Dark Land 29 - Horror-Serie - Logan Dee - E-Book

Dark Land 29 - Horror-Serie E-Book

Logan Dee

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Beschreibung

Es schneite. Zum ersten Mal seit Menschengedenken schneite es in Twilight City. Der erste Schneegriesel war kaum von gewöhnlichen Regentropfen zu unterscheiden, doch innerhalb von Minuten ging er in Graupel über, und bald schwebten riesige dicke Schneeflocken herab. Die Menschen und Dämonen schauten verwundert hinauf. Einige glaubten, eine riesige Gestalt am Himmel zu erkennen, und sie erinnerten sich an die dunklen Legenden, die sich um die Eiskönigin rankten. Am Ende aller Zeiten, so hieß es, würde sie ihre kalte Herrschaft antreten ...

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EPUB

Seitenzahl: 140

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Was bisher geschah

Eisnacht

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5855-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Was bisher geschah

Die Hauptpersonen dieses Romans sind:

Wynn Blakeston: Gestrandeter aus einer anderen Dimension

Abby Baldwin: Wynns beste Freundin

Sir Roger: Abbys Vater

Esrath: sein dämonischer Diener

Die Eiskönigin: Sagengestalt

Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Schnabeldämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.

Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse.

Menschen und Dämonen leben hier mehr oder weniger friedlich zusammen, und doch ist Twilight City voller Gefahren. Die Stadt ist zudem von einem dichten Nebelring umgeben, den kein Einwohner jemals durchbrochen hat. Niemand weiß, was hinter den Grenzen der Stadt lauert …

In dieser unheimlichen Umgebung nennt sich Johnny ab sofort Wynn Blakeston – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will. Schließlich wimmelt es hier von Dämonen aller Art – und die hat Wynn in seiner Heimat immer bekämpft.

Wynn findet heraus, dass der Schnabeldämon Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen, die sogenannten Kraak.

Als Wynn wegen eines unglücklichen Zwischenfalls zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird, zahlt der geheimnisvolle Sir Roger Baldwin-Fitzroy das Bußgeld und nimmt ihn in bei sich auf – warum, das weiß Wynn nicht.

Er lernt Sir Rogers Tochter Abby und seinen Diener Esrath kennen, die auch in Sir Rogers Villa leben. Er freundet sich mit Abby an, sie wird schon bald zu seiner engsten Vertrauten in dieser mysteriösen Welt.

Was Wynn nicht ahnt: Auch sein geheimnisvoller Gönner hat noch eine Rechnung mit dem Dämon Norek offen. Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, liefert er den Kraak dem Wissenschaftler Dr. Shelley aus, der gleichzeitig Leiter des Sanatoriums Dead End Asylum im Deepmoor ist. Dieser verpflanzt Noreks Gehirn in einen anderen Körper und sperrt den Kraak in seinem Sanatorium ein.

Sir Roger aber präsentiert Wynn Noreks toten Körper, sodass der glaubt, der Kraak wäre für immer besiegt.

Doch einen Ausweg aus Dark Land scheint immer noch in weiter Ferne, und Wynn muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sein Aufenthalt in dieser Welt wohl noch länger andauern wird. Mit der Hilfe von Abby, die inzwischen herausgefunden hat, dass ihre verstorbene Mutter Matilda Fitzroy eine Hexe war, hat er einen Job beim Twilight Evening Star ergattert, der größten Zeitung von TC. Als man dort erkennt, dass er für Größeres bestimmt ist, steigt er vom Archivar zum Reporter auf.

Und schon bald stellt Wynn fest, dass noch ganz andere Aufgaben in TC auf ihn warten …

So gelingt es ihm, TC von dem so genannten »Richter« zu befreien, einem riesigen, schlangenartigen Wesen, das TC in regelmäßigen Abständen mit seinen Jägern heimgesucht hat.

Bei seiner Vernichtung warnt der Richter Wynn vor einer drohenden Gefahr, und Wynn fragt sich, ob das etwas mit dem geheimnisvollen weißen Schiff zu tun hat, das vor einiger Zeit wie aus dem Nichts im Hafen aufgetaucht ist und auf dem immer wieder Bewohner der Stadt spurlos verschwinden …

Eisnacht

(1. Teil)von Logan Dee

Es schneite. Zum ersten Mal seit Menschengedenken schneite es in Twilight City. Der erste Schneegriesel war kaum von gewöhnlichen Regentropfen zu unterscheiden, doch innerhalb von Minuten ging er in Graupel über, und bald schwebten riesige, dicke Schneeflocken herab. Die Menschen und Dämonen sahen verwundert hinauf. Einige glaubten, eine riesige Gestalt am Himmel zu erkennen, und sie erinnerten sich an die dunklen Legenden, die sich um die Eiskönigin rankten. Am Ende aller Zeiten, so hieß es, würde sie ihre kalte Herrschaft antreten …

Wynn hatte soeben seinen Artikel für die morgige Ausgabe des Twilight Evening Star beendet, als sein Blick aus dem Fenster fiel.

»Es schneit«, stellte er lapidar fest.

Abby, die soeben an seinen Schreibtisch getreten war, erstarrte. Auch sie blickte nun hinaus in den dunklen Abend.

»Was ist denn los?«, fragte Wynn besorgt. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«

»Wenn es das ist, was ich glaube, dann ist das weit gruseliger als ein Geist«, antwortete Abby.

Sie stürzte zum Fenster, wischte das Kondenswasser fort, das sich als Beschlag auf der Innenseite der Scheibe gebildet hatte, und spähte hinaus in den Spätabend.

Auch die anderen Kollegen hielt es nicht mehr an ihren Schreibtischen. Sie alle waren in Aufruhr. Nur Wynn schüttelte den Kopf.

»Was ist an einem bisschen Schnee so besonders?«

Abby wandte sich zu ihm um. »Tust du nur so cool oder weißt du es tatsächlich nicht?«

»Nein, aber du wirst es mir gleich sicher erklären.«

»Hast du denn noch nie von der Legende der Eiskönigin gehört?«

»Oh, nicht schon wieder die Eiskönigin! Seit zwei Wochen redest du von nichts anderem mehr!«

Die Eiskönigin repräsentierte in Twilight City so in etwa das, was Wynn in seiner Welt als Weihnachtsmann gekannt hatte. Allerdings eher die dunkle Seite von Father Christmas. Wohl mehr wie die Hexe Befana in Italien oder Knecht Ruprecht in Deutschland. Allen Gestalten war jedenfalls gemeinsam, dass es sie nicht gab, oder? Abby allerdings schien von der Existenz der Eiskönigin überzeugt zu sein.

»Mach dich nur über mich lustig, Wynn Blakeston. Am Ende wirst du sehen, dass ich recht habe!«

»Aber Abby, du kannst nicht im Ernst von mir verlangen, dass ich diesen Unsinn glaube. Okay, du bist damit aufgewachsen …«

»Du begreifst es einfach nicht! Wir haben hier noch nie Schnee gesehen! Es gibt ihn nur in den Legenden und dunklen Märchen. Und es heißt, an dem Tag, an dem er fällt, ist das Ende von Twilight City angebrochen!«

»Wo Rauch ist, ist noch kein Feuer!«; beruhigte Wynn sie, doch der Ernst, mit dem sie sprach, gab auch ihm zu denken.

Das Ende von Twilight City … Eine düstere Vorstellung. Dabei wurde ihm bewusst, wie sehr er sich bereits an sein Leben in dieser Welt gewöhnt hatte.

»Los, lass uns nachsehen, was dort draußen vor sich geht!«, sagte Abby. »Außerdem muss ich wissen, wie er sich anfühlt, dieser Schnee.«

»Eiskalt und nass.«

»Ich muss es fühlen!«, bekräftigte Abby, und außer Sorge hörte Wynn noch etwas heraus: eine Erwartung, die ihn daran erinnerte, wie er selbst als Kind mit klopfendem Herzen rausgerannt war, wenn der erste Schnee niedergegangen war.

Wie er mit dick gefüttertem Anorak und Pudelmütze hinausgestürmt war, die Zunge herausgestreckt hatte, weil er den Schnee nicht nur sehen, ihn nicht nur fühlen, sondern ihn schmecken wollte. Oder wie er mit seinen Eltern zu dem Hügel in der Nähe ihres Wohnhauses gefahren war, um dort mit dem Schlitten die sogenannte Todesbahn hinunterzurasen …

Selbst als Jugendlicher hatte er dem Spaß noch viel abgewinnen können und hatte sich – dann ohne Eltern, aber mit seinen Freunden – zum Devil’s Hill, wie sie den Berg getauft hatten, begeben, um sich ein paar aufregende Stunden zu machen.

Und an noch eins erinnerte er sich – und es stand plötzlich wie ein Bild vor seinen Augen, nach dem er nur greifen musste, um es für immer festzuhalten: Er war acht oder neun gewesen, als er mit seinem Vater einen Iglu gebaut hatte. Sie hatten es sich darin bequem bemacht, und später war seine Mutter hinzugekommen, hatte heißen Tee und Biskuits mitgebracht und sich ebenfalls zu ihnen gehockt. Im Nachhinein kam es ihm so vor, als wäre er seinen Eltern nie näher gewesen als damals …

»Kommst du jetzt endlich, oder bist du eingefroren?«, rief Abby, die bereits auf dem Weg zum Ausgang war – genau wie die meisten anderen Angestellten. Kaum jemand wollte es sich entgehen lassen, den plötzlichen Wintereinbruch zu erleben.

»Bin schon da«, sagte Wynn und zog sich die Jacke über. Wahrscheinlich war sie viel zu dünn, dachte er.

Und das war sie tatsächlich. Denn als er Seite an Seite mit Abby aus der Empfangshalle auf die Straße trat, wehte ihm ein eisiger Wind entgegen, der ihm die Flocken wie winzige Eisgeschosse ins Gesicht schleuderte.

Dennoch ließ er sich ebenso wenig wie all die anderen Leute davon abhalten, stehen zu bleiben und nach oben zu schauen – in einen grauschwarzen Abendhimmel, aus dem der Schnee in immer dichter werdendem Gestöber herabfiel.

Auf der mehrspurigen Straße war der Verkehr zum Erliegen gekommen. Die Insassen waren aus ihren Wagen gestiegen und betrachteten wie alle anderen auch ebenso fassungslos wie freudig das Spektakel.

Sie benehmen sich wie Kinder, erkannte Wynn. Aber wie Kinder, die Süßigkeiten und Strafe zugleich erwarten.

Plötzlich traf ihn etwas Nasses, Hartes am Hinterkopf. Es war ein Schneeball. Er fuhr herum und konnte sich gerade noch rechtzeitig ducken und einem zweiten ausweichen.

Abby grinste ihn unverschämt an. »Na los! Wehr dich!«

Sie bückte sich und hob weiteren Schnee vom Boden auf.

In dem Moment sah Wynn die schwarze Limousine, die ins Rutschen gekommen war und direkt auf Abby zu schlitterte.

»Achtung, Abby!«, schrie er.

Sie begriff nicht sofort, dass sie in Gefahr schwebte und grinste noch immer.

Wynn spurtete los. Dabei wusste er schon mit dem ersten Schritt, dass er zu spät kommen würde. Der Bürgersteig war viel zu glitschig. Er geriet ins Stolpern und fiel der Länge nach hin.

»Abby, der Wagen!«

Endlich verstand sie! Ihr Kopf zuckte herum. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah sie die Limousine genau auf sie zu rutschen.

Auf sie und etwa ein Dutzend anderer Passanten, die nun in Panik zurückwichen.

Doch Abby stand noch immer wie erstarrt.

»Lauf, Abby!«

Aber es war zu spät, das wusste Wynn. Der Wagen war nur noch einen Meter von ihr entfernt. Mit unverminderter Geschwindigkeit glitt das Gefährt direkt auf sie zu. Wie in Zeitlupe erkannte Wynn hinter der dunkel getönten Windschutzscheibe das entsetzte Gesicht des Dämons, der verzweifelt am Steuer drehte, ohne dass dies irgendetwas bewirkte.

30 Zentimeter noch bis zum Aufprall. 20 …

Wynn schloss die Augen, aber das Bild, wie der wuchtige Wagen Abby rammen, sie zu Boden schleudern und die breiten Räder sie zerquetschen würden, ließ sich nicht aus dem Kopf bannen. Auch die anderen Leute sahen das Unglück kommen. Sie schrien und kreischten.

Wynn erwartete jeden Moment das Geräusch des Aufpralls.

Aber dann ging ein Raunen durch die Menge.

Und als Wynn die Augen wieder öffnete, war ein Wunder geschehen.

***

Die Limousine war nur wenige Zentimeter vor Abby zum Stehen gekommen.

Wynn sprang auf und lief zu Abby hin – diesmal nicht ganz so hektisch, damit er nicht wieder ausrutschte.

»Um ein Haar hätte er dich erwischt!«, entfuhr es Wynn erleichtert.

Abby schien unter Schock zu stehen. Noch immer starrte sie auf den Wagen, als könne auch sie nicht glauben, dass sie davongekommen war.

Wynn folgte ihrem Blick, und dann sah auch er, was in Wirklichkeit Abby derart entsetzte: Die Windschutzscheibe war voller Blut. Das blutüberströmte Gesicht des Dämons war zu einer Todesfratze verzerrt. Er war mit dem Kopf direkt gegen die Frontscheibe geknallt. Den Aufprall hatte er offensichtlich nicht überlebt.

»Verflucht!« Wynn ging zum Wagen, öffnete die Fahrertür und spähte in den Innenraum.

Kurz fühlte er den Puls des Dämons, schüttelte dann den Kopf. Der Fahrer musste sofort tot gewesen sein. Es handelte sich bei ihm um einen Satyr. Das rechte Horn lag zerbrochen auf dem Nebensitz.

Wynn trat erneut zu Abby. »Wir müssen die Polizei rufen. Und einen Leichenwagen.«

Abby nickte, noch immer benommen.

Auf der Straße hinter Wynn krachte es. Es war zu einem weiteren Unfall gekommen.

***

Es hatte Stunden gedauert, bis sie endlich zu Hause angekommen waren. Der öffentliche Verkehr war weitgehend zusammengebrochen, kaum eine Straße war mehr befahrbar.

Abby und Wynn hatten sich schon damit abgefunden, wie die meisten anderen im Verlagsgebäude übernachten zu müssen, als plötzlich Esrath im Büro aufgetaucht war. Der Naturalis war in einen dicken Pelzmantel gehüllt. Aber was noch viel wichtiger war: Er hatte noch etwas gegen die Kälte dabei: eine Glaskugel, in deren Innerem eine rote Flamme loderte.

»Was ist das?«, fragte Wynn skeptisch.

Die Kugel musste glühend heiß sein, aber Esrath balancierte sie auf der bloßen Handfläche, ohne dass er auch nur eine Regung von Schmerz zeigte.

»Das Ei eines Feuerdrachen«, erklärte er. »Natürlich magisch aufgeladen, damit es seinen Zweck erfüllt.«

Also ein weiteres magisches Artefakt aus dem unerschöpflichen Fundus des Arsenals in Baldwin House, dachte Wynn.

Das Arsenal lag tief unten im Keller des Hauses, und was dort an magischen Gegenständen lagerte, wusste wohl nur Kukol, der Wächter des Arsenals zu sagen. Im Grunde war es so etwas wie ein riesiger magischer Medizinschrank, denn bisher hatte sich für jedes Problem ein Mittelchen im Arsenal gefunden.

Wynn war gespannt, was es diesmal war.

»Ich habe den Wagen vor dem Eingang geparkt«, drängte Esrath. »Wir sollten zusehen, dass wir recht schnell aus der Innenstadt gelangen, bevor sie die Straßen vollends sperren.«

Als sie am Wachpersonal vorbei über den eigentlich roten, nun aber schneebedeckten Teppich ins Freie gelangten, atmete Wynn erleichtert auf. Den Wagen hatte man ebenso wie den Toten bereits fortgeschafft. Nichts erinnerte mehr daran. Er warf einen Seitenblick zu Abby. Auch sie schien das Erlebnis bereits einigermaßen überwunden zu haben. Zumindest verlor sie kein Wort mehr darüber.

Esrath ließ sie im Fond des Wagens einsteigen. Er selbst stellte sich vor die Limousine, streckte die Hand mit der Kugel aus und hauchte sie an. Obwohl in Esraths erdigem Gesicht kein Mund zu erkennen war, war der Hauch deutlich zu sehen. Er manifestierte sich wie eine gläserne Brücke in der erkalteten Luft. Das eine Ende der Brücke entsprang dort, wo sich bei Menschen die Lippen befanden, das andere schien in die Kugel einzudringen und die Flammen noch stärker zu entfachen.

Mit einem lauten Knall zersprang die durchsichtige Oberfläche, und Hunderte von Funken stoben in die Luft. Doch statt direkt zu Boden zu schweben, blähten sie sich auf, wurden zu brikettgroßen glühenden Gebilden, denen Flügel und Beine wuchsen. Erst dann ließen sie sich zu Boden nieder und brachten mit ihrer Glut den Schnee zum Schmelzen.

Sie bildeten einen gleißenden Teppich vor der Limousine, und erst, nachdem Esrath hinter dem Steuer Platz genommen hatte und losfuhr, bewegten auch sie sich vorwärts. Wie eine glühende Schlange krochen sie vorweg und befreiten die Spur von Schnee. Auf diese Art also hatte es Esrath zu ihnen geschafft. Wenn es auch eine sehr langsame Art war, vorwärtszukommen.

»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte Wynn.

Für ihn war jegliche Art von Magie noch immer jedes Mal ein Mysterium, während sie in Twilight City zum Alltag gehörte. Nun ja, nicht für jeden – denn auch so etwas wie dieses Ei des Drachen musste man erst mal besitzen und zu entfachen wissen. So wie Esrath.

»Ganz einfach«, antwortete dieser. »Ich habe die Feuerdrachen entfacht. Immerhin haben sie ein Jahrhundert darauf gelauert, endlich freigelassen zu werden.«

»Ein ganzes Jahrhundert? Heißt das etwa im Umkehrschluss, dass es in TC vor hundert Jahren das letzte Mal geschneit hat?«

»So ist es.«

Mehr sagte Esrath nicht dazu, und Wynn ahnte, dass er nicht mehr aus ihm herausbekommen würde. Er kannte den schweigsamen Naturalis mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass dieser um alles ein großes Geheimnis machte.

Manchmal allerdings waren diese Geheimnisse so schrecklich, dass Wynn sie auch gar nichts wissen wollte.

Auf der Fahrt sah er hinaus in das immer dichter werdende Schneetreiben. Überall auf der Straße verstreut standen die liegen gebliebenen Wagen. Begraben unter der Schneedecke erinnerten sie an monströse Körper, über die man ein Leichentuch geworfen hatte.

Nur vereinzelt waren Menschen zu sehen. Am schlimmsten traf es die Obdachlosen, diejenigen, die kein Dach über dem Kopf hatten. Drei von ihnen – eine Frau und zwei Teufel – sah Wynn unter einem Wellblechdach um ein brennendes Ölfass herum nach etwas Wärme haschen.

Angesichts ihrer jämmerlichen Lage war er privilegiert, das wusste er. Und fast schämte er sich ein wenig dafür, trockenen Hauptes an ihnen vorbeizufahren. Kurz fing er den flehenden Blick der Frau auf. Hoffnungslosigkeit und Tristesse lagen darin, und Wynn wurde einmal mehr bewusst, wie grausam die Welt war. Nicht nur diese …

Als Esrath die Limousine endlich vor Baldwin House einparkte, hätte Wynn das Anwesen fast nicht wiedererkannt. Das Gebäude hatte auf ihn immer einen düsteren, abschreckenden Eindruck gemacht. Mit seinen vielen Erkern und Türmchen erinnerte es ihn eher an ein Geisterschloss. Und die abstoßenden Wasserspeier, die hoch oben unter dem Dach herunterglotzten, konnten tatsächlich wie in einem Horrorfilm zum Leben erwachen. Ja, Baldwin House wirkte nicht nur so, es war ein Geisterschloss.