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"Sie sollten kommen, Roger. Sofort!"
"Geht es um Abby? Haben Sie ein Lebenszeichen von ihr?"
Wynn und Abby hatten den Auftrag erhalten, nach der verschwundenen Starreporterin Christal Aye zu suchen, deren letzte Spur ausgerechnet nach Sinatown führte. Seitdem hatte Sir Roger nichts mehr von den beiden gehört.
"Das sollten Sie sich besser persönlich anhören."
Murbulls Stimme klang am Telefon so eindringlich, dass Sir Roger trotz des dichten Nebels seinen Diener aufforderte, den Wagen vorzufahren ...
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Was bisher geschah
Unheil über Sinatown
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5857-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Die Hauptpersonen dieses Romans sind:
Wynn Blakeston: Gestrandeter aus einer anderen Dimension
Abby Baldwin: Wynns beste Freundin
Sir Roger: Abbys Vater
Esrath: sein dämonischer Diener
Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Schnabeldämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.
Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse.
Menschen und Dämonen leben hier mehr oder weniger friedlich zusammen, und doch ist Twilight City voller Gefahren. Die Stadt ist zudem von einem dichten Nebelring umgeben, den kein Einwohner jemals durchbrochen hat. Niemand weiß, was hinter den Grenzen der Stadt lauert …
In dieser unheimlichen Umgebung nennt sich Johnny ab sofort Wynn Blakeston – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will. Schließlich wimmelt es hier von Dämonen aller Art – und die hat Wynn in seiner Heimat immer bekämpft.
Wynn findet heraus, dass der Schnabeldämon Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen, die sogenannten Kraak.
Als Wynn wegen eines unglücklichen Zwischenfalls zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird, zahlt der geheimnisvolle Sir Roger Baldwin-Fitzroy das Bußgeld und nimmt ihn in bei sich auf – warum, das weiß Wynn nicht.
Er lernt Sir Rogers Tochter Abby und seinen Diener Esrath kennen, die auch in Sir Rogers Villa leben. Er freundet sich mit Abby an, sie wird schon bald zu seiner engsten Vertrauten in dieser mysteriösen Welt.
Was Wynn nicht ahnt: Auch sein geheimnisvoller Gönner hat noch eine Rechnung mit dem Dämon Norek offen. Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, liefert er den Kraak dem Wissenschaftler Dr. Shelley aus, der gleichzeitig Leiter des Sanatoriums Dead End Asylum im Deepmoor ist. Dieser verpflanzt Noreks Gehirn in einen anderen Körper und sperrt den Kraak in seinem Sanatorium ein.
Sir Roger aber präsentiert Wynn Noreks toten Körper, sodass der glaubt, der Kraak wäre für immer besiegt.
Doch einen Ausweg aus Dark Land scheint immer noch in weiter Ferne, und Wynn muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sein Aufenthalt in dieser Welt wohl noch länger andauern wird. Mit der Hilfe von Abby, die inzwischen herausgefunden hat, dass ihre verstorbene Mutter Matilda Fitzroy eine Hexe war, hat er einen Job beim Twilight Evening Star ergattert, der größten Zeitung von TC. Als man dort erkennt, dass er für Größeres bestimmt ist, steigt er vom Archivar zum Reporter auf.
Und schon bald stellt Wynn fest, dass noch ganz andere Aufgaben in TC auf ihn warten …
So gelingt es ihm, TC von dem so genannten »Richter« zu befreien, einem riesigen, schlangenartigen Wesen, das TC in regelmäßigen Abständen mit seinen Jägern heimgesucht hat.
Bei seiner Vernichtung warnt der Richter Wynn vor einer drohenden Gefahr, und Wynn fragt sich, ob das etwas mit dem geheimnisvollen weißen Schiff zu tun hat, das vor einiger Zeit wie aus dem Nichts im Hafen aufgetaucht ist und auf dem immer wieder Bewohner der Stadt spurlos verschwinden.
Kurz darauf bricht der Winter über TC herein – was in dieser Stadt sehr ungewöhnlich ist, die meisten Bewohner haben noch nie Schnee gesehen. Und tatsächlich bringt das Schneechaos eine Seuche mit sich, der auch Abby zum Opfer fällt. Gerade noch rechtzeitig gelingt es Wynn & Co., Abby zu retten und ein Gegenmittel aufzutreiben.
Doch damit ist die Gefahr für TC noch lange nicht gebannt …
Unheil über Sinatown
von Logan Dee
»Sie sollten kommen, Roger. Sofort!«
»Geht es um Abby? Haben Sie ein Lebenszeichen von ihr erhalten?«
»Das sollten Sie sich besser persönlich anhören.«
Murbulls Stimme hatte am Telefon so eindringlich geklungen, dass Sir Roger trotz des dichten Nebels seinen Diener aufgefordert hatte, den Wagen vorzufahren.
Nun saß er Murbull in dessen Redaktionsbüro gegenüber. Auf dem Schreibtisch stand ein Tonbandgerät mit einem eingelegten Band.
»Das Band hat uns ein Mittelsmann geschickt. Ich fürchte …«
»Ist es von Abby?«
»Nur Wynn Blakeston ist darauf zu hören. Und es klingt nicht gut, was er berichtet. Es sieht so aus, als hätte er es unmittelbar vor seinem Verschwinden besprochen.«
Sir Roger schluckte sichtlich den Kloß herunter, der seit Murbulls Anruf in seiner Kehle steckte »Und was – was berichtet Wynn? Erwähnt er, was mit Abby ist?«
»Ich würde vorschlagen, Sie hören es sich an. Er hat es in einer Art Plauderton besprochen – so als sei ihm nicht bewusst gewesen, was sich über seinem Kopf zusammenbraut …«
»Das ist er sich nie«, knurrte Sir Roger. »Ich hätte ihm Abby nie anvertrauen dürfen.«
»Übrigens erwähnt er gleich zu Anfang ein Nilpferd. Haben Sie eine Ahnung, wen er damit gemeint haben könnte?«
Sir Roger hob die Braue. »Nein, aber ist das irgendwie von Bedeutung?«
Murbull knetete die fleischigen Finger. »Oh ja, es ist von Bedeutung, sollte er irgendwann noch einmal hier auftauchen.«
»Nun spielen Sie es schon endlich ab!«
Murbull startete das Tonbandgerät. Zunächst war nur Rauschen und Knistern zu hören. Dann ein Räuspern. Und schließlich Wynns Stimme …
***
»Rapport beim Chef!«, raunte mir Abby zu. »Und du solltest dich lieber beeilen. Das alte Nilpferd scheint schlechte Laune zu haben!«
Ich dachte gar nicht daran gleich aufzuspringen und meine Frühstückspause vorzeitig zu beenden, bloß weil Murbull – oder das alte Nilpferd, wie wir ihn alle nannten – pfiff. Also biss ich in mein Brot und kaute genüsslich weiter, während ich ein paar Krümel von meinem Schreibtisch wischte, die augenblicklich von ein paar am Boden hockenden Tastenhockern aufgelesen wurden.
Abby sah stirnrunzelnd auf mich herab. »Hast du was mit den Ohren oder was? Ich sagte, Murbull …«
»Aber Abby, unser Boss hat immer schlechte Laune. Und es ändert sich nichts, ob ich nun zwei Minuten früher oder später sein Büro betrete.«
»Verzeihung, dann habe ich mich wohl nicht korrekt ausgedrückt. Er hat heute äußerst schlechte Laune.«
»Oh, dann ist tatsächlich Gefahr in Verzug, schätze ich mal.« Ich stand auf, nahm jedoch mein Butterbrot mit, um es nicht den Tastenhockern zu überlassen. Dazu war es zu schmackhaft.
Abby eilte voraus und klopfte an Murbulls Tür. Es tat gut, sie wieder so agil zu sehen. Dabei hatte sie vor einer Woche noch ganz woanders angeklopft. Sie hatte sich auf der Schwelle zum Tod befunden.
Der Jahrhundertschnee hatte nicht nur das übliche Chaos verursacht, sondern auch einen besonders heimtückischen Virus verbreitet. Abby war davon befallen worden, konnte jedoch dank Bella Tosh in letzter Sekunde mit einem Serum gerettet werden. Für viele andere kam die Hilfe zu spät, aber mittlerweile war wieder halbwegs Normalität eingekehrt. Der Schnee war bereits am vierten Tag wieder hinweggeschmolzen, und es hatte keine neuen Infektionsfälle gegeben.
Bis jetzt nicht.
Dafür aber hielt ein ungewöhnlich dichter und lang andauernder Nebel die Stadt seit Tagen gefangen.
Ein grollendes »Herein!«, tönte aus dem Chefbüro.
Murbull saß wie immer hinter seinem Monstrum von Schreibtisch. Sein gewaltiger Oberkörper quoll wie ein gigantischer Pudding darüber empor. Der Schädel erinnerte an einen graustichigen Mond, in den ein Meteoriteneinschlag zufällig etwas hineingemeißelt hatte, das entfernt nach Augen, Nase und Mund aussah. Und wie jedes Mal, wenn ich ihn mir so ansah, fragte ich mich, welcher Schneider in der Lage war, ein solch riesiges Jackett anzufertigen, das ebenso wie die Weste perfekt saß.
Statt einer Begrüßung grunzte Murbull nur. Oh ja, er schien wirklich geradezu unterirdisch schlecht gelaunt zu sein.
Aber noch mehr irritierte mich der Besucher, der vor dem Schreibtisch saß und uns den Rücken zugewandt hatte. Irrte ich mich, oder …
»Dad!«, rief Abby erstaunt. »Was machst du hier?«
Also hatte ich mich nicht geirrt. Sir Roger gab dem Twilight Evening Star die Ehre seines Besuchs. Allerdings fragte ich mich, was er hier wollte. Und was er ausgerechnet mit Murbull zu besprechen hatte.
Sir Roger drehte sich nicht um, während Murbull mit seinen fleischigen Pranken auf die beiden freien Stühle vor seinem Schreibtisch zeigte. »Setzen Sie sich, wir haben etwas zu besprechen«, knurrte er.
Wie immer kam ich mir auf den viel zu tiefen Stühlen wie ein Schuljunge vor, der zu seinem Lehrmeister aufblickt. Allerdings dachte ich nicht daran, mich davon beeindrucken zu lassen. Und schon gar nicht deswegen auf mein Frühstück zu verzichten. Also biss ich herzhaft in mein Brot.
»Ich hoffe, es mundet«, brummte Murbull.
»Danke sehr, aber ein Kaffee dazu wäre nicht schlecht …«
Ich grinste und warf Abby von der Seite einen Blick zu, den sie mit einem angedeuteten warnenden Kopfschütteln beantwortete. Reiz ihn nicht noch mehr!
»Genießen Sie Ihr Frühstück, solange Sie es können, Mister Blakeston. Ich weiß nicht, ob Sie in nächster Zeit noch Gelegenheit haben werden …«
»Ist etwa eine Hungersnot ausgebrochen?«
»Wynn!«, zischte Abby. Und in Gedanken fügte sie wahrscheinlich hinzu: Hör endlich auf, ihn zu provozieren!
»Nein«, sagte Murbull mit erstaunlich sanfter Stimme. »Aber dort, wohin ich Sie beide schicke, werden Sie so beschäftigt sein, dass Sie vielleicht gar nicht mehr zum Frühstücken kommen.«
Er ließ uns zappeln, während seine vor dem gewaltigen Bauch verschränkten Finger in ständiger Bewegung waren. Ich schloss daraus, dass seine Geduld nur gespielt war. In Wirklichkeit saß er auf heißen Kohlen, und normalerweise hätte ich längst mit einem Wutausbruch gerechnet.
Vielleicht lag es aber auch an dem Besucher, dass er sich zusammenriss. Sir Roger mischte sich nun in das Gespräch ein. Auch er schien mir sehr nervös, als er sagte: »Schluss mit dem Geplänkel! Kommen wir zur Sache! Ihr beide werdet euch nach Sinatown begeben. Schließlich kennt ihr zwei euch dort bestens aus.«
Das war übertrieben. Und es war mehr als ein Jahr her, dass Abby und ich dort fast unter die Räder gekommen wären. Sinatown war ein Dreckloch, voll mit menschlichem und dämonischem Abschaum, in dem ein Leben so wenig zählte wie ein vor Jahrmillionen verloschener Stern in der Galaxis. Wir konnten von Glück sagen, dass wir die Begegnung mit der Götzin Sinawa überlebt hatten. Sie und ihr Rivale Rakshasa standen in ewigem Krieg. Sie waren so etwas wie Yin und Yang – allerdings in genau umgekehrtem Sinne.
»Na ja …«, begann ich, wurde aber sogleich von Murbull unterbrochen. »Eine unserer Korrespondentinnen gilt als vermisst. Chrystal Aye gilt als eine unserer erfahrensten Mitarbeiterinnen. Sie hat die letzten Jahre aus Sinatown berichtet …«
Ich kannte den Namen. Jeder, der den Twilight Evening Star las, kannte ihn. Ihre Reportagen aus Sinatown las ich immer mit großem Interesse. Meistens drehten sich ihre Themen um Bandenkriege, Drogenschmuggel, spektakuläre Morde und dergleichen. Außerdem liebten ihre Leser ihre tägliche Kolumne »My Bloody Sinatown« über alle Maßen.
»Wäre es nicht besser, die Polizei einzuschalten?«, fragte ich, bereute aber sogleich meine Frage.
Denn natürlich wusste ich es selbst besser. Waren schon in Twilight City manche Gesetze äußerst fragwürdig, so hatten sie in Sinatown keinerlei Bedeutung. Ordnungshüter galten dort als Freiwild – insofern waren so gut wie keine dort vertreten. Murbull warf mir einen entsprechend mitleidigen Blick zu.
Glücklicherweise kam mir Abby zu Hilfe. »Hat ihr Verschwinden vielleicht mit dem Nebel zu tun?«
Seit der Nebel aufgetaucht war, hatte es zig Vermisstenmeldungen gegeben. Es war, als ob der geheimnisvolle Nebel, der TC in Atem hielt, die Bewohner verschluckte …
Murbull wog den massigen Schädel hin und her. »Ausschließen können wir nichts. Aber wir wissen auch nichts. Fakt ist, dass Chrystals Kolumne seit zwei Tagen überfällig ist.«
»Vielleicht hatte sie ja keine Verbindung – wegen des Nebels«, mutmaßte ich.
Was mir nur einen weiteren mitleidvollen Blick einbrachte. »Chrystal Aye pflegt ihre Texte auf Tonband zu sprechen und die Bänder der Rohrpost anzuvertrauen.«
Ich hatte tatsächlich nicht gewusst, dass es zwischen Sinatown und TC eine Rohrpostanlage gab. Wenn, dann musste sie unter den Long River verlegt sein.
»Die Rohrpost funktioniert nach wie vor tadellos«, fuhr Murbull fort. »Nur erhalten wir keine Sendungen mehr von Chrystal. Und sämtliche anderen Kontaktversuche verliefen bisher negativ …«
»Also schön, suchen wir die Lady und finden heraus, wo sie steckt!« Abby beugte sich vor. Ich kannte den erwartungsvollen Ausdruck auf ihrem Gesicht nur zu gut. Im Gegensatz zu mir suchte sie geradezu das Abenteuer. Jedenfalls dachte ich das manchmal. »Wann geht es los?«
»Sofort!«, sagte Murbull. »Ich habe deshalb Roger gebeten, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, damit Sie beide noch heute nach Sinatown übersetzen können.«
Roger? Seit wann kannten sich die beiden so gut, dass sie sich mit Vornamen ansprachen? Aber Sir Roger hatte noch viele Leichen im Keller verscharrt, von denen ich lieber nichts wissen wollte. Dennoch ärgerte es mich, wie die beiden offenbar über Abbys und meinen Kopf hinweg entschieden hatten.
»Eigentlich hatte ich heute noch ein Date«, sagte ich.
»So, mit wem denn?«, fragte Abby. »Etwa mit – äh, wie hieß sie noch? Cat?«
»Kitty«, verbesserte ich.
»Wie auch immer, Sie werden die Verabredung mit der Dame wohl auf ein anderes Mal verschieben müssen«, erklärte Murbull.
»Und wenn nicht?«
Murbull beugte sich angriffslustig vor – was bei ihm bedeutete, dass sich die Fettmassen halb über den Schreibtisch bedrohlich in meine Richtung schoben – und funkelte mich wütend an: »Noch eine patzige Antwort, und Sie können sehen, wie Sie demnächst Ihr Frühstück finanzieren!«
Bevor ich etwas erwidern konnte, spürte ich Abbys Hand auf meinem Arm, während Sir Roger in Murbulls Richtung knurrte: »Es ist alles in Ordnung. Ich rede ein ernstes Wort mit dem Jungen.«
Mit dem Jungen! Wie ich diesen Ausdruck hasste!
»Dann ist es gut«, gab sich Murbull nachsichtig. »Hatten Sie nicht noch eine Überraschung für die beiden?«
»Ach ja …« Sir Roger bückte sich und hob einen Arztkoffer, der bisher neben seinem Stuhl auf dem Boden gestanden hatte, hoch. Er öffnete den Koffer und holte zwei Gegenstände heraus, die von der Größe her völlig unterschiedlich waren. Zum einen handelte es sich um eine winzige Pistole, die mich an eine Deringer erinnerte – in früheren Zeiten die übliche Ausstattung für Falschspieler und wehrhafte Frauen. Zumindest in den Western, die ich gesehen hatte.
Er wollte sie Abby reichen, aber die hob abwehrend beide Hände. »Du weißt doch, dass ich Waffen verabscheue.«
»Sie ist nur zu deiner Verteidigung«, beharrte Sir Roger. »Im Gegensatz zu anderen Taschenpistolen ist sie übrigens überaus treffsicher. Sie findet sozusagen von selbst ihr Ziel …«
»Nein danke!«
»Also schön, aber vielleicht überlegst du es dir doch noch. Sinatown ist keine Puppenstube, mein Kind!«, antwortete Sir Roger leicht verschnupft.
Mir reichte er das zweite Teil. Es handelte sich um einen Revolvergurt. In dem Holster steckte eine Waffe mit einem überlangen Doppellauf.
»Wynn ist, wie ich weiß, einsichtiger als du. Diese Waffe stammt aus dem Arsenal. Esrath und ich haben sie gemeinsam perfektioniert.« Seine Augen strahlten geradezu, während er den Revolver aus dem Holster nahm und fast andächtig in der Hand wog. »Ich gebe sie wirklich nur ungern her, Wynn, aber ich weiß, dass du auf sie achtgeben wirst. In der Trommel stecken dreizehn präparierte Patronen, mit denen du eine ganze Armee vernichten kannst …«
»Dann sollte ich sie wohl lieber nicht benutzen«, scherzte ich.
Das Ding war mir unheimlich. Ich konnte inzwischen gut mit Pistolen umgehen und hatte auch keine Skrupel, zu schießen, wenn ich mich verteidigen musste. Aber diese Waffe war mir eine Spur zu protzig.
»Ach was, es ist ja nur zu eurer Verteidigung. Steh auf und leg den Gurt einmal um.«
»Ich weiß nicht recht …« Ich sah Hilfe suchend zu Abby, aber die schüttelte nur genervt den Kopf.
»Na los schon, Junge! Zier dich nicht so!«, drängte Sir Roger.
Warum ich mich nicht weigerte, blieb mir auch noch nachher ein Rätsel. Er verstand es einfach jedes Mal, mich zu überrumpeln.
Also erhob ich mich, und Sir Roger legte sogar selbst Hand mit an, mir den Gurt umzuschnallen. Der Revolverlauf fühlte sich wie eine Beinschiene an meinem Schenkel an und reichte fast bis zum Knie. Es gab keinen Spiegel, aber wahrscheinlich sah ich nun aus wie einer dieser Kopfgeldjäger in einem typischen Italowestern.