Das Blutgericht der Zauberjäger - T. U. Zwolle - E-Book

Das Blutgericht der Zauberjäger E-Book

T. U. Zwolle

0,0
1,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach dem knappen Sieg gegen ein Nekromantenheer muss bereits die nächste Schlacht geplant werden. Aber nach den starken Verlusten müssen neue Soldaten gefunden werden. Die Botschafterin Atriba und der Kriegskonsul Gadah haben aber bereits einen Plan. Auch Thom hat eine Mission zu erfüllen. Er reitet seiner Bestimmung entgegen und hat dabei göttlichen Beistand. Bei der alles entscheidenden Schlacht treffen sich die Verbündeten wieder. Aber nicht jeder wird den Sieg davontragen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 306

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Prolog

Krok

Gadah

Thom

Atriba

Gadah

Der Todesfürst

Thom

Atriba

Gadah

Krok

Luzil

Gadah

Kiridul

Thom

Atriba

Thom

Holderar

Gadah

Holderar

Thom

Die Stadtwache

Kiridul

Atriba

Thom

Gadah

Holderar

Gadah

Marak

Thom

Gadah

Holderar

Luzil

Olizu

Krok

Milana

Hunerik

Gadah

Thom

Holderar

Gadah

Krok

Goldfuß

Holderar

Krok

Holderar

Luzil

Krok

Goldfuß

Holderar

Gadah

Thom

Holderar

Olizu

Gadah

Thom

Holderar

Olizu

Hunerik

Holderar

Atriba

Holderar

Thom

Gadah

Krok

Gadah

Krok

Gadah

Thom

Gadah

Thom

Gadah

Hunerik

Krok

Gadah

Epilog

Nachwort

Prolog

Der Körper schwebte schwerelos einen Fuß über den Boden. Nackt und glänzend. Die Halle war dunkel und heiß. Den Nekromanten, die wiegend im Kreis saßen, lief der Schweiß über den Rücken. Nass klebten ihre Kleider an ihnen.

Das Murmeln der Beschwörungsformeln erfüllte die Halle und wurde von den hohen Mauern als Echo zurückgeworfen. Der Vorgang forderte den Nekromanten alles ab. Die Beschwörungsformeln dienten dazu, die Konzentration der Männer aufrecht zu halten. Die Kräfte der Männer bündelten sich und tasteten das Tor zum Seelenreich ab um es zu öffnen und der richtigen Seele den Weg zu ebnen.

Kiridul führte die Gruppe der Nekromanten an. Wie ein Mann, der im Dunkeln blind nach einem heruntergefallenen Gegenstand tastete, streckte er die gebündelte der Kraft der Magier dem Tor entgegen, was sich vor ihm auftürmte, und suchte nach dem Durchgang, was sie zu ihrem Ziel führen würde. Er hörte das Flüstern der Seelen, welche sich, von der Macht angelockt, versammelten und darauf hofften befreit zu werden. Aber sie hatten hier nur einen Körper und wollten nur eine bestimmte Seele befreien.

Zwar konnte ihr Herr durch das Artefakt mit den Nekromanten in Kontakt treten, aber seine Seele war im Reich der Toten. Das Artefakt diente als Anker, was einen Teil seiner Seele in der Welt der Lebenden hielt. Jetzt waren sie endlich soweit, ihren Herrn und Meister wieder in die Welt der Lebenden zurückzuholen. Der Körper war sorgfältig von ihnen ausgewählt worden. Ein junger, gesunder Körper. Muskulös und kräftig. Die Seele des Mannes war ohne Schwierigkeiten vom Körper getrennt worden. Jetzt war der Körper bereit, ihren Meister aufzunehmen und ihm ein neues Angesicht in dieser Welt zu geben.

Kiriduls Geist tastete vorsichtig die Pforte zum Seelenreich entlang und drückten sie auf.

Sofort umhüllte ihn ein Flüstern und Wispern.

„Ein Sterblicher.“

„Was will er hier?“

„Niemand darf unser Reich betreten, entferne dich.“

Kiridul ignorierte die Seelen, die um ihn herum schwebten und betrachteten.

„Sterblicher, lass uns ruhen. Kein Lebender darf in unser Reich eindringen.“

Zustimmendes Geflüster erklang um ihn herum, aber Kiridul ließ sich nicht von den Worten einschüchtern.

„Herr, Wo bist du?“

„Ich bin hier, Kiridul“, bekam er als Antwort.

Zischend fuhren die Seelen auseinander und machten einer dunklen Gestalt Platz. Sattes schwarz näherte sich ihm und er spürte, welche Macht von seinem Herrn ausging.

„Ich bin hier, um dich zu holen, mein Herr.“

„Dann befreie mich, Schüler.“

Kiridul streckte seine Macht der großen Seele entgegen und verband die Kräfte. Schwer zog die Seele seines Herrn an seiner Macht und drohte ihn tiefer in das Seelenreich zu ziehen. Alleine hätte er der Macht nicht entgegenzusetzen gehabt und er wäre unweigerlich verloren gewesen. Nur die Kraft seiner Nekromantenbrüder hielt ihn auf der Schwelle zur Welt der Lebenden fest.

„Gut so“, lobte sein Meister, „Und jetzt konzentriere die Kraft und zieh mich hier heraus.“

Wäre er im Moment nicht körperlos gewesen, hätte er vor Anstrengung aufgestöhnt.

„Der Sterbliche begeht einen Frevel“, empörte sich eine Seele, während Kiridul seinen Herrn aus dem Reich der Toten befreite und das Tor wieder sorgfältig verschloss.

In der heißen Halle fuhr die Seele des Todesfürsten in den vorbereiteten Körper und beseelte ihn; drang in jede Faser. Ein Zittern durchlief den Körper und die sterbliche Hülle senkte sich auf den Boden hinab.

Das raumfüllende Wispern ließ nach und wich einer gespannten Ruhe. Nervös knieten die Nekromanten um den Körper und warteten, ob ihr Werk von Erfolg gekrönt war.

Für einen Augenblick sah es so aus, als ob sich nichts rührte. Dann aber stöhnte der Körper des jungen Mannes auf und ein Zucken durchlief die Glieder.

Kiridul erlaubte sich ein triumphierendes Lächeln.

Der Körper setzte sich auf und schlug die Augen auf. Schwarz waren die Augen, aber sie waren nicht blind. Gezielt fixierten sie Kiridul. „Du hast eine gute Wahl getroffen, mein Schüler.“

Der Todesfürst betastete seinen neuen Körper und nickte anerkennend. „Wirklich sehr gutes Material.“ Die Worte kamen ihm noch leicht verwaschen über die Lippen, aber sie waren verständlich und wurden mit jedem Wort klarer. Unsicher und wackelig stand der Todesfürst auf. Die jungen Muskeln trugen ihn ohne Probleme und er spürte, wie er zunehmend die Kontrolle über seinen neuen Körper gewann.

Erwartungsvoll sahen die Nekromanten ihn an und warteten ab, was passieren würde. Nackt stand ihr Herr vor ihnen und schaute in die Runde. „Das war eine Meisterleistung von euch. Ihr habt meine Lehren gut umgesetzt.“

Dankbar für die lobenden Worte senkten die Magier die Köpfe.

„Besonders du, Kiridul. Du bis mein Meisterschüler.“ Der Todesfürst legte ihm die Hand auf den Kopf und streichelte dem Magier über das graue Haar.

Tränen der Rührung standen in Kiriduls Augen. Sein Meister war wieder unter ihnen. Er war aus dem Reich der Seelen zurückgekehrt.

Krok

„Ich kann es nicht glauben, dass wir uns haben breitschlagen lassen.“ Krok saß auf seinem Pferd und meckerte seit Sonnenaufgang ununterbrochen vor sich hin.

„Sei nicht so missgestimmt. Genieß lieber die Frühlingsluft und meine Anwesenheit.“ Züleyha beugte sich aus ihrem Sattel und küsste ihn auf die Wange. „Du siehst es wieder mal zu negativ. Wir überbringen die Nachricht, Übernachten und stärken uns und reiten wieder zurück.“

„Alles ganz einfach, was?“ Krok spuckte von dem Kautabak aus, den er im Schloss Norderstedts aufgetrieben und zu seinen Vorräten genommen hatte. „Du vergisst, dieser Adelige ist verschlagen wie eine Natter.“ Seine gesunde Hand hielt die Zügel, sein Eisenarm lag an seinem Körper, der Unterarm vor seinem Bauch. Mittlerweile hatte er sich an Arm gewöhnt. „Und dieser rothaarigen Botschafterin traue ich auch nicht über den Weg“, setzte er nach.

Züleyha lachte auf. Sie war guter Stimmung. Die zu Krok entbrannte Liebe beflügelte sie und ließ sie wieder das Leben spüren. Sie hatte geglaubt, dass in ihrem Inneren etwas abgestorben war, aber er hatte es wieder zum Leben erweckt. „Du traust niemandem über den Weg, mein Liebster.“

„Das sagt mir die ruchlose Attentäterin, die wie ein schwarzer Panther in der Welt herumstreicht, immer auf der Suche nach ihrer Beute.“

„Du hast mich verändert. Ich will nicht nur existieren, sondern das Leben genießen.“

Wärme und Verlangen stiegen in ihm auf. „Was hältst du davon, wenn wir anhalten und eine etwas verlängerte Rast einlegen?“

Mit gespielt nachdenklicher Miene schielte sie zu ihm. „Bis zum Mittag könnten wir noch ein paar Meilen schaffen.“

„Denk dran, ich bin nicht vollständig genesen. Ich brauche Ruhe und Liebe.“

„Ich glaube, was du vorhast, hat nicht viel mit Ruhe zu tun.“

„Stimmt. Aber mit Liebe.“

Am Nachmittag lösten sie sich voneinander. Sie hatten die Mittagszeit erst damit verbracht ihre körperlichen Gelüste zu stillen und später einen Hasen gebraten, den sie am Vormittag erlegt hatten.

„Ich hoffe, man lässt uns in Ruhe, wenn wir die Nachricht überbracht haben“, sagte Krok kauend und biss in die Hasenkeule.

„Du hast doch gehört, was die Botschafterin gesagt hat. Wir sollen nur den Brief und die Nachricht der Königin übergeben und können danach Zara abholen und unserer Wege ziehen.“

Sie wussten beide nicht, was in dem Brief stand. Er war von Atriba Feuersturm gesiegelt worden. Sie waren lediglich die Boten.

„Hoffen wir das Beste. Ich will auch hoffen, wir finden diese geheimnisvolle Legion, von der sich die Königin so viel verspricht.“

„Bislang waren die Informationen, die Norderstedt besaß, zuverlässig.“

„Bis auf die Tatsache, dass ein Haufen irrer Magier in der Nekropole auf uns wartete und wir nur mit viel Glück wieder rausgekommen sind, mag das stimmen“, entgegnete Krok. Er riss den Rest Fleisch von der Hasenkeule ab. „Wir sollten aufbrechen, wenn wir noch ein Stück bis zum Sonnenuntergang schaffen wollen.“

Sie löschten das Feuer und achteten drauf, ihre Spuren möglichst gewissenhaft zu verwischen. Jemand, der ihnen gezielt folgen würde, wäre in der Lage, zu sehen, dass sie hier gerastet hatten, aber ein zufällig vorbeikommender Reisender würde es nicht auffallen. Bis zum Sonnenuntergang schafften sie noch ein gutes Stück und sahen kurz nach Sonnenuntergang die Lichter eines Gasthauses vor sich.

„Kehren wir dort ein und schlafen in einem weichen Bett“, entschied Krok.

Züleyha widersprach ihm nicht. Auch sie hatte keine große Lust wieder auf dem kalten harten Boden zu schlafen. Zwar waren die Tage einigermaßen warm, aber die Nächte wurden noch empfindlich kalt. Ein Essen, ein warmer Kamin und ein schönes weiches Bett erschienen ihr sehr verlockend. Den Brief konnten sie in der Satteltasche verstauen, die sie immer bei sich führten.

Bevor sie in die Stube des Gasthauses gingen, warf Krok einen kurzen Blick in den Stall, in dem er nur zwei Reitpferde entdeckte. So konnte er sicher sein, nicht auf eine größere Gruppe in der Unterkunft zu treffen.

Sie banden die Pferde an und nahmen ihr leichtes Gepäck mit hinein.

Drinnen empfing sie ein gemütliches Halbdunkel. Bis auf einen Tisch, an dem ein runtergekommener Saufbruder einsam einen Krug Wein leerte.

„Guten Tag“, rief Züleyha in den leeren Raum, bekam aber außer einem tiefen Rülpsen des Saufbruders keine Antwort.

„Scheint ja ein Lokal zu sein, in dem das Leben tobt“, grummelte Krok.

„Komme gleich“, kam eine verspätete Antwort aus der Küche.

Züleyha deutete auf einen der leeren Tische. „Komm, wir setzen uns derzeit. Ich glaube wir müssen noch etwas warten, bis wir etwas bekommen.“

„Wirt“, rief der Saufbruder mit schwerer Zunge, „Ich will noch einen Krug Wein.“

Krok zog einen Stuhl zurück und legte ihr Gepäck neben sich auf den Boden. „Was für eine trostlose Bude.“

„Na na, das will ich aber überhört haben.“ Der Wirt hatte sich ihnen genähert. „Was darf es denn sein?“

„Zwei große Biere und was zum Essen“, antwortet Krok.

„Meine Frau hat ein Wildragout im Topf und Kartoffeln.“

„Hey Wirt. Ich will auch noch etwas zu trinken.“ Der Saufbruder richtete sich halb auf, fiel aber trunken wieder auf seinen Platz zurück.

„Du hast schon zwei Krüge auf Kredit getrunken, mehr gibt es nicht“, fuhr der Wirt ihn an.

„Wirt, gib dem Mann noch einen Krug auf unsere Kosten.“ Krok zwinkerte dem Betrunkenen zu.

„Wie du meinst, Herr. Ich richte alles für euch her.“

Als sich der Wirt wieder entfernte, stand Krok von seinem Tisch auf und ging zu dem Saufbruder.

„Lass dir den Wein schmecken, mein Freund.“

„Bedankt.“ Der Saufbruder tippte sich an die Stirn.

„Was gibt es hier in der Gegend zu berichten? Räuberbanden oder so etwas? Kann man mit einer hilflosen Frau hier in der Gegend reisen?“

Mit trübem Blick fixierte er an Krok vorbei Züleyha. „Hilflos?“ Er schaute auf ihre Wurfmesser und grinste.

Krok stellte einen Fuß auf den Stuhl und lehnte sich auf sein Bein. „Also? Was ist hier in der Gegend los?“

Traurig schaute der Mann zu ihm hinauf. „Jetzt herrscht hier erst einmal Ruhe, Herr. Anderthalb Tagesreisen von hier gab es eine große Schlacht. Die letzte Legion des Reiches hat sich einer fremden Armee in den Weg gestellt. Den Gerüchten zufolge bestand die Armee aus Untoten.“

Krok überlief ein kalter Schauer, ließ sich aber nichts anmerken.

„Eine wahrhaft große Schlacht muss das gewesen sein. Vor ein paar Tagen kam eine kleine Gruppe Legionäre hier durch. Sie waren auf Patrouille. Ihre Centurios haben sie gegen eine Übermacht geführt und sie haben die Untoten niedergemacht bis auf den letzten...Mann.“ Er kicherte in sich hinein und rülpste leise. „Mutig müssen sie gekämpft haben. Große Verluste haben sie erlitten und waren am Rande einer Niederlage. Aber dann hat ein mächtiger Zauberer in die Schlacht eingegriffen und die Armee mit Blitzen und Feuer vernichtet. Er hat direkt in den Himmel gegriffen, um die Blitze aus dem Himmel zu holen. Ich wäre gerne dabei gewesen und hätte zugesehen.“

Krok runzelte die Stirn. Die Untoten hatte er ja selbst gesehen, aber ein Magier, der Blitze vom Himmel holte? Für ihn klang das reichlich unwahrscheinlich, das Hirngespinst eines Betrunkenen.

„Lass dir den Wein schmecken. Und wenn du danach noch Durst hast, spendiere ich dir noch einen Zweiten.“

„Danke, Herr.“

Er ging zu Züleyha zurück und setzte sich. „Wir sind auf dem richtigen Weg.“

Sie nickte und schaute zu dem Wirt, der zwei dampfende Teller mit Wildragout und zwei Krüge mit Bier balancierte.

„Lass uns etwas essen und dann ins Bett gehen, ich bin müde.“ Züleyha gähnte und freute sich auf das Abendessen.

„Sehr gerne.“ Krok grinste sie anzüglich an und begann zu essen.

Gadah

Das Gefühl nach einer Schlacht war wie ein Kater nach zu viel Alkohol. Der Kopf war schwer, die Muskeln müde und man war froh, den Rausch überstanden zu haben. Gadah ging müde und noch von der Schlacht gezeichnet über den Exerzierplatz.

Der Sieg hatte sie viel gekostet. Viele Männer waren gestorben, Erkilor, Mikos, Legionäre, deren Namen Gadah nicht kannte. Holderar hatte ihn gewarnt, dass sich diejenigen, die von den Untoten gebissen worden waren in ebensolche Geschöpfe verwandeln würden. Die ersten Verwundeten, die dem Fluch der Untoten zum Opfer fielen, wurden von ihren Kameraden unbarmherzig getötet. Als die anderen verwundeten Legionäre sahen, wie sich ihre Kameraden in Untote verwandelten, flehten sie ihre Kameraden an, sie auch zu töten. Der Tod sei barmherziger, als zu einem wandelnden Toten zu werden.

Insgesamt standen noch fünfhundert Männer unter Gadahs Kommando. Diejenigen, die nur Schwertwunden davongetragen hatten, würden überleben und den Dienst wieder aufnehmen können. Fünfhundert von einer Legion, die mit über zweitausend Mann in den Kampf gegen ein Heer gezogen war, was unbesiegbar schien. Sie hatten bestanden und den Feind geschlagen.

Gadah war stolz auf seine Legionäre, aber ihm war auch klar, dass sie verloren hätten, wenn Thom dem Feind mit seinen Kräften nicht in den Rücken gefallen wäre. Die Feuerwalze, die er über das feindliche Heer gesandt hatte, war ein wahres Inferno gewesen. Von Holderar wusste er auch, wie sie die Nekromanten niedergemacht hatten, die die Untoten kontrollierten. Ohne Holderar, Mikos und vor allem Thom wären sie überrannt worden.

Jeder der überlebenden Soldaten trug inzwischen ein Amulett nach Gadahs Vorbild. Es würde sie vor magischen Angriffen schützen. Gestern bei seiner Ansprache hatte er den Legionären erklärt, sie seien die wahren Nachfolger der legendären Zauberjägereinheit. In den bevorstehenden Kämpfen würden sie ihre eigene Legende schreiben können.

Die müden Männer hatten die Ansprache jubelnd aufgenommen und ihn mit lauten Rufen gefeiert. Den überlebenden Offizieren, Hunerik, Luzil, Nimius und Oliera unterstand nun jeweils eine Centurie von einhundertfünfundzwanzig Mann. Die Legionäre, die sich besonders verdient gemacht hatten in der vergangenen Schlacht, würden in den nächsten Tagen ihr Beförderungen zum Optio erhalten.

Gadah fasste sich an den Rücken und rieb eine schmerzende Stelle. Früher konnte sein Körper die Strapazen einer Schlacht besser wegstecken, aber das Alter klopfte leise an seine Türe und Gadah war sich dessen bewusst. Seine gut fünfzig Jahre mahnten ihn dazu, sich seine Kräfte einzuteilen. Auch Milana, mit der er das Bett teilte, rieb ihm sein Alter unter die Nase. Er wusste, dass sie recht hatte, aber es gab noch viel zu tun. Am Abend stand eine Besprechung mit seinen Offizieren an, in der sie über das zukünftige Vorgehen beraten wollten. Er kam zum Krankenrevier und atmete tief durch. Von drinnen klang eine schief gesungene Melodie und er wusste sofort, welcher unbegabte Sänger seine Kunst zum besten gab.

„Holderar, glaubst du, es ist für die Genesung der Kranken förderlich, wenn du ihnen was vorsingst?“, fragte Gadah beim Hereingehen.

„Zumindest ist an meinem Gesang keiner gestorben“, lallte der Zwerg mit einer halb vollen Flasche in der Hand. Seine Axt stand an die Wand gelehnt.

„Oh ihr Götter, Herr, hol diesen Zwerg hier raus, uns bluten die Ohren von seinem Gesang“, rief eine Stimme aus dem großen Saal.

„Ja, und meine Nase riecht den Schnaps, den er säuft, ich bin schon ganz duselig im Kopf“, rief ein anderer Legionär.

Allgemeines Lachen erfüllte den Raum und Gadah genoss die gelöste Stimmung.

Holderar stimmte die nächste Strophe seines Liedes an, in dem es um haarige Hurenärsche und treulose Ehemänner ging. Nach und nach stimmten die Legionäre auf den Krankenlagern mit ein und sie sangen den Refrain im Chor.

Gadah konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und ließ die Männer gewähren. Still stahl er sich in einen Nebenraum, der mit einem Vorhang abgetrennt war.

Isela saß an Thoms Bett, der schneeweiß und schwitzend unter einer Decke lag, die ihm bis unters Kinn reichte. Ihr Gesichtsausdruck drückte Sorge aus und in ihren Augen las Gadah, dass sie sich nicht nur aus Dankbarkeit um Thom kümmerte.

„Wie geht es ihm?“, wollte er wissen.

„Unverändert. Er isst und trinkt, atmet, aber er wacht nicht auf. Er reagiert auch nicht auf Stimmen. Holderar hat ihm sogar ein Lied vorgesungen, aber nichts holt ihn aus diesem Zustand.“

Traurig schaute Gadah auf seinen ehemaligen Schützling und schürzte die Lippen. Seine Heilkunst war hier machtlos. Er hatte Thom untersucht, aber keine körperlichen Wunden feststellen konnten. Sein Zustand musste also von der Magie her rühren, die Thom angewandt hatte.

„Wir können nur hoffen, dass sich sein Körper selbst regenerieren kann.“

„Nur die eine Hoffnung zu haben, ist eine schwache Aussicht“, sagte Isela, die Thom mit einem feuchten Lappen die verschwitzte Stirn abwischte.

„Es ist besser als nichts, Isela..“ Gadah setzte sich auf einen Stuhl neben das Bett und biss die Zähne zusammen.

„Du hast auch Schmerzen“, stellte Isela fest, die seinen Gesichtsausdruck sah.

Er winkte ab. „Mein Körper braucht nur etwas länger, um sich von der Schlacht zu erholen, das ist alles. Ich bin ja keine zwanzig mehr.“

„Aber du kannst es mit jedem Zwanzigjährigen aufnehmen“, sagte Hunerik.

Gadah lächelte. Sein letzter verbliebener Freund aus früheren Tagen. „Er übertreibt“, winkte er ab.

„Das glaube ich nicht. Die Männer erzählen sich von ihrem Kommandanten, der mit ihnen im Schildwall stand, und wie der Tod persönlich unter seinen Feinden gewütet hat. Sie sind sich sicher, dass sie es nicht ohne dich geschafft hätten.“

Gadah ließ das so stehen. Er wusste um die Bedeutung der Legenden, die sich bei Männern am Lagerfeuer bildeten. Oftmals waren sie wichtiger als die wahren Taten eines Mannes.

„Darf ich dich etwas fragen?“, schüchtern setzte sich Isela auf Thoms Bettrand.

„Natürlich, Isela. Was möchtest du wissen?“, antwortete Gadah.

„Welche Geschichte steckt hinter Thom? Er ist anders als andere Menschen. Grausam, brutal, unerbittlich, gleichermaßen einfühlsam, zärtlich und gerecht.“

Er schwieg einen Moment und dachte nach. Er wusste um seinen Anteil an Thoms Entwicklung, wusste aber auch, wie sehr die Umstände und Zeiten ihn geformt hatten. „Es ist keine einfache Geschichte und schon gar keine schöne“, sagte er schließlich.

„Das ist meine auch nicht. Ich möchte sie gerne erfahren.“

„Na schön, wir haben ja Zeit. Dann pass auf. Alles fing mit einem Überfall an.“

Thom

Er fiel und fiel und fiel. Fiel einem weißen Licht entgegen, was unendlich weit weg schien, ihn aber unermüdlich zu sich zerrte. Innerlich fühlte sich Thom frei und losgelöst von allen Sorgen und negativen Gefühlen. Sein Geist war befreit von den weltlichen Dingen. Er wusste, dass er seinen Körper, seine sterbliche Hülle, hinter sich gelassen hatte und nun auf dem Weg in eine bessere Welt war. Eine Welt ohne Schmerz und Kampf. Nur die ewige Ruhe würde ihn erwarten.

Gleißend hell leuchtete das Licht vor Thom auf und er fühlte, wie sich eine warme Hülle um ihn legte. Er ließ es geschehen und genoss die Ruhe.

Befreit von seinem Körper schwebte er wie schwerelos durch das weiße Licht, bis er schließlich einem dunklen Fleck entgegen schwebte. Er näherte sich dem Boden einer unbekannten Welt.

„Hab keine Angst“, sprach Meradon von irgendwoher.

„Wo bin ich denn?“, fragte Thom.

„Du bist auf dem Weg ins Reich der Toten. Ins Seelenreich.“

„Ich bin tot?“

„Nicht so ganz. Dein Körper ringt noch mit der Magie, die du entfesselt hast. Vielleicht stirbst du, vielleicht bleibst du auch am Leben. Du wirst es merken.“

„Wie denn?“

„Entweder wird dein Körper deine Seele zurückrufen oder deine Seele wird hierbleiben. Tief in deinem Inneren musst du noch eine Verbindung spüren, die dich mit deiner sterblichen Hülle verbindet.“

„Im Moment spüre ich gar nichts.“

„Das kommt noch. Du wirst dich an diesen Zustand gewöhnen.“

„Wenn ich hierbleibe.“

„Wenn du hierbleibst.“ Meradons Gestalt materialisierte sich neben Thom und gemeinsam schwebten sie zu Boden.

Thom hörte vereinzelte Stimmen und landete sanft auf dem Boden. Immer noch fühlte er sich frei und unbeschwert. Ein Kribbeln durchlief ihn und er fühlte, wie sich ein Körper um seine Seele legte.

Die Leichtigkeit nahm ab und Thom roch das würzige Gras vor seiner Nase. Er lag auf dem Boden und fühlte eine Wärme auf seiner Haut, die ihm sehr angenehm erschien.

„Versuch aufzustehen“, sagte Meradon.

Müde stemmte sich Thom hoch und war überrascht, wie gut ihm seine Arme und Beine gehorchten. Mühelos stand er auf und schaute sich um. Meradon stand vor ihm. Ein weißer Talar kleidete seinen Körper und auch Thoms Körper war in einem Talar derselben Farbe gekleidet. Er breitete die Arme aus und begutachtete sein neues Gewand.

„Ungemein kleidsam wie ich finde.“ Meradon kicherte albern. „Du kannst dir natürlich auch etwas anderes wünschen. Es gibt hier weniger Grenzen als im Land der Lebenden.“

„Am liebsten wäre mir mein schwarzes Kettenhemd und Mindokar“, sagte Thom.

„Um wen zu töten? Mit Klingen und körperlicher Gewalt kannst du hier niemandem einen Schaden zufügen. Hier befinden sich die Seelen der Verstorbenen und denen, die zwischen Leben und Tod stehen. Du wirst hier keinen Hunger und Durst verspüren, aber so viel essen und trinken können, wie du willst. Es ist von allem reichlich vorhanden. Wenn du willst, kannst du dich im Wettkampf mit anderen Seelen messen, um die Zeit zu vertreiben und bis du weißt, ob du wieder in die Oberwelt darfst.“

„Ich will mir nicht die Zeit vertreiben, ich will wieder zu meinen Freunden und mit ihnen zu kämpfen, sie benötigen meine Unterstützung.“

„Das zu entscheiden liegt nicht in meiner Macht, mein Sohn. Ich kann dir hier alles zeigen aber entscheiden, wer lebt oder stirbt, diese Macht hat nur einer.“

„Wer ist das?“, schnappte Thom.

„Khulat.“

„Der Gott des Seelenreichs? Es gibt ihn wirklich?“

Laut lachte Meradon auf. „Was glaubst du eigentlich, wo du bist? Du befindest dich in seinem Reich und du wirst hierbleiben, als einer seiner Untertanen. Du kannst hier hemmungslos leben, lieben, fressen, saufen vögeln. Keiner wird dir Vorhaltungen machen, niemand wird dich maßregeln. Genieße es, deinen Körper verlassen zu haben, genieße es einfach und befreie dich von deinen Sorgen.“

„Ich will mit Khulat reden. Ich muss wieder hier weg.“

Abermals lachte Meradon auf. „Was glaubst du, wer du bist? Während unseres Gespräches fahren unendlich viele andere Seelen hier ein und mindestens die Hälfte verlangt Khulat zu sprechen, weil sie nicht einsehen zu sterben. Und weißt du, wie viele es geschafft haben, Khulat davon zu überzeugen, dass sie wieder an die Oberwelt müssen?“ Meradon macht eine Pause, um seinen folgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen. „Keiner.“

Thom senkte den Kopf und biss die Zähne aufeinander. Wut und Hilflosigkeit bemächtigten sich seiner, wurden aber direkt durch die Macht des Seelenreiches gedämpft.

„Ich mache dir einen Vorschlag. Hier unten vergeht die Zeit anders als an der Oberwelt. Wir haben also genug Zeit, ohne dass du oben etwas verpasst. Vielleicht willst du gar nicht mehr weg.“

„Das glaube ich nicht, aber ich füge mich.“

„Dann komm und folge mir. Es gibt einiges zu sehen für dich.“

Sie ließen eine weite Ebene hinter sich, die in Thom eine Ruhe auslöste, die er schon in dem hellen Licht verspürt hatte. Ein Wäldchen mit saftig begrünten Bäumen beschattete eine Gruppe von grölenden Männern, die ein Festgelage abhielten. Meradon und er näherten sich den Männern und wurden sofort eingeladen, sich zu ihnen zu gesellen.

„Ho, heißen wir unsere Gäste willkommen an unserem Festmahl teilzunehmen“, rief der Wortführer der Gruppe, dessen Namen Thom vor laute Lärm und Gesang nicht verstanden hatte. Sie saßen an der Tafel der Männer und lauschten den Geschichten und Prahlereien der toten Krieger aus vergangenen Zeiten. Dabei schlemmten sie die köstlichsten Speisen und die erlesensten Weine. Wenn sie einen Teller und einen Weinkelch geleert hatten, erschienen umgehend neue Speisen, ohne dass jemand nachgelegt oder nachgeschenkt hätte. Thom hielt mit den anderen Männern mit und leerte einen Weinkelch nach dem anderen. Die Wirkung des Weins wurde durch das Seelenreich gedämpft und so stellte sich nur eine leichte Trunkenheit ein, die sich angenehm in ihm aus-breitete. Das Fleisch war zart und saftig und in Verbindung mit dem Wein stellte sich bald eine Fröhlichkeit ein, die Thom schon lange nicht mehr verspüren durfte. Er sang die Lieder der Männer mit und es dauerte nicht lange, bis er sich in der Runde wohlfühlte. Er hätte ewig hier sitzen und feiern können.

Tief in seinem Inneren rührte sich etwas und er erinnerte sich daran, wie er vorhin mit Meradon gestritten hatte und amüsierte sich über sich selbst.

Irgendwann zog er sich müde mit Meradon zurück und sie schliefen unter einem Baum ein.

Sanft wurde er von seinem Vater geweckt, indem er ihn an der Schulter fasste. Ausgeruht und erfrischt schlug er die Augen auf und schaute in einen klaren blauen Himmel, der zwischen dem grünen Blätterdach des Baumes hindurch schimmerte.

„Gut geschlafen, mein Sohn?“

Thom gähnte und kratzte sich über den Kopf. „Wunderbar.“ Angenehm überrascht stellte er fest, dass er trotz der Zecherei keinen Kater hatte und sich sein Kopf leer anfühlte.

„Ja, hier kann man hemmungslos saufen, ohne es am nächsten Tag zu bereuen. Bist du bereit für den nächsten Tag?“

„Was steht denn heute an? Wieder saufen?“

„Diesmal nicht. Heute werden wir jemanden besuchen.“

„Wen denn?“

„Lass dich überraschen und genieße.“ Meradon breitete die Arme aus und klatschte. Licht blitzte auf und sie befanden sich für ein paar Atemzüge wieder in dem weißen Licht, bevor sie auf eine Wiese gespuckt wurden.

Thom kam das alles hier bekannt vor. Die Felder, die Stallungen. „Meradon, das ist doch nicht...“, flüsterte Thom.

„Doch Thom, das ist dein Zuhause.“

Sie gingen um die Stallungen herum und Thom hörte schon das helle Lachen seiner Mutter, was er als Kind immer so geliebt hatte. Der Eingang mit der kleinen Veranda kam in Sicht und die Haustür öffnete sich. Der dunkle Schopf seines Bruders Mifal tauchte im Rahmen auf. Sein Bruder winkte ihnen zu und drehte sich ins Haus. „Mutter, Vater, Thom ist da.“

Seine Mutter stürmte aus dem Haus und ihm entgegen. Heftig schloss sie ihn in seine Arme und drückte ihn an sich. „Mein Thom, wir haben auf dich gewartet.“

Thom wusste nicht, was er sagen sollte und schloss seine Mutter einfach in die Arme. Tränen liefen ihm übers Gesicht und er roch ihren typischen Geruch.

Sein Vater kam auch heran. „Na, Mutter, lass den Jungen doch zu Atem kommen.“ Aber auch ihm lief eine Träne übers Gesicht. Er umfasste Thoms Genick und zog ihn an sich heran. Sein Sohn überragte ihn um einen vollen Kopf und schloss auch seinen Vater in die Arme. Er war wieder zu Hause. Was für ein wunderbares Gefühl.

In der Küche saßen sie alle an dem großen Tisch.

Seine Mutter legte die Gedecke auf und weinte immer noch vor Freude, während sie in ihren Töpfen rührte und das Essen zubereitete.

„Meradon hat uns vorgewarnt, dass er dich hierher bringen würde“, sagte sein Vater zwischen zwei Zügen aus seiner Pfeife und blies Rauchringe zur Decke.

Mifal grinste Thom in seiner ihm eigenen unbefangenen Art an und freute sich über das Wiedersehen mit seinem Bruder.

Thom zählte die Gedecke auf dem Tisch und rätselte. Sechs Gedecke richtete seine Mutter her aber sie waren nur zu fünft. „Erwartest du noch Besuch?“, fragte er sie.

„Nein, keinen Besuch, aber wir haben jemanden bei uns aufgenommen. Komm rein, meine Liebe“, rief seine Mutter und Thom drehte sich um.

Fast hätte ihn der Schlag getroffen. Im Türrahmen zur Küche erschien Lydia! Thom blieb die Luft weg und er spürte, wie seine Unterlippe zu zittern begann. „Lydia“, flüsterte er atemlos und stand auf. Sein Stuhl fiel um, aber das störte ihn nicht. Mit zittrigen Knien ging er auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Ihre roten Haare fielen in wunderbaren Locken auf ihre Schultern und ihre grünen Augen strahlten ihn an wie feurige Saphire.

Sein Blick verschleierte sich vor Tränen und er beugte sich hinab und küsste sie innig. Er schloss die Augen und gab sich ganz den zärtlichen Gefühlen hin, die er für diese Frau hegte.

Als sie sich schließlich voneinander lösten, hielt er ihren Kopf in den Händen und streichelte mit seinen Daumen über ihre Wangen. Ihre Haut fühlte sich zart und weich an.

„Danke, Meradon“, flüsterte er mit brüchiger Stimme, „Ich danke dir.“

Atriba

Viele Jahre bevor Atriba Feuersturm erste Botschafterin wurde, war sie mit der heutigen Königin auf der Magieschule des ehrwürdigen Erzmagiers. Es war Tradition die Kinder im Alter von sieben Jahre in die Schule zu geben, um ihr natürliches magisches Talent zu fördern.

Atriba erinnerte sich noch an die Blicke der älteren Schüler, wie sie die Neuen von oben bis unten taxierten und tuschelten. In den Kammern erhielten die neuen Schülerinnen ihre weißen Gewänder mit einem dunkelbraunen Gürtel. So sahen alle Novizinnen gleich aus. Stände, Geld und Herkunft mussten sie so hinter sich lassen. Für die Novizinnen zählte somit nur noch das, was sie in ihrer Ausbildung auf der Schule lernten und welche Verdienste sie hier erwarben. Zu Beginn waren alle gleich. Weiß und unschuldig.

Atriba und die Prinzessin teilten sich eine Kammer mit einer dritten Mitschülerin, die sich bereits im zweiten Jahr befand. Ihre Mitbewohnerin hieß Larah und war die Tochter eines wohlhabenden Kaufmannes, der das Schulgeld für zehn Jahre im Voraus entrichtet hatte.

Larah war ein Mädchen mit einer zu langen Nase und zu eng aneinander stehenden Augen. Sie war wahrlich keine Schönheit, aber auf Anhieb verstanden sich die drei Mädchen.

In der ersten Nacht erzählte Larah ihnen die Gepflogenheiten in dem Schloss, was als Unterkunft für die Magieschule diente. Große, dicke Mauern umgaben die Schülerinnen und schützten sie. Gleichzeitig dienten sie auch einem anderen Zweck: Sie sollten die Schülerinnen einsperren. Auch wenn es eine behütete Umgebung war, in denen die Mädchen ihre Jahre verbringen würden, sollten sie auch dafür sorgen, dass die Schülerinnen sich auf das Lernen konzentrieren sollten. Sie sollten zu einer Elite an Magierinnen erzogen werden, die ihrem Volk dienen würden und ihre Kräfte für das Wohl der Allgemeinheit einsetzen sollten. Fast alle der Mädchen stand eine Position im Staatsdienst in Aussicht. Einige würden später in der Armee Dienst tun, wieder andere würden in diplomatische Posten berufen werden.

Der Weg der Prinzessin war vorbestimmt. Sie würde Königin werden, wenn ihre Mutter sich zurückziehen würde. Entsprechend gespalten standen die anderen Schülerinnen ihr gegenüber, einige wollten sich mit ihr anfreunden, andere zeigten unverhohlen ihre Abneigung oder Feindschaft. Sie hatte es nicht leicht und musste im ersten Jahr viele Schmähungen ihrer Mitschülerinnen über sich ergehen lassen.

Auch Atriba war zunächst skeptisch, was die junge Adelige betraf. Aber schnell entdeckte sie das gute Herz der Prinzessin und sie wurden enge Freundinnen.

„Wenn ich Königin bin, mache ich dich zu meiner Botschafterin, dann bist du meine vertrauteste Person im Königreich.“

Die junge Atriba lachte nur, schloss die Prinzessin aber in ihr Herz für dieses Vertrauen.

Atriba war eine klassische Feuermagierin, zumindest sollte aus ihrem Talent eine werden; die Prinzessin war eine zukünftige Windmagierin. Der Grundunterricht war aber für alle verbindlich und wichtig. Die Unterrichtsstunden gestalteten sich für Atriba als langweilig. Sie las bereits in ihrer freien Zeit in der Bibliothek über alles, was ihr vor die Augen kam. Und sie hatte sich bereits in die theoretischen Magiegestaltungen eingelesen. Jede Frage der Lehrerin konnte sie aus dem Stegreif beantworten und so wurde sie zu einer Musterschülerin.

An einem ihrer freien Tage im vierten Ausbildungsjahr, gingen Atriba, die Prinzessin und Larah auf einen Streifzug durch den nahe gelegenen Wald, um das theoretisch erworbene Wissen anzuwenden. Keiner Schülerin war es gestattet, ohne die Aufsicht eines Lehrers die Magie anzuwenden. So trafen sie sich immer heimlich für ihre magischen Spielchen.

„Wetten wir, dass ich diesmal wieder gegen euch gewinne?“ Larah steckte die Nase in die Luft und sah furchtbar überheblich aus.

„Nur weil du ein Jahr weiter bist, als wir, musst du uns nicht frotzeln“, sagte die Prinzessin trotzig.

„Was wollen wir diesmal machen?“, fragte Atriba und unterbrach den aufkeimenden Streit.

„Wie wäre es, wenn wir wieder Äpfel vom Baum holen?“, warf die Prinzessin ein.

„Ach nein, lasst uns doch lieber etwas schwereres machen? Lasst uns diesmal Nüsse vom Baum holen“, schlug Larah vor.

Die anderen waren einverstanden und so gingen sie durch den herbstlichen Wald mit seinen roten und gelben Blättern und unter ihren Füßen raschelte das trockene Laub. Weit genug von der Burg der Zauberschule entfernt hielten sie an einem Nussbaum an und legten die Köpfe in den Nacken.

„Wir versuchen abwechselnd die Nüsse, die die anderen auswählen, herunter zu holen.“

Atriba und Larah nickten.

„Gut, dann fange ich an“, bestimmte die Prinzessin. „Atriba, die Walnuss auf dem Baum im oberen Ast.“

Atriba beschattete ihre Augen mit einer Hand und konzentrierte sich. Sie zog die Wärme aus der Umgebung zusammen und ließ einen kleinen Feuerball, halb so groß wie die anvisierte Walnuss, aus ihrem Zeigefinger losfliegen. Schnurstracks flog die kleine Flamme auf die Nuss und traf sie. Senkrecht fiel die Nuss in das Laub und blieb liegen.

Lachend drehte sich Atriba um und zeigte auf die Prinzessin. „Und jetzt du.“ Sie zeigte in den Baum auf eine Walnuss, halb von einem Blatt verdeckt. „Die da oben“, rief sie und trat einen Schritt zurück.

„Oh, das ist aber schwer“, die Prinzessin schob die Unterlippe vor und atmete tief ein; verdichtete die Luft und stieß sie hervor. Eine Welle von konzentrierter Luft prallte gegen die Nuss und ließ sie herabfallen. Zufriedenheit zeigte sich auf dem Gesicht der Prinzessin. Kichernd klatschte sie vor Begeisterung in die Hände und trat von einem Fuß auf den anderen.

„Gut gemacht“, lobte Larah.

„Ja sehr gut gemacht, Hexenschlampe!“

Erschrocken drehten sich die Mädchen um und sahen einen Jungen mit verpickeltem Gesicht und zerrissenen Kleidern. Barfuß stand er auf dem Waldboden.

Larah, ganz mutig ging einen Schritt auf den Jungen zu, der auf sie herunterblickte und setzte ihr ernstes Gesicht auf. „Wer bist du denn?“, fragte sie den Jungen.

Ohne zu antworten ging er um sie herum und missachtete ihre Anwesenheit vollkommen. „Die kleine Blonde gefällt mir. Hast du nicht Lust heute Nacht mein Lager mit mir zu teilen?“

Unfähig zu einer Erwiderung stand der Prinzessin der Mund offen.

Der Junge streckte die Hand aus und drückte ihr die Brust. „Ein bisschen Flach, aber für eine Nacht sollte es reichen.“

Entsetzt schlug die Prinzessin die Hand des Jungen weg und sprang zurück. „Lass uns in Ruhe.“

„Warum sollte ich?“ Frech grinsend stellte er ihr nach und streckte den Arm wieder aus, um erneut nach ihr zu greifen.

Atriba wurde wütend und sprang dazwischen, schubste den Jungen, dass er auf den Hosenboden fiel. „Hau ab!“, drohte sie ihm.

Wut blitzte in den Augen des Jungen auf und er sprang wieder auf die Füße. „Na warte...“

Drohend kam der Junge auf Atriba zu und hob die Fäuste.

Schnell zog die Zauberschülerin die Wärme der Umgebung zusammen und ließ eine Flamme auf ihrer Handfläche tanzen. „Ich warne dich“, drohte sie.

„Glaubst du, ich habe Angst vor deinen Zauberspielchen?“

„Sei vorsichtig“, warnte Larah hinter Atriba.

Der Junge holte aus und wollte seine Faust in Atribas Gesicht rammen.

Ohne zögern schnippte die junge Zauberschülerin mit den Fingern und die Flamme schoss davon, genau auf den Jungen zu und flog in seine Nasenlöcher.

Der Junge nieste und bekam einen roten Kopf. Dann riss er die Augen auf und schrie. Er griff sich panisch ins Gesicht, wedelte sich Luft zu und krümmte sich, fiel auf die Knie. Seine Schreie steigerten sich. Die Oberfläche seiner Augen warfen Blasen und trübten sich ein. Mit einem letzten Aufbäumen erstarb der letzte Schrei des Jungen und plötzlich herrschte Ruhe. Eine Mischung aus Blut und grauer Masse floss aus seiner Nase.

„Du hast ihm das Hirn gekocht“, stellte die Prinzessin fest.

„Unglaublich“, flüsterte Larah.

Mit ausdruckslosem Gesicht starrte Atriba auf den toten Jungen. „Es gab keine andere Möglichkeit.“

„Danke, meine Freundin.“ Die Prinzessin legte ihr die Hand auf den Rücken.

Atribas Hände waren eiskalt und zitterten. „Was sollen wir machen?“