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Manchmal taucht mitten im Alltag das ungute Gefühl auf, dass da etwas nicht stimmt. Ich bin den ganzen Tag mit Dingen beschäftigt, die dringend erledigt werden müssen, die andere oder ich selbst von mir fordern oder erwarten. Dabei komme ich gar nicht dazu, mich um das zu kümmern, was ich "mein eigenes Leben" nennen will. Aber wie sollte es eigentlich aussehen, dieses andere Leben? Wie kann ich auch nur die Zeit und Ruhe finden, um darüber nachzudenken? Den eigenen Weg zu suchen und ihn Schritt für Schritt zu gehen, ist der Beginn eines befreienden Experiments. "Zeit-Management", "Eine Stunde Stille jeden Tag", "Achtsamkeit", "Eigene Zeit", "Spielerischer Minimalismus", "Endlich vegetarisch" und "Das Projekt Sonntagsruhe" sind einige der Themen, anhand derer über ganz konkrete Aspekte des täglichen Lebens nachgedacht und nach Handlungsalternativen gesucht wird.
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Seitenzahl: 93
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Gedanken über Entschleunigung, Selbstfindung und Unabhängigkeit
Der Anfang
Das Ziel
Zum Vergnügen
Achtsamkeit
Zeitmanagement
„Eine Stunde Stille jeden Tag“
Und wenn man keinen Urlaub bräuchte?
Eigene Zeit
Feierabend
Projekt „Sonntagsruhe“
Einige Gedanken über den Mut
Bloß keine Umstände machen
Bitte ausprobieren: Flanieren
Warum ich keinen Fernseher habe
Ein Leben im Gleichgewicht - Schalten Sie die Nachrichten aus
Aber ich will doch gar kein Handy!
Spielerischer Minimalismus
Endlich vegetarisch
Du sollst nicht töten!
Der Schluss
Literaturverzeichnis
Vor einer Weile habe ich damit begonnen, zu den verschiedensten Themen meine Meinung aufzuschreiben. Einfach weil mir bewusst geworden ist, dass ich anscheinend oftmals anders ticke, als es der Zeitgeist vorsieht. Schwimme ich denn so oft gegen den Strom? Die Themen sind mir entweder gesprächsweise in der Auseinandersetzung mit anderen wieder einmal vor Augen gekommen. Oder weil ich meine Haltung zu irgendetwas für mich selber klären musste. Darüber schreibend kann ich am besten nachdenken. Zum Beispiel darüber, wo mein eigener Weg entlang geht, und von welchen Leuten und Meinungen und Zuständen ich mich abgrenzen will und muss.
Doch irgendwann habe ich wieder aufgehört, über diese Dinge zu schreiben, weil ich dachte: „Das erwähnt man zwar mal im Gespräch, aber wer will denn ausführlich darüber lesen?“
Dann habe ich eine Doppelbiografie der Gebrüder Humboldt gelesen, und mir ist etwas Überraschendes aufgefallen: Die beiden waren ja hochgebildete Menschen. Universalgelehrte und Forscher mit immensem Einfluss auf Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Über was alles die nachgedacht, geschrieben und mit anderen großen Geistern wie Goethe und Schiller diskutiert und sich ausgetauscht haben! … Aber im Grunde ging es ihnen bei ihrem Philosophieren um dasselbe wie mir! Auch sie haben versucht, sich ihre ganz eigene Meinung über ihre Zeit, die Welt und die Dinge in ihr zu bilden. Sie haben alles ständig voller Neugier und kritisch genau beobachtet. Haben versucht, hinter die äußeren Erscheinungen zu gucken, um anscheinend Selbstverständliches und die Ansichten ihrer Zeitgenossen in Frage zu stellen. Es geht doch immer und bei allem, was einem begegnet, darum, ob es einfach nur das ist, „was es ist“; also ob es tatsächlich nur das ist, was jeder sieht und weiß und davon hält. Oder ob man die Fakten vielleicht auch ganz anders lesen könnte. Ob die Dinge vielleicht auch ganz anders sein könnten. Ob man auf andere Art darüber denken, darauf reagieren und mit ihnen umgehen könnte.
Es ist also doch nicht müßig, wenn ich mir meine individuelle Meinung bilde und diese einfach mal aufschreibe. Natürlich kann ich sie nicht in regem Austausch mit Leuten wie Goethe und Schiller durchdiskutieren und ausarbeiten. Aber vielleicht finde ich ja auch in meiner heutigen Zeit Menschen, die an den Themen und an einem Dialog darüber interessiert sind? Und vielleicht ist an der buddhistischen Überzeugung etwas dran, dass schon ein einzelner Mensch, der sich dreht, damit ein klein wenig die Welt verändern kann.
Ja, vielleicht sollte ich es wirklich so sehen: Ich für mich bin dabei, mein Leben neu zu sortieren. Es vom Kopf auf die Beine zu stellen und endlich genau so zu leben, wie es meinen Überzeugungen entspricht. Dabei muss ich natürlich sehr sorgfältig vorgehen. Stück für Stück um- und aufbauen. Prüfen, ob es richtig war. Also hinterfragen, ob es tatsächlich das getroffen hat, was ich beabsichtigt hatte. Notfalls wieder einen Schritt zurückgehen und noch einmal eine andere Methode suchen und ausprobieren. Oft tauchen auch ganz unerwartet neue Themen und Aspekte auf, zu denen ich mich erst einmal stellen muss. Aber das Schöne ist, dass dann am Ende wirklich mein ganz eigenes, selbstgewähltes und erarbeitetes Leben dabei herauskommen könnte. So wie ich es prinzipiell oder wenigstens für mich selbst richtig finde. Ethisch sauber, sozusagen, da ohne Widersprüche zwischen Überzeugung und Lebenspraxis. Das wird ein bisschen so etwas wie ein Kunstwerk, wenn es klappt. Ein lohnendes Ziel und Bemühen ist es allemal. Und vielleicht strahlt es ja sogar aus meiner kleinen ökologischen Nische auf irgendetwas aus?
Im Herbst 2010
„Programme politischer Art sind wichtige Endprodukte sozialer Qualität, die nur wirksam sein können, wenn die zugrundeliegende Struktur sozialer Werte richtig ist. Die sozialen Werte sind nur richtig, wenn die individuellen Werte stimmen. Der Ort für die Verbesserung der Welt ist zunächst einmal das eigene Herz, der eigene Kopf und die eigenen Hände, und von da aus kann man sich nach außen vorarbeiten.“1
Stimmt, eigentlich geht es in „Das andere Leben“ um Politik. Um Gesellschaftspolitik und eine Kritik an unserer Gesellschaft, wie sie hier und jetzt aussieht. Ich finde nun einmal, dass das Recht des Stärkeren, die Allgegenwart kapitalistischer Prinzipien, die Menschenverachtung der Leistungsgesellschaft und auch die Bereitwilligkeit, mit der die große Masse der Einzelnen diesen Normen hinterherläuft, kaum zu ertragen sind. Es herrscht ein Zeitgeist, der die Menschen kaputt macht, der sie nicht zur Besinnung kommen lässt und der sie damit vom Bemühen um ein gelingendes, sinnerfülltes Leben abbringt. Aber was kann man tun? Es gibt in meinen Augen zur Zeit keine politischen Gruppierungen, die wohlüberlegt außerhalb des Mainstream agieren würden. Winzlingsparteien mit Partialinteressen wie die Tierschützer allenfalls. Aber die neue Linke ist einfach nur dagegen, worum auch immer es gehen mag. Sie haben keine eigene inhaltliche Substanz. Alle anderen Parteien widmen sich lediglich voller Hingabe dem einen Programmpunkt: wiedergewählt zu werden. Darum vermeiden sie echte eigene Meinungen, Ziele und Positionen und sagen nichts, was sich nicht ebenso schnell widerrufen ließe, falls es nicht gefällt. Keine ausgearbeiteten Standpunkte, keine diskursiven Auseinandersetzungen. Nichts, das so wirkt, wie in ihren Anfängen die Grünen: Eine Weltsicht; eine Grundlage, um Entscheidungen zu treffen; eine Perspektive auf ein Ziel. Feste Überzeugungen, die auf umfassenden Informationen basieren und logische Konsequenzen fordern. Auch wenn sie gegen das Althergebrachte, gegen Konventionen und die Bequemlichkeit gehen.
Auch wenn man dadurch selbst unbequem wird, wenn man angegriffen, abgelehnt und lächerlich gemacht wird. Fest zu den eigenen Werten zu stehen, sie offen zu vertreten und entsprechende Handlungskonsequenzen einzufordern, weil man von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. So viel Standfestigkeit kann auf lange Sicht etwas bewirken, weil sie nicht zurückweicht. Weil allein die Sturheit aus Überzeugung anderen irgendwann Respekt und Bewunderung abnötigt. Weil Authentizität und Unbeirrbarkeit allein vielleicht nichts verändern können, weil sie aber als Stein des Anstoßes andere Menschen dazu zwingen, sich mit Themen und Sachverhalten auseinander zu setzen, die sie sonst nicht oder nicht so angegangen wären. Auf diese Art kann man festzementierte Dinge eben doch irgendwann in Bewegung setzen.
Wenn es also in der deutschen Öffentlichkeit derzeit keine Gruppe gibt, der ich mich einfach anschließen könnte, um die gesellschaftliche Realität politisch zu verändern – was aber dann? Wenn ich es nun mal nicht akzeptieren kann, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft entwickelt? Wie kann ich Widerspruch einlegen und an einer Veränderung arbeiten? Genau so, wie Robert Pirsig es als notwendige Schrittfolge postuliert: Bei mir selbst anfangen. Von mir selbst ausgehen, und dann die Auswirkungen der eigenen Überzeugungen, des eigenen Gegenentwurfs, des eigenen Beispiels in andere Menschen und von dort in größere Zusammenhänge versuchen, ausstrahlen zu lassen. Ob sich dadurch viel oder wenig oder überhaupt etwas merklich bewegen lässt, muss man dann abwarten. Aber es scheint der einzig mögliche Weg zu sein. Die eigenen Ideale klären und herausarbeiten. Die eigene Ecke säubern und eine solide, überzeugungskonforme Lebensweise entwickeln. Damit hat man schon eine Menge zu denken und zu tun. Denn man muss gegen die eigene Bequemlichkeit, gegen alte Gewohnheiten und die Unachtsamkeit anarbeiten und mit den eigenen Widerständen kämpfen. Das sollte den Blick freihalten für die Schwierigkeiten anderer, die sich noch schwerer bewegen lassen.
Man kann die große Veränderung nur aus kleinen Teilstücken zusammenbasteln. Es gibt nicht den einen Rundumschlag, der alles auf einmal in Ordnung bringen könnte. Denn da alles mit allem irgendwie zusammenhängt, kann es gut sein, dass ich eine Lösung für ein Problem gefunden zu haben glaube. Aber vielleicht habe ich damit für ein anderes Teilproblem noch nichts verändert oder sogar die Situation verschärft. Wenn ich also keine umfassende Antwort weiß auf die Frage „Ja, aber was soll man denn dagegen tun?“, muss ich mit kleinen Schritten anfangen. Zum Beispiel, indem ich erst einmal ehrlich konstatiert: „Ich weiß es auch nicht. Aber so, wie es ist, ist es jedenfalls falsch.“ Dass man nicht weiß, wie man Missstände angehen könnte, darf nicht bedeuten, dass man sie stattdessen akzeptiert und ihnen ein Gewohnheitsrecht zubilligt, aus dem dann eine sich selbst rechtfertigende Diktatur der Tatsachen wird. Was falsch ist, muss identifiziert und offen benannt werden. Und wenn man an seinen Überzeugungen arbeitet und daran, sie in Lebenswirklichkeit und Alltag zu übersetzen, und wenn man wenigstens schon mal bei sich selbst und mit dem eigenen Denken und Handeln anfängt, kann man ja ruhig mit kleinen Schritten und einzelnen Aspekten beginnen. Dadurch wird ein Veränderungsprozess in Gang gesetzt, und eine Teillösung führt vielleicht zur nächsten. Von einem neuen Standort aus habe ich wieder eine etwas andere Perspektive, die dann den Blick frei machen kann für weitere Ideen. Jeder Schritt nach vorne und in die anvisierte Richtung erweitert auch immer den Horizont, eröffnet neue Möglichkeiten und realisierbare Handlungsalternativen.
Wichtig ist: anzufangen damit, das zu verändern, was dringend verändert werden muss! Dazu im Folgenden einige Überlegungen, Versuche und Ansätze.
1 Robert Pirsig „Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten. Ein Versuch über Werte“
Die meisten Menschen, die ich kenne oder von denen ich höre oder lese, versuchen, in jeden ihrer Tage so viel wie nur irgend möglich hinein zu packen. Sie versuchen, so viel wie nur eben machbar aus ihren wachen Stunden heraus zu pressen. Jede Menge Termine, Erledigungen, Arbeitseinsatz, Pflichterfüllung, Aktivität und Leistung. Dazu beschleunigen sie sich und ihr Handeln. Reden schneller, denken schneller. Strukturieren ihre Tage durch zunehmend effizientere Planung. Gewöhnen sich an, stets mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. So schafft man immer mehr. Notfalls lassen sich die wachen Stunden ausdehnen, indem man weniger schläft, und sie lassen sich effektiver ausnutzen, indem man auf Pausen und rein persönliche Annehmlichkeiten wie Hobbys, Freunde und Mußestunden - kurz gesagt: indem man auf die schönen Dinge des Lebens verzichtet.
Was für ein Kraftakt! Und wofür das Ganze? Bitte keine Rechtfertigungen jetzt! Natürlich hat jeder seine guten Gründe und einen großen Schwarm dringender Notwendigkeiten, warum er diese Art zu leben für sich gewählt hat. Aber taucht da nicht gelegentlich das Gefühl auf, in einem Hamsterrad eingesperrt zu sein? Den ganzen Tag zu rennen und zu rennen, aber die Arbeit will einfach nicht weniger werden? Oder wird sie gar immer mehr? Ist die derzeitige Belastung womöglich gar keine „vorübergehende Phase“, sondern einfach das Leben, wie man es, um ehrlich zu sein, im Grunde immer schon so durchgezogen hat? Soll das eigentlich ewig so weitergehen? Tag für Tag nur durch die Gegend hetzen, schuften, Erwartungen erfüllen, sich plagen? Ist das „das Leben“? Oder rumort in der Bauchgrube das dumme Gefühl, vor lauter Angestrengtheit gerade das eigentliche Leben zu verpassen? Führt man gar kein wirkliches Leben, wie man es gerne hätte, sondern hat sich in die Irre führen lassen?