Das Bevölkerungsgesetz des T.R. Malthus und der neueren Nationalökonomie - Franz Oppenheimer - E-Book

Das Bevölkerungsgesetz des T.R. Malthus und der neueren Nationalökonomie E-Book

Franz Oppenheimer

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Beschreibung

Oppenheimer setzt sich in seinem hier vorliegenden 1901 geschriebenen Werk mit der demographischen Theorie von Thomas R. Malthus und dessen Epigonen auseinander.

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Impressum

Franz Oppenheimer: Das Bevölkerungsgesetz des T.R. Malthus und der neueren Nationalökonomie Herausgegeben von Sven Horn Klassiker der Ökonomie. Band 8 Veröffentlicht im heptagon Verlag © Berlin 2015 www.heptagon.de ISBN: 978-3-934616-35-6

Vorwort

Die folgenden Blätter enthalten den Versuch einer Widerlegung des sogenannten »Bevölkerungsgesetzes«. Solcher Versuche sind im Laufe des letzten Jahrhunderts eine sehr große Reihe gemacht worden, ohne dass sie Erfolg gehabt hätten. Es besteht daher in wissenschaftlichen Kreisen ein berechtigtes Misstrauen gegen derartige Arbeiten. Ich möchte darum ins Vorhinein bemerken, dass meine Auseinandersetzungen das Problem mit einer – so weit ich zu sehen vermag – hier noch nicht angewendeten Methode angreifen. Wenn man bisher versucht hat, das Bevölkerungsgesetz durch Tatsachen zu widerlegen, so habe ich meine Argumente zu dem Beweise zuzuspitzen gesucht, dass das »Gesetz« sich selbst widerlegt. Meine Schrift will sozusagen als logisches Sektions-Protokoll angesehen werden. Es war mir wichtiger, Trugschlüsse aufzulösen, als statistische Daten zusammenzutragen »Moors Geliebte kann nur durch Moor sterben«: Die Ausgeburt einer, wie ich meine, verrenkten Logik kann nur durch gesunde Logik beseitigt werden. – – –

Mein Unterfangen ist ein heikles. Hat doch die Theorie seit ihrem ersten Erscheinen dauernd an Boden gewonnen! Und gilt sie doch namentlich der Deutschen nationalökonomischen Wissenschaft seit Mohl und Roscher als ein κτημα ες αει. Elster erklärt in seinem Referat1: »dass die meisten Volkswirte in unseren Tagen die Malthussche Lehre als im wesentlichen richtig anerkennen, zwar nicht in ihren einzelnen Sätzen, wohl aber in ihrem Kern, dass nämlich die Bevölkerung die Tendenz habe, sich schneller zu vermehren, als die Unterhaltsmittel anwachsen können.«

Unter solchen Umständen eine Widerlegung der berühmten Lehre zu versuchen, das ist ungefähr so schwer, wie das Wiederaufnahmeverfahren gegen einen unschuldig Verurteilten durchzusetzen; ja es heißt sich sogar in die prekäre Lage dessen zu versetzen, der ein Dogma anzutasten wagt, einen Lehrsatz, der schon gar nicht mehr auf seine Richtigkeit geprüft, sondern ohne weiteres als Grundlage des nationalökonomischen Denkens anerkannt wird. Dennoch muss es gewagt werden, denn das Malthussche Dogma verschließt so viele Pforten der nationalökonomischen und geschichtlichen Forschung, schneidet so viele Fragen an der Wurzel ab, dass seine Richtigkeit immer wieder an den Tatsachen geprüft werden muss, soll unsere Wissenschaft nicht verkümmern.

Ich habe in meinem »Großgrundeigentum und soziale Frage« das Ergebnis meiner Untersuchungen und Gedanken zwar beiläufig und in kürzester Form bereits veröffentlicht, halte es aber dennoch für wünschenswert, die Frage noch einmal aufzunehmen; und zwar erstens, weil derartige Untersuchungen, wenn sie als Teil eines größeren Werkes erscheinen, zumeist der Mehrzahl derjenigen entgehen, an deren Adresse sie gerade gerichtet sind; und zweitens, weil mir die Frage wert erscheint, auf breiterer dogmenhistorischer und statistischer Unterlage behandelt zu werden, als es die Ökonomik jenes umfassenden Werkes gestattete.

Dt. Wilmersdorf, Kaiserallee 119, Mai 1900.

Dr. Franz Oppenheimer.

1

Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 1. Aufl. Bd. II, S. 512. 2. Aufl. II, S. 752.

Inhaltsverzeichnis

I. Kapitel: Darstellung der Malthusschen Lehre

Das »Prinzip« ist nur der Spezialfall eines für das gesamte organische Leben gültigen Naturgesetzes der Population (2). Malthus-Godwin (4). Die Malthussche Theorie als pessimistische, anti-sozialistische Lehre (5). Gültig nicht nur für die Zukunft, sondern auch für Vergangenheit und Gegenwart (6). Was die »Tendenz« in Wahrheit bedeutet (9). Die Verquickung mit der Lohnfondstheorie (10). Ableitung der »kapitalistischen« Wirtschaftsordnung aus dem »Prinzip« (12). Gewinnt dadurch gute Position gegen den Einwand, dass noch das meiste Land ungenutzt ist (13). Konzessionen an die Theorie: die arithmetisch-geometrische Proportion; die 25-jährige Zuwachsperiode (15); zeitweilige Erleichterung (16); volle Besetzung des Landes (17). Das »Gesetz der Produktion auf Land« (18).

II. Kapitel: Kritik der Malthusschen Lehre

Die historischen und statistischen »Beweise«: rein formale Erklärung. Kette der Trugschlüsse (20). Das grundlegende Prinzip. Sein unerkannter quantitativer Inhalt (23). Die Lebensmittelquote (26). Jahres- und Tagesquote. Die Fähigkeit des Ausgleichs zeitlicher und räumlicher Erntedifferenzen wächst mit der Dichtigkeit der Bevölkerung (27). Die »Größe des Marktes« (29). Markt und Transportmittel (29). Das »Gesetz der Produktion auf Land« wird bis zur Vollbesetzung des Gebietes überkompensiert, (32) weil die Tagesquote immer gesicherter wird. Aber auch die Jahresquote wird immer größer, auch in »vollbesetzten« Ländern (34). Das Wachstum der »städtischen« Bevölkerung mit dem »Gesetz der Produktion auf Land« unvereinbar (35), auch vom Standpunkt der Lohnfondstheorie (36). – Statistische Argumente: Areal, Körner- und Fleischproduktion der Kulturwelt (43). Produktion Europas pro Kopf an Körnern (43); an Fleisch (44). Frankreich: Ackerproduktion pro Kopf (46). Deutschland desgl. (47).

Wachstum der Ernten pro Fläche: Frankreich (45), Deutschland (50), deutsche Fleischproduktion (53), Preußische Ziffern (54).

Das »Gesetz der sinkenden Erträge« von Malthus missverstanden (55). Es ist ein bloßes Rentabilitätsgesetz der landwirtschaftlichen Privatökonomie (57). S. Senior und der technische Fortschritt (57). Mein »Gesetz der Bodenkapazität« (58). Die Quaternic terminorum (59). Überkompensation auf den einzelnen Stufen (61). Zusammenfassung (62).

III. Kapitel: Der heutige Malthusianismus

W. Roscher (66) hält sich nur durch ein Missverständnis für Anhänger von Malthus. Das Spiel mit dem Worte »Übervölkerung« (68). »Absolute« und »relative« Übervölkerung (69). Roscher steht grundsätzlich auf dem Standpunkt Godwins (70). R. v. Mohl (71). Nicht Anhänger von Malthus (71). Das Doppelspiel mit dem Wort »Tendenz« (72). Seine »Übervölkerung« (73). G. Rümelin (74). Ebenfalls nur vermeintlich Anhänger von Malthus (75). Die Krise von 1874 (76). Ad. Wagner (79) hat ebenfalls Malthus preisgegeben, ohne es zu wissen (81). Ebenso L. Elster (85) und v. Fircks (87). Zusammenfassung (89). Der moderne Malthusianismus bezieht sich im Gegensatz zum eigentlichen nur auf die Zukunft: zwei Abarten dieses »prophetischen Malthusianismus« (90). Alle drei Theorien laufen fortwährend durcheinander (91). Jul. Wolf (91). Gustav Cohn (92). Ratzel (94).

IV. Kapitel: Kritik des neueren Malthusianismus

A. Der prophetische Malthusianismus erster Abart.

Der Exportindustrialismus und seine Quellen (98). Unhistor. Auffassung als eines neuen Quale, statt eines vermehrten Quantum. Europa »Stadt« eines Weltwirtschaftskreises (100). Die Gefahr einer »relativen Übervölkerung« wird um so geringer, je mehr der Markt sich dehnt (101). Kapitalbildung (103). Transport (104). Risiko (105). Versicherung (106). Absatz (107). England unter der Voraussetzung einer Dauerblockade (108). Vergleich mit Russland und Italien (110). Englands Hilfsmittel (112). Die Anpassung (113) gelingt dank der Dichtigkeit der Bevölkerung (114). Binnenmarkt und Ausfuhr (115). Das notwendige Gleichgewicht der Bevölkerung in Industrie und Ackerbau (117). Krisen (118). Notleiden einzelner Zweige (119). Zusammenfassung (120). Statistische Argumente: internationaler Handel (122). Englands Ausfuhr (123). Die »Konkurrenten« Englands beste Kunden (124). Unterschätzung des Binnenmarktes. Das Dogma von der Verelendung der Masse (128). Setzt die Maschine Arbeiter frei? (119). Jul. Wolf und Marx (129).

B. Der prophetische Malthusianismus zweiter Abart

Statistische Willkür (132). Der Begriff des Wachstums (133). Sinken der Geburtenfrequenz mit dem Wohlstande (136). Wann würde die Erde »vollbesetzt sein? Die Ravenstein-v. Firckssche Schätzung (142). Die falsche Grundlage der Schätzung (147). Mögliche Steigerung der Bodenerträge und der Bevölkerung für die nächste Zukunft (148). Wie viel Menschen kann bei Zugrundelegung der heutigen Meisterträge die Erde ernähren? (151). Der Ertrag der Treibhauskultur (152). Der Eiweißbedarf (153). Tropische Ackerbau-Erträge (154). Eine Viertelbillion! (158). Wohnboden (159). Aussicht auf noch weitere Steigerung (159). Wieviel bleibt für Nicht-Urproduktion? (160). Der Zeitpunkt erst nach mehr als einem Jahrtausend erreichbar (162).

Schlusswort

Die drei ganz verschiedenen Theorien (164). Der Malthusianismus und die nationalökonomische Wissenschaft (166). Das Problem des Sozialismus (167).

I. Kapitel. Darstellung der Malthusschen Lehre

Für Malthus ist das Gesetz der menschlichen Population nur ein Spezialfall des allgemeinen Gesetzes der organischen Population überhaupt, das er bezeichnet als »the constant tendency in all animated life, to increase beyond the nourishment prepared for it.« Er hat das Gesetz von Dr. Franklin übernommen: »Wäre die Erdoberfläche, sagt er, von anderen Pflanzen frei, so könnte sie nach und nach mit einer einzigen Gattung besät und bedeckt sein, z.B. mit Fenchel, und wäre sie von anderen Bewohnern leer, so könnte sie in wenigen Menschenaltern von einer einzigen Nation wieder angefüllt sein, z.B. mit Engländern.

Dies ist unwiderleglich wahr ... Wenn die Keime der Existenz auf dieser Erde sich frei entwickeln könnten, würden sich im Laufe weniger tausend Jahre Millionen Welten füllen. Die Not, jenes gebieterische, alles durchdringende Gesetz der Natur, hält sie innerhalb der vorgeschriebenen Grenzen zurück. Die Geschlechter der Pflanzen und Tiere schrumpfen unter diesem großen, einschränkenden Gesetze zusammen, und der Mensch kann ihm mit keiner Anstrengung der Vernunft entgehen.

Bei den Pflanzen und unvernünftigen Tieren ist die Sache einfach. Sie alle werden durch einen mächtigen Instinkt getrieben, ihre Gattung zu vermehren, und dieser Instinkt wird durch keine Fürsorge für ihre Nachkommenschaft zurückgehalten. Wo daher Freiheit ist, wird die Vermehrungsfähigkeit ausgeübt, und die übermäßigen Wirkungen werden späterhin durch Mangel an Raum und Nahrung zurückgedrängt.

Die Wirkungen dieser Hemmung auf den Menschen sind komplizierter. Zur Vermehrung seiner Gattung durch einen gleich mächtigen Instinkt angetrieben, hemmt die Vernunft sein Vorgehen und legt ihm die Frage nahe, ob er nicht Geschöpfe zur Welt bringen kann, für die er die Unterhaltsmittel nicht zu beschaffen vermag. Hört er auf diese Zweifel, so erzeugt die Hemmung nur allzuoft Laster. Hört er nicht darauf, so wird das Menschengeschlecht sich beständig über die Unterhaltsmittel hinaus zu vermehren streben. Aber da kraft des Gesetzes unserer Natur, welche die Nahrung zum Leben des Menschen notwendig macht, die Bevölkerung in Wirklichkeit niemals über das niedrigste Maß von Lebensmitteln, wodurch sie zu erhalten ist, hinauswachsen kann, so muss in der Schwierigkeit, Nahrung zu erlangen, eine starke Hemmung der Volksvermehrung in beständiger Wirksamkeit sein. Diese Schwierigkeit muss irgendwo erscheinen und notwendig in einer oder der anderen der verschiedenen Gestalten des Elends oder der Furcht vor Elend von einem großen Teil des Menschengeschlechts hart empfunden werden.

Dass die Bevölkerung diese beständige Tendenz zur Vermehrung über die Unterhaltsmittel hinaus hat und dass sie auf ihrem unvermeidlichen Niveau durch diese Ursachen zurückgehalten wird, wird aus einer Übersicht der verschiedenen Gesellschaftsstufen, auf denen der Mensch existierte, hinreichend klar hervorgehen.«1

Wir möchten meinen, dass schon in diesen einleitenden Sätzen der Inhalt des Malthusschen Bevölkerungsgesetzes vollkommen klar dargestellt ist als ein Naturgesetz, das auf jeder Stufe menschlicher Gemeinwirtschaft gewirkt hat und wirken wird, wo nicht etwa »die Stimme der Vernunft« ausreichend gehört wurde oder wird.

Trotzdem ist der Gedankeninhalt der Theorie meistens so sehr missverstanden worden, dass heute eine Lehrmeinung als »Malthusianismus« bezeichnet wird, die nur Äußerlichkeiten mit der ursprünglichen Theorie gemein hat, aber im Kerne ganz etwas anderes, ja sogar schnurgerade entgegengesetztes behauptet. Dem Beweis dieser Behauptung wird der zweite Teil dieser Arbeit gewidmet sein. Hier ist es zunächst unsere Aufgabe, die eigentliche Malthussche Theorie als das darzustellen, was sie ist, als das, was wir soeben umschrieben haben.

Diese Aufgabe ist nicht ohne Schwierigkeiten, denn die Darstellung des Bevölkerungsgesetzes durch Malthus selbst ist – darüber sind sich auch seine Anhänger von Mohl bis auf von Fircks2 einig – in der Form von keiner besonderen Prägnanz und Geschlossenheit. Seine Ausdrücke sind häufig vieldeutig, die Konsequenzen sind oft nicht mit mathematischer Schärfe gezogen, und es fehlt auch nicht an inneren Widersprüchen.3 Unter diesen Umständen ist es in der Tat nicht ganz leicht, den Gedankeninhalt der Theorie so scharf zu präzisieren, wie für eine endgültige Diskussion erforderlich ist. Die Theorie, mit der man kämpft, verwandelt sich wie Proteus in immer neue Gestalten. Schon die Thesen, die er als thema probandum am Schluß des zweiten Kapitels aufstellt, sind von viel geringerer Präzision. Sie lauten4:

»1) die Volksvermehrung ist notwendig durch die Unterhaltsmittel begrenzt;

2) die Bevölkerung steigt unveränderlich, wo die Unterhaltsmittel steigen, wenn sie nicht durch einige sehr mächtige und auffallende Hemmnisse daran verhindert wird;

3) diese Hemmnisse und die Hemmnisse, die die überlegene Zeugungskraft unterdrücken und ihre Wirkungen auf demselben Niveau mit den Unterhaltsmitteln halten, sind sämtlich in moralischen Zwang, Laster und Elend auflösbar.«

Hier fehlt z.B. in These 2 das entscheidende Wort »entsprechend« hinter »unveränderlich«, um, wie es in der Anmerkung heißt, »einige äußerste Fälle« mit in die These aufzunehmen. Dadurch verliert die These aber alle Bedeutung. So ist es fast überall.

Dennoch ist über den eigentlichen Wesenskern der Malthusschen Theorie schon dann Klarheit zu gewinnen, wenn man sich die Verhältnisse vergegenwärtigt, unter denen sie zuerst erschien, und vor allem die Rolle, die sie als Streitschrift zu spielen bestimmt war. Sie war bekanntlich ein Angriff gegen den Sozialismus Godwins.

Die Naturlehre Adam Smiths war bei der britischen Arbeiterschaft und einem großen Teil der bürgerlichen Ideologen in starken Misskredit gekommen. Es hatte sich herausgestellt, dass die Harmonie aller sozialen und wirtschaftlichen Interessen, die nach der Naturlehre aus dem System der freien Konkurrenz folgen sollte, sich nicht einstellen wollte. Das Elend der britischen Arbeiterschaft schrie zum Himmel, und der Sozialismus erhob natürlich wieder sein Haupt, wie immer, wenn der soziale Gradient rapide wächst, d.h. wenn die Differenz der maximalen und minimalen Einkommen derselben Volkswirtschaft stark zunimmt. Godwin hatte als namhaftester Vertreter der sozialistischen Auffassung im »Enquirer«5 sein Gleichheitssystem veröffentlicht, und verfocht darin die beiden Grundprinzipien, die jedes sozialistische System notwendigerweise enthalten muss, erstens: Das Elend und die Not der Gegenwart sind lediglich Folgen einer mangelhaften sozialen Organisation, oder, wie sich Malthus ausdrückt, »schlechten Regierung«; zweitens: Bei einer vernünftigen sozialen Organisation wird alle Not und alles Elend verschwinden.

Man sieht, dass historische Deutung und Zukunftsprophezeihung nur logische Wendungen desselben Hauptsatzes sind, der da lautet: Alle Klassenverschiedenheit und die daraus folgende Not sind lediglich historische Kategorien. Die Not der Vergangenheit hatte ihre zureichende Ursache; diese Ursache liegt in mangelhaften menschlichen Einrichtungen; sie kann und wird daher beseitigt werden: Und darum wird in Zukunft keine Klassenverschiedenheit und keine Not bestehen.

Wer dieser optimistischen soziologischen Theorie eine pessimistische entgegenstellen will, wer also nicht » angebrachter Massen«, also z.B. gegen ein kollektivistisches Ideal, sondern grundsätzlich gegen jedes Gleichheitsideal ankämpft, der muss jenem Satze sein Gegenstück entgegensetzen: Not und Elend sind keine historischen, sondern immanente Kategorien. Die Klassenverschiedenheit und das daraus folgende Elend der Vergangenheit und Gegenwart hatte ihre zureichende Ursache: Diese Ursache ist aber ein Naturgesetz, kann und wird daher nicht beseitigt werden, und darum wird auch in alle Zukunft Klassenverschiedenheit mit ihren Folgen bestehen.

Ein solches soziologisches Gesetz mit pessimistischem, d.h. antisozialistischem, anti-utopistischem Inhalt hat Malthus zweifellos geglaubt entdeckt zu haben.

Freilich findet es sich in voller Klarheit – so weit hier überall von Klarheit die Rede sein kann – erst in der reifen Theorie, in den späteren erweiterten Auflagen. Im ersten Wurf war die Theorie, wie aus dem Vorwort hervorgeht, augenscheinlich nur eine Darstellung der traurigen Folgen, die aus dem angeblichen Missverhältnis zwischen dem Wachstum der Bevölkerung und dem ihrer Unterhaltsmittel entstehen müssten, wenn je eine Gesellschaft der Gleichheit nach Godwins Ideen ins Leben treten sollte.

Wir erfahren aus der Vorrede des Verfassers zur zweiten Auflage, dass die erste Fassung seines Werkes wesentlich ein Zukunftsbild dem anderen entgegengesetzt hatte: nämlich dem Godwinschen Zukunftsbilde eines Gemeinwesens der sozialen Gerechtigkeit und des blühenden Wohlstandes das traurige Bild einer Gesellschaft, die durch den immer zunehmenden Mangel an Nahrungsmitteln zur bittersten Armut und zur wütendsten Zwietracht kommen müsse. Dann aber wurde Malthus darauf aufmerksam, dass dasselbe Prinzip, dessen Wirksamkeit für die Zukunft ihm außer Zweifel erschien, auch in Vergangenheit und Gegenwart seine Geltung gehabt haben und haben müsse. Er schreibt S. VII.: »Im Laufe der Erörterung wurde ich naturgemäß auf eine Prüfung der Folgen jenes Gesetzes für den bestehenden Zustand der Gesellschaft geleitet. Dasselbe schien viel von der Armut und Not, die man unter den niederen Volksklassen jeder Nation findet, sowie die wiederholten Misserfolge der Bemühungen der höheren Klassen, sie zu erleichtern, zu erklären. Je mehr ich die Sache von diesem Gesichtspunkte betrachtete, desto mehr Gewicht schien sie zu erlangen. Und dieser Grund ... bestimmte mich, meine Muße zu einer historischen Erforschung der Folgen des Bevölkerungsgesetzes auf die früheren und gegenwärtigen sozialen Verhältnisse zu verwenden«.

Lässt sich schon durch diese Erwägung a priori bestimmen, welchen Inhalt die Malthussche Theorie als pessimistische soziologische Lehre haben musste, wenn sie ihren Zwecken der Bekämpfung des Sozialismus genügen sollte, so ergibt auch eine Textkritik a posteriori mit aller Sicherheit das, was wir oben feststellten, nämlich, dass die reife Malthussche Theorie nicht etwa nur eine Zukunftsprophezeiung enthält, sondern ein angebliches allgemeines Gesetz der menschlichen Gesellschaft, das auf allen Stufen derselben gewirkt hat, wirkt und wirken wird. Das Malthussche Werk selbst lässt an den entscheidenden Stellen nicht den geringsten Zweifel darüber, dass das Gesetz in diesem Umfang gemeint ist. Es beginnt z.B. sofort mit folgenden Sätzen: »In jeder Untersuchung über die Fortschritte der Gesellschaft bieten sich als Methoden der Erörterung folgende zwei dar; erstens: die Ursachen zu erforschen, die bisher den Fortschritt des Menschengeschlechtes zum Glück gehindert haben; und zweitens: die Wahrscheinlichkeit der gänzlichen oder teilweisen Entfernung dieser Ursachen für die Zukunft zu prüfen«.

Denselben Inhalt haben unter anderem auch noch folgende Stellen: »Es gibt wenige Staaten, in denen sich nicht die Bevölkerung über das Maß der Unterhaltsmittel zu vermehren strebte. Diese Tendenz hat beständig die Wirkung, die niederen Gesellschaftsklassen der Not zu unterwerfen und eine große und dauernde Verbesserung ihrer Lage zu verhindern«.6 »Es gibt wohl keine bekannte Insel, deren Produktion nicht noch erhöht werden könnte. Dasselbe kann von der ganzen Erde gesagt werden; aber beide sind ihrer dermaligen Produktion vollkommen entsprechend bevölkert, und die ganze Erde gleicht in dieser Beziehung einer Insel«.7

Ebenso schließt z.B. Kapitel 2 mit folgenden Worten:

»Der zweite und dritte Satz (der S. 3 abgedruckten Thesen) werden durch eine Übersicht der direkten Hemmnisse der Volksvermehrung in der Vergangenheit und Gegenwart hinreichend begründet werden. Diese Übersicht ist der Gegenstand der folgenden Kapitel«.8

Weiter: Kapitel 4 beginnt folgendermaßen:

»Eine Geschichte der früheren Wanderungen und Niederlassungen des Menschengeschlechtes und der Motive, die dazu reizten, würde die beständige Tendenz der menschlichen Rasse, sich über das Maß der Unterhaltsmittel zu vermehren, auffällig illustrieren«.9 Noch bezeichnender ist eine Polemik gegen Condorcet. Dieser erwägt die Konsequenzen einer immer weiter schreitenden Bevölkerungsvermehrung, nachdem die Menschheit einmal in unabsehbarer Zeit den höchsten Grad von Kultur und Bodenausnützung erreicht habe. Er fragt, ob dann nicht eine retrograde Bewegung, mindestens eine periodische Schwankung in der Güterversorgung eintreten müsse, ob diese nicht eine unaufhörlich bestehende Ursache periodischen Elends sein müsse? Darauf antwortet Malthus mit einer runden Zustimmung im Prinzip. Aber »der einzige Punkt, in welchem ich von Condorcet abweiche, betrifft die Periode, wann diese Schwankung eintreten wird. Condorcet meint, sie könne nur in einer unabsehbar weit entfernten Zeit eintreten. Wenn das Verhältnis zwischen der natürlichen Zunahme der Bevölkerung und der Nahrungsmittel auf einem beschränkten Gebiet ... irgendwie der Wahrheit nahe kommt, so scheint im Gegenteil die Periode, wo die Zahl der Menschen ihre Mittel zu bequemer Subsistenz überschreitet, schon seit langer Zeit eingetreten zu sein, und diese notwendige Schwankung, diese stets vorhandene Ursache periodischen Elends hat in den meisten Ländern bestanden, so lange wir die Geschichte des Menschengeschlechts zurückverfolgen können, und besteht noch heutigen Tages.10«

Mit ganz ähnlichen Worten argumentiert Malthus auch gegen das Gleichheitssystem von Wallace. Auch dieser meint, es würde aus Nahrungsmangel nicht eher eine Schwierigkeit zu befürchten sein, als »bis die Erde wie ein Garten kultiviert und jeder ferneren Ertragssteigerung unfähig sei«. Darauf antwortet M., die Schwierigkeit sei keineswegs eine entfernte, sondern eine unmittelbar drohende. In jeder Periode des Fortschritts der Kultur, vom ersten Moment an bis zu der Zeit, wo die ganze Erde einem Garten gleich geworden wäre, müsste sich die Nahrungsmittelnot beständig allen Menschen fühlbar machen, falls sie gleich wären. Die Produktion der Erde würde zwar jedes Jahr steigen, die Bevölkerung aber würde noch schneller steigen, und diese überlegene Zeugungskraft würde notwendig durch die periodische oder beständige Wirksamkeit moralischen Zwanges, herrschenden Lasters oder Elends gehemmt werden.11

Und er fasst in dem Schlusskapitel 13 des zweiten Buches unter dem Titel: »Allgemeine Schlüsse aus der vorstehenden Übersicht der sozialen Verhältnisse« seine gesamte Theorie folgendermaßen zusammen: »Muss es mithin von einem aufmerksamen Betrachter der Menschengeschichte nicht anerkannt werden, dass in jeder Zeit und in jedem Zustande, in dem sich der Mensch befand und in dem er sich jetzt befindet, die Bevölkerungszunahme notwendig begrenzt ist durch die Unterhaltsmittel? Dass die Bevölkerung unveränderlich wächst, sobald die Subsistenzmittel zunehmen, wenn sie nicht durch mächtige und offenbare Hemmnisse am Wachstum verhindert ist? Dass diese Hemmnisse und die Hemmnisse, welche die Bevölkerung auf dem Niveau der Lebensmittel erhalten, moralischer Zwang, Laster und Elend sind?«12

Diese angeführten Sätze – die Belege ließen sich beliebig häufen – lassen, wie gesagt, unserer Meinung nach keinen Zweifel darüber, dass Malthus sein Bevölkerungsgesetz nicht als ein solches aufgefasst haben wollte, welches in irgendeiner nahen oder fernen Zukunft in Wirksamkeit treten würde, sondern als ein solches, welches das soziale Zusammenleben der Menschheit auf jeder ihrer Stufen beherrscht hat und beherrschen wird; dass es sich nicht um eine historische Kategorie, sondern ein immanentes soziales Gesetz handelt, oder noch besser, um jedes Missverständnis auszuschließen, um ein Naturgesetz; denn es wird ja ausdrücklich auf gewisse, als unveränderlich unterstellte Naturinstinkte des Menschen, auf seinen Geschlechtstrieb begründet.13

Malthus hat also sehr wohl begriffen, dass eine sozialistische Auffassung nur durch eine Theorie besiegt werden kann, die nicht nur die sozialistischen Hoffnungen für die Zukunft, sondern auch die sozialistische Erklärung der Vergangenheit und Gegenwart zerstört.

Dementsprechend muss nun auch die Malthussche Formel gedeutet werden, die wir oben bereits angeführt haben: »Die beständige Tendenz in allem animalischen Leben sich über die dafür vorhandenen Nahrungsmittel zu vermehren«.----

Wir haben oben behauptet, dass heute etwas als Malthussche Theorie gilt, was ihr nur äußerlich ähnlich, im Kerne aber ihr entgegengesetzt ist. Wenn diese Verwirrung einreißen konnte, so trägt nichts daran die Schuld als das Wort »Tendenz«, das fast regelmäßig missverstanden worden ist. Man ist geneigt mit dem Worte die Vorstellung von etwas zukünftigem zu verbinden, fasst »Tendenz« auf als die Wahrscheinlichkeit, dass irgendetwas eintritt. Ja es scheint sogar, als wenn Malthus selbst hier und da diesen dem Worte anhaftenden Gedankenassoziationen zum Opfer gefallen ist.

Um solchen Irrtümern vorzubeugen, muss hier mit aller erdenklichen Energie festgestellt werden, dass das Wort in diesem Zusammenhang und nach dem, was wir eben aus dem Werke Malthus’ zitiert haben, eine ganz andere Bedeutung hat. Es ist ein mathematischer Ausdruck von solcher Schärfe, dass wir in Verlegenheit geraten werden, wenn man uns zumutete, das vorliegende Größenverhältnis genauer und klarer auszudrücken.

Der Gedanke ist nämlich folgender: Es wachsen zwei Größen, nämlich einerseits die Bevölkerung eines gewissen Landstriches, andererseits die daselbst erzeugten Unterhaltsmittel. Aber sie haben verschiedene natürliche Zuwachsraten. Die Bevölkerung würde, wenn kein Hemmnis bestände, in viel weniger Jahren die doppelte Zahl von Köpfen erreichen, als die landwirtschaftliche Produktion die doppelte Masse von Nahrungsmitteln. Nun ist aber die faktische Vermehrung der Bevölkerung eng gebunden an die faktische Verfügung über die Nahrungsmittel; die Volkszahl kann natürlich nicht stärker wachsen als die Nahrungsmittel. Es werden also in jedem Zeitpunkt mehr Menschen ins Leben treten, als jeweilig ernährt werden können, wenn nicht etwa die »moralische Hemmung« in ausreichendem Masse entgegenwirkt, und diese Überschüssigen müssen auf irgendeine Weise durch Not und ihre Folgen beseitigt werden, damit die übrigen am Leben bleiben können.

Hier bezeichnet also »Tendenz« – wir wiederholen es – nicht etwas Zukünftiges, sondern nur das Bestreben einer wachsenden Größe, eine andere wachsende Größe zu überholen, an deren Wachstum sie doch mit unzerreißbaren Fesseln geschmiedet ist. Es ist ein exakt mathematischer Ausdruck für das deutlichere bildliche Gleichnis, dass die Bevölkerung »gegen ihren Nahrungsspielraum presst.« Und diese Tendenz soll nicht etwa nur in der Zukunft erscheinen, es besteht nicht nur eine »Tendenz« zum Eintreten dieser »Tendenz«, sondern sie hat gewirkt, wirkt und wird immer wirken, solange Menschen gesellschaftlich Zusammenleben. Der letzte Zweifel, wie der berühmte Satz gemeint sei, muss übrigens schwinden, wenn man sich erinnert, dass das Gesetz der menschlichen Bevölkerung ausdrücklich durchaus nichts anderes darstellen soll, als einen Spezialfall des allgemeinen Gesetzes, wonach »alles organische Leben die Tendenz hat, sich über seine Unterhaltsmittel zu vermehren.« Dass dieser für alles nur okkupatorisch, nicht produktiv sich nährende Leben unbestreitbare Satz keine bloße Zukunftswahrscheinlichkeit, sondern grausamste Gegenwartstatsache ist (Kampf ums Dasein!) wird ja nirgend bezweifelt.

Diese an sich sehr einfache Theorie wird nun bedeutend kompliziert durch eine Einschränkung oder Erweiterung, die sie durch die Verquickung mit der Lohnfondstheorie erhält.

Unter unserer gegenwärtigen Wirtschaftsordnung des privaten Eigentums an den Produktionsmitteln kann – das ist klar – dem »Arbeiter«, d.h. dem kapitallosen Mann, die Tatsache nichts nützen, dass bei gleicher Teilung der vorhandenen Subsistenzmittel für ihn und seine Familie genügend vorhanden wäre. Für ihn stellt sich die Frage so, ob er mit der in seinem Lohne erhaltenen Anweisung auf den Gütervorrat des Marktes so viel kaufen kann, wie er gebraucht. Gerade hier setzt bekanntlich der Sozialismus ein, indem er behauptet, dieses System der Entlohnung könne und müsse durch ein besseres ersetzt werden.

Hier entsteht also eine Schwierigkeit der Beweisführung, die nicht gering ist. Die Sozialisten, die Malthus bekämpfen will, stellen seinen Beweisen die Behauptung gegenüber, dass es allein das System des privaten Kapitalbesitzes und das aus ihm entspringende Lohnsystem sei, welches Not und Elend erklären könne. Malthus kann dieser Behauptung keinen bündigen Beweis aus den Tatsachen, aus der Induktion also, gegenüberstellen: Denn sein ganzes Material, soweit es zuverlässig ist, stammt aus Ländern kapitalistischer Wirtschaft; [und er fasst sogar vorkapitalistische Wirtschaftsformen (z.B. Sibirien14) unter diesem Gesichtswinkel auf.] So bleibt ihm nichts anderes übrig, als den deduktiven Beweis anzutreten, dass das private Eigentum an den Produktionsmitteln eine Folge aus dem Bevölkerungsgesetze sei, oder mindestens, dass jedes System gleicher Verteilung auf das schnellste wieder zum privatkapitalistischen »entarten« müsse, und zwar unter dem Drucke der überschießenden Bevölkerungsvermehrung.

Er führt15 gegen Godwin aus, dass in einem Systeme der Gleichheit die Bevölkerung sich exzessiv vermehren würde, »schneller, als ein jedes bisher bekannte Volk16,« dass dann der Mangel an Subsistenzmitteln notwendig zur Aufteilung des Bodens in Privateigentum führen müsse, dass dann die Angehörigen kinderreicher Familien keinen Platz mehr haben würden an der Tafel des Lebens, und sich wieder als Arbeiter vermieten müssten, deren Lohn hoch sein würde, wenn der zu ihrem Unterhalte bestimmte Fonds im Verhältnis zu ihrer Anzahl groß – und deren Lohn umgekehrt klein sein würde, wenn der Fonds relativ schwach wäre. »Und so ist es offenbar, dass eine nach der denkbar schönsten Weise eingerichtete Gesellschaft, deren leitendes Prinzip das Wohlwollen statt der Selbstsucht ist ... nach den unvermeidlichen Gesetzen der Natur und nicht nach einem Fehler der menschlichen Institutionen binnen sehr kurzer Zeit zu einer nach einem ähnlichen Plan errichteten Gesellschaft entarten würde, wie die ist, die gegenwärtig in allen bekannten Staaten obwaltet, zu einer Gesellschaft, die in eine Klasse von Eigentümern und in eine Klasse von Arbeitern zerfällt und deren Haupttriebfeder die Selbstsucht ist17. Das würde keine dreißig Jahre dauern.«18

So mussten »in diesem angenommenen Falle einige der Hauptgesetze, welche dermalen die zivilisierte Gesellschaft beherrschen, allmählich durch die gebieterischste Notwendigkeit diktiert werden19.« »Die Wahrheit ist, dass die menschlichen Einrichtungen zwar die offenbaren und sich aufdrängenden Ursachen vieler Übelstände der Gesellschaft zu sein scheinen, und oft wirklich sind, dass sie aber in der Tat im Vergleich zu jenen tieferliegenden Ursachen des Übels, welche aus den Gesetzen der Natur und den Leidenschaften der Menschen entspringen, nur leicht und oberflächlich sind.«20

In dieser Weise scheint – scheint, denn, wie gesagt, von einer straff vorschreitenden Entwicklung der Gedanken ist in dem Buche nirgends die Rede – in dieser Weise also scheint Malthus das herrschende und von ihm gegen die sozialistischen Angriffe zu verteidigende privatkapitalistische System aus seinem Bevölkerungsprinzip abgeleitet zu haben. Er gewinnt dadurch noch eine weitere starke Position gegen den nächsten Einwand seiner Gegner.

Dieser Einwand geht dahin, dass von einem Pressen der Bevölkerung gegen den Nahrungsspielraum und den Hemmungen des Wachstums nicht eher die Rede sein könne, als bis das betreffende Land, ja, die ganze Erde, in einen »Garten« von so hoher Kultur verwandelt sein werde, dass eine weitere Ertragssteigerung undenkbar sei. Wie aus der oben mitgeteilten Polemik hervorgeht, hatten ja schon Wallace und Godwin sich selbst den Einwand zunehmender Schwierigkeit der schließlichen Versorgung gemacht und sich damit getröstet, dass diese Schwierigkeit erst in unabsehbarer Zeit eintreten könne.

Demgegenüber kann Malthus, wenn man ihm erst einmal seine Prämissen zugegeben und das privatkapitalistische Produktionssystem als naturgesetzliche Folge des »Prinzips« anerkannt hat, darauf hinweisen, dass bei einer solchen Gestaltung der Eigentumsverhältnisse nicht das Produktionsinteresse, sondern das Rentabilitätsinteresse über die Anbaugrenze entscheidet.

»Die Grenze für die Bevölkerungszunahme eines Volkes, welches alle seine Nahrung auf seinem Gebiet erzeugt, ist da, wo das Land so vollständig angebaut und mit Arbeitskräften versehen ist, dass die Beschäftigung eines anderen Arbeiters darauf im Durchschnitt keine hinreichende weitere Menge von Nahrung erzeugt, um eine Familie von solcher Größe zu ernähren, dass die Volksvermehrung dabei nicht ausgeschlossen ist.

Dies ist offenbar die äußerste praktische Grenze für die Zunahme der Bevölkerung, die bis jetzt kein Volk jemals erreicht hat, noch jemals erreichen wird, da hier kein Spielraum für anderen Lebensbedarf als Nahrung, noch für den Kapitalgewinn angenommen worden ist, der beiderseits nicht unbedeutend sein kann. Dennoch bleibt selbst diese Grenze weit hinter der Produktionsfähigkeit der Erde zurück, die eintreten könnte, wenn alle nicht mit Produktion anderer Bedarfsartikel Beschäftigten mit Nahrungsmittelproduktion beschäftigt wären, d.h. wenn Soldaten, Matrosen, Dienstboten und alle die Verfertiger von Luxusgegenständen sich dem Landbau widmen müssten. Sie würden allerdings nicht den Unterhalt für eine Familie und schließlich nicht einmal für sich selbst produzieren, aber doch noch immer, bis die Erde schlechterdings nichts mehr hergäbe, etwas zum allgemeinen Vorrat hinzufügen und durch die Steigerung der Subsistenzmittel die Möglichkeit gewähren, eine zunehmende Bevölkerung zu ernähren. Die gesamte Bevölkerung eines Landes könnte auf diese Weise während ihrer ganzen Lebenszeit zur Produktion des notwendigsten Lebensbedarfs verwendet werden, und für andere Geschäfte irgendwelcher Art bliebe keine Muße.

Allein dieser Zustand der Dinge könnte nur durch die erzwungene Richtung des Nationalfleißes auf einen einzigen Erwerbszweig bewirkt werden. Beim Bestehen des Privateigentums, das, wie man billig annehmen kann, stets in der Gesellschaft herrschen wird, kann er niemals eintreten. Wenn das Einzelinteresse eines Grundbesitzers ... ins Spiel kommt, so kann kein Arbeiter jemals im Ackerbau beschäftigt werden, der nicht mehr als den Betrag seines Lohnes hervorbringt, und wenn dieser Lohn nicht hinreichet, um ein Weib zu erhalten und zwei Kinder bis zum Heiratsalter zu ernähren, so muss offenbar die Bevölkerung wie die Produktion zum Stillstand kommen. Mithin muss an der äußersten praktischen Grenze der Volksvermehrung der Zustand des Landes ein solcher sein, um die letzten Arbeiter in den Stand zu setzen, den Unterhalt von etwa vier Personen hervorzubringen.«21

Auf diese Weise also kommt, um es zu wiederholen, Malthus zu einer Position, die ihm gestattet, dem wuchtigsten Schlage der Gegner – scheinbar – auszuweichen. Wird er darauf aufmerksam gemacht, dass von einem Mangel an Subsistenzmitteln doch offenbar keine Rede sein könne, wo so viel Land noch frei, und so viel mehr noch äußerst extensiv genützt sei, wo also eine fast unendliche Steigerung der Nahrungsmittel möglich sei, so erwidert er, diese Erweiterung der Produktion sei nicht rentabel und daher unmöglich, denn die Rentabilität (Mehrwert) bilde das Movens der privatkapitalistischen Wirtschaft, und diese sei wieder eine notwendige, unvermeidbare Folge aus der übermäßigen Bevölkerungsvermehrung.22

Hiermit glauben wir den leitenden Gedankengang der Malthusschen Theorie wiedergegeben zu haben. Wenigstens scheint die spätere Wissenschaft ihn vorwiegend derart verstanden zu haben. Eine vollkommene Sicherheit über diesen Punkt wird kaum zu erzielen sein, da, wie gesagt, die Darstellung der Entschiedenheit und Straffheit entbehrt, und es auch an Stellen nicht mangelt, die Widersprüche zu enthalten scheinen. Wenn darin ein Vorwurf liegt, so soll er nicht allzuschwer sein. Denn man gewinnt das Verständnis der Lehre nur dann, wenn man erkennt, dass es sich durchaus nicht um die geschlossene Beweisführung eines thema probandum handelt, sondern durchaus nur um Ableitungen aus einem a priori für richtig angenommenen Dogma und um Illustrationen zu diesem Dogma.

Bevor wir dieses angebliche Dogma, – wir brauchen das Wort hier ohne jeden Beiklang, rein im Sinne der Mathematik, als einen keines Beweises bedürftigen, weil ohne weiteres einleuchtenden Grundsatz – bevor wir also dieses Dogma auf seine Wahrheit prüfen, wollen wir noch einige Feststellungen resp. Zugeständnisse machen, um das Feld der Untersuchung möglichst einzuengen.

Erstens wollen wir keinerlei Gewicht auf die bekannte Darstellung legen, dass die Bevölkerung im geometrischen, die Subsistenzmittel aber nur im arithmetischen Verhältnis zu wachsen tendieren. Malthus selber hat darauf anscheinend keinen besonderen Wert gelegt. Es war bei ihm mehr ein Zahlenbeispiel zur besseren Illustration seines Hauptsatzes, als eine festgewordene quantitative Schätzung. Wir wollen auch nicht urgieren, dass er an mehreren Stellen dieses Verhältnis als das günstigste annimmt23, das auf die Dauer Platz greifen könne.

Ebenso wenig legen wir Gewicht auf seine fünfundzwanzigjährige Zuwachsperiode. Es steht heute fest, dass seine aus den amerikanischen Zuwachsverhältnissen abgeleitete Schätzung viel zu hoch war. Dort vermehrte sich eine Bevölkerung, die dank starker Zuwanderung aus Europa in einem ganz unverhältnismäßigen Grade aus jungen, zeugungskräftigen Altersklassen zusammengesetzt war.24