Mehr als Frieden: Shalom - Heiko Bräuning - E-Book

Mehr als Frieden: Shalom E-Book

Heiko Bräuning

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Beschreibung

In einem Wort steckt so viel mehr: Bedeutung in vielen Schichten, kulturelle Zusammenhänge, das Denken der Menschen ... Das Problem: Eine Übersetzung kann nie alles, was im Wort verborgen ist, mitnehmen. Und das gilt auch für biblische Texte. Heiko Bräuning beleuchtet zahlreiche hebräische Ausdrücke und bringt erstaunliche Zusammenhänge zu Tage. In leicht verständlicher Form macht er für jeden nachvollziehbar, welche Aspekte in so manchem biblischen Begriff stecken und neu entdeckt werden wollen. Gehen Sie mit auf die Reise und eröffnen Sie sich neue Perspektiven auf so manchen biblischen Text!

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Seitenzahl: 159

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Heiko Bräuning

Mehr als Frieden:

Shalom

Hebräische Wörtervoller Aha-Erlebnisse

Bestell-Nr.: RKW 5035

2. überarbeitete Auflage 2024

© 2023 Kawohl Verlag, 46485 Wesel

Alle Rechte vorbehalten

Titelbilder: Getty Images / photovs, pamela_d_mcadams, MiniMoon Photo

Lektorat, Satz, Gestaltung: RKW

Korrektorat: Inge Frantzen

Korrektorat der hebräisch geschriebenen Worte:

Prof. Dr. Heinz-Dieter Neef

Druck und Verarbeitung:

Drukarnia Dimograf, Bielsko-Biała, Polen

ISBN 978-3-86338-035-9eISBN 978-3-86338-989-5

www.kawohl.de

Inhaltsverzeichnis

Am Anfang war das Bild

אaleph

Die Repräsentanz Gottes

שלםs-l-m

Mehr als Frieden!

לחםl-h-m

Kampf ums Überleben

שברs-b-r

Die Kunst des Scheiterns

חסדh-s-d

Warum der Storch die Kinder bringt

קרץk-r-s

Reizende Begegnungen

בראb-r-ɔ (1)

Wie aus dem Nichts!

בראb-r-ɔ (2)

Hauptsache gesund!

בראבראשׁיתb-r-ɔ-s-t b-r-ɔ

Aller Anfang mit Gott

קדשk-d-s

Hure und Heilige

בגדb-g-d

Wenn man etwas zu verbergen hat

ארץɔ-r-s

Alles dreht sich!

שרהs-r-h

Kämpfen und gewinnen!

חכםh-k-m

Klug werden

שמרs-m-r

Schmiere stehen

אםɔ-m

Wenn schon, denn schon

כבדk-b-d

Schwergewichtig!

כמלk-m-l

Wenn ich schwach bin, bin ich stark!

כפרk-f-r und מחה m-h-h

Mit Pauken und Macheten

כחk-h

Nicht aus eigener Kraft!

אוןɔ-w-n

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

פּלטp-l-t

Vom Pleitegeier

כההk-h-h

K. o. – knock-out!

כללk-l-lundכלהk-l-h

Formvollendet!

נסהn-s-h und מסהm-s-h

Drum prüfe, wer sich ewig bindet …

חסדh-s-d

Liebe, Schmach und Schande

חילh-j-l

Unter Schmerzen geboren

ידעj-d-c

Anleitung zum „Lebe leichter“

נשהn-s-h

Schuld-los

פנהp-n-h

Von Angesicht zu Angesicht

סלהs-l-h

Mach mal Pause!

חנהh-n-h

Beugen und beten

שלחs-l-h

Die Kunst des Loslassens

סבבs-b-b

Bewegungsspielraum dank festem Halt

חטאh-t-ɔ

Ziel verfehlt!

שפטs-ph-t

Aufrichter statt Scharfrichter

ראהr-ɔ-h

Angesehen!

אמץɔ-m-s

Ermutigt und macht stark!

אמרɔ-m-r

Zu Befehl!

חללh-l-l

Nach wessen Pfeife tanzen wir?

חנןh-n-n

Wohlriechend oder stinkend?

דרךd-r-k

Weg und Weisung

סגרs-g-r

Ein Schlüsselerlebnis!

חברh-b-r

Freundschaft, die hält!

ברךb-r-k

Stärkt die wankenden Knie!

עברc-w-d

Die fleißige Hand wird herrschen

עברc-w-r

Es geht den Bach runter

מללm-l-l

Redet miteinander!

מלךm-l-k

Beraten und beschlossen

לקחl-q-h

Er hat's gegeben, er hat's genommen

כנףk-n-ph

Randerfahrung

סוגs-w-g

Nirgendwo von Gott verlassen

Geleitwort von Lea Fleischmann

Am Anfang war das Bild

Für die hebräische Sprache gilt, was für viele Sprachen gilt: Am Anfang war das Bild. Die Bilder entstanden durch Beobachtung: der Natur, der Schöpfung, der Tierwelt, der Himmelswelten, der Prozesse und Zusammenhänge, die man wahrnehmen kann, wenn man genau hinsieht. Und dann wurde daraus ein Buchstabe kreiert, der das Bild zum Ausdruck bringt. Setzt man diese zusammen, fügt man Bilder aneinander. Und wenn man die zusammengesetzten Buchstaben – das daraus entstandene Wort – in seiner Tiefe und Vollkommenheit verstehen will, muss man die Bilder dahinter erkennen, die die unabdingbar zusammengehörenden Prozesse beschreiben.

Hebräische Verben bestehen aus einer Wurzel von 2 oder 3 Buchstaben. Diese drei Buchstaben voller Bilder ergeben ein Wort mit vielen verschiedenen Bedeutungen, die alle zusammengehören. Man hat im Judentum seit langer Zeit die Zusammenhänge genau beobachtet und versucht, diese mit und in einem Wort auszudrücken. Wenn man nun also ein hebräisches Wort mit einem einzigen – zum Beispiel deutschen – Wort übersetzen will, dann macht man das hebräische Wort sehr klein und schmal. Hinter jede Übersetzung muss man eigentlich in die hebräische Ursprache hineinschauen, um zu begreifen, was eigentlich gemeint ist.

Martin Luther tat ein großes Werk: Er übersetzte die hebräische Tora ins Deutsche und hat versucht, für jedes Wort des Urtextes jeweils ein deutsches Wort zu finden. Das ist ihm in weiten Teilen gelungen. Allerdings konnte er nicht in allem die ganze Bedeutung und die Zusammenhänge, die jüdisches Denken kennt, wiedergeben.

Wer der hebräischen Sprache jedoch auf den Grund geht, wer hinter die Buchstaben schaut und die Bilder entdeckt, der spürt Zusammenhänge auf, die Horizonte öffnen und Denkmuster in Frage stellen, überwinden, erweitern. Der bekommt Antworten auf Fragen, die bisher unbeantwortet waren. Kurz gesagt: der spürt eine tiefe Überraschung über so viele Aha-Erlebnisse!

Auch für mich persönlich war es so. Mein Theologiestudium hat mir die Logik über Gott vermittelt, mich aber nicht so tief in jesuanisches Denken geführt, wie das Sprachstudium: Hebräisch! Hebräisch war die Sprache Jesu, besser gesagt: Eine der Sprachen Jesu. Aramäisch war die Umgangssprache, Hebräisch die Gelehrtensprache. Und die hat er beherrscht. Jedes Mal, wenn er die Tora las und auslegte, tat er das nicht in aramäisch, sondern in hebräisch – der Sprache der Gelehrten und der Tora! Und so, wie er die Tora gelesen hat, liest man sie noch heute. Heißt: wie er gedacht hat, was er gewusst hat, das wissen und denken Juden heute noch, wenn es um die Bücher Mose geht, die Propheten oder die Psalmen. Und als hebräisch sprechender Mensch war Jesus mit der Sprache vertraut und kannte ihre Tiefen und ihre Geheimnisse.

Übrigens: Wie für jede Sprache gibt es auch für die hebräische Sprache Nachschlagewerke. Und in diesen Wörterbüchern lassen sich die Bedeutungen, die Bilder, die Geheimnisse entdecken. Es braucht nicht unbedingt ein großes Quellenstudium oder große Wissenschaft. Manchmal genügt ein Blick ins Lexikon. Ich empfehle zum Beispiel das „Hebräische und aramäische Handwörterbuch“ von Wilhelm Gesenius oder das „Theologische Handwörterbuch zum Alten Testament“ von Ernst Jenni und Claus Westermann. Beide haben mir auch für dieses Buch gute Dienste getan.

Um bei meinen Quellen zu bleiben: Neben der Tora selbst waren auch das Neue Testament in griechischer Sprache wichtig sowie eine Konkordanz, um die gewaltigen Zusammenhänge zu entdecken. Und von unschätzbarem Wert war die Freundschaft und der Austausch mit Lea Fleischmann, einer bekannten und engagierten Autorin aus Jerusalem. Ein besonderer Dank für die Zusammenarbeit gilt meinem Hebräischlehrer, Prof. Dr. Heinz-Dieter Neef aus Tübingen, der mir viele wichtige Impulse für dieses Buch gegeben hat und der auch alle hebräisch geschriebenen Wörter noch einmal geprüft hat.

Wilhelmsdorf, Heiko Bräuning

Hinweise

Das Wort „Tora“ verwende ich in diesem Buch im weiteren Sinne (pars pro toto) und meine damit das gesamte Alte Testament, d. h. den gesamten Tanach. Dieser umfasst sowohl die Tora (Weisung) im engeren Sinne als auch die Nevi’im (Prophetenbücher) und die Ketuvim (Schriften).

Die hebräische Schrift gibt standardmäßig nur Konsonanten wieder, was in manchen Fällen Interpretationsspielräume eröffnet. Vokale können optional durch ergänzende Zeichen hinzugefügt werden.

Die hebräischen Buchstaben werden hier in einer vereinfachten Umschrift (ohne Sonderzeichen außer ɔ (Aleph) und C (Ajin)) in lateinischen Buchstaben wiedergegeben.

zeigt an, wie die Konsonanten des hebräischen Wortes vokalisiert und ausgesprochen werden. Die vokalisierten Worte werden teilweise auch im Text verwendet.

Um der Lesbarkeit und der Leichtigkeit willen vokalisiere ich nach dem sogenannten Grundstamm (= Qal) – soweit vorhanden – wohl wissend, dass es weitere Stammesmodifikationen gibt. Wenn Qal nicht vorhanden ist, wird nach anderen Modifikationen vokalisiert.

Zu manchen hebräischen Wörtern gibt es mehrere Kapitel, die unterschiedliche Aspekte beleuchten.

א

aleph

Die Repräsentanz Gottes

Aleph ist der erste Buchstabe des hebräischen Alphabetes. Und zwar einer, den man im Gegensatz zu P oder Z, M oder O gar nicht ausspricht, es ist ein lautloser Buchstabe.

In der Tradition des Judentums wird auch von der Erschaffung der Buchstaben erzählt: In der Erzählung erscheinen alle Buchstaben vor dem Herrn und geben gute Gründe an, warum jeweils sie der erste Buchstabe sein sollten. Alle kommen – außer dem Buchstaben Aleph. Als der Herr fragt, warum das so sei, erklärt das Aleph: „Ich bin doch nur ein lautloser Buchstabe und habe deshalb nichts zu sagen.“ Doch der Herr zeichnet die Demut des Aleph aus und erklärt es zum ersten aller Buchstaben.

Und dieses Aleph hat es in sich! Ja, es trägt sogar Gott in sich! Denn: Als erster Buchstabe im hebräischen Alphabet symbolisiert Aleph die Präsenz Gottes! Er repräsentiert Gott als Schöpfer, durch den alles entstand und der über allem steht. Er symbolisiert die Gegenwart Gottes. Er steht für Gottes Präsenz in den durch das Wort mit Aleph formulierten Zusammenhängen und Prozessen. Aleph steht für Konzentration auf Gott. Für ein Sich-Fokussieren auf Gott, mitten in allem und trotz allem. Ja, damit hat das Aleph auch etwas Verborgenes, etwas Unbegreifliches, Unerklärliches an sich. Denn nicht immer bringt man alles heiter mit Gott in Verbindung. Und dennoch: Alles hat seinen Ursprung in Gott.

Wo nun findet man den Buchstaben Aleph? Noch dazu am Anfang hebräischer Worte? Im Wort für Gott selbst: „Adonai“. Im Wort für Mensch: „Adam“. Im Wort für Frau: „Ischah“. Im Wort für Vater: „Abba“. Auch die Zehn Gebote beginnen mit dem Buchstaben Aleph: „anochi …“ – „Ich bin der Herr, dein Gott (…) Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ (2. Buch Mose 20,2) Der Name Gottes, den er Jakob gegenüber genannt hat. Das Wort für Wahrheit beginnt mit Aleph: „omen“ oder „emet“.

Weitere Worte, die mit Aleph beginnen: umherirren, verlieren. Begierde. Bedürfnis, Sucht. Armut. Stärke. Tapferkeit. Stein. Erde. Liebe. Mühe, Unheil. Licht. Ohr. Bruder. Verwandtschaft. Ausgang (Endergebnis einer Sache). Feind, Schrecken und Angst. Schuld.

In all diesen Worten drückt das Aleph die Präsenz Gottes aus! Gott ist präsent, auch in der Angst, auch in der Schuld. Auch in der Sucht. Gott ist gegenwärtig, auch im Feind. Auch in der Armut.

Auch wenn sich Hindernisse auftuen, so deutet das Aleph im Wort auf die Repräsentanz Gottes hin, der mir sagt: „Ich bin bei dir, auch wenn man dir viele Steine in den Weg legt. Die Steine führen zu mir!“

Und Gott in meinem Bruder. Gott in meiner Frau. Gott in meinem Umherirren und in meinen Bedürfnissen.

Wie sagt es Paulus: „Fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“ (Apostelgeschichte 17,27 und 28)

Der Buchstabe „Aleph“ ist abgeleitet vom Zeichen für einen Stierkopf mit 2 Hörnern. In Psalm 92,11 ist der Stier Symbol für Stärke: „Aber mich machst du stark wie den Wildstier und salbst mich mit frischem Öl.“

Durch die weitere Entwicklung erinnert das Aleph an eine Achse, einen festen Halt, an den sich Menschen klammern im Auf und Ab des Lebens. Halt und Ursprung ist in Gott. Der Achse des Lebens.

שלם

s-l-mshalom

Mehr als Frieden!

Die Wurzel שלם s-l-m bedeutet: genug haben, damit sich die gesunden Kräfte der Seele frei entfalten können. Shalom heißt nicht in erster Linie „Friede“ und der Zustand von Shalom ist nicht durch diplomatische Verhandlungen, Waffenruhen und Friedensverträge zu erreichen.

Wer in Israel Freunde trifft, begrüßt sie herzlich mit „Shalom“! Wenn man sich verabschiedet, gibt es ebenfalls ein „Shalom“ zum Gruß. Ein sogenannter „Friedensgruß“. Der Anbieter eines Hebräisch-Fernkurses lehrt, Shalom heiße so viel wie „Hallo“. Andere haben uns beigebracht, Shalom heiße „Frieden“. Ein Blick in das Theologische Handwörterbuch zum Alten Testament zeigt, dass Shalom in keiner Sprache der Welt, vor allem nicht im Ursprungsland, dem arabischen Raum, „Friede“ heißt. Man kann es so übersetzen, löst damit aber keine Aha-Erlebnisse mehr aus. Die Fragen bleiben nämlich offen: Was ist denn Frieden? Wie wird denn Frieden?

Die hebräisch sprechenden Menschen und ihre ganzen semitischen Nachbarn haben folgende Erfahrung und Beobachtung gemacht: Ein Mensch ist „zufrieden“, er hat in sich Frieden, er ist „befriedigt“, wenn er „genug hat“. Wenn er nicht mehr das allzu menschliche Gefühl hat, dass er zu wenig hat. Dass er immer zu kurz kommt. Dass es ungenügend ist, was er hat, was er kann, was er ist. Deshalb heißt Shalom: „genug haben“. Wer sich Shalom wünscht, wünscht dem anderen, dass er genug hat.

Denn das war eine existenzielle Erfahrung von Anbeginn der Menschheit: Wer das Gefühl hat, zu kurz zu kommen, der ist im Stande, zum Mörder zu werden. Kain und Abel zum Beispiel: Kain hatte das Gefühl, bei Gott zu kurz zu kommen. Oder: Warum schreien wir uns als Baby die Kehle aus dem Leib, wenn wir hungrig sind? Weil uns eine Angst in die Wiege gelegt wurde, zu kurz zu kommen und dann auf der Strecke zu bleiben. Deshalb werden wir erst ruhig, wenn wir an der Brust der Mama sind. Gestillt sind wir „zufrieden“.

Ein Freund von mir sagte: „Alle Kriege, die man bisher gegen Israel geführt hat, sind Kriege des Neides. Die ganze Welt ist neidisch auf die Juden. Weil sie das auserwählte Volk sind, weil sie im Land leben, wo Milch und Honig fließen. Weil sie die besten Weine produzieren, die beste IT-Technik haben, die beste Landwirtschaft, die beste Medizin, die beste Rüstungsindustrie usw. Immer und überall haben Menschen dem Volk Gottes gegenüber den Eindruck: Wir selbst kommen zu kurz. Die sind was Besseres! Die haben von allem mehr. Wir haben zu wenig. Und dieser Neid führt zu Streit, zu gewaltigen Überlebenskämpfen und letzten Endes zum Krieg. Sogar zum Wunsch der Vernichtung. Denn dann wäre auch der Neid nicht mehr. Der dann aber natürlich an anderer Stelle entsteht.“

Wir können alle Streitereien und alle Kriege der Welt auf das eine Gefühl zurückführen: Neid und Habsucht, Vergleich und Ungerechtigkeit. Das Gras meines Nachbarn ist viel grüner als meines. Er hat den viel schöner gepflegten Garten. Der Kollege hat eine wunderschöne Frau. Viel schöner als meine. Der hat viel mehr Geld. Der hat viel mehr Talent(e) als ich. Der hat die schönere Stimme. Das größere Auto. Die Nachbarn haben ihr Haus schon wieder neu streichen lassen. Wir sitzen noch mit der alten, verdreckten Fassade da. Wie oft habe ich festgestellt: Der singt viel schöner. Früher habe ich gedacht: Der ist eine Sportskanone, ich ein Versager. Oft habe ich geglaubt: Man liebt mich weniger als – zum Beispiel – meinen Bruder. Und das führte zu einer großen, tiefen Unzufriedenheit. Zu einer Gereiztheit. Weit weg vom „genug haben“ und „genug sein“.

Nun bekennen wir Jesus Christus laut Jesaja 9,5 als: „Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“. Friede-Fürst heißt auf Hebräisch שר שלום „Zar-Shalom“. שר, gesprochen „sar“ meint denjenigen, der in diesem Bereich, in diesem Metier (Frieden), der Größte, der Beste, der „Experte“ ist. Wenn es um Frieden geht, dann muss es um Christus gehen. Shalom kann nur er machen. Das heißt: Er kann das Gefühl nehmen „Ich komme zu kurz“. Er allein kann das Herz anrühren, das immer klagt und schreit: „Ich habe zu wenig!“, „Warum trifft es immer mich?“, „Warum haben die anderen mehr und können so viel, was ich nicht kann.“ Der Friedefürst erneuert das Denken, das Fühlen, das Herz und alle Sinne, so dass die Gesinnung eines David in mir einzieht: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ (Psalm 23,1)

Ich kenne so viele Menschen, denen es an vielem mangelt: Gesundheit, Geld, Klugheit, Schulabschluss, Bildung, Chancen usw. Und dennoch machen sie einen zutiefst zufriedenen Eindruck und bekennen immer wieder: „Ich habe nicht alles, ich kann nicht alles, aber: Der Herr ist mein Hirte! Mir wird nichts mangeln.“ Und so begnügen sie sich, weil sie wissen: Bei meinem Herrn und Meister komme ich nicht zu kurz!

Ja, Christus ist unser Friede, unser Shalom, שלם s-l-m, unser שר שלום, der Friedefürst! Der Garant und die Garantie, dass wir bei und mit ihm nicht zu kurz kommen!

לחם

l-h-mlächäm

Kampf ums Überleben

Bethlehem hat große Bedeutung für die Israeliten, weil es der Überlieferung nach der Geburtsort König Davids sein soll. Für die Christen in der ganzen Welt ist die Stadt von besonderer Bedeutung, weil auch Jesus Christus dort geboren wurde. Sowohl David als auch Jesus: geboren im „Brothaus“, denn das ist die Übersetzung von Bethlehem: Beth/Bajit: „das Haus“ und „lächäm“: „das Brot“. Geboren dort, wo es Brot gibt.

Aber: Die Juden haben genau beobachtet und ihre eigene Geschichte reflektiert. Immer war es so: Wer Brot möchte, der braucht Acker, um Getreide anzubauen. Der braucht Land. Und Land muss man kaufen – oder aber erobern. Und das war bei den Israeliten der Fall: Das gelobte Land, das Land, wo Milch und Honig fließen, das war hart umkämpft, das war zunächst besetzt und musste erobert werden. Und es war ein ständiger Kampf – bis heute –, das Land dann auch zu behalten. Deshalb heißt Betlehem auch Haus des Kampfes. לחם l-h-m bedeutet sowohl Brot als auch Kampf! Denn beides gehört zusammen. Der nackte Kampf ums Überleben und das Brot zum Überleben.

Das heißt, Jesus ist nicht nur im Brothaus, sondern vor allem auch im „Kampfhaus“ geboren. Mitten in ein Überlebenskampfgebiet hinein, wo es bis heute Grabenkämpfe gibt, wo man sich gegenseitig aufs Schärfste bekriegt, um selber genug zu haben und nicht zu kurz zu kommen.

Bei den Römern stand diese kleine Provinz rund um Bethlehem nicht hoch im Kurs. Sie wussten: Hier wohnt das Gesindel. Hier wohnen die hoffnungslosen Fälle. Hier tummelten sich die Asozialen. Es war das reinste Tollhaus – ein Begriff, der in einem 1811 erschienenen Wörterbuch so definiert wird: „ein Haus, in welchem tolle, das ist des Verstandes bis zum schädlichen Toben und Wüthen beraubte Personen, eingesperret und von der menschlichen Gesellschaft abgesondert werden.“

Mit starker Hand versuchten die Römer, das Tollhaus zu beherrschen. Aber sie stießen auf erbitterten Widerstand, auf ein „schädliches Toben und Wüthen“ – so wie es auch der jüdisch-griechische Geschichtsschreiber und Augenzeuge Josephus Flavius im „Bellum Judaicum“ beschreibt.

Es gab im damaligen Palästina wahrlich beschaulichere Orte als Bethlehem! Es gab hübsche Städte, direkt an bedeutenden Handelsstraßen. Und es gab natürlich Jerusalem, die Hauptstadt mit allem Prunk und Protz. Standesgemäß wäre es gewesen, wenn der Heiland dort zur Welt gekommen wäre. Aber nein: Er kommt dort zur Welt, wo es Menschen am nötigsten haben. Wo man sich sehnt nach einem Erlöser. Wo man sich sehnt nach einer verlässlichen Größe, die einem neuen Halt, neuen Sinn und Lebensqualität geben kann.

In Jerusalem hätte sich Jesus ins gemachte Nest legen können. In Bethlehem kommt er völlig nackt, blutbeschmiert mitten hinein in die menschliche Realität. Dort kann er am meisten verändern. Dort will er die Welt auf den Kopf stellen.

Angelius Silesius bringt Bethlehem mit unserer persönlichen Welt in Verbindung: „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht in dir … du gingest ewiglich verloren!“ Ja, in meinem persönlichen Tollhaus will Christus die Welt erobern.

Gott hat Humor und Fingerspitzenfeingefühl: Ausgerechnet im Brothaus stiftet er Heil. Weil er erkennt, was die Menschen oft aus den Augen verlieren: Brot heißt Kampf. Und umgekehrt: Ohne Mampf kein Kampf. Mehr als nach Brot sehnen sich die Menschen danach, Lebenshunger zu stillen. Seelenruhig zu werden. Zutiefst zufrieden. Christus ist das Brot des Lebens, das Lebensheißhunger stillt. Bei Christus, da ist mehr als alles, was bisher war!

Oder wie es in Johannes 6,58 heißt: „Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.“

שבר

s-b-rschawar

Die Kunst des Scheiterns

Wer scheitert, hat es schwer. Er ist zum Scheitern verurteilt. Früher kam man sogar auf den Scheiterhaufen.

Das deutsche Wort für „Scheitern“ hat seine etymologischen Wurzeln im Holzscheit, das für den Bau von Schiffen benutzt wurde. Wenn so ein Schiff gegen ein Hindernis manövrierte, zerbarst und sich in die Holzscheite, aus denen es gebaut war, auflöste und sank – dann „scheiterte“ es. Und gescheitert war es unbrauchbar. Totalschaden.