Das Anti-Burnout-Buch für Pflegekräfte - Jennifer Melcher - E-Book

Das Anti-Burnout-Buch für Pflegekräfte E-Book

Jennifer Melcher

0,0

Beschreibung

Die „systemrelevanten“ Pflegekräfte sind eine bedrohte Spezies – kaum eine andere Berufsgruppe ist so gefährdet, wenn es um Burnout geht. Neue Strukturen müssten her, sensiblere Führungskräfte, bessere Arbeitsbedingungen. Doch das alles ändert nichts am Grundsätzlichen: Ein Burnout ist (immer auch) selbstgemacht! Gängige Burnout-Theorien nehmen Vorgesetzte in die Pflicht. Und scheitern damit kläglich. Mit dem richtigen Führungsstil und einem „guten“ Arbeitsumfeld werden Mitarbeiter keineswegs gesund und glücklich. Jennifer Melcher nimmt Pflegende in die Pflicht, endlich auch sich selbst zu pflegen. Und das mit mindestens ebenso viel Hingabe und Aufopferung wie bei ihren Patienten. Von der Selbsterkenntnis über Zielsetzungen bis hin zur individuellen Strategie in Sachen Anti- Burnout. Jede Pflegekraft braucht Hilfe, Anleitungen, Übungen und Checklisten, um schnell aus der Burnout- Falle zu kommen. Und die liefert dieses Buch.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 314

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jennifer Melcher ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sie absolvierte Weiterbildungen im Bereich Lehramt, mittleres und basales Pflege- und Wundmanagement. Als Referentin und Rednerin (u. a. auf Pflegekongressen) lehrt sie die von ihr entwickelte eigenverantwortliche Burnout-Prophylaxe und setzt dabei auf schnelle und praxisnahe Methoden für den Berufsalltag.

» Wenn wir verstehen, dass es um nichts Geringeres als unser Leben geht und dass wir selbst die Einzigen sind, die für dieses Leben Glück, Zufriedenheit und Gesundheit erschaffen können, haben wir gar keine andere Wahl, als zu handeln.«

JENNIFER MELCHER

pflegebrief

– die schnelle Information zwischendurchAnmeldung zum Newsletter unter www.pflegen-online.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8426-0865-8 (Print)ISBN 978-3-8426-9116-2 (PDF)ISBN 978-3-8426-9117-9 (EPUB)

© 2021 Schlütersche Verlagsgesellschaft GmbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannoverwww.schluetersche.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie der Autorin und des Verlages.

Autorin und Verlag haben dieses Buch sorgfältig erstellt und geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden. Weder Autorin noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus in diesem Buch vorgestellten Erfahrungen, Meinungen, Studien, Therapien, Medikamenten, Methoden und praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen. Insgesamt bieten alle vorgestellten Inhalte und Anregungen keinen Ersatz für eine medizinische Beratung, Betreuung und Behandlung.

Etwaige geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass es sich um freie Warennamen handelt.

Lektorat: Claudia Flöer, Text & Konzept FlöerCovermotiv: kieferpix – stock.adobe.comCovergestaltung und Reihenlayout: Lichten, Hamburg

Inhalt

Ein herzliches Dankeschön

Vorwort

Einleitung

1Burnout – eine Einführung

1.1Die Definition

1.2Die Symptome

1.3Phasen des Burnout

1.4Risiko: die anderen

1.5Die klassische Burnout-Prophylaxe funktioniert nicht

1.6Ihre Eigenverantwortung ist gefragt

1.7Burnout: Warum die Pflege so betroffen ist

1.7.1Warum man in die Pflege geht

1.8Der »Burnout-Charakter«

1.8.1Orientierung an den Bedürfnissen anderer Menschen

1.8.2Hohes Engagement

1.8.3Unsichere Erfolge

1.8.4Fazit

1.9Burnout? – Knockout!

1.9.1Es geht um Ihre Körper-Energie

1.9.2Bestimmen Sie Ihren Energiestatus

1.9.3Tanken Sie Energie

1.9.4Der Mythos von der Work-Life-Balance

2Vom Umgang mit sich selbst

2.1Selbstbild

2.2Selbstwert

2.2.1Ihr Weg aus der Selbstwertfalle

2.3Selbstvertrauen

2.4Selbstliebe

2.4.1Ihre neue Art, mit Fehlern umzugehen

2.4.2Selbstempathie: Nehmen Sie Ihre Bedürfnisse wahr

2.5Eigenverantwortung

2.5.1Eigenverantwortung übernehmen

2.5.2Eigenverantwortlich und (psychisch) gesund

2.5.3Eigenverantwortung haben alle

3Das Ziel im Leben

3.1Wie Sie Ziele formulieren

3.1.1Verneinungen und Negativierung

3.1.2Was wollen Sie wirklich?

3.1.3Ziele erreichen

3.2Der Weg zum Ziel

3.2.1Hoffnung allein bringt Sie nicht weiter

3.2.2Das Pareto-Prinzip

3.3Ihr Leben – das ganz große Bild

3.3.1Fazit

4Von Gedankenmustern und Glaubenswelten

4.1Die Opferrolle

4.1.1Der Ausweg

4.1.2Vergebung

4.1.3Übernehmen Sie die Verantwortung

4.1.4Reflexion vs. Rumination

4.1.5Die Vergangenheit vergangen sein lassen

4.2Denkfallen

4.2.1Sorgen

4.2.2Angst

4.2.3Kommt das Beste wirklich erst zum Schluss?

4.3Selbsterfüllende Prophezeiungen

4.4Glaubenssätze

4.4.1Die richtige Wortwahl

4.4.2Neue Denkmuster erschaffen

4.4.3Fazit

5Wie Sie Ihren Blick auf die Welt ändern

5.1Veränderungen akzeptieren und begrüßen

5.2Dankbarkeit lässt sich lernen

5.3Unangenehme Menschen – bleiben (lassen), wie sie sind

5.4Unangenehme Situationen aushalten

5.4.1Stimmen Sie Ihren inneren Schweinehund um

5.4.2Nur Angsthasen können mutig sein

5.5Krisen meistern

6So zeigen Sie dem Stress die rote Karte

6.1Achten Sie auf Ihre Gedanken

6.2Essen Sie den Frosch

6.3Ordnen Sie Rituale neu

6.4Verabschieden Sie die Zeitfresser

6.5Machen Sie es wie Eisenhower

6.6Lernen Sie Freizeit kennen

6.7So gehen Sie mit Stress um

6.7.1Bewegen Sie sich

6.7.2Sorgen Sie für Struktur

6.8Lieben Sie Ihre Arbeit (wieder)

6.9Machen Sie Schluss mit dem Multitasking

7Schluss mit Work-Life-Balance – her mit Muße & Co.

7.1Vom Sinn der Zufriedenheit

7.2Glücklichsein muss man wollen

7.2.1Macht Geld glücklich?

7.2.2Vergleichen Sie sich nicht länger

7.2.3Wie Sie ab sofort glücklich werden können

7.2.4Sie sind kreativer als Sie denken

8Stärken Sie Körper und Geist

8.1»Du bist, was Du isst«

8.2Wer schläft, holt sich Energie

8.2.1So fördern Sie einen gesunden Schlaf

8.3Erholen Sie sich

8.3.1Pausen einplanen und einhalten

8.4Kommen Sie in Schwung

9Schlusswort

10Die Notfallstrategien für die Kitteltasche

10.1Bei Kritik vom Chef, Angehörigen, Patienten

10.2Nach dem Dienst loslassen

10.3Sich selbst und andere lieben

10.4Fehler reparieren

10.5Jeder trägt seine eigene Verantwortung

10.6Tragen Sie Verantwortung für Ihr Leben

10.7Erinnern Sie sich an Ihr Ziel

10.8In stressigen Situationen: Pareto vs. Eisenhower

10.9Wie – nicht Warum

10.10Üben Sie sich in Dankbarkeit

10.11Laden Sie zwischendurch auf

10.12Geben Sie dem Körper Energie

10.13Wertschätzung für sich und andere

Literatur

Register

Ein herzliches Dankeschön

… meinen Seminarteilnehmer*innen, die das Konzept der eigenverantwortlichen Burnout-Prophylaxe mit ihren Fragen, Beispielen und Anregungen mitentwickelt haben. Ohne euer großes Wissen und eure persönlichen Erfahrungen wäre dieses Buch nicht entstanden.

… meinen Eltern, weil ihr mich Eigenverantwortung gelehrt habt, indem ihr meinen Fähigkeiten vertraut habt.

… meinen Kindern, weil ihr mich erdet und mir immer wieder zeigt, was im Leben wirklich wichtig ist.

… meinem Mann, weil du an mich glaubst!

Vorwort

Bei der gesellschaftlichen Diskussion über Burnout wird stets das wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausmaß thematisiert. Das Problem des Burnouts wird daran festgemacht, wie viele Krankentage, Arbeitsunfähigkeitsmeldungen oder Berufsunfähigkeiten gemeldet werden und wie groß der dadurch entstandene wirtschaftliche Schaden ist. Unterm Strich geht es also darum, was ein Burnout kostet.

Zu den Kosten, die dem Arbeitgeber durch die Personalausfälle entstehen, kommen die Kosten, die den Krankenkassen für ambulante und stationäre Therapien, Tagesgelder, Reha-Zeiten etc. entstehen. Auch die Rentenkasse wird belastet, z. B. durch Frühverrentung wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit. Zu all diesen Punkten finden sich zahlreiche Statistiken. Geordnet nach Wohngegend, Alter, Geschlecht, Berufsgruppen oder ähnlichen Kriterien wird hier der genaue wirtschaftliche Schaden durch die Diagnose Burnout ermittelt. Daraus lässt sich dann für jedermann ableiten: Ja, da steckt ein großes Problem.

Die Zahl der Betroffenen ist riesig (je nach Statistik spricht man von bis zu einem Drittel der Berufstätigen), der finanzielle Schaden noch viel höher. Ein ernsthaftes Problem für die Wirtschaft. Da muss gehandelt werden. Und genau so läuft es dann auch: »Irgendjemand muss irgendetwas dagegen unternehmen.« Am besten Vater Staat. Die Politik muss sich dieser Misere annehmen. Natürlich sollten auch die großen Unternehmen ihren Teil beitragen, sie sind ja praktisch »die Wirtschaft«. Arbeitgeber und Unternehmer müssen sich bemühen, ein besseres Umfeld für ihre Angestellten zu schaffen, damit diese nicht krank werden.

In den Statistiken treten die Betroffenen als Zahlen auf, als große anonyme Masse. Spätestens jedoch, wenn Sie selbst oder ein nahestehender Mensch unter Burnout zu leiden beginnt, stellen Sie fest, dass es um mehr geht, als um Zahlen oder Fälle. Es geht um Ihr eigenes Leben. Das Burnout betrifft eben nicht irgendeine »Zahl« in einer Statistik, sondern diesen einen lieben Freund, der so gern Fußball gespielt hat und – im Tausch gegen ein kühles Blondes auf der Terrasse – immer ein offenes Ohr für einen hatte. Es betrifft die liebevolle Mutter, die für ihre drei Kinder der Mittelpunkt des Universums war und für ihre Kollegen ein Fels in der Brandung.

Es trifft Menschen, die plötzlich nicht mehr wie früher sind. Vielleicht noch körperlich anwesend, mit etwas Glück auch noch halbwegs handlungsfähig, aber irgendwie nicht mehr sie selbst. Es geht um das eigene Leben. Um Ihr Leben. Ganz konkret um Sie, so wie Sie hier (vermutlich) sitzen und lesen.

Burnout betrifft Sie mit all Ihren Rollen im Leben, Ihren guten und Ihren verbesserungswürdigen Seiten, Ihren Besonderheiten und sozialen Interaktionen. Erst wenn Ihnen dass bewusst wird, werden Sie erkennen, dass es nur einen Menschen gibt, der Sie vor einem Burnout bewahren oder ggfs. wieder heraus manövrieren kann: Sie selbst!

Nicht der Staat, nicht die Pflegedienstleitung, nicht die Bereichsleitung – Nur Sie allein sind am Zug, wenn es um Ihr psychisches Wohlbefinden geht.

Dieses Buch möchte Ihnen einen Weg zeigen, sich selbst gesund zu erhalten, damit Sie Ihr Leben – wie auch immer es gerade aussehen mag – gesund und zufrieden bestreiten können. Damit Sie Ihre Ziele erreichen, unabhängig davon, wo diese angesiedelt sind, und mit Eigenverantwortung ganzheitlich und dauerhaft gesund bleiben.

Dabei hege ich keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit oder Perfektion. An der Entstehung dieses Werkes haben hunderte Seminarteilnehmer* innen – oft unbewusst – mitgewirkt, indem sie ihre Sorgen, Probleme, aber auch Lösungsansätze mit der Gruppe geteilt haben.

Sollten Sie, liebe Leser*innen, das Gefühl haben, im vorliegenden Buch fehle etwas, so freue ich mich über Ihre Rückmeldung. Auch andere Anregungen nehme ich gerne entgegen:

Jennifer Melcher GmbH, Waldweg 7 – A 9431 St. Stefan, Österreich www.jennifer-melcher.at, [email protected] Tel.: 0043 664 155 6439

Sie werden sicherlich feststellen, dass nicht alles, was ich schreibe, für Ihr Leben von Relevanz ist. Stellen Sie sich daher die folgenden Seiten wie ein Buffet vor: Sie können sich umschauen und das auswählen, was für Sie gerade passt. Aber seien Sie bitte auch neugierig, probieren Sie ab und an auch mal etwas Neues aus. Und wenn es Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt Spaß macht, kommen Sie zurück und probieren etwas anderes.

Wichtig Gebrauchsanweisung

Natürlich können Sie das Buch einfach von vorn bis hinten durchlesen. So lange Sie es vorher kaufen und nicht gleich in der Buchhandlung verschlingen, ist das aus meiner Sicht völlig in Ordnung.

Um wirklich davon zu profitieren, empfehle ich Ihnen jedoch, mit dem Buch zu arbeiten. Auf den folgenden Seiten finden Sie regelmäßig Übungen, die überwiegend schriftlich erfolgen sollen. Nehmen Sie sich diese Aufgaben wirklich vor, denn erst durch sie werden Sie den ganzen Mehrwert ernten, der in diesen Seiten steckt. Das heißt, es kommt jede Menge Schreibarbeit auf Sie zu.

Unsere Gedanken sind flüchtig, unsere Gefühle ebenso. Was Sie niederschreiben, bleibt erhalten. Es wird real. So wissen Sie dank Ihrer Einkaufsliste später im Supermarkt noch immer, was Sie alles besorgen wollten.

Am leichtesten lässt sich das Geschriebene in Ihren Bewusstseinsebenen verarbeiten, wenn es handschriftlich festgehalten wurde. Sie haben mehr Bezug zu Worten, bei denen Sie jeden Buchstaben mit einer eigenen kleinen Bewegung aufs Blatt gebracht haben, als zu solchen, bei denen Sie »anonyme« Tasten gedrückt haben.

Wenn Sie in Ihrem Leben darüber hinaus etwas verändern möchten, ist es hilfreich, sich ein besonders schönes Notizbuch zuzulegen, in das Sie Ihre wichtigsten Erkenntnisse schreiben können. Natürlich können Sie auch gleich Ihre Übungen hineinschreiben. So ein Buch werden Sie immer wieder zur Hand nehmen, vervollständigen und erneut lesen.

Doch am wichtigsten ist: Seien Sie ehrlich zu sich, um den größtmöglichen Nutzen für sich zu haben! Was Sie niederschreiben, müssen Sie niemandem zeigen. Hauptsache, Sie machen sich immer wieder bewusst, dass nur Sie allein Ihre Worte »hören« können.

Also weg mit den Masken und aufgesetzten Rollen! In diesem Buch brauchen Sie nicht stark, unabhängig oder perfekt zu sein. Sie müssen niemandem etwas beweisen. Für die Zeit des Lesens und Übens dürfen Sie einfach ganz Sie selbst sein. Und wer weiß, vielleicht stellen Sie am Ende sogar fest, dass »Sie selbst« sogar ein ziemlich toller Typ sind?

Eine kleine »Warnung« an Sie, liebe Leser*innen

Bevor Sie sich diesem Buch widmen, möchte ich Sie, wie in Europa dank zahlreicher Normen üblich, vor den Gefahren des Inhaltes warnen: Der Inhalt meines Buches widerspricht in großen Teilen der gängigen Meinung über Entstehung, Ursachen, Behandlung und Prophylaxe eines Burnout.

Wenn Sie also auf der Suche nach Stufenmodellen und Standards sind, werden Sie in diesem Werk erfolglos bleiben. Auch mit dem Modell des »Work-Life-Balance« mache ich kurzen Prozess. Ich beraube Sie, liebe aufmerksame Leser*innen, außerdem jeder Möglichkeit, die Verantwortung für Ihre eigene psychische wie physische Gesundheit an Dritte (Vorgesetzte, Führungskräfte, Staat etc.) abzugeben.

Sind sie darüber hinaus gewillt, mein Buch nicht nur als Gute-Nacht-Lektüre zu nutzen, sondern tatsächlich damit zu arbeiten, müssen Sie mit Veränderungen in Persönlichkeit, Sichtweisen und bekannten Denkmustern rechnen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere Menschen das bemerken werden. Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Anlässe finden, sich zu ärgern und so Aggressionen abzubauen. Außerdem müssen Sie evtl. mit einer Verminderung Ihrer Freizeit, durch die Reduktion von Krankentagen, rechnen.

Sollten Sie dennoch Lust auf ein Abenteuer haben, blättern Sie getrost um und machen Sie sich auf zu neuen Ufern.

Geschlechterneutralität und Berufszugehörigkeit

Zugunsten der besseren Lesbarkeit verzichte ich in diesem Werk weitgehend darauf, zu gendern. Ich bemühe mich, geschlechtsneutrale Personenbeschreibungen zu verwenden. Sollte dies aus inhaltlichen Gründen nicht möglich sein, bitte ich Sie, darüber hinwegzusehen.

Gleiches gilt für Bezeichnungen wie »der Patient«. Natürlich gilt diese Wortwahl stellvertretend auch für Bewohner*innen, Kund*innen, Klient*innen und alle anderen zu betreuenden Menschen.

Auch bei den Pflegenden verzichte ich aus praktischen Gründen auf die korrekten Berufsbezeichnungen. Der Inhalt gilt gleichermaßen für Betreuungskräfte, Pflegehelfer*innen, Pflegeassistent*innen, Pflegefachassistent* innen, diplomierte Gesundheits- und Krankenschwestern/- -pfleger*innen, staatlich examinierte Gesundheits- und Krankenschwester/- pfleger*innen, Master of Science in sämtlichen pflegerischen belangen, staatlich examinierte Altenpflegefachkräfte, Behindertenbegleiter*innen, Hebammen und Entbindungshelfer, Heilerziehungspfleger*innen, Sozialassistent* innen, Alltagsbegleiter*innen etc. Die Liste ist schier endlos.

In welcher Branche auch immer Sie arbeiten: Fühlen Sie sich willkommen, verstanden und angenommen.

Einleitung

Machen wir eine kleine Zeitreise: Es ist August 2009. Wir befinden uns in einem Maximalversorgungs-Krankenhaus im Osten Deutschlands. Es ist meine sechste Nachtschicht in Folge und der zwölfte Dienst ohne Ruhetag. Noch ein paar Stunden, dann habe ich ein Dutzend Diensttage voll und erhalte meinen vom Gesetzgeber vorgeschriebenem freien Tag, bevor ich erneut elf Tage am Stück auf der Akutchirurgie eingeteilt bin.1 Dann habe ich ganze vier Tage frei! Das heißt natürlich, wenn nicht irgendwas dazwischen kommt, eine meiner Kolleginnen krank wird oder aus sonstigen Gründen ausfällt.

Unsere Stationsleitung ist redlich bemüht, allen Wünschen gerecht zu werden, uns Ruhetage zu gönnen und Wunschfreitage zu ermöglichen, aber auch sie kann nur mit den vorhandenen (personellen) Mitteln arbeiten. Als sie mich vor zwei Tagen anrief, weil ich an meinem einzigen freien Tag doch noch eine Nacht einspringen sollte, hörte ich das tiefe Bedauern und die Verzweiflung in ihrer Stimme. Ich wusste, dass sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, bevor sie meine Nummer wählte. Ich habe sie nicht im Stich lassen wollen.

Also stehe ich in dieser Nacht auf Station C1, einer 33-Betten-Station, auf der, wie auf allen Stationen des über 2000 Betten fassenden Hauses, natürlich mehr Patienten untergebracht sind: 35 sind es heute Nacht. Die Überzähligen werden einfach in den Zimmern »dazu geschoben.« Zierliche Pflegekräfte sind jetzt klar im Vorteil, denn in den Zimmern bleibt nur gut 30 cm Gangbreite.

Die Nachtdienste absolviere ich allein. Eine Krankenschwester2 auf – wenn es gut läuft – 35 Patienten. Dabei läuft der OP-Betrieb die ganze Nacht. Es vergeht keine Nacht ohne Neuzugänge, die über die Notaufnahme akut auf die Station überstellt werden. Frisch operierte Patienten werden – da der Aufwachraum nachts nicht besetzt ist – direkt auf die Station zurückverlegt. 30-minütige Vitalkontrolle, regelmäßige Analgesie, intravenöse Therapie, Verbandkontrolle… – das passt auch noch mit rein. Die Anordnungen erfolgen telefonisch, nicht ganz rechtskonform, aber in der Praxis nicht anders handhabbar.

Außerdem stelle ich im Nachtdienst die Medikation für den kommenden Tag. Für 35 Menschen. Da ist Konzentration erforderlich. Bekommt der richtige Patient das richtige Medikament? Ist es die korrekte Dosierung zur richtigen Uhrzeit? Nun wissen die Pflegebedürftigen auf meiner Station natürlich nichts von meinen Mühen, haben ihre eigenen Sorgen und Wünsche und klingeln, um diese erfüllt zu bekommen. Ich wechsle Wäsche, leere Katheter, verabreiche Medikamente, erneuere Infusionen. Bei zwei Patienten laufen die venösen Zugänge para, was bedeutet, dass die Kanüle aus der Vene gerutscht ist und die Infusionsflüssigkeit eine ordentliche Schwellung am Arm verursacht. Hier muss der Zugang entfernt, der Arm gekühlt und die Infusion neu angelegt werden.

Die Stunden eilen dahin. Es gibt noch so viel zu tun: Akten wegsortieren, Verbandwagen auffüllen, Materialien für den Tagdienst vorbereiten. Montagnachts müssen die Verbandmaterialien auf Sterilität geprüft werden, dienstagnachts werden die Infusionslager gereinigt. Jeder Nachtdienst ist mit eigenen Aufgaben gespickt. Und unaufhörlich läutet der Patientenruf.

Es ist 05:30 Uhr morgens. In 30 Minuten beginnt die Dienstübergabe. In dieser Nacht waren es vier Neuzugänge, davon zwei frisch operiert. In einem halben Dutzend Patientenakten kleben kleine, gelbe Notizzettel, die den ausgelaugten Mediziner daran erinnern sollen, die telefonisch angewiesenen Medikamente noch schriftlich anzuordnen.

In einem der Versorgungsräume liegt ein Verstorbener, ein 78-jähriger Herr. Sein Tod war abzusehen und so war es wenig überraschend, als ich bei meinem Durchgang gegen 01:00 Uhr sein Zimmer betrat und ihn leblos vorfand. Aus Pietätsgründen habe ich ihn in einen Versorgungsraum geschoben. Da beide diensthabende Mediziner die ganze Nacht im OP verbracht haben, soll die Totenschau vom Arzt des Tagdienstes übernommen werden. Als ich den diensthabenden Arzt am Telefon frage, ob es denn kein Problem sei, wenn der Totenschein erst so lange nach dem Ableben ausgestellt wird und ob ich nicht vielleicht einen Internisten bitten soll, zur Totenschau zu kommen, schreit er durchs Telefon, was ich denn für ein Problem hätte? Der Mann sei tot, und daran würde sich bis zum nächsten Morgen wohl kaum etwas ändern. Dann wird es still in der Leitung, er hat einfach aufgelegt.

Die letzte halbe Stunde meines Dienstes bricht an. Ich habe noch 17 Blutentnahmen auf dem Tisch. Außerdem muss ich noch alles dokumentieren, denn »was nicht dokumentiert ist, ist nicht gemacht«.

06:15 Uhr, Feierabend. Ich sitze im Umkleideraum im Keller, atme tief durch und weiß: »Ich liebe diesen Stress!« Das ist mein absoluter Traumberuf. Ich finde es großartig, mit so vielen verschiedenen Menschen zu tun zu haben. Von 18 bis 80 und darüber hinaus. Mit jungen Menschen, mit denen man blödeln und Spaß haben kann, genauso wie mit älteren Semestern, an denen ich die ganze Palette der Pflege anwende.

Es motiviert mich, wenn ich fünf Dinge gleichzeitig tun muss und nicht einmal für eine davon genug Zeit ist. Ich freue mich irrsinnig, wenn ich am Ende des Dienstes feststelle, dass ich es doch geschafft habe. Ich liebe die medizinische Komponente des Berufes, in der so viel Fachwissen und Können steckt. Blutabnehmen und Venenzugänge legen, Harnkatheter und Magensonden setzen, Nähte und Drainagen entfernen, ZVD messen oder beim Legen der Thorax-Drainagen assistieren. Nur die Dokumentation, die wird wohl nie mein bester Freund.

Bei all dem Stress kann ich mir nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu tun. Ich glaube nicht, dass mich eine andere, vielleicht weniger stressige Aufgabe, mit geregelten Arbeitszeiten und freien Wochenenden, so erfüllen könnte.

Von Burnout keine Spur. Oder bin ich schon in der ersten Phase?

_________________

1 Laut gesetzlicher Regelung war es möglich, im Pflegeberuf bis zu 12 Tage am Stück zu arbeiten, dann musste der Arbeitgeber einen freien Tag ermöglichen. Zwischen zwei Diensten mussten 10 Stunden Freizeit liegen, jeder Dienst dauerte 8,5 Stunden, inkl. 30 Minuten Pause.

2 Tatsächlich habe ich meine Ausbildung als »staatlich examinierte Gesundheits- und Krankenschwester « abgeschlossen. Seither gab es immer wieder Umbenennungen. Der Einfachheit (und des Stolzes) halber bleibe ich bei dem Begriff »Krankenschwester«, wobei ich natürlich auch die männlichen Krankenpfleger meine.

1 Burnout – eine Einführung

1.1Die Definition

Hurra, nach Jahrzehnten mit unterschiedlichen Definitionen von Burnout hilft nun die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit einer Definition weiter.

DefinitionBurnout

»Burnout ist ein Syndrom, das aus chronischem Stress am Arbeitsplatz entsteht, der nicht erfolgreich bewältigt wird.« Ab Januar 2022 steht diese Definition im aktuellen internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten, dem ICD-11.

*https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-11/ (eigene Übersetzung)

Doch diese Definition greift zu kurz. Ein Burnout kommt nicht nur vom Arbeitsstress. Auch wer keiner bezahlten Arbeit nachgeht, kann ein Burnout erleiden. Die Pflege von Angehörigen, die Kindererziehung – auch dabei kann ein Burnout entstehen.

Bei einem Burnout handelt sich um einen Oberbegriff (ein Syndrom, wie die WHO sagt), der zahlreiche, zum Teil ganz unterschiedliche Erkrankungen in sich vereint. Das ist praktisch, denn so kann annähernd jede psychische Einschränkung und Verminderung des Wohlbefindens, vor allem in Bezug auf den Arbeitsplatz, die sonst keine passende Namensgebung findet, als Burnout eingeordnet werden.

Das ist aber auch ein Problem: »Das Hauptproblem besteht darin, dass es keine klare Definition von Burnout gibt. Es ist nicht möglich abzugrenzen, wer zu den Betroffenen gehört und wer nicht. So ist schon unter Experten unklar, worüber genau eigentlich diskutiert wird. Das führt dazu, dass jeder, der sich erschöpft, lustlos, depressiv oder sonstwie krank fühlt, von sich behaupten kann, unter einem Burnout zu leiden. Der Begriff wird manchmal geradezu inflationär verwendet. Wir sprechen hier also über ein nur vage einzugrenzendes Problem, unter dem jeder etwas anderes versteht.«3

Auch die Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern und Befindlichkeiten ist bei ähnlichen und gleichen Symptomen nicht klar gegeben. Es gibt keine klare Grenze zwischen Burnout und Depression, Stress, Erschöpfung, Demotivation, Leistungsabfall oder Arbeitsunzufriedenheit, Lustlosigkeit, psychosomatischen Störungen oder Überforderung.4

Tatsächlich hat schon Herbert Freudenberger darauf hingewiesen, dass ein Burnout bei jedem Mensch unterschiedlich in Erscheinung treten kann. Eine Diagnose anhand der vorliegenden Symptome zu stellen, ist somit (auch offiziell) nicht möglich.5 Nun haben wir ja auch keine Möglichkeit, den »Burnout-Titer« im Labor zu bestimmen oder in der Bildgebung einen karierten Schatten im Frontallappen festzustellen.

Es stellt sich also die Frage, wie es möglich ist, jährlich allein im deutschsprachigen Raum zehntausendfach Menschen die Diagnose Burnout zu stellen. Man könnte fast den Eindruck bekommen, jeder Zustand von Schwäche und Abgeschlagenheit, aber auch zahlreiche psychosomatischen Probleme, die anders nicht einzuordnen sind, werden kurzerhand zum Burnout ernannt. »Nicht erfolgreich verarbeiteter Stress bei der Arbeit« – wer hat den nicht manchmal?

Aber Burnout klingt viel besser als etwa »Depression«. »[Der Burnout] löst bei den Mitmenschen Mitleid und Hilfsangebote aus, man gewinnt sogar eine gewisse Achtung, weil man die schwierigen Umstände so lange aushalten musste «, beschreibt etwa Seidel die Situation treffend.6

1.2Die Symptome

Festgestellt werden kann ein Burnout schlussendlich nur über den Ausschluss anderer Erkrankungen bei vorliegenden Symptomen.

Doch auch mit welchen Symptomen bzw. in welcher Form so ein Ausgebranntsein in Erscheinung tritt, ist im hohen Grad unterschiedlich. Praktisch jede psychische Verfassung, die von der Norm abweicht, findet sich auch unter den Burnout-Symptomen. Das beschreibt auch der Experte Matthias Burisch, der in seinem Fachbuch 130 Symptome nennt.7 Hier einige Beispiele, damit Sie sich selbst ein Bild machen können.

Im Bereich der Psyche kommt es etwa zu abnehmender Leistungsfähigkeit, emotionaler Erschöpfung, Angst vor dem Scheitern, Gefühl der Überforderung, Energiemangel, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Entscheidungsunfähigkeit, weniger Fantasie und Initiative, Gleichgültigkeit, Langeweile, Desillusionierung, Neigung zum Weinen, Ruhelosigkeit, Verzweiflung, Vorwürfe gegen andere, Verlust an Empathie, Zynismus, Partnerschafts-/Familienprobleme, Gefühl von mangelnder Anerkennung, Ärger, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Mattheit und Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Misstrauen.

Auch allgemeine körperliche Unzulänglichkeiten, wie sie in Begleitung fast jeder psychischen Erkrankung, aber auch bei zahlreichen physischen Krankheiten, auftreten, werden als Indiz für das Vorliegen eines Burnouts herangezogen. Da finden sich z. B. Engegefühl in der Brust, Atembeschwerden, Rückenschmerzen, Übelkeit, Schwächegefühl, Schlafstörungen, sexuelle Probleme, Tinnitus, Herzrasen, Magenkrämpfe.

Keines dieser Symptome ist auch nur im Geringsten spezifisch. Auch eine Häufung der Symptome, wie sie bei der Diagnose anderer Erkrankungen hergenommen wird, ist in diesem Fall nicht aussagekräftig.

Ist es nicht tatsächlich sogar eher so, dass ein Teil dieser Symptome als normale Charaktereigenschaften durchgehen? Wie viele (kerngesunde) Menschen sind »nah am Wasser gebaut« (Neigung zum Weinen), haben Angst zu scheitern, treffen nur schwer Entscheidungen, sind fantasielos oder haben wenig Eigeninitiative? Nicht jeder ist empathisch (Verlust an Empathie), manch einer in seinem ganzen Wesen Zyniker und frei von Eigenverantwortung (Vorwürfe gegen andere), misstrauisch, ängstlich oder chronisch unzufrieden.

»Genannte Symptome können subjektiv sehr unterschiedlich wahrgenommen und vom Betroffenen auch umgedeutet, umgewertet und anderweitig begründet werden«, weiß auch die Burnout-Literatur. Und weiter: »Viele der genannten Symptome könnten auch anders verursacht sein, etwa durch Stoffwechselerkrankungen.«*

* Jannet T (2014): Kompass Burnout. Alles, was Sie für Ihren persönlichen Ausweg brauchen. Beltz, Weinheim. S. 14

1.3Phasen des Burnout

Die unterschiedlichen Erscheinungsformen und oft gegensätzlichen Symptome der Erkrankung lassen sich mit den verschiedenen Schweregraden bzw. Ausprägungen beim Fortschreiten eines Burnouts erklären. So wird in der Fachliteratur generell davon ausgegangen, dass ein Burnout in mehreren Phasen verläuft, deren zeitliche Intervalle jedoch variieren, und die auch nicht zwingend in der vorgegebenen Reihenfolge ablaufen müssen.8

Burisch teilt die Symptome anhand eines sieben Stufen Modells ein und bestimmt somit auch die Schwere und das Fortschreiten der Erkrankung (Tab. 1).

Tab. 1: Burnout-Phasen nach Burisch*

Phase

Vorrangige Erscheinungsform

Phase 1

Extrem viel Energie und Ehrgeiz

Phase 2

Reduziertes Engagement und Rückzug

Phase 3

Depression, Aggression, Schuldzuweisung

Phase 4

Abbau und schwindende Leistungsfähigkeit

Phase 5

Verflachung, Desinteresse und Gleichgültigkeit

Phase 6

Psychosomatische Erkrankungen

Phase 7

Verzweiflung und Burnout

*

 Vgl. Burisch 2010

Freudenberger spricht sogar von zwölf Stufen eines Burnouts9 und Müller- Timmermann nennt fünf Phasen auf dem Weg zum Burnout.10

Nun ist es nicht schwer, etwa die sieben Phasen von Burisch im eigenen Leben wiederzufinden, wenn man bedenkt, dass die Abfolge in keinem eingegrenzten Zeitraum stattzufinden hat. Wenn Sie sich mit einer Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität, Gleichgültigkeit und wenig Eigeninitiative in Stufe fünf bei Burisch befinden, wird auch der schlechteste Psychiater in Ihrem Lebenslauf eine Zeit finden, in der Sie sich beweisen wollten, motiviert waren und am liebsten die Welt aus den Angel gehoben hätten. Auch wenn das 20 Jahre her ist.

Sehen Sie? Da waren schon die ersten Anzeichen! Schon damals waren Sie in Phase eins der Abwärtsspirale. Sicher hatten Sie in der Zeit dazwischen auch eine Phase, in der Sie nicht gut auf sich selbst geachtet haben, sich mit Kaffee über den Tag retten, energielos waren und am liebsten nur geschlafen hätten – kurzum: Phase vier. Oder Sie hatten einfach gerade Beziehungsstress, haben Nachwuchs bekommen oder es war ein kalter, ungemütlicher Herbst.

Egal, was Sie tun, wenn Sie ein ganz normales Leben haben, wird man in Ihrem Lebenslauf mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit die Burnout-Phasen nachweisen können. Da Sie vermutlich in der Pflege arbeiten, besteht sogar die Chance, dass Sie alle klassischen Burnout-Phasen binnen eines Monats durchlaufen können – und dass Sie dabei trotzdem psychisch gesund sind.

1.4Risiko: die anderen

Das klassische Burnout-Konzept kennt eine Reihe von Risiken, die Betroffene für ein Ausbrennen prädestinieren. Zwar geht man generell davon aus, dass es sowohl in der Persönlichkeit des Einzelnen wie auch in Arbeits- bzw. Umwelt zu Schwierigkeiten kommen muss, um solch eine Krankheit auszulösen, doch es besteht noch immer die Annahme, dass die Hauptursache in der Umwelt zu suchen ist: »Beim Burnout wird den äußeren Umständen, also besonders den Arbeitsbedingungen, ein wesentlicher Anteil am Entstehen zugesprochen. «11… »Der Umwelt muss sogar eine sehr bedeutende Rolle zukommen, wenn die Beobachtung richtig ist, dass der Burnout-Prozess erst in den letzten Jahrzehnten in erheblicher Zahl vorkommt.«12

Umweltfaktoren gibt es viele, z. B. Zeitarbeit, geringer Handlungsspielraum, negatives Betriebsklima, wenig soziale Unterstützung durch die Vorgesetzten, geringe Arbeitszufriedenheit, häufige Unterbrechungen während der Arbeit, Konflikte am Arbeitsplatz, hohe Anforderungen, hohe Arbeitsdichte, prekäre Einkommen, Schichtarbeit, Überstunden, mangelnde Gerechtigkeit.13

Noch besser bringt Matyssek die gängige Burnout-Theorie auf den Punkt: »Die Hauptursache für hohe Krankenstände ist das Führungsverhalten. Das Verhalten der Vorgesetzten beeinflusst das Wohlbefinden der Mitarbeiter am stärksten.«14

Entsprechend ist es natürlich auch an den Führungskräften und ferner am Unternehmen und am Staat, eine geeignete Prophylaxe zu schaffen. Die Leitungsebene hat dafür Sorge zu tragen, dass der einzelne Mensch gesund bleibt. Anknüpfungspunkte gibt es laut Scharnhorst »am individuellen Arbeitsplatz, im gesamten Unternehmen und auf gesellschaftlicher Ebene.«15

Dann folgen selbstverständlich kluge Maßnahmen: mitarbeitergerechte und gesundheitsförderliche Führung, menschengerechte Arbeitsgestaltung, Partizipation der Mitarbeiter bei Planungen und Entscheidungen, Stärkung der Fähigkeiten der Mitarbeiter beim Umgang mit Stress, soziale Unterstützung der Mitarbeiter16, persönliche Berufsziele der Mitarbeiter kennen und berücksichtigen, Einarbeitung neuer Mitarbeiter oder bei neuen Aufgaben, Über- und Unterforderung entgegenwirken, konkrete und realistische Arbeitsziele vereinbaren, regelmäßige und ausreichende Kommunikation, Gefühl der Wertschätzung vermitteln, positive Leistung anerkennen.17

Ein zentraler Punkt beim Burnout ist es, wenn Sie die Verantwortung für Ihre eigene Gesundheit an andere abtreten.»Wenn Sie das Gefühl haben, dass sich trotz Maßnahmen »von oben« nichts an Ihrer Situation ändert, wenden Sie sich an den Betriebsrat. Seine Aufgabe ist es, im Rahmen der Arbeitsschutzvorschriften auch, eventuelle psychische Fehlbelastungen der Mitarbeiter zur Sprache zu bringen.«*

* Seidel 2012

1.5Die klassische Burnout-Prophylaxe funktioniert nicht

Info

1974 prägte der Psychologe und Psychoanalytiker Herbert Freudenberger den Begriff »Burnout«, samt Erklärungs- und Stufenmodell, prophylaktischen und therapeutischen Ansätzen.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich viele kluge Köpfe daran gemacht, Freudenbergers Behauptung zu stützen, zu belegen und zu erweitern. Das war nicht sonderlich schwer, denn die Aussagen Freudenbergers sind so allgemein gehalten, dass sich eine Vielzahl von Menschen in diese Kategorie einordnen lassen. (Ich kenne übrigens niemanden, der versucht hat, das Konzept zu widerlegen).

Heute steht uns ein konkreter Fahrplan zur Verfügung, der genau regelt, welche prophylaktischen Maßnahmen durch den Staat, Arbeitgeber, Führungskräfte und den einzelnen Menschen vorgenommen werden müssen, um die Zahl der Burnout-Betroffenen zu senken.

Auch in der Praxis werden diese Regeln fleißig umgesetzt: Kaum ein Mitarbeiter, der nicht mindestens ein Anti-Burnout-Seminar besucht hat. Bereits in den Ausbildungsstätten und an den Universitäten wird das Burnout thematisiert. Führungskräfte durchlaufen eine ganze Kaskade von Schulungen, um zu lernen, wie sie sich, vor allem aber ihre Mitarbeiter, vor einem Burnout schützen können.

Geändert hat sich – nichts. Die Zahl der von einem Burnout Betroffenen und Erkrankten steigt weiter. Ein Drittel der deutschsprachigen Bevölkerung soll betroffen sein. Je nach Berufsgruppe auch deutlich mehr. Das kann nur einen Grund haben: Wir tun noch zu wenig! Also noch mehr Schulungen, weniger Arbeitspensum, weniger Wochenstunden, mehr Verantwortung am Arbeitsplatz, mehr Mitbestimmungsrecht usw.

Doch die Zahlen steigen. Was tun wir? Jetzt haben wir bereits so viel investiert, da muss es sich doch endlich auszahlen! Also ran an die Work Life Balance, Yogastunden, Meditationsrunden, Wellnesswochenenden. Die Zahlen steigen weiter.

Was aber, wenn sich Freudenberg geirrt hat? Was, wenn das bisherige Konzept der Burnout-Prophylaxe einfach nicht hilft? Wenn es gar nicht zum erwünschtem Ziel führen kann, weil es schlicht auf falschen Grundannahmen gründet? Wenn die immer gleichen Anstrengungen zu keinem neuen Ergebnis führen, dann könnte es durchaus sein, dass es schlicht die falschen Anstrengungen waren.

Sie glauben, das könne nicht sein? Experten würden sich nicht so fundamental irren? Naja, jahrhundertelang sperrte man Menschen mit psychischen Erkrankungen einfach weg, nannte sie »geisteskrank« und hielt sie für unheilbar. Wer psychisch erkrankt war, wurde gar als behindert angesehen. Von damals sehr angesehen Experten.

Sicherlich sind alle Maßnahmen, die die Arbeitswelt menschlicher und stressärmer gestalten, gut. Aber es ist an der an der Zeit, eine andere Grundlage des Burnouts heranzuziehen, um erfolgreich zu sein! Wir sollten unsere Zeit, Geld, Energie, Arbeit, Kraft und Ideen für einen anderen Weg einsetzen, um das Ziel – gesunde und zufriedene Mitarbeiter – zu erreichen!

1.6Ihre Eigenverantwortung ist gefragt

Nun sind Sie in einer schwierigen Situation. Sie haben sich mit Ihren Problemen bei der Lebensbewältigung an einen Mediziner gewandt und tragen seither den Burnout-Stempel. Nun kann so eine Diagnose ja etwas sehr Tröstliches sein. Doch mit einem Burnout verbinden wir Merkmale wie langwierig, hohe Rückfallquote, schwer zu therapieren, endet gehäuft in der Frühverrentung.

Während Sie noch vor ein paar Stunden einfach nur müde, abgeschlagen und chronisch genervt waren, haben Sie jetzt ein riesiges Problem, dass Sie so schnell nicht mehr, vielleicht sogar nie mehr, lösen werden. Zur Erinnerung: Sie sind in dieser Zeit nicht drei Stufen in der Burnout-Skala weitergerutscht. Sie waren lediglich beim Arzt und haben eine Diagnose bekommen.

Was das mit Ihnen und Ihrem Leben, vor allem aber mit Ihren Heilungschancen macht, erklärt sich im Kapitel »selbsterfüllende Prophezeiungen« (Kap. 4.3). Hier nur so viel: Eine müde Phase überstehen Sie vermutlich problemlos. Sie nehmen sich einige Zeit aus den zusätzlichen Aufgaben heraus, nutzen diese Freizeit, um wieder aufzutanken und in ein paar Wochen wissen Sie nicht mal mehr, wie genau sich eigentlich alles zugetragen hatte.

Wenn Sie hingegen jeden Morgen mit dem Wissen aufwachen, Burnout-Patient zu sein, Ihren Freunden, Ihrer Familie und Ihren Arbeitskollegen davon erzählen und somit ohne Umschweife diese neue Rolle als Ihre akzeptieren, wird Ihr Unterbewusstsein Sie pflichtbewusst dabei unterstützen, dieser Rolle auch gerecht zu werden.

Natürlich müssen Sie Ihre Probleme ernst nehmen und nicht darauf warten, dass sie von allein wieder verschwinden. Doch ich möchte Sie ermutigen, eigenverantwortlich zu bleiben.

Tipp

Statt sich also in eine langwierige Standardtherapie zu begeben und dabei Ihre Verantwortung an andere (Unbekannte) abzutreten, könnten Sie z. B. sich selbst fragen:

• Was brauche ich ganz konkret,

– damit es mir besser geht?

– damit ich mich wieder wohl fühle?

– damit ich wieder schlafen kann, engagiert bin...?

• Was kann ich für mich tun?

• Wie können andere mich dabei unterstützen, damit ich in meiner Energie mit meinen Mitteln mein Ziel erreiche?

Es geht um Persönlichkeitsstärkung, aber nicht darum, andere allein für Ihren Zustand verantwortlich zu machen.

Wenn Sie sich diese Fragen stellen, sind die sogenannten Anfangsstadien eines Burnouts lediglich Phasen in Ihrem Leben, in denen es nicht so gut läuft.

Burnout bedeutet nichts anderes, als dass Ihr Körper die Notbremse für Sie zieht. »Es muss sich etwas ändern. So geht es nicht weiter. Da mache ich nicht mehr mit«.

So gesehen ist Burnout nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Chance, neue Erfahrungen mit und für sich selbst zu machen, Ihrem eigenen Leben eine neue Richtung zu geben, neue persönliche Ziele zu formulieren. Es bietet jedem, der das möchte, eine unglaubliche Chance, sich weiter zu entwickeln. Damit Sie diese Chance nutzen können, empfehle ich Ihnen,

• dass Sie sich als Mensch,

• Ihre eigenen Lebenshintergründe,

• Ihre Lebenseinstellung und

• Lebensziele evaluieren.

Vor diesem Hintergrund spreche ich deshalb auch eher von einem Knockout als von einem Burnout. Was ausgebrannt ist, kann sich nicht neu entzünden – es sei denn, Sie sind ein Phönix und entstehen aus der Asche wieder neu. Bei einem Knockout sind Sie auf die Bretter geschickt worden, aber Sie können wieder aufstehen!

»Es gilt herauszufinden, was dazu geführt hat, dass das persönliche Stresssystem eine Zwangspause für den ganzen Organismus eingelegt hat. Dabei darf kein einziger Lebensbereich ausgespart bleiben. Dies ist dringend nötig, um zu verhindern, dass das Stresssystem den Pausenmodus gleich wieder einstellt – also der Knock-out-Zustand wieder schneller da ist, als er gegangen ist.«18

FazitVergessen Sie die Sache mit der Verantwortung

Bemühen Sie sich nicht herauszufinden, wer an Ihrer Situation die Verantwortung trägt. Ob Ihr Arbeitgeber Ihnen zu viele Aufgaben erteilt hat, oder Sie zu selten Nein gesagt haben, ändert nichts an der jetzigen Situation. Richten Sie Ihre Gedanken lieber auf die Frage, welche Lösungen es für Sie gibt. Welche Chancen und Möglichkeiten bringt die neue Situation mit sich?

1.7Burnout: Warum die Pflege so betroffen ist

Die klassische Burnout-Theorie (Kap. 1.4) kennt eine einfache Antwort auf die Frage, warum vor allem Pflegende so stark von psychischen Erkrankungen betroffen sind: Sie haben im Übermaß Stress, Schichtdienst, einen unregelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus. Dazu kommen wenig Entscheidungsfreiheit und ein großes hierarchisches Gefälle.

»Der Mangel an Personal sorgt für Belastung. Ein Pfleger muss anstelle von einem Patienten im Schnitt 13 Patienten in der Tagschicht versorgen. Nachts steigt die Zahl auf 19. Diese Umstände sorgen für Erschöpfung«, schreibt etwa das Magazin Krankenpflege digital.19

Drei Punkte sprechen gegen dieses Erklärungsmodell:

1. Zum einen müssten bei dieser Annahme alle Mitarbeiter eines Bereiches gleichermaßen von den psychischen Folgen betroffen sein. Das ist in der Praxis jedoch nicht der Fall.

2. Zum anderen sind auch andere, artverwandte Berufsgruppen, wie z. B. der Fachbereich der Psychotherapie, überdurchschnittlich häufig vom Burnoutsyndrom betroffen. Hier aber finden sich sehr wohl geregelte Arbeitszeiten. Wohingegen das Personal in der Gastronomie unter ganz ähnlichen, wenn nicht sogar noch extremeren Situationen den Berufsalltag meistert. Trotzdem kommt der völlige Erschöpfungszustand statistisch betrachtet im Gastgewerbe weit seltener vor, als bei den vorher genannten Psychotherapeuten.20

3. Als dritten Punkt gegen die üblichen Theorien ist anzuführen, dass Menschen, die ein Burnout erleiden, eine starke Neigung zu anderen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen aufzeigen. Auch neigen solche Menschen dazu, trotz erfolgreicher Therapie zu einem späteren Zeitpunkt erneut der Krankheit zu erliegen, selbst wenn ein Wechsel des Arbeitsplatzes in ein deutlich weniger stressiges Umfeld vollzogen wurde.

Der tatsächliche Grund für die Häufung der Burnout-Symptomatik im Pflegeberuf – ebenso wie in anderen helfenden Berufszweigen – liegt neben dem Stress und den oft schwierigen Arbeitsbedingungen in speziellen Charakterzügen, die Menschen in diesem Bereichen besonders häufig aufweisen.

1.7.1Warum man in die Pflege geht

Fragt man Menschen nach ihrer Ambition, im Pflegeberuf zu arbeiten, erhält man etwa als Antwort:

• Weil Helfen meine Berufung ist.21

• Weil es mir das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles zu tun.

• Weil ich gerne Menschen helfe. 22

• Aufgrund der Dankbarkeit, die man zurückbekommt.

• Weil die Patienten sich freuen, wenn ich da bin.23

• Weil ich weiß, dass jeder einzelne von uns gebraucht wird … von den Leuten, die auf uns angewiesen sind.24

Pflegende sind allzu oft Menschen, die alles geben, sich aufopfern und ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellen. Der Wunsch zu helfen und die Anerkennung und Dankbarkeit dafür zu erhalten, etwas zu leisten, andere Menschen ein bisschen glücklicher zu machen und darin Erfüllung zu finden, sich wohl zu fühlen, weil andere, oft Fremde, sich wohl fühlen, das alles zeigt spezielle Charakterzüge, die in helfenden Berufen überdurchschnittlich häufig anzutreffen sind. Doch gerade diese Einstellung, die Sie als Pflegende so wertvoll und gesellschaftlich wie menschlich unersetzlich macht, kann sich rasche negativ auf die eigene Gesundheit auswirken.

1.8Der »Burnout-Charakter«

Wenn ich an dieser Stelle über den »Burnout-Charakter« schreibe, meine ich damit keinesfalls einen bestimmten Charakter im Sinne des Wortes. Vielmehr handelt es sich um zahlreiche Charaktereigenschaften, die, jede für sich genommen, wenig bedenklich sind, die aber zusammengenommen einen Menschen formen, der besonders Burnout-gefährdet ist.

Dabei handelt es sich um eine »Ergänzungsreihe«, wie Sigmund Freud sie beschrieben hat.25 Freud erklärte, dass der Mensch nicht auf Grund einer einzelnen Ursache krank wird. Vielmehr ist ein komplexes Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren für die Entstehung und den Ausbruch einer Krankheit verantwortlich. Auf der körperlichen Ebene heißt das z. B., dass Veranlagung, Ernährung, Beziehung, Beruf, Lebensstil usw. zusammenwirken, um eine Krankheit auszulösen.

Geht es um psychische Überlastung, bedeutet das: Ein stressiger Job, Personalmangel und Führungsfehler allein reichen nicht aus, um einen Burnout hervorzurufen. Es bedarf auch anderer Faktoren, wie z. B. einem geringen Selbstwertgefühl, einer »Opferhaltung«, hinderlicher Denkfallen, Pessimismus oder einer geringen Resilienz, um den Akku tief zu entladen.