Darum lässt Gott Leid zu - Heiko Bräuning - E-Book

Darum lässt Gott Leid zu E-Book

Heiko Bräuning

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Beschreibung

Angesichts des Leides in der Welt ist der Glaube an einen guten und allmächtigen Gott auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Gott scheint abwesend zu sein. Bedeutet das Atheismus? Oder gibt es begründete Hoffnung? Heiko Bräuning regt einen Perspektivenwechsel an. Er macht Mut, Verantwortung zu übernehmen für eine Welt, die uns anvertraut ist. Ein Buch das sich der Herausforderung des Bösen in der Welt stellt und an der Hoffnung auf Erlösung festhält.

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Titelseite

Heiko Bräuning

Darum lässt Gott Leid zu

Ein Denkanstoß

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2025Hermann-Herder-Str. 4, 79104 FreiburgAlle Rechte vorbehaltenwww.herder.de

Die Bibelzitate sind entnommen derLutherbibel, revidiert 2017, © 2016Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Umschlaggestaltung: Verlag HerderUmschlagmotiv: © mauritius images / Glasshouse / Eydis Einarsdottir

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster

ISBN Print 978-3-451-60143-9ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83681-7

Inhalt

Vorbemerkung
TEIL 1
Mal ehrlich …
Der »casus knacksus« oder das »corpus delicti«
Handelt damit, bis ich wiederkomme!
Gott ist nicht da!
Jeder kann tun und lassen, was er will!
Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?
Gott ist unschuldig!
Wie geht es Gott, wenn er nicht eingreifen kann?
Der wiederkommende Herr
Was lange währt, wird endlich gut!
TEIL 2
Ein Resümee vorab
Vom Leidwesen der Knechte
Aber Jesus hat doch gesagt: »Ich bin bei euch.«
Klagepsalmen: Die Verbindung wird gehalten
Nützt das Gebet etwas, wenn Gott nicht da ist?
Wunder gibt es immer wieder?!
Ein Kommen und Gehen: Gott kommt. Gott geht. Gott kommt
Was ist mit dem Heiligen Geist?
Die Vergangenheit liegt vor uns!
Einer für alle, alle für einen. Füreinander und miteinander
Ein harter Mann! Da wird sein Heulen und Zähneklappern …
Das Himmelreich gleicht …
»Dahingegeben«. Ein Grund mehr für die Abwesenheit Gottes
Er wird die Fülle haben
»Auf Treu und Glauben«
Treue Knechte im Hier und Heute
»… mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen …«
Wir können uns Gott nicht verfügbar machen
Und jetzt? Gottlos? Hoffnungslos? Haltlos? Hilflos? Trostlos?
Ein persönliches Fazit
Anmerkungen

Vorbemerkung

Als Theologe habe ich mit »Insidern« der Kirche zu tun. Und meine, sie zu verstehen und ihre Sprache zu sprechen. Und ich weiß: Ich bin selbst Kind von Kirche, Glaube, von christlichen Lehren und Werten. Als Journalist denke ich vor allem an die, die mir jeden Tag im Radio und Fernsehen zuhören, teilweise schon lange nicht mehr in die Kirche gehen, mit dem »lieben Gott« abgeschlossen haben, an einen Gott, der »immer da ist«, nicht mehr glauben können.

Der Denkanstoß »Darum lässt Gott Leid zu« hat in mir persönlich einen heftigen Prozess ausgelöst: Vieles wurde infrage gestellt. Überzeugungen, Gottesbilder, Glaubensgrundsätze, Rituale. Ich wurde auch unterwegs von vielen gewarnt: Ich dürfe das nicht. Ich würde damit Glauben ruinieren, Menschen verunsichern. Andere haben mich zutiefst ermutigt durch ihre Rückmeldungen: Endlich könnten sie das Leid und Gott in einem neuen Zusammenhang sehen. Endlich würden sie besser verstehen! Noch nie hat mich und meinen Glauben etwas so sehr infrage gestellt wie die Beschäftigung mit diesem Denkanstoß.

Deshalb gilt, was in der Medizin gilt: »Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt oder fragen Sie in Ihrer Apotheke«. Ja, fragen Sie! Stellen Sie alles infrage! ([email protected])

Sie werden in diesem Buch kaum Quellenangaben finden. Es sind meine eigenen Gedanken. Meine persönlichen Versuche, Jesus zu verstehen. Und diese Gedanken mögen zum Nachdenken und Vordenken anregen, nicht mehr und nicht weniger. Ich möchte nicht alte Theologien und Theologen wälzen und zitieren. Jeder darf und muss sich Gott immer wieder neu erfinden. Neu denken. Deshalb darf alles infrage gestellt werden. Es möge ein Diskurs entstehen. Ich habe die Wahrheit nicht gepachtet. Ich stelle alles zur Diskussion. Und wenn es mir eine höhere und größere Vernunft besser erklären kann, ohne zu meinen, nur ihr Verständnis sei richtig, dann bin ich offen und bereit für alles.

Das Buch ist in zwei Teile geteilt: Im ersten Teil versuche ich, weltlich von Gott zu reden. Eine Interpretation einer Rede Jesu für die Ohren von Outsidern, Kirchenfernstehenden, Gottessuchern und »Gott ist tot«-Erklärern. Im zweiten Teil versuche ich, die offenen Fragen und vermeintlich verloren gegangenen Perspektiven derer zu beleuchten, die die Rede Jesu als »religiös gebildet« lesen, interpretieren und nun zu Recht Fragen haben.

Alles in allem, über allem und zum Anfang die große Bitte: Schluss! Macht endlich Schluss damit, Gott die Schuld zu geben! Hört auf, vom freien Willen zu reden und Gott eben doch damit letzten Endes das Leid in die Schuhe zu schieben. Hört auf! Gott ist nicht verantwortlich für das, was passiert. In keiner Weise. Hört auf, nach Begründungen zu suchen. Krankheiten sind niemals Gottes Strafe für die Sünde. Hören wir auf mit der endlosen Fragerei: »Warum lässt Gott das Leid zu?« Gott hat mit dem Leid schlicht und einfach nichts zu tun.

Alles in allem möchte ich meinen Denkanstoß auffassen und verstanden wissen, wie es Anselm von Canterbury treffend beschrieben hat:

»… unter der Bedingung, unter der ich alles, was ich sagen werde, aufgefasst wissen will: nämlich, dass, falls ich etwas behaupte, was eine höhere Autorität nicht bestätigt, selbst wenn ich es mit Vernunftgründen zu beweisen scheine, eben dies mit keiner anderen Sicherheit aufzunehmen sei, als dass es mir nur eben vorläufig so wahr zu sein scheint, bis es mir Gott auf irgendeine Weise besser offenbart.«1

TEIL 1

Mal ehrlich …

So viele, zu viele haben sich abgewandt von Gott. Sie konnten sie nicht mehr hören, nicht mehr ertragen: die Rede vom »lieben Gott«. Worte wie: »Gott ist immer da.« Trost wie: »Gott hilft dir!« Und ich kann sie verstehen. Ist Gott immer da? Ist er lieb? Hilft er mir?

Wo war denn dieser liebe Gott …

… als Lea 13-mal vergewaltigt worden ist? Warum hat der Gott der Liebe das zugelassen? Soll man Lea erklären, dass Gott da war? Dass er es toleriert hat? Dass er sowohl mit ihr als Opfer als auch mit dem Täter eins war? Denn Gott ist doch über allem und in allem.

… als Detlev jahrelang in einem kirchlichen Kinderheim missbraucht worden ist? Er glaubt bis heute: »Gott hat weggeschaut!«

… als 6 Millionen Juden im Holocaust umgebracht worden sind? War Gott da?

… als Franziska den langen Kampf gegen den Krebs verlor, aber Volker vom gleichen Krebs geheilt worden ist? Hat Gott Volker lieber als Franziska? Warum ist Gott ungerecht? Warum bevorzugt er Menschen?

… als israelische Soldaten einige der Hamas-Geiseln lebend retten konnten, während andere bestialisch ermordet worden sind? Warum hat Gott das zugelassen? Einmal so und einmal so? Ist es gerecht?

… wenn Staats- und Regierungschefs tun und lassen, was sie wollen: ihre eigenen Landsleute im Stich und an der Front verbluten lassen? Warum greift Gott nicht als allmächtiger Gott ein?

… als der 13-jährige Keanu nach langem Überlebens- und Todeskampf an Duchenne-Muskeldystrophie elendig erstickte und sein kleiner Bruder, 11 Jahre alt, genau die gleiche Diagnose erhalten hat? Warum interessiert Gott das alles nicht? Warum hat er sie nicht geheilt? Die Eltern und viele mit ihnen haben so oft, so lange, so laut, so viel gebetet, gefleht, geschrien.

… als Dirk auf dem höchsten Punkt der Karriereleiter von jüngeren Kollegen gemobbt wurde und am Ende seinen Arbeitsplatz verlor? Fristlos gekündigt! Warum hat Gott nicht geholfen?

Warum schaut der liebe Gott weg, wenn Tausende von Kindern täglich auf der ganzen Welt verhungern? Wenn sinnlos Kriege geführt werden? Wenn hunderte Menschen im Straßenverkehr ums Leben kommen?

Oder ganz persönlich: Warum schweigt Gott, wenn ich fromm und redlich jahrelang Gebete spreche und am Ende doch leer ausgehe?

Christlich gebildete Menschen mögen die Rede vom »lieben Gott« noch verstehen und einordnen können. Auch wenn sie Gott oft nicht verstehen. In christlicher Verkündigung spiegelt sich viel Trost und Hoffnung gerade in dunkelsten Zeiten wider. Man versucht, guten Mutes zu bleiben, trotz hoffnungslosester Zustände. Man versucht, sich gut zuzureden. Und ermutigt und tröstet sich selbst mit dem Glauben: Gott hilft, Gott lässt nie im Stich, Gott ist immer da, Gott entgeht nichts. Das mag in gewissen Kontexten funktionieren. Aber wir bleiben Antworten schuldig: denen, die Gott infrage stellen und nicht verstehen. Die Welt versteht nicht, wenn ständig vom »lieben Gott« gesprochen wird, der so viel Leid und Ungerechtigkeit zulässt und sich scheinbar nicht darum kümmert, als interessiere es ihn scheinbar nicht. Geht es in dieser Welt nicht vielmehr so zu, als ob Gott nicht da wäre? Als ob er abwesend wäre. Sich zurückgezogen hat. Vielleicht versteckt hat? Machen wir nicht alle viel zu oft die Erfahrung: »Gott ist nicht da?« Dabei stellt sich Gott im Propheten Jeremia selbst als ein ferner Gott vor: »Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?« (Jeremia 23, 23)

Es hat uns die Sprache verschlagen, wenn es darum geht, von diesem fernen Gott zu reden. Das darf doch nicht sein: von Gott verlassen! Es stellt unseren Glauben infrage, wenn wir durch Zeiten hindurchmüssen, in denen Gott nicht da ist. Wäre es nicht glaubwürdiger, wenn wir zugeben würden: »Es gibt so viel Leid, weil Gott nicht da ist!«? Ja, es gibt so viel Leid, weil der Mensch für eine bestimmte Zeit tun und lassen kann, was er will. Das heißt nicht, dass wir Gott für tot erklären. Ganz im Gegenteil! Die Hoffnung läuft zu Hochtouren auf!

Gibt es denn vielleicht doch Hinweise darauf, die wir aus den Augen verloren haben, eventuell sogar in den Reden Jesu selbst, welche wir verdrängt oder überlesen haben, die uns genau diesen Gott näherbringen: den verborgenen Gott, den abwesenden Gott, den Gott, der sich zurückgezogen hat, den Gott, der die Menschen sich selbst überlassen hat?

Ja, es gibt solche Denkanstöße, solche Aspekte, solche Hinweise!

Der »casus knacksus« oder das »corpus delicti«

Es gibt eine Rede von Jesus, die zweimal überliefert wird: zum einen im Matthäus-, zum anderen im Lukasevangelium. Ein wahrer Fall von »casus knacksus«, denn diese »Nuss« ist schwer zu knacken und schwer zu verdauen. Vielleicht wird daraus in der Tat auch ein »corpus delicti« – eine »Schand- und Straftat«, wenn man sie knacken will.

Matthäus 25,14-30 »Von den anvertrauten Talenten«

»Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und ging außer Landes. Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn. Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe fünf Zentner dazugewonnen. Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe zwei dazugewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du guter und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude! Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.«

Lukas 19,11-27 »Von den anvertrauten Pfunden«

»Als sie nun zuhörten, sagte er ein weiteres Gleichnis; denn er war nahe bei Jerusalem und sie meinten, das Reich Gottes werde sogleich offenbar werden. Und er sprach: Ein Mann von edler Herkunft zog in ein fernes Land, um ein Königtum zu erlangen und dann zurückzukommen. Der ließ zehn seiner Knechte rufen und gab ihnen zehn Pfund und sprach zu ihnen: Handelt damit, bis ich wiederkomme! Seine Bürger aber waren ihm feind und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche. Und es begab sich, als er wiederkam, nachdem er das Königtum erlangt hatte, da ließ er die Knechte zu sich rufen, denen er das Geld gegeben hatte, um zu erfahren, was sie erhandelt hätten. Da trat der erste herzu und sprach: Herr, dein Pfund hat zehn Pfund eingebracht. Und er sprach zu ihm: Recht so, du guter Knecht; weil du im Geringsten treu gewesen bist, sollst du Macht haben über zehn Städte. Der zweite kam auch und sprach: Herr, dein Pfund hat fünf Pfund erbracht. Zu dem sprach er auch: Und du sollst über fünf Städte sein. Und der dritte kam und sprach: Herr, siehe da, hier ist dein Pfund, das ich in einem Tuch verwahrt habe; denn ich fürchtete mich vor dir, weil du ein harter Mann bist; du nimmst, was du nicht angelegt hast, und erntest, was du nicht gesät hast. Er sprach zu ihm: Mit deinen eigenen Worten richte ich dich, du böser Knecht. Wusstest du, dass ich ein harter Mann bin, nehme, was ich nicht angelegt habe, und ernte, was ich nicht gesät habe, warum hast du dann mein Geld nicht zur Bank gebracht? Und wenn ich zurückgekommen wäre, hätte ich’s mit Zinsen eingefordert. Und er sprach zu denen, die dabeistanden: Nehmt das Pfund von ihm und gebt’s dem, der zehn Pfund hat. Und sie sprachen zu ihm: Herr, er hat doch schon zehn Pfund. Ich sage euch aber: Wer da hat, dem wird gegeben werden; von dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen werden, was er hat. Doch diese meine Feinde, die nicht wollten, dass ich über sie herrsche, bringt her und macht sie vor mir nieder.«

Bisher haben wir in Predigten meistens darüber gesprochen, dass in dieser Rede Jesu die anvertrauten Gaben und Talente das Wichtigste sind. Das Zentrale. Jeder Mensch ist von Gott beschenkt mit viel Gutem, mit viel Zeit, mit viel Können, mit Intelligenz, jeder nach seiner Weise. Jeder! Und damit kann und soll man handeln. Überlesen haben wir oft (oder verdrängt?), dass dieser Herr, der da austeilt, danach fortgeht. Außer Landes. Das heißt: Er ist nicht da. Nicht erreichbar.

Da regt sich Widerstand. Viele haben sich zu Wort gemeldet: »›Außer Landes‹: Sollte unser Herr tatsächlich weg sein? Eigentlich ist er das ja nie, sondern überall, bei und in jedem, der ihn angenommen hat … Es ist eines jener grausam und unverständlich wirkenden, unerquicklichen Gleichnisse, welche man am liebsten ausblenden würde … Denn jener, der das ihm anvertraute Geld (die ›Talente‹) vorsorglich auf die Bank gebracht hat, wird dafür bestraft und ins ›Verderben‹ geschickt. Soll das heißen, wir werden bestraft, wenn wir nicht von uns aus selbst ›aktiv‹ werden? Man kann natürlich frei interpretieren, dass uns all das mögliche Böse zustößt, weil der Herr angeblich nicht da wäre. Er wird uns Recht verschafft werden, wenn er wiederkommt – und den verstoßen, der nicht gehandelt hat? Hat nicht auch jener gehandelt, der den ihm anvertrauten Betrag vorsorglich und in redlicher Absicht auf der Bank deponiert hat? ›Wer wenig hat, dem wird noch alles genommen‹ – ist das nicht weltlich gedacht, düster und ohne Aussicht?« (L.B.)

»Gott ist dann mal weg? Er ist abwesend? Wo ist er? Kann er mich denn wenigstens noch hören oder verlaufen auch meine Gebete im Sand? Was sage ich einem Menschen, den ich mit Gott konfrontieren möchte? … Gott ist die Liebe, immer für uns da, er kümmert sich um uns, hört uns zu, er sorgt sich …nur, dann und wann ist er halt mal weg. Nein, ich komme mit diesen ambivalenten Gedankengängen so gar nicht klar. Ich sehe auch nicht den Zusammenhang menschlichen Leids mit dem Talente-Gleichnis. Das wirkt auf mich doch sehr konstruiert, um menschliches Leid mal wieder zu erklären. Dennoch, neue Gedanken bringen mich zum Nachdenken, sie sind erlaubt und manchmal sogar notwendig. Ich für meinen Teil aber halte mich an Gott fest, halte ihn fest. Wenn er geht, dann muss er mich schon mitnehmen. Da bin ich ganz der Pragmatiker.« (T.W.)

»Hallo Heiko, wenn wir Sonntagmorgen Zeit haben, dann schauen wir ›Gunst der Stunde‹ auf YouTube. So auch heute (22.09.2024). Da hast du dich in deiner Predigt ja weit aus dem Fenster gehängt. Ich habe mich gefragt, was du für eine Absicht verfolgst. Willst du deine Zuseher testen, wie weit sie mitgehen? Kurzfassung: Talente hat uns der Herr gegeben, da brauchen wir nicht mehr fragen, was wir damit machen sollen. (Den Rest der Ausführungen spare ich mir, den kennst du ja besser als ich) Und … der Herr ist außer Landes??? Wirklich??? Und: ›Ich bin bei euch alle Tage‹ als Grußformel also unbedeutend und ohne Realitätsbezug? Ich frage mich ernsthaft – was willst du? Zum Glauben lädt das auf jeden Fall nicht ein. Gut dein Schlusswort – ja, ich hoffe der Herr zeigt dir was anderes. Ganz ernsthaft?« (K.M.)

»Gott ist nicht zu Hause oder einfach weg. In meinem Leben war Gott manchmal auf Reisen, einfach weg. Ich habe mal eine Predigt gehört, da ging es darum, warum Gott einfach zuschaut. Ich war damals sehr traurig. Es wurde gesagt: Gott hat dem Menschen den eigenen Willen geschenkt, es sind die Menschen, nicht Gott. Aber heute habe ich es noch besser verstanden. Gott sieht nicht zu, Er ist nicht da. Und die Menschen mit ihren Gaben nutzen sie einfach falsch oder machen Blödsinn (Kriege) nicht nur auf der Welt, sondern auch per­sönlich, mit den Mitmenschen. Auch leben wir in der Welt, und Gott hat uns den Heiligen Geist geschickt, also sollte man auch seinen Kopf benutzen mit dem Heiligen Geist und Friedensstifter sein (auch politisch) und nicht mit der Masse mitschreien. Ich meine nicht Christen, sondern alle Sünder, ich bin auch einer. Und wir als Gläubige haben doch das beste Werkzeug in der Hand (Hände falten) und für die Regierung beten. Auch für deren Schutz. Denn Politik ist ein gefährlicher Job. Und wir wollen doch alle, dass es uns gut geht. Und nicht verfolgt werden wollen wegen unseres Glaubens. Danke Heiko Bräuning, dass ich eine bessere Sicht auf das Problem ›Gott schaut zu‹ bekommen habe. Liebe Grüße an Euch Alle, macht weiter so.« (G.H.)

Es regt sich Widerstand, Unmut. Bis hin zu schweren Vorwürfen. Dieser Gedanke, dass Gott nicht da ist, stellt alles infrage. Wenn man nicht alles verlieren will, wenn man komplett verunsichert wird, weist man diesen Gedanken schnell und heftig von sich. Es ist Selbstschutz. Den persönlichen Glauben mit allen Prägungen und Überzeugungen darf man nicht infrage stellen. Das ist ein Territorium mit Verbotsschild: »Betreten verboten!«

Aber warum dieses Gleichnis Jesu nicht mal neu verstehen? Mit allem, was er gesagt hat. Nicht nur bruchstückhaft. Wäre es nicht an der Zeit, auch diese unbequeme Sicht der Dinge – aus dem Munde Jesu – ernst zu nehmen? Wäre es nicht ehrlicher, zu sagen: Gott ist nicht da? Was würde das konkret heißen?

Handelt damit, bis ich wiederkomme!

Bevor der Herr außer Landes geht, wird von ihm ausgeteilt. Nicht zu knapp, nicht zu wenig. Er teilt sein Vermögen auf. Er macht seine Mitstreiter zu Vermögenden. Und der Auftrag ist klar und eindeutig: »Handelt damit, bis ich wiederkomme!« Und dann geht er. Heißt: Es war den Knechten nicht möglich, in dieser Zeit täglich Kontakt aufzunehmen mit ihrem Auftraggeber, mit ihrem Chef. Er war nicht da. Er ist nicht da. Nicht erreichbar, weder per Handy noch per Brief. Er nimmt keinen Anruf entgegen. Er kontrolliert nicht allabendlich. Er schaut nicht nach dem Rechten. Er ist beschäftigt. Die Knechte sind auf sich gestellt. Sie tragen Verantwortung und können sie nicht delegieren. Am Schluss werden sie dafür zur Rechenschaft gezogen. Irgendwann kommt der Herr zurück, und es wird bilanziert.

In den Gleichnissen Jesu liegt der Fokus auf drei der zehn Knechte. Von ihnen wird am meisten erzählt. Ihnen wird viel zugetraut. Ihnen wird viel anvertraut. Von ihnen wird viel gefordert. Zwei Knechte bereiten ihrem Herrn große Freude; demgegenüber steht der dritte Knecht, der den wiederkommenden Herrn als gnadenlosen Richter erlebt. Die »Knechte« (griechisch »δουλος« »dulos«) meint nach orientalischem Brauch die Beamten eines Königs, also wie heute Mitarbeiter in festen, gesicherten Arbeitsverhältnissen mit einem guten, existenzsichernden Auskommen. Auch wenn sich Beamtentum und Unternehmertum vermeintlich oft widersprechen: Hier im Gleichnis Jesu wird von den Beamten höchstes unternehmerisches Handeln eingefordert.

Jeder Mensch ist ein von Gott begabter Mensch. Mit je eigenem Potenzial. Mit Fähigkeiten. Mit Gaben und Talenten. Aber: anvertraut von Gott. Es ist anvertrautes Vermögen. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass keiner aus sich selbst heraus »vermögend« ist. Die »Tüchtigkeit« jedoch ist etwas, was uns im Laufe der Zeit durch Erziehung, Bildung, Leidenschaft angedeiht. Oft sagen wir: »Wir sind reich beschenkt.« Das mag zutreffen für manch schönes Erlebnis, gute Freunde usw. Aber unsere Talente wurden »anvertraut« und wir dürfen damit als »Verwalter« tätig werden – und müssen zum Schluss zurückgeben und Rechenschaft ablegen. Die Devise, der Auftrag ist klar: »Handelt damit, bis ich wiederkomme«.

Wir sind zum verantwortlichen Handeln berufen! Jeder von uns! In diesem Gleichnis geht es um die berufliche Tätigkeit (πραγματευομαι meint das berufliche Tun.) Der eine im Bereich Forschung und Wissenschaft, der andere in der Erziehung und Bildung, im Gesundheitswesen, in der IT-Branche, der Waffenindustrie, der Beförderung durch Bus und Bahn, in der Kunst, in der Politik. Jeder hat das Potenzial, sich im Kleinen wie im Großen dabei als »tüchtig« zu erweisen (αγαθος meint »tüchtig, brauchbar, gut«), und die Fähigkeit, das, was und wie er es tut, treu zu tun (πιστος »glaubwürdig, zuverlässig, treu«). Es gibt den tüchtigen, zuverlässigen Soldaten, Beamten, Lehrer, Abgeordneten, Arzt. Es gibt die tüchtige Assistentin, Professorin, Senatorin, Ministerin. Es gibt die brauchbaren Politiker, Sportler, Leistungsträger.

Und es gibt den »bösen und faulen Knecht«! Im griechischen Urtext stehen die Worte πονηρος, »ponäros) was so viel heißt wie »in schlechtem Zustand, krank, bösartig, schmerzbereitend, verdorben, untauglich, schlecht, böse, lasterhaft, verkommen, böse Menschen, Bösewicht, Missetäter, auch der oder das Böse, der Teufel«, und οκνερος, also »träge, faul, unlustig machend, gelangweilt«. Sie stehen uns vor Augen: die Bösewichte in der Weltpolitik. Die Verantwortung tragen für ein Volk und die eigenen Bürger verhungern lassen. Sie an die Front schicken und selbst in Villen leben. Sie in den Tod schicken und ins Verderben. Die Mächtigen der Welt: die Despoten, die Willkürherrscher, die Tyrannen, die selbst ernannten Imperatoren und Diktatoren. Wir kennen sie, die untauglich sind. Die bösartig sind, krank machend. Die gelangweilten Mitarbeiter, die Faulen.

Für jeden gilt der gleiche Auftrag des Herrn: Handelt, bis ich wiederkomme. Die einen handeln in seinem Geist, in seinem Namen, in Verantwortlichkeit, mit Pflichtgefühl und Kompetenz. Wohl wissend, dass sie Verwalter sind von Gaben, die ihnen selbst nicht gehören. Und dass sie dereinst Rechenschaft geben müssen (συναιρωλογον