Dark Sigils – Wie die Dunkelheit befiehlt - Anna Benning - E-Book
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Dark Sigils – Wie die Dunkelheit befiehlt E-Book

Anna Benning

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Beschreibung

»Eure Magie wird entscheiden, in welche Richtung sich die Waage neigt. Licht oder Dunkelheit. Die Wahl liegt in euren Händen.« Die Dark Sigils sind die mächtigsten Artefakte, die je geschmiedet wurden. Doch ihre Magie nimmt der Sigil-Trägerin Rayne alles – die eigene Freiheit und noch dazu ihre Liebe zu Adam, dem Mirrorlord. In ihrer Verzweiflung sieht Rayne nur eine Möglichkeit: Sie schließt sich den Rebellen an, um mit ihnen zu dem geheimnisumwitterten achten Dark Sigil zu gelangen. Dabei muss sie sich nicht nur einem unbekannten Gegenspieler stellen, sondern auch Adam selbst. Denn er kennt die Dunkelheit, die von der Welt Besitz ergreifen wird, wenn die Sigil-Träger sich ihrem Schicksal widersetzen … Band 2 der atemberaubenden Urban-Fantasy-Trilogie von »Vortex«-Autorin Anna Benning!

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Seitenzahl: 556

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Anna Benning

Dark Sigils

Wie die Dunkelheit befiehlt

Band 2

 

 

Über dieses Buch

 

 

»Eure Magie wird entscheiden, in welche Richtung sich die Waage neigt. Licht oder Dunkelheit. Die Wahl liegt in euren Händen.«

 

Die Dark Sigils sind die mächtigsten Artefakte, die je geschmiedet wurden. Doch ihre Magie nimmt der Sigil-Trägerin Rayne alles – die eigene Freiheit und noch dazu ihre Liebe zu Adam, dem Mirrorlord. In ihrer Verzweiflung sieht Rayne nur eine Möglichkeit: Sie schließt sich den Rebellen an, um mit ihnen zu dem geheimnisumwitterten achten Dark Sigil zu gelangen. Dabei muss sie sich nicht nur einem unbekannten Gegenspieler stellen, sondern auch Adam selbst. Denn er kennt die Dunkelheit, die von der Welt Besitz ergreifen wird, wenn die Sigil-Träger sich ihrem Schicksal widersetzen … Band 2 der atemberaubenden Urban-Fantasy-Trilogie von »Vortex«-Autorin Anna Benning!

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

© Viktoria van Evert

Anna Benning wurde 1988 als jüngstes von drei Kindern geboren. Die Leidenschaft für Geschichten bestimmt seit vielen Jahren ihren Weg: Nach einem Studium der Literaturwissenschaft und Stationen als Buchrezensentin und Aushilfsbuchhändlerin arbeitet sie seit 2013 in einem Verlag. Eines Tages fasste sie sich ein Herz und brachte ihre eigenen Geschichten zu Papier. Mit »Dark Sigils« veröffentlicht sie nach »Vortex« bereits ihre zweite Trilogie.

Weitere Informationen zur Autorin unter www.annabenning.de und auf Instagram unter annabenning.books

 

 

Alle Bücher von Anna Benning bei FISCHER KJB:

Die Dark Sigils-Trilogie:

Band 1: Was die Magie verlangt

Band 2: Wie die Dunkelheit befiehlt

Band 3: Erscheint im Frühjahr 2024

 

Die Vortex-Trilogie:

Band 1: Der Tag, an dem die Welt zerriss

Band 2: Das Mädchen, das die Zeit durchbrach

Band 3: Die Liebe, die den Anfang brachte

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S.Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de

Inhalt

[Widmung]

[Zitat]

Rückblick

Prolog

Teil 1 Die Wunde

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

Teil 2 Das Plateau

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Teil 3 Nova

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

Teil 4 Die goldene Tür

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

Teil 5 Die ewige Bibliothek

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

Teil 6 Ein Wunsch des Herzens

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

Sieben Tage später

42. Kapitel

Epilog

Danksagung

Dark Sigils

Für Philipp

Danke, dass du an mich glaubst,

mit mir lachst, und immer

an meiner Seite stehst.

Liebe ist nicht weich,

wie die Dichter sagen.

Liebe hat Zähne, die beißen,

und Wunden, die sich

niemals schließen werden.

 

Stephen King

Rückblick

Die Dark Sigils sind die mächtigsten Artefakte, die jemals geschmiedet wurden. Sie statten sieben Träger mit sieben außergewöhnlichen Fähigkeiten aus. Doch zugleich nimmt die Magie der Dark Sigils den Trägern ihre Freiheit. Jedes muss in einer eigenen Blutlinie weitervererbt werden, was bedeutet, dass es keine Liebe unter den Sieben geben darf.

Rayne Harwood erfuhr erst vor wenigen Monaten, dass ihr Vater der Träger eines Dark Sigils war, und das Leben, das nun als seine Erbin vor ihr liegt – eine frühe Hochzeit und die Zeugung eines Kindes, um die Blutlinie zu erhalten –, kommt für sie nicht in Frage. Denn Rayne hat sich in Adam Tremblett verliebt, der nicht nur selbst einer der Sieben ist … sondern auch deren Anführer. Der Mirrorlord.

Nachdem Adam deutlich gemacht hat, dass er an seinen Pflichten festhalten wird, sieht Rayne nur eine Möglichkeit: Sie schließt sich den Rebellen des Auges an, um mit ihnen nach dem geheimnisumwitterten achten Dark Sigil zu suchen – ein Dolch, der angeblich die Fähigkeit besitzt, die Träger von ihren Dark Sigils zu trennen. Dieser Dolch würde für Rayne somit nicht nur ein freies Leben bedeuten … er würde auch ihrer Liebe zu Adam noch eine letzte Chance geben.

Prolog

5. Mai 2011, 12:00 Uhr

In einer Stadt außerhalb der Zeit

Victor Tremblett ist 25 Jahre

»Willkommen in Nova, Sigil-Träger.«

Der Mann in der schneeweißen Tunika neigte den Kopf zur Begrüßung. Es war keine tiefe Verbeugung, wie Victor es gewohnt war. Aber das hatte er in dieser gottverdammten Stadt am Ende der Welt auch nicht erwartet.

»Ältester«, erwiderte er knapp und lief dabei weiter in den schwach beleuchteten Korridor hinein. In diesem Teil des Ewigen Tempels gab es keine Fenster, und die Wände waren so hoch, dass man die Decke nicht einmal mehr erahnen konnte.

Victor schaute beunruhigt an der Mauer entlang. Jeder einzelne Millimeter davon war mit Malereien bedeckt. Genau bis zu der Stelle, wo der Älteste auf ihn wartete.

Es waren jedoch nicht nur die Bilder, die Victor eine Gänsehaut bescherten. Auch der Anblick des Ältesten machte ihn nervöser, als er es zugeben wollte. Und das, obwohl Victor ihn bereits von der Handvoll Besuche kannte, die er dem Tempel in den letzten Jahren abgestattet hatte.

Der Älteste sah aus, als hätte er alles Menschliche schon vor Jahrhunderten hinter sich gelassen. Seine Haut leuchtete winterblau, ebenso seine Augen. Es war, als wäre sein gesamter Körper von Magie erfüllt und als würde diese Magie in winzigen Dosen nach außen dringen. In seiner Mimik gab es keinerlei Ausdruck, den man hätte deuten können. Keine Regung, die einem zeigte, was im Kopf des Ältesten vor sich ging.

Es war, mit einem Wort, verstörend.

»Ihr seid der Einzige, der die Prädiktion vernommen hat?«, fragte Victor, nachdem er direkt an der Mauer zum Stehen gekommen war.

Der Älteste nickte bloß.

»Und der Maler?«

Diesmal neigte der Älteste den Kopf. Sein Gesicht blieb dabei weiterhin ohne Regung, doch die Geste suggerierte eine gewisse Verwunderung. So als wäre die Antwort auf Victors Frage mehr als offensichtlich. Was sie zugegebenermaßen auch war.

»Er wurde Eurem Befehl gemäß hingerichtet, Sigil-Träger.«

Sigil-Träger. Niemand sonst auf der Welt wagte es, den Mirrorlord als Sigil-Träger anzusprechen. Victor hatte allerdings ganz andere Sorgen, als sich über die herablassende Anrede zu ärgern. Er ließ seinen Blick zu der Malerei direkt neben dem Ältesten wandern. Schließlich war sie der Grund, warum er heute in den Tempel gekommen war. Und es nützte nichts, die Angelegenheit noch weiter hinauszuzögern.

Die Farbe des Bildes wirkte noch frisch, aber natürlich sagte das nichts über dessen Alter aus. Jedes einzelne Gemälde hier im Tempel – selbst wenn es bereits vor Jahrhunderten entstanden war – wirkte, als hätte jemand gerade erst den Pinsel abgesetzt. Es könnte vor einer Stunde angefertigt worden sein oder vor fünfzig Jahren. An diesem Ort machte es keinen Unterschied.

Victor ging näher an die Wand heran und blickte forschend über die Malerei. In der Mitte war die dunkle Silhouette eines Menschen zu sehen, beide Hände hielt sie nach links und rechts von sich gestreckt. Vor ihr lag eine Stadt mit hohen Häusern und schimmernden Fassaden. Und zwischen den Gebäuden … da stiegen dunkle Schwaden in Richtung Himmel empor.

Je länger Victor seine Augen auf das Gemälde richtete, desto mehr kam es ihm vor, als würden sich die Pinselstriche bewegen. Die Silhouette erhob sich, bis sie nicht mehr auf dem Boden stand, sondern viele Meter darüber schwebte. Und die Schwaden … sie vermischten sich mit den Wolken und breiteten ihre Schatten in alle Richtungen aus. Erst über die Häuser, dann über die Stadt und dann über die ganze Welt.

Das Bild entfachte eine tiefe Unruhe in Victor, die er von sich selbst nicht kannte. Und er musste sich mit ganzer Kraft dazu zwingen, eine Hand auszustrecken und sie auf den warmen Stein zu legen.

Es dauerte nur Sekunden, bis die Stimmen zu ihm drangen.

Ein Tremblett, schien das Gemälde zu flüstern. Ein Tremblett mit fehlgeleitetem Herzen wird das Ende des Mirrors herbeiführen. Mit dem Sigil, das verlorenging, werden beide Welten in Dunkelheit getaucht. Ein Tremblett mit fehlgeleitetem Herzen wird das Ende des Mirrors herbeiführen. Mit dem Sigil, das verlorenging, werden beide Welten in Dunkelheit –

Victor machte einen hastigen Schritt zurück, und die Stimmen verstummten.

Ihm war bewusst gewesen, dass ihn hier im Tempel nichts Gutes erwarten würde. Er hatte das Unheil förmlich gespürt. Aber er hatte nicht geahnt, wie präzise die Prädiktion war. Sie ließ keinerlei Zweifel daran, welche der Familien von ihr betroffen war.

Seine Familie.

»Zerstört es.«

Die winterblauen Augen des Ältesten weiteten sich bei Victors Worten, und seine Gesichtszüge, die sonst in immerwährender Apathie gefangen waren, entgleisten. Zum ersten Mal schien der Älteste von etwas übermannt zu werden, das einer Gefühlsregung gleichkam.

Victor kannte den Grund. Die Gemälde im Ewigen Tempel waren heilig. Aber dennoch, er durfte kein Risiko eingehen. Egal, ob die Prädiktion ihn, seine Tochter Leanore oder erst deren Nachkommen betraf – sollten die anderen Trägerfamilien davon erfahren, wären die Folgen für seine Blutlinie desaströs.

Niemand würde den Trembletts je wieder vertrauen. Und Victor … er würde nicht nur den Thron verlieren, sondern alles.

Er fixierte den Ältesten. »Zerstört es. Vor meinen Augen und mit eigenen Händen. Das ist ein Befehl.«

Der Älteste hielt Victors Blick stand. Sicherlich spielte er in Gedanken durch, welche Konsequenzen eine Verweigerung nach sich ziehen würde, und gelangte zu demselben Ergebnis, zu dem auch Victor kam.

Das Gemälde wäre am Ende zerstört. Die einzige Frage war, ob der Älteste dann noch am Leben wäre, um es zu bezeugen.

Ohne ein weiteres Wort legte der Älteste eine Hand auf das Gemälde. Der Stein bebte unter seinen bläulich schimmernden Fingern, während das Bild zu zerfallen begann. Die Silhouette, die Stadt, die Dunkelheit – alles. Und Victor blieb stehen, wo er war. So lange, bis auch der letzte Steinbrocken zerbrochen vor ihm lag.

So lange, bis die geflüsterten Worte verstummten und er sicher sein konnte, dass niemand je erfahren würde, welch düstere Zukunft der Familie Tremblett vorherbestimmt war …

Teil 1Die Wunde

1

Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich in diese Situation hineingeraten war.

Ja, ich hatte mich freiwillig einer Gruppe von Rebellen angeschlossen. Ja, ich hatte zugestimmt, mein bisheriges Leben hinter mir zu lassen. Ja, ich war bereit gewesen, mich für den Plan, den die Rebellen verfolgten, in Gefahr zu bringen.

Aber das hier … das war ganz sicher niemals Teil der Abmachung gewesen.

»Steh schon auf!«, rief Dorian und warf mir mit voller Wucht meinen Schlagstock entgegen. Es war eine militärische Trainingswaffe, für seine Größe sogar überraschend leicht, und trotzdem entwich mir ein schmerzhaftes Keuchen. Denn bevor ich es auffangen konnte, traf es auf eine Reihe von blauen Flecken rund um meine Rippen.

»Du musst dich mehr konzentrieren.« Dorian stellte sich neben mich und schaute mit kritischem Blick zu mir herab. Seine schwarzen Haare, die er stets als Irokesen nach oben gestylt trug, saßen perfekt – ganz im Gegensatz zu dem Nest, das sich sicherlich gerade auf meinem eigenen Kopf entfaltete. Aber klar, er hatte heute ja auch noch keinen Finger gerührt.

»Je länger ein Kampf dauert, umso mehr Kraft kostet es, Magie zu wirken. Selbst bei einer so mächtigen Magie wie deiner. Deshalb muss jeder Angriff sitzen.«

»Ich … kann … nicht … mehr!«, sagte ich mit Nachdruck, auch wenn mein Stolz die Worte nur schwer über meine Lippen kommen ließ.

»Doch, du kannst.« Dorians Stimme hatte einen Tonfall angenommen, der keinerlei Raum für Diskussionen ließ. »Du musst besser werden, wenn wir unser Ziel erreichen wollen.«

Unser Ziel.

Worte wie diese warf mir Dorian seit über vier Monaten an den Kopf. Er sagte es, als wäre ich schon seit Jahren ein Teil der Rebellen. Als wäre es mein größter Wunsch, unser Ziel mit ihm zu verfolgen. Als wäre das hier mehr als nur eine Zweckgemeinschaft.

Ich fixierte Dorian und war drauf und dran, ihm meinen Schlagstock vor die Füße zu pfeffern und aus der Trainingshalle zu stürmen. Stattdessen grummelte ich einige Flüche vor mich hin und hievte mich wieder auf meine wackeligen Beine.

»Also gut, dann versuchen wir es noch einmal«, sagte Dorian, als würde er mir damit einen persönlichen Gefallen tun. Er öffnete seine rechte Hand, die er bis eben zur Faust geschlossen hatte. Drei kleine silberne Kugeln kamen zum Vorschein. Ein winterblaues Schimmern zog durch ihr Inneres und blitzte durch die filigranen Lücken in ihrer Außenhülle hervor.

Inzwischen wusste ich, dass man die Dinger Sparrings-Sphären nannte, weil sie bevorzugt zu Trainingszwecken eingesetzt wurden. Mit ihrer Hilfe arbeitete man an der eigenen Treffsicherheit, Beweglichkeit und Ausdauer. Nach außen hin sahen die Sphären ziemlich hübsch aus, wie versilberte und aufwendig verzierte Golfbälle. Doch ich wusste es besser, denn diesen drei Kugeln hatte ich jeden einzelnen meiner blauen Flecken zu verdanken.

Schon drückte Dorian einmal von außen gegen die Hüllen der Sphären, und sie schwebten empor. Ein leises Surren ging von ihnen aus, während sie über Dorians Hand in der Luft verharrten. Ihr Magiespeicher war aktiviert worden – und er würde sich erst wieder deaktivieren, wenn ich den Sphären einen Schlag verpasst hatte.

Ein Bild tauchte vor meinem inneren Auge auf. Von einer anderen Trainingsstunde, in einer anderen Stadt. Ich sah ihn wieder vor mir, wie er mit lockeren, fließenden Bewegungen – und geschlossenen Augen, verdammt nochmal! – eine Sphäre nach der anderen erwischt hatte, als gäbe es nichts Leichteres auf der Welt. Bei der Erinnerung kochte eine Mischung aus Sehnsucht und unendlicher Frustration in mir hoch, die ich allerdings sofort ausblenden musste, als die drei Sphären langsam auf mich zuflogen.

Ich begann, mich im Kreis zu drehen und meinen Schlagstock dabei sanft hin und her zu schwingen. Der Ablauf des Trainings hatte sich in den letzten Wochen so in mein Gedächtnis eingebrannt, dass alles, was ich tat, mehr Instinkt war als bewusstes Handeln. Zuerst würde nur eine Sphäre auf mich zurauschen, immer wieder, aus allen vier Himmelsrichtungen. Dann kam die zweite dazu und verdoppelte die Anzahl der Angriffe. Bis dahin war es noch halbwegs einfach, die Sphären abzuwehren. Erst, wenn die dritte dazustieß, bekam ich Probleme, weil sie zusätzlich und ohne ein erkennbares Muster versuchte, meine Beine zu treffen und mich dadurch zu Boden zu schicken.

Sphäre Nummer drei war ein hinterhältiges Miststück.

Ich rotierte den Schlagstock langsam vor mir umher. Dabei achtete ich genau auf die Bewegung meiner Füße und scannte ständig den Raum um mich herum. Es war ein Ablauf, der mich inzwischen jede Nacht beim Einschlafen einholte. Wie ein Tanz, dessen Schritte ich zwar in- und auswendig kannte … den ich aber einfach nicht richtig tanzen konnte.

Schon verdoppelte Sphäre eins ihr Tempo und rauschte auf mich zu. Ich biss die Zähne zusammen und wehrte sie mit dem Schlagstock ab, ohne sie jedoch zu treffen. Kaum dass sie etwas Abstand zu mir gewann, richtete ich eine Hand in ihre Richtung und ließ der Magie freien Lauf.

Feine rote Linien, die wie Flammen anmuteten, zogen über meinen rechten Arm. Sie breiteten sich aus – von dort, wo das Sigil in der Form eines Drachens saß, über meinen gesamten Körper. Ignis’ Wärme erfüllte mich, und ich zögerte nicht mehr, sondern fixierte die Sphäre und feuerte einen Magiestoß in ihre Richtung ab. Rote Schwaden sausten pfeilschnell auf die Kugel zu, doch sie flog im allerletzten Moment zur Seite.

Mist! Innerlich wollte ich schreien, denn auch die nächsten Magiestöße trafen nicht ihr Ziel. Ich verfehlte die Sphäre jedes Mal um Haaresbreite, und schon nach kurzer Zeit kamen Sphäre Nummer zwei und drei mit ins Spiel. Jetzt hatte ich keine Chance mehr, das wusste ich. Ihre gleichzeitigen Angriffe brachten mich so an meine Grenzen, dass ich mich immer weiter von ihnen nach hinten drängen ließ.

Dorian stand nur da, die Arme vorm Oberkörper verschränkt. Ich hatte diesen Blick inzwischen so satt, den er mir jedes Mal zuwarf, wenn er merkte, dass ich nach wie vor nicht auf dem Level war, das ich offenbar erreichen musste.

Als eine der Sphären erneut auf mich zuflog, traf ich sie seitlich mit dem Schlagstock. Sie verharrte in der Luft. Schnell schickte ich einen Magiestoß aus meinem Sigil hinterher, und bevor ich es richtig begreifen konnte, schepperte das Ding gegen die Wand, wo es in zwei Hälften zerbrach. Trotzdem leuchtete die Sphäre weiter in ihrem Magieblau, und ich wusste, was nun folgen würde. Diese Lektion hatte ich auf die harte Tour gelernt, mehrere Male. Ich warf mich in die Vorwärtsrolle, als von der zerstörten Sphäre ein halbes Dutzend Magieschwaden auf mich zusteuerte. Als finales Abschiedsgeschenk rasten sie in meine Richtung, und ich sprang über sie hinweg, ohne dass mich auch nur eine berührte.

Ich gestattete mir ein triumphierendes Lächeln, als Dorian mir ein Kompliment zurief, und kämpfte weiter, duckte mich und hechtete über die zwei verbliebenen Sphären hinweg. So gut es ging, verdrängte ich das Brennen in meiner Lunge, den schmerzenden Protest der Muskeln in meinen Beinen und versuchte, nicht nachzudenken. Stattdessen konzentrierte ich mich nur auf mich selbst, meine Magie und meine Umgebung.

Es dauerte ein paar Minuten, bis ich auch Sphäre Nummer zwei erwischte. Ich traf sie, kurz bevor sie mich von hinten angreifen konnte, und auch sie landete auf dem Boden und schenkte mir zum Abschied mehrere Magiestöße, die wie Lenkraketen nur eines im Sinn hatten: mich zu treffen. Ich fokussierte die blauschimmernden Schwaden, wich ihnen erfolgreich aus und –

Etwas prallte gegen mich. Erst gegen mein linkes Bein, dann gegen mein rechtes. Ich ging zu Boden und stöhnte, als ich mit dem Kopf aufschlug. Einige der verbliebenen Magiestöße trafen mich an der Seite, woraufhin mir der Schlagstock klappernd aus der Hand fiel. Er rollte über den Boden davon, zu weit entfernt, um noch nach ihm greifen zu können.

»Verdammtes Miststück!«, schrie ich und zog meine schmerzenden Beine zu mir. Sphäre Nummer drei verlangsamte sich und umkreiste beinahe selbstgefällig meinen Kopf.

Ich hob die rechte Hand, ohne nachzudenken und nur getrieben durch diese Wut-und-Frustrations-Mischung, die sich seit Wochen in meinem Bauch ansammelte. Fast wie von allein bündelte sich die Magie in einem roten Licht zwischen meinen Fingerspitzen. Sie breitete sich wie eine Flamme aus und verursachte dabei ein unwirkliches Rauschen. Die Magie formte sich zu einer gleißenden Klinge, einem Schwert, das ich, ohne zu zögern, direkt in die Sphäre rammte, die daraufhin nicht nur entzweibrach, sondern in winzige Magie- und Silberpartikel zerbröselte.

Ich entließ einen langen Atemzug. Das Magieschwert leuchtete feuerrot, und die Wärme, die es ausstrahlte, wanderte durch meinen Arm in meinen gesamten Körper hinein. Erst, als ich die Augen schloss, zog sich die Waffe in meine Hand zurück, ebenso verschwanden die Linien auf meiner Haut. Ich legte den Kopf auf den Boden und dachte nur eines.

Fuck.

Dorian kam zu mir gelaufen, und ich wusste, was er sagen würde, noch bevor er seinen Mund öffnete.

»Ist das dein Ernst? Was haben wir über die Benutzung deiner Magiewaffe gesagt?«

»Keine Ahnung«, log ich, »aber du wirst mich sicher gleich daran erinnern.«

Ich hörte, wie Dorian neben mir zum Stehen kam. Nicht nur an seinen verhallenden Schritten, sondern auch am theatralischen Seufzen. »Was ist dein Problem, Rayne? Du bist die Trägerin von Ignis. Von einem Dark Sigil – einem der mächtigsten Sigils überhaupt. Diese Übung sollte ein Kinderspiel für dich sein.«

Ich antwortete nicht. Ich wollte Dorian nicht zum hundertsten Mal erklären müssen, dass ich schon immer Schwierigkeiten damit gehabt hatte, präzise Bewegungen auszuführen. Er wusste schließlich von meinem Tremor, er wusste, dass meine Hände seit meiner Kindheit ständig zitterten, und das nicht nur, wenn ich nervös oder angespannt war. Deshalb hatte ich auch noch nie in meinem Leben eine Schusswaffe abgefeuert, obwohl ich in der Zeit im Waisenhaus, als ich noch Teil von Lazarus Wrights’ Bande gewesen war, mehr als einmal die Chance dazu gehabt hätte.

Ich hatte keine Lust, Dorian wieder und wieder zu sagen, dass der Tremor in den letzten vier Monaten zwar deutlich besser geworden, aber eben nicht verschwunden war. Dass ich immer schon gut mit Sigils hatte kämpfen können und mit Ignis – mit meinem Sigil – Unmengen an mächtiger Magie freilassen konnte. Aber drei kleine Kugeln damit zu treffen, die auch noch in Bewegung waren? Das fiel mir verdammt schwer.

»So werden wir niemals zur Schattenathame gelangen«, sagte Dorian, und ich stöhnte innerlich.

Die Schattenathame.

Noch ein Wort, das seit Wochen mein Leben bestimmte. Es war der Grund, warum ich hier war – und das gemeinsame Ziel, von dem Dorian so gerne sprach. Nur wegen der Athame hatte ich mich den Rebellen angeschlossen und ließ mich seither Tag um Tag von den Sphären durch die Gegend scheuchen.

Als Dorians Großmutter, Nessa Greenwater, die gleichzeitig die Anführerin der Rebellen war, die Schattenathame das erste Mal erwähnt hatte, war sie mir wie der Heilige Gral vorgekommen. Es sollte das verloren gegangene achte Dark Sigil sein. Ein Dolch, der es angeblich möglich machte, die anderen sieben Dark Sigils von ihren Trägern zu lösen. Und zwar, ohne sie zu töten. Auch wenn ich keinen Beweis hatte, dass dieser Dolch tatsächlich existierte, so wollte ich doch unbedingt daran glauben. Die Schattenathame war meine einzige Hoffnung auf Freiheit. Denn wenn es wirklich möglich war, die Dark Sigils nicht innerhalb einer Blutlinie, sondern völlig frei weiterzugeben, dann könnten Adam und ich …

Wir könnten zusammen sein.

Wir könnten jedes erdenkliche Leben führen, das wir führen wollten. Ohne die Pflicht, in den Palästen des Mirrors zu leben. Und ohne den Zwang, jemanden zu heiraten, den wir nicht liebten.

Also ja. Die Schattenathame war mein Ziel. Ich wollte nicht nur – ich musste sie finden. Doch meine Geduld mit den Rebellen war langsam am Ende. Denn selbst nach vier Monaten war ich der Athame keinen Schritt näher gekommen. Ich wusste ja nicht einmal, wo wir nach ihr suchen würden!

Dorian schaute noch immer auf mich herab. Und als er mir eine Hand entgegenstreckte, um mir auf die Beine zu helfen, ignorierte ich sie und rappelte mich mit eigener Kraft auf. »Ob du es glaubst oder nicht«, sagte ich, »ich gebe mein Bestes.«

»Ist mir schon klar, dass du das tust.« Dorian presste mir den Schlagstock mit Nachdruck gegen den Bauch. »Aber es ist nicht genug. Es wird nicht genug sein.«

»Woher willst du das wissen?« Ich funkelte ihn an. »Keiner von euch hat die Athame je zu Gesicht bekommen. Nicht du, nicht deine Großmutter. Ihr habt doch selbst keine Ahnung, was uns erwarten wird. Und den Ort, wo wir hinmüssen, kennst du genauso wenig wie ich! Also – woher nimmst du die Sicherheit, so etwas zu behaupten?«

Dorian kniff die Augen zusammen. »Wir gehen einfach vom Schlimmsten aus. Dann können wir immer noch positiv überrascht werden.«

Ich schnaubte. Was für eine bescheuerte Antwort! Dorian tat ständig so, als hätte seine Großmutter ihn in alles eingeweiht, was aber nicht der Fall war. Es wäre mir leichter gefallen, ihn zu mögen, wenn er einfach zugeben würde, dass wir beide im Dunkeln tappten.

Ich baute mich vor Dorian auf und hatte Mühe, ihn nicht vor lauter Wut anzuknurren. »Wenn ich meine Magie gegen dich einsetzen würde …«

»… hätte ich keine Chance.« Dorian wirkte völlig unbekümmert. »Ich weiß, dass du mit Ignis jede dieser Sphären zerstören könntest, wenn du wolltest. Ich weiß, wie mächtig dein Dark Sigil ist. Darum geht es nicht.«

»Nur deshalb bin ich doch hier! Ihr braucht meine Magie! Ihr braucht Ignis, um zur Schattenathame zu gelangen. Deine Großmutter hat es selbst gesagt: Ohne meine Fähigkeit, andere Magie zu zerstören, wird uns die Bergung nicht gelingen. Wieso dann diese Kampfspielchen? Die Athame wird wohl kaum von gemeingefährlichen, fliegenden Kugeln bewacht.«

»Nein. Aber du wirst uns nicht viel nützen, wenn du deine Magie in einem riesigen Schwall entlässt und dann in Ohnmacht fällst. So wie beim letzten Mal. Wenn meine Großmutter die Aufzeichnungen über die Athame richtig gedeutet hat, wird es etliche Hindernisse auf dem Weg zu ihr geben. Ignis’ Magie bringt uns nichts, solange du sie nicht kontrollieren kannst.«

Meine Hände zitterten wie auf Kommando. Ich presste die Lippen aufeinander, spürte, wie meine Wangen rot anliefen, und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Kontrolle.Genau das war schon immer meine Achillesferse gewesen. Meine Gefühle konnte ich nur schwer bändigen, und das Problem hatte sich offenbar auf mein Sigil übertragen.

Und deshalb war genau das passiert, was Dorian eben gesagt hatte. Als ich das letzte Mal Unmengen an Magie zerstört hatte, war die Wirkung auf meinen Körper so heftig gewesen, dass ich in Ohnmacht gefallen war. Ich hatte die Bündelung der Chaosmagie, die sich beinahe über London ausgebreitet hätte, zwar gestoppt, aber nur, weil Adam an meiner Seite gestanden hatte. Er hatte mir den Rücken freigehalten, und meine Magie, die mir oft so aufbrausend und unkontrollierbar vorkam, zur Ruhe gebracht.

Er hatte gelenkt. Ich hatte zerstört.

Allein hätte ich die Bündelung niemals stoppen können. Und daran hatte sich vier Monate später noch immer nichts geändert.

Das wusste ich. Und Dorian und Nessa wussten es ebenfalls.

»Rayne …«, setzte Dorian an, nun etwas versöhnlicher. »Das hier ist wirklich wichtig.«

»Daran musst du mich nicht erinnern.«

Er kam einen Schritt auf mich zu. Sein Blick wanderte suchend über mein Gesicht hinweg, sein Mund etwas unentschlossen zur Seite gezogen. »Ich verstehe, dass die letzten Monate etwas viel waren, aber du hast die Entscheidung getroffen, die Sieben zu verlassen und dich uns anzuschließen. Es wird Zeit, auch entsprechend zu handeln.«

Die letzten Monate waren … etwas viel? Ich hätte beinahe gelacht. Was genau meinte er nur? Die Auswahl war immerhin groß: Das Waisenhaus, in dem ich mein halbes Leben verbracht hatte, lag in Schutt und Asche. Man hatte mich in den Mirror entführt, in die Spiegelwelt oben am Himmel, nur um mir dort zu sagen, dass mein Vater einer der Sieben gewesen war – und einer der mächtigsten Sigil-Träger der Welt. Von ihm hatte ich mein Dark Sigil geerbt, ein wunderschönes Armband in Drachenform, das jegliche Magie der Welt zerstören konnte. Ach ja, und dann war da noch die Tatsache, dass ich dem Jungen, in den ich mich verliebt hatte, den Rücken gekehrt hatte … und wofür? Nur um mich Tag für Tag von diesen gottverdammten Sparrings-Sphären durch die Gegend jagen zu lassen!

Ich starrte Dorian an. Er war gerade mal vier Jahre älter als ich, und ich hatte es satt, mich von ihm hinhalten zu lassen.

»Wann suchen wir die Schattenathame endlich? Ich bin jetzt seit Monaten bei euch, und alles, was wir tun, ist, über diesen Dolch zu reden. Wo ist er versteckt? Was genau erwartet mich, wenn wir ihn bergen wollen? Wieso sagt Nessa mir nicht, was eigentlich meine Aufgabe ist?«

»Weil sie noch nicht alle Informationen hat«, erwiderte Dorian. »Lass meine Großmutter ihren Teil tun, und wir erledigen unseren. Ich glaube, du würdest besser im Training vorankommen, wenn du aufhörst …«, er stockte, wägte sichtlich seine Worte ab, »… wenn du nicht mehr andauernd an die Sieben denkst. Oder willst du etwa nach Septem zurück?«

»Es gibt kein Septem mehr«, erwiderte ich. »Ihr habt den Palast zerstört, schon vergessen?«

»Nein, glaub mir, haben wir nicht.« Dorian starrte mich ernst an, eine Hand zur Faust geballt. »Aber es gibt noch immer den Mirrorlord. Vielleicht bereust du ja inzwischen, dass du dich von Adam Tremblett abgewendet hast. Vielleicht kannst du dich deshalb nicht hier einfinden, weil du einfach zu verknallt in ihn bist?«

Statt zu antworten warf ich Dorian mit aller Kraft und laut scheppernd den Schlagstock vor die Füße.

»Wir sind fertig für heute«, fauchte ich und stürmte aus dem Trainingsraum.

 

Kühle Luft schlug mir entgegen, kaum dass ich nach draußen getreten war. Sie drang durch den Stoff meines Sweatshirts und verursachte Stiche auf meiner noch schweißnassen Haut. Schnell zog ich den Kragen über die untere Hälfte meines Gesichts, bis der Rest meines Körpers sich an die Temperaturen gewöhnen konnte.

Ich lief vorbei an verwaisten Lagerhallen und einer Reihe von Baumgerippen. Die Los-Angeles-Basis, in der wir uns seit zwei Wochen befanden, war der einzige Stützpunkt der Rebellen, der tatsächlich auf einem ehemaligen Militärgelände aufgebaut worden war. Es gab mehrere Kasernen und Waffenlager, ein Lazarett, Truppenübungsplätze und sogar einen Hangar samt Flugplatz. Alles war umzäunt und abgesichert; mehrere hohe Wachtürme standen auf dem asphaltierten Außengelände.

Seit ich mich den Rebellen des Auges angeschlossen hatte, waren wir alle paar Wochen in eine neue Basis umgezogen. Von London nach Paris, von Paris nach Madrid, von Madrid nach New York, von New York nach Chicago und schließlich hierher, einige Kilometer außerhalb von Los Angeles, in die Mitte vom Nirgendwo.

Nessa Greenwater war der Meinung, es wäre besser, in Bewegung zu bleiben. Seit das Auge den Septem-Palast zerstört hatte, musste die Rebellengruppe besonders vorsichtig sein, für den Fall, dass der Mirrorlord doch noch beschloss, ihnen als Vergeltung seine Armee hinterherzuschicken. Das sagte Nessa jedenfalls, aber ich war mir sicher, dass es ihr in Wahrheit hauptsächlich um mich ging. Sie wollte mich vor den Sieben verstecken, so gut es ging.

Warum, war mir allerdings schleierhaft. Weder Adam noch Dina noch Celine hatten jemals nach mir suchen lassen. Nirgends waren Magiehäscher aufgetaucht, und in dem Punkt hatte Nessa ganz sicher recht – Adam hätte seine Armee jederzeit an unsere Fersen heften können.

Wenn er es gewollt hätte.

Ich fragte mich oft, wie es ihnen ging. Während ich hier unten in Prime von Stadt zu Stadt wechselte, waren Adam, Dina, Cedric und die anderen dort oben, im Mirror.

Unwillkürlich wanderte mein Blick in Richtung des graublauen Nachmittagshimmels. Obwohl er beinahe wolkenfrei war, konnte man die Mirror-Version von Los Angeles aus dieser Entfernung nur schwach erkennen. Silbrige Konturen von Gebäuden zeichneten sich ab, die einige Kilometer über der Erde auf dem Kopf zu hängen schienen.

Ich wusste natürlich, dass Adam nicht in Mirror-Los-Angeles war. Wobei ich es nicht wusste, aber ich glaubte es zumindest. Er, Dina und Celine waren wahrscheinlich in Mirror-London, dem Regierungssitz. Zwar nicht mehr in Septem, aber … irgendwo dort.

Seit das Auge den Palast zerstört hatte, gab es viele Unruhen im Mirror, so viel war an Nachrichten zu mir durchgedrungen. Die Magistrate, die lange über den Magietransfer nach Prime verfügt und sich dabei vor allem selbst immer reicher und reicher gemacht hatten, waren von Adam größtenteils ausgetauscht worden. Nur, was bedeutete das? Hatte es seinem Ansehen im Mirror geschadet? Gab es neue Intrigen gegen ihn? Ich hatte keine Ahnung.

Die Unwissenheit zermürbte mich. Und ja, wahrscheinlich hatte Dorian recht, das ständige Grübeln über die Sieben lenkte mich vom Training ab. Aber was sollte ich dagegen tun?

Die Dark Sigils, die wir Sieben trugen, waren die ältesten Sigils der Welt. Sie verbanden uns auf eine Art und Weise miteinander, die nur schwer in Worte zu fassen war. Und während ich hier unten in Prime vor mich hinfristete, ging zwischen den anderen womöglich sonst was vor sich.

Sebastian Lacroix und Nikita Fairburn hatten sich offen gegen Adam gestellt. Sebastian versuchte seither, ihm den Thron des Mirrors streitig zu machen. Er war mit seinem Vorhaben, Mirrorlord zu werden, bislang zwar gescheitert – dennoch … es änderte nichts daran, wie gefährlich Sebastian war.

Er hatte einen von uns – Matt, der in der kurzen Zeit ein echter Freund für mich geworden war – mit seinem Dark Sigil manipuliert, bis der bereitwillig alles getan hatte, was Sebastian von ihm wollte. Ein Blick in den Engelsspiegel, und Matt war nicht mehr er selbst gewesen. Seither hatte ich nichts von ihm, Sebastian und Nikki gehört. Ich wusste nicht, ob es Matt gutging, ob Adam, Dina und Celine womöglich nach ihm suchten, ich wusste rein gar nichts.

Ein frustrierter Laut entwich mir, während ich über das Außengelände streifte. Ich war so wütend – auf Dorian, auf mich und auf die gesamte Situation. Wahllos stapfte ich über die Wege zwischen den Baracken, am Zaun entlang und um den Flugplatz herum, bis ich schließlich auf die hinterste Kaserne zusteuerte. Ich war so mit mir selbst und meinen Gedanken beschäftigt, dass ich die zwei Gestalten vor dem Eingang erst sah, als Lily mir zuwinkte.

Sie hatte ihre schwarzen Haare zu einem Knoten auf ihrem Kopf hochgebunden – eine Frisur, an die ich mich selbst nach vier Monaten noch immer gewöhnen musste. Früher hatten ihre Locken meist frei und wild zu allen Seiten abgestanden, heute sah sie aus wie die perfekte Soldatin.

Neben ihr saß Echo, der mich heute Mittag noch in der Form eines Schmetterlings verabschiedet und sich nun in eine große schwarzblaue Raubkatze zurückverwandelt hatte.

Das Einzige, das immer gleich an ihm blieb, war der weiße sternförmige Fleck auf seiner Stirn.

Ich lief auf die beiden zu und lächelte, als Echo sich erst schnurrend an meine Beine schmiegte und dann in viele Magiepartikel zerstäubte, bevor er als kleiner Singvogel auf meiner Schulter Platz nahm. Noch vor kurzem hatte mich der Gedanke, dass sich ein magisches Tier – ein Spektralwesen – uns angeschlossen hatte, in ungläubiges Staunen versetzt. Inzwischen war Echo allerdings zu einem meiner größten Ruhepole geworden. Er führte sein eigenes Leben, oft verschwand er tage- oder sogar wochenlang, aber er kehrte jedes Mal zurück.

»Und, wie lief das Training heute?«, fragte Lily. Offenbar sprach mein Gesichtsausdruck Bände, denn sie schnitt eine Grimasse. »So gut, hm?«

»Wir leben beide noch, mehr war nicht zu erwarten.«

Lily verdrehte die Augen. Sie war der Meinung, dass ich mich zu sehr in die Streitigkeiten mit Dorian hineinsteigerte. In den ersten Wochen hatte sie noch beim Kampfunterricht zugeschaut und versucht, zwischen ihm und mir zu vermitteln. Irgendwann war es ihr allerdings zu viel geworden, und inzwischen trainierte sie mit Edge und Blicker, zwei Rebellen, die beim Auge die Gruppe für Einbrüche anführten und mit denen sie sich angefreundet hatte.

Nur Lily konnte erahnen, wie ich mich wirklich fühlte. Wir waren zusammen im Waisenhaus aufgewachsen, und sie war die einzige Familie, die ich je gehabt hatte. Sie und ich hatten die Oberen, die im Mirror lebten, immer dafür verabscheut, dass sie den Rest der Welt in Armut vor sich hinvegetieren ließen. Dass ich selbst zu den Oberen gehörte – dass mein Vater aus einer der Familien stammte, die über sämtliche Mirror-Städte der Welt herrschten –, war für mich eine größere Erschütterung gewesen als für Lily.

Sie behandelte mich nicht anders, als sie es immer schon getan hatte. Es war ihr egal, ob mein Nachname Sandford oder Harwood war. Es war ihr egal, dass ich ein Dark Sigil trug. Für sie war ich nur Ray, und das bedeutete mir mehr, als ich es Lily jemals sagen konnte.

»Nächstes Mal komme ich wieder mit«, raunte sie mir zu und grinste breit. »Und wenn Dorian was Blödes zu dir sagt, verpasse ich ihm einen Magiestoß mitten auf den Hintern.«

Die Vorstellung war so gut, dass ich laut lachen musste. Lily stimmte mit ein, doch als sie sich bei mir unterhakte, wurde ihr Gesicht wieder ernst. »Ich wollte dich gerade schon suchen gehen«, erklärte sie gedämpft. »Deine Mutter ist nämlich zurück.«

Ich furchte die Stirn. Das war früh. Ich hatte mit ihrer Rückkehr erst in einigen Tagen gerechnet. »Und Nessa auch?«, fragte ich.

Ein sorgenvoller Ausdruck trat in Lilys braune Augen. »Ja. Offenbar gab es bei der Mission Probleme.«

»Probleme?«

Sie zog ratlos die Schultern nach oben. »Mehr weiß ich auch nicht, aber … man hat mir gesagt, ich soll dich suchen und zur Kommandostation bringen, und zwar so schnell wie möglich.«

2

Echo flatterte in seiner Vogelgestalt neben meinem Kopf her, während wir auf das längliche Gebäude zusteuerten, in dem die Kommandostation lag.

Ich vergrub das Gesicht noch etwas tiefer im Kragen meines Sweatshirts, als uns eine Gruppe von Rebellen entgegenkam. Sie trugen dicke Jacken und Wollmützen, denn für Los Angeles war es ungewöhnlich kalt. Sie nickten uns im Vorbeigehen zu, und während Lily freundlich Hallo sagte und dabei sogar noch ihre Namen parat hatte, nickte ich nur mechanisch zurück. Nur zu wenigen hier auf der Basis hatte ich bislang Kontakt gehabt.

Es lebten ungefähr fünfhundert Rekruten auf dem Stützpunkt, hatte Dorian einmal gesagt. Wobei etwa zwanzig davon stets mit Nessa Greenwater reisten, sobald sie eine Basis wieder verließ. Der Innere Kreis, wie sie es nannten. Ein Kreis, der über die Entwicklungen im Auge entschied und zu dem ich nun ebenfalls zählte, ob ich es wollte oder nicht.

Die Rekruten wussten natürlich längst, wer ich war, egal, in welcher Basis wir unterkamen. Weil ich allerdings die Trägerin eines der Dark Sigils war und damit zu ihren Feinden gehörte, gab es immer noch viele Leute innerhalb der Rebellen, die mir mit Misstrauen begegneten.

Im Grunde war es mir egal. Ich war beim Auge, um Nessa bei der Bergung der Schattenathame zu helfen, nicht mehr und nicht weniger. Danach würden Lily und ich die Rebellen sofort wieder verlassen, so hatten wir es abgemacht.

Echo flatterte auf den Boden, verwandelte sich in eine schillernde Eidechse und glitt über den Asphalt davon, während wir das Gebäude betraten. Es war nicht viel los, am Eingang begegneten uns kaum Soldaten. Erst, als wir mit dem Fahrstuhl hochgefahren waren und im obersten Stockwerk ankamen, sahen wir die Gruppe von Leuten, die sich in dem Saal am Ende des Flurs versammelt hatte. Es war fast der gesamte Innere Kreis.

Lily und ich blieben zögerlich am Eingang stehen, während sich die Blicke auf uns richteten. Jeder der Anwesenden trug eine Reihe Sigils am Körper: Medaillons, Ringe, Armbänder, alle aufwendig geschmiedet. Jedes einzelne davon stammte aus Nessa Greenwaters Hand. Dorians Großmutter war früher die beste Sigil-Schmiedin im Mirror gewesen. Doch dann war ihre Tochter ermordet worden, und sie hatte eine Rebellion gegen die Sieben gestartet, die sie heute noch anführte.

Nur ihretwegen war das Auge so weit gekommen. Sie hatte täuschend echte Repliken der Dark Sigils hergestellt, die nun an den Händen und Hälsen der Leute um mich herum hingen: Saphirschlüssel, Schlangenbänder, Seelenringe … eine Frau neben mir trug sogar eine Kopie von Ignis am Unterarm. Als sie meinen Blick bemerkte, zog sie ihren Ärmel etwas verlegen darüber und sah zu, dass sie schnell von mir wegkam.

»Komm«, sagte Lily, und ich folgte ihr, während die Leute um den Kommandotisch herum Platz für uns machten.

Nessa saß mit dem Rücken zu uns an der Vorderseite des Tisches. Daneben: meine Mutter und einige Frauen und Männer, die weit oben in der Hierarchie des Auges standen. Natürlich war auch Dorian unter ihnen. Er musste direkt von der Trainingshalle hierhergekommen sein, jedenfalls trug er noch dieselben Klamotten.

Sie alle waren in ein Gespräch vertieft, ihre Gesichter wirkten angespannt. Ich hatte keine Ahnung, wohin Nessa und meine Mutter vor ein paar Tagen aufgebrochen waren. Meine Mutter hatte mir nur gesagt, es würde etwa zwei Wochen dauern, bis wir uns wiedersähen, und dass ich mir keine Sorgen machen müsste.

Ob ich mir Sorgen gemacht hätte, wusste ich nicht. Die Stimmung zwischen meiner Mutter und mir war auch vier Monate nach unserem Wiedersehen nicht die beste. Allerdings … Erst jetzt fiel mir auf, dass sie offenbar verletzt war. Ihr linker Arm hing in einer Schlinge, und ihre braunen Locken waren zur Seite gebunden, weil eine Mullbinde eine ihrer Schläfen verdeckte. Hinter ihr standen zwei Soldatinnen, die ebenfalls lädiert aussahen.

Lily zog mich zu ihnen hinüber. Während mir die beiden Frauen nur vage bekannt vorkamen, schien Lily genau zu wissen, wen sie vor sich hatte. Über das streng aussehende Gesicht der linken Soldatin huschte bei Lilys Anblick ein kleines Lächeln, was mich nicht wunderte. Jeder, der Lily begegnete, schloss sie umgehend ins Herz.

»Jude?«, flüsterte Lily. »Was ist passiert?« Sie deutete auf die Verletzungen der Frau. »Warum seid ihr so früh zurück?«

Die Soldatin lehnte sich näher zu Lily. »Es gab eine heftige Abby-Bündelung«, hörte ich sie sagen. »Mitten in Hongkong. Hat einen ganzen Straßenzug zerlegt. Wir hatten Pech, weil wir in der Nähe waren. Überall Chaos. Können froh sein, dass wir lebendig rausgekommen sind.«

»In Mirror-Hongkong?«, fragte Lily, aber die Frau schüttelte den Kopf.

»Nein. In Hongkong. Prime.«

»O Gott.« Lily zog ihr Comm hervor und presste die Lippen zusammen, als sie die neuesten Nachrichten auf dem Bildschirm aufrief. Ich blickte auf die Ruinen der Hochhäuser, und mir lief eine Gänsehaut über den Rücken.

Bis vor kurzem waren die Bündelungen nur ein Problem des Mirrors gewesen. Die Chaosmagie hatte sich dort in der Atmosphäre gesammelt, und wann immer eine sehr große Menge Magie im Mirror freigesetzt wurde, stürzten die Abbys sich darauf. Ganze Stadtteile waren bereits zerstört worden, überall auf der Welt, in nahezu jeder Mirrorstadt.

Dass das Phänomen nun in Prime auftrat, war völlig neu. In den letzten Monaten war es ein- oder zweimal passiert, kleinere Bündelungen, aber das allein reichte schon, um mich an jenen schrecklichen Tag in London zurückzukatapultieren, als sich am Himmel die Chaosmagie zusammengezogen hatte. Tausende Schwaden schwarzer Magie, die zu Kreaturen aus Schatten wurden und sich auf uns gestürzt hatten. Damals hätten sie jeden von uns mit Leichtigkeit getötet, wenn Ignis mir mit seiner Magie nicht zur Seite gestanden hätte. Wenn Adam und ich nicht gemeinsam …

Ich merkte, wie meine Hände zu zittern begannen, und zwang mich zurück ins Hier und Jetzt. Was in London passiert war, war eine Verkettung von unglücklichen Ereignissen gewesen … zumindest hatte ich das geglaubt. Angesichts der Bilder auf Lilys Comm war ich mir jedoch nicht mehr sicher.

Hatte sich die Lage wirklich so sehr verschlechtert?

Am Tisch nahm das Gespräch eine hörbar hitzige Wendung, für einen Moment redeten alle durcheinander. Meine Mutter schaute suchend über ihre Schulter und blieb an mir hängen. Sie nickte Nessa kurz zu, die daraufhin aufstand und beide Hände hob.

»Ruhe!«, rief sie mit tiefer Stimme, was augenblicklich sämtliche Anwesenden zum Schweigen brachte. »Ihr habt gehört, was in Hongkong passiert ist. Wir hatten es schon lange befürchtet. Auf Befehl aus Septem wurde über viele Jahre hinweg gepanschte Magie in die Armenviertel gebracht. Unsere Welt wurde verschmutzt mit ihr, hat die Leute süchtig gemacht, Menschenleben gefordert. Und selbst wenn die Lieferungen dank unseres Einsatzes endlich versiegt sind – der Schaden ist nicht mehr abzuwenden. Die Chaosmagie existiert nun auch in Prime, und wir können nur hoffen, dass die Bündelungen, zu denen sie sich zusammenfindet, nicht noch stärker werden.«

Ich ballte beide Hände zu Fäusten. Auf Befehl aus Septem. Natürlich schob Nessa die Schuld für die Chaosmagie auf die Sieben. Und ja – der Befehl, die Magie so stark zu verdünnen, dass man Prime großflächig damit beliefern konnte, war tatsächlich aus Septem gekommen. Aber nicht von Adam. Nicht von einem der heutigen Sieben. Sondern von Adams Mutter. Leanore Tremblett, die damalige Mirrorlady. Und die war bereits vor knapp einem Jahr ums Leben gekommen.

Doch der Hass, der sich nun auf allen Gesichtern im Raum abzeichnete, galt einzig und allein dem amtierenden Mirrorlord. Völlig gleich, ob Adam etwas für die Lage konnte oder nicht.

»Unsere Mission in Hongkong war dennoch erfolgreich«, fuhr Nessa fort. »Wir haben sogar viel wertvollere Informationen bekommen, als wir ursprünglich angenommen haben. Informationen, nach denen wir sofort handeln müssen.« Nessa zog einen Mundwinkel hoch – eine Geste, die fast einem Lächeln gleichkam. »Um es kurz zu machen: Wir werden das Desimeter des Mirrors in unseren Besitz bringen.«

Aufgeregtes Gemurmel machte sich breit, das in verwunderte Rufe überging. Ich tauschte mit Lily einen verwirrten Blick. Was zur Hölle war ein Desimeter?

»Einige von euch wissen, dass ich das Desimeter als junge Frau selbst geschmiedet habe«, sprach Nessa weiter. »Dieses Sigil hat mich damals offiziell zur Schmiedin der Sieben gemacht. Die Ressourcen zu seiner Herstellung gibt es nicht mehr, das Desimeter ist daher einzigartig und wird es immer bleiben.«

»Tja, und genau deswegen ist das verdammte Ding besser gesichert als die Kronjuwelen!«, grölte einer der Rebellen direkt hinter ihr, ein schlaksiger Typ mit Tattoos, die ihm bis zum Kinn reichten.

Es war Edge, Lilys neuer Trainingspartner. Er trug eine Fliegerbrille auf zerzausten, grüngefärbten Locken. Ihm wurden sagenhafte Fähigkeiten in Sachen Türenknacken nachgesagt. Zusammen mit seinem Freund Blicker, der ebenfalls anwesend war und alle anderen Leute im Raum um eineinhalb Köpfe überragte, bildete er das beste Einbruchsteam des Auges. Ich war den beiden schon einmal im Mirror begegnet, als sie sich Zutritt zur Villa der Obersten Magistratin verschafft hatten. Damals waren wir allerdings noch Feinde gewesen.

»Richtig erkannt, Edge«, sagte Nessa. »Und das hat uns bedauerlicherweise bis jetzt daran gehindert, das Desimeter in Besitz zu nehmen. Damit ist nun Schluss – dank unserer Spione.«

»Was ist denn dieses Desimeter überhaupt?« Es war Lily, die die Frage stellte, und ich war ihr dankbar dafür. Dass es etwas Wichtiges war, lag auf der Hand, aber ich hatte Nessa nicht die Genugtuung verschaffen wollen, nachzufragen.

Nessas Blick glitt zu Lily, und auch ihre Gesichtszüge wurden unmerklich weicher. Sie mochte Lily. Anders als mich.

»Das Desimeter ist ein Kompass. Und es wird nicht weniger tun …«, Nessa machte eine Kunstpause, »…, als uns zur Schattenathame zu führen. Das hier ist der letzte Schritt auf unserem Weg zum achten Dark Sigil.«

Meine Gedanken rasten. Ein Kompass? Bedeutete das etwa – Nessa wusste überhaupt nicht, wo sie nach dem Dolch suchen sollte? Obwohl sie das eigentlich die ganze Zeit behauptet hatte?

Wieder Gemurmel, unterbrochen durch einen Zwischenruf aus den hinteren Reihen. »Edge hat recht. Wir haben bereits versucht, ans Desimeter zu kommen. Die Schutzmaßnahmen im Mirror sind einfach zu groß.«

Nessa wiegte den Kopf. »Bis jetzt, ja, da stimme ich zu. Aber uns spielt die aktuelle Mirrorpolitik in die Hände. Wir haben das Desimeter nie finden können, weil es traditionell unter der Aufsicht des Höchsten Magistraten ist. Seit Agrona Soverall das Amt übernommen hat, muss sie es den Statuten zufolge auf allen größeren Reisen mitführen. Und genau das könnte jetzt unsere Trumpfkarte werden. Denn offenbar plant der Mirrorlord angesichts der zunehmenden Bündelungen ein offizielles Treffen mit den Magistraten und den führenden Regierungen Primes.«

Ich spürte, wie Lily bei der Erwähnung von Adam sofort zu mir sah, doch ich starrte nur weiter angespannt auf Nessas Hinterkopf. Es sollte ein Treffen geben? Zwischen Prime und dem Mirror?

Das war … unglaublich. Es hatte zwar sporadische Besuche von Politikern im Mirror gegeben, aber niemals ein öffentliches Treffen, bei dem auch das Oberhaupt des Mirrors anwesend war.

»Und das Beste kommt noch.« Nessa klang sehr zufrieden mit sich. »Das Treffen wird nicht im Mirror stattfinden.«

»Der Mirrorlord kommt hierher?« Die Frage kam von einem weißhaarigen Mann – einer von Nessas direkten Beratern, wenn ich mich nicht täuschte. Seine Stimme klang ungläubig.

»Nein, der Treffpunkt ist auch nicht in Prime.« Nessa schüttelte den Kopf.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Dieselbe Frage stand allen Anwesenden ins Gesicht geschrieben.

Wo dann?

»Offenbar wurden die verbliebenen Überreste Septems dazu genutzt, ein vollkommen neues Gebäude zu errichten. Kein Palast mehr, sondern … ein recht schlichtes Plateau, das zwischen Prime und Mirror wechseln kann. Ein neutraler Ort, den der Mirrorlord zukünftig für Verhandlungen nutzen möchte.«

Gemurmel ging durch den Raum, und auch ich brachte keinen klaren Gedanken zustande. Zwischen unserer Welt und dem Mirror lagen mehrere Kilometer Luftlinie und eine unsichtbare, aber unüberwindbare Barriere, die beide Welten komplett voneinander trennte.

Dort sollte ein Treffen stattfinden? Wie konnte das möglich sein?

»Laut unseren Informanten beginnt das Treffen bereits übermorgen und dauert einige Tage.« Nessa hob die Hände. »Das ist die Chance für uns! Wir müssen das Desimeter an uns bringen, koste es, was es wolle. Allerdings haben wir nicht mal achtundvierzig Stunden für unsere Vorbereitungen.« Sie ließ ihren Blick über die Rebellen gleiten. »Der Plan ist wie folgt: Wir werden ein Team bei dem Treffen einschleusen. Es wird schwierig werden, überhaupt auf das Gelände zu kommen und im Grunde vollkommen unmöglich, in die geschützten Bereiche zu gelangen. Doch wir haben einen entscheidenden Vorteil: Das Plateau ist aus den Überresten Septems erbaut worden. Und die Magie Septems wird sich immer und zu jeder Zeit von einem Dark Sigil öffnen lassen. Glücklicherweise …«, Nessas Blick wanderte weiter und blieb schließlich an mir hängen, »… glücklicherweise besitzen wir eines davon.«

Ich presste die Lippen aufeinander. Nessa wollte, dass ich mit einer Gruppe von Rebellen auf dieses Plateau ging? Dorthin, wo die Sieben sein würden? Wirklich? Nach all den Wochen, in denen sie mich so aufwendig versteckt hatte?

Nun hatten sich alle im Raum zu mir umgedreht. Ich versenkte beide Hände in den Taschen meines Sweatshirts, um das Zittern zu verbergen, das mich in diesem Moment überkam.

Auf keinen Fall wollte ich vor diesen Leuten Schwäche zeigen.

Es war ein cleverer Schachzug von Nessa, diesen Plan vor den Rebellen zu verkünden, bevor sie überhaupt mit mir darüber gesprochen hatte. Wenn ich ablehnte, würde jedes Mitglied des Auges sofort glauben, dass ich mich nicht für ihre Sache in Gefahr begeben wollte.

»Unsere Chancen sind am größten, wenn wir gleich zu Beginn des Treffens zuschlagen«, fuhr Nessa fort, den Blick nun wieder zu ihren Leuten gerichtet. »Es soll einen großen Empfang geben, bei dem weitaus mehr Gäste geladen sind als an den folgenden Tagen, in denen die Unterhändler in Arbeitsgruppen zusammensitzen. Eine Art Eröffnungsfest, um das erste Treffen zwischen den Welten einzuläuten. Dadurch wird die Lage weniger übersichtlich sein.«

»Ein Fest?«, fragte jemand, und ich merkte erst nach einigen Sekunden der Stille, dass dieser Jemand ich gewesen war. Die zwei Worte waren einfach so aus mir herausgeschossen, denn die Vorstellung, dass es einen feierlichen Empfang geben sollte, kam mir nach allem, was in den letzten Monaten geschehen war, schrecklich absurd vor. Und ich konnte nicht glauben, dass Adam tatsächlich nach einem Fest zumute war.

Andererseits … er hatte diese Rolle zu spielen. Und es würde das Ereignis des Jahrzehnts sein, schließlich hatte sich der Mirrorlord nach dem Tod seiner Mutter und seinem Amtsantritt noch nie öffentlich in Prime gezeigt. Niemand wusste, wer er war, es gab keine Bilder, nichts.

Adam musste diesen Moment inszenieren.

Doch das war nicht der alleinige Grund. Das erkannte ich an dem Lächeln, das sich nun auf Nessa Greenwaters schwarz geschminkte Lippen legte. Ihr Blick haftete immer noch auf mir, und ich glaubte, darin nicht nur Zufriedenheit, … sondern auch eine Spur Schadenfreude zu entdecken.

»Ja, ein Fest«, sagte sie gedehnt. »Ein Fest mitsamt einer Kundgebung. An den Mirror und auch an Prime.«

»Und was soll der Inhalt dieser Kundgebung sein?«, fragte Lily, weil ich kein Wort über meine Lippen brachte.

Nessas Lächeln wurde breiter. »Nun. Wie es aussieht, gibt es eine frohe Botschaft: Der Mirrorlord hat sich verlobt.«

3

Mit schnellen Schritten lief ich in Richtung Ausgang. Ich hatte nicht gewartet, bis Nessa die Sitzung für beendet erklärt hatte. Ich war einfach gegangen. Vom Hauptgebäude steuerte ich auf den Zaun der Basis zu, der aus der Entfernung unüberwindbar wirkte, aber Lily und ich hatten schon vor ein paar Tagen eine von Sträuchern überwucherte Spalte entdeckt, durch die man das Militärgelände verlassen konnte.

Von dort waren es nur einige hundert Meter bis zu dem schmalen Strandabschnitt, an den die Basis anschloss. Ich suchte den Weg durch die kargen Büsche und das Gestrüpp. Jetzt im Winter blühten natürlich kaum Pflanzen hier, die Gegend wirkte verwaist und trostlos. In dieser Hinsicht war es in Los Angeles ähnlich wie in London. Im Zentrum gab es einen reichen Kern, in dem die Mächtigen und Wohlhabenden lebten und in Luxus und Magie schwelgten, und drum herum – nur Armenviertel oder gähnende Leere.

Ich überquerte eine verlassene Straße. Der Beton war rissig, und ein paar Pylonen sperrten eine Baustelle ab, auf der schon seit Jahren nicht mehr gearbeitet worden war. Gleich dahinter begann nach ein paar mickrigen Palmen der Strand. Das einzige Geräusch hier draußen war das Pfeifen des Windes. Ich richtete meinen Blick auf die graublauen Wellen, die in unaufhörlichem Rhythmus gegen die Steine nahe der Wasserlinie schwappten. Der Himmel hatte die Farbe eines verblichenen blauen Flecks und versprach Regen.

Mir war es egal, in welche Richtung ich lief. Ich brauchte nur das Gefühl, davonrennen zu können.

Irgendwann traf ich auf eine Gruppe kleinerer Felsen, die aus dem Wasser ragten und von der Gischt umspült wurden. Ich achtete nicht darauf, dass meine Füße nass wurden, sondern kletterte bis nach vorn und ließ mich leise seufzend auf den steinernen Untergrund sinken, den Blick hinaus aufs Meer gerichtet.

Wusstest du, dass ich bis vor ein paar Wochen noch niemals das Meer gesehen habe?

Der Gedanke verhallte in meinem Kopf, ohne eine Antwort. Das war ich bereits gewohnt, doch es hinderte mich nicht daran, weitere Gedanken ins Nichts zu schicken.

Es ist anders, als ich es mir immer vorgestellt habe. Rauer. Wilder. Ich habe gedacht, es wäre langweilig, weißt du? Einfach eine große Menge Wasser. Aber das Meer lebt, Adam. Die Wellen habe eine eigene Sprache. Hast du jemals darüber nachgedacht, wie weit sie gereist sind? Das Meer ist endlos. Es ist … Freiheit.

Die Stille in meinem Kopf war so allumfassend, dass es mir die Kehle zuschnürte. Für einen Moment stellte sogar der Wind das Pfeifen ein, und ich spürte, wie meine Augen feucht wurden.

Er hatte sich verlobt. Verlobt.

Natürlich sollte mich das nicht überraschen. Adam war in dieser Hinsicht immer ehrlich mit mir gewesen. Er hatte deutlich gemacht, dass er seine Pflicht erfüllen würde. Und offenbar wollte er nun Taten folgen lassen.

Die Idee, jemanden zu heiraten, wäre für mich bis vor kurzem völlig absurd gewesen. Ich war siebzehn. Siebzehn! Und Adam war gerade einmal neunzehn Jahre alt. Wieso sollte man da an eine Hochzeit denken? Doch es war eine andere Sache, wenn man ein Dark Sigil trug. Die Magie, die in den sieben uralten Artefakten schlummerte, wurde schon seit Generation für jedes Sigil in einer eigenen Blutlinie weitergereicht. Und die Familien taten alles, damit ihre Linie nicht ausstarb. Lange Zeit hatte man geglaubt, dass mit dem Tod meines Vaters die Blutlinie unserer Familie ein Ende gefunden hätte, aber auch wenn niemand von meiner Existenz gewusst hatte, hatte mein Sigil auf mich gewartet.

Nun war es an mir, Ignis zu bewahren und zu beschützen, und ja – die Verbindung zu meinem Sigil war überwältigend. Seine Magie war meine Magie, ich spürte seine Macht tief in meinem Inneren. Und gleichzeitig machte es mich zu einer Schachfigur in einem Spiel, das seit Jahrtausenden den Mirror beherrschte.

Ich selbst hatte bereits mehrere Dutzend Heiratsanträge bekommen, und ich hatte nur wenige Tage unter den reichen Oberen des Mirrors verbracht. Sie alle stritten darum, die zukünftigen Ehepartner für die Träger der Dark Sigils zu stellen. Nur ein einziges Verbot gab es dabei. Eine unumstößliche Regel, die sich die sieben Trägerfamilien auferlegt hatten.

Es durfte keine Liebe untereinander geben.

Die sieben Blutlinien durften niemals vermischt werden, denn sonst konnten die Sigils keinem neuen Träger übergeben werden. Stattdessen würden sie die Erde schon in kürzester Zeit mit ihrer Chaosmagie fluten, wie es im Laufe der Menschheitsgeschichte wohl bereits mehrere Male geschehen war. Deshalb war es seit Jahrhunderten die Pflicht aller Träger, eine stabile Beziehung einzugehen, einen Erben zu zeugen, eine Familie zu gründen. Die Tradition zu wahren.

Zum Wohle der Welt und zum Wohle der Dark Sigils.

Mein Innerstes fühlte sich an, als hätte es jemand mit Eis überzogen. Gleichzeitig klopfte mein Herz wild gegen meine Rippen, gefangen in einem Zustand, in dem ich nicht wusste, ob ich schreien oder weinen wollte.

Adam und ich … wir hatten nur wenige Wochen miteinander verbracht, doch ich hatte in dieser Zeit tief in seine Seele blicken können. Er war noch nicht einmal ein Jahr lang der Lord des Mirrors, aber er war von Geburt an darauf vorbereitet worden, und sein Weg lag glasklar vor ihm. Er hatte es mir selbst erklärt.

Der Mirror kommt zuerst, Rayne. Die Dark Sigils kommen zuerst. Das müssen sie.

Adams Worte hatten keinen Zweifel an seiner Überzeugung gelassen. Er war in dem Glauben erzogen worden, dass die Magie der Dark Sigils nur dann kontrolliert werden konnte, wenn alles so blieb, wie es immer schon gewesen war. Wenn niemand aus der Reihe tanzte und alle das taten, was die Dark Sigils verlangten. Angefangen bei ihm selbst.

Und das bedeutete, Adam würde es sich niemals gestatten, glücklich zu sein.

Hör auf, an ihn zu denken, sagte ich mir, und wiederholte die Worte so lange, bis das Innere meines Kopfes vollständig mit ihnen erfüllt war.

Wenn die Vergangenheit eine Wüste war, wäre meine Zeit mit Adam trügerischer, tückischer Treibsand. Ein einziger unvorsichtiger Schritt genügte, um davon verschlungen zu werden. Ein Teil von mir hätte deshalb am liebsten jede gute Erinnerung an ihn verbannt. Jede noch so federleichte Berührung, jedes Halblächeln. Stattdessen wollte ich mich endlich der Wut auf Adam hingeben, weil dieser verdammte Kotzbrocken unbeirrt seinen Weg weiterging und nicht einmal versuchte, eine andere Lösung zu finden.

»Ray.«

Ich zuckte zusammen. Eine Hand legte sich auf meine linke Schulter. Ich hatte nicht gehört, wie Lily hinter mir auf die Felsen geklettert war. Die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie setzte sich neben mich auf die Steine und lehnte ihren Kopf gegen meinen. Echo konnte ich hoch über dem Wasser als Schwalbe durch die Luft fliegen sehen. Er drehte seine Kreise, und man musste sehr genau hinschauen, um die feinen blauen Magiepartikel zu erkennen, die sich dabei von seinen Flügeln lösten.

»Wusstest du es?«, flüsterte Lily mir zu, und ich schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich hatte keine Ahnung.« Die Wellen schwappten stetig gegen die Felsen, ein Geräusch, das fast hypnotische Wirkung hatte.

»Aber …« Lily schluckte und warf einen flüchtigen Blick über ihre Schulter, als wollte sie sicherstellen, dass ihr niemand gefolgt war, bevor sie weitersprach. »Aber ihr habt immer noch diese Gedankenverbindung, oder? Adam und du? Hätte er nicht irgendetwas durchblitzen lassen? Ich meine … eine Verlobung. So was würde er nicht vor dir geheim halten, oder?«

Doch, das würde er.

Adam liebte Geheimnisse.

Ich seufzte und starrte auf einen Wasserstrudel, der sich unterhalb der Klippen gebildet hatte. Er sah aus wie ein winziger Mahlstrom. Innerlich wappnete ich mich dafür, die Worte auszusprechen, die ich bis jetzt tief in mir verschlossen gehalten hatte und die danach meine neue Wirklichkeit werden würden.

»Die Verbindung ist …« Ich zog die Brauen zusammen. Was war das richtige Wort? Kaputt? Zerstört? Inaktiv? »Es gibt sie nicht mehr. Ich kann Adam weder spüren noch seine Gedanken hören. Er ist … weg.«

»Was?« Lily blickte mich fassungslos an. »Aber … davon hast du mir gar nichts erzählt! Seit wann denn?«

»Schon seit New York.«

Ich war eines Tages mitten in der Nacht hochgeschreckt, zitternd, schweißgebadet. Mein Kopf hatte ein stetes Pochen von sich gegeben, gefolgt von einem dumpfen, fremden Gefühl in meinem Inneren. Es war, als hätte mir im Schlaf jemand etwas gestohlen, irgendwo tief im Bewusstsein, und was zurückblieb, war eine Wunde, die mich seither jede Sekunde und jeden Tag daran erinnerte, dass etwas fehlte.

Ich hatte erst nicht begriffen, was es bedeutete. Doch dann, in den Stunden danach, war es mir klar geworden: Die Verbindung zwischen Adam und mir war aus irgendeinem Grund durchbrochen worden. Ich hatte seine Gedanken noch Stunden zuvor glasklar hören können, seine Gefühle hatten sich mit meinen eigenen vermischt, von Tag zu Tag mehr. Die Magie, die wir beide im Blut hatten, war auf rätselhafte Art und Weise zu einem Ganzen verschmolzen. Sein Dark Sigil reagierte auf mein Dark Sigil, seine Magie auf meine, er auf mich. Und auf einmal, als wäre all das nur ein absurder Traum gewesen, war die Verbindung verschwunden.

In den Tagen danach hatte ich damit gerechnet, ihn jederzeit wieder spüren und hören zu können. Ich hatte geglaubt, wenn ich eines Morgens aufwachte, wäre er wieder da. Vielleicht nicht mit Worten, aber zumindest mit dem Gefühl seiner Anwesenheit.

Doch ich irrte mich.

Es war, als wäre Adam vom Planeten verschwunden, auch wenn ich wusste, dass es nicht so war. Er war am Leben, er ging seinen Regierungsgeschäften nach, so viel berichteten die Spione des Auges. Er war dort, im Mirror. Und das konnte letztlich nur eines bedeuten.

Adam hatte einen Weg gefunden, die Verbindung aufzulösen. Absichtlich. Und die Wunde, die er in mir hinterlassen hatte … sie fühlte sich an, als hätte man mir ein Stück meiner Seele herausgeschnitten. Adams Präsenz war durch eine quälende Leere ersetzt worden, die mich in den ersten Tagen beinahe in den Wahnsinn getrieben hätte. Ich hatte inzwischen gelernt, den Schmerz in kleine Häppchen zu unterteilen, die ich mit jeder Menge anderer Gedanken umhüllte und in eine Ecke meines Verstandes verbannte, wo sie nur noch schwach vor sich hin pochten. Doch das Gefühl der Leere … das blieb.

»Oh, Ray«, flüsterte Lily. »Dass wir in New York waren, ist Wochen her. Du hättest es mir sagen sollen, statt es allein mit dir herumzutragen.«