Das Cottage der großen Wünsche - Anna Cheska - E-Book
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Das Cottage der großen Wünsche E-Book

Anna Cheska

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Beschreibung

Die Liebe wärmt das Herz auch an Regentagen! Der Feelgood-Roman »Das Cottage der großen Wünsche« von Anna Cheska jetzt als eBook bei dotbooks. Die Kinder sind aus dem Haus – was wäre da schöner als ein Neubeginn in einem malerischen Cottage auf dem Land? Mit diesem Gedanken ziehen Jess und ihr Mann Felix ins zauberhafte »Cliff Cottage« nach West Dorset. Doch der Traum scheint schlagartig vorbei zu sein, als Jess erfährt, dass Felix sie schon seit längerer Zeit betrügt! Jess ist schockiert – und ratlos: Soll sie um ihre Ehe kämpfen, obwohl sie Felix so wenig wert zu sein scheint … oder gibt es womöglich noch ganz andere Träume und Wünsche, die sie sich nun erfüllen könnte? Und dann gibt es da auch noch den charmanten Arzt Matthew, der erst vor kurzem in Jess Leben gestolpert ist – und der zu gern der Mann an ihrer Seite sein würde … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der gefühlvolle Liebesroman »Das Cottage der großen Wünsche« von Anna Cheska. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 620

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Über dieses Buch:

Die Kinder sind aus dem Haus – was wäre da schöner als ein Neubeginn in einem malerischen Cottage auf dem Land? Mit diesem Gedanken ziehen Jess und ihr Mann Felix ins zauberhafte »Cliff Cottage« nach West Dorset. Doch der Traum scheint schlagartig vorbei zu sein, als Jess erfährt, dass Felix sie schon seit längerer Zeit betrügt! Jess ist schockiert – und ratlos: Soll sie um ihre Ehe kämpfen, obwohl sie Felix so wenig wert zu sein scheint … oder gibt es womöglich noch ganz andere Träume und Wünsche, die sie sich nun erfüllen könnte? Und dann gibt es da auch noch den charmanten Arzt Matthew, der erst vor kurzem in Jess Leben gestolpert ist – und der zu gern der Mann an ihrer Seite sein würde …

Über die Autorin:

Anna Cheska ist Dozentin für kreatives Schreiben und schreibt außerdem selbst erfolgreich Romane und Kurzgeschichten für Frauenmagazine. Sie lebt mit ihrem Partner und ihren drei Kindern in West Sussex.

Bei dotbooks erscheint von Anna Cheska außerdem »Der kleine Blumenladen der Träume«.

***

eBook-Neuausgabe Juli 2020

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2000 unter dem Originaltitel »Moving to the country« bei Piatkus. Die deutsche Erstausgabe erschien 2001 unter dem Titel »Die Glücksbringerin« bei Lübbe.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2000 by Anna Cheska

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / John And Penny / mexrix / Africa Studio / Andrew Roland / SusaZoom / Ralf E. Staerk / Julia Ardaran

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-964-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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blog.dotbooks.de/

Anna Cheska

Das Cottage der großen Wünsche

Roman

Aus dem Englischen von Michaela Link

dotbooks.

Besonderen Dank schulde ich meiner Agentin Teresa Chris für ihren Enthusiasmus, ihre Beratung und ihre Unterstützung.

Mein Dank gilt auch Sue und Kate Monnery, Heidi Percival und meinen netten, hilfreichen Freunden, die schon wissen, wen ich hier meine. Ein Dankeschön an Keith dafür, daß er mich unbeabsichtigt hat in die italienische Oper verlieben lassen. Und an den Rest meiner Familie, für den das Wort ENDE für immer eine besondere Bedeutung haben wird.

Denn stete Tränen haben mirdes Lebens Farben ausgewaschen.

Elizabeth Barrett Browning

(Sonette aus dem Portugiesischen, 1850)

Kapitel 1

»Da wären wir also.«

Felix' Stimme riß Jess aus dem Schlaf. Sie richtete sich benommen auf dem Beifahrersitz auf und räkelte sich. »Was? Wo?« Die Landschaft war üppig, grün und fremd.

»Brocklemouth – was hast du denn gedacht?« Seine Antwort klang gerade so, als wären sie an einem Samstagmorgen eben in den Supermarkt gefahren und nicht gerade damit beschäftigt – unterstützt von einer Firma mit dem zweifelhaften Namen »Intaktumzüge« –, ihren gesamten weltlichen Besitz von East Sussex nach West Dorset zu verfrachten.

Jess lächelte. In ihrem Fall schloß der Umzug sogar die Küchenspüle mit ein; sie war aus Emaille und wie geschaffen für das Brunnenkressebeet, das sie in ihrem neuen Garten anlegen wollte.

Felix mochte noch so beiläufig klingen – sie wußte, wieviel ihm das alles bedeutete. Ein neuer Anfang für uns, Jess. Für uns und auch für die Firma. Liebte sie nicht gerade das an ihrem Mann? Seinen gesegneten, kindlichen Optimismus?

Sie richtete sich auf und betrachtete noch ein wenig schlaftrunken die vorübergleitende Landschaft. »Jetzt schon?« Und tatsächlich – sie fuhren bereits langsamer und bogen nach links in die Gasse ein, die zur Bucht hinunterführte, die Gasse, die sie von ihrem einzigen Besuch vor drei Monaten noch in lebhafter Erinnerung hatte. Der Weg konnte sich nicht recht für eine Richtung entscheiden – ein wenig wie sie selbst, schoß es ihr durch den Kopf. Und der Gedanke, es könnte ihnen ein anderer Wagen in dieser engen Gasse entgegenkommen, war alles andere als beruhigend ... am Ende der Straße stoßen wir wahrscheinlich auf so einen elenden Campingplatz, hatte Felix bei ihrem ersten Besuch gebrummt, mit einer Stimme, die ihr verriet, daß es ihn nicht mehr interessierte, weil er bereits beschlossen hatte, sich in dieses Fleckchen Land zu verlieben.

Jetzt schon«, wiederholte er mit einem Lächeln, bei dem ihr warm wurde.

»Was meinst du, ob wir es schneller geschafft haben als die Möbelpacker?« Jess verzog das Gesicht in der unerwartet grellen Nachmittagssonne und wühlte in ihrer Tasche nach der Sonnenbrille. Sie fand eine Geldbörse, die förmlich aus allen Nähten platzte – woran lag es nur, daß ein Umzug immer so viele Pennys zutage förderte? –, den unvermeidlichen Zeichenblock und die Pastellkreide, die sie überall mit sich herumschleppte. Außerdem fanden sich Feuchttücher, obwohl diese Zeiten eigentlich vorbei sein sollten: ihre Tochter Sophie war inzwischen achtzehn und besuchte die Universität. Als nächstes fielen ihr einige Schlüssel in die Hände – neue Schlüssel –, die sie vor Erwartung leicht erschauern ließen, und dann stieß sie endlich auf ihre schon ein wenig mitgenommene Sonnenbrille.

Ihre Bemerkung über die Möbelpacker brachte Felix zum Lachen. Sie mochte die Art, wie er lachte; er machte keine halben Sachen, sondern warf seinen dunklen zerzausten Kopf in den Nacken und donnerte los. »Bei der alten Kiste, die sie fahren, möchte ich das doch hoffen.« Mit einem eleganten Schwung ließ er den Alfa Romeo durch eine Rechtskurve gleiten und demonstrierte damit den absoluten Gegensatz zu dem Gefährt, dem sie ihre gesamte Habe anvertraut hatten.

»Wir haben aber eine Kaffeepause gemacht, zwanzig Minuten.« Felix hatte in der Autobahnraststätte seinen Kaffee brühheiß hinuntergestürzt, so sehr brannte es ihm unter den Nägeln, weiterzukommen.

»Und die Möbelpacker haben vierzig Minuten Pause gemacht. Mindestens.«

»Hm.« Jess hoffte insgeheim, daß der weiße Möbelwagen bereits da war, wenn sie ankamen; es wäre schön, wenn ein paar von ihren Sachen bereits Einzug gehalten hätten und auf sie warteten. Der Wagen, den sie das letzte Mal gesehen hatte, als er die Sompting Lane hinunterholperte, transportierte in seinem dicken Bauch neunzehn Jahre angesammelter Erinnerungen – ein niederschmetternder Gedanke. All ihre Erinnerungen steckten in Kartons mit Kochtöpfen, Geschirr und sogar dem gläsernen Kuchenteller, den die Slatterslys ihr zum Abschied geschenkt hatten (und den sie natürlich nie benutzen würde). Neunzehn Jahre Zeug, angesammelt während Sophies Kindheit, Sophies Teenagerjahren, Sophies Auszug ...

Einen Moment lang verschwammen die Bäume und die hohen, grasbewachsenen Böschungen entlang der Straße, die sie ihrem neuen Zuhause entgegenführte. Jess' Blick richtete sich in die Ferne, auf die Bauernhäuser und die gelben und grünen Felder, die so aussahen, als hätte ein großzügiger Gott sie mit einem Pfefferstreuer willkürlich über die Hänge und Hügel verteilt. Der Flickenteppich Dorset. Und dann trat auch die Landschaft immer weiter zurück und wurde schließlich von einer weiblichen Gestalt mit einem Rucksack abgelöst. Ein wenig zu groß, ein wenig zu dünn, hätte Sophie sich selbst beschrieben, mit einer Woge braunen Haares, das genauso kraus war wie das von Jess, und mit dunkelblauen Augen, die ihr Gesicht beherrschten. Die Augen hatte sie unverkennbar vom Vater ... Jess warf einen verstohlenen Blick auf ihren Mann.

Sie dachte an Sophie, so wie sie sie das letzte Mal gesehen hatte, draußen vor dem Bishop-Bell-Heim am Chichester Institute, dem Studentenheim, das jetzt ihr neues Zuhause war. Als sie abgefahren waren, hatte Sophie blödsinnig gegrinst und ihnen nachgewinkt. Ja, Sophie hatte glücklich ausgesehen – beinahe erleichtert. Und sie hatte mit keinem Wort gegen diesen Umzug nach Dorset protestiert, sondern sie eher noch ermutigt. Ich bin jetzt erwachsen, Mums. Ich stehe auf eigenen Füßen. Ich muß mein eigenes Leben leben. Alles wahr. Warum also hatte Jess das Gefühl, ihre Tochter schmählich im Stich gelassen zu haben? Allen Unkenrufen zum Trotz war ihnen auch über Sophies Teenagerjahre hinweg eine Art zerbrechlicher Nähe erhalten geblieben. Woher jetzt das Gefühl, daß diese Nähe immer dünner wurde? Wie ein Faden, der plötzlich zerriß, ohne daß sie es auch nur bemerkte?

Jess rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz hin und her. Und warum erinnerte Sophie sie auf einmal so lebhaft an ihre jüngere Schwester, die ihr so gut wie verloren gegangen war? An Louisa, die ebenfalls nur einen Rucksack mitgenommen hatte, als sie fortging, die aber seit sechzehn Jahren nicht mehr zurückgekommen war?

Beinahe am Ziel. Jess streckte die Beine aus, und abermals spürte sie Felix' mühsam beherrschte Erregung. Auch die Nähe zu Louisa war zerbrechlich gewesen. Vielleicht war es das. Oder vielleicht lag es daran, daß ihre schlaksige Tochter mit dem wirren Haar sie äußerlich so sehr an Louisa erinnerte. Es wäre schön für Sophie gewesen, mit einer Tante in der Nähe aufzuwachsen. Jess konnte sich gut vorstellen, was für eine Art von Tante Louisa gewesen wäre – eher eine Freundin, jemand, mit dem ein Mädchen reden konnte, wie es mit der eigenen Mutter eben nicht immer möglich war ... Jess rief sich zur Ordnung. Es hatte nicht sollen sein, und es war sinnlos, nun darüber nachzugrübeln. Nur ... wo war Louisa jetzt? Nicht einmal das wußte sie.

»Jupps Lane.« Felix bog nach links ab und legte ihr eine Hand aufs Knie.

Jess drückte sie. »Jupps Lane.« Es klang ganz gut, und es hatte auch ziemlich ansprechend ausgesehen auf den Postkarten, mit denen sie vor zwei Wochen Freunden und Bekannten ihre neue Adresse mitgeteilt hatte. Cliff Cottage, Jupps Lane, Brocklemouth, Dorset. Eine solche Adresse hatte sie sich immer gewünscht. Schlicht, und trotzdem war alles damit gesagt.

»Sehr nobel«, hatte ihre Freundin Patti bemerkt, als sie die Karte las, »wenn man ohne Hausnummer auskommt.«

Felix bremste vor dem Cottage ab, und Jess ließ einen Augenblick lang ihr neues Zuhause auf sich wirken: die zerbrochenen Steinplatten des Weges, die vielen dunklen Flecken, wo im Dach die orangefarbenen Tonziegel fehlten, die abgenutzten, flachen, gelben Steine aus Dorset-Kalk, die überwuchert waren von Geißblatt und wildem Wein. Sie lächelte zufrieden. Ganz und gar nicht nobel.

»Wir müssen noch eine Unmenge Arbeit reinstecken«, hatte sie zu Patti gesagt.

Und Patti, mit der sie sich allwöchentlich im Café Continental – in dem Einkaufszentrum, in dem sie beide arbeiteten – traf, erwiderte: »Du bist durchschaut.« Sie wies auf den Zeichenblock, der sich zu jeder Tageszeit provokativ aus Jess' Tasche hervorzudrängen schien. »Dann liegt die Sache noch mehr auf deiner Linie, als ich dachte.« Und damit hatte sie recht. Jess konnte es kaum erwarten, das Haus in die Mangel zu nehmen.

Felix ließ die Kassette des italienischen Tenors, der ihnen auf dem Weg durch das ländliche Dorset ein Ständchen gebracht hatte, aus dem Recorder gleiten und sprang aus dem Wagen. »Also los!«

Das brauchte er Jess nicht zweimal zu sagen. Sie stieg aus dem Wagen und reckte sich nach der langen Fahrt, ohne den Blick von dem Cottage abzuwenden. Ihr entging nicht das kleinste Detail, weder die abblätternde Farbe an den hölzernen Fensterrahmen noch die vernachlässigten Geranien in den Töpfen vor der Haustür. Der Außenanstrich mußte vor Wintereinbruch erneuert werden, und sei es auch nur, um den Fäulnisprozeß aufzuhalten, der offensichtlich bereits eingesetzt hatte. Sie würde Glockenblumen, zwischen die Steinplatten pflanzen, und im Sommer konnten sie große Töpfe mit Mohn und Kornblumen vors Haus stellen.

»Keine Zeit zum Träumen.« Felix griff nach ihrer Hand und zog sie zur Haustür.

»Hast du nicht gesagt, wir hätten jede Menge Zeit, bevor die Umzugsleute hier ankommen?« protestierte sie halb lachend.

Felix klimperte mit seinen Schlüsseln und machte eine rätselhafte Miene. »Zeit für eine kleine Entdeckungstour, mein Schatz.« Er öffnete die Verandatür, schob seinen Schlüssel in das zweite Schloß und kam dann wieder heraus.

»Was ...?«

»In altem Stil, würde ich sagen.« Er beugte sich leicht vor, und bevor sie seine Absicht hätte erraten können, hob er sie hoch, nahm sie nach Feuerwehrmann-Manier in die Arme und taumelte unter lautem Stöhnen über die Schwelle.

»So macht man das aber nicht!« Sie hielt mit einiger Mühe ihre Tasche fest, während sie ihm gleichzeitig einen kräftigen Schlag aufs Hinterteil versetzte. »Außerdem brennt es doch gar nicht. Und das soll romantisch sein, bitte schön?«

Aber sie fand es herrlich und kostete den Augenblick aus, der ihr das Gefühl gab, wieder ein junges Mädchen zu sein. In Augenblicken wie diesem könnte sie beinahe all ihre Sorgen vergessen, statt sie lediglich in das kleine geistige Schränkchen zu verbannen, das sie eigens zu diesem Zweck »installiert« hatte. Das war eine ihrer Spezialitäten. Sie steckte mißliebige Gedanken in diesen Schrank – so lange, bis die Tür kaum mehr zuging. (Was würde dann passieren? Würden all diese Dinge herausfallen und sie unter sich begraben?) Auch wenn sie gelegentlich einen kurzen Blick auf diese gut verstauten Dinge warf ... meistens blieben sie doch unbeachtet.

Felix hievte sie über die Schwelle und setzte sie unsanft in dem dunklen Flur ab. »Die Romantik kommt in die Jahre. Der eine oder andere von uns läßt eben nach. Und manch einer ...« Seine Augen wurden schmal, und er musterte sie von Kopf bis Fuß, »manch einer ist vielleicht sogar schwerer geworden.«

»Mistkerl!« Aber Jess war nicht recht bei der Sache und fuhr bereits mit dem Zeigefinger über die dunkelblaue Farbe und das mit winzigen Löchern durchsetzte Holz der Flurvertäfelung. Woher kam das Licht? Sie blickte die Treppe hinauf und entdeckte ein kleines quadratisches Fenster. Von dort kam das Licht also, von dort und von der Buntglasscheibe in der Haustür, die schwer nach einem Fünfziger-Jahre-Ersatz für etwas ursprünglich viel Schöneres aussah. Und damit hatte es sich dann.

»Laß uns ein paar Fenster aufmachen.« Sie stieß die Wohnzimmertür auf und zog die Gardinen vor dem Erkerfenster zur Seite, abscheuliche, graue Dinger voller Spinnweben. Aber das Cottage stand nahe an der Straße, so daß sie irgendwelche Gardinen brauchen würden, falls sie ihr Wohnzimmer nicht jeden Abend öffentlich zur Schau stellen wollten.

Felix stand grinsend in der Tür. »Stell dir nur vor, was Immaculate Interiors aus diesem Haus machen würde«, sagte er.

Jess dachte an ihre ehemalige Chefin Sandra Slattersly mit ihrem toupierten, orangefarbenen Haar, dessen Ton sich in ihrem Lippenstift wiederholte. Hätte Sandra Gefallen gefunden an so einer weißen Leinwand, die auf ihre Ideen wartete? Nein, sie hätte Todesängste ausgestanden. Sie konnte Sofakissen und den Bezug für eine Garnitur passend zu einer Samtgardine aussuchen, aber das war so ziemlich der Gipfel ihrer kreativen Fähigkeiten. Nicht daß sie das irgend jemandem verraten hätte ...

»Entzückend, meine Liebe«, hauchte Jess mit Sandras heiserer Stimme und streckte dabei ihren Busen vor, der bedauerlicherweise die üppigen Kurven von Sandras Oberweite vermissen ließ. Dann richtete sie den Blick auf eine Stelle irgendwo über Felix' Kopf. Sandra pflegte sich stets mit der Luft über ihren jeweiligen Gesprächspartnern zu unterhalten, so daß man sich die ganze Zeit voller Nervosität fragte, ob sich vielleicht ein unidentifiziertes Flugobjekt näherte, um einem seine beste Leinenjacke zu zerfetzen. »Aber wir müssen sehr vorsichtig zu Werke gehen, immer hübsch eins nach dem anderen. Mister Vorschnell muß am Ende immer seine eigenen Scherben wegräumen.«

Felix lachte. »Nun, dieser Mister Vorschnell würde sich als erstes der kackbraunen Wände hier entledigen.«

»Ganz deiner Meinung.« Jess zog ihren Zeichenblock aus der Tasche und machte sich hastig einige Notizen. Sie hatte schon früher darüber nachgedacht: Wer immer dieses Cottage eingerichtet hatte, wollte bestimmt in einem Mausoleum leben. Natürlich hatte sie im Geiste bereits das ganze Haus neu gestaltet, mehrmals sogar und mit einer Vielfalt verschiedener Ideen, aber das Gedächtnis spielte einem gern Streiche. Bei ihrem Besuch hatte sie so viele Zeichnungen gemacht, daß Felix sich mit einer Karikatur in ihrem Block gerächt hatte; er hatte eine verrückte Künstlerin mit ebenso verrücktem Haar gezeichnet und eine Sprechblase mit einer ausgesprochen rüden Bemerkung hinzugefügt. Und doch fehlte ihr für einige Dinge immer noch die zündende Idee.

Felix beugte sich in den Kamin und reckte den Hals, um in den Schornstein hinaufzublicken. »Der muß dringend mal ausgekehrt werden.«

»Und das hier ...« Zaghaft und nur mit der Zehenspitze stieß Jess gegen den Teppichboden, dessen Muster stark an Rühreier erinnerte, »das hier kann die lange Reise zur nächsten Müllkippe antreten.« Aber alles in allem war es ein schöner, großer Raum. Unter dem Teppich mochten sich annehmbare Dielenbretter verbergen, die man reinigen und frisch lackieren konnte, und mit einem lodernden Holzfeuer im Kamin würde die schmale Sitzbank unter dem Erkerfenster das ideale Plätzchen zum Zeichnen oder Lesen sein.

Aber was tat sie eigentlich in diesem Raum, solange sie noch nicht einmal in der Küche gewesen war? Und eines gab es, auf das Jess besonders gespannt war, als sie die Tür zur Küche öffnete: den Blick aus dem Fenster direkt vor ihr, dem Fenster mit der Aussicht, die bei ihrem Besuch hier, soweit es sie betraf, alles klargemacht hatte. Sie wußte, daß ein leicht törichtes Lächeln auf ihrem Gesicht stand, als sie durch den Raum zur Spüle ging. Glückseligkeit nannte man das wohl ...

Und wenigstens das war genau so, wie sie es in Erinnerung hatte: eine wunderbare Aussicht auf einen überwucherten Garten. Er war klein und leicht abfallend, durchzogen von einem Bächlein, das in einen winzigen Teich mündete. Unten ein hölzernes Tor, das auf das Kliff hinausführte, und in der Ferne leuchtete verlockend das Meer.

Jess machte sich mit ausgestreckten Armen an dem Schiebefenster zu schaffen. Es zeigte sich widerspenstig, nachdem es so lange nicht benutzt worden war, aber schließlich ließ es sich doch hochschieben. Sie holte tief Luft. Es lag alles in diesem Geruch, sie hatte alles zugleich in der Nase: das Gras, die Klippen, das Meer.

»Da hast du jedenfalls was zum Anschauen«, hatte Felix vor drei Monaten gesagt, als er hinter sie getreten war und ihr die Hände um die Taille gelegt hatte. »Während du den Abwasch besorgst.« Und sie hatte ihn unter den neugierigen Blicken des Maklers lachend weggestoßen.

Felix tat dasselbe auch jetzt. Nur daß er diesmal nichts über den Abwasch sagte. Er hielt sie einfach umfangen, und sie blickten gemeinsam hinaus. Sie spürte seinen Körper hinter sich, die kräftigen Muskeln seiner Arme. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.

»Oh, Jess», sagte er nach einer Weile.

In diesem Augenblick liebte sie ihn – vielleicht fast genauso sehr, wie sie ihn vor neunzehn Jahren geliebt hatte –, liebte ihn mit der gleichen Leidenschaft wie damals, nur daß im Laufe der Zeit auch ein wenig Klugheit hinzugekommen war. Und dann fiel ihr wieder ein, was sie zu Patti gesagt hatte. Über das Schweigen, das so oft auf ihnen lastete, wenn sie alleine waren, über ihr Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ich bin mir nicht mehr sicher, was ich eigentlich will. Aber was sie Patti nicht gesagt hatte, war noch schlimmer. Ihre geheime Sorge, daß es wieder geschehen könnte, so wie es schon einmal geschehen war. Daß Felix ...

»Nein.« Sie sprach das Wort laut aus. Es war unmöglich.

»Nein?« Felix drehte sie sachte zu sich herum.

Sie konzentrierte sich auf die Küchenwände, weil sie ihm nicht in die Augen sehen wollte. »Nein zu Magnolien«, sagte sie.

»Also weißt du!« Seine Miene wurde weicher. »Komm, sehen wir uns mal den Teich an.«

Sie gingen durch die lange, schmale –Werkstatt. Jede Menge Platz für deine Farbtöpfe«, zog Felix sie auf. »Für deine Walzen, Pinsel und Spiritusflaschen und was du sonst so hast.« In seiner Stimme klang wieder der australische Akzent durch, den auszulöschen ihm nie ganz gelungen war, obwohl sie wußte, daß er sich weiß Gott Mühe gegeben hatte. Felix' Familie und seine ganze Vergangenheit lagen weit fort in Australien, nur er hatte sich von dort losgerissen.

Jess wischte etwas Staub von dem alten Apothekenschrank, den die früheren Besitzer glücklicherweise dagelassen hatten. Sie hatte sie praktisch angefleht, es zu tun. Unmengen Schrankraum. Und so viele Eckchen und Winkel für Kleber und Lacke, Bleistifte und Schwämme.

Draußen im Garten gingen sie langsam durch das hohe, feuchte Gras zum Teich hinüber und spähten in dessen trübe Tiefen. »Ein zu großer Teil der Oberfläche ist dem Licht ausgesetzt«, kommentierte Felix sachkundig. »Algen.«

»Siehst du irgendwelche Fische?« fragte sie ihn und beugte sich weiter vor. »Wir müssen unbedingt Fische in unserem Teich haben.« Und ein Steingarten wäre auch nicht schlecht. Keine ordentliche, kleine Landschaft, sondern etwas Wildes und Zerklüftetes – der Garten hier, das spürte Jess, war dazu bestimmt, ein wenig verwildert zu bleiben. Und es gab Unmengen Sumpfpflanzen und Gräser, die hier wunderbar gedeihen würden. Und natürlich die Brunnenkresse. Sie würde die Spüle so aufstellen müssen, daß die Pflanzen in den Genuß von etwas fließendem Wasser aus dem Bach kämen.

»Du willst so viel auf einmal.« Felix griff nach ihrer Hand. »Du bist nie zufrieden. Komm mit nach oben.«

»Hm, Felix ...« Sie wollte sich nicht herumführen lassen; sie wollte nach eigenem Gutdünken umherstreifen, in diesen kostbaren Minuten, bevor die Spedition ihre Möbel brachte und die Männer Tee brauchen würden. Bevor die Wirklichkeit sie einholte und sie mit dem Auspacken anfangen mußten. »Ich möchte zum Kliff gehen.«

Sein leichtes Stirnrunzeln sagte ihr, daß die Idee ihm nicht gefiel. Wie ein Kind wollte Felix immer auf seine Weise mit den Dingen umgehen, aber heute war er nett und freundlich, daher ging er, einen Arm um ihre Schultern gelegt, mit ihr zum Tor.

Jess sperrte die Pforte auf. Der Pfad zum Kliff zog sie unwiderstehlich an. Sie stapfte durch die Brennnesseln und stand schließlich auf dem schlammigen Steinpfad, die Arme vor der Brust verschränkt, um sich gegen die kühle Meeresbrise zu schützen. Ihr Blick ging in die Ferne.

Bei Gott, wie schön es hier war! Sie waren ein paar Mal in den Ferien zum Campen nach Dorset gefahren, als Sophie noch klein war, und sie hatte die Gegend schon damals geliebt. Das Gras schien ihr hier immer grüner zu sein als in Sussex, und .die Blumen kamen ihr bunter vor. »Das muß der viele Regen sein«, hatte sie einmal gesagt, als ihr Campingplatz schon wieder unter Wasser stand.

Daher hatte sie zugeben müssen, daß der Gedanke an einen Umzug nach Dorset durchaus reizvoll war, als Felix zum ersten Mal davon sprach. Für sie überraschend damals, weil das Juweliergeschäft Beck & Newman in Sussex durchaus zu florieren schien; aber offensichtlich hatte dieser Eindruck getäuscht. »Peter sucht nach neuen Weidegründen«, hatte Felix ihr erzählt. »Er meint, wir befänden uns in einer Talsohle. Er will expandieren.«

Das klang so gar nicht nach Peter. Jess kannte Felix' Partner – der in dem gemeinsamen Unternehmen für das Design zuständig war –, sie kannte ihn ziemlich gut, und hohe Ziele waren immer eher Felix' Sache gewesen. Aber als Seniorpartner und derjenige, der das Kapital eingebracht hatte, gab Becks Wort den Ausschlag – sehr zu Felix' stetem Frust. »Aber ... Dorset?« Der Standort schien noch ungünstiger zu sein als Sussex.

Von Felix wußte Jess, daß Marilyn Becks Mutter in Axminster lebte, daß sie an Angina pectoris litt und daß Marilyn für alle Fälle in ihrer Nähe wohnen wollte. Das erklärte natürlich alles. Marilyn hatte in ihrer Ehe die Hosen an; wenn sie umziehen wollte, dann mußten ihr Mann und das Geschäft eben mitkommen.

Trotzdem hatte Dorset sie durchaus gereizt, dachte Jess auch jetzt wieder, als sie die Meeresluft einatmete und den Duft von spätherbstlichem Laub, von Schlamm, Steinen und Ginster – was auch immer es war, das gerade mit seinem Geruch all ihre Sinne zu durchdringen schien. Warum sollten sie nicht umziehen? Was hielt sie denn schon in Sussex? Natürlich hatte sie Freundinnen, wie Patti und ihre Nachbarin Ruth, aber von ihrer Familie war niemand mehr übrig.

Es widerstrebte ihr zwar, so weit von Sophie weg zu sein, aber das konnte sie kaum als Argument ins Feld führen, da Sophie jetzt die Universität besuchte und –vor allem – geradezu begierig darauf war, daß ihre Eltern wegzögen. Theoretisch hätte Jess auch bedauern können, daß sie ihren Job bei Immaculate Interiors aufgeben mußte, wo sie endlich mit Farben, Stoffen und bei Neueinrichtungen ihre Design-Ideen hatte umsetzen können – wenn auch nur in kleinem Maßstab. Aber sie konnte unmöglich so tun, als seien ihr plötzlich sowohl das Geschäft als auch die Frau ans Herz gewachsen, für die sie sich während der letzten fünf Jahre abgerackert hatte.

In Wahrheit war das gerade der Tritt in den Hintern, den sie wahrscheinlich brauchte. Es wurde langsam Zeit, das zu tun, was sie wirklich wollte, statt lediglich mit dem Gedanken daran zu spielen. Das war ihre Chance. Ein neuer Standort, ein neuer Anfang. Für sie, für Felix, für sie beide.

Jess wandte sich nach links und betrachtete die Küstenlinie, in Gedanken schon halb bei der Planung ihres ersten Spaziergangs. Der Weg schmiegte sich dicht an die Küste: Das rostfarbene Kliff fiel neben ihm steil zu einem Band aus Sand und feinem Kies herab, an dem die Wellen leckten, die sich meerwärts in endlosem Blau, Grau und Grün bis zum Horizont erstreckten.

Zu guter Letzt drehte sie sich wieder zu Felix um, der sie mit nachdenklichem Blick beobachtete. »Hm. Das gefällt mir.«

»Laß uns wieder reingehen«, sagte er. »Es ist kalt.« Und dann: »Komm, sehen wir uns das Obergeschoß an.«

»In Ordnung.« Sie erkannte sowohl das Glitzern in seinen Augen als auch ihr eigenes leichtes Schaudern.

Er ging in das Schlafzimmer auf der Nordseite des Hauses. »Welches sollen wir nehmen?« Sie hatten über diese Frage bereits gesprochen. Felix wollte das größere Zimmer, das, in dem sie gerade standen, weil es einen Kamin und ein Erkerfenster wie das des Wohnzimmers hatte. Jess wollte wegen der Aussicht lieber das kleine, nach Süden gehende Zimmer.

Felix breitete die Arme aus. »Hier drin könnten wir ein, riesiges Bett aufstellen.«

»Wir haben bereits ein riesiges Bett. Und in dem anderen Zimmer wäre ebenfalls Platz dafür.«

»Ich könnte ein noch größeres Bett besorgen.« Eine der dunklen Augenbrauen hob sich vielsagend.

»Ich wette, daß du das könntest.« Jess lachte.

»Du könntest in dem anderen Zimmer arbeiten. Du könntest einen Schreibtisch unter das Fenster stellen ...«

Wahrhaftig, er wußte genau, womit ex sie in Versuchung führen konnte. Aber es gab nur zwei Schlafzimmer. »Was ist mit Sophie?«

Er zuckte die Achseln. »Sie kommt jetzt nur noch zu Besuch, Jess, das weißt du. Die meiste Zeit wird sie gar nicht hier sein. Und im Südzimmer wäre jede Menge Platz für ein Sofa.«

»Was ist mit den Ferien?« Sie versuchte, sich am Weitersprechen zu hindern. Aber sie wollte nicht, daß Sophie auf ein Sofa verbannt würde. Sie mochte zur Universität gehen, aber dies war trotzdem ihr Zuhause.

»Na schön.« Felix' Lippen wurden kaum merklich dünner. »Sehen wir uns das andere Zimmer an.«

Sie gingen zurück über den Flur, in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Etwas an diesem Zimmer hatte Jess vom ersten Augenblick an fasziniert. Es war nicht nur die Aussicht – die wunderschön war und natürlich weiter reichte als im Erdgeschoß, so daß man auch das Kliff sehen konnte, ein Stückchen Wald im Westen und die Flußmündung des Brockle im Osten, dessen breite Bucht sich auf faszinierende Weise teilweise dem Blick entzog. Aber es war auch die Form des Raumes mit dem schräg abfallenden Dach zu beiden Seiten des Fensters und dem kleinen Alkoven auf der rechten Seite. Sie konnte ihre Ankleidekommode vor sich sehen, wie sie genau an dieser Stelle stand, die wie geschaffen dafür schien. Der Teppich war von einem grellen Purpurton. Die Wände waren in einem zarten Blaßgelb gestrichen. Der Raum war klein, aber heimelig. Klein, aber warm.

»Du willst dieses Zimmer?« Felix machte einen Schritt auf sie zu.

Etwas in Jess erwachte flackernd zum Leben. »O ja. Ich will dieses Zimmer.« Es war eins seiner Spielchen.

Felix stand jetzt dicht vor ihr. Er brauchte sich nur leicht vorzubeugen, und seine Lippen streiften kaum spürbar über ihre, ein köstliches, prickelndes Vorgefühl, das wie Felix' Flüstern in ihrem Ohr war, sein Flüstern auf ihren Lippen. »Dann müssen wir es wohl gleich einweihen.« Er legte beide Hände um ihre Taille und zog sie zu sich heran.

»Und die Möbelpacker?« flüsterte sie.

»Zum Teufel mit den Möbelpackern.«

Sie kicherte. Felix hatte ihnen den Zweitschlüssel gegeben. Es würde ein böser Schock für sie werden, wenn sie sich mit dem wuchtigen Walnußschrank die Treppe hinaufmühten, nur um die neuen Hausbesitzer bei einer fröhlichen Einweihungsparty körperlicher Natur auf dem Teppich vorzufinden.

»Zieh deine Jacke aus.« Seine Stimme gehorchte ihm nicht ganz.

Jess verspürte einen scharfen Stich des Begehrens, als er ihr die Jacke von den Schultern streifte. Sie schüttelte sich kurz, und die Jacke fiel zu Boden.

Langsam, quälend langsam, öffnete Felix die Knöpfe an ihrer Bluse, einen nach dem anderen. Er beugte sich vor, um ihre Brüste zu küssen, schob ihr das ungezähmte, dicke braune Haar aus dem Gesicht und vergrub den Kopf in ihrer Halsbeuge.

»Sollten wir nicht das Haus saubermachen oder irgendwas in der Art?« Sie zog ihn näher an sich heran, kostete seine Wärme aus, den feuchten Mund, der über ihre Haut glitt, die Finger, die eine ihrer vertrauten Melodien spielten und ihre Brust liebkosten. Sie brauchte nicht hinzusehen, sie wußte genau, was er tat. »Alles bereit machen ...«

»Du willst jetzt putzen? Ich würde lieber hier weitermachen.« Seine Stimme klang gedämpft. »Und ich bin so bereit, wie ich es nur je sein werde.«

Sie spürte, wie ihr Widerstand in sich zusammenbrach. »Felix ...« Sie schlang die Finger durch sein dunkles Haar und klammerte sich an ihn.

Mit einer einzigen fließenden Bewegung beugte er sich weiter vor, nahm ihre Brust in den Mund und begann gierig zu saugen, während seine Hände sie von hinten umfaßten und noch näher heranzogen.

Jess mußte an die Nachbarn denken. Waren sie von dem Schlag, der Pfannkuchen vorbeibrachte, um Fremde willkommen zu heißen? Saßen sie jetzt in ihren Gärten, um auf Geräusche zu lauschen, wie sie für einen Umzug typisch waren, und hörten sie jetzt nur hier und da ein Stöhnen der Lust? Aber dann machte Felix sich mit geschickten Fingern daran, ihren BH aufzuhaken, eine Kunst, die er im Laufe der Jahre verfeinert hatte, und alle Gedanken stoben davon. Alle Gedanken – bis auf den, daß sie ihn begehrte.

Ihre Hände lagen auf seinen Schultern, und gemeinsam sanken sie halb lachend zu Boden, griffen nach den wenigen Kleidungsstücken, die der andere noch am Leibe hatte.

»Glaubst du, wir werden hier glücklich sein, Jess?« Felix' Augen – seine schönen, schläfrigen, dunkelblauen Augen, die sagten: Komm ins Bett (oder der nächstbeste Fußboden wird es auch tun) – ließen nicht locker. Er kniete sich hin und zog an dem Gürtel seiner Jeans.

Sie half ihm. »Das will ich nämlich. Ich will, daß wir hier glücklich sind.«

»Wir müssen es einfach.« Er hörte sich an wie ein Kind. Er begann, die Jeans unter ihr wegzuziehen, und sie wand und krümmte sich, um es ihm zu erleichtern. Ungefähr das gleiche hatte sie am Morgen tun müssen, um sich in die Hose hineinzuzwängen.

»Hm ... autsch!« Der rauhe, grobe Teppich auf nackter Haut brachte Erinnerungen an jugendliche Leidenschaft und mit dünnen Teppichen belegte Böden zurück. Eine Leidenschaft, die sie mit Felix erlebt hatte. All ihre sexuellen Erinnerungen gehörten Felix. Es hatte immer nur Felix gegeben. Und auch wenn sie nicht mehr so schlank war wie vor zwanzig Jahren, wollte Felix sie doch immer noch gelegentlich auf den Teppich ziehen.

Sie küßte seine Finger, ganz sachte, nahm den Mittelfinger in den Mund, saugte daran und wartete. Sie kannte seinen Körper so gut, jeden einzelnen, kräftigen Muskel. Felix spielte Squash, trainierte mit Gewichten und hielt sich auch sonst in Form; er war nur einen Meter fünfundsiebzig groß, hatte aber eine tadellose Figur. Sie lächelte.

Er schob sich über sie, nicht sein ganzes Gewicht, sondern gerade genug, daß sie seinen Druck spürte und er die Hände frei hatte.

Felix ...«

Es schien nur Sekunden zu dauern, Sekunden, in denen sie nur seine Finger wahrnahm, seine Hände, seinen Mund auf ihren Brüsten, seine nur einen Atemzug entfernte Haut, seine Wärme, bis sie schaudernd einem Orgasmus entgegenglitt. »Mmm, Felix.« Es bereitete ihr noch immer größtes Vergnügen, seinen Namen auszusprechen. Noch immer ...

Ganz vorsichtig ließ er sich weiter auf sie herabsinken. Er glitt in sie hinein, liebte sie langsam, sanft und auf genau die Art und Weise, wie sie es gern hatte; es war beinahe beängstigend. Gab es so etwas wie die perfekte Paarung?

Sein Rhythmus änderte sich in der richtigen Sekunde, als sie beinahe wieder auf dem Höhepunkt angelangt war; sie brauchten nicht aufeinander zu warten. Er schien noch härter zu werden, dann folgte ein einziger, losgelöster Augenblick, in dem sie das Gefühl, das alles sei eigens zu ihrer Lust bestimmt, plötzlich verlor. Es war ein Augenblick, der ihm gehörte, in dem er die Kontrolle verlor; ein Augenblick, der ihr kostbar war.

Für einige Minuten lagen sie einfach nur da, bis langsam ein modriger Geruch in Jess' Bewußtsein drang. »Der Teppich stinkt.« Noch ein Kandidat für die Müllkippe. Und niemals, nicht in einer Million Jahren, würde Purpurrot zu Primelgelb passen.

»Das ist es, was ich so an dir liebe.« Felix stützte sich auf einem Ellbogen ab. »Dein Timing und dein Zartgefühl. Du sagst immer die richtigen Dinge. Du gibst einem Mann nie das Gefühl, billig zu sein.«

Jess lachte, und er strich ihr mit den Fingerspitzen über die Lippen. »Weißt du, wir gehören hierher, du und ich«, sagte er.

Und so, wie sie sich in diesem Augenblick fühlte, da seine Wärme ihr noch so nahe war, so gegenwärtig, fiel es ihr nicht schwer, ihm zu glauben.

Eine Stunde später stand Jess inmitten der Möbelstücke aus dem alten Haus, die nicht so recht zu ihrer neuen Umgebung passen wollten, und stellte fest, daß ihre Gedanken abermals zu Sophie wanderten. Ob das Telefon schon angeschlossen war? Sie nahm den Hörer auf, und das Freizeichen bestätigte ihre Hoffnung. Sie erspähte ihre Tasche, eingekeilt zwischen Kartons mit der Aufschrift »Küche«, und schlug in ihrem Adreßbuch das College nach. Bishop Otter College in Chichester, jedoch zugehörig zur Universität von Southampton. Das Bishop Bell Studentenheim war ein Haus mit sechs Zimmern im Erdgeschoß und weiteren sechs – zu denen auch Sophies gehörte – im ersten Stock. Es war ein kleiner, freundlicher Campus; Jess machte sich keine echten Sorgen.

Sekunden später hörte sie das Telefon klingeln. Komm schon, Soph...

»Sophie?«

»Ich hole sie.« Natürlich, wenn sie zu zwölft da wohnten, war es unwahrscheinlich, daß Sophie abheben würde.

Jess setzte sich auf einen Karton, um zu warten.

»Hi!« Sophie klang gleichzeitig aufgeregt und erwartungsvoll.

»Liebling ...«

Es folgte eine kurze Pause. »Oh. Hi, Mums. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß du anrufen würdest. Was macht ihr denn so? Wo seid ihr? Ist alles in Ordnung? Wolltet ihr nicht heute umziehen?« Die Fragen überschlugen sich förmlich.

Ihre Sophie. Jess lachte. Ja, wir sind gerade dabei, und alles ist bestens. Wir sind in Cliff Cottage, und ich sitze inmitten eines Haufens von Kisten. Es ist das reinste Chaos.« Sie war, wie sie feststellte, sehr erleichtert, die Stimme ihrer Tochter zu hören. Weshalb hatte sie sich nur solche Sorgen gemacht? »Wie läuft es denn bisher, Liebling?« fragte sie. »Hast du dich schon eingelebt?«

»Oh, es ist okay. Die anderen scheinen ziemlich cool zu sein.« Das entsprach ungefähr dem, was Jess erwartet hatte. Es war ein gemischtes Wohnheim, sowohl was das Geschlecht betraf als auch in Bezug auf die Studienfächer. Es würde wohl einige Zeit vergehen, bis sie Einzelheiten über das neue Leben ihrer Tochter erfuhr, und auch dann würden die Informationen nur tröpfchenweise rüberkommen.

»Lassen sie euch auch nicht zu hart arbeiten?« Im Hintergrund hörte sie, wie die Möbelpacker sich darüber stritten, wohin ein unbeschrifteter Karton zu bringen sei.

»Oh, na, du weißt schon, Mums. Es ist ganz okay hier. Jedenfalls bisher.«

»Mrs. Newman? Wohin wollen Sie denn dieses gute Stück haben, junge Frau?« brüllte einer der Männer.

Jess stand auf. »Bleib dran«, sagte sie ins Telefon. »Wohnzimmer«, brüllte sie zurück, ohne auch nur hinzusehen.

»Bestimmt?«

»Absolut.« Jess holte tief Atem. Da war noch etwas, das sie ihrer Tochter erzählen wollte. »Es ist nicht so furchtbar weit weg, Soph«, sagte sie. »Wenn du übers Wochenende oder sonst mal nach Hause kommen willst. Uns ist jedes Wochenende recht. Ich werde da sein.« Ich bin immer noch für dich da, das war es, was sie sagen wollte.

Und sie stellte fest, daß Sophie sie verstand. »Ich weiß, Mums.« Ihre Stimme wurde weicher.

»Und du kommst doch bald – um dir das Cottage anzusehen?«

»Versuch mal, mich daran zu hindern.«

»Gut.«

»Wir sind fertig.« Beide Männer kamen in die Küche, wo sie erwartungsvoll stehenblieben. »Das wäre jetzt alles.«

Jess fuchtelte mit den Armen. »Nicht weggehen« flüsterte sie und zeigte auf das Telefon. Erwarteten sie neben ihrer Bezahlung noch ein Trinkgeld? Sollte sie überprüfen, ob alle Kisten da waren, wo sie hingehörten? Und wo war Felix abgeblieben?

»Ich muß diesen Aufsatz schreiben«, sagte Sophie nun. »Ich muß mich sputen. Und es hört sich so an, als sei bei euch ganz schön war los. Kannst du nächste Woche noch mal anrufen?«

Nächste Woche? Jess hatte an morgen gedacht. »Natürlich kann ich das, Schätzchen.« Sie versuchte, sich in eine beiläufige und liberale Elternstimmung hineinzudenken. Worte wie eigenes Leben, Unabhängigkeit und Mütter können einfach nicht loslassen, schossen ihr durch den Kopf. Sie würde es schon schaffen – irgendwann.

»Also dann, bis demnächst.« Sophie hatte bereits aufgelegt.

»Bis demnächst, Liebes.« Jess legte den Hörer auf.

Sophie Newman lief wieder nach oben in ihr Zimmer; sie war gerade dabeigewesen, ihre Reisetasche zu packen, als Karen sie ans Telefon rief. Gott sei Dank hatte sie den Anruf ihrer Mutter nicht verpaßt; ihre Abwesenheit hätte vielleicht einige Erklärungen erforderlich gemacht.

Sie griff nach dem Nachthemd mit den Teddybären, das Jess ihr gekauft hatte, und schob es wieder unter die Bettdecke. Da, wo sie hinging, würde sie es nicht brauchen.

Es machte alles einfacher, dachte sie, während sie den Reißverschluß der Reisetasche zuzog, daß ihre Eltern in Dorset in sicherer Entfernung untergebracht waren. Es würde keine Überraschungsbesuche Marke: Oh, wir wollten nur mal für einen Tag rüberkommen geben und keine unerwarteten Begegnungen im Stadtzentrum von Brighton. Während sie eigentlich in Chichester sein sollte.

Sie rang ihre Gewissensbisse nieder. Sie liebte ihre Mutter – klar tat sie das. Dad war okay, aber Mums war große Klasse. Große Klasse, aber nicht immer cool. Sie verstand nicht immer, daß Sophie ihre Dinge jetzt selbst regeln mußte. Sie war kein Kind mehr, das alle fünf Minuten zu Mummy lief, um sich helfen zu lassen. Sie war eine Frau. Sophie straffte sich und hievte sich den Rucksack über die Schulter. Und sie stand im Begriff, sich mit einem ausgesprochen attraktiven Mann zu treffen.

Die Umzugsleute waren abgezogen, Felix war zu Peter Beck gegangen, um etwas zu besprechen, das anscheinend nicht bis Montag warten konnte, und Jess schlenderte mit ihrer Tasse Tee in den Garten hinaus, um sich etwas frische Luft zu gönnen. Sie blieb nur kurz stehen, um sich die alte Wachsjacke und die Gummistiefel anzuziehen, die, wie sich wunderbarerweise herausstellte, in der großen schwarzen Tasche mit der Aufschrift Werkstatt« steckten. Dann waren es nur ein paar Schritte bis ans Tor und ein paar Brennnesselbestände weit bis zum Kliffweg. Ich gehe nur ein kleines Stück, sagte sie sich und stellte ihre Tasse in das lange Gras am Tor. Dann drehe ich wieder um.

Es wurde bereits dunkel und kalt unter einem kohlegrauen, stürmischen Himmel; der Boden war feucht und moosig und gab unter Jess' Stiefeln nach, als sie in östlicher Richtung über den Pfad ging, auf die Mündung des Brockle zu.

Sie kam an einem anderen hölzernen Tor vorbei. Nachbarn ... Neugierig spähte sie in den Garten. Glücklicherweise war er genauso verwildert wie ihr eigener, also war wohl die Wahrscheinlichkeit von Pfannekuchen und Plauderstündchen unter Nachbarn nicht groß. Und Jess hätte geschworen, daß sie ganz leise irgendwo eine Geige spielen hörte. Eine CD oder eine Kassettenaufnahme vielleicht? Ein Dirigent? Sie kicherte und ging weiter. Vor ihr war eine Lücke in dem Gestrüpp aus Ginster und Brennnesseln. Sollte sie sich noch weiter wagen? Sollte sie nicht lieber umkehren?

Aber sie mußte herausfinden, wohin dieser Weg führte. Sie schob sich vorsichtig hindurch. Ein kleines Fleckchen Grün ohne Bäume. Ein Aussichtspunkt, bei dem auch die Holzbank nicht fehlte. Sie setzte sich hin. Aber wie viele Wanderer würden dieses Plätzchen finden? Hoffentlich nicht viele.

Jess blickte auf das dunkle Meer hinaus. Ein halbherziger Mondstrahl verfing sich in der Gischt der schwachen Wellen. Wenn es wärmer gewesen wäre, wäre sie vielleicht dort hinuntergestiegen, hätte sich ins Wasser gestürzt und sich den Umzugsstaub vom Leib geschwommen. Aber nicht bei diesem Wetter. Sie konnte schon jetzt kaum mehr ihre Finger und Zehen spüren.

»Hier bist du also.«

Sie zuckte zusammen und blickte auf zu Felix, der neben ihr stand. Heute schien alles irgendwie unheimlich und fehl am Platz zu sein und gleichzeitig vollkommen natürlich. Vielleicht war es immer so, wenn man in ein anderes Haus zog. »All diese Kisten«, jammerte sie.

»Und ich habe dich im Stich gelassen. Ich weiß.« Er` hielt ihr die Hand hin. In seinen Augen schimmerte ein halb verborgenes Lachen auf, ein Zucken seiner Lippen. »Ich bin abscheulich.«

»Ja.« Sie nahm seine Hand, und er zog sie hoch. »Kannst du mir verzeihen?« Er roch nach teurem Rasierwasser aus einem der vielen Flakons, die schon bald auf einem neuen Badezimmerregal stehen würden. Ein neues Badezimmerregal, ein neues Badezimmer. Der Duft, eine Spur berauschend, leicht moschusartig, stellte einen bizarren Gegensatz zu der herbstlichen Schärfe von Schlamm und Blättern dar, zu dem Salz des Meeres und dem Geruch von Veränderungen, der in der Luft lag. Ein Frauenparfüm?

Jess schüttelte den Gedanken weit weg. Dieser Teil ihrer Ehe war vorbei. Einen Fehler mußte man jedem zugestehen. »Wenn du mit zurückkommst und mir bei all diesen verwünschten Kisten hilfst, könnte ich mich vielleicht dazu durchringen.«

Langsam und Arm in Arm gingen sie zurück. »Es wird schon funktionieren, du wirst sehen, Jess. Ich meine es ernst. Ich weiß, in letzter Zeit hat nicht alles zum Besten gestanden. Ich ...«

Ja.« Sie wollte nicht, daß er weitersprach. Das war nicht nötig.

Sie kamen an dem Cottage ihrer Nachbarn vorbei. Jetzt hing ein beißender Geruch in der Luft. »Ein Lagerfeuer«, sagte sie.

»Gute Idee.« Felix' Gedanken waren eindeutig zu den leeren Kartons zurückgekehrt. Jess lächelte. Jeder brauchte mal von Zeit zu Zeit einen Richtungswechsel.

Ein neuer Anfang. Sie nickte. Genau das würde es sein. Das Leben war zu kurz, um über vergangene Fehler nachzugrübeln, um sich den Kopf über Töchter zu zerbrechen, die von zu Hause fortgingen, um sich zu fragen, ob sie Louisa jemals wiedersehen würde. Das Leben war da, um gelebt zu werden, und sie würde den Krug bis zur Neige leeren.

Schweigend bereitete Jess sich auf all die Kisten vor, die auf sie warteten. »Also, dann los.« Sie war bereit, in ihr neues Cottage einzuziehen. Bereit, sich dem zu stellen, was das neue Leben in Dorset ihr auch immer abverlangen mochte.

Kapitel 2

»Das heißt, daß ich gehen muß?« Louisa Parris sprach englisch, weil sie sauer war und weil sie wußte, daß Monsieur Dumas diese Sprache fließend beherrschte. Hatte er nicht oft genug damit geprahlt?

»Ah, Louisa. Je regrette ...« Und schon war er wieder weg. Warum konnte er es nicht in einfachem Englisch sagen oder wenigstens in einfachem Französisch? Und warum die große Heuchelei, daß er am Boden zerstört sei, weil er sie verliere? Louisa war Realistin. Sie sah genau das, was ihr Boß – dieser kleine Franzose mit seinem dunklen Kringelhaar und dem rotbraunen Gesicht – ebenfalls sah, daß das Café Noir nicht genug Kundschaft hatte, um es zu rechtfertigen, zwei Personen zu bezahlen, die hinter der Bar und an den Tischen bedienten. Die Touristen hatten Trégastel verlassen und waren wieder nach Hause gefahren. Der Besitzer hatte die Wahl. Er konnte Louisa oder Claude rauswerfen, oder er konnte sie beide den Winter über behalten und zusehen, wie sein Gewinn die nächste französische Kanalisation hinuntergespült wurde.

»Als ich dir versprochen habe, du könntest den ganzen Winter bleiben ...«, sagte er auf Französisch. Nicht langsam, denn die Franzosen sprachen niemals langsam, aber Louisa hatte lange genug immer mal wieder in der Bretagne gelebt, um jedes Wort zu verstehen und sogar die meisten Anspielungen. Sie hätte bleiben können, aber wie genau sah die Gegenleistung aus, die dafür erwartet wurde?

»Damit ich noch hier bin, wenn im Frühling die Touristen in Scharen zurückkehren?« Das war der Grund, den er ihr genannt hatte. Damit er sie in sein Bett bekommen würde, traf es aber wohl eher. Es war merkwürdig, ein Gespräch in zwei verschiedenen Sprachen zu führen, ein Gespräch, bei dem sozusagen jeder an seiner eigenen Muttersprache festhielt. Ein Gespräch, bei dem jeder ein anderes Ziel verfolgte.

»Oui, oui. Dann werde ich natürlich mehr Personal brauchen.« Er tätschelte ihre Hand, eine versöhnliche Geste, die ihr schon immer zuwider gewesen war.

»Ach ja?« Ja, sie gefiel ihm. Aber da sie bisher nie auf eins seiner Angebote eingegangen war, stellte sich die Frage, ob er sie auch nächstes Frühjahr noch als Bedienung im Café Noir würde haben wollen. Es würde immer andere Frauen geben – Frauen, die die Situation vielleicht anders beurteilen würden, möglicherweise mit Blick auf die große Chance. Und Louisa würde immer die große Engländerin sein, deren papageienbunte Kleidung mit dem dazugehörigen Make-up für den bewußt zurückhaltenden französischen Geschmack einfach zu grell war.

»Oui, certainement. Mais maintenant ...«

»Ach, vergiß es.« Louisa ließ ihn stehen. Wenn sie blieb, hätte sie ihm gesagt, wo genau er sich seine certainement's hinstecken konnte. Außerdem war es an der Zeit weiterzuziehen. Jede Zeit, sagte sie sich kategorisch, war eine gute Zeit weiterzuziehen. Vor allem jetzt, da sie vorübergehend unbemannt war. Jean-Pierre war letzte Woche zu seiner Frau zurückgekehrt, und sie weinte ihm keine Träne nach.

Sie würde ihre Sachen in ihren Rucksack packen. Louisa achtete darauf, nicht mehr Besitztümer anzusammeln, als sie in einer einzigen Tasche tragen konnte: Einige wenige Kleider, ein Minimum an Make-up, ihren Walkman, ein gutes Buch und Scarlet, ihren ramponierten blauen Teddybär. Mit dieser Habe ausgestattet, würde sie sich auf den Weg machen, so wie sie es immer getan hatte.

Seit sie mit achtzehn Jahren Sussex verlassen hatte, hatte Louisa es vorgezogen, nirgendwo seßhaft zu werden. Was hätte sie an dem Ort ihrer Kindheit halten können? Ihre Eltern waren zwei Jahre zuvor gestorben, Jess hatte Felix, und das Leben bei Tante Pam war eine Erfahrung gewesen, die sie nicht unbedingt hatte in die Länge ziehen wollen. Und wenn man immer von einem Ort zum nächsten weiterzog, war die Gefahr gering, sich zu sicher zu fühlen, sich ein Liebesleben aufzubauen, ein Zuhause, das einem dann doch wieder entrissen wurde.

Louisa strich sich ihr kurzes dunkles Haar zurück und entfernte sich mit langen Schritten von Monsieur Oberarmleuchter Dumas. Es war nicht so, als hätte sie sich nie bei Jess gemeldet; sie schickte ihrer Schwester für gewöhnlich eine Postkarte, damit sie wußte, wo sie war. Aber oft war sie schon weitergezogen, bevor Jess antworten konnte. Ohne Nachsendeadresse.

Es war besser so, auch wenn es nicht immer ihrer eigenen Entscheidung entsprang. Oft wußte sie nicht mal genau, wo sie landen würde. Ein Mädchen mußte einen Job annehmen, wo sie einen kriegen konnte, und da sich Jobs in Touristenbars, Cafés und Clubs fanden, mußte man sich immer etwas Bares beiseite legen. Für die schlechten Zeiten, für den Winter, wenn vernünftige Menschen wie Jess sich in ihren sicheren kleinen Häusern verbarrikadierten, mit ihren Jobs von neun bis fünf, ihren aufmerksamen Ehemännern und einem Glas Wein um sechs vorm Abendessen.

Eine andere Welt. Für Vagabunden wie sie bedeutete der November die Suche nach einem Plätzchen, wo man mit ein paar Gleichgesinnten den Winter hinter sich brachte. Natürlich gab es immer noch anständige Jobs in Bars oder Restaurants, aber die Konkurrenz war gewaltig. Und wenn man so etwas wollte, mußte man in eine Stadt gehen, nicht in ein Dorf wie dieses.

Aber es gefiel ihr hier. Louise blickte hinter sich. Abgesehen von dem bescheuerten Monsieur Dumas ... Diesen Teil der Bretagne hatte sie immer geliebt; Kindheitserinnerungen an Ferientage mit Jess und ihren Eltern hatten sie hierher zurückgezogen. Sie fühlte sich diesem Ort im Innersten verbunden, und so kam sie immer wieder her. Aber das Leben mußte weitergehen. Louisa zog an ihrer Schürze. Es war sinnlos, sentimental zu werden. In Perros Guirec weiter unten an der Küste war in den Wintermonaten viel mehr los als in Trégastel. Da unten würde sie viel eher Arbeit finden.

»Geben Sie mir eine schriftliche Empfehlung?« rief sie Monsieur Dumas über die Schulter hinweg zu.

»Naturellement. Natürlich, natürlich.« Er ließ ein typisch französisches Achselzucken folgen. »Ich möchte dich nicht verlieren, Louisa. Ich habe dir gesagt ...« Die alte Leier ging von neuem los.

Sie gesellte sich zu Claude hinter die Theke. Trotz all seiner schönen Worte war ihr Boß ein harter Mann und nicht mal ein besonders fairer. Oh, er hatte gesagt, sie müsse gehen, weil sie diejenige war, die als letzte zum Personal gestoßen sei. Aber wenn sie ihn nur im geringsten ermutigt oder gar mit ihm geschlafen hätte, wäre es Claude gewesen, nicht Louisa Parris, der morgen auf der Straße stand.

Und das mochte sie ihm nicht antun. Claude war ein Schatz.

»Probleme, chérie?« Claude, der seine übliche Uniform, bestehend aus enger schwarzer Hose, weißem Hemd und roter Krawatte trug, sah sie mitleidig an.

»Und ob. Wer als letztes kommt, geht zuerst«, sagte sie.

»Er 'at dich rausgeflogen, non?« Claude war versessen darauf, Englisch zu lernen so viele Franzosen waren das; eigentlich überraschend, da die Engländer sich selten revanchierten. Daher sprach Claude Englisch, wann immer es möglich war, insbesondere mit den britischen Touristen, die im Sommer durch Trégastel kamen und von denen viele – soweit sie männlichen Geschlechts waren – in Claudes Bett landeten. Louisa hatte dieses Treiben während der letzten Monate mit widerwilliger Bewunderung verfolgt. Das. Ergebnis war, daß Claude einen gemischten Wortschatz aus typisch englischen Redewendungen und Kraftausdrücken erworben hatte, ganz zu schweigen von einer Prise Irisch, Schottisch und Walisisch. Seine Schwierigkeit war die richtige Anwendung all dieser Sprachbrocken.

»Non, ich meine ja.« Sie griff nach einem Pastis-Glas und trocknete es langsam und bedächtig mit dem Geschirrtuch ab. »Er hat mich rausgeschmissen, allerdings.«

»Und wirst du dich weglungern?« fragte Claude.

»He?«

»Ich meine, ehm, wirst du irgendwohin abbummeln?«

Louisa konnte nicht anders, sie mußte lachen. »Man lungert herum, bummelt herum oder zischt ab, Claude. Und ja, ich gehe weg.« Sie hielt inne und sah sich in dem Café um, in dem sie den ganzen Sommer verbracht hatte – für Louisas Verhältnisse eine lange Zeit, die sie zwischen klassischen gemusterten Baumwolltischtüchern, Holzstühlen und den an die Wände gehefteten Zeichnungen der atemberaubenden rosa Granitküste verbracht hatte. Sie liebte die Côte de Granite Rose. »Aber es gibt nichts, weshalb ich hierbleiben müßte, nicht wahr?«

»Nicht mal Jean-Pierre?« Aus spätnächtlichen, weinseligen Plauderstündchen, die sie in diesem Sommer nach Kneipenschluß miteinander verbracht hatten, kannte Claude die meisten Schauergeschichten über Louisas Sommerromanze. Und wahrscheinlich sah er in Jean-Pierre den Grund, warum Louisa überhaupt so lange geblieben war. In gewisser Weise hatte er recht damit. Aber auch ohne einen Jean-Pierre mußte sie neuerdings mühselig nach der Rastlosigkeit fahnden, die sie früher immer weitergetrieben hatte. Es fiel ihr nicht mehr so leicht. Zu ihrem Verdruß wurde die Versuchung, zu bleiben, allzu groß.

»Jean-Pierre – Jean-Pierre ... wie ich dir schon erzählt habe ...« Louisa griff nach dem nächsten Glas. »Jean-Pierre ist jetzt wieder bei seiner Frau und spielt glückliche Familie.« Sie war nur eine vorübergehende Ablenkung gewesen und obendrein eine recht einträgliche, da sie fest davon überzeugt war, daß der Mistkerl ihre Kamera geklaut hatte, praktisch ihren einzig wertwollen Besitz auf Erden.

»Glückliche Familie ...« Louisa konnte förmlich sehen, wie Claude sich diese Wendung für die Zukunft einverleibte. Er würde sie wahrscheinlich benutzen, um seinem nächsten jungen Mann einen Antrag zu machen. »Du möchtest glückliche Familie mit mir spielen, non?« Die Reaktion könnte recht interessant sein.

»Und wirst du in einem anderen Scheißlokal arbeiten? In einer anderen Bar?« wollte Claude wissen.

»Wahrscheinlich.« Es war vielleicht nicht normal, es zuzugeben, aber Louisa arbeitete gern als Kellnerin in Bars.

Das Leben war gesellig und unverbindlich. Und arbeiten mußte man nun mal, weil man ein Dach über dem Kopf brauchte und etwas zu essen. Aber mit der Freizeit war das etwas ganz anderes. Davon sollte es Louisas Meinung nach reichlich geben.

Sie räumte das Weinglas ein, beugte sich über die Theke und blickte hinaus. Es hatte zu nieseln begonnen. Das staubige Pflaster aus rosafarbenem Granit draußen bekam die ersten Flecken – es wechselte die Farbe wie die Felsen in der Bucht, wenn die Flut kam: Die Aschenbecher auf den Tischen füllten sich mit Wasser, und die dunkelroten Sonnenschirme begannen langsam durchzuhängen. Das Bild draußen entsprach ihren Gefühlen. Wie tief würde ihr Stimmungsbarometer denn noch sinken?

In der Schweinemetzgerei gegenüber machte der alte Philippe gerade zu, er blickte zum Himmel auf und schüttelte sein ergrautes Haupt. Und jenseits der Geschäfte konnte sie die langsam ansteigenden Dünen sehen, die den Beginn des Strandes von Coz Porz anzeigten, wo sie und Jean-Pierre all die Sommernachmittage verbracht hatten, wenn sie nicht arbeiten mußte. Louisa seufzte. Herrliche Tage, an denen sie auf die Felsen geklettert waren oder sich in das klare blaue Meer gestürzt hatten, wenn die Sonne unerträglich heiß wurde. Dennoch war er ein Dreckskerl. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, Jean-Pierre anzurufen, um ihn nach der Kamera zu fragen. Nicht weil sie Angst hatte, seine Frau könnte drangehen – er hatte eines Tages zugegeben, daß sie ein Arrangement, wie er es nannte, hätten –, sondern weil sie wußte, daß es sinnlos gewesen wäre.

»Ein Arrangement?« Sie hatte mit einer von Sonnenöl fettigen Fingerspitze die dunkelbraune Haut seines Rückens nachgezeichnet, sämtliche Erhebungen seines knochigen Rückgrats. Es klang alles so schrecklich zivilisiert.

»Mais oui. Sie hat einen Geliebten.« Er drehte sich um und legte die Hand zum Schutz vor dem grellen Sonnenlicht über die Augen, so daß er die tiefe Bestürzung in Louisas Gesicht nicht einmal bemerkte. Sie ließ ihre fettigen Finger in den Sand sinken.

»Ich verstehe«, sagte sie. Aber sie hatte natürlich nicht verstanden.

Wie naiv ich doch immer noch bin, dachte sie jetzt, als sie sich auf die Theke stützte und an diesen Tag zurückdachte. Wie naiv von ihr, schockiert über ein wahrscheinlich typisch französisches Arrangement zu sein, und das, nachdem sie allein um die halbe Welt gereist war. Ihre Naivität war typisch englisch, und sie zog die Lippen kraus, weil sie nicht typisch englisch sein wollte. Also hatte sie an diesem Tag mit Jean-Pierre ein wenig zu fröhlich gelacht und ihn gefragt, was passieren würde, wenn der Geliebte seiner Frau verschwand. Ob das am Ende des Sommers passieren würde?

»Warum sollten wir uns darüber den Kopf zerbrechen, chérie?« kam die Antwort, während Jean-Pierre seine Finger in ihr Bikini-Oberteil gleiten ließ. »Wo wir so viel Spaß miteinander haben?«

Es war nicht das, was Louisa hatte hören wollen.

Sie wischte die Theke mit einem feuchten Tuch ab. Wahrscheinlich hatte er immer noch viel Spaß. Viel Spaß mit seiner Frau und Louisas verdammter Kamera.

»Soll ich mal mit ihm reden?« Claude beobachtete sie, und in seinen braunen Augen stand ehrliche Sorge.

»Mit wem?« Sie war in Gedanken noch immer bei Jean-Pierre.

Claude machte eine sehr französische Geste, halb Achselzucken, halb Winken in Richtung von Monsieur Dumas' Hinterzimmer. »Mit dem da drinnen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wann es Zeit wird, wegzugehen.«

»Du bist immer noch auf der Suche, non?« Claude strich ihr mit den Fingern sachte über die Wange. »Du suchst immer noch etwas ... oder? Du läufst immer noch davon, chérie?«

Louisa wandte sich von ihm ab. Sie liebte Claude; er war einer der besten Freunde, die sie je gehabt hatte. Aber was wußte er denn schon? Und was konnte man anderes tun als weglaufen, wenn man nirgendwo hinkonnte, kein Zuhause hatte?

Im Cliff Cottage gingen die Lichter aus.

»Mist.« Jess starrte in die Dunkelheit. Sie bearbeitete gerade den Rahmen eines Spiegels, den sie am Nachmittag auf dem Flohmarkt gekauft hatte, mit einem Silberspray. Und sie war halb fertig. Es war nicht gerade ein günstiger Zeitpunkt für einen Stromausfall, aber wann wäre es das je gewesen? War es ein allgemeiner Stromausfall oder ihr persönlicher? Eine durchgebrannte Sicherung?

Sie erhob sich mühsam, stellte die Spraydose weg und schob sich vorsichtig aus der Frühstücksnische heraus. Immer schön langsam. Dicht an der Wand entlang tastete sie sich mit den Handflächen weiter, warf ihr Marmeladenglas mit den Nägeln um und trat gleich auch noch auf ihren Hammer. Sie fluchte leise. Punkt 1 – such dir eine Taschenlampe, um deine Körperverletzungen möglichst geringzuhalten. Punkt 2 – wirf einen Blick auf die anderen Häuser in der Straße. Es hatte keinen Sinn, nach dem Sicherungskasten zu suchen, wenn die anderen Häuser gleichfalls im Dunkeln lagen.

Auf dem Weg zur Tür schlug sie sich das Schienbein an einem der Stühle an. Autsch. Verdammt noch mal.« Sie rieb sich das Bein. Es dauerte seine Zeit, die Gegebenheiten in einem neuen Haus kennenzulernen; man rechnete nicht damit, in tiefe Dunkelheit gestürzt zu werden, bevor man sich mit dem Haus vertraut gemacht hatte. Und wo war Felix? Wahrscheinlich arbeitete er noch – er war nie da, wenn sie ihn brauchte.

Sie griff in den Schrank unter der Treppe. Logischerweise war das der Platz, an dem man eine Taschenlampe aufbewahrte. Aber was war schon logisch hier? Sie tastete an den Haken entlang und stieß auf etwas Feuchtes ... eine Plastiktüte; etwas, das eindeutig tierischen Ursprungs war ... Felix' alte Lederjacke und verschiedene Zubehörteile für den Staubsauger, die zu nichts dazugehörten. »Mist«, sagte sie noch einmal. Keine Taschenlampe.

Im Flur stellten sich ihr keine Hindernisse in den Weg, und sie marschierte zur Haustür, riß sie auf und spähte in die andere Art von Dunkelheit hinaus, die draußen herrschte. Der Mond war nur eine dünne Sichel, aber sie konnte recht gut sehen, daher mußten ihre Augen sich an die Finsternis gewöhnt haben. Im Haus gegenüber brannten mehrere Lichter, und links und rechts auf der Straße blitzten Lichtstrahlen durch die Vorhänge. »Unser persönlicher Stromausfall«, murmelte sie. Verdammt. Also mußte sie doch den Sicherungskasten suchen – und sich den Schrank unter der Treppe noch einmal vornehmen. Aber zuerst brauchte sie Kerzen.

Jess schloß die Tür und lehnte sich an die Wand. Also, wo könnte vielleicht eine Kerze rumliegen? Sie schauderte. Es war sehr still. Als sie vorhin im hellen Licht der Küche ihren Spiegel eingesprüht hatte, war ihr keine besondere Stille aufgefallen. Aber jetzt war sie hier, war ein Teil des Cottages, als könnten Jess' Ohren nur dann richtig funktionieren, wenn ihre Augen nicht sehen konnten. Eine merkwürdig bedrückende Stille. Ein träges Knarren. Wind. Das Cottage knarrte im Wind, als sei es nach den langen Jahren, die es auf dem Kliff stand, müde geworden. Felix hatte ihr gesagt, sie seien weit genug weg vom Rand des Kliffs, um sich über Erosion den Kopf zu zerbrechen, aber was war in hundert Jahren oder danach? Vielleicht wußte Cliff Cottage, daß seine Tage gezählt waren.

»Armes altes Cottage.« Und was sie betraf, sie führte nicht nur Selbstgespräche, sondern würde bei dem Spiegel noch mal ganz von vorne anfangen müssen, und sie konnte nicht mal wegfahren und Kerzen kaufen, da der Wagen, den sie letzte Woche gebraucht gekauft hatte, gerade in der Werkstatt in Lyme überholt wurde.

Sie würde Felix anrufen müssen. Er konnte auf dem Heimweg ein paar Kerzen und vielleicht auch Schmelzdraht für die Sicherung mitbringen. Das ganze bedeutete wahrscheinlich, daß sie mit der gräßlichen Hilary Buchanan reden mußte ... Aber was sein mußte, mußte eben sein.

Jess ging zur Küche. Das war die Quittung dafür, daß sie sich weniger für fundamentale Dinge wie den Zustand der Elektrokabel interessierte als für Äußerlichkeiten wie das silbergraue Badezimmer.

Behalten Sie immer die Fundamente im Auge, hatte Sandra Slattersly gewohnheitsmäßig allen Kunden von Immaculate Interiors erzählt, die bereit waren, zuzuhören.