Dark Hearts - Alexandra Fuchs - E-Book
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Dark Hearts E-Book

Alexandra Fuchs

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Beschreibung

Zwei Gestaltwandler und eine uralte Macht, die ihre Welt bedroht
Die packende Shapeshifter-Romantasy für magische Lesestunden

Erst ein unerfreulicher Zusammenstoß mit dem Gestaltwandler Levi zwingt Kat dazu, sich wieder mit ihren Träumen und Wünschen auseinanderzusetzen, die sie nach einem schweren Schicksalsschlag vernachlässigt hat. Auch wenn die Katzen-Gestaltwandlerin Hunde nicht ausstehen kann, will sie sich auf das Abenteuer einlassen, zu dem Levi und seine Freunde sie mitnehmen wollen. Noch ahnt keiner von ihnen, dass diese Reise sie an ihre Grenzen führen wird, denn auf dem Weg lauert eine uralte Macht, die Gestaltwandler abgrundtief hasst. Kat und ihre neuen Freunde müssen alles riskieren, um zu verhindern, dass die Jäger sich erneut aus den Schatten erheben …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des Romans Dark Hearts – Spiegel der Seele.

Erste Leser:innenstimmen
„Spannende Romantasy für Fans von Asuka Lionera und Helen Harper.“
„Perfekte Mischung aus Fantasy und Romance. Wer Shapeshifter mag, liegt hier Gold richtig!“
„Liebevoll gezeichnete Protagonistin, die chaotisch in der Welt der Magie und Liebe umhertaumelt. Sehr kurzweilig.“
„Die große Liebe und eine alte Legende. Der Gestaltwandler-Roman löst ein, was er verspricht.“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 484

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Über dieses E-Book

Erst ein unerfreulicher Zusammenstoß mit dem Gestaltwandler Levi zwingt Kat dazu, sich wieder mit ihren Träumen und Wünschen auseinanderzusetzen, die sie nach einem schweren Schicksalsschlag vernachlässigt hat. Auch wenn die Katzen-Gestaltwandlerin Hunde nicht ausstehen kann, will sie sich auf das Abenteuer einlassen, zu dem Levi und seine Freunde sie mitnehmen wollen. Noch ahnt keiner von ihnen, dass diese Reise sie an ihre Grenzen führen wird, denn auf dem Weg lauert eine uralte Macht, die Gestaltwandler abgrundtief hasst. Kat und ihre neuen Freunde müssen alles riskieren, um zu verhindern, dass die Jäger sich erneut aus den Schatten erheben …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des Romans Dark Hearts – Spiegel der Seele.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2023

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-664-8 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-995-3

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 beim dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH, erschienenen Titels Dark Hearts – Spiegel der Seele (ISBN: 978-3-96087-749-3).

Copyright © 2015, Drachenmond Verlag Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2015 bei Drachenmond Verlag erschienenen Titels Straßensymphonie (ISBN: 978-3-95991-179-5).

Covergestaltung: ARTC.ore Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © Elenarts, © kichigin19, © The Picture House, © TrendyImages Korrektorat: Lillith Korn

E-Book-Version 17.01.2024, 17:07:01.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Dark Hearts

Für Asco. Du fehlst mir.

Für meine Familie. Mit euch ist alles möglich.

Für alle, die jemanden verloren haben. Für alle, die glauben, diesen Verlust niemals zu überstehen.

Für dich, weil das Leben nicht immer nur rosa ist.

Vorwort

Liebe Leser:innen,

Ihr haltet hier meinen ersten komplett alleine geschriebenen Roman in der Hand. Verrückt, dass das nun schon sieben Jahre her ist und er zum dritten Mal Leben eingehaucht bekommt. Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit Kat gefiebert habe, wie ich Tränen vergossen und auf ein Happy End gehofft habe. Natürlich gibt’s das, denn was wäre das Leben ohne Happy End? Das ist auch das Besondere an diesem Roman, er beinhaltet die einzige Geschichte, bei der ich geweint habe während des Schreibens. Denn genau wie Kat habe auch ich jemanden verloren und diesen Verlust mit der Hilfe von Night Circus und ihrer Freundschaft verarbeitet. Das werde ich ihnen nie vergessen. 

Seid gespannt auf eine Geschichte voller Freundschaft, Liebe, Trauer, Freude und vor allem Humor. Denn der darf niemals fehlen. 

Ich hoffe, ihr findet euch in Kat, Levi, Micah und Liz wieder. Spürt, wie sie zusammenwachsen, sich gegenseitig helfen und lieben. Vergesst niemals, dass ihr nicht alleine seid, dass ihr Menschen an eurer Seite habt. Selbst wenn sie manchmal nur fiktional sind, sind sie da, geben euch Kraft durch die schwersten Zeiten. 

Nun, genug in Erinnerungen geschwelgt. Habt viel Spaß, lasst euch mitnehmen und zieht aus der Geschichte genau das, was ihr braucht.

Danke, dass ihr hier seid.

Alles Liebe

Alex

1. Wie ich einem Hund die Fresse polierte oder eher er mir, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet

Ich rannte, berührte kaum noch den Boden und versuchte, während ich um die nächste Ecke schlitterte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Meine Kondition war mal besser gewesen, vielleicht sollte ich das nächste Mal den Salat der Pizza und den Pommes vorziehen. Hinter mir knurrte es und ich hechtete weiter. Ich verachtete Hunde. Gefährliche, dumme Biester, die sich mit ihrer süßen Art in jedes Menschenherz stehlen konnten. Ich beschleunigte mein Tempo, denn das Knurren wurde lauter, und mein Kopf fuhr herum. Ein Husky. Verfluchter Mist, der war riesig.

Ich konnte das Gartentor unseres Hauses schon erkennen, als das Vieh mich am Schwanz packte und herumschleuderte. Ich landete auf den Füßen, fauchte und rannte weiter. Blöder Hund. Er spielte mit mir, das spürte ich. Hätte er mich verletzen wollen, hätte er dazu die Chance gehabt. Das Katz-und-Maus-, oder in diesem Fall das Katz-und-Hund-Spiel, machte ihm Spaß. Mir normalerweise auch. Nur heute nicht. Heute war ein beschissener Tag gewesen und das der krönende Abschluss, die Kirsche auf der Sahne sozusagen. Schlimmer konnte es kaum mehr kommen.

Ich erreichte das Tor, schlüpfte durch ein Loch im Zaun und kam schlitternd zum Stehen.

Ha!

Ich hatte den Wettlauf gewonnen. Schwer atmend drehte ich mich um und schaute direkt in rostbraune Augen. Der Hund hechelte und starrte zurück.

Der Würde meines Sieges entsprechend, wandte ich mich erhobenen Hauptes ab und schritt langsam und bedächtig die Stufen zu unserem Haus hinauf, immer darauf bedacht, meinen Schwanz elegant hin und her gleiten zu lassen. Durch die Katzenklappe gelangte ich ins Innere. Dort konzentrierte ich mich auf meine menschliche Gestalt und leitete die Wandlung ein. Ich spürte, dass meine Knochen sich verlängerten, meine Muskeln sich streckten und eine andere Form annahmen. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich mich zurück in einen Menschen verwandelt. Zum Glück fiel mir die Wandlung derart leicht. Meine Knochen knackten, als ich die Klamotten anzog, die ich vorher neben der Tür abgelegt hatte. Ich betrachtete mich kurz im Spiegel, strich mein leicht kupferstichiges braunes Haar glatt und zählte meine Sommersprossen. Weit kam ich nicht, es waren Hunderte. Fast mein ganzes Gesicht nahmen sie ein. Das ungesunde Essen aka Pizza und Co. hatte nicht nur meiner Kondition geschadet, sondern auch meiner Kleidergröße. Ich musste dringend trainieren gehen, denn essen würde ich weiterhin alles, was mir schmeckte, und so viel in mich hineinpasste. Kleidergröße zweiundvierzig war für mich noch kein Weltuntergang, eher mehr erotische Nutzfläche.

„Katarina?“, rief meine Mutter aus dem Wohnzimmer.

„Ich bin zurück. Gibt’s was zu essen?“ Immerhin hatte ich beim Rennen gerade mindestens eine Million Kalorien verbrannt, da konnte ich mir einen kleinen Snack gönnen.

Der Sessel ächzte. „Steht in der Küche, komm.“

Lautlos tappte ich ihr hinterher und setzte mich an den Küchentisch. Sie stellte meine Portion vor mir ab und nahm mir gegenüber mit einer Tasse Kaffee Platz.

„Willst du auch eine Tasse?“, fragte sie, nachdem ich die Nudeln innerhalb kürzester Zeit verschlungen hatte.

„Lieb gemeint, aber ich gehe mich umziehen. Meine Schicht fängt gleich an.“ Ich nahm meinen leeren Teller und erhob mich, doch Mama hielt mich zurück.

„Setz dich, wir müssen reden.“

Oh, oh, das hörte sich ungut an und klang, als würde ich die Tasse Kaffee brauchen.

Mit einem dampfenden Becher in den Händen setzte ich mich meiner Mama gegenüber und sah sie fragend an.

„Du musst ausziehen.“

Schockiert sog ich die Luft ein. „Bitte was?“

„Du hast deine Träume aus dem Blick verloren. Du musst nicht bei mir bleiben, weil dein Vater gestorben ist. Ich komme allein klar. Du bist Anfang zwanzig und hast ein unglaublich großes Talent, das musst du nutzen. Kaum jemand kann die Menschen mit seiner Stimme derart berühren wie du. Mach etwas daraus. Lebe dein Leben, nicht meins.“

Das hatte gesessen. So kannte ich meine Mutter nicht. Ich wusste zwar, dass sie es gut meinte, trotzdem verletzte das Gesagte mich. „Aber …“

„Nein, kein Aber“, fiel sie mir ins Wort. „Ich weiß, dass du dein Leben hier und mich liebst, jedoch sage ich nicht, dass du verschwinden und nie wiederkommen sollst. Gehe deinen eigenen Weg. Strebe danach, die Menschen mit deiner Musik zu bewegen und die Welt zu verändern. Sei einfach wieder du.“ Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Ich liebe dich. Und denk bloß nicht, dass ich dich loswerden will, allerdings hast du dich in den letzten Monaten verändert, bist zurückhaltend und in dich gekehrt. Ich komme klar, versprochen.“

„Ich habe Angst“, gab ich kleinlaut zu. Das zuzugeben fiel mir unglaublich schwer, denn es widerstrebte der Katze in mir.

„Ich weiß, deswegen sage ich dir heute, was meine Mutter damals zu mir gesagt hat. Die Angst sollte dich niemals davon abhalten, dein Leben zu leben. Sie darf dich begleiten, aber nicht lenken. Manchmal wird sie dir ein guter Ratgeber sein, manchmal wirst du sie verfluchen. Doch lass dich niemals von ihr aufhalten, das zu tun, was dir dein Herz sagt. Damals hielt ich das für philosophischen Stuss, heute weiß ich, was sie damit gemeint hat.“ Nachdenklich trank ich einen Schluck Kaffee. Mama hatte recht, die letzten Monate hatten mich verändert und ich bekam selbst oft das Gefühl, mich verloren zu haben. Die Furcht, die Dinge könnten sich verändern oder ich könnte erneut jemanden verlieren, war unermesslich groß. Das musste aufhören.

Mein Handy auf dem Tisch brummte und eine WhatsApp-Nachricht von Maria leuchtete auf. Genau! Maria. Seit einem Jahr studierte sie in Hamburg. Eigentlich wollten wir zusammen dort hin, allerdings hatte der Tod meines Vaters alles verändert. Ein Besuch bei ihr konnte nicht schaden und würde mir vielleicht die Zeit zum Nachdenken geben, die ich nach diesem Gespräch mit Mama brauchte. Der Entschluss war gefasst und Aufregung machte sich in mir breit.

„Danke, Mama. Danke, dass du hinter mir stehst, egal, was ich tue.“ Ich küsste die Frau, die mir das Leben geschenkt hatte, auf die Wange und ging in mein Zimmer, um mich für die Arbeit umzuziehen.

***

Kurz darauf betrat ich Die schwarze Katz – von mir liebevoll die Bar genannt.

Das geräumige Lokal erstreckte sich über zwei Ebenen. Gegenüber der Tür befand sich die Theke, hinter der sich einige Büros versteckten. Eine kleine Bühne rundete das Bild ab. Tische unterschiedlicher Größte füllten den Raum nahezu komplett aus. Nur eine kleine Tanzfläche durchbrach die Struktur. Mein halbes Leben verbrachte ich hier und ich liebte es. Es wurde nie langweilig, brachte frischen Wind in meinen sonst so vorhersehbaren Alltag.

Die schwarze Katz war eine bekannte Wandlerbar. Menschen verirrten sich kaum zu uns. Was auch an Karl lag, der ungebetene Gäste abwimmelte. Deswegen war die schwarze Katz so beliebt. Was in ihren vier Wänden geschah, blieb dort. Wandler konnten sich ungestört unterhalten, ihrer Natur freien Lauf lassen, ohne Angst zu haben, entlarvt zu werden.

Die Tatsache, dass Sascha, der Besitzer, eine wichtige Rolle in unserer Gemeinschaft einnahm, trug sicher ebenfalls dazu bei, dass sich unsereins hier derart wohl fühlte. Denn obwohl wir uns seit Jahrzehnten den Menschen angepasst hatten und in familiären Strukturen lebten, betrachteten sich die Wanderfamilien in kleinen Städten häufig als Rudel.

Dank meines Jobs bekam ich jeden Tag eine andere Geschichte eines anderen Gastes zu hören und ging mit ihm auf Reisen. Doch eine Geschichte über meine eigene Reise hatte ich bisher nicht erzählen können.

„Hey, Kat, da bist du ja endlich. Schwing deinen Arsch hinter die Bar und hilf mir.“ Sascha grinste mich an und Maike, seine Frau, schloss mich in die Arme. Beide gehörten für mich zur Familie.

„Wo sind die Kinder?“, fragte ich.

„Oma hat heute das Babysitten übernommen. Sascha und ich machen uns gleich einen ruhigen Abend mit der Buchhaltung“, antwortete Maike sarkastisch und schnitt eine Grimasse.

Schnell verstaute ich meine Handtasche und meine Jacke unter dem Tresen und gesellte mich zu meinem Chef, um ihm zur Hand zu gehen.

„Was liegt an?“

Er reichte mir ein Bierglas nach dem anderen und ich stellte sie der Reihe nach neben den Zapfhahn. „Fünf Weizen und zwei Radler für Tisch acht. Jetzt, wo du da bist, kann ich mich ja verdrücken und mit der Buchhaltung anfangen.“ Seine Lippen verzogen sich und er sah aus, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen.

„Ach, Sascha? Können wir nachher über meinen Urlaub reden?“

„Klar, komm, sobald Trixi da ist, zu mir. Das lenkt mich und Maike von der Buchhaltung ab.“ Zwinkernd verschwand er.

Nachdem ich die Getränke an Tisch acht gebracht und die Essensbestellung an unseren Koch Mario weitergegeben hatte, wischte ich die Theke sauber. Zum gefühlt zehnten Mal. Demnächst würde ich die oberste Beschichtung abschrubben, ganz sicher. Es war kaum etwas zu tun und ich langweilte mich. Um die Uhrzeit ließen die Gäste auf sich warten, doch der Ansturm zum Abend würde zum Glück nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Nach einer Weile räumte ich Tisch acht ab und hoffte auf neue Gäste. Das Lokal war fast leer, lediglich ein altes Paar, das miteinander tuschelte, hatte sich eingefunden. Die Zeit verging derart langsam, als müsste sie vorher gewaltsam durch eine Sanduhr gepresst werden.

Gerade, als ich aus der Küche eilte, kündigte die Türglocke das Eintreffen neuer Gäste an und ich seufzte erleichtert.

Endlich.

Die kleine Gruppe drängte sich durch die Tür. Zwei Männer und eine Frau. Dadurch, dass der Eingangsbereich weit von mir entfernt lag, blieben mir ihre Gesichter verborgen.

Sie setzten sich an Tisch siebzehn und ich wartete einige Minuten, damit sie ihre Getränke auswählen konnten. Dann ging ich gut gelaunt zu ihnen und auf dem Weg erkannte ich bereits, dass nur zwei Personen am Tisch saßen. Einer der Männer musste auf die Toilette verschwunden sein, während ich hinter der Theke so getan hatte, als wäre ich ultrabeschäftigt. Irritiert stand ich wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Tisch. Sollte ich umdrehen und später wiederkommen? Erwartungsvoll schauten mich die beiden am Tisch Sitzenden an. Die junge Frau trug ein über dem Bauchnabel abgerissenes schwarzes Shirt und dazu eine dunkle Röhre. Ihr auf der rechten Seite abrasiertes Haar war ebenso schwarz wie ihr Oberteil und ihre Boots. In Ohren und Nase steckten bronzefarbene Ringe, die Lippen waren rot geschminkt, sonst trug sie kein Make-up.

Den Mann schätzte ich auf Ende zwanzig, er hatte einen Dreitagebart und kurzes schwarzes Haar. Ein dunkles Hemd, Jeans und elegante dunkelbraune Lederschuhe rundeten den Look des Rockstars ab.

Fürs Umdrehen war es zu spät, daher fragte ich schnell nach ihrer Bestellung.

„Einen Eistee bitte“, flüsterte die Frau.

Der Mann lächelte mich an. „Dazu ein Bier und eine Cola.“

Nickend notierte ich die Bestellung und zurück an der Theke füllte ich die Gläser.

Mit polternden Schritten kam Trixi auf mich zu. „Sag mir, dass es was zu tun gibt, ich brauche Ablenkung. Dringend!“, rief sie durch den gesamten Raum.

Mir stockte der Atem einen Moment. „Was ist passiert?“ Ihr sonst blondes Haar war dunkellila.

„Ben hat mich gestern verlassen. Ich brauchte deswegen eine Veränderung. Und jetzt sieh dir an, was dieser Friseur mir angetan hat. Sie sind lila, Kat! LILA!“ Den Tränen nahe sah sie mich an und ich nahm sie kurz in den Arm. Nachdem wir uns gelöst hatten, drückte ich ihr das halb volle Colaglas in die Hand.

„Hier. Die Bestellung von Tisch siebzehn.“ Angriff war die beste Verteidigung. Leider stahl sie mir damit meine Gäste und somit mein Amüsement. Lustlos wischte ich erneut über den Tresen und spähte zu Tisch siebzehn. Trixi saß bei den Gästen und unterhielt sich mit ihnen.

Die Gelegenheit nutzend, ging ich zu Sascha ins Büro, um meinen Urlaub mit ihm zu besprechen.

Enthusiastisch klopfte ich an die Tür, wartete einen Moment und trat ein. Mein Boss hob den Blick von den Papieren und betrachtete mich, als sähe er mich zum ersten Mal. In seiner Iris und den Pupillen konnte ich das Tier erkennen. Der Adler, der sich danach sehnte, die Lüfte erobern zu können. Es hieß, die Augen seien der Spiegel der Seele. Bei uns Wandlern trifft das besonders zu. Jeder unserer Art kann in den Augen des anderen das Tier in ihm ausmachen. So romantisch das klingt, manchmal ist es nervig. Wenn du einen Typen zum Beispiel anmachst und lieber die Löwin als der Stubentiger sein möchtest. Gleichzeitig verrät das Seelentier schon erste Charaktermerkmale der Person. Deswegen halte ich mich meist von Hunden fern. Liegt mir wohl im Blut. Katzen sind eben keine Hundefreunde.

„Können wir über meinen Urlaub sprechen?“, holte ich Sascha aus seinen Gedanken. Er schüttelte seinen dunkelblonden Haarschopf und schaute erneut zu mir hoch.

Der kleine Raum strahlte eine unglaubliche Gemütlichkeit aus. Von Maike fehlte jede Spur. Ich beneidete die beiden, denn sie ergänzten sich nicht nur als Menschen perfekt, sondern auch als Tierwesen. Der Bartkauz konnte zusammen mit dem Adler den Himmel erobern und sprichwörtlich in den Sonnenuntergang fliegen.

„Ach ja, stimmt. Sobald wir mit dem Kram fertig sind, kann ich deine Schichten übernehmen. Du hast sowieso viele Urlaubstage übrig. Es ist gut, wenn du die langsam dezimierst. Wie lange willst du denn weg?“

Ich überlegte. „Wie lange kannst du mich entbehren?“

So musste ich keine Entscheidung treffen, Saschas Antwort würde mir vieles erleichtern.

„Drei Wochen? Oder vier?“

Ich liebte meinen Chef. „Drei klingt klasse. Ich danke dir! Wann kann ich starten?“, fragte ich aufgeregt und gleichzeitig nervös.

„Eine Woche, maximal. Länger will ich das Zeug sowieso nicht sehen. Wo soll’s denn hingehen?“

„Nach Hamburg, Maria besuchen. Mama meint, ich habe mich verändert in den letzten Monaten. Irgendwie hat sie recht, daher will ich den Kopf freibekommen.“

„Stimmt. Du singst nicht mehr und deine letzte Reise ist ewig her. Dabei konnte dich früher nichts hier halten. Hat es mit dem Tod deines Vaters zu tun?“

„Nein.“ Doch. Vielleicht. Okay, ganz sicher.

„Na gut. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, Mädchen.“

Sascha stand auf und nahm mich in den Arm. Ich schmiegte mich an ihn und genoss die Wärme.

„Trixi könnte übrigens ebenfalls eine Umarmung vertragen“, sagte ich, nachdem wir uns voneinander gelöst hatten.

Angespannt musterte er mich. „Was ist passiert?“

„Ben hat Schluss gemacht“, gab ich ihm die Kurzfassung.

„Was? Wenn ich diesen Idioten finde, steche ich ihm die Augen aus.“ Sascha ging an mir vorbei und ich folgte ihm in den Schankraum. Dort nahm er Trixi mit sich und die beiden verschwanden wieder im Büro.

Die Bar hatte sich gefüllt und alle waren gut versorgt. Stille umfing mich und nur leises Stimmengewirr durchdrang sie. Seltsam. Hing der CD-Player? Sascha weigerte sich, ein moderneres Gerät anzuschaffen und auf einen Player umzusteigen, mit dem direkt vom Handy oder Laptop abgespielt werden konnte. Deswegen bückte ich mich unter die Theke und drückte den Einschaltknopf der Musikanlage. Es blieb still. Mist. Das Wechseln der CD half ebenfalls nicht und auch ein sanfter Schlag blieb ergebnislos.

Scheiße. Eine Bar ohne Musik verdiente kaum den Namen.

„Hallo?“, drang eine dunkle männliche Stimme zu mir herunter.

„Einen Moment, ich hab’s gleich.“

Ziemlich optimistisch. Angepisst schritt ich zum Äußersten und zog den blöden Stecker aus der Strombuchse. Das passiert, wenn du dich weigerst, das zu tun,was ich will, dachte ich und betete, dass endlich Musik erklingen würde.

„So gern ich Ihren hübschen Hintern anstarre, ich bin am Verdursten“, tönte der Kerl von oben.

Ich verdrehte die Augen und schloss den CD-Spieler erneut an den Strom an. Es klappte.

„Ha, Sieg!“, triumphierte ich über die Technik.

Als ich unter der Theke hervorkroch, sah ich den zweiten Mann der kleinen Gruppe von vorhin an der Bar lehnen, ich erkannte ihn sofort an seinen Klamotten. Er trug ein schwarzes Oberteil, eine dunkle Jeans, hatte dunkelbraune Haare und durchtrainierte Arme, die er auf der Theke aufstützte. Der aß sein Gemüse wohl auf.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ich betont freundlich und musterte ihn. Sein Gesicht zierte ein Bartansatz, der sein kantiges Kinn umspielte. Sein Haar schimmerte braun im gleichen Ton seiner Iris … Ich schnappte nach Luft.

„Hey, Kitty, ich hatte gehofft, dass wir uns wiedersehen“, sagte er und strahlte mich an.

Der Kerl war dieses blöde Vieh, das mich heute Mittag verfolgt und am Schwanz gepackt hatte. Ich konnte Hunde nicht besonders gut leiden, hatte ich das erwähnt?

Charmant lächelte er mir entgegen. Wie gern hätte ich ihm das Grinsen aus dem Gesicht gekratzt.

„Kat“, sagte ich.

Verwirrt sah er mich an. „Wie bitte?“

„Ich heiße Kat, nicht Kitty.“

„Wie passend. Also, Kitty Kat, ich hätte gern einen Eistee und zwei Bier. Und kannst du deinen Chef später zu uns an den Tisch schicken? Wir wollen ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann.“ Der Hund grinste mich dreckig an und fügte hinzu: „Wie geht’s dem Schwanz? Als ich dich witterte, konnte ich dem Spiel nicht wiederstehen. Entschuldige.“

Wie eine Entschuldigung klang das nicht. Er drehte sich um und schritt elegant zu seinem Tisch. Auf der Hälfte des Weges sah er zu mir. „Ich bin übrigens Levi.“

Hatte ich vorhin gedacht, der Tag könnte kaum schlimmer werden, wusste ich nun: schlimmer ging immer.

2. Eine Katze blieb eben eine Katze, immerhin konnte ich ihm so die Augen auskratzen. Wortwörtlich, wohlgemerkt

Am nächsten Abend betrat ich gut gelaunt meinen Arbeitsplatz. Die meisten Gäste waren entweder Stammgäste oder blieben nur für einen Tag. Lief alles nach Plan, hatte Levi längst die Stadt verlassen und ich würde den Köter nie wieder zu Gesicht bekommen. Die Tatsache stimmte mich kein bisschen traurig, auch wenn das hieß, dass ich niemals die Gelegenheit bekommen würde, ihm die Augen auszukratzen und mich so für seine Attacke zu revanchieren.

Trixi begrüßte mich mit einem Lächeln.

„Wie hast du das denn gemacht?“, fragte ich verblüfft, als ich ihren blonden Haarschopf hinter der Theke ausmachte.

„Sascha kennt da jemanden, der das gerichtet hat. In irgendeinem Nobelschuppen. Ich bin unglaublich glücklich. Sieht schön aus, oder?“

Trixi drehte sich einmal um ihre eigene Achse und ich bewunderte sie für ihre Haarpracht.

„Stimmt, sogar besser als davor.“ Anerkennend strich ich sanft über ihre Spitzen.

Dann wandte ich mich ab und verstaute meine Tasche unter dem Tresen. „Viel los heute?“

„Nein. Langweilig. Der Abendansturm kommt erst. Glaubst du, ich kann eine rauchen gehen?“

„Ich weiß nicht, ob du kannst, tun solltest du es nicht. Du machst dir damit nicht nur deine Lunge kaputt, sondern verpestest auch die Luft der anderen, das ist dir klar, oder?“

Trixi küsste mich auf die Wange und machte sich auf den Weg durch die Küche nach draußen.

Die schmutzigen Gläser in die Spülmaschine stellend, ließ ich meinen Blick durch den Raum gleiten. Kaum einer der Tische war besetzt, nur im hinteren Teil entdeckte ich sechs Jungs, die sich angeregt unterhielten. Gedämpft drangen ihre Stimmen zu mir.

„Kann ich euch noch etwas zu trinken bringen?“, erkundigte ich mich höflich und plötzlich musterten mich sechs Augenpaare. Sie hatten mich nicht kommen gehört und hielten im Gespräch inne.

Wölfe.

Allesamt.

Nicht meine bevorzugte Tierart, dennoch war in der Bar jeder willkommen, ob ich seine Tiergestalt mochte, spielte dabei keine Rolle. Im Prinzip war ich einverstanden mit diesem Konzept. Bei Hunden oder verwandten Rassen setzte lediglich mein Verstand manchmal aus. Katze blieb eben Katze.

Tapfer schrieb ich ihre Bestellungen auf und eilte schnell zurück hinter die Theke. Trixi erwartete mich lächelnd. Der Luchs in ihren Pupillen tanzte aufgeregt. Unwillkürlich fragte ich mich, wann sie sich das letzte Mal verwandelt hatte.

„Kannst du die Getränke und das Essen bitte an den Tisch mit den sechs Jungs bringen? Ich hol die Speisen aus der Küche und bring sie raus“, drückte ich mich davor, den Wölfen ihren Fraß vorzusetzen. Am Ende würde ich noch auf ihrem Speiseplan landen. Diese Gedanken waren Quatsch, gleichwohl konnte ich sie nicht abstellen.

Wandler lebten friedlich im Einklang miteinander. Die meisten jedenfalls.

Während ich drei Burger und vier Portionen Pommes auf einem großen Tablett aus der Küche balancierte, kam Sascha mir entgegen und nahm mir das Essen ab, bevor es auf dem Boden landen konnte.

„Danke.“

„Gern. Ich wollte sowieso gerade zu dir.“

„Zu mir? Hab ich was ausgefressen?“

Er schüttelte den Kopf. „Heute Abend kommt eine neue Band, sie werden ein paar Lieder spielen. Mal schauen, ob ihre Musik hier reinpasst. Du kennst dich am besten mit der Technik aus, zeigst du ihnen alles?“

„Klar. Kommen sie aus der Gegend?“

Sascha hatte mich an der Angel. Musik war ein wichtiger Teil meines Lebens, auch wenn ich im Moment keine Bühne betreten konnte, hatte sich daran nichts geändert.

„Nein, sie sind auf der Durchreise, wollen nach Bremen zu einem großen Musikwettbewerb. Auf dem Weg dorthin klappern sie verschiedenen Bars ab, um Geld zu verdienen. Wenn ihre Musik gut ist, engagiere ich sie für das Wochenende, das würde ihnen die Unterkunft sichern.“

„In Bremen gibt es einen Musikwettbewerb?“, murmelte ich und sagte dann lauter: „Wie heißen sie denn?“

„Night Circus.“

***

Später kniete ich auf dem Boden, um die letzten Scherben von dem Glas, welches ein Gast fallen gelassen hatte, aufzusammeln, als sich ein Schatten über mich legte. Braune abgetragene Cowboystiefel blieben direkt vor mir stehen und der Kerl, der dazugehörte, nahm mir das Licht. Genervt hob ich meinen Blick und erstarrte für einen Moment in meiner Bewegung.

„Hey, Kitty Kat. Brauchst du Hilfe?“, fragte Levi mit einem unverschämt galanten Lächeln auf den Lippen. Wo kam er denn her? Er musste die Bar gerade erst betreten haben, denn ich hatte ihn bisher nicht gesehen.

„Du stehst mir im Licht“, antwortete ich trocken.

Levi grinste, ging jedoch keinen Schritt zur Seite. Was sollte der Mist? Er hielt mich von der Arbeit ab. Trotzdem war er ein Gast und somit der König … Mit einem falschen Lächeln auf den Lippen erhob ich mich viel zu schnell und mir wurde schwindlig. Fest presste ich die Hände zu Fäusten und hatte vollkommen die Scherben darin vergessen. Scheiße.

Blut tropfte zu Boden und erneut drehte sich die Welt um mich, denn ich konnte mein Blut nicht sehen.

Fuck.

Schweiß brach mir aus und ich atmete durch den Mund, öffnete die Hände und ließ das Glas fallen.

„Hey, alles okay bei dir?“, hörte ich Levis Stimme durch das Rauschen in meinen Ohren.

Eine Antwort brachte ich nicht zustande, stattdessen sog ich geräuschvoll die Luft in meine Lungenflügel. Sie brannte wie Feuer. Ich musste raus. Wackelig erhob ich mich und hielt mühevoll das Gleichgewicht. Eine Ohnmacht fehlte gerade noch. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, scheiterte kläglich und kippte zur Seite. Jemand fing mich auf und half mir nach draußen. Dort ließ ich mich langsam an der Hauswand zu Boden gleiten und schnappte gierig nach der frischen Luft. Währenddessen fühlte ich, wie meine Hand hochgehoben und sanft abgetastet wurde. Erst jetzt registrierte ich, dass ich die Augen geschlossen hatte. Panisch riss ich sie auf und starrte direkt in das Gesicht des vor mir knienden Levi.

„Eine Katze, die kein Blut sehen kann? Das ist ja mal was Neues, bist du etwa auch Vegetarierin? Das würde mein Weltbild komplett zerstören, das ist dir klar, oder?“

Schlagartig wurde ich wütend, konnte selbst kaum erklären, wieso. Der elende Schwindel ließ nach und ich hob den Kopf. Seine Hilfe war unnötig, ich kam gut alleine klar. „Geh lieber einen deiner Schlitten ziehen oder was ihr Huskys macht“, zischte ich.

„Ich bin kein Husky.“

„Nicht?“

„Schwedischer Elchhund.“

„Schwedischer Elchhund?“, wiederholte ich und prustete los. Von meinen Stimmungsschwankungen bekam ich beinahe ein Schleudertrauma, deswegen atmete ich tief ein und besann mich. Leicht hysterisch kicherte ich ein letztes Mal und hörte abrupt damit auf. Immerhin hatte ich das Adrenalin durch den Lachanfall abgebaut.

Weniger amüsiert schaute Levi mich an und wartete ab, bis mein Körper sich nicht mehr schüttelte.

„Geht’s?“, fragte Levi sanft.

„Ja, danke“, antwortete ich kleinlaut.

„Ach, kein Problem, die Frauen fallen mir tagtäglich um den Hals, das bin ich gewohnt.“

Ich musste grinsen und war dankbar, dass Levi die peinliche Situation mit seinen Worten entschärfte. Verdammt. Verräterische Gesichtsmuskulatur.

„Scheint dir ja nichts auszumachen?“, gab ich zurück.

„Was soll ich sagen, ich bin eben selbstlos.“

Schnaubend schob ich mich an der Wand nach oben. „Schon klar.“

Levi zuckte mit den Achseln und ich ging an ihm vorbei ins Innere der Bar. Das Herz klopfte weiterhin wild in meiner Brust, deswegen atmete ich tief durch. Levi hatte mir geholfen und meinen Finger verbunden. Kein Grund, ihn zum Helden zu erklären, blödes Herz.

„Hey, willst du mir nicht ewige Treue schwören, weil du für immer in meiner Schuld stehen wirst?“

Ich lachte hart auf. „Verlockend. Aber nein, danke.“

„In meiner Schuld stehst du trotzdem.“

Das sollte wohl ein Scherz sein? Sicher hatte ich mich verhört.

„Ich denke, wir sind quitt. Erinnerst du dich? Du hast mich nämlich durch die halbe Stadt gejagt“, sagte ich patzig.

Levi lehnte sich an den Tresen. Er schaute mir dabei zu, wie ich die Spülmaschine ausräumte und die dreckigen Gläser hineinstellte. Seine braunen Haare waren verwuschelt und umspielten sein Gesicht. Zu den braunen Cowboystiefeln trug er eine dunkle Jeans und ein schwarzes Hemd ohne Krawatte. Anscheinend mochte er dunkle Sachen.

„Du bist also nachtragend?“, fragte Levi, als ich mir Hoffnungen machte, dass er den restlichen Abend über schweigen würde. Pustekuchen.

„Nein, es ist schlicht die Wahrheit“, antwortete ich. Hoffentlich war die Diskussion damit beendet, sodass er seines Weges gehen würde.

Mittlerweile stützte er sich mit den Unterarmen auf der Theke ab und beugte sich gefährlich nahe zu mir.

„Wie du meinst, Katty.“ Wie vom Donner gerührt blieb ich stehen.

„Nenn mich nicht so“, fuhr ich ihn an, schmiss ihm den Lappen, mit dem ich eben geputzt hatte, entgegen und flüchtete auf die Damentoilette.

Seit Monaten, seit mein Vater gestorben war, hatte mich niemand so genannt. Mühsam kämpfte ich die Trauer nieder. Papa war lange krank gewesen und ich wusste, dass es eine Erlösung für ihn gewesen war, dennoch … Das machte die Tatsache, dass er weg war und nie wiederkommen würde, kaum erträglicher. Mit jedem Tag fehlte er mir mehr und ich war mir sicher, dass ich ihn bis zu meinem eigenen Tod schmerzlich vermissen würde.

Das Waschbecken fest umklammert, betrachtete ich mich im Spiegel. Einatmend zählte ich bis fünf, dann ließ ich die Luft langsam entweichen. Das Spiel wiederholte ich solange, bis die Hilflosigkeit langsam abflachte. Nach einigen Minuten schnäuzte ich mir geräuschvoll die Nase und verließ die Toilette.

Zu meiner Überraschung wartete Levi am Tresen. Er unterhielt sich angeregt mit Trixi und sie lachte über seine Worte. Jetzt sah ich auch seine beiden Freunde an einem Tisch in der Nähe sitzen.

„Hey, Kat, Levi braucht deine Hilfe“, rief Trixi, als ich mich an ihr vorbei hinter die Theke schob.

„Etwa dabei, sein großes Ego zurück zu seinem Tisch zu tragen?“, flüsterte ich leise vor mich hin.

Dann lächelte ich und fragte, so freundlich es mir möglich war, was ich tun könne.

„Sascha meinte, du kennst dich mit dem Equipment aus und würdest uns alles zeigen?“

„Zeigen? Welches Equipment?“, fragte ich dümmlich, ahnte jedoch, worauf er hinauswollte.

„Auf der Bühne, wo wir unsere Instrumente anschließen können.“ Levi sah mich an, als zweifelte er an meiner Zurechnungsfähigkeit.

„Ihr seid Night Circus?“, stieß ich entsetzt aus.

„Höchstpersönlich. Leider in minimierter Besetzung. Ein Bandmitglied hat uns in Stuttgart verlassen. Hat seine große Liebe gefunden und wollte sesshaft werden. Das heißt aber nicht, dass wir schlechter sind als vorher. Wir werden die Bude rocken.“

Mit offenem Mund starrte ich Levi an.

Das hieß, sie würden die Woche und das Wochenende in der Stadt bleiben und auftreten. Mein Vorhaben, mich von diesem blöden Hund nicht länger aus dem Konzept bringen zu lassen, war kläglich gescheitert und ich hätte am liebsten undamenhaft mit dem Fuß auf dem Boden aufgestampft, konnte mich jedoch gerade beherrschen.

Blieb nur zu hoffen, dass sie wenigstens gute Musik machten. Als hätte sie meine Gedanken gelesen, kam die junge Frau, deren Namen ich vergessen hatte, zu uns herüber und bestellte sich einen Eistee.

„Wow, deine Haare sind abgefahren“, hörte ich Trixi sagen.

„Danke“, lächelte sie und nahm mir das Glas mit ihrem Getränk ab.

Levi legte seinen Arm um sie und ließ sie damit zierlicher wirken. „Ich glaube, Kat kann mich nicht leiden, Liz“, klagte er seiner Freundin sein Leid und verzog die Lippen. Liz durchschaute ihn sofort.

„Was hast du getan?“, fragte sie.

Empört zog Levi die Augenbrauen hoch. „Ich? Wieso muss ich etwas getan haben?“

„Na ja, weil ich dich kenne“, antwortete sie und strich ihm über die Wange.

Triumphierend schmunzelte ich Levi an und streckte ihm die Zunge raus.

„Dich mag ich“, sagte ich an Liz gewandt. „Ich bin Kat, schön, dich kennenzulernen.“

„Lizzy“, antwortete sie und musterte mich einen Moment.

„Gut, verbündet euch ruhig gegen mich. Ich hab’s verstanden. Können wir?“, fragte Levi angefressen und ich nickte. Das hatte ich fast verdrängt.

3. Ein Vorurteil in Ehren konnte mir wohl niemand verwehren

Levi stand am Mischpult und betrachtete es kritisch.

„Etwas veraltet, was?“

„Sei lieber froh, dass dich jemand spielen lässt und du damit Geld verdienst“, antwortete ich patzig.

Er zwinkerte mir zu und schaute sich danach die Boxen an. Also für den Mist hatte ich echt keine Zeit.

„Du weißt ja jetzt, wo alles ist, ich geh an die Bar.“

Je schneller ich von der Bühne runter und zurück in sicheres Terrain konnte, desto besser. Die Atmosphäre hier oben machte mir Angst und Erinnerungen an gemeinsame Konzerte mit meinem Vater drängten an die Oberfläche. Eine Träne rollte mir über die Wange und ich wischte sie weg. Was war heute los mit mir? Ich mutierte zur Heulboje. Die Hände zu Fäusten geballt, versuchte ich, die Beherrschung wiederzuerlangen, und atmete tief durch die Nase ein. Gänsehaut überzog meine Arme und ich fühlte mich elend. Doch das würde ich Levi keinesfalls zeigen.

Zum Glück war der gerade mit anderen Sachen beschäftigt. „Und die Boxen gehen? Die wirken altersschwach.“

Schnellen Schrittes trugen mich meine Beine zu Levi, ohne, dass ich ihnen aktiv das Kommando dafür gegeben hatte. Eine Nasenspitze von ihm entfernt blieb ich Gott sei Dank stehen.

„Natürlich, sie haben eine reine Klangqualität und werden dich überraschen. Beurteilst du Dinge immer nach ihrem Aussehen? Das ist ein Fehler.“ Die Worte waren schneller über meine Lippen gekommen, als mein Hirn denken konnte.

„Das sagt die Richtige!“

„Was meinst du?“, fragte ich aufgebracht.

„Du hasst mich, weil ich ein Hund bin, und verabscheust mich, ohne mich zu kennen.“

Benommen taumelte ich zurück, fing mich aber gleich wieder und verengte meine Augen zu Schlitzen.

„Du warst derjenige, der mir in den Schwanz gebissen hat und die Jagd auf eine unschuldige Katze toll fand. Na, wenn mir das nicht genug über deinen Charakter offenbart …“

„Du dramatisierst und hast keine Ahnung, wer ich bin oder was mich bewegt. Alles, was du zu wissen glaubst, sind Vorurteile, über die du anscheinend nicht hinwegsehen kannst.“

Seine Worte drückten mir nahezu die Luft aus der Lunge. Es stimmte.

Scheiße.

Nach der Jagd auf mich wollte ich ihn gar nicht kennenlernen und sah stets das Schlechte in ihm.

Ich schaute ihm in die Augen und versuchte herauszufinden, was er jetzt über mich dachte.

Langsam ging ich wieder auf ihn zu. Seine Gesichtszüge waren markant und gleichzeitig weich, sein Blick neugierig. Eine kleine Narbe, die eher wie ein Haar aussah, zog sich über seine rechte Gesichtshälfte. Automatisch legte ich meine Hand an seine Wange, wollte die Narbe berühren und ihren Ursprung erkunden. Ich strich sachte die Kontur seines Kinns nach. Die Stoppeln seines Bartes kitzelten mich und ich senkte den Kopf. Dabei fiel mir eine Strähne ins Gesicht, die Levi mir vorsichtig hinters Ohr strich. Die Wut und die Erinnerungen, die mich Sekunden zuvor beherrscht hatten, waren verflogen und ich gefangen im Moment. Die Ehrlichkeit, die Levi mir entgegengebracht hatte, beeindruckte mich und schaffte es, mein Bild von ihm in Sekunden zu ändern. Manchmal brauchte es lediglich ein offenes Wort und alles war plötzlich anders. Zumindest betrachtete ich ihn jetzt aus einem anderen Winkel. Er hatte mit jedem Wort recht gehabt. Ich hatte nicht ihn, die Person, gesehen, sondern nur den Hund in seinem Inneren. Schlagartig wurde mir heiß. Es stimmte, alles, was er und meine Mama gesagt hatten. Früher war ich viel aufgeschlossener und netter zu Menschen und Wandlern gewesen, egal, welche Tierart oder ob sie überhaupt eine beherbergten.

Levis Finger verweilten weiterhin hinter meinem Ohr und meine Haut begann vor Hitze Funken zu sprühen. Zumindest kam es mir so vor. Was war nur los mit mir? Ob ich wohl krank wurde? Dann kämpfte sich ein Ton aus meiner Kehle, der mich erstarren ließ.

Ich schnurrte. Erschrocken über mich selbst, wirbelte ich herum.

„Ich muss … also, ich meine … die Bar … ich sollte an die Arbeit gehen“, brachte ich mühsam hervor und flüchtete.

Was zur Hölle? Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Die Welt wurde schwarz und ich setzte dennoch einen Fuß vor den anderen, blinzelte solange, bis die Welt wieder klar war. Wie hatte das passieren können? Wieso rief dieser Köter derartige Empfindungen in mir hervor? Dabei mochte ich ihn gar nicht, oder? Es war mir schleierhaft und ich schüttelte den Kopf über mich selbst.

Hinter der Theke schnappte ich mir einen Lappen und schrubbte die Gläser mit der Hand. Ich musste mich ablenken. In ein paar Tagen würde alles vergessen sein, Levi und die Band weiterfahren und ich nach Hamburg reisen. Und das war gut, denn ich hatte gerade erst verstanden, wie sehr mich der Tod meines Vaters beeinflusst und verändert hatte. Damit musste ich klarkommen und das reichte vorerst.

„Hey, Kat, danke, dass du der Band alles gezeigt hast. Levi meinte, das müsste funktionieren“, rief mir Sascha im Vorbeigehen zu.

Ich nickte, war gefangen in meinen Gedanken und drohte, darin zu versinken. Die Gläser waren sauber und ich begann die Theke zu putzen.

„Wenn du weiter so schrubbst, machst du ein Loch in das Holz.“ Trixi holte mich zurück ins Hier und Jetzt.

Lächelnd warf ich den Lappen ins Waschbecken und machte mich auf zu einer Runde durch den Raum, um zu überprüfen, ob alle Gäste etwas zu trinken hatten. Irgendetwas musste ich tun, sonst würden meine Gedanken weiterhin kreisen und versuchen herauszufinden, was Levi mit mir anstellte. Schluss, ich musste aufhören, darüber nachzudenken.

S-E-C-H-S.

Z-W-E-I.

E-L-F.

Ich buchstabierte die Tischnummern, an denen ich vorbeikam, um meinen Herzschlag und mein Hirn zu beruhigen. Es funktionierte.

Zurück an der Bar, begann mein Herz erneut wild zu pochen. Levi unterhielt sich mit Trixi und alleine seine Anwesenheit hellte meine Stimmung auf und betrübte sie zugleich. Was für ein Irrsinn.

Verwirrt räumte ich die Spülmaschine aus. Ein Glas nach dem anderen fand seinen Platz im Regal. Levi brachte die schlechtesten Seiten in mir hervor und veranlasste mich damit gleichzeitig zum Nachdenken. Über mich selbst und meine momentane Situation. Dabei waren die Worte meiner Mutter hart genug gewesen.

„Kitty Kat, sag mal, kann ich die hier irgendwo aufhängen?“

„Also ehrlich, ich bin wohl kaum ein Schokoriegel. Kat, mein Name ist KAT. K-A-T. Soll ich ihn dir vortanzen?“ Wutentbrannt starrte ich ihn an. Wäre ich ein Drache gewesen, hätte ich jetzt Feuer gespuckt, so musste ich ihm das Leck-mich-am-Arsch mit den Augen zeigen. Anscheinend fehlte mir die Begabung, Dinge ohne Worte auszudrücken.

Levi sah mich unbeeindruckt an. „Ich würde dich wirklich gern mal tanzen sehen. Am besten heute Abend, während wir spielen. In der Pause lade ich dich gerne auf eine Cola ein.“

What?

Bat er mich gerade um ein Date? Und das, obwohl ich ihn angeblafft hatte? Also entweder hatte er eine masochistische Ader oder ein riesengroßes Ego. Beides mochte ich nicht.

Die Zettel in seiner Hand fielen mir ein. Die perfekte Ablenkung, um einer Antwort aus dem Weg zu gehen.

„Was ist das? Soll ich die aufhängen?“, sagte ich und zeigte auf die Papiere.

Falls es Levi traf, dass ich seine Frage umgangen hatte, ließ er es sich keineswegs anmerken. „Ja, wir suchen eine Sängerin. Es geht nichts über eine weibliche Stimme zu rockiger Musik. Kennst du jemanden?“

Trixi besaß eine besondere Gabe: Sie erschien gern im falschen Moment am falschen Ort und sagte genau die falschen Dinge.

„Na, Kat kann singen. Sie ist früher selbst aufgetreten.“

Kopfschüttelnd versuchte ich, sie zu stoppen, doch sie plapperte weiter. „Ihr Vater liebte Musik und Kat hat sie daher quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Früher haben sie oft zusammen gespielt, er hat sie auf der Gitarre begleitet.“ Der traurige Unterton war unüberhörbar und ich schluckte schwer.

Levi hatte eine Augenbraue nach oben gezogen und schaute mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf und er nahm das hin. Zumindest vorerst.

„Na ja, egal … kannst du die Flyer hier aufhängen? Vielleicht meldet sich jemand. Um in Bremen zu gewinnen, bräuchten wir eine richtig gute Sängerin.“

Trixi schob sich in mein Blickfeld. „Aber Kat, warum …“

Schnell unterbrach ich sie. „Warum ich nicht längst auf dem Weg bin, um die Flyer aufzuhängen? Gute Frage, was stehe ich hier rum?“ Ich riss die Zettel aus Levis Hand und flüchtete ein weiteres Mal. Das wurde langsam zur Gewohnheit.

Ich rannte auf die Damentoilette, vorbei an einer jungen Frau mit karamellfarbenem Haar und direkt in die erste unverschlossene Kabine. Dort legte ich die Flyer auf das Fensterbrett und ließ mich auf den zugeklappten Klositz fallen. Ich zog meine Knie an die Brust und umfasste sie mit den Armen. Die Gedanken in meinem Kopf rasten wie Schnellzüge. Heute war mir alles zu viel. Die Erinnerungen an meinen Vater, die mir auf Schritt und Tritt folgten, und Levi, der mich komplett durcheinanderbrachte.

Nach einigen Minuten verließ ich die Kabine, wusch mir die Hände und das Gesicht, holte die Flyer vom Fensterbrett und ging nach draußen. Es brachte nichts, ich musste diesen Abend überstehen, dann würde ich mich endlich in mein Bett legen und mir die Decke über den Kopf ziehen können.

Gerade, als ich einen Stapel auf dem Zigarettenautomaten drapierte, hörte ich Schritte hinter mir. Langsam drehte ich mich um.

„Sag mal, stalkst du mich?“, fragte ich belustigt. Ich erinnerte mich an Levis Frage nach einem Date und mir stieg Hitze in die Wangen. Heute Morgen hätte ich seine Antwort mit einem entschiedenen Nein beantwortet. Doch jetzt … Ich war ratlos.

„Keineswegs, das ist strafbar. Das würde ich niemals derart offensichtlich tun“, antwortete Levi. „Ist alles okay bei dir?“

„Ja, ist lediglich nicht mein Tag. Ach, wieso so bescheiden? Es ist eindeutig nicht mein Jahr“, antwortete ich trocken und hängte einen Flyer auf.

„Das tut mir leid.“ Kein blöder Spruch? Irgendwie schaffte es dieser Typ dauernd, mich zu überraschen.

Ich hielt inne und sah zu ihm hoch. „Ist okay, du kannst ja nichts dafür. Obwohl du mir das Leben ganz schön schwer machst.“

Er grinste. „Ja, eins meiner zahlreichen verborgenen Talente. Ich gebe mir viel Mühe.“ Flink nahm er mir einige der Flyer ab und legte sie an verschiedenen Stellen aus. „Wenn du reden möchtest, ich bin ein guter Zuhörer.“

„Der beste Freund des Menschen? Stets an meiner Seite und für mich da? Darf ich dir die Ohren kraulen?“, fragte ich sarkastisch und bereute es direkt.

„Du kannst mir sogar den Bauch kraulen. Was dir lieber ist.“ Er zwinkerte mir zu und ich kämpfte gegen die Belustigung an. „Ich mag dich, Kat, und mein Inneres sagt mir, dass wir zusammen ausgehen gehen sollten. Komm schon.“

Wenn ich ehrlich zu mir war – und das sollte ich in nächster Zeit öfter sein – fand ich den Schlagabtausch, den wir uns bei jedem Zusammentreffen lieferten, spannend. Zum ersten Mal seit Wochen machte mir etwas richtig Spaß und gleichzeitig große Angst. Levi in mein Leben zu lassen, konnte in einer Katastrophe enden.

„Du bist nicht überzeugt?“, durchbrach Levi meine Grübelei. „Ich verspreche feierlich, dass ich dich weder beißen noch jagen werde. Lässt du dich nun von mir einladen oder muss ich dich wie ein Neandertaler über meine Schulter werfen und ins Restaurant tragen?“

„Barbarisch. Aber es tut mir leid, ich kann nicht“, wimmelte ich ihn ab. Die Angst war zu groß.

„Ich glaube, ich habe meine Magie verloren. Ich war mir sicher, du würdest zusagen“, sagte er geknickt.

***

Den nächsten Tag hatte ich frei. Ich verbrachte ihn hauptsächlich lesend auf der Terrasse und ließ mir die Sonne auf den Körper scheinen. Leider konnte ich mich kaum auf den Roman konzentrieren. Irgendwann legte ich ihn zur Seite und schloss die Lider. Ich fürchtete mich davor, die Stadt zu verlassen, auch wenn es lediglich für drei Wochen sein würde. Um ehrlich zu sein, machte mir alles Angst. Vor ein paar Monaten hatte sich meine ganze Welt verändert und ich kam damit kaum klar. Ich war stets eine sehr spontane und wechselhafte Person gewesen. Veränderungen hatte ich aufregend gefunden, Abenteuer gehörte zu meinem Leben. Was eventuell durch mein Seelentier beeinflusst wurde. Schnell nahm die Langeweile überhand und ich brauchte die Abwechslung. Jetzt hatte sich das alles geändert. Am liebsten hätte jeder Tag gleich sein können, alles vorhersehbar, planbar.

Hatte ich mich verloren? Hing ich fest? Alles war auf einmal kompliziert und ich hätte am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt.

Gegen Abend stieg meine miese Stimmung ins Unermessliche und raffte mich auf. Nach einem kleinen Stadtbummel führten mich meine Füße zum Friedwald. Am Ende landete ich immer hier, wenn ich Kummer hatte. Es war stets mein Vater, dem ich mich anvertraute. Ich schritt über die Wiese auf den Baum zu, unter dem er begraben lag. Neben ihm ließ ich mich ins weiche Gras fallen und grub die Finger in den Boden. Hier hatte ich das Gefühl, ihm nahe zu sein.

Papa, was ist nur los mit mir? Früher hatte ich Dinge gewagt und erst am Ende an die Folgen gedacht. Nun machte mir alles Angst. Sogar das Kribbeln in meinem Bauch, wenn ich an Levi dachte. Er machte mich wütend, benahm sich immer daneben und war nie verlegen um einen dummen Spruch. Und trotzdem … keine Ahnung … brachten er und die Worte meiner Mutter mich zum Nachdenken. Deswegen erzählte ich Papa von ihm, denn es half mir, Dinge klarer zu sehen. Ich berichtete von unserer Jagd und unserem Zusammenstoß in der Bar. Der Berührung, meinem Schnurren.

„Klingt, als würde ich ihn mögen“, hätte mein Vater gesagt.

Ich schnaubte. „Er ist ein Hund.“

„Dann kann er dich wenigstens durch den Wald jagen.“

Ich fuhr mir durchs Haar. „Weißt du, Kat, Mama hat recht. Du musst hier raus, denn du bist zu sehr in deiner Trauer gefangen. Du hast dich stets von deinen Gefühlen leiten lassen, Entscheidungen instinktiv getroffen. Warst leidenschaftlich.“

„Das bin ich weiterhin“, warf ich trotzig ein und fühlte mich dabei wie ein kleines Mädchen.

„Das stimmt, bloß wo kommt plötzlich dieser unglaubliche Hass auf Hunde her? Du überkompensierst, Schatz.“

„Die Abneigung hatte ich bereits als Kind“, verteidigte ich mich.

„Ja, eine Abneigung. Jagen hast du dich trotzdem von ihnen lassen. Sogar gespielt hast du mit ihnen. Und jetzt hasst du sie? Aus tiefstem Herzen?“

Ich stutzte, wollte die Wahrheit nicht sehen. Das hätte bedeutet, dass ich tatsächlich einen Teil von mir verloren hatte und eine andere geworden war.

„Hör auf, deine Trauer auf andere Lebensbereiche zu projizieren. Es scheint, als wärst du im Energiesparmodus, würdest nur einen Teil der Farbpracht dieser Welt wahrnehmen.“

Ein Eichhörnchen sprang über die Wiese und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Dieses Gespräch fand lediglich in meinem Kopf statt, mein Vater war weiterhin tot. Doch das hieß keineswegs, dass die Worte deshalb weniger bedeutsam waren. Es stimmte. Alles fühlte sich in Watte gepackt an. Ich schwebte und fiel gleichzeitig in eine bodenlose Schwärze. Meine Trauer hatte sich in meinem Hass verschiedenen Dingen gegenüber ausgelebt. Veränderung zum Beispiel. Allein, wenn meine Mutter die Kaffeesorte gewechselt hatte, war mir das zu viel gewesen. Eine einsame Träne lief mir über die Wange und ich wischte sie schnell weg. Ich musste zu mir zurückfinden. Leben.

***

Voller Hoffnung und guter Vorsätze betrat ich am nächsten Tag die Bar. Ab sofort würde ich kein Angsthase mehr sein, den Menschen offener begegnen und alles lockerer nehmen. Basta, keine Widerrede, Gehirn!

Schon am Eingang sah ich eins der Plakate, die aufgehängt worden waren, um Night Circus’ Auftritt heute anzukündigen. O Mann, das hatte ich verdrängt. Wie sollte ich mich Levi gegenüber verhalten?

„Hey, Kat“, begrüßte mich Liz an der Tür. Sie saß an einem Tisch am Eingang.

„Hallo. Aufgeregt?“, betrieb ich Konversation, um mein Vorhaben gleich in die Tat umzusetzen.

Ich ließ mich auf einen Stuhl neben ihr gleiten und spielte mit einem Bierdeckel.

Liz musterte mich eingehend, jedoch schaute sie mir dabei nie in die Augen. „Es geht, ich liebe die Musik und auf der Bühne … das ist ein unbeschreibliches Gefühl.“

Sofort wusste ich, wovon sie sprach. Wenn der Bass in den Muskeln vibrierte und jeder Ton einen weiter antrieb, sein Bestes zu geben. Eine Gänsehaut bedeckte meine Haut und ließ mich schaudern.

Zum Glück zog Trixi meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie bediente Gäste unweit von uns und mich packte das schlechte Gewissen, da meine Schicht vor ein paar Minuten begonnen hatte. „Ich kenne das. Leider muss ich jetzt arbeiten“, entschuldigte ich mich.

Levi hatte ich bisher nirgend entdeckt. Das Schicksal war wohl auf meiner Seite. Später füllte sich die Bar und Sascha half mir beim Bedienen. Das hieß, ich konnte Levi aus dem Weg gehen, indem ich meinen Chef ihre Bestellung übernehmen ließ. Was ein Glück.

Einige Stunden später hatte Night Circus sich auf der Bühne platziert. Levi hatte sich seine Gitarre umgehängt, der andere Mann saß am Schlagzeug und Lizzy hielt eine Geige in der Hand. Offensichtlich war Levi der Sänger, denn er stand am Mikro. Die Gitarre stand ihm, machte ihn maskuliner und ließ ihn verwegener erscheinen.

Lecker.

Halt! Stopp!

Böser Gedanke, pfui.

Mochte ich ihn? Mochte ich ihn nicht? Irgendwie zog er mich an. Er war interessant und neu. Gleichzeitig ergriffen mich Furcht und das Gefühl, ich sollte lieber schnell wegrennen. Nein, damit war Schluss. Mut war die neue Angst. Leider war das leichter gesagt als getan.

Als die ersten Töne der Musik erklangen, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Wie immer, wenn ich Livemusik hörte. Eine Mischung aus rockigen und mystischen Klängen tanzte durch den Raum und hatte eine hypnotische Wirkung auf das Publikum. Wir starrten auf die Bühne, klebten an Levis Lippen und zumindest ich fühlte mich vollkommen geborgen.

Die Bandmitglieder harmonisierten perfekt. Levi sang fabelhaft. Seine Stimme war tief und kratzig. Um in Bremen punkten zu können, brauchten sie definitiv keine Sängerin.

„Ein Weizen bitte“, erklang plötzlich die Stimme eines Gastes und ich machte mich an die Arbeit. Dann erstarrte ich mitten in der Bewegung. Die Töne lähmten mich und das Lieblingslied meines Vaters drang unaufhörlich durch den Raum.

Night Circus spielte ihre eigene Version von Eric Claptons Layla, was es nur besonderer machte. Gleichzeitig hörte ich meinen Vater, seine Stimme vermischte sich mit der von Levi und meine Sicht verschwamm. Die Musik drang in mein Herz, umfing es und streichelte über die schmerzenden Stellen. Die Qual wurde weniger, die Wunden begannen zu heilen. Plötzlich erfüllte mich die Liebe zu meinem Vater, zu diesem Song, den wir unaufhörlich zusammen gesungen hatten. Papa war hier, würde für immer hier sein.

Halt!

Dieses Gefühl sollte aufhören. Die Schmerzen mussten bleiben. Sie erinnerten mich an meinen Vater, sorgten dafür, dass ich stets an ihn dachte, und hielten mich in der Gegenwart.

Benommen rannte ich zur Tür, auf der Flucht vor meinen eigenen Empfindungen. Das durfte meinen Vater niemals vergessen und vor allem wollte ich keinesfalls, dass ein Kerl, den ich eben erst kennengelernt hatte, derartige Emotionen in mir auslöste. Und das lediglich mit seinem perfekten Gesang. Ich kämpfte gegen die Melodie, Levis Stimme und das Vergessen, doch die Musik siegte. Sie riss eine Mauer ein, die ich die letzten Monate sorgfältig in die Höhe gebaut hatte.

Kurz vor dem Ausgang hielten sich weniger Menschen auf. Alle tummelten sich vor der Bühne oder direkt an der Theke. Gleich hatte ich es geschafft, war endlich draußen. Viel zu schwungvoll öffnete ich die Tür und rannte blindlings raus. Dort stolperte ich und fiel hin, bettete mein tränennasses Gesicht auf meine Arme und blieb liegen, egal, wie das aussah. Zuerst musste ich mein Inneres ordnen.

Mein Vater war tot.

Ich schmeckte den bitteren Geschmack der Wahrheit und Erkenntnis. Ich vermisste ihn kein bisschen weniger, nur, weil der Schmerz leichter zu ertragen wurde. Und ich würde ihn genauso wenig vergessen, wenn ich diese Stadt verlassen würde. Papa blieb für den Rest meines Lebens mein Papa, tief in meinem Herzen verankert.

Prompt fiel mir das Atmen leichter.

„Bist du hingefallen?“, ertönte Saschas Stimme.

„Nein, ich bewundere den Boden, geht von hier unten besser.“

„Und dabei heulst du?“

„Ja, ist ein sehr emotionaler Moment.“

Er streckte mir schmunzelnd die Hand entgegen. Zusammen hievten wir mich ohne peinliche Zwischenfälle auf die Beine und brachen schließlich in Gelächter aus.

Sascha fuhr sich übers Kinn. „Ein emotionaler Moment also.“

„Ja, du hast uns gestört, der Boden war gerade dabei, mir seine Liebe zu gestehen.“

„Ah, deswegen die Tränen.“

Ich atmete tief ein und hörte aus dem Inneren die Band weiterhin spielen, alte Wunden rissen weiter auf. Saschas Anwesenheit jedoch stärkte mir den Rücken und schenkte mir Sicherheit, die ich dringend brauchte.

„Du kannst ruhig reingehen. Ich bin okay. Ein paar Minuten frische Luft und Einsamkeit tun mir gut“, sagte ich und lächelte.

Sascha sah mich zweifelnd an. „Bist du sicher? Ich bleibe gern.“

„Ja, geh. Bitte“, spielte ich die Geheimwaffe aus. Er umarmte mich und verschwand. Durch die offene Tür hörte ich ein Lied nach dem anderen, bis Stille einkehrte und nur Stimmengewirr zu hören war. Einige Gäste drangen ins Freie, um zu rauchen. Deswegen wandte ich mich Richtung Wald, wollte weiterhin für mich allein sein.

„Hey, sind wir etwa so schlecht?“, erklang Levis Stimme hinter mir. Ich drehte mich zu ihm. Obwohl es dunkel war, konnte ich seine Gesichtszüge, sein kantiges Kinn im Mondschein ausmachen. Sogar das Leuchten in seiner Iris erkannte ich.

„Was tust du hier?“, schwappte die Frage direkt über meine Lippen.

Amüsiert betrachtete er mich und schloss den Reißverschluss seiner Jacke. „Meine Band spielt heute.“

„Nein, hier draußen.“

„Ich bin dir nachgegangen. Geht’s dir gut?“

Verwirrt musterte ich ihn. Levi, ein Buch mit sieben Siegeln und genauso unberechenbar wie eine Horde Wespen.

„Geht“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Wegen deinem Vater?“, fragte er und ich nickte. „Trixi hat ihn erwähnt. Es tut mir leid.“

Erneut breitete sich die Trauer in mir aus und ich weinte. Schützend legte ich meine Hände übers Gesicht, doch mein Schluchzen konnte ich schlecht verbergen. Mit wenigen Schritten war Levi bei mir und zog mich in eine Umarmung.

Einfach so.

Ich ließ den Tränen freien Lauf, während Levi mir beruhigend über meinen Rücken strich, bis ich die Kontrolle über meine Tränenkanäle zurückerlangte.

Levi löste sich von mir, als wir unsanft angerempelt wurden. Der Trucker, der betrunken davonwankte, entschuldigte sich nicht mal.

Nett.

„Ich hab eine Idee. Vertraust du mir?“, fragte Levi und schnaubte.

„Was für eine dumme Frage. Ich kenne dich kaum, natürlich vertraue ich dir keineswegs!“

Er lachte. „Na, du traust mir genug, um dich von mir umarmen zu lassen und meine Schulter vollzuweinen.“

„Vielleicht mache ich das ja bei jedem?“, überspielte ich, wie peinlich mir die Situation im Nachhinein war. Ich hatte ihn wirklich vollgeheult. O Mann.

„Unmöglich“, meinte Levi vollkommen überzeugt.

„Wieso?“

„Weil du nicht der Typ dafür bist.“

„Und das weißt du, weil …“

„Ich eine gute Menschenkenntnis habe. Hund und so, du weißt schon.“

Levi zog mich hinter sich her. Zusammen betraten wir das Gebäude, schlängelten uns durch die Menschenmasse und ich war mir dabei seiner Hand, die meine hielt, bewusst. Der kräftige Druck wärmte mich. Sacht strich ich mit meinem Daumen über seine Haut und bewunderte ihre Weichheit.

Als die Bühne näherkam und lediglich einige Meter von uns entfernt war, setzte mein Verstand komplett aus. Mechanisch ließ ich mich von Levi nach oben manövrieren. Auf einmal war es still, ich hörte keinen Ton. Schien ertaubt zu sein. Die Zeit blieb stehen und alles bewegte sich in Zeitlupe, doch ändern konnte ich nichts. Ich musste die Situation über mich ergehen lassen. Wünschte mir, dass das alles ein Traum wäre und ich gleich aufwachen würde. Dann drangen die Geräusche wieder an mein Ohr und erdrückten mich. Meine Gedanken rasten wie Rennautos durch meine Hirnrinde, während die Luft zu dünn zum Atmen war.

Was sollte ich hier oben?

Wieso tat er mir das an?

Warum half mir denn keiner?

Sah denn niemand, dass ich gleich ersticken würde?

Ich überlegte, von der Bühne zu springen, doch meine Beine waren festgewachsen, ich konnte sie kaum bewegen.

„Da bin ich wieder. Und ich hab jemanden mitgebracht. Kat und ich singen jetzt zusammen. Und wir widmen dieses Lied ihrem Vater, der schmerzlich vermisst wird“, sagte Levi und reichte mir das Mikro.

„Ich kann das nicht“, wisperte ich panisch.

„Lass die Musik sprechen. Hör ihr zu, lass sie dich leiten und singe für deinen Vater.“

Die ersten Klänge ertönten und ich erkannte Tears in Heaven von Eric Clapton. Wäre ich weniger hysterisch gewesen, wären mir wahrscheinlich erneut die Tränen übers Gesicht gelaufen. Stattdessen schloss ich die Lider für einige Sekunden und versuchte, mich an einen anderen Ort zu beamen. Natürlich war das unmöglich. Dumme Schwerkraft, dummer Sheldon Cooper, der das erst erfinden musste. Beschäftigte er sich überhaupt damit? Oder war das Lennard? Raj? Vielleicht Howard, aber ich glaubte, der beschäftigte sich mit etwas anderem … Ingenieur, ja, genau. Hatte Beamen überhaupt etwas mit der Schwerkraft zu tun? Wieso hatte ich nicht besser aufgepasst in der Schule? Sinnlose Informationen fluteten mein Kopf und drohten, ihn dadurch zum Platzen zu bringen. Dann würde ich immerhin ohne zu singen von der Bühne kommen, oder? Bei meinem Glück würde ich trotzdem singen können.

„Sieh mich an.“ Levi hatte mein Kinn mit seiner Hand umfasst und zwang mich, ihn direkt anzusehen.

„Hör auf die Musik. Was sagt sie dir? Hör ihr zu, sie spricht mit dir, antworte ihr.“

Und genau das tat ich, ließ die Klänge endlich in mein Herz, obwohl ich sie lange ausgeschlossen hatte, und wie zuvor beflügelte sie mich, befreite mich und zeigte mir, wo es lang ging.

Levi sang die ersten Zeilen und ich stieg mit ein. Zusammen steuerte die Musik uns durch das Lied und ich bildete mir ein, meinen Vater hinten an der Wand erkennen zu können. Er lächelte mir zu und zwinkerte, genau wie früher.

Die Melodie trug mich durch das Lied und darüber hinaus. Ich nahm Levis’ Hand und blieb den Abend über mit ihm und Night Circus auf der Bühne. Wir spielten Lied um Lied und brachten die Bar zum Kochen. Der rauschartige Zustand schloss seinen Griff um mich, hatte die Kontrolle übernommen und brachte mich durch die Nacht.

Nach dem Konzert sackte ich auf einem Stuhl zusammen.

Ich hatte gesungen.

Auf einer Bühne.

Vor Menschen, vielen Menschen.