Das bessere Gehirn - Brant Cortright - E-Book

Das bessere Gehirn E-Book

Brant Cortright

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Beschreibung

Die Hirnforschung hat in den letzten Jahren bewiesen, dass unser Gehirn zeitlebens neue Nervenzellen bildet. Doch nun erst wurde entdeckt, dass die Geschwindigkeit, mit der diese Zellen wachsen, die sog. Neurogenese, der Schlüssel zu einer besseren Lebensqualität ist. Und: Unsere Neurogenese-Rate kann in allen Phasen des Erwachsenenalters dramatisch verbessert werden. Altersunabhängig lässt sich mit dem richtigen Lebensstil die Geschwindigkeit der Nervenzellen-Neubildung um das Drei- bis Fünffache steigern! Professor Brant Cortright, Spezialist für Gehirnenwicklung, bietet einen wissenschaftlich gesicherten Weg für mentale Gesundheit.

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SCORPIO

Dr. Brant Cortright

DASBESSEREGEHIRN

Wie Sie lebenslang die Bildung neuer Nervenzellen anregen

Die 4 Schlüssel der Neurogenese: Ernährung, Bewegung, Beziehung und Bewusstheit

Aus dem amerikanischen Englisch von Ulla Rahn-Huber

WICHTIGER HINWEIS

Die Informationen und Ratschläge in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt von Autor und Verlag erarbeitet und geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Alle Leserinnen und Leser sind daher aufgefordert, selbst zu entscheiden, ob und inwieweit sie die Anregungen in diesem Buch umsetzen wollen. Eine Haftung des Autors und des Verlags für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »The Neurogenesis Diet and Lifestyle« bei Psyche Media, Mill Valley, USA.

Dieses Buch enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte der Scorpio Verlag keinen Einfluss hat. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Haftung übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft, rechtswidrige Inhalte waren nicht erkennbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden wir derartige Links umgehend entfernen.

1. eBook-Ausgabe 2017© Copyright c Brant Cortright, PhDc der deutschsprachigen Ausgabe 2017 Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, MunchenUmschlaggestaltung: Favoritbuero, MunchenSatz: BuchHaus Robert Gigler, Munchen

Konvertierung: Brockhaus/CommissionePub: 978-3-95803-120-3ePdf: 978-3-95803-121-0

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.www.scorpio-verlag.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

INHALT

KAPITEL 1 Die Neurogenese-Revolution

Die Neurogenese-Revolution in der Hirnforschung

Weg mit dem Mythos des Serotoninmangels bei Depressionen!

Ein »Jungbrunnen« für das Gehirn

Wie das Gehirn mit der Welt in Beziehung tritt, ist entscheidend

Neurogenese als Schlüssel zu einer besseren Lebensqualität

Die Neurowissenschaft ist zu wichtig, um sie den Neurowissenschaftlern zu überlassen

Der Mythos von der Zauberpille zur Gesunderhaltung des Gehirns

Vision für die Zukunft

Zusammenfassung

KAPITEL 2 Das Programm: So fördern Sie Ihr Gehirn auf allen Ebenen

Ein ganzheitlicher Plan zur Verbesserung der Neurogenese

Der neue Holismus

Alles ist im Kopf

Bitte bedienen Sie sich!

Das zentrale Geheimnis

Alles in unserem Leben hängt vom Gehirn ab

Die Frage der Beweisführung

Heraklits Gehirn

Bewegung heißt Leben, Stillstand heißt Tod

Tausche alt gegen neu

Warum der Hippocampus so wichtig für die Neurogenese ist

Funktioniert dieses Programm überhaupt?

Wie das Gehirn wächst

Schützen Sie Ihr kostbarstes Gut – Ihr Gehirn

Vision für die Zukunft

Zusammenfassung

KAPITEL 3 Ernährung

Lebensmittel und Nährstoffe, die die Neurogenese stimulieren

Die Forschung schreitet voran

Lebensmittel und Nährstoffe, die den BDNF-Spiegel anheben und möglicherweise die Neurogenese stimulieren

Eine neurostimulierende Ernährung zur Förderung der Neurogenese

Essen fürs Gehirn

Die neurostimulierende Ernährung auf einen Blick

Der evolutionäre Kontext

Fette

Grundprinzipien einer neurostimulierenden Ernährung

Zum persönlichen Idealgewicht finden

Wir haben alle schlechte Angewohnheiten

Was wir nicht wissen

Vision für die Zukunft

Zusammenfassung

KAPITEL 4 Körper

Sportliche Aktivität

Berührung

Sexualität

Schlaf

Neue Dinge tun, neue Orte aufsuchen, sich neuen sensorischen Eindrücken aussetzen

Musik ist Silber, Stille ist Gold

Begegnung mit der Natur

Vision für die Zukunft

Zusammenfassung

KAPITEL 5 Herz

Emotionen steuern das Gehirn

Optimale emotionale Stimulation verbessert die Neurogenese

Im Tierversuch gewonnene Daten auf den Menschen übertragen

Das emotionale Hirn verstehen

Die Weisheit von Emotionen

Uns gut zu fühlen ist die Voraussetzung für gute Beziehungen

Liebe verbessert die Neurogenese

Liebevolle, unterstützende Freundschaften

Negative Beziehungen und Gefühlszustände vermeiden

Menschen sind keine Affen, aber wir sind alle Tiere

Isolation und Einsamkeit

Vision für die Zukunft

Zusammenfassung

KAPITEL 6 Geist

Mentale Funktionen

Der Hippocampus organisiert neue Gedächtnisinhalte

Verbesserung und Abbau von kognitiven Funktionen mit dem Alter

Vorbeugen ist tausendmal besser als heilen

Mentale Praktiken zur Steigerung der Neurogenese

Übungen zur Steigerung der geistigen Fitness

Vision für die Zukunft

Zusammenfassung

KAPITEL 7 Bewusstsein

Die Anfänge der wissenschaftlichen Erforschung

Welche Art von spirituellen Praktiken funktioniert?

Zwei spirituelle Strömungen in der Welt

Achtsamkeit und Herzlichkeit

Die Grenzen von Tierversuchen

Was ist Achtsamkeitsmeditation?

Achtsamkeitsmeditation und Neurogenese

Übungen in Hingabe und Mitgefühl

Neurogenese und Übungen in Hingabe und Mitgefühl

Liebe, das ultimative Mittel gegen Stress

Erneuerung des Bewusstseins

Visionen für die Zukunft

Zusammenfassung

KAPITEL 8 Bitte nicht bremsen: So beschleunigen Sie die Neurogenese

Gift Nr. 1: Entzündungen

Gift Nr. 2: Chronischer Stress

Gift Nr. 3: Schädigung durch äußere Einwirkungen

Gift Nr. 4: Deprivation

Visionen für die Zukunft

Zusammenfassung

KAPITEL 9 Fazit: Wege zum neurogenen Lebensstil

Das gute Leben

Anhang

Ein kurzer Rundgang durchs Gehirn

Wie das Gehirn wächst

Zusammenfassung

Glossar

Anmerkungen

Dank

KAPITEL 1

DIE NEUROGENESE-REVOLUTION

Ihr Leben kann um einiges reicher und großartiger werden, als es zurzeit ist! Wie wäre es, mehr Energie und ein besseres Gedächtnis zu haben? Jeden Morgen gut gelaunt und ausgeruht aufzustehen, bereit, sich den wie auch immer gearteten Herausforderungen des Tages zu stellen? Jüngste Fortschritte in der medizinischen Forschung haben dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt. Sie und jeder andere Mensch, den Sie kennen, verfügen über ein riesiges, brachliegendes Potenzial an unausgeschöpftem Leben. Um es anzapfen zu können, muss Ihr Gehirn jedoch auf seiner maximalen Leistungsstufe funktionieren.

Der Schlüssel, um dies zu erreichen, liegt in der Neurogenese, dem Prozess der Bildung neuer Neuronen, also Hirn- oder Nervenzellen. Durch die Neurogenese erneuert sich das Gehirn und steigert seine Leistung.

Die Entschlüsselung der Neurogenese gehört zu den revolutionärsten Fortschritten der Neurowissenschaften im vergangenen Jahrhundert. Obwohl noch großer Forschungsbedarf besteht, zeigen aktuelle Studien, dass der Prozess durch unsere individuelle Lebensweise beschleunigt und stimuliert werden kann. Die Neurogenese zu steigern heißt, unsere Herangehensweise an das Leben insgesamt zu optimieren – unser Denken, Fühlen und Handeln.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass hohe Neurogenese-Raten mit folgenden Leistungsmerkmalen einhergehen:

> gesteigerte kognitive Funktionen

> besseres Gedächtnis und schnelleres Lernen

> emotionale Vitalität und seelische Belastbarkeit

> Schutz vor Stress, Ängsten und Depressionen

> verbesserte Immunabwehr

> insgesamt gesteigerte Hirnfunktion

Wird die Neurogenese angeregt, verbessert sich unser alltägliches Leben in jeder Hinsicht, und es kommt zu einer radikalen Veränderung in der Art und Weise, wie sich der Alterungsprozess äußert und anfühlt.

Dieses Buch verrät, wie Sie in Ihrem Leben von diesem Phänomen profitieren können. Alle Informationen, die Sie brauchen, sind erstmals in einem Werk übersichtlich zusammengetragen.

Denken Sie an einen Moment, in dem es Ihnen richtig gut ging – in dem Sie voller Selbstvertrauen und im Fluss waren, exakt die passenden Worte fanden und ein Gefühl von innerer Weite und Offenheit empfanden; in dem Sie wussten, was zu tun ist, und es auch taten. Wenn Schwierigkeiten auftauchten, waren Sie sich sicher, diesen auch gewachsen zu sein und sie überwinden zu können. Und nun stellen Sie sich vor, Sie würden sich an jedem Tag so fühlen. Wie wäre es, Ihr Leben auf einem höheren Niveau fortzusetzen mit dem Gefühl, alles meistern zu können und in sich zu ruhen – vielleicht nicht zu hundert Prozent zu jeder Zeit, aber doch überwiegend? Dieses Buch will Ihnen beim Erreichen genau dieses Ziels helfen.

Jahrelange Recherchen sind in diese Seiten eingeflossen. Es galt, die Fachliteratur auf dem Gebiet der Neurowissenschaften zu durchforsten, alle relevanten Daten zu diesem Thema zu sammeln und miteinander zu verknüpfen, all die verstreuten, wertvollen Informationen auch aus weniger bekannten Fachzeitschriften herauszufiltern und dies alles in einer logisch nachvollziehbaren, prägnanten Form darzustellen. Was Sie in Händen halten, ist ein Überblick über die wichtigsten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Zeit. Es zeigt das ganze Potenzial an Möglichkeiten, das ein optimal funktionierendes Gehirn für unser Leben bietet. Sie werden bei der Lektüre eine radikal neue Auffassung vom Altern gewinnen und Ihre Lebensweise im Alltag völlig neu ausrichten. Vorbei sind die Zeiten, in denen wir passiv mit ansehen mussten, wie unsere Hirnleistung ab der Lebensmitte allmählich und im hohen Alter massiv schwindet. Ganz im Gegenteil! Wir werden niemals »den Zenit überschritten« haben, denn es gibt gar keinen Zenit, sondern bloß ein permanentes, laufendes Voranschreiten. Mithilfe dieses Buchs können Sie – ob mit 20 oder 30, ob in mittleren Jahren oder im hohen Alter – Ihre Neurogenese sogar noch verbessern, Ihre Hirnleistung steigern und auf diese Weise Ihr Leben insgesamt positiv verändern.

Sie können Ihr Gehirn in jedem Alter auf ein höheres Leistungsniveau bringen, als man es je für möglich hielt.

Die Neurogenese-Revolution in der Hirnforschung

Lassen Sie uns vor diesem Hintergrund zunächst die fünf bahnbrechenden Erkenntnisse oder Paradigmenwechsel in der Neurowissenschaft betrachten, die das Gehirn in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen.

ERKENNTNIS NR. 1:

Das Gehirn hört nie auf, Nerven- bzw. Hirnzellen zu bilden. Durch diesen Prozess der Neurogenese steigert es seine Leistungsfähigkeit und verbessert unsere Lebensqualität.

Wie ein Blick in die Hirnforschung des letzten Jahrhunderts zeigt, ging man bis in die späten 1990er-Jahre davon aus, dass das Gehirn mit dem Erreichen des Erwachsenenalters die Neubildung von Neuronen einstellt. Nach diesem Zeitpunkt, so die allgemeine Auffassung, erwartete uns nur noch eins: ein schleichender, unaufhaltsamer Verfallsprozess, bei dem zunächst allmählich, mit fortschreitendem Alter jedoch immer schneller Hirnzellen absterben und nicht mehr durch neue ersetzt werden. Dann aber stellten Wissenschaftler fest, dass dies gar nicht der Fall ist. Was war geschehen?

In den 1950er-Jahren fand man heraus, dass das Gehirn formbarer, anpassungsfähiger und flexibler ist, als man bis dahin gedacht hatte. Die sogenannte neurale Plastizität erlaubt, neue Verbindungen zwischen Nervenzellen herzustellen und Schäden, wie sie etwa durch ein Schädel-Hirn-Trauma oder einen Schlaganfall entstehen, bis zu einem gewissen Grad auszuheilen. In den vergangenen Jahrzehnten zeigte sich, dass die Anpassungsfähigkeit und Plastizität des Gehirns noch weit ausgeprägter sind, als zunächst angenommen wurde.

In dem Maß, wie in den 1980er- und 1990er-Jahren mit dem technologischen Fortschritt in der Neurowissenschaft immer bessere Untersuchungsgeräte entwickelt wurden, mehrten sich die Anzeichen dafür, dass auch bei älteren Säugetieren im Hippocampus neue Neuronen gebildet werden.

Es war damals bereits seit Langem bekannt, dass der Hippocampus an der Bildung neuer Erinnerungen beteiligt ist und eine wesentliche Rolle in rationalen Denkprozessen und der Erinnerung spielt. Schäden am Hippocampus führen zu kognitiven Defiziten und Gedächtnisproblemen. Dies ist in unzähligen Studien und bei der Erforschung entsprechender Verletzungen und

Erkrankungen hinlänglich nachgewiesen worden. Die AlzheimerKrankheit etwa zieht den Hippocampus massiv in Mitleidenschaft. Gleiches gilt für andere Formen der Demenz.

Wenn wir über die Fähigkeit verfügen, neue Gedächtnisinhalte zu bilden – was wir ja ein Leben lang tun –, bedeutet das, dass etwas Neues in unserem Gehirn geschehen muss; und das wiederum lässt auf das Vorhandensein einer gewissen Plastizität bzw. eines dynamischen Elements schließen. Diese Einsicht in Verbindung mit der sich abzeichnenden Möglichkeit einer Neurogenese im Erwachsenenalter nahm der Pionier der Neurowissenschaften, Dr. Fred Gage vom Salk Institute in San Diego/USA, zum Anlass, noch einmal ganz anders an die Erforschung des Hippocampus heranzugehen.1 Ende der 1990er-Jahre gelang es ihm, den definitiven Beweis dafür zu liefern, dass das menschliche Gehirn entgegen der nahezu ein Jahrhundert lang unangefochtenen Lehrmeinung auch im Erwachsenenalter in der Lage ist, neue Hirnzellen zu bilden.2 Diese bahnbrechende Erkenntnis wurde seither in zahlreichen Studien bestätigt.

Die von Gage gewonnenen Erkenntnisse brachten alles ins Wanken, was die Wissenschaft bis dahin über das Gehirn zu wissen glaubte.

Mit einem Schlag wurde mit zwei Mythen über das Gehirn und den Alterungsprozess aufgeräumt, die bis dahin als sakrosankte Tatsachen gegolten hatten.

MYTHOS:

Unser Gehirn hört auf zu wachsen, wenn wir Anfang 20 sind. Danach werden unsere Hirnzellen ständig weniger.

MYTHOS:

Altern ist gleichbedeutend mit einem Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit und des Erinnerungsvermögens. Ab der Lebensmitte geht es mit uns unaufhörlich bergab.

Die Entdeckung, dass unser Gehirn zeitlebens neue Neuronen bildet, räumt mit der Vorstellung auf, dass es mit dem frühen Erwachsenenalter zu wachsen aufhört. Gleichzeitig entzieht sie unserer gesamten Vorstellung vom Altern den Boden, denn wenn laufend neue Nervenzellen gebildet werden, kann sich das Gehirn erneuern. Das Entscheidende dabei ist, wie schnell sich die neuen Zellen bilden.

ERKENNTNIS NR. 2:

Die Neurogenese-Rate ist von Mensch zu Mensch sehr verschieden.

Es gibt enorme individuelle Unterschiede darin, wie rasch sich die Neurogenese vollzieht. Im Gehirn von manchen Menschen werden neue Neuronen auf Hochtouren, in dem anderer mittelschnell und in dem wieder anderer mit nur einem Fünftel der durchschnittlichen Geschwindigkeit produziert.

Die Neurogenese-Rate, also die Geschwindigkeit, mit der neue Nerven- bzw. Hirnzellen gebildet werden, kann folglich enorm variieren – und womöglich ist sie der allerwichtigste Faktor für eine gute Lebensqualität. Eine hohe Neurogenese-Rate lässt uns lebendig, engagiert und offen sein und versetzt uns in die Lage, unser Potenzial voll auszuschöpfen. Sie bringt uns intellektuell auf die Höhe und schenkt uns eine ausgeprägte emotionale Vitalität. Sie schützt uns vor Stress und Depressionen. Wir fühlen uns gut und empfinden unser Leben als erfüllend. Unsere Abwehrkräfte sind stark. Unsere Stimmung ist gut, und wir schauen positiv in die Zukunft.

Bei einer reduzierten Neurogenese-Rate hingegen schrumpft unser Gehirn, und unser Alltag verengt sich. Gedächtnisschwund und kognitive Defizite, Demenz, Stress und Ängste, Depressionen, exekutive Dysfunktion (d. h. eine eingeschränkte Fähigkeit, die Dinge des Alltags zu bewältigen), Abwehrschwäche und viele andere gesundheitliche Beeinträchtigungen können um sich greifen. Ist die Neurogenese verlangsamt, leidet unsere gesamte Lebensqualität. Dafür zu sorgen, dass sie auf hohem Niveau arbeitet, könnte der wichtigste Beitrag sein, um dauerhaft aus dem Vollen schöpfen zu können.

Unsere Lebensqualität hängt von der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns ab

Ein leistungsfähiges Gehirn zu haben ist nicht gleichbedeutend mit einem hohen IQ, künstlerischen Begabungen oder anderen besonderen Talenten. Die Frage lautet vielmehr, wie dynamisch, lebendig, beweglich und wachstumsbereit unser Gehirn ist. Bei einer hohen Neurogenese-Rate gewinnt es durch die Neubildung von Neuronen an jugendlicher Vitalität.

ERKENNTNIS NR. 3:

Unsere Neurogenese-Rate hat unmittelbaren Einfluss auf unsere Lebensqualität.

Unsere Lebensqualität verändert sich direkt proportional zu unserer Neurogenese-Rate. Ist diese hoch, bringt uns das massive kognitive, emotionale und körperliche Vorteile ein. Im Gegensatz dazu wurde in Studien immer wieder nachgewiesen, dass eine eingeschränkte Neurogenese mit einer verringerten Kognition einhergeht; mit Gedächtnisproblemen, Stressanfälligkeit, Ängsten und Depression; mit emotionaler Instabilität und einer Gesamtbeeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit.3

Mit anderen Worten, folgende Fakten sind wissenschaftlich eindeutig belegt:

> Ist unsere Neurogenese-Rate hoch, fühlen wir uns ausgesprochen gut.

> Liegt unsere Neurogenese-Rate im Normalbereich, fühlen wir uns einigermaßen gut; es geht uns normal – durchschnittlich eben.

> Bei einer niedrigen Neurogenese-Rate stellen sich Ängste, Stress, Depressionen, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Abwehrschwäche, Gedächtnisprobleme und kognitive Defizite ein. Es geht uns alles andere als gut.

Grob gesagt kann alles, was unser Gehirn nährt und die Neurogenese verbessert, als neurostimulierend und alles, was ihm schadet und die Neurogenese verlangsamt, als neurotoxisch bezeichnet werden. Was wir für Symptome des »normalen Alterns« halten, ist in Wirklichkeit das Ergebnis eines neurotoxischen Lebensstils, der das Gehirn sehr viel deutlicher und schneller verfallen lässt, als es sein müsste.

Normalerweise verlangsamt sich die Neurogenese in der Lebensmitte, stabilisiert sich dann auf diesem Niveau und nimmt in höherem Alter noch einmal ab. Aber das muss nicht zwangsläufig so sein. Neurowissenschaftler haben vor Kurzem entdeckt, dass die Neurogenese bei richtiger Stimulation in jedem Alter verbessert werden kann. In der Tat lässt sie sich so dramatisch steigern, dass unsere kognitiven Leistungen, unsere Stimmung und unser Gesundheitszustand insgesamt einen massiven Schub erleben.

Obwohl die Erforschung des Potenzials, der praktischen Umsetzungsmöglichkeiten und funktionalen Aspekte noch ganz am Anfang steht, könnte die Neurogenese-Rate durchaus zum biologischen Indikator oder Biomarker für die Hirnfunktion und unsere emotionale wie körperliche Verfassung werden.4 Sie scheint darüber hinaus nicht nur eine Messgröße für unsere kognitive Leistungsfähigkeit und Anfälligkeit gegenüber Stress und Depressionen zu sein, sondern angesichts der engen Verbindung zwischen unserem Gehirn und unserem Herz-Kreislauf-System möglicherweise sogar Rückschlüsse auf unsere Herzgesundheit zuzulassen.

Wissenschaftlicher Durchbruch bei der Verbesserung der Hirnleistung

Das Wissen, dass laufend neue Neuronen gebildet werden können und auch gebildet werden, hat unser Verständnis vom Gehirn revolutioniert. Es geht nicht nur darum, dessen beste Jahre möglichst in die Länge zu ziehen, sondern tatsächlich dessen Leistung zu steigern. Das ist etwas, was man bislang für ein Ding der Unmöglichkeit hielt.

ERKENNTNIS NR. 4:

Wir können unsere Neurogenese-Rate altersunabhängig um das Drei- bis Fünffache steigern – nicht nur als junge Menschen, auch in mittleren oder späten Jahren. Ob mit 20 oder 30, ob in der Mitte unseres Lebens, ob mit 60, 70 oder später, unsere Hirnleistung lässt sich jederzeit auf ein höheres Niveau bringen.

Wir können unsere geistige Flexibilität und Gedächtnisleistung verbessern. Ein hohes Alter muss nicht zwangsläufig in eine Abwärtsspirale münden. Bei der Einbuße an Lebensqualität, Erinnerungsvermögen und seelischer Belastbarkeit, die normalerweise mit dem Altern assoziiert wird, handelt es sich in Wirklichkeit um nichts anderes als die Nebenwirkungen eines neurotoxischen Lebens- und Ernährungsstils. Es muss nicht so weit kommen!

MYTHOS:

Unsere Gene bestimmen, wie wir altern und wie lange unser Gehirn leistungsfähig bleibt.

MYTHOS:

Wir erreichen in unseren 20ern und 30ern den Höhepunkt unserer geistigen Leistungskraft. Jenseits der Lebensmitte können wir nichts mehr tun, um fitter im Kopf zu werden.

Wir wissen heute, dass bestimmte Faktoren in unserer Ernährung und unserem Lebensstil einen weit signifikanteren Einfluss haben als unser genetisches Erbe. Weil diese Erkenntnisse so neu sind, ist noch unerforscht, wo genau die Obergrenze des erfolgreichen Alterns verläuft. Wir wissen noch nicht, was alles möglich ist!

Ein Experiment, das die Welt verändert hat

In den ersten Jahren nach der Entdeckung der Neurogenese gingen Wissenschaftler der Frage nach, ob es möglich ist, dem Prozess »auf die Sprünge zu helfen« und die Neubildungsgeschwindigkeit von Neuronen zu steigern. Dr. Fred Gage schuf eine »anregende Umgebung« für Mäuse. Er stattete die Käfige mit Laufrädern aus, richtete darin spezielle Bereiche zum Erkunden ein, stellte Nestbaumaterialien zur Verfügung, sorgte für Artgenossen, mit denen die Tiere in Interaktion treten und sich paaren konnten, und schuf eine Vielzahl von sensorischen Erfahrungsmöglichkeiten. Als Gage und sein Team die Auswirkungen beobachteten, waren sie selbst überrascht. Mäuse einer »anregenden Umgebung« auszusetzen beschleunigte die Neurogenese um das Vier- bis Fünffache.5

In dem Hirnareal, in dem neue Nervenzellen gebildet werden können, wuchs deren Zahl von 300000 auf 350000. Es waren also 50 000 neue Neuronen hinzugekommen. Dies entspricht einem Sechstel der Nervenzellen, über die ein normales Mäusehirn verfügt.

Was vielleicht noch verblüffender ist als die schiere Masse an neuen Neuronen, war der bemerkenswerte Effekt, den der festgestellte Zuwachs auf die Fähigkeiten der Tiere hatte. Die Mäuse mit den zusätzlichen neuen Hirnzellen waren den Vergleichstieren mit normaler Neurogenese-Rate im Hinblick auf ihre kognitiven und Gedächtnisleistungen deutlich überlegen. Sie konnten sich besser erinnern und Aufgaben schneller lösen, und sie wiesen insgesamt eine deutlich bessere Kognition auf. Mit anderen Worten: Sie waren cleverer.

Außerdem verfügten diese Mäuse über weitaus mehr emotionale Ressourcen. Sie waren widerstandsfähiger gegenüber emotionalen Belastungen. Natürlich waren sie nicht absolut davor gefeit, aber ihre Anfälligkeit gegenüber Ängsten, Stress und Depressionen war drastisch reduziert. Sie als »Supermäuse« zu bezeichnen mag übertrieben sein, aber fest steht, dass ihre Fähigkeiten deutlich über dem Durchschnitt lagen. Sowohl kognitiv als auch emotional waren sie den normalen Vergleichstieren eindeutig überlegen.

Womit die Wissenschaftler ebenfalls nicht gerechnet hatten, war, dass sich dieses Phänomen zuverlässig bei Mäusen unterschiedlichsten Alters beobachten ließ. Waren die Tiere beim Umzug in die anregende Umgebung in mittlerem Alter, erhöhte sich ihre Neurogenese-Rate um das Fünffache;6 waren sie alt, verbesserte sie sich um das Drei- bis Fünffache.7

Noch überraschender war, wie sehr es darauf ankam, die Umgebung auf möglichst vielfältige Weise anregend zu gestalten. Unter normalen Bedingungen sterben 60 bis 70 Prozent aller neu gebildeten Neuronen wieder ab. In einer anregenden Umgebung hingegen zeigte sich, dass beinahe alle überleben und sich entwickeln konnten. Die Veränderung des Lebensstils insgesamt und nicht nur eines einzelnen Aspekts brachte dieses erstaunliche Phänomen hervor.

Reproduzierbare Ergebnisse

Dieses Experiment ist von zahlreichen anderen Forschern viele Male erfolgreich reproduziert worden. Neurowissenschaftler haben zudem die anregende Umgebung in Einzelaspekte aufgegliedert, um zu untersuchen, wie genau sich unterschiedliche äußere Stimuli auf die Neurogenese auswirken. Manche Dinge – bestimmte Aufgaben etwa – regen die Bildung neuer Nervenzellen an; andere – etwa neue sensorische Erfahrungsmöglichkeiten – verhindern, dass neu gebildete Synapsen wieder gekappt werden oder Neuronen absterben.

Diese aufregenden Erkenntnisse werfen ein völlig neues Licht auf die Entwicklung und den Alterungsprozess des Gehirns. Sie sind so neu, dass es noch großen neurowissenschaftlichen Forschungsbedarf gibt, um sie in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Wir wissen nicht, wie Kindheit, Jugend und junges Erwachsenenalter optimalerweise aussehen sollten. Noch hat niemand versucht, bei Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen die Neurogenese zu beschleunigen.

Wir wissen nicht, wie die mittlere Lebensphase optimalerweise aussehen sollte. Bis vor Kurzem war nicht einmal bekannt, dass es so etwas wie eine Neurogenese gibt. Auch wusste niemand, dass sie sich in der Lebensmitte zwar verzögert, aber auch wieder beschleunigen lässt.

Und wir wissen nicht, wie das Leben im höheren Alter optimalerweise aussehen sollte. Was wir aber sehr wohl wissen, ist, dass wir uns die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns ein Leben lang bis weit in unsere 80er und 90er (und hoffentlich darüber hinaus) bewahren können.

Dieses Wissen ist so brandneu, dass die positiven Auswirkungen auf den Alterungsprozess erst noch umfassend untersucht werden müssen. Da die Ernährung und der Lebensstil einer Frau Einfluss auf die Neurogenese-Rate des von ihr geborenen Kindes hat, wird es zudem über 100 Jahre dauern, bis wir wissen, wo genau die Obergrenze des erfolgreichen Alterns liegt. Wir befinden uns mitten in einer Revolution der Hirnforschung, deren Ausgang nicht einmal unsere Kinder miterleben werden.

Wie könnte ein anregenderes Umfeld für uns Menschen aussehen – in der frühen Kindheit und Jugend, mit 20 oder 30? In mittleren Jahren? Im Alter? Wir werden es bald sehen. Erst jetzt, zu diesem Zeitpunkt der Geschichte, ist es uns möglich zu sagen, wie wir die Neurogenese und damit unsere Hirnleistung steigern können, um klüger, fitter im Kopf und seelisch belastbarer zu werden.

Doch diese Erkenntnisse sind noch lange nicht endgültig. Das Wissen um diese Zusammenhänge wächst rasant. Seit der Entdeckung der Neurogenese-steigernden Auswirkungen einer anregenden Umgebung wurden weitere Faktoren und eine ganze Reihe von Nährstoffen entdeckt, die den gleichen Effekt haben. Wie werden sich solche Forschungsergebnisse auf die Gestaltung einer noch anregenderen Umgebung auswirken? Kann das in diesem Buch vorgestellte Programm die Neurogenese im Optimalfall um das Acht- bis Zehnfache steigern? Um das 20-Fache? Wir können es schlicht nicht sagen. Die Wissenschaft ist einfach noch nicht so weit.

Doch in dem Maße, wie die Forschung voranschreitet und ein neurostimulierender Lebensstil eine wachsende Zahl von Anhängern findet, wird unser gesamter Planet einen kognitiven und emotionalen Schub erleben. Wenn immer mehr Menschen die in diesem Buch vorgestellten Strategien für sich entdecken und sich zu eigen machen, könnte es durchaus passieren, dass sich diejenigen ins kognitive Aus begeben, die sie ignorieren und das Potenzial ihres Gehirns nicht zur Gänze ausschöpfen.

Es sieht so aus, als stünde uns allen das Beste noch bevor. Eins steht fest: Wir können jederzeit damit anfangen, unser Gehirn zu verändern und damit unsere Lebensqualität auf nachhaltige Weise zum Positiven zu wenden. Es ist nie zu früh – aber auch nie zu spät.

Weg mit dem Mythos des Serotoninmangels bei Depressionen!

Dass der Hippocampus und die Neurogenese in den Fokus der Wissenschaft rückten, war im Prinzip reines Glück. Am Anfang nämlich standen Untersuchungen zu einer ganz anderen Fragestellung. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass Depressionen mit einer verminderten Neurogenese in Verbindung stehen.

Im Jahr 2000 untersuchte die in Yale tätige Wissenschaftlerin Dr. Jessica Malberg die neuralen Effekte von Antidepressiva. Dabei stellte sie zu ihrer Überraschung fest, dass eine bestimmte Klasse von Medikamenten, die sogenannten selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs vom Englischen selective serotonin reuptake inhibitors), wie etwa Fluctin, die Neurogenese anregen.8 Diese Entdeckung führte dazu, noch einmal völlig neu über Depressionen nachzudenken. War etwa die Neurogenese und nicht das Serotonin der Schlüssel zu ihrer Behandlung?

Bis zu diesem Zeitpunkt galt gemeinhin als gesichert, dass ein »Serotoninmangel« Depressionen auslöst und dieser mit der Gabe von SSRIs wie Prozac ausgeglichen werden kann. Antidepressiva dieser Arzneistoffklasse hatten die moderne Biopsychiatrie im Sturm erobert. Zum Zeitpunkt von Malbergs Entdeckung belegten sie weltweit Platz zwei auf der Rangliste der Arzneimittelverordnungen. Im Jahr 2013 verbuchten die großen Pharmaunternehmen mit SSRIs einen Umsatz von über 15 Milliarden US-Dollar.

Obwohl die Mittel bei weniger als 50 Prozent aller Patienten den gewünschten Erfolg brachten und oft unerwünschte Nebenwirkungen hatten – viele Patienten klagten etwa über den Verlust der Libido –, wurden Prozac & Co. in der Psychiatrie binnen kürzester Zeit als die großartigste Sache seit der Erfindung von Schnittbrot und der Einstufung von Depressionen als biologisches Geschehen gefeiert. Nun drohte Malbergs Studie, der gesamten Theorie vom »Serotoninmangel« den Boden zu entziehen.

Die Ergebnisse weiterer Untersuchungen auf der Basis von Malbergs Arbeit und von Studien zur Erforschung des menschlichen Serotoninspiegels schienen sich ebenfalls nicht mit der Erklärung von Depressionen als Folge eines »Serotoninmangels« in Einklang bringen zu lassen, und so stand diese Theorie Anfang der 2000er-Jahre von mehreren Seiten unter Beschuss. Nur in wenigen Untersuchungen war bei Depressiven überhaupt ein verminderter Serotoninspiegel festgestellt worden. Bei den Patienten der meisten anderen Studien war dieser normal, wenn nicht sogar erhöht gewesen. Senkte man ihn bei Probanden zu Forschungszwecken ab, zog dies zudem so gut wie nie Symptome von Depressionen oder andere Auswirkungen auf die Stimmung nach sich.

Außerdem kam um diese Zeit eine neue Generation von Antidepressiva auf den Markt, die nicht auf den Serotoninstoffwechsel abzielten und nicht minder wirksam waren, die sogenannten Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NRIs vom Englischen noreprinephrine reuptake inhibitors) oder Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRIs vom Englischen noreprinephrine dopamine reuptake inhibitors). Dass sie funktionierten, schien die Theorie vom »Serotoninmangel« endgültig zu widerlegen. Wie wollten deren Verfechter die Wirksamkeit dieser neuen Arzneimittelgeneration erklären, wenn sie gar keinen Einfluss auf den Serotoninspiegel hatte?

2003 folgten Schlag auf Schlag zwei Hinweise, die Serotonin endgültig von der Hauptrolle im Depressionsgeschehen zum Statisten degradierten. Zum einen stellte man fest, dass es bei Patienten innerhalb weniger Stunden nach der Einnahme eines SSRI-Präparats zu einem drastischen Anstieg der Serotoninwerte kommt. Bis sich eine Veränderung der Stimmungslage einstellt, dauert es jedoch normalerweise mindestens drei bis vier Wochen. Wenn der Serotoninmangel wirklich von so zentraler Bedeutung wäre, müsste sich bei dessen Ausgleich dann nicht sofort eine Besserung der Symptome einstellen? Wie sich zeigte, entspricht die Verzögerung von drei bis vier Wochen genau der Zeit, die neue Nervenzellen zum Heranreifen und Entfalten ihrer vollen Funktionsfähigkeit brauchen. Dies deutet darauf hin, dass die Neurogenese der zentrale Wirkmechanismus von SSRIs ist.

MYTHOS:

Bei Depressionen handelt es sich um ein biologisches Krankheitsgeschehen, das durch einen niedrigen Serotoninspiegel ausgelöst wird. Um sie zu behandeln, müssen Patienten lebenslang SSRIs einnehmen.

Den zweiten Hinweis lieferte eine bahnbrechende Studie aus dem Labor von Dr. René Hen von der Columbia University. Im Rahmen ihrer Habilitationsarbeit verabreichte die dort tätige Forscherin Dr. Luca Santarelli depressiven Mäusen ein SSRI-Präparat, um den Serotoninspiegel anzuheben, unterband aber gleichzeitig die Neurogenese. Es konnten keine Veränderungen am Grad der Depression festgestellt werden. Dieses Experiment, das mittlerweile mehrfach reproduziert wurde, lieferte den Beweis dafür, dass Antidepressiva dieser Wirkstoffklasse ohne Neurogenese unwirksam sind.9 Die Depressionserscheinungen klingen nur dann ab, wenn die Neurogenese gesteigert wird. Das erklärt auch, warum NDRIs und NRIs funktionieren: Sie wirken neurostimulierend.

Die Theorie vom »Serotoninmangel« löste sich in Luft auf, als in Dutzenden von Folgestudien nachgewiesen wurde, dass die Neurogenese die Hauptrolle im Depressionsgeschehen spielt. Serotonin ist nur einer von über 20 Neurotransmittern, die sich auf unsere Stimmungen und Emotionen auswirken. »Serotoninmangel« war von Anfang an eine allzu schlichte Erklärung, doch gerade in dieser Einfachheit lagen wohl der Reiz und die Vermarktbarkeit. Mittlerweile wurde sie von einem komplexeren Verständnis des Depressionsgeschehens abgelöst, bei dem die Neurogenese im Vordergrund steht.

Mit der umfassenden Erforschung der Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten von Depressionen rückten die Neurogenese und der Hippocampus mehr und mehr in den Fokus der Wissenschaft. In unzähligen Studien kristallisierte sich heraus, dass die Geschwindigkeit, mit der sich die Neurogenese im Gehirn eines Menschen vollzieht, immense Auswirkungen auf alle Aspekte seines Lebens hat.

Ein »Jungbrunnen« für das Gehirn

Bei den meisten Menschen nimmt die Neurogenese ab einem Alter von 30 bis 35 Jahren ab. Bei vielen sinkt sie bis zum 40., 50. oder 60. Lebensjahr so dramatisch, dass dies spürbare Auswirkungen auf die geistige Fitness hat. Vermindert sich die Neurogenese, geht es mit der Lebensqualität sehr rasch bergab. Mögliche Folgen sind unter anderem:

> Gedächtnisverlust

> kognitive Beeinträchtigungen

> chronischer Stress, Nervosität und Ängste

> Depressionen

> Verminderung der seelischen Belastbarkeit, Traumata

> geschwächte Immunabwehr, chronische Erkrankungen

> exekutive Dysfunktion (d. h. eine verminderte Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen)

> Vitalitätsverlust, Trägheit

> Demenz

Im Gehirn ausgewachsener Säugetiere werden neue Hirnzellen in zwei bestimmten Regionen gebildet: im olfaktorischen Bulbus (dem Riechkolben), in dem Gerüche wahrgenommen werden, und im Hippocampus, dem Areal, das für die Bildung neuer Erinnerungen (Kognition), die Verortung des Körpers im Raum (Sensorik) und die Stimmungsregulation (Emotionen) zuständig ist. Letzterer birgt den Schlüssel zur Steigerung der Hirnleistung.

ERKENNTNIS NR. 5:

Wir können auf einem sehr viel höheren Leistungsniveau funktionieren, als man es je für möglich hielt. In jedem Alter können wir an Klugheit, Erinnerungsvermögen, Schwung und Lebendigkeit gewinnen, uns vor Depressionen schützen und unsere Anfälligkeit gegenüber Stress vermindern. Noch wissen wir nicht, bis in welche entlegenen Grenzbereiche unseres Gehirns sich unser Potenzial durch eine Stimulierung der Neurogenese ausdehnen lässt.

Der sogenannte normale Alterungsprozess ist das Nebenprodukt einer Akkumulation von Neurotoxinen, die die Neurogenese behindern. Zwischen neurotoxischem und neurostimulierendem Altern liegt ein Unterschied wie Tag und Nacht. Aktuelle Forschungen zeigen, dass sich das Gehirn in jedem Alter erneuern kann, und die Quelle, aus der sich dieser Erneuerungsprozess speist, ist die Neurogenese. Ihre Neurogenese-Rate entscheidet darüber, ob Sie sich gut oder schlecht, lebendig und jung oder festgefahren und depressiv fühlen.

Wir können nachgewiesenermaßen bestimmte Dinge tun, um unsere Neurogenese anzuregen – und zwar in jedem Alter. Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Planeten wissen wir, dass sich die Neubildung von Neuronen durch die bewusste Entscheidung für eine bestimmte Lebensweise beschleunigen lässt.

Eine gesteigerte Neurogenese schützt vor Stress, Ängsten und Depressionen und verbessert gleichzeitig die kognitiven Leistungen und die Lernfähigkeit. Die Neurogenese-Rate ist der Schlüsselindikator für unsere persönliche Lebensqualität.

Wie das Gehirn mit der Welt in Beziehung tritt, ist entscheidend

Wie wir gesehen haben, ging die Neurogenese bei Mäusen, die man in einem reizarmen, durch Stress, Eintönigkeit oder Isolation geprägten Umfeld hielt, schleppend voran. Als Symptome stellten sich Depressionen, Lethargie, Ängste, der Einstieg in negative Stresskreisläufe, ein erlahmender Forschungstrieb, Abwehrschwäche, mangelndes Interesse an normalerweise als angenehm erlebten Aktivitäten, kognitive Beeinträchtigungen, Gedächtnisdefizite und Gesundheitsprobleme ein.10

Toxische Beziehungen oder chronischer Stress lösen Ängste und Depressionen aus und lassen sogar Hirnzellen absterben. Setzen wir unser Gehirn einer reizarmen, kargen, langweiligen Umgebung aus, stumpft es unter dem Einfluss dieses neurotoxischen Umfelds ab und wird träge. Ernähren wir uns schlecht, läuft unser Gehirn auf Sparflamme. Ist unsere Neurogenese verlangsamt, fühlen wir uns unwohl. Das Leben erscheint uns grau in grau, bedrohlich, traurig und hohl. Ein neurotoxischer Lebensstil lässt uns hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben; wir sind weniger fit im Denken und weniger kreativ, und unsere Problemlösungsfähigkeiten leiden.

Ist die Neurogenese beeinträchtigt, verlangsamt sich alles in unserem Leben und erstirbt. Unsere Welt wird kleiner und festgefügter und erstarrt in ihren Routinen, während wir uns in den engen, ewig gleichen Bahnen bewegen. Es fehlt uns der frische Schwung, den eine funktionierende Neurogenese mit sich bringt.

In zahlreichen Studien wurden Depressionen, Demenz, eine verminderte Immunabwehr, Gedächtnisschwäche, Ängste und Stress, Herzkrankheiten, Krebs, Autoimmunerkrankungen, der Verlust von Vitalität, Lebensfreude und einem Gefühl von Sinnhaftigkeit mit einer reduzierten Neurogenese in Zusammenhang gebracht. Die Beweise sind eindeutig: Durch eine verminderte Neurogenese verschlechtert sich unsere Lebensqualität.

Neurogenese als Schlüssel zu einer besseren Lebensqualität

In diesem Buch kreist alles um die Frage, wie sich die Neurogenese so anregen und steigern lässt, dass unser Gehirn zu einem sich stets erneuernden Quell an übersprudelnder Vitalität wird. Ein neurostimulierender Lebensstil führt zu einem erfüllten Leben. Er verleiht Energie, Gesundheit und das Gefühl der emotionalen Verbundenheit zu anderen und unserer eigenen inneren Mitte. Wir sind vital, lebendig und in Kontakt mit dem Leben.

Ein neurotoxischer Lebensstil hingegen lässt das Gehirn rapide verfallen. Ist es schädlichen Einflüssen ausgesetzt – ob in Form von Umweltgiften, belastenden Beziehungen, einer reizarmen Umgebung, finanziellen Sorgen oder Nährstoffmangel –, macht es die Schotten dicht, um sich zu schützen. Dieser Rückzug und die daraus folgende reduzierte Neurogenese, die in Depressionen und Stillstand mündet, sind also natürliche Gegenreaktionen auf toxische Einflüsse. Alles erscheint eingefahren, im Abbau begriffen und mechanisch, da sich alle Abläufe in denselben neuralen Bahnen wiederholen und in einer Spirale der Entropie auf Depression und Tod zusteuern.

Natürlich trinken wir den Giftbecher nicht bewusst aus. Warum sollten wir unser Gehirn absichtlich vergiften? Wir lassen uns einfach in die neurotoxischen Muster unserer Umwelt verstricken und schaden auf diese Weise, ohne es zu merken, unserem Gehirn und unserer Gesundheit.

Dieses Buch zeigt Wege auf, wie Sie sich von neurotoxischen Mustern verabschieden und zu einer neurostimulierenden Lebensweise finden können. Manche Teile der »Landkarte« erschließen sich jedoch nicht auf die Schnelle. Manchmal braucht es etwas Zeit, um nachzudenken und zu reflektieren, denn nur so lässt sich durchschauen, wie tückisch und mit eigentlich gesunden Strängen verflochten manche dieser neurotoxischen Muster sein können. In dem Maße aber, wie Sie sich zunehmend mit dem Thema befassen, schält sich der Weg immer klarer heraus, sodass es zunehmend leichter wird, ihm zu folgen.

Eine neurostimulierende Perspektive wirft ein Licht auf den Weg, der vor uns liegt. Sie sorgt für innere Ausgeglichenheit und schafft die Voraussetzungen dafür, neue Situationen einschätzen zu können. Sie erlaubt dem Gehirn, ein Maximum an Klarheit, Offenheit, Kreativität, Liebe, authentischer Nähe und einer tiefen, erfüllenden Verbundenheit mit dem Leben zu empfinden, und bietet ihm so den Rahmen zur Entfaltung seines ganzen Potenzials.

Ein einzigartiger Moment in der Geschichte

Erst jetzt können wir dank des wissenschaftlichen Fortschritts und fachübergreifenden Zusammenwirkens verschiedener Forschungsrichtungen mit einiger Gewissheit und Genauigkeit sagen, was gesund und neurogen (d. h. die Neurogenese stimulierend) und was ungesund und neurotoxisch ist.

Die neuesten Erkenntnisse aus Neurowissenschaft, Ernährungsforschung, Tiefenpsychologie, Säuglingsforschung, kognitiven Wissenschaften, interpersoneller Neurobiologie, Biochemie, spirituellen Disziplinen sowie Neuroimaging-Verfahren, also bildgebenden Untersuchungsmethoden, geben uns in der Kombination eine Vorstellung davon, wie ein optimal funktionierendes Gehirn aussieht. Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von der sogenannten Hirnkartierung, auch Brain Mapping genannt – einer Technologie, deren Entwicklung sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft insgesamt ein revolutionärer Fortschritt ist.

Zweifellos wird mit dem Voranschreiten des wissenschaftlichen Erkenntnisstands das Wissen, über das wir heute verfügen, laufend weiter verfeinert und neu justiert. Eine Vielzahl ständig neuer Entdeckungen macht Gesundheit zu einem beweglichen Ziel. Aber was wir bereits heute wissen, genügt, um zu begreifen, wie wichtig es ist, jetzt zu handeln. Je länger wir warten, desto schlechter sieht die Lage für uns als Individuen und als Spezies insgesamt aus.

Je eher wir uns auf einen neurostimulierenden Lebensstil auszurichten beginnen, desto gesünder sind wir, desto mehr Freude, Vitalität und Liebe erleben wir; und desto schneller verabschiedet sich unsere Welt von ihrem neurotoxischen Weg, um sich auf den Kurs von wachsender Verbundenheit und Gesundheit zu begeben.

Wie genau ein wohl abgerundetes Gehirn und ein ausgeglichener Lebensstil im Einzelnen aussehen, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Es gibt kein für alle funktionierendes Patentrezept. Jedes Gehirn ist einzigartig und bringt eine außerordentlich komplexe individuelle Persönlichkeit hervor. Wir sind kein Typus, sondern einzigartig.

Die Neurowissenschaft ist zu wichtig, um sie den Neurowissenschaftlern zu überlassen

Ich selbst lehre seit über 30 Jahren Psychologie, und doch bin ich seit Langem der Überzeugung, dass die Psychologie zu wichtig ist, um sie den Psychologen zu überlassen. Jeder muss Zugang zu ihr haben. Das Gleiche gilt für die Neurowissenschaft.

Auch deren jüngste Erkenntnisse müssen allen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Man darf sie nicht in Fachjournalen begraben, wo sie allenfalls von anderen Neurowissenschaftlern derselben Fachrichtung gelesen werden. Die Möglichkeiten zur Steigerung der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns sind grandios. Trotzdem finden nur sehr wenige dieser Informationen ihren Weg in die Massenmedien, geschweige denn ins Bewusstsein einer breiten Bevölkerung.

Dass dies so ist, hat mit dem Problem der zunehmenden Spezialisierung zu tun: Experten tauschen sich mit anderen Experten desselben Fachgebiets aus. Das Wissen bleibt in den wissenschaftlichen Zeitschriften und gelangt nicht in die Welt hinaus. Es solchermaßen nach Einzeldisziplinen zu zerstückeln ist einerseits ein Segen, denn es erlaubt ein detaillierteres Verständnis, aber andererseits ein Fluch, denn das große Ganze kann allzu leicht aus dem Blick geraten.

Ich bin Professor für Psychologie und klinischer Psychologe. Ich lehre Neurowissenschaften auf Hochschulniveau, und obwohl ich kein Neurowissenschaftler bin, verfolge ich seit Jahrzehnten fasziniert die rasante Entwicklung, die das Gebiet genommen hat. Es gab unzählige Fortschritte, Entdeckungen und einen nie dagewesenen Wissenstransfer zwischen Forschern rund um den Globus. Dem breiten Publikum ist jedoch ein Großteil der Informationen über die Neurogenese verborgen geblieben, da es in PubMed-Abstracts ruht, die nur innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinde gelesen werden.11 Angesichts der revolutionären Auswirkungen, die die Neurogenese auf uns und unser Leben hat, reifte in mir der Entschluss, diese Erkenntnisse einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Der Mythos von der Zauberpille zur Gesunderhaltung des Gehirns

Wir alle haben ein Faible für simple Rezepte: Man nehme diese Pille oder schlucke jenes neue Nahrungsergänzungsmittel … Auch in Ratgebern werden viele relativ einfache Möglichkeiten angeboten, um unser Leben zum Besseren zu wenden. Dies hier ist jedoch kein Ratgeber im üblichen Sinn, denn im Hinblick auf das Gehirn ist so gut wie gar nichts einfach.

So etwas wie einen schlichten Plan, um im Kopf gesund zu bleiben, gibt es nicht. Es kann ihn nicht geben. Das Thema ist viel zu komplex und erfordert eine vielschichtige Herangehensweise. Unser ganzes Hirn ist gefragt, um unser gesamtes Hirn zu stimulieren.

Die Fitness im Kopf ist der Schlüssel zu jeglicher Form von Gesundheit – physisch, emotional, mental und spirituell. Ausgehend von den aktuellen Statistiken müssen 50 Prozent der Erwachsenen ab einem Alter von 85 Jahren damit rechnen, die Diagnose Alzheimer gestellt zu bekommen, die durch einen dramatischen Verlust an Nervenzellen speziell im Hippocampus gekennzeichnet ist. Da die Mehrzahl der heute lebenden Erwachsenen eine Lebenserwartung von über 85 Jahren hat, stehen ihre Chancen, die Krankheit zu bekommen, damit bei etwa 50:50. Welchen Sinn macht es, den Körper länger am Leben zu erhalten, wenn der Kopf nicht mehr funktioniert?

Älter zu werden muss nicht gleichbedeutend mit dem Einstieg in eine Abwärtsspirale sein. Es kann bedeuten, weiser, tiefgründiger, kreativer, interessanter und interessierter, freudvoller, friedlicher und wacher für den gegenwärtigen Augenblick zu werden und sich insgesamt zu einem liebevolleren Menschen zu entwickeln. Damit dies geschehen kann, müssen wir unsere Hirnkapazität erneuern und verbessern, und damit sind wir bei der Neurogenese.

Ohne eine Veränderung unserer Werte und unseres Lebensstils wird die moderne Gesellschaft noch neurotoxischer werden. Infolgedessen wird es noch mehr Stress, Depressionen, Folgeerkrankungen wie Immunschwäche, Fettleibigkeit, Diabetes, Alzheimer und Demenz, ADS/ADHS, Autismus und andere Formen von zerebraler Dysfunktion geben. Wenn wir aber wissen, was zu tun ist, lässt sich dies alles vermeiden. Betrachten Sie dieses Buch als einen Leitfaden zum gesunden Altern.

Unser Gehirn will benutzt sein, sonst geht es uns verloren. Das Gehirn einzusetzen heißt, so zu leben, dass es auf allen Ebenen gefordert wird.

Vision für die Zukunft

In Zukunft werden wir hoffentlich ein so umfassendes Verständnis vom Phänomen der Neurogenese gewinnen, dass neurodegenerative Krankheiten und Rückenmarksverletzungen mit Lähmungsfolgen nicht nur behandel-, sondern heilbar sind. Heute, in der »schlechten alten Zeit« der frühen Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts, gibt es noch nicht die Möglichkeit, einmal verlorenes Hirngewebe zu regenerieren. Mit zunehmendem Wissen über die neurogenen Prozesse wird es jedoch irgendwann möglich sein, das schnelle Absterben von Nervenzellen bei Alzheimer-Patienten nicht nur zu stoppen, sondern deren Neubildung so anzuregen, dass die kognitiven Fähigkeiten wiederhergestellt werden.

Bei Parkinson wird man in der Lage sein, den Verlust an dopaminergen Neuronen zu stoppen und anschließend die Neurogenese so zu stimulieren, dass die Art von Nervenzellen ganz gezielt neu gebildet werden, die das Gehirn als Ersatz für die verloren gegangenen braucht, damit es die normale körperliche Motorik wiederherstellen kann.

Weitere neurodegenerative Erkrankungen wie multiple Sklerose (MS), Amyotrophe Lateralsklerose (ALS; Lou-Gehrig-Syndrom), die Chorea Huntington sowie andere Formen von Demenz werden in dem Maße heilbar werden, wie es gelingt, den Prozess der Neurogenese zu entschlüsseln.

Verletzungen des Rückenmarks, die Patienten heute zu einem Leben als Querschnittgelähmte oder Tetraplegiker verurteilen, werden vorübergehende, behandelbare Krankheitsbilder sein. Mit zielgerichteter Neurogenese können die Neuronen in geschädigten Bereichen des Rückenmarkskanals neu gezüchtet werden. Man wird in Zukunft kaum noch Rollstühle sehen, da diese lediglich für eine kurze Übergangszeit gebraucht werden, bis Patienten ihre volle Bewegungsfähigkeit zurückerlangt haben. Kurzum, die Forschungen zur Stimulierung der Neurogenese versprechen beinahe grenzenlose Möglichkeiten, die in ihrer praktischen Umsetzung die Welt verändern können. Die Zeit wird zeigen, wohin die Reise geht.

„ZUSAMMENFASSUNG

Im letzten Jahrzehnt hat die Neurowissenschaft entdeckt, dass unser Gehirn auf einem weitaus höheren als dem üblichen Leistungsniveau funktionieren kann, und zwar selbst dann, wenn wir schon »in den besten Jahren« sind. Wo die Grenzen unseres Potenzials verlaufen, weiß man noch nicht. Doch so spektakulär diese Entdeckungen auch sein mögen, sie sind einem breiten Publikum weitgehend unbekannt.

Wir wissen, dass der Schlüssel in der Neurogenese, also der Bildung neuer Nerven- bzw. Hirnzellen, liegt. Die Geschwindigkeit, mit der sie sich vollzieht, ist ein Indikator dafür, wie gut wir kognitiv, emotional und körperlich funktionieren. Die Neurogenese ist ein lebenslanger Prozess, der sich jedoch ab der Lebensmitte und dann noch einmal im hohen Alter verlangsamt. Nun wurde jedoch entdeckt, dass unsere Neurogenese-Rate in allen Phasen des Erwachsenenalters dramatisch gesteigert werden kann, was sich positiv auf unsere gesamte Lebensqualität auswirkt.

Dieses Buch richtet sich an Erwachsene jeden Alters. Es zeigt auf, dass sich auch Ihr Gehirn jederzeit erneuern kann. Je früher Sie damit beginnen, gut für Ihr Gehirn zu sorgen und es richtig zu ernähren, desto überzeugender sind die zu erwartenden Resultate. Mit 20, 30 oder 40 Jahren anzufangen bringt spürbarere Erfolge als ein Einstieg mit 70 oder 80 Jahren, aber wann immer Sie beginnen: Sie können sehr viel tun!

Auch Sie sind in der Lage, die Leistungsfähigkeit Ihres Gehirns zu steigern und auf ein Niveau anzuheben, das Sie nie für erreichbar gehalten hätten. Dieses Buch zeigt Ihnen, wie das funktioniert.”

KAPITEL 2

DAS PROGRAMM: SO FÖRDERN SIE IHR GEHIRN AUF ALLEN EBENEN

Möchten wir all das verwirklichen, was in uns angelegt ist, kommt es entscheidend auf die Gesundheit unseres Gehirns an. Um unser gesamtes Potenzial auszuschöpfen, muss es auf maximaler Leistungsstufe funktionieren. Alles, was es bremst, beeinträchtigt unsere Lebensqualität. Das heißt im Gegenzug: Alles, was es auf Touren bringt, hilft uns, das Beste aus unseren Möglichkeiten zu machen.

Unser Ziel muss ein vitales Gehirn mit hoher Neurogenese-Rate sein.

Jeder wünscht sich ein gesundes, leistungsstarkes Gehirn, aber aus unserer Umwelt wirken unzählige neurotoxische Einflüsse auf uns ein, die keinen ungeschoren lassen. Das Leben stellt uns zahlreiche Hindernisse in den Weg, aus denen wir schlechte Angewohnheiten ableiten, die dann zur schädigenden Belastung werden.

Im Laufe unseres Lebens erleiden wir Verletzungen der verschiedensten Art – physisch, emotional, mental und spirituell. Selbst vom »normalen Alterungsprozess« geht eine Menge überflüssige Toxizität aus, sodass das Gehirn viel schneller als nötig verfällt. Dies ist keinesfalls unvermeidlich.

Wir können unseren Lebensstil bewusst so ausrichten, dass er die Neurogenese fördert und die wesentlichen neurotoxischen Risiken im Alltag bannt. Die Strategie geht in zwei Richtungen: Alles, was neurostimulierend wirkt, gilt es verstärkt zu nutzen und alles, was neurotoxisch wirkt, weitestgehend zu meiden.

Ein ganzheitlicher Plan zur Verbesserung der Neurogenese

Unser Gehirn ist bestrebt, mit der Welt ringsum und mit unseren Mitmenschen in Kontakt zu treten: über Sinneswahrnehmungen und Emotionen, in der mentalen Auseinandersetzung und in spiritueller Freiheit. Es ist ein außergewöhnliches Instrument, das sich in Jahrmillionen der Evolution laufend verfeinert hat. Seine enorme Komplexität lässt sich nicht auf die Kartierung von Synapsen oder das Manipulieren einer Handvoll von Neurotransmittern reduzieren. Es bedarf einer holistischen Betrachtungsweise, um ihm in seiner ganzen vielschichtigen Gesamtheit gerecht zu werden.

Ich gestehe, dass es einen Teil in mir gibt, der nichts gegen die Erfindung einer Pille einzuwenden hätte, mit der man die Neurogenese stimuliert. Dann wäre alles einfach. Nur ist das Gehirn leider alles andere als einfach. Die Erfahrung hat mich gelehrt, im Hinblick auf seine Gesunderhaltung schnellen Lösungen zu misstrauen.

Wenn uns die Forschung eines zeigt, dann dies: Es gibt keine magische Pille, die die Neurogenese verbessert. Wenn Ihnen jemand ein solches Wundermittel anbieten sollte, laufen Sie schreiend davon! Es handelt sich bestenfalls um Betrug und schlimmstenfalls um einen Pakt mit dem Teufel (und wir alle wissen, worauf der hinausläuft). Doch obwohl der Weg zum gesunden Gehirn weder schnell noch einfach ist, kann er doch von beinahe jedem beschritten werden. Alles, was wir brauchen, um die Neurogenese zu steigern, ist hier und jetzt verfügbar, und das meist kostenfrei.

Der neue Holismus

Die Lehre des Holismus vertritt die Auffassung, dass wir komplexe Wesen sind und nicht auf das Zusammenwirken unserer Einzelteile reduziert werden können. Der menschliche Organismus funktioniert als einheitliches Ganzes und lässt sich nur im Kontext dieser Einheit begreifen. Wenn ein Mensch ein Bein verliert, wirkt sich das auf seine körperliche Balance und Bewegungsabläufe insgesamt aus. Geht das Gehör verloren, werden die anderen Sinne wacher, um dies auszugleichen. Ärgern wir uns über etwas, kommt dies auf der physischen, emotionalen, mentalen und spirituellen Ebene zum Ausdruck. Was auch immer wir tun, denken, sehen oder fühlen, wir erleben es als ein wechselseitig in Beziehung stehendes Ganzes.

Der neue Holismus, der sich auf die ganzheitliche Philosophie des indischen Weisen Sri Aurobindo bezieht, korrigiert und erweitert die engere Auslegung des Begriffs, der in den 1920er-Jahren in Europa geprägt und in den 1960er-Jahren zum viel gebrauchten Schlagwort wurde. Die ursprüngliche Definition speiste sich aus dem Geist der europäischen Aufklärung und stellte dementsprechend lediglich die empirische Einheit von Körper-Herz-Geist in den Vordergrund. Als dieser holistische Ansatz in den 1960er-Jahren erstmals in der US-amerikanischen Szene eingeführt wurde, war er ein willkommener Fortschritt gegenüber dem reduktionistischen Denken der damaligen Zeit. Er war jedoch insofern unvollständig, als er unser wesentlichstes Element außer Acht ließ: das Bewusstsein.

Sri Aurobindo, der vielen als der größte vedantische Philosoph aller Zeiten gilt, korrigierte diesen Mangel, indem er das Spirituelle als Quell menschlichen Bewusstseins mit einbezog. Ohne die spirituelle Ebene ist unser Bild unvollständig. Uns fehlt das herausragende Merkmal, das unser Menschsein ausmacht. Körper, Herz und Geist sind die äußeren Instrumente eines sich entfaltenden

Bewusstseins. Doch erst wenn alle vier Entfaltungsebenen einbezogen werden, ist die Formel komplett: Körper, Herz, Geist und Bewusstsein.

Holismus 2.0: Körper, Herz, Geist und Bewusstsein

Die einzige Möglichkeit, zu einem umfassenden Verständnis des Gehirns zu gelangen, liegt in einer erweiterten Perspektive, die alle Facetten der Wahrnehmung im Blick hat. Jede Ebene – Körper, Herz, Geist, Bewusstsein – hat ihre eigene Schwingung oder energetische Frequenz, wobei der physische Körper am dichtesten ist und darum in der niedrigsten Frequenz schwingt.

Jede Ebene – Körper, Herz, Geist, Bewusstsein – verfügt über ihre eigene »Wahrnehmung«, die uns jeweils über das Gehirn erreicht und zu jener Gesamtheit beiträgt, die uns als Individuum ausmacht. Erst in der Betrachtung aller vier Ebenen lässt sich dieses vollumfänglich begreifen, und nur wenn das gelingt, sind die Voraussetzungen für seine maximale Entfaltung gegeben.

Rein physische oder materialistische Herangehensweisen, die versuchen, das Gehirn von unten nach oben zu erschließen, sind auf kümmerliche Weise unzulänglich und lassen das Wesentliche außer Acht. Die Mehrzahl der Werke der konventionellen neurowissenschaftlichen Literatur reduziert das Wunder des Menschseins auf eine Handvoll Neurotransmitter oder biologische Prozesse und betrachtet diese losgelöst von jeglichem Einfluss von Beziehungen, Schönheit und Seele.

Während meiner Recherchen für dieses Buch fiel mir immer wieder auf, welch kleine, triste Weltsicht viele (wenn auch beileibe nicht alle!) Neurowissenschaftler haben. Ihre rein materialistische Vorstellung vom Gehirn ist nichts als eine geschrumpfte, blasse Spiegelung von dessen ganzer Herrlichkeit. Dieser traurige Reduktionismus ist in etwa so, als würde man versuchen, die Großartigkeit und Unermesslichkeit des menschlichen Geistes in all seinen Dimensionen in ein Reagenzglas zu pressen. Manchmal mag ein derart eingeschränkter, eindimensionaler Fokus durchaus hilfreich sein, jedoch nur vorübergehend und zu Untersuchungszwecken. Anschließend müssen wir stets zur integralen Betrachtung des Gehirns zurückkehren.

Wir existieren und leben gleichzeitig auf mehreren Ebenen. Jede der Ebenen, die uns in unserem Menschsein ausmachen – Körper, Herz, Geist, Bewusstsein –, erfahren wir über das Gehirn. Würdigen wir es als holistisches Ganzes, entfalten wir damit die einzigartigen Möglichkeiten, in denen der Vierklang von Körper-Herz-Geist-Bewusstsein in der Welt zum Ausdruck kommt.

Alles ist im Kopf

Führen wir uns noch einmal vor Augen, dass sämtliche Erfahrungen über das Gehirn an uns herangetragen werden. Nur in seiner ganzheitlichen Betrachtung erschließt es sich uns auf allen vier Ebenen.

> Körper: Der Körper ist unser Fundament. Indem wir uns in ihm bewegen, wird die Welt für uns erfahrbar – von den am Himmel vorüberziehenden Wolken bis zum Lächeln eines Kindes; von dem simplen sensorischen Vergnügen, in der Dusche das Wasser über die Haut perlen zu spüren, bis zur Freude am Spazierengehen oder der sportlichen Aktivität; vom Klang der Musik bis zum Genuss einer köstlichen Mahlzeit. Werden die Sinne und der Körper stimuliert, wird damit gleichzeitig das Gehirn auf dieser Ebene angeregt.

> Herz: