Das 19. Weihnachtsfest - James Patterson - E-Book
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Das 19. Weihnachtsfest E-Book

James Patterson

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Beschreibung

Das Böse ruht niemals – nicht einmal zur besinnlichen Weihnachtszeit ... Der 19. Fall für den »Women's Murder Club« von SPIEGEL-Bestsellerautor James Patterson!

Kurz vor Weihnachten freuen sich Sergeant Lindsay Boxer und ihre Freundinnen vom »Women's Murder Club« auf eine ruhige Zeit mit ihren Lieben – bis sie erfahren, dass ein mysteriöser Krimineller namens »Loman« einen Raub in Millionenhöhe für den Weihnachtstag angesetzt hat und gleich darauf beginnt, die verschlafene Stadt zu terrorisieren. Das Böse wartet schließlich nie auf den passenden Zeitpunkt. Als Loman mithilfe perfider Ablenkungsmanöver sämtliche Streitkräfte von San Francisco auf den Plan ruft, falsche Fährten legt und die Stadt im Chaos versinken lässt, können Boxer und der »Women's Murder Club« nicht mehr auf ein Weihnachtswunder hoffen. Sie müssen ihren ganzen Mut beweisen, um die Stadt vor einer Tragödie zu bewahren …

Verpassen Sie auch nicht die anderen Fälle des »Women's Murder Club«! Jeder hochspannende Band kann eigenständig gelesen werden.

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Seitenzahl: 339

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Buch

Kurz vor Weihnachten freuen sich Detective Lindsay Boxer und ihre Freundinnen vom »Women’s Murder Club« auf eine ruhige Zeit mit ihren Lieben – bis sie erfahren, dass ein mysteriöser Krimineller namens »Loman« einen Raub in Millionenhöhe für den Weihnachtstag angesetzt hat und gleich darauf beginnt, die verschlafene Stadt zu terrorisieren. Das Böse wartet schließlich nie auf den passenden Zeitpunkt. Als Loman mithilfe perfider Ablenkungsmanöver sämtliche Streitkräfte von San Francisco auf den Plan ruft, falsche Fährten legt und die Stadt im Chaos versinken lässt, können Boxer und der »Women’s Murder Club« nicht mehr auf ein Weihnachtswunder hoffen. Sie müssen ihren ganzen Mut beweisen, um die Stadt vor einer Tragödie zu bewahren …

Autor

James Patterson, geboren 1947, war Kreativdirektor bei einer großen amerikanischen Werbeagentur. Seine Thriller um den Kriminalpsychologen Alex Cross machten ihn zu einem der erfolgreichsten Bestsellerautoren der Welt. Auch die Romane seiner packenden Thrillerserie um Detective Lindsay Boxer und den »Women’s Murder Club« erreichen durchweg die Spitzenplätze der internationalen Bestsellerlisten. Regelmäßig tut er sich für seine Bücher mit anderen namhaften Autoren oder Stars zusammen wie mit Dolly Parton für den »New York Times«-Nr.-1-Bestseller »Run, Rose, Run«. James Patterson lebt mit seiner Familie in Palm Beach und Westchester County, N.Y.

Die »Women’s Murder Club«-Reihe bei Blanvalet:

Der 1. Mord · Die 2. Chance · Der 3. Grad · Die 4. Frau · Die 5. Plage · Die 6. Geisel · Die 7 Sünden · Das 8. Geständnis · Das 9. Urteil · Das 10. Gebot · Die 11. Stunde · Die Tote Nr.12 · Die 13. Schuld · Das 14. Verbrechen · Die 15. Täuschung · Der 16. Betrug · Die 17. Informantin · Die 18. Entführung · Das 19. Weihnachtsfest

James Patterson

mit Maxine Paetro

Das 19. Weihnachtsfest

Thriller

Deutsch von Leo Strohm

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »The 19th Christmas« bei Little, Brown and Company, Hachette Book Group, New York.

Die Figuren und Ereignisse in diesem Buch sind fiktional.

Ähnlichkeiten zu realen Personen, lebend oder verstorben,

wären rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © 2019 by James Patterson

This edition arranged with Kaplan/DeFiore Rights through Paul & Peter Fritz AG.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München.

Redaktion: Gerhard Seidl, text in form

Umschlaggestaltung und -motiv: © www.buerosued.de

SH · Herstellung: sam

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-27666-9V001

www.blanvalet.de

Vorbemerkung der Autoren

Für uns als Autor und Autorin liegt der Reiz einer vielbändigen Reihe unter anderem darin, dass die Protagonisten ein Eigenleben entwickeln. Wie wir alle, so hat auch der Club der Ermittlerinnen (und seine Fans) eine Gegenwart … und eine Vergangenheit. Im letzten Band, »Die 18. Entführung«, sind nur die ersten und die letzten Szenen des Buches in der Gegenwart angesiedelt. Der Großteil der Geschichte spielt sich jedoch fünf Jahre früher ab, zu einer Zeit, als Julie Molinari noch gar nicht geboren war. Auf diese Tatsache haben wir im Anschluss an den Prolog auch hingewiesen, aber offensichtlich haben wir das nicht deutlich genug getan. Etliche Leserinnen und Leser haben sich jedenfalls nach Julies Verbleib erkundigt. Vielen Dank, dass Sie die Kleine so sehr ins Herz geschlossen haben.

Und nun wünschen wir Ihnen viel Spaß mit Julie und all den anderen.

Prolog

20. Dezember

In vier Tagen war Weihnachten. Die Stadtverwaltung von San Francisco hatte dafür gesorgt, dass alle öffentlichen Gebäude im funkelnden Lichterglanz einer üppigen, fröhlichen Weihnachtsbeleuchtung erstrahlten.

Mein Mann Joe, unsere dreieinhalb Jahre alte Tochter Julie, unsere ältliche Border-Collie-Hündin Martha und ich hatten uns in unsere Familienkutsche gesetzt, um uns das Spektakel anzuschauen.

Julie trug einen roten Gymnastikanzug, dazu ein Ballettröckchen und eine blinkende Tiara. Das Rentier-Geweih, das sie eigentlich für Martha vorgesehen hatte, war von unserer Hundedame entschieden zurückgewiesen worden. Um des lieben Friedens willen hatte Joe sich bereit erklärt, es auf seinen Kopf zu setzen, und Julie hatte zugestimmt. Ich trug den Pullover, den meine kleine Modeberaterin aus einem Katalog ausgesucht hatte. Darauf schwebte der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten über einen kitschig grinsenden Mond hinweg. Es war so geschmacklos, dass es schon wieder witzig war.

Joe sagte: »Lindsay, gib mir mal ein C.«

Ich traf den Ton exakt.

Und so sangen wir drei, während wir die Jackson Street entlangfuhren, »Jingle Bells«. Irgendwann fiel Martha ebenfalls mit ein, allerdings mit einer völlig anderen Melodie.

Der gute Joe wusste genau, wohin er unseren Schlitten zu lenken hatte, und dann hielten wir in Cow Hollow an, stiegen aus und gingen die Union Street entlang, um die Fantasy of Lights zu bestaunen. Die vielen viktorianischen Wohnhäuser und Geschäfte waren übersät von rot, grün und weiß blinkenden Lämpchen. Joe nahm Julie auf die Schultern, und ich musste laut lachen, als sie sein Geweih in der Mitte auseinanderbog, um die Schaufenster besser sehen zu können.

Beim Anblick der Schneemänner, die den Eingang ins »Santa-Land« bewachten, klatschte sie vor Vergnügen in die Hände, und meine ohnehin gute Stimmung wurde noch besser. Zu sehen, wie Julie ihre ersten Weihnachtserinnerungen sammelte, das war einer der vielen wunderbaren Aspekte des Mutterseins.

»Und jetzt?«, wandte Joe sich an Julie. »Die Lichterparade der Fischerboote ist zwar schon ein paar Tage her, aber die Boote sind bestimmt immer noch wunderschön geschmückt und erleuchtet.«

»Schokoladenfabrik!«, krähte sie von ihrem Daddy-Hochsitz herab.

Und so gingen wir zum Ghirardelli Square, gar nicht weit vom Fisherman’s Wharf entfernt, und bestaunten den fast zwanzig Meter hohen, mit riesigen Schokoriegeln geschmückten Baum. Für Julie war das der schönste Weihnachtsbaum auf der ganzen, weiten Welt.

Yuki Castellano stand in der Küche, in der von Weihnachtsdekoration weit und breit nichts zu sehen war. Sie rührte in der Guacamole und schob ein Blech mit Brownies in den Backofen, während Jackson Brady, ihr Ehemann, einen Krug Margarita mixte.

»Ich liiieebe es, wenn du kicherig wirst«, neckte er sie mit seinem Südstaatenakzent.

Yuki fing sofort an zu kichern. Ihre japanische Mutter und ihr italienischstämmiger Daddy, Soldat der US-Armee, hatten ihr ein lebhaftes, fröhliches Gemüt, null Alkoholtoleranz und eine große Schwäche für Tequila vererbt.

»Du willst mich doch bloß rumkriegen«, beschied sie ihrem Mann.

»Ganz genau. Heute ist mein erster freier Abend seit was weiß ich wann, und ich finde, wir sollten die Gelegenheit nutzen und das Schlafzimmer in seine Einzelteile zerlegen.«

Yuki ging es genauso. Sie hatte als Vertreterin der Bezirksstaatsanwaltschaft gerade einen besonders ekelhaften Fall abgeschlossen, und Brady hatte als Lieutenant der Mordkommission und amtierender Polizeichef jede Menge Überstunden angehäuft. Sie hatten kaum Zeit gehabt zu schlafen, von anderen Dingen gar nicht zu reden … und jetzt war es kurz vor Weihnachten.

Sie sagte: »Kein Telefon, okay? Kein einziger Anruf. Und das gilt für uns beide, ja?«

»Du brauchst nur ein Wort zu sagen, dann lasse ich die Spüle volllaufen und ersäufe die verdammten Dinger.«

»Okay, ein Wort«, erwiderte sie, lachte erneut und riss eine Chipstüte auf.

»Kannst du die in eine Schüssel schütten? Ich hole die Cocktails.«

Mit ihren Drinks sowie den Chips plus Dip steuerten sie das Schlafzimmer an. Sie hatten sich für einen Action-Klassiker entschieden, der etlichen ihrer Mitmenschen als die großartigste Weihnachtsgeschichte aller Zeiten galt. Yuki hatte Stirb langsam noch nie gesehen, und jetzt fragte sie sich, ob es überhaupt jemals so weit kommen würde. Die Chancen, dass sie und Brady sich bereits vor dem Ende des Vorspanns sämtlicher Kleider entledigt hatten, standen nicht schlecht.

»Warte auf mich«, sagte sie. »Bin gleich wieder da.«

Sie ging noch einmal in die Küche und schaltete den Backofen aus. Die Brownies konnten warten.

Cindy Thomas und ihr Lebenspartner Rich Conklin standen auf dem baumgesäumten Pfad, der quer über die City Center Plaza führte. Hier war das Wintervergnügen mit seinen verschiedenen Attraktionen in vollem Gang.

Geradeaus, genau auf dem Weg, lag das mit breiten, rot-grünen Lichterketten geschmückte Rathaus. Der leuchtende Christbaum vor dem beeindruckenden alten Granitgebäude zeigte nach oben zur Spitze der fantastischen Kuppel.

Rich drückte Cindy die Hand, und sie sah in sein geliebtes Gesicht.

»Kannst du mir verzeihen?«, fragte sie ihn.

»Du meinst, dass wir nicht zu meinen Eltern fahren können?«

»Ich wünschte, wir könnten, Rich. Bei deinem Pa komme ich mir jedes Mal vor wie ein Filmstar. Aber ich habe eben morgen dieses Interview.«

»Und du musst einen Termin halten«, ergänzte er. »Glaubst du wirklich, ich hätte immer noch nicht mitgekriegt, wie der Hase läuft?«

»Du. Bist. Der Beste!«

»Weiß ich doch.« Er grinste sie an, und sie stellte sich auf Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss. Er zog sie an sich und machte eine kitschige Nummer daraus, ließ sie mitten auf dieser spektakulären Allee ein Stückchen tiefer sinken, nur um sie zappeln zu lassen, sodass sie laut lachen musste. Andere Spaziergänger wichen ihnen aus und fotografierten.

Cindy sagte: »Warte mal!«

Dann lief sie zu dem Paar, das gerade eben das Rathaus fotografiert hatte.

»Bitte entschuldigen Sie«, sprach sie die beiden verdutzten Fremden an. »Haben Sie auf einem Ihrer Fotos zufälligerweise vielleicht mich und meinen Liebsten erwischt?«

Die Frau meinte: »Mal sehen.« Sie wischte durch die Fotos und kreischte dann: »Oh ja. Da sind Sie.«

Sie hielt Cindy das Display vor die Nase, und diese strahlte. »Können Sie mir das bitte zuschicken?«

»Mit Vergnügen«, erwiderte die Frau. Cindy gab ihr ihre E-Mail-Adresse, und die Frau fügte hinzu: »Bitte sehr. Und frohe Weihnachten.«

Ohne darüber nachzudenken, schlang Cindy ihr die Arme um den Hals, und die andere erwiderte die Umarmung.

»Ihnen beiden auch frohe Weihnachten«, sagte sie noch, bevor sie zu ihrem Liebsten zurücklief.

»Rich, schau mal.« Sie zeigte ihm das Foto.

»Ein spontaner Weihnachtsgruß. Wunderschön. Das schicke ich meinen Eltern. Und jetzt gehen wir nach Hause, Cindy. Nach Hause.«

Claire Washburn hatte ihren Handgepäckkoffer über die eine und die Laptoptasche über die andere Schulter gehängt und stapfte vorwärts in Richtung Gate. Sie und ihr Ehemann Edmund befanden sich auf dem Internationalen Flughafen von San Francisco, wo über drei Millionen Glühbirnen festliche Stimmung verbreiteten … von der Claire nicht das Geringste mitbekam. Sie drehte sich nach ihrem Mann um und sah ihn in weiter Ferne stehen und die Lichter bewundern.

Sie rief: »Edmund, gib mir einen Koffer.«

»Ich hab alles im Griff, Claire. Du darfst bloß nicht so rennen, sonst komme ich nicht mit.«

»Tut mir leid.« Sie ging zurück in seine Richtung. »Warum ist eigentlich nie ein Gepäckwagen frei, wenn man einen braucht?«

Er zog eine Grimasse. »Willst du darauf wirklich eine Antwort haben?«

Auf dem Flughafen herrschte immer jede Menge Betrieb, aber heute war noch mehr los als sonst. Unmengen von Leuten wollten die Weihnachtstage bei ihren weit entfernten Verwandten verbringen.

Aber für Claire war das eine Geschäftsreise. Die National University in San Diego hatte sie als Leiterin des Gerichtsmedizinischen Instituts von San Francisco gebeten, ein Kompaktseminar für den Masterstudiengang in Kriminalmedizin abzuhalten.

Sie hatte freudig zugesagt.

Der Kompaktkurs sollte während der Weihnachtsferien stattfinden und hatte das ideale zeitliche Format, um einen Fall zu behandeln, mit dem Claire vor etlichen Jahren zu tun gehabt hatte. Damals war der Leichnam eines Jungen in einem Koffer entdeckt worden, der an einem Betonblock mitten in einem nur wenige Kilometer von seinem Zuhause entfernten See angekettet worden war. Claires Arbeit hatte damals entscheidend zur Aufklärung des Falles beigetragen.

Die Stadtverwaltung von San Diego ließ Claire dafür nicht nur einen ansehnlichen Scheck zukommen, sondern spendierte ihr und Edmund auch ein Zimmer im Fairmont Grand Del Mar, einem Ressort-Hotel mit Fitnessraum und einem wunderbaren Swimmingpool. Das Ganze versprach, eine großartige Unterbrechung des spürbar raueren nordkalifornischen Winters zu werden.

Edmund hatte zunächst wenig Lust gehabt, Claire zu begleiten. Er hätte lieber mit einigen seiner Kollegen aus dem San Francisco Symphony Orchestra weiter an der CD gearbeitet, die sie in Planung hatten. Aber Claire kannte den wahren Grund für sein Zögern: Edmund wurde von Jahr zu Jahr immer zurückgezogener und wäre am liebsten einfach zu Hause geblieben.

Sie hatte zu ihm gesagt: »Edmund, wir haben die große Chance, zusammen zu sein, und zwar mit einem beheizten Pool und Zimmerservice. Deine Mutter wünscht sich nichts sehnlicher, als ihr jüngstes Enkelkind über Weihnachten bei sich zu haben, und Rosie hat genau denselben Wunsch. Oder siehst du das anders?«

Wenn er ehrlich war, nein.

Edmund wusste, wie sehr Claire es genoss, vor Studentinnen und Studenten zu sprechen, sie zu ermutigen und ihre Erfahrungen im Fall des ermordeten Thad Caine weiterzugeben. Das alles würde ihr einen dringend benötigten positiven Schub geben, und wenn sie ihn gerne mit dabeihaben wollte, dann konnte er sich nicht verweigern.

Da entdeckte er neben einem Zeitungsstand einen einsamen Gepäckwagen.

Er rief Claire zu: »Ich hab einen Wagen. Wir kriegen unseren Flug, garantiert.«

Erster Teil

21. Dezember

1

Julian Lambert hatte schon eine Gefängnisstrafe auf dem Buckel. Er war Mitte dreißig, besaß ein freundliches Gesicht und allmählich lichter werdende helle Haare. Dazu trug er eine schwarze Jeans und eine Daunenjacke, die so rot war wie der Anzug des Weihnachtsmanns.

Er saß auf einer Bank am Union Square und genoss, während er auf einen Anruf wartete, den Anblick des Christbaums in der Mitte der Plaza. Der Baum war wirklich sehr beeindruckend – ein fünfundzwanzig Meter hoher Kegel voller grüner Lichter und mit einem Stern auf der Spitze. Im Kreis um den Baum standen zahlreiche Blumentöpfe mit spitzigen roten Blumen, und dazu umringte ein rot gestrichener Lattenzaun das Ensemble.

Dieser Baum war gesichert. Der würde nirgendwo hingehen, ganz im Gegensatz zu ihm, und zwar demnächst.

Es war Mittagszeit, und überall um ihn herum stürmten hastige Konsumenten, beladen mit Einkaufstaschen, aus den Geschäften, als sichtbarem Beweis für das viele Geld, das sie bei ihrem Kaufrausch zum Fenster rausgeworfen hatten. Julian fragte sich, wie all die Dummköpfe diese Geschenkorgie bezahlen wollten. Kreditkarten zücken und erst im nächsten Monat nachdenken? Oder war es ihnen egal, wie viele Schulden sie anhäuften? Julians Handy vibrierte, und er wäre vor Schreck fast zusammengezuckt.

Er fischte das Ding aus seiner Tasche, meldete sich mit Namen, und Mr.Loman, der Boss, sagte: »Hallo, Julian. Sind wir ungestört?«

»Absolut, Mr.Loman.« Julian wusste, dass er nur zuhören sollte, und das passte ihm genau in den Kram. Er war aufgeregt und fühlte sich gleichzeitig getröstet, als Loman ihm gerade so viel von dem Plan verriet, dass Julian angesichts der Möglichkeiten das Wasser im Mund zusammenlief.

Ein Raubzug.

Ein großer.

»Der Plan hat eine Menge beweglicher Teile«, sagte Loman, »aber wenn alles funktioniert wie gedacht, dann, Julian, kannst du nächstes Jahr um diese Zeit exakt das Leben führen, von dem du bisher nur geträumt hast.« Julian träumte von der Karibik oder Ipanema oder St. Tropez. Er malte sich ein Leben unter blauem Himmel bei strahlendem Sonnenschein aus, begleitet von langbeinigen jungen Dingern in String-Bikinis. Loman erkundigte sich, ob er noch irgendwelche Fragen hatte.

»Ich bin startklar, Boss.«

»Dann nichts wie los. Und keine Ausrutscher.«

»Sie können auf mich zählen«, sagte Julian und war froh, als Loman zurückblaffte: »Twenty-two fake dive, slot right long, on one.«

Julian lachte laut los. Er hatte am College auch Football gespielt. Das war zwar sehr lange her, aber ein paar Tricks hatte er immer noch drauf. Er beendete den Anruf, nahm die Autos und die Fußgänger genau in den Blick und entschied sich für einen ganz bestimmten Laufweg.

Anpfiff.

2

Julian würde sich den Ball schnappen und in Richtung Endzone losstürmen.

Er rammte einen älteren Mann mit einem Lammfellmantel, sodass der lang gestreckt auf dem Boden landete. Dann griff er sich die Einkaufstüte des Alten und sagte: »Schönen Dank auch, du Vollpfosten.«

Jetzt hatte er den Ball, und das allein zählte.

Er klemmte sich die Tüte unter den Arm und überquerte die Geary Street, schlängelte sich geschmeidig durch die Menge der Fußgänger und steuerte die Stockton Street an. Nachdem er auch sie überquert hatte, rannte er an der langen Schaufensterfront von Neiman Marcus entlang. Unter der gläsernen Kuppel im Eingangsbereich ragte ein weiterer mit Lichtern und Schmuck überladener, knapp fünfzehn Meter hoher Christbaum empor. Die Drehtür teilte den Strom der Einkäufer in zwei lange, bunte Reihen, die eine auf dem Weg nach drinnen, die andere auf dem Weg nach draußen. Dazu ertönte Weihnachtsmusik: »I played my drum for him, pa-rum-pum-pum-pum.« Es war völlig verrückt.

Julian rannte immer noch.

Dazu brüllte er: »Achtung, Bahn frei! Heiß und fettig!« Er schlängelte sich um die aufgeregten Kaufhauskunden herum, streifte den Paketboten, der gerade seinen Lieferwagen belud, und stürmte mit pumpenden Armen und Beinen, die Tasche sicher unter den Arm geklemmt, die Geary Street entlang. Vor der nächsten Kreuzung orientierte er sich nach links.

Auch aus dem Valentino drängte jetzt eine dichte Gruppe von Einkäufern mit vollgepackten Tüten nach draußen. Julian stieß seinen linken Arm nach vorne und schubste einen jungen Typen beiseite, der daraufhin mit einer Frau im Kunstpelzmantel zusammenstieß. Taschen und Päckchen landeten auf dem Bürgersteig. Julian hüpfte über die Hindernisse hinweg, ganz locker, gab wieder Gas und bog nach links auf die Grant Avenue ab.

Als er sah, wie die entgegenkommenden Fußgänger bereitwillig auswichen, ließ er ein belustigtes Glucksen hören und zeigte einem drahtigen Typen, der ihm irgendwas entgegenbrüllte, den Mittelfinger. Er rannte weiter, rempelte ein paar Lahmärsche beiseite und rief: »Frö-hö-liche Weihnacht überall.« Großer Gott, das machte Spaß. Er konnte die Torstangen zwar nicht sehen, aber er wusste, dass er gleich einen triumphalen Touchdown erzielen würde.

Mit langen Schritten fraß Julian Meter um Meter. Das Blut pochte ihm in den Ohren, aber trotzdem lauschte er aufmerksam nach Sirenen. Er hatte den Ball zwar immer noch fest im Griff, aber die Uhr tickte. Bei einem Blick über die Schulter sah er zwei Leute, die wie Bullen aussahen und ihn verfolgten. Endlich.

Er war außer Atem, aber das war kein Grund, stehen zu bleiben. Zeigt mal, was ihr draufhabt, ihr Luschen. Er gab noch einmal Gas und näherte sich dem Drachentor am Eingang von Chinatown. Erst als eine gebieterische Frauenstimme »Stehen bleiben oder ich schieße!« brüllte, verlangsamte er seine Schritte.

Er dachte: Zwischen all diesen Leuten? Wohl kaum. Und rannte weiter.

3

Meinem Partner, Inspektor Richard Conklin, lief die Zeit davon, und er brauchte meine Hilfe.

Voller Verzweiflung sagte er: »Warum sagt sie dir nicht einfach, was sie sich wünscht?«

»Das würde ja den ganzen Spaß verderben«, erwiderte ich und grinste. »Das Entscheidende ist doch, dass du das selber rauskriegst.«

»Wahrscheinlich. Selbst ist der Mann.«

»Genau. Darum geht’s. Romantik, Rich.«

Wir wollten unsere Mittagspause nutzen, um ein paar Weihnachtseinkäufe zu erledigen, und waren vom Präsidium in der Hall of Justice zum Union Square mit seinen vielen exklusiven Geschäften gegangen. Richie wollte für Cindy etwas Besonderes besorgen. Er wollte, dass sein Geschenk sie sprachlos machte, aber als er sie nach ihrem Wunsch gefragt hatte, hatte sie lediglich irgendwelche praktischen Vorschläge gemacht. Ein Multiport-Ladegerät. Neue Laufschuhe. Eine Gel-Schaum-Auflage für ihren Autositz. Er musste grinsen, als er an sie dachte.

Im Prinzip hatte Rich von dem Moment an, als er Cindy das erste Mal begegnet war, Hochzeitspläne geschmiedet. Und sie liebte ihn heiß und innig. Aber … Für alles gibt es ein Aber, nicht wahr?

Rich stammte aus einer großen Familie. Er war zwar erst Mitte dreißig, aber er hatte sich schon immer Kinder gewünscht. Viele Kinder. Cindy hingegen war Einzelkind mit einer steilen Karriere in einem Beruf, der sie immer wieder mitten in der Nacht an Mordschauplätze in gefährlichen Gegenden führte. Rich war nicht der Einzige in dieser Beziehung, der gegen das Verbrechen kämpfte. Auch Cindy hatte schon mehr als einen Mord aufgeklärt, war sogar zum Ziel von Pistolenkugeln geworden und hatte selbst auf eine gerissene Serienkillerin geschossen. Anschließend hatte sie ein Buch über den Fall dieser Frau veröffentlicht, das zum Bestseller geworden war.

Was ich damit sagen will: Cindy hatte es nicht eilig, eine Familie zu gründen.

Das war ein Interessenkonflikt, der in der Vergangenheit schon einmal zu einer Trennung der beiden geführt hatte. Umso mehr freute ich mich, dass sie doch wieder zusammengefunden hatten. Aber soweit ich wusste, war der Konflikt nach wie vor nicht geklärt.

Rich zeigte auf eine Schaufensterpuppe in der Auslage eines exklusiven Juweliers. Sie trug eine Halskette mit einem Smaragdanhänger. »Gefällt dir das?«

Kaum hatte ich gesagt: »Wunderschön, Rich. Und sehr weihnachtlich«, hörte ich hinter uns einen Schrei.

Ich wirbelte herum und sah, wie ein Mann in einer roten Daunenjacke im Vollsprint diverse Passanten beiseiterammte. Er kam näher und stürmte an uns vorbei, wobei er brüllte: »Achtung, Bahn frei! Heiß und fettig!« Dann stieß er mit einer Gruppe zusammen, die gerade aus dem Neiman kam. Sie wichen in unterschiedliche Richtungen aus, und der Mann rannte einfach weiter.

Ein älterer Herr im Lammfellmantel verfolgte ihn. Er humpelte und blutete aus der Nase. Dabei rief er: »Haltet den Dieb! So haltet ihn doch!«

Rich und ich sind Polizeibeamte bei der Mordkommission, und hier ging es, so wie es aussah, nicht um einen Mord. Aber wir waren in der Nähe. Also nahmen wir die Verfolgung des Mannes in der roten Daunenjacke auf, der mit der Entschlossenheit und der Wucht eines professionellen Footballspielers den Bürgersteig entlangraste.

Ich brüllte: »Stehen bleiben oder ich schieße!« Aber der Kerl lief weiter.

4

Eine richtige Verfolgungsjagd traute ich mir nicht zu. Ich hatte gerade erst eine ärztlich verordnete zweimonatige Auszeit hinter mir, weil ich an einer speziellen Form der Blutarmut, einer perniziösen Anämie, erkrankt war. Darum verlangsamte ich meine Schritte und rief meinem Partner zu: »Mach du das! Ich rufe Verstärkung.«

Ich zog mein Handy aus der Tasche und fasste die Situation für die Leitstelle in wenigen Worten zusammen: Nach einem Raubüberfall war der Täter flüchtig. Conklin verfolgte ihn zu Fuß, und zwar auf der Geary Street in östliche Richtung, zwischen Stockton Street und Grant Avenue.

»Der Verdächtige trägt eine rote Jacke und eine schwarze Hose. Wir brauchen Verstärkung und einen Notarztwagen.« Zum Schluss gab ich noch meinen genauen Standort durch.

Der ältere Herr mit der blutigen Nase hatte sich keuchend an eine Hauswand gelehnt.

Er sagte: »Sind Sie von der Polizei?«

»Ja. Ich bin Sergeant Boxer. Können Sie mir sagen, was genau passiert ist?«

Er erwiderte: »Ich habe überhaupt nichts gemacht, da kommt dieser Kerl mit der dicken roten Jacke plötzlich auf mich zu, rennt mich über den Haufen und nimmt mir meine Einkaufstüte weg. Wie kann das sein? Gegenüber einem älteren Mitbürger?«

»Wie heißen Sie, Sir?«

»Maury King.«

»Mr.King, der Notarzt muss jede Minute hier sein.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Alles in Ordnung.«

»Wir lassen ihn nicht entwischen. Mein Partner hat die Verfolgung aufgenommen. Bleiben Sie bitte hier stehen. Ich sorge dafür, dass Sie Ihre Einkäufe zurückbekommen.«

Der Mann in der roten Jacke hatte einen breiten Korridor für Rich geöffnet. Kreischende Passanten drückten sich gegen parkende Autos und Hauswände. Ich trabte Rich hinterher.

Dabei sah ich, dass er mit dem Taschendieb zwar Schritt halten konnte, ihm aber nicht wirklich näher kam. Ich folgte den beiden die breite, schattige Grant Avenue entlang und blieb ihnen immerhin so dicht auf den Fersen, dass ich sehen konnte, wie jemand aus einem Hauseingang kam und dem Flüchtigen direkt in den Weg trat.

Der Räuber geriet ins Stolpern und wäre um ein Haar gestürzt. Im letzten Moment konnte er sich mit einer Hand auf dem Bürgersteig abstützen und blieb auf den Beinen. Den Schwung jedoch, den hatte er verloren.

Ich brüllte ein zweites Mal: »Stehen bleiben oder ich schieße!«

In diesem Augenblick mobilisierte Rich alle Kräfte, machte sich lang … und sprang den Flüchtigen an. Sie landeten gemeinsam auf dem Boden.

Atemlos und mit brummendem Schädel gelangte ich zu den beiden und hielt den Räuber mit meiner Waffe in Schach, während Rich ihn auf die Füße zog und ihn anbrüllte: »Hände in den Nacken!« Er spreizte ihm mit den Füßen die Beine und tastete ihn ab.

»Er ist unbewaffnet«, sagte er dann.

»Gut.«

Ich nahm meine Handschellen vom Gürtel und fesselte dem Verdächtigen mit zitternden Fingern die Hände auf den Rücken. Ein Streifenwagen hielt am Straßenrand.

Ich fragte den Verdächtigen nach seinem Namen.

»Julian Lambert. Immer noch flink auf den Beinen, nach so vielen Jahren.« Er hörte sich sehr zufrieden an, und das machte mich misstrauisch.

Ich nahm Lambert wegen Körperverletzung, Diebstahl, ungebührlichen Benehmens und Widerstands gegen die Staatsgewalt fest. Conklin las ihm seine Rechte vor und verfrachtete ihn auf den Rücksitz des Streifenwagens. Nachdem er dem abfahrenden Fahrzeug noch einen Klaps auf den Kotflügel verpasst hatte, sagte ich zu ihm: »Hast du gemerkt, wie glücklich der Typ war, dass wir aufgetaucht sind?«

5

An diesem Tag stand Yuki im Gerichtssaal.

Auf der anderen Seite des Mittelgangs befand sich die Strafverteidigerin Allison Junker, zusammen mit ihrer Mandantin Sandra McDowell. Mrs.McDowell war dreiundfünfzig Jahre alt. Sie war mit ihrem Auto die Fillmore Street entlanggefahren und bei einem illegalen Abbiegemanöver in eine Gruppe Jugendlicher gerast, die gerade aus einer Sports-Bar gekommen waren.

Zum Glück war dabei niemand ums Leben gekommen, aber drei der jungen Männer waren mit diversen Kopf- und anderen Verletzungen im Krankenhaus gelandet. Einer von ihnen lag immer noch im Koma, obwohl der Vorfall schon mehrere Wochen her war. McDowell hatte gestanden, dass sie vor Fahrtantritt Alkohol getrunken und trotz Verbots links abgebogen war. Sie hatte auf schuldig plädiert und war auf Verfügung des Gerichts in Untersuchungshaft gelandet, ohne die Möglichkeit einer Freilassung auf Kaution. Yuki ging davon aus, dass die für heute angesetzte Urteilsverkündung zügig, problemlos und mit einer harschen Strafe über die Bühne gehen würde.

Richterin Judie Schlager hatte einen gut gefüllten Saal vor sich. Ihr Feierabend lag noch in weiter Ferne, aber seit heute Morgen um 9.00 Uhr hatte sie schon eine große Zahl von Urteilen verkündet. Trotzdem machte sie einen gelassenen, ja geradezu munteren Eindruck. An ihrem Kragen funkelte eine kleine Anstecknadel mit der Aufschrift »Oma ist die Beste«.

Jetzt sagte sie: »Ms.Castellano, bitte.«

Yuki hob den Blick und sah Richterin Schlager an. »Euer Ehren, Mrs.McDowell hat gestanden, betrunken gewesen zu sein, als sie verbotenerweise links abgebogen ist und dabei eine Gruppe von Fußgängern erfasst hat, die bei Grün die Straße überqueren wollten. Dabei hat sie vier junge College-Studenten verletzt. Einer von ihnen, ein hochbegabter Footballspieler, liegt immer noch im Koma. Mrs.McDowell wurde durch den ersten Beamten vor Ort einem Alkoholtest unterzogen. Dabei wurden 1,5 Promille Blutalkohol festgestellt. Nach Aussage des Beamten war ihre Fahrtüchtigkeit dadurch sehr stark beeinträchtigt.«

Die Richterin blätterte in der vor ihr liegenden Mappe. »Sie hat von sich aus die Polizei gerufen?«

»Jawohl, Euer Ehren«, antwortete die Rechtsanwältin der Angeklagten, Ms.Junker.

»Und sie hat auf schuldig plädiert?«

»Jawohl, Euer Ehren.«

Yuki schaltete sich ein. »Euer Ehren, das war nicht das erste Mal, dass Mrs.McDowell unter Alkoholeinfluss am Steuer erwischt wurde. Wir beantragen eine Haftstrafe zwischen drei und fünf Jahren. Angesichts des Leides und der Schmerzen ihrer Opfer halten wir das für ein angemessenes Strafmaß. Im Moment ist noch nicht einmal absehbar, ob alle Geschädigten wieder vollständig gesund werden.«

Die Angeklagte schluchzte vernehmlich in die Hände.

Richterin Judie Schlager sprach sie direkt an. »Mrs.McDowell, wie ich hier lese, sind Sie von Beruf Apothekerin, verheiratet und haben zwei Kinder auf dem College. Bei Ihrer ersten Alkoholfahrt ist sonst niemand zu Schaden gekommen?«

»Nein, Euer Ehren. Ich bin gegen einen Baum gefahren. Der ist mit einem Mal da aufgetaucht.«

Die Richterin meinte: »Wirklich empörend, diese freilaufenden Bäume, nicht wahr?«

»Euer Ehren«, schaltete sich Ms.Junker ein. »Mrs.McDowell ist eine unbescholtene Bürgerin. Ihre Familie ist voll und ganz von ihrem Einkommen abhängig. Ihr Mann leidet an Multipler Sklerose und ist an den Rollstuhl gefesselt. Sie hat von Anfang an die volle Verantwortung für diesen Unfall übernommen, und es tut ihr unsagbar leid. Sie möchte sich sofort nach ihrer Freilassung den Anonymen Alkoholikern anschließen. Wir bitten das Gericht daher um Nachsicht.«

Richterin Schlager runzelte die Stirn und warf einen Blick in den hinteren Teil des Gerichtssaals, wo große Unruhe entstanden war. Sie klopfte mit dem Hammer auf ihr Pult und verlangte Ruhe, während Sandra McDowell immer noch weinte.

Yuki wäre mit drei Jahren Haft völlig einverstanden gewesen. So lange konnte McDowell sich dann nicht mehr ans Steuer eines Autos setzen, und die jungen Männer würden sich in der Zwischenzeit hoffentlich von ihren Verletzungen erholen, Physiotherapie bekommen und das Leben wieder aufnehmen, das sie sich vorgestellt hatten, bevor Mrs.McDowell sie mit ihrem Buick überrollt hatte.

Richterin Schlager sagte: »Mrs.McDowell, haben Sie noch etwas zu sagen, bevor ich das Urteil verkünde?«

Mrs.McDowell tupfte sich mit einem Papiertaschentuch das Gesicht ab und schnäuzte sich. Als sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte, sagte sie: »Euer Ehren, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie furchtbar leid mir das alles tut. Ich bin nur froh, dass ich niemanden umgebracht habe, aber das, was ich getan habe, ist nicht zu entschuldigen. Ich akzeptiere jede Strafe, die Sie für angemessen halten.«

Die Richterin erwiderte: »Mrs.McDowell, ich ziehe hiermit Ihren Führerschein ein und verurteile Sie zu einem Jahr Haft auf Bewährung, außerdem zu acht Monaten Sozialarbeit, und zwar zwanzig Stunden pro Woche. Setzen Sie sich nicht ans Steuer eines Fahrzeugs. Falls Ihr Bewährungshelfer mir in einem Jahr berichtet, dass Sie sich den Anonymen Alkoholikern angeschlossen, Ihren Sozialdienst geleistet haben und nicht Auto gefahren sind, dann hören Sie nichts weiter von mir. – Sie können das Gericht hiermit verlassen. Ihre Untersuchungshaft wird Ihnen angerechnet. Aber das nächste Mal können Sie keine Milde erwarten, haben Sie mich verstanden?«

»Jawohl, Euer Ehren. Vielen, vielen Dank.«

»Bedanken Sie sich bei meiner Weihnachtsstimmung. Das war’s. Der Nächste.«

Allison Junker grinste Yuki über die Schulter ihrer Mandantin hinweg an, und Yuki erwiderte dieses Grinsen mit einem ziemlich mörderischen Blick, bevor sie das Gericht verließ. Sie hatte das Gefühl, als hätte der Weihnachtsmann ihr mitten ins Gesicht geboxt.

6

Conklin und ich saßen an unseren direkt gegenüberstehenden Schreibtischen und starrten einander an. Die Verärgerung war ihm genauso deutlich ins Gesicht geschrieben wie mir.

Das Raubdezernat war komplett überlastet. In der erkennungsdienstlichen Behandlung stapelten sich die Kandidaten. Conklin und mir war dieser Fall buchstäblich in die Hände gefallen, und jetzt hatten wir keine andere Wahl. Julian Lambert saß in Handschellen auf dem Stuhl neben unseren Schreibtischen und drehte sich gedankenverloren im Kreis, während wir eine Anzeige wegen Diebstahls, tätlichen Angriffs, Körperverletzung und außerdem Widerstands gegen die Staatsgewalt aufsetzten.

Lambert gab uns seinen Führerschein und beantwortete unsere Fragen, nannte uns seinen vollen Namen und seine Adresse und sagte, dass er im Kaufhaus Macy’s im Lager arbeitete. Als ich gerade unsere Datenbank befragen wollte, ob der Kerl, den Conklin und ich den Rempler von der Grant Avenue getauft hatten, in unserem Vorstrafenregister geführt wurde, meldete er sich zu Wort.

»Ich hab übrigens Bewährung.«

»Wieso denn das?«, wollte ich wissen.

»Ladendiebstahl, bei Best Buy. Ich hab vier Monate abgesessen, dann haben sie mich wegen guter Führung entlassen. Dieses Jahr muss ich noch durchhalten, und mein Bewährungshelfer ist ein ganz harter Hund. Also … wenn Sie mich in Ruhe lassen, kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein.«

»Und wie genau soll das aussehen?«, erkundigte ich mich.

»Ich könnte Ihnen da ein paar Informationen anbieten. Vorausgesetzt, Sie lassen mich laufen.«

Ich hatte zwar erhebliche Zweifel an dieser Behauptung, aber von mir aus. Sollte er es doch probieren. Ich gab seinen Namen in die Datenbank ein und entdeckte die Haftstrafe von vor drei Jahren sowie seine Entlassung und die Bewährungsfrist.

Conklin hatte ihm seine Rechte vorgelesen. Er wusste also, dass er jederzeit einen Rechtsanwalt kommen lassen konnte, aber anscheinend legte er keinen Wert darauf. Wir konnten uns also in aller Ruhe anhören, was er zu sagen hatte, und es gegen ihn verwenden – falls es überhaupt etwas gab, was sich verwenden ließ.

Wir begleiteten Lambert den Flur entlang ins Verhörzimmer zwei und setzten uns gemeinsam an den verschrammten kleinen Metalltisch.

Conklin sagte: »Also gut. Sehen Sie den Spiegel da?«

»Einweg. Ist ja nicht mein erstes Mal.«

Conklin grinste. »Sie glauben wahrscheinlich, dass dahinter jemand sitzt und zuhört oder Ihre Körpersprache beobachtet, stimmt’s?«

»Na, klar.« Lambert winkte in den Spiegel. »Beschissene Weihnachten euch allen.«

»Tja«, fuhr mein Partner fort. »Sie haben gerade einem leeren Raum zugewinkt. Wir sind zurzeit ein bisschen unterbesetzt. Also legen Sie am besten Ihre Karten auf den Tisch. Dann steigen die Chancen, dass wir Sie mit einem Minimum an Aufwand durch das Verfahren schleusen. Vielleicht sind Sie an Neujahr auf Kaution schon wieder draußen.«

»Na gut, aber ich wollte eigentlich zu meiner Mutter in Florida fliegen, nach Vero Beach. Am Tag nach Weihnachten.«

Ich schaltete mich ein: »Mr.Lambert, der Mann, den Sie geschlagen und ausgeraubt haben, hat bestimmt auch etwas zu Ihren Reiseplänen zu sagen. Sie haben einen alten Mann zu Boden gestoßen, ihm die Nase gebrochen und ihm ungefähr zweitausendachthundert Dollar in Form von Prada-Gürteln und Hermès-Krawatten abgenommen. Ich bedaure, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber das fällt unter schweren Diebstahl. Und das Opfer hegt Ihnen gegenüber keinerlei freundschaftliche Gefühle. Seine letzten Worte an uns waren: ›Schmeißen Sie ihn in eine finstere Zelle und lassen Sie ihn dort verrotten.‹«

»Aber ich hab gedacht, er hätte bloß was zu essen in seiner Tüte. Ich schwöre«, sagte Julian Lambert zu der Kamera unter der Decke. »Und er kriegt seine Sachen doch wieder, oder nicht?«

Conklin sagte: »Das schon. Aber Sie haben ihm mit Ihrem Überfall körperliche und psychische Verletzungen zugefügt. Wenn Sie uns wirklich helfen wollen, dann lassen Sie mal hören, was Sie anzubieten haben. Am besten etwas Gutes. Beeilen Sie sich. Und sagen Sie die Wahrheit.«

7

Lambert stieß einen langen, widerwilligen Seufzer aus, legte die gefesselten Hände vor sich auf den Tisch und sagte: »Das, was ich euch jetzt sage, ist echt der Hammer.«

Er hielt inne, bekam jedoch keine Reaktion und fuhr fort: »Ich hab gehört, dass in ein paar Tagen ein Riesending abgehen soll. Ich verspreche euch, dass euch das viel mehr wert ist als dieser kleine Zwischenfall von vorhin mit der Tüte, wo ich dachte, da wäre was zu essen drin, und den paar angerempelten Fußgängern.«

Conklin erwiderte: »Jetzt mal ernsthaft, Lambert. Sie haben vielen Leuten Angst gemacht, und Mr.King wird wohl, so wie es aussieht, Anzeige gegen Sie erstatten. Was also soll dieses ›Riesending‹ sein. Etwas präziser, bitte.«

»Ein Raubüberfall an Weihnachten«, lautete Lamberts Antwort.

»Ein Raubüberfall?«, hakte Conklin nach. »Ein bewaffneter Raubüberfall?«

»Ja, genau. Vielleicht der größte in der Geschichte dieser Stadt.«

Ganz bestimmt, dachte ich.

Dann zuckten mir mehrere Filme durch den Kopf, in denen es um spektakuläre Raubüberfälle ging. Heat, Ocean’s Eleven bis Thirteen, Diamantenfieber und Goldfinger, dazu die Pink-Panther-Reihe, meine absoluten Lieblingsfilme. Wenn meine Schwester und ich zusammen sind, sehen wir uns eigentlich immer einen an und lachen uns jedes Mal wieder schlapp dabei.

Ich fragte also unseren flinken Taschendieb: »Sprechen Sie von einem Bankraub? Irgendwas mit selbst gegrabenen Tunnels und so?«

»Ich habe das nur in einer Kneipe zufällig mitgekriegt, also … ich kenne nicht jede Einzelheit.«

»Aber wie wär’s wenigstens mit ein, zwei Einzelheiten?«, hakte ich nach. »Wäre das möglich?«

Stille.

Ich wandte mich an Conklin. »Mr.Lambert denkt sich irgendwas aus. Der Tag war lang, und mir reicht’s jetzt. Es wird Zeit, dass wir ihn in seine Zelle schicken und Feierabend machen.«

Lambert sagte zu Conklin: »Ein bisschen Geduld, bitte, Officer. Ich mach ja schon. Aber wenn ich mit Ihnen darüber rede, kann das für mich ganz schön gefährlich werden, verstehen Sie?«

Conklin zuckte mit den Schultern, stand auf und schob seinen Stuhl unter den Tisch. »Sergeant Boxer ist der Boss. Wenn sie sagt, wir sind fertig, dann sind wir fertig.«

»Also gut. Hören Sie«, sagte Lambert. »Ich kenne den Namen des Anführers. Loman. Den finden Sie garantiert in Ihrer Datenbank.«

»So wie diese Billig-Klamotten-Kette? L-o-e-h-m-a-n-n?«, hakte ich nach.

Keine Ahnung, wie man das schreibt.«

»Und hat Mr.Loman auch einen Vornamen?«

»Mister. Also, er nennt sich immer Mr.Loman. Mehr weiß ich nicht.«

»Warten Sie hier. Ich bin gleich wieder da«, sagte ich.

Dann setzte ich mich an meinen Schreibtisch, begrüßte ein paar meiner Kollegen und erweckte meinen Computer zum Leben.

Ich durchsuchte alle verfügbaren Datenbanken nach den Namen Loehmann, Lowman und Loman und erhielt viel zu viele Treffer. Dutzende allein hier in San Francisco. Wenn wir mit diesem Tipp wirklich etwas anfangen wollten, dann brauchte ich noch mehr Informationen. Der Vorname »Mister« brachte mich jedenfalls nicht entscheidend weiter. Da meine Finger nun schon warm waren, suchte ich noch einmal nach Julian Lambert. Er hatte tatsächlich eine kurze Gefängnisstrafe wegen Ladendiebstahls abgesessen und war zurzeit auf Bewährung draußen. Da er aber behauptet hatte, er wüsste über einen riesigen Raubzug Bescheid, gab ich seinen Namen in die FBI-Datenbank ein. Ergebnis: null Komma nichts. Auch keine Komplizen namens Loman.

Unser flinker Taschendieb schien ein Lügner zu sein, ein Niemand und eine komplette Zeitverschwendung.

8

Ich kehrte zurück ins Verhörzimmer zwei und brachte zwei Wachen aus dem Gefängnistrakt im sechsten Stock mit.

»Stehen Sie auf, Mr.Lambert. Die beiden Herren begleiten Sie jetzt in Ihre Zelle. Sie haben das Recht, Ihren Anwalt anzurufen. Vielleicht ist das jetzt der richtige Zeitpunkt.«

»Moment mal, Moment. Warten Sie doch, okay?«

»Ich habe keine Zeit für diesen Schwachsinn, Mr.Lambert. Erzählen Sie Ihre Geschichte dem Haftrichter.«

»Was?«, stieß Lambert hervor. »Sie haben wirklich nichts über Loman gefunden?«

»Ich habe jede Menge Lomans gefunden, und zwar in unterschiedlichen Schreibweisen, überall in Nordkalifornien, Dutzende allein in unserer Stadt. Ohne einen Vornamen und eine Adresse ist Ihr Tipp gar nichts wert.«

»Ich weiß noch was«, sagte er.

Unser Taschendieb mit den schnellen Beinen klang verzweifelt und sah längst nicht mehr so erfreut aus wie vorhin, als wir ihn festgenommen hatten.

Conklin schaltete sich ein. »Ich arbeite schon lange mit Sergeant Boxer zusammen, Mr.Lambert. Ich weiß genau, wann Sie Feierabend machen will.«

»Okay, ich hab’s kapiert«, sagte er. »Es ist bloß – ich muss Ihnen was zu diesem Raubzug sagen. Aber allein.«

Ich bat die beiden Wachen, draußen zu warten, setzte mich aber nicht auf meinen Stuhl.

»Raus mit der Sprache«, forderte ich Lambert auf.

»Ich kenne einen aus der Bande, also, seinen Namen und seine Adresse. Und ich weiß genau, dass er immer bis zu den Zähnen bewaffnet ist.«

Ich setzte mich.

»Er heißt Chris Dietz. Ja, ja, schon klar, dass es eine Menge Leute gibt, die so heißen, aber das ist sein richtiger Name.«

»Was hat er mit diesem Raubüberfall zu tun?«

»Er ist ein Auftragskiller, so ein durchgeknallter Irrer. Loman hat ihn extra für diesen Coup angeheuert. Ich hab Dietz übrigens hier im Knast im sechsten Stock kennengelernt. Das ist ungefähr drei Jahre her. Unvergesslich.«

»Ich sehe mir seine Akte an«, erwiderte ich, »aber vielleicht können Sie mir etwas Zeit sparen. Weswegen war er hier?«

»Er hat einen Geldtransporter überfallen. Aber als er vor Gericht gestellt werden sollte, waren mehrere Zeugen plötzlich spurlos verschwunden und die Anklage wurde abgewiesen.«

»Also gut, Mr.Lambert. Dann geben Sie uns mal seine Adresse.«

Nachdem Lambert mir den Namen eines billigen Hotels mitten in der Hölle genannt hatte, stand ich auf, öffnete die Tür und bat die Wachen erneut herein.

»Bitte bringen Sie Mr.Lambert nach oben in den sechsten.«

»He. Ich hab Ihnen doch alles gesagt«, protestierte Lambert.

»Falls Ihre Angaben sich als richtig erweisen, rede ich mit der Bezirksstaatsanwaltschaft, und die sprechen dann mit Mr.King. Ihr Anwalt wird Ihnen raten, sich reuig zu zeigen, wenn Sie vor dem Richter stehen. Es sollte schon echt wirken.«

Nachdem Lambert weg war, setzten Conklin und ich uns wieder an unsere Schreibtische im Bereitschaftsraum. Es war gerade Schichtwechsel. Der Tag ging, die Nacht kam.

Ich suchte nach Christopher Dietz und fand ihn auch.

»Hier gibt es einen Haftbefehl gegen einen gewissen Christopher Alan Dietz, letzter bekannter Wohnsitz war Seattle. Der Vorwurf lautet auf bewaffneten Raubüberfall. Irgendjemand hat seine Kaution von zweihunderttausend Dollar bezahlt, und dann ist er untergetaucht. Er ist schon öfter wegen Schusswaffengebrauchs angezeigt worden, aber jedes Mal hat man ihn wegen Mangels an Beweisen wieder laufen lassen. Wir sollten das FBI einschalten.«

Conklin griff zum Telefon, wählte eine Nummer und sagte: »Cin, ich muss heute bis in die Puppen arbeiten. Ich weiß, ich weiß. Ich werd versuchen, dich nicht aufzuwecken.«

Cappy McNeil kam zu uns an den Schreibtisch. Er ist ein guter Freund und Kollege und noch länger bei der Mordkommission als ich. Damit war er automatisch ein alter Hase.

»Ich habe zufällig mitbekommen, dass ihr über Chris Dietz sprecht«, sagte er. »Von dem habe ich auch schon gehört. Einer meiner Informanten hat mir gerade gesteckt, dass Dietz womöglich etwas plant. Ein großes Ding.«

»Na, so was.«

Ich bedankte mich bei Cappy für den Tipp. Mit einem Mal hatte Julian Lamberts Geschichte an Glaubwürdigkeit gewonnen. Ich dachte zurück an die Befragung und betrachtete Lamberts Aussage noch einmal von der anderen Seite. Und dann wurde mir klar, wie das Ganze ablaufen würde.

Conklin und ich würden Brady informieren. Er würde die FBI