Bartresen auf und legte den Kopf auf meine Faust. Eine Zeit lang lauschte ich der Musik, die sich ziemlich gut anhörte, und rührte gleichgültig in meiner Cola herum. Mein Blick glitt über die Menschenmenge hinweg und heftete sich dann wieder auf das Glas vor mir, bis mich eine Bewegung am Rande meines Sichtfeldes den Kopf heben ließ.

Durch die Angestelltentür polterte Tobias, in seinen Armen trug er ein Bierfass, das er schwerfällig zu dem Zapfhahn wuchtete.

Die Muskeln seiner Arme spannten sich und zitterten unter dem Gewicht des Fasses. Er hatte mich noch nicht bemerkt, daher drückte ich meinen Rücken weiter in den Schatten und lehnte mich zurück. Vorsichtig setzte er seine schwere Last ab und machte sich daran, das leere Fass hervor zu rollen und das volle Fass an die Zapfanlage anzuschließen. Als er fertig war, wischte er sich den Schweiß von der Stirn, löste den Barmann ab, dann schnappte er sich ein Handtuch und warf es sich über die Schulter. Kaum hatte er sich hinter der Bar positioniert, tauchten schon die ersten Leute auf, die Drinks orderten. Geschickt füllte er Mixbecher, schüttelte sie in der Luft herum und füllte Cocktailgläser, während er nebenbei ein Bier nach dem anderen zapfte und perfekte Schaumkronen kreierte.

Verträumt saß ich auf meinem Hocker und beobachtete ihn. Es war, als gehörte er genau dorthin. Als wäre dieser Platz hinter der Bar der einzig Wahre für ihn. Er lächelte verschmitzt, während er einen Shot nach dem anderen über die glatte Tresenbank schob. Einige erkannten ihn wieder und begrüßten ihn mit einem Handschlag. Die Mädels kicherten vergnügt, wenn er ihnen zuzwinkerte und ihnen Komplimente für ihre Outfits machte. Und jedes nette Wort, das seinen Mund verließ, versetzte mir einen weiteren Stich in mein dürftig verheiltes Herz. Warum hatte ich mich nur von Camy überreden lassen, hierher mitzukommen?

Die Uhr näherte sich Mitternacht, dennoch füllte sich das Carlston weiter und weiter mit Gästen. Sämtliche Tische waren belegt und dazwischen drängten sich stehend Grüppchen aus Studenten und Touristen. Ich saß immer noch stumm und einsam in der dunklen Ecke. Und bekam langsam Durst. Meine Cola war schon seit geraumer Zeit leer, doch ich brachte es einfach nicht über mich, ihn auf mich aufmerksam zu machen. Zu sehr war ich damit beschäftigt, ihn zu beobachten, wie er mit zwei superheißen Blondinen schäkerte und sie mit Salz und Zitrone fütterte, während sie an ihren Tequilagläsern schlapperten und schleckten.

Ich wollte es nicht, doch ich merkte, wie ein heißer Ball in meinem Bauch hin und her kullerte und sich mein Magen zusammenkrampfte.

Ich war tatsächlich eifersüchtig. Auf ihn, weil er so leicht und unbekümmert wirkte. Auf die Blondinen, weil sie so offensichtlich mit ihm flirteten. Auf die Zitronenschnitze, weil er sie zwischen seine Zähne legte und den Saft aus ihnen leckte. Ich war armselig.

Das hatte ich doch so gewollt. Zu gehen war meine Entscheidung gewesen. Ich hatte kein Recht, hier zu sitzen und eifersüchtig zu sein, weil er versuchte, damit klarzukommen. Weil er einfach weitermachte. Ohne mich.

Eine der Blondinen beugte sich über die Theke und grub ihre Fingernägel tief in einen seiner Oberarme, ehe sie beeindruckt die Augenbrauen in die Höhe zog und ihn frech angrinste. Ich sah nur Tobias’ Hinterkopf, hatte aber bildlich vor mir, wie er den Mund zu einem schiefen Lächeln formte, damit das hinreißende Grübchen auf seiner Wange zum Vorschein kam. Diesen Gesichtsausdruck hatte ich so viele Male bei ihm gesehen und ich wusste um seine Wirkung. Jetzt reichte es mir!

Etwas zu schnell rutschte ich von dem Hocker und stakste durch die schwitzenden Körper, die sich dicht an dicht zusammenpressten. Am Ausschank angekommen, knallte ich mein leeres Glas auf den Tresen. »Wird man hier auch bedient oder muss man selbst Hand anlegen?«

Ich hörte sein vertrautes Lachen und dieser rauchige Unterton in seiner Stimme bescherte mir eine Gänsehaut im Nacken.

Träge erhob er sich und drehte sich um. In einem Bruchteil von einer Sekunde huschte zunächst Erstaunen, dann Wut und schließlich Gleichgültigkeit durch seine blauen Augen. Und mit dieser Gleichgültigkeit im Blick schlenderte er auf mich zu, um nach meinem Glas zu greifen. »Was willst du haben?«, sprach er in einem so kalten Ton zu mir, dass ich postwendend anfing zu frieren. Plötzlich verließ mich mein Mut und ich wollte nur noch weg.

Weg von ihm.

Weg von dieser Bar.

Weg aus diesem Universum.

Mein Mund wurde staubtrocken und die Kälte in meinen Adern breitete sich rasend schnell aus. Ehe sie bis auf meine Knochen durchdringen konnte, wirbelte ich herum und rannte aus dem Carlston. Ich rannte und rannte und rannte.

Erst als mir kühle, herbstliche Nachtluft entgegenschlug und der Lärm aus der Bar durch die Tür gedämpft wurde, konnte ich wieder klar denken.

Warum war ich nicht einfach sitzen geblieben? Ich hätte einfach gehen können, ohne dass er je erfahren hätte, dass ich überhaupt hier gewesen war.

Ich war so ein Dummkopf!

Zehn Minuten lief ich den Gehweg vor dem Carlston platt, dann hatte ich mich einigermaßen wieder beruhigt. Ein Schaudern wanderte über meine Arme und ließ mich erneut frösteln. Als ich mit Camy aufgebrochen war, war es deutlich wärmer gewesen. Der Herbst in Florida war zwar mild, eignete sich dennoch nicht dafür, um Mitternacht in einem Minikleid am Straßenrand zu stehen. Ich wollte nach Hause. In mein Bett. Meinen Pyjama anziehen und mich unter der Bettdecke selbst zur Schnecke machen, wegen meiner widersprüchlichen Gefühle, die sich plötzlich in den Urtiefen meines Herzens regten.

Da ich aber keine Tasche dabeihatte, konnte ich nicht einfach gehen. Denn dadurch hatte ich auch kein Handy, geschweige denn einen Schlüssel dabei, lediglich etwas Bargeld, das ich mir in den BH gestopft hatte. Was bedeutete, dass ich wieder da rein musste, um Camy zu sagen, dass ich mich vom Acker machen wollte. Beim letzten Mal, als ich einfach verschwunden war, ohne mich bei ihr abzumelden, hatte es einen ordentlichen Anschiss von ihr gegeben. Und der war nicht sonderlich angenehm gewesen, als dass ich vorgehabt hätte, erneut einen zu riskieren.

Aber ich hatte einen Plan.

Ich würde reingehen, Camy suchen, mich abmelden, nach Hause gehen und dass alles, ohne den Kopf zu heben, Tobias in die Arme zu rennen oder sonst irgendwie Aufmerksamkeit zu erregen.

Was sollte da schon schiefgehen?

Ich füllte meine Lungen mit einer neuen Portion Antrieb, drückte die Tür auf und ließ mich von der Wand aus warmer, alkoholdurchtränkter Luft nach innen ziehen. Radarmäßig suchte ich den Raum nach dem blaugrünen Irokesen ab. An der Jukebox, die neben einem Tischflipper stand, machte ich ihn ausfindig. Ich folgte dem wirren Weg durch das Gedränge und quetschte mich voran. Jetzt zeigte sich wieder einmal aufs Neue, das kleine Menschen nichts in solchen Massen zu suchen hatten. Ich wurde von links nach rechts gestoßen, mit Getränken bekleckert und von Händen und anderen Körperteilen an Regionen gestreift, die definitiv nicht in fremde Finger geraten sollten. Kurz vor dem Ziel wurde ich von den Füßen gerissen und von einem Fleischberg mitgezogen.

Er schien nicht einmal zu bemerken, dass ich wie eine Fliege auf der Windschutzscheibe an seiner Wampe klebte. Erst als er sich über die Bar lehnte, bemerkte er, dass ich im Weg war und er mich mitgezogen hatte. Auf eine Entschuldigung wartete ich allerdings vergebens, stattdessen packte er mich an den Schultern, hob mich aus den Latschen und stellte mich einen halben Meter weiter links wieder ab. »So, das hätten wir«, lallte er, als wäre ich eine Blumenvase, die auf der falschen Fensterbank gestanden hatte und die er nun an den richtigen Platz gestellt hatte. Das zufriedene Nicken in meine Richtung untermauerte das nur noch.

Vollidiot!

Kaum stand ich an der Theke, hatte mich Tobias auch schon entdeckt. »Du schon wieder.«

Ich presste den Kiefer zusammen, bis meine Zähne schmerzhaft knirschten. Das war genau das Gegenteil von dem, was ich geplant hatte. Camys bunter Schopf war so weit von mir entfernt, wie die Erde vom Mond. Und zwischen uns stand ein dichtes Minenfeld aus Betrunkenen, während der Feind hinter mir lauerte und mir sprichwörtlich eine Pistole an den Hinterkopf drückte.

Ich schloss widerwillig die Augen und kehrte mich um. Seine Augen sahen aus wie der wolkenlose Nachthimmel über Tampa. Blau und dunkel und unheilvoll.

»Ja, ich schon wieder.«

»Was machst du überhaupt hier?«

Er klang nicht wütend, eher erschöpft und ausgelaugt.

Von mir.

Von unseren Begegnungen.

»Dasselbe könnte ich dich auch fragen«, entgegnete ich biestig.

»Ich arbeite hier.« Wie um mir erneut zu beweisen, dass er seine Daseinsberechtigung hier hatte, nahm er sich ein Glas aus der Spüle und fing an, es mit einem Geschirrtuch trocken zu reiben. Als hätte ich nicht den halben Abend damit verbracht, ihn zu beobachten, wie er ausschenkte und flirtete, Gläser schrubbte und noch mehr flirtete.

»Warum?«, entfuhr es mir.

Er stellte das Glas beiseite und schenkte mir einen langen, intensiven Blick, der mir direkt ins Herz stach. »Weil ich muss.«

Es dauerte einige Sekunden, ehe ich diesen Satz verarbeitet hatte. Doch dann schoss es mir wie ein Pfeil in eine Zielscheibe in den Kopf. »Deine Eltern haben dir den Geldhahn zugedreht. Darum wohnst du jetzt auch im Vaughn.«

Er schnalzte mit der Zunge, bevor er sich mit dem Zeigefinger auf die Nase tippte. »Du kapierst ja schnell.«

Damit bestätigte er mir das, was ich schon vermutet hatte. Erneut fuhr ein Stechen durch mein Herz. Er klang so inhaltslos. Oder lag das nur an mir? Vorhin hatte er alles andere als stumpfsinnig ausgesehen. Oder hatte ich da auch nur das gesehen, was er wollte, dass ich sehen sollte?

Ich war verwirrt.

Er beugte sich über den Tresen, kam mir dabei so nah, dass ich sein Parfum riechen konnte. »Du solltest jetzt gehen.«

»Das hast du nicht zu entscheiden!«, maulte ich zurück, dennoch drehte ich mich rasch um und stiefelte erneut durch den Wust aus stinkenden Körpern, bis ich Camy endlich erreicht hatte.

Kapitel 7Revanche

 

 

 

 

 

 

 

Nachdem ich Camy erreicht und ihr erzählt hatte, warum ich gehen wollte, hatte sie unvermittelt alles stehen gelassen und war mit mir verschwunden. Bis dahin hatte sie überhaupt nicht gemerkt, dass Tobias der neue Barkeeper hinter der Theke war.

Wir waren zu Fuß zurück zum Vaughn getorkelt und mit ungeahnten Kraftreserven hatte ich es geschafft, sie wohlbehalten in ihr Bett zu verfrachten. Sobald ihr Kopf das Kissen berührt hatte, war sie eingeschlafen und ich war in mein eigenes Zimmer zurückgetapst.

Seitdem wälzte ich mich durch das Bettlaken und fand keine Ruhe. Immer, wenn ich die Augen schloss, sah ich Tobias, wie er mit den Blondinen anbändelte.

Tobias, der den Frauen hinterher lächelte. Tobias, der mich ansah, als wäre ich Lippenherpes.

Ich stöhnte in das Kissen und drehte mich auf den Rücken. Verfolgte den silbernen Strahl, der über meine Zimmerdecke wanderte und vom Mond kam, der halbhoch durch das Zimmerfenster schien. Endlich wurden meine Augen schwerer und ich war gerade dabei, sie zu schließen, als mich ein Scheppern hochschrecken ließ.

Es folgte Stille, bevor es erneut knallte und ein wüster Fluch durch die Dunkelheit der Nacht gellte.

Ich verdrehte die Augen und drehte mich auf die Seite, bis die Zimmerwand direkt vor meiner Nase auftauchte. Ein weiter Fluch erklang, gefolgt von einem kratzenden Geräusch, das sich anhörte, als würde jemand Metall über Holz ziehen.

»Das gibt’s doch nicht!« Geladen strampelte ich mir die Decke von den Beinen und stapfte zur Tür. Ich riss sie auf und wollte schon losbrüllen, als ich ihn entdeckte. Zusammengesunken vor seiner Zimmertür hockend, mit dem Kopf zwischen den Beinen.

»Was machst du da?«

»Ich finde meinen Schlüssel nicht«, erwiderte er hicksend.

Toll! Das hatte mir gerade noch gefehlt.

Ich stieß meine Zimmertür weit auf und schaltete das Licht ein, damit der Gang beleuchtet wurde. Jetzt sah ich auch das ganze elendige Ausmaß dieser Tragödie.

Tobias sah aus wie durch die Saftpresse gedrückt. Nur roch er weniger süß, sondern viel mehr vergoren und abgestanden. Nach Alkohol, Zigaretten und … Urin.

Ich vermied es, ihn anzusehen, und machte mich stattdessen auf die Suche nach seinem Schlüssel.

»Nach meinem Verständnis ist der Barkeeper dafür zuständig, Getränke auszuteilen, nicht, um sie selbst zu vernichten.«

»Nach meinem Verständnis schließt das eine das andere nicht aus«, hickste er halblaut.

Am Rande des Lichtkegels sah ich etwas aufblitzen. Tatsächlich war es ein einsamer silberner Schlüssel. Ich hob ihn auf und hielt ihn Tobias vors Gesicht. »Du solltest den an ein Schlüsselband hängen.«

»Das sollte ich wohl«, nuschelte er zwischen seine Beine.

Mit gerümpfter Nase hielt ich ihm den Schlüssel näher vors Gesicht.

---ENDE DER LESEPROBE---