Der kleine Blumenladen der Träume - Anna Cheska - E-Book
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Der kleine Blumenladen der Träume E-Book

Anna Cheska

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Beschreibung

Zum Seufzen tragisch, zum Träumen schön: Der Liebesroman »Der kleine Blumenladen der Träume« von Anna Cheska jetzt als eBook bei dotbooks. Hinter jeder dunklen Wolke wartet ein Sonnenstrahl … Täglich ist sie von Schönheit umgeben – doch in letzter Zeit gleitet ihr Blick an der farbenfrohen Blütenpracht nur noch ab: Imogene, Inhaberin eines kleinen Blumenladens, ist am Boden zerstört, als ihr Mann unerwartet stirbt. Doch dann entdeckt sie in seinem Nachlass das Foto einer attraktiven, jungen Blondine und aus der Trauer wird erst Fassungslosigkeit … dann Wut! Hat er sie mit dieser Frau betrogen? Imogene ist fest entschlossen, die Wahrheit zu erfahren – und ahnt nicht, dass auf sie eine Überraschung wartet, die sie wie auf Schwingen tragen und ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubern wird. »Eine köstliche Lektüre!« Woman's Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der berührende Roman »Der kleine Blumenladen der Träume« von Anna Cheska. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 477

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Über dieses Buch:

Hinter jeder dunklen Wolke wartet ein Sonnenstrahl … Täglich ist sie von Schönheit umgeben – doch in letzter Zeit gleitet ihr Blick an der farbenfrohen Blütenpracht nur noch ab: Imogene, Inhaberin eines kleinen Blumenladens, ist am Boden zerstört, als ihr Mann unerwartet stirbt. Doch dann entdeckt sie in seinem Nachlass das Foto einer attraktiven, jungen Blondine und aus der Trauer wird erst Fassungslosigkeit … dann Wut! Hat er sie mit dieser Frau betrogen? Imogene ist fest entschlossen, die Wahrheit zu erfahren – und ahnt nicht, dass auf sie eine Überraschung wartet, die sie wie auf Schwingen tragen und ihr ein Lächeln ins Gesicht zaubern wird.

»Eine köstliche Lektüre!« Woman's Weekly

Über die Autorin:

Anna Cheska ist Dozentin für kreatives Schreiben und schreibt außerdem selbst erfolgreich Romane und Kurzgeschichten für Frauenmagazine. Sie lebt mit ihrem Partner und ihren drei Kindern in West Sussex.

Bei dotbooks erschien von Anna Cheska bereits »Das Cottage der großen Wünsche«.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2019

Dieses Buch erschien bereits 2004 unter dem Titel »Nie wieder Schwarz!« bei Knaur Taschenbuch

Copyright © der englischen Originalausgabe 2001 by Anna Cheska

Die englische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »Drop Dead Gorgeous« bei Piatkus Books, London.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2004 bei Knaur Taschenbuch Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von

© shutterstock / Kite_rin / Richard Peterson / Sami Pietikainen / Kuzmina Irina / Ivo Petkov / Pictures_for_You / Antom Thongtukit

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96655-035-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anna Cheska

Der kleine Blumenladen der Träume

Roman

Aus dem Englischen von Traudl Weiser und Ingeborg Ebel

dotbooks.

Für Alexa

»This above all, to thine own self be true« »Dies über alles: Sei dir selber treu«

William Shakespeare, Hamlet

»Beauty is the lover’s gift« »Schönheit ist das Geschenk der Geliebten«

William Congreve, The Way of the World

Kapitel 1

Imogen West hielt erschaudernd die Luft an, als sie die Tür zu Edwards Arbeitszimmer öffnete. Sein Heiligtum. Sie starrte in den düsteren Raum, glaubte seine Gestalt, seine Hand zu erkennen …, die vielleicht gerade die Encyclopedia Britannica aus dem obersten Fach des hohen verglasten Bücherschranks herauszog.

Sie hörte seine Stimme: Mit Vermutungen kommst du nicht weiter, Imo. Schlag nach. Es gibt für alles eine Erklärung. Für alles? Imogen erschauderte wieder. Und wie war es mit dem Tod? »Erspar mir dein Gerede«, sagte sie laut.

Schatten können einen nicht unter Druck setzen, dachte sie und schaltete schnell das Licht ein. Die wuchtigen schwarzen Formen nahmen sofort Gestalt an und wurden zu seinem Schreibtisch, seinem Bücherschrank, seinem Ledersessel. Ist doch gar nicht so finster, sagte sich Imogen und stieß einen befreienden Seufzer aus. Das ist mir vertraut – und doch etwas unheimlich.

Gediegen, traditionell und etwas altmodisch – offen gesagt, genau wie Edward – schienen die Möbel sie anzustarren, als wüssten sie, dass auch ihre Tage gezählt waren.

Imogen wollte diesen Raum nicht betreten. Sie verschränkte ihre Finger und spürte den Druck des Eherings am kleinen Finger. Es ist zu früh. Noch war sie vom Schock über seinen plötzlichen Tod wie betäubt – ihr Gehirn funktionierte nur teilweise. Sie tat alles Nötige, vergaß vieles, kämpfte mit ihren zwiespältigen Gefühlen und fragte sich, warum sie nicht weinen konnte.

Sie vergrub ihre Hände in den Taschen ihrer Jeans und ließ den Blick missmutig durch das Arbeitszimmer schweifen. Ich muss es tun.

John Grantham, ihr aalglatter, dubioser Anwalt, hatte sie gebeten, den Papierkram durchzusehen. »Machen Sie sich an die Arbeit«, hatte er gesagt. »Wir müssen die Dinge langsam in Bewegung bringen.«

Also bewegte sie sich. Sie straffte die Schultern, strich sich eine Strähne ihres nussbraunen Haars hinters Ohr und ging ins Arbeitszimmer hinein. Es musste sein. Ihr Mann war vor drei Tagen gestorben. Früher oder später musste ihr Leben ohne Edward beginnen.

»Entspann dich, Imo«, befahl eine Stimme mit sanftem Nachdruck. Am Nachmittag des folgenden Tages saß Imogen in einem Schönheitssalon im Stadtzentrum von Chichester. Der Salon lag im Erdgeschoss eines dreistöckigen Hauses, hinter dessen georgianischer Fassade sich die in Schwarz und Chrom gehaltene Inneneinrichtung versteckte, die absolut dem sachlich-nüchternen, modernen Zeitgeist entsprach, wie Imogen feststellte.

Judes Finger massierten sanft, aber fest ihre Kopfhaut. Joe Cocker schnulzte aus einem Lautsprecher über dem schwarzen Waschbecken gefühlvoll über dieses flüchtige Something … und Imogen versuchte, sich zu entspannen. Jude war die Besitzerin des Salons und außerdem ihre beste Freundin.

»Du bist völlig verkrampft, mein Schatz«, sagte Jude und konzentrierte sich mit halb geschlossenen Augen. Ihr heute honigfarbenes Haar fiel ihr über den üppigen Busen. Bei ihrem letzten Treffen vor einer Woche war es noch rabenschwarz gewesen. »Aber wer wäre das nicht in deiner Situation? Es ist einfach schrecklich, wirklich grauenvoll.«

Wenn es sein muss, ergeht sich Jude in ewigen Monologen, wie ein Zahnarzt, dachte Imogen.

»Edward … ich kann es noch immer nicht fassen, weißt du«, redete Jude weiter.

Imogen erging es ebenso. Okay, sein Cholesterinspiegel war so hoch gewesen, dass er seinen Speiseplan geändert hatte – wenn auch nicht gerade radikal – und daran dachte, sich in London untersuchen zu lassen, wozu er jedoch irgendwie nie gekommen war. Aber trotzdem … die Tatsache, dass er tot war, diese kalte harte Realität war schwer zu begreifen. Imogen konnte nur zustimmend mit den Augen zwinkern, denn ihr Kopf war in flauschige schwarze Handtücher gehüllt.

»Ein Herzinfarkt, einfach so … aus heiterem Himmel. Er war doch noch nicht alt«, sagte Jude. Gedankenlos summte sie Joe Cockers Lied mit, verstummte dann abrupt und fragte: »Wie alt war er überhaupt?«

Imogen atmete den beißenden Geruch des Jojobaöls ein und murmelte undeutlich: »Fünfundvierzig.« Früher hatte sie dieses Alter mal für eine angemessene Lebensdauer gehalten, doch jetzt, mit Mitte dreißig, wurde ihr schmerzlich bewusst, wie knapp bemessen die menschliche Lebenszeit war.

»Du Arme«, sagte Jude. »Was für ein fürchterlicher Schock! Du kannst es wahrscheinlich immer noch nicht fassen, wie?« Sie befreite Imogens Kinn von einem der Handtücher. Ihre Augen waren dunkelblau und voller Mitgefühl. Während Imogen sich auf die Ehrlichkeit ihrer Freundin verlassen konnte – Jude war eine der mitfühlendsten Frauen, die sie kannte –, kam sie mit deren ständig wechselnder Haarfarbe nicht klar. Jude besaß eine derart umfangreiche Kollektion an farbigen Kontaktlinsen, Haarfärbemitteln und Cremes, Haarteilen und Perücken, dass Imogen ihre Freundin manchmal nicht wieder erkannte, wenn sie ihr auf der Straße begegnete. Aber so war Jude eben – eine vielfarbig schillernde Frau mit einem Herzen aus Gold.

»Es kostet mich ungeheure Überwindung, sein Arbeitszimmer zu betreten«, sagte Imogen seufzend. Trotz ihrer besten Vorsätze, sich endlich den Papierkram vorzunehmen, hatte sie am Vorabend eine Ewigkeit vor Edwards Schreibtisch gestanden und ausschließlich das Hochzeitsfoto in dem pompösen Silberrahmen angestarrt.

Schließlich hatte sie das Foto in die Hand genommen, nachdenklich das damals zehn Jahre jüngere Paar – Imogen und Edward – betrachtet und über die Liebe sinniert. Hatte sie ihn denn geliebt? Sicherlich hatte sie das damals geglaubt. Das Foto zeigte ein ideales Paar, und vielleicht waren sie aus diesem Grunde auch eins geworden. Sie hatten nie gestritten, sondern höflich diskutiert, waren freundlich, rücksichtsvoll und vorsichtig miteinander umgegangen, um die Gefühle des anderen nicht zu verletzen – aber Liebe?

Seufzend hatte sie das Foto auf den Schreibtisch zurückgestellt und sich an die Arbeit machen wollen, aber Edward schien in diesem Raum noch immer allgegenwärtig zu sein. Es wäre ihr wie eine Verletzung seiner Privatsphäre – fast wie eine Missachtung seiner Person – vorgekommen, hätte sie darin auch nur einen einzigen Gegenstand verrückt. Nein, das war nicht fair.

Vorsichtig hatte sie zuerst eine Schublade und noch eine aufgezogen. In beiden lagen Papiere, Akten, Bücher – ordentlich gestapelt, wie es eben Edwards Angewohnheit gewesen war.

Und dann hatte sie am abgenutzten Griff der obersten Schublade gezogen. Sie war verschlossen. Einmal hatte er diese Schublade schnell zugeschoben, als sie ihm Kaffee brachte. Lächelnd hatte sie damals gedacht: Er hat Geheimnisse … Jetzt schien ein unsichtbares Etikett daran zu kleben: MEIN LEBEN. ALLES, WAS DU WISSEN MUSST, UM MICH ZU VERSTEHEN. Da hatte es Imogen gereicht und sie war schnurstracks aus dem Zimmer gelaufen. Mir reicht’s jetzt. Morgen sehen wir weiter.

Im Schlafzimmer hatte sie Jeans und Pullover ausgezogen und war in ihren alten, bequemen Frotteebademantel geschlüpft. In diesem Zimmer war Edward gestorben, trotzdem kam es ihr jetzt irgendwie freundlicher vor …

»Wenn du willst, helfe ich dir einen Abend nach der Arbeit dabei«, bot ihr Jude an und wischte sich die Hände an ihrem kurzen schwarzen Kittel ab. »Es muss doch schauderhaft sein, in Edwards Sachen rumwühlen zu müssen.« »Nein«, sagte Imogen, konnte jedoch ihren Kopf nicht schütteln, weil er in der Mulde des Waschbeckens steckte. Jude hatte ihr schon angeboten, sie könne zu ihr in die enge Wohnung über dem Salon ziehen, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter und Tochter bewohnte. Sie hatte ihr auch eine Schulter zum Ausweinen, ein offenes Ohr und eine Haarwäsche inklusive Massage angeboten.

»Du bist ein Schatz, aber ich schaffe das schon«, hatte Imogen gesagt. Sie musste das allein erledigen.

Doch Imogen wusste das Angebot ihrer Freundin zu schätzen und weit Jude für ihre Wärme und ihr herzliches Lächeln dankbar. Dieses Verständnis ermöglichte es ihr, ihre Probleme im richtigen Licht zu sehen. Imogen drückte Jude kurz die Hand. Bestimmt kommen viele Frauen nicht nur in den Salon, damit Jude sie schön macht, sondern weil sie in ihr auch eine Vertraute sehen, dachte Imogen und musste an ihr gestriges Telefonat denken.

»Komm zu mir, wann immer du möchtest«, hatte Jude gesagt. »Ich helfe dir, wieder auf die Beine zu kommen.« Imogen rutschte in dem weichen Ledersessel von Judes einzigartigem Schönheitssalon – The Goddess Without – hin und her. Lächelnd dachte sie an den Abend, als sie und Jude bei einer Flasche Beaujolais diesen Namen ersonnen hatten, der den Frauen suggerierte, sie müssten einfach in den Salon gehen und würden anschließend als fröhliche, verwandelte, attraktive und begehrenswerte Halbgöttinnen herauskommen, denen kein Mann widerstehen könnte – einfach umwerfend eben! Jude hatte die Räumlichkeiten so geschickt gestaltet, dass man meinte, eine hell erleuchtete Höhle zu betreten, die einen magisch anzog und den Eindruck vermittelte, in einen von Jude beherrschten, verzauberten Ort zu kommen.

Jude massierte jetzt das Jojobaöl-Shampoo in Imogens Kopfhaut ein und knetete ihren Schädel, als formte sie einen Lehmklumpen.

»Ruf mich an, falls du deine Meinung änderst«, sagte Jude und griff nach einer anderen Flasche. »Ich bin immer für dich da.«

Imogen sah ihrer Freundin ins Gesicht, fand aber keinerlei Hinweis auf eine Anspielung. In letzter Zeit hatten sie oft in der Wohnung über dem Salon gesessen und darüber geredet, wie es wäre, wenn Imogen Edward verlassen würde. Wenn Imogen den definitiven Schritt wagte, um wieder frei zu sein. Sie holte tief Luft. Ihr stiegen die Gerüche von Haarspray, Nagellack, Jojoba und Bleichmitteln in die Nase. Ja, sie hatte erwogen, Edward zu verlassen. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann der Anfang vom Ende eigentlich begonnen hatte, nur an den Augenblick, als sie ihm wieder einmal bei einer Dinnerparty in dem obligatorischen kleinen Schwarzen gegenübergesessen, die perfekte Gastgeberin gespielt und gedacht hatte: Da muss es doch noch etwas anderes geben … Und an die Zeit nach dem Tod ihres Vaters, als sie bei Edward Trost gesucht und keine Wärme oder Nähe gefunden hatte. Etwas, das verloren gegangen oder vielleicht nie da gewesen war.

Also hatte sie sich innerlich schrittweise immer mehr von ihrem Mann entfernt, konnte sich aber nicht wirklich eingestehen, dass ihre Ehe gescheitert war.

Imogen schloss die Augen. Mit Edward hatte sie nie über ihre Gefühle gesprochen, nie das Thema Trennung oder Scheidung auch nur andeutungsweise erwähnt. Denn welche Gründe hätte sie für diesen Schritt angeben können? Zwischen ihnen hatte es nie heftige Auseinandersetzungen gegeben, kein tägliches Gezänk, nicht einmal einen richtig guten altmodischen Streit. Irgendetwas, das sie dazu getrieben hätte, etwas gegen ihre Unzufriedenheit zu unternehmen. Ihr halbherziger Wunsch, wieder frei zu sein … ihr Gefühl, Edward nicht mehr zu lieben … ihre Sehnsucht nach Leidenschaft oder wenigstens ein paar zerschmetterten Tellern von Zeit zu Zeit waren wahrhaftig kein Scheidungsgrund.

Imogen klappte ein Auge auf und befürchtete schon, Jude könnte ihre Gedanken gelesen haben und sie als Heuchlerin beschimpfen.

»Wie kommst du mit deinem Geschäft klar?«, fragte Jude stattdessen, während sie ihr Proteinfestiger ins Haar massierte.

»Gut«, sagte Imogen. Immer war ihr Laden Sag’s mit Blumen ein Zufluchtsort für sie gewesen und jetzt sogar noch mehr. »Ich habe pünktlich geöffnet«, fügte sie hinzu. Heute Nachmittag hielt ihre Assistentin, Tiffany, die Stellung und morgen war sowieso nur halbtags geöffnet.

»Die Arbeit dort lenkt mich ab, und ich komme wenigstens stundenweise aus dem Haus.«

»Was Besseres kannst du gar nicht tun«, sagte Jude mitfühlend und fuhr mit den Fingern probeweise durch Imos Haar.

»Das Haus ist so leer«, platzte Imogen heraus und fügte in Gedanken hinzu: so wie ich.

»Es ist noch nicht mal eine Woche her«, sagte Jude, jetzt energischer und passte ihren Ton den Bewegungen ihrer Hände an. »Du kennst doch das Sprichwort von der Zeit, die alle Wunden heilt?«

Imogen spürte, wie Jude mit ihren langen Fingernägeln aus Acryl, die angeblich für ein aktives Leben geeignet waren, wie mit einem trügerisch stumpfen Rasiermesser über ihre Kopfhaut fuhr.

»Ja«, sagte sie.

»Und morgen ist ja erst die Beerdigung.«

»Ja.« Vielleicht war sie jetzt auf Lebenszeit zur Einsilbigkeit verdammt. Vielleicht war Edwards Tod die Strafe für ihre Fantasien von der alleinstehenden Frau.

»Die Singleszene ist ein Minenfeld«, sagte Jude oft, »außerordentlich gefährlich.«

Jude ließ kurz ihre Hände auf Imogens Kopf ruhen und sagte: »Auch wenn du ihn nicht geliebt hast …« Sie verstummte.

In diesem Moment traf ein Strahl heißen Wassers Imogens Kopf und sie zuckte erschrocken und gleichzeitig wohlig schaudernd zusammen. Jedes Mal wieder traf sie dieser Wasserguss unvorbereitet, und er fühlte sich jedes Mal anders an.

»Ja und weiter?«, hakte sie nach.

»… musst du trotzdem um ihn trauern, Imo. Das ist eine natürliche Reaktion.«

Auch wenn ich ihn nicht geliebt habe? dachte Imogen entsetzt. Ja, sie trauerte. Darum ging es doch bei diesem Gefühl der Leere, dem Wachwerden morgens um vier in einem plötzlich zu groß gewordenen Bett, schweißgebadet und mit trockenem Mund. Und diese verdammte Stille im Raum.

Lächerlich, wie sie gegen diese Stille ankämpfte, Selbstgespräche führte und unfähig war, eine Schreibtischschublade zu öffnen …

»Aber worum trauere ich denn?«, fragte Imogen mehr an sich selbst gerichtet als ihre Freundin. »Weil ich Edward verloren habe? Oder trauere ich um das, was hätte sein können?«

»Wahrscheinlich um beides«, sagte Jude und arbeitete weiter. »Das ist doch auch völlig egal. Steigere dich bloß nicht in Schuldgefühle rein. Trauer kann man nicht analysieren.«

Ach, wie vernünftig du doch bist, Jude, dachte Imogen und schloss wieder die Augen. An diesem grauen Dezembernachmittag war sie kurz im Nieselregen vor dem Schaufenster des Salons stehen geblieben und hatte die Botschaft in schwarzen Lettern auf weißem Grund gelesen, die ständig, von verschiedenen, angeblich lebensverändernden Kosmetikartikeln umgeben, in der Auslage prangte. Jude änderte diese Botschaften regelmäßig. Imogen hatte durch die kleinen viereckigen Glasscheiben des georgianischen Erkers gespäht und Judes aktuellen Slogan entziffert. ANGESPANNT? NERVÖS? KOPFSCHMERZEN? hatte sie gelesen. VERTRAUEN SIE SICH MEINEN HÄNDEN AN. Imogen hatte unwillkürlich lächeln müssen. Hätten die Einwohner Chicesters auch nur einen Schimmer, wie gut Jude tatsächlich war, würden alle von prä- und postklimakterischen Syndromen geplagten Frauen vom Salon bis zum Market Cross Schlange stehen.

Imogen lehnte sich leicht unter dem herrlich heißen Wasserstrahl zurück. Es war ein beinahe überirdischer Genuss, wie Judes geübte Finger bei einer Haarwäsche und Kopfmassage alle Verspannungen schwinden ließen.

Seit Edwards Tod hatte Imogen das Gefühl, zweigeteilt zu sein. Die eine Frau saß hier in Judes Schönheitssalon, trug schwarze Jeans und einen schwarzen Pullover und hatte ein blasses, ungeschminktes Gesicht. Jude hatte sie missbilligend betrachtet, als sie in den Salon gekommen war, und geäußert: »Du siehst aus wie ein Gespenst, Imo«, ohne eine Spur von Ironie in der Stimme. Diese Frau war nicht hierher gekommen, um sich schön machen zu lassen, sondern weil sie Trost suchte. Diese Frau wusste, dass sie trauern musste. Aber Imogen sah die andere Frau in einem purpurroten, rückenfreien Kleid vor sich. Diese Frau hatte Edward verlassen und wieder das oberflächliche Leben einer Unverheirateten führen wollen. Eine Frau, die nicht mehr liebte. Imogen schüttelte sich innerlich. Welche von beiden Frauen war sie?

»Ich habe ihn nicht genug geliebt«, verkündete sie, als Jude das Wasser abstellte.

»In Schuldgefühlen zu schwelgen hilft dir auch nicht weiter«, sagte Jude, wickelte ein Handtuch um Imogens Kopf, bückte sich plötzlich und küsste sie auf die Wange. Dabei streifte ihr honigblondes Haar Imogens Gesicht. »Aber mahagonifarbene Strähnen könnten Wunder bewirken.«

»Was willst du mir da aufschwatzen? Irgendwas Bizarres?« »Du weißt genau, was ich meine«, sagte Jude und führte Imogen zu ihrem gewohnten Stuhl vor einem Spiegel. »Wie gesagt, du bist so blass und brauchst etwas Farbe, Schätzchen.«

»Und wenn ich keine Farbe will?«, konterte Imogen und betrachtete sich im Spiegel. Es war beängstigend, wie die vielen erleuchteten Spiegel im Salon ihren Kopf in jedem Blickwinkel wie aus vielen Facetten zusammengesetzt reflektierten. Sie kam sich nackt vor. Und ihr Gesicht war von krankhafter Blässe.

»Was hast du gegen ein bisschen Farbe?« Jude wurde allmählich ungeduldig.

»Nichts. Aber verschone mich damit«, entgegnete Imogen eigensinnig. Farbe erschien ihr frivol. Und warum sollte sie nicht eine Weile unscheinbar sein, wenn es ihr gefiel?

»Das heißt, du willst nicht gesehen werden«, sagte Jude, musterte ihre Freundin kritisch im Spiegel und grub gleichzeitig ihre Daumen in Imogens Nacken.

Das Gefühl war so himmlisch, dass Imogen stöhnte.

»Du willst dich bei der Beerdigung einfach davonstehlen – blass und unscheinbar. Du willst die trauernde Witwe sein, die allen leid tut«, attackierte Jude weiter.

»Jude!«, empörte sich Imogen und wäre aufgestanden und gegangen, hätte ihre Freundin sie nicht mit stählernem Griff festgehalten – und wäre da nicht auch ein Körnchen Wahrheit in ihren Worten gewesen …

»Aber das bist nicht du«, sagte Jude grimmig mit durchdringendem Blick. »Du bist keine vertrocknete, verstaubte Witwe. Du musst dich jetzt sehr stark zeigen«, fügte sie hinzu und verstärkte den Druck ihrer Finger.

Natürlich hatte Jude recht. Sie musste sich den Tatsachen stellen.

»Ob du es willst oder nicht: Sie werden dich sowieso alle anstarren. Und obwohl du in Schwarz schrecklich ätherisch aussiehst …« »Lass die Finger von meinem Haar!«

Jude hielt eine Strähne hoch, verzog das Gesicht und sagte: »Glanzlos. Ich habe da eine fantastische neue Farbpalette, Imo. Leicht melierte Strähnchen … Sieht völlig natürlich aus.«

»Nein!«, widersetzte sich Imogen den Überredungskünsten ihrer Freundin. Jude versuchte immer wieder, die unterschiedlichsten Haartönungen an ihr auszuprobieren. Nur ihrer Freundin zuliebe hatte sie ein paar Mal die gesamte Prozedur der Schönheitsbehandlung über sich ergehen lassen, einschließlich Pediküre und Maniküre – allerdings ohne künstliche Acrylnägel –, obwohl ihr das alles ziemlich gegen den Strich ging. Doch gegen gravierende Veränderungen an ihrem Aussehen wie tizianrote Lichter oder Strähnen im Haar und Body-Piercing – ein Ring an jedem Ohr genügte wahrhaftig – hatte sie sich immer erfolgreich gewehrt. Und da sie groß und schlank war, ganz gleich, was sie aß oder trank, musste sie sich auch nicht an Judes neuestem Muskeldehn- und Massageapparat, liebevoll »Folterbank« genannt, quälen.

»Wie wär’s wenigstens mit einer Stunde auf der Sonnenliege?«, redete Jude ihrer Freundin weiter zu. »Auf Kosten des Hauses.«

»Nein, wirklich nicht«, lehnte Imogen ab Aber Judes liebevolle Behandlung wirkte stimulierend auf sie und es ging ihr bereits viel besser, als die Tür an der Rückseite des Salons sich öffnete und Judes Mutter, Hazel, von einer Wolke altmodischen Kölnischwassers umgeben, in den Salon schwebte. Da sich Jude keine Angestellte leisten konnte – sie bezeichnete sich gern als Ein-Frau-Betrieb –, übernahm ihre Mutter manchmal den Telefondienst, damit ihre Tochter ungestört arbeiten konnte und nicht den Anrufbeantworter einschalten musste.

»Imogen, meine Liebe …«

»Hazel!«, rief Imogen aus und ließ sich die Hand tätscheln. Mutter und Tochter hätten nicht unterschiedlicher sein können.

Hazel war zierlich, hatte ein fein geschnittenes Gesicht und einen kleinen Busen, während Jude groß und wohlgeformt war, einen üppigen Busen und überall Grübchen hatte. Hazels graues Haar war heute zu einem ordentlichen Knoten geschlungen; sie hatte blaue Augen und war von einer Aura von Verletzlichkeit umgeben, die sie bedenkenlos zu ihrem Vorteil einsetzte.

»Es tut mir ja so leid, meine Liebe. Wie geht es dir?« »Ganz gut, Hazel, wirklich«, sagte Imogen. Wie ermüdend diese ständigen Mitleidsbekundungen doch sind, wenn man Witwe ist, dachte sie und zuckte leicht zusammen, als Jude ihr das Handtuch von den Schultern nahm und in eine schwarze Wanne neben der rückwärtigen Tür warf. Da niemand die richtigen Worte fand, kamen Gespräche nur mühsam zustande. Sogar die halbwüchsige, sonst so unerschütterliche Tiffany war heute Morgen im Blumenladen ungewöhnlich still und befangen gewesen.

Imogen sehnte sich nach ihrer Mutter und deren unverblümter Art, die Dinge beim Namen zu nennen. Vanessa Vaughan war jedoch wieder einmal irgendwo auf der Welt unterwegs und sammelte Erfahrungen für ihre Artikel in der Zeitschrift Abenteuerreisen für Senioren. Sie war von einer gelegentlich verletzenden Ehrlichkeit und hatte Imogen klipp und klar gesagt, was sie von Edward als Schwiegersohn hielt: »Das darf doch nicht wahr sein, Schatz.«

Imogen hatte ihre Mutter damals in Venezuela angerufen und ihr mitgeteilt, sie habe sich mit Edward West verlobt. »Ja, er ist zwar ganz lieb, aber …«

»Ich werde ihn heiraten!« Lieb? Ihre Mutter hätte genauso gut sagen können, er sei in etwa so aufregend wie Hamsterfutter. Dann hatte Vanessa entgegnet: »Hältst du das für eine kluge Entscheidung?«

»Also, wirklich, Mutter!« Was hatte ihre Wahl mit Klugheit zu tun? Edward war doch kein Landstreicher, den sie vor dem Odeon aufgelesen hatte. Er trug Anzüge. Er war respektabel und zuverlässig. Er war gebildet und weltgewandt. Und er hatte ein Gespür für den richtigen Augenblick. Sie war gerade an einem Tiefpunkt angelangt, nachdem ihre von Anfang an zum Scheitern verurteilte Beziehung mit einem eingefleischten Junggesellen endgültig zerbrochen war. Edward hatte sie mit Geschenken und Komplimenten überhäuft, ihr das Gefühl gegeben, von ihm geschätzt und begehrt zu werden und etwas ganz Besonderes zu sein …

»Ich liebe ihn«, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt.

»Wirklich?« Und mit diesem einzigen Wort hatte Vanessa ihre ganze Skepsis zum Ausdruck gebracht.

»Du kennst ihn doch kaum«, hatte sie sich hitzig verteidigt. Ihre Mutter hatte zwar oft behauptet, man brauche nur vier Minuten, um festzustellen, ob ein Mann ein Freund, ein Bekannter oder ein Liebhaber werden könnte. Wie lange brauchte sie wohl, um zukünftige Schwiegersöhne zu taxieren?

»Edward ist wundervoll. Er gibt mir Sicherheit.« War sie denn krank? Oder lebensunfähig? Protestierte sie zu heftig? Und was waren schon zehn Jahre Altersunterschied? Mit achtzehn eine Menge, aber mit fünfundzwanzig kaum der Rede wert. Das Alter gleicht alle Unterschiede aus. »Er gibt mir das Gefühl …«

»Genau!«

Vanessa war keine Frau, die sich für männliche Tugenden interessierte. Noch glaubte sie an die Macht der Liebe. Sie hatte Imogens Vater auf ihre Weise – wie sie sich ausdrückte – geliebt. Auf selbstsüchtige Art, fand Imogen. Nach ihrer Scheidung hatte Vanessa sogar zugegeben, dass sie eine miserable Farmerfrau gewesen sei. Und in der letzten Zeit kam sie Imogen zynischer vor denn je.

»Edward ist genau der Mann, den ich brauche«, begehrte Imogen auf. Wenn meine Mutter jetzt lacht, lege ich auf und rede nie mehr mit ihr, dachte sie.

»Nimm dir ruhig alles, was du brauchst, Schatz. Aber musst du ihn denn gleich heiraten?«

Plötzlich sagte Hazel, die noch immer Imogens Hand tätschelte: »Ich weiß, wie du dich fühlst. Als ich damals meinen Byron verloren habe …«

Ach, du meine Güte! Imogen wappnete sich innerlich für die Geschichte vom Tod von Judes Vater, den sie nicht einmal gekannt hatte.

»Jetzt nicht, Mum«, warnte Jude, rührte Creme an und klatschte sie auf Imogens Haar.

Hazel begnügte sich mit einem Seufzer und sagte: »Edward war ein so lieber Mann.«

Lieb, ja. Aber irgendetwas hatte nicht gestimmt. Imogen wurde das Gefühl nicht los, dass in ihm vielleicht mehr gesteckt hatte. Vielleicht hatte es einen Edward gegeben, der ihr verborgen geblieben war. In einer Schreibtischschublade konnten eine Menge Geheimnisse verborgen sein. Und wenn es denn so war … Imogen rümpfte die Nase, runzelte die Stirn und dachte: Wird es nicht allmählich Zeit, dass ich diese Geheimnisse endlich lüfte?

Kapitel 2

Die ersten fünf Minuten der Sitzung stand Alex Armstrong nur da, rollte ein Stück Zeichenkohle zwischen Zeigefinger und Daumen seiner linken Hand und bewunderte Marisas perfekten Körper – so weiß und glatt geformt wie ein Stück unbenutzte Seife. Ein Bild der Reinheit und Unschuld, dachte er. Mit zusammengekniffenen Augen – den Augen des Künstlers – musterte er jedes physische Detail. Unschuldig? Wohl kaum. Doch egal, wie viele Sexualpartner diese junge Frau gehabt hatte – und aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit ihr mussten das so einige gewesen sein –, hatte sie sich seiner Meinung nach bestimmt von keinem dieser Männer benutzen lassen. Auf keinen Fall. Marisa Gibb war die personifizierte Verführung. Man musste sie einfach berühren … Alex fragte sich aber, wie zum Teufel er diese Ausstrahlung einfangen und mit einem Stück Kohle aufs Papier bringen könnte.

Deshalb zögerte er und bekam schwarze Finger. Damit lassen sich die Striche aber besser verwischen, dachte er und musste lächeln. Nehmt euch Zeit und lasst den Anblick der nackten Marisa auf euch wirken, hatte er seinen Studenten an der Kunstakademie empfohlen. Dafür mussten sie natürlich bezahlen, während Alex dieses Vergnügen umsonst zuteil wurde.

»Merkst du eigentlich nicht, wie verdammt kalt es hier drin ist, Alex?«, beklagte sich Marisa. Sie war ein Profi und sprach, ohne die Neigung ihres Kopfes zu verändern. Ihre Halsmuskeln bewegten sich kaum.

Alex machte beinahe widerstrebend die ersten Striche auf dem Ingrespapier. Leise kratzend skizzierte er vage die Umrisse ihres Körpers.

»In einem Atelier ist es immer kalt«, sagte er. »Wie in einer ungeheizten Mansarde.«

Alex’ Studio war jedoch eine ehemalige Kfz-Werkstatt am Ende einer Reihe von Garagen hinter einem Schrebergarten. Mit ein paar Teppichen, Stühlen und einer Schlafcouch hatte er den Raum – für seine Begriffe – recht gemütlich eingerichtet. »Die Kälte gehört einfach dazu«, murmelte er. »Aber nicht im Zeichensaal der Akademie, und daran bin ich gewöhnt«, sagte Marisa und es gelang ihr, trotz ihrer Nacktheit hochmütig zu klingen. »Schalt doch wenigstens den Heizlüfter an!«

»Vielleicht will ich, dass du frierst und eine Gänsehaut hast«, sagte Alex. Der Körper der Neunzehnjährigen sollte nicht weich, warm und nachgiebig sein – wie die Kunststudenten ihn zu sehen bekamen. Nein, er wollte Marisa zeichnen, wie sie wirklich war: spröde und aufsässig. So hatte er sie an der Kunstakademie St. Mary’s kennengelernt, wo er arbeitete. Er wohnte außerhalb der Akademie zur Untermiete in einem behaglich eingerichteten Zimmer, weil er nebenbei noch zwei anderen Jobs nachging.

Wie konnte der Rektor erwarten, dass sich die Studenten auf die hohe Kunst des Aktzeichnens konzentrierten, wenn sie dieses Modell vor sich haben? hatte er sich gewundert, als er Marisa zum ersten Mal im Zeichensaal gesehen hatte. Aber sie machte ihren Job gut. Beim Aktzeichnen kommt es darauf an, dass das Modell völlig unbefangen ist und reglos in derselben Pose ausharren kann. Und beides beherrschte Marisa perfekt.

Nach dem ersten Kurs war Marisa – jetzt bekleidet und noch schöner – zu ihm gekommen und hatte ihn mit ihren klaren grünen Augen unverwandt angesehen. Anstatt jedoch zu fragen, wie sie gewesen sei und wann sie wieder gebraucht würde, hatte sie gefragt: »Gefallt Ihnen mein Körper?«

Alex hatte gelacht. War diese Frage ernst gemeint? Und da er aus einer ländlichen Gegend von Nottinghampshire stammte und von Komplimenten wenig hielt, hatte er ebenso unverblümt und ehrlich gesagt: »Wem würde der nicht gefallen?«

Diese Antwort hatte Marisa mit einem Nicken akzeptiert. Ihr tizianrotes Haar betonte ihren blassen Teint. Ich müsste sie mit Aquarellfarben malen, war Alex sofort klar geworden. Mit einer anderen Maltechnik lassen sich weder ihr Aussehen noch ihre Ausstrahlung einfangen.

»Sie möchten also mit mir ins Bett gehen?«, hatte sie weiter gefragt.

Als Alex jetzt daran dachte, stockte seine Hand kurz mitten in einer fließenden Bewegung. Am meisten hat mich wohl verblüfft, dass sie diese Frage so unerwartet und auf diese direkte Art gestellt hat, dachte er. Im einundzwanzigsten

Jahrhundert sind Männer natürlich daran gewöhnt, dass auch Frauen den ersten Schritt machen. Aber Marisa war viel weiter gegangen und das mit einer absoluten Arroganz, die ihn einfach überwältigt hatte.

»Um uns zu lieben?«, hatte er sie geneckt, denn schließlich hatten sie bisher kaum ein paar Worte miteinander gewechselt.

»Nennen Sie es, wie Sie wollen«, hatte sie achselzuckend geantwortet.

Als Alex jetzt die Rundung von Marisas linker Brust einfing, flog seine Zeichenkohle nur so übers Papier. Wegen der Kälte hatte Marisa nicht nur eine Gänsehaut, sondern ihre Brustwarzen waren stolz aufgerichtet wie Fahnenstangen. Noch besser … Und sie hatte natürlich recht gehabt. Es war keine Liebe. Seit jenem Nachmittag hier in seinem Studio auf der Schlafcouch – damals war der Heizkörper eingeschaltet – hatten sie in einer Wolke aus Terpentin, Öl und trocknenden Farben noch vier Mal zusammen geschlafen. Und nie war es Liebe gewesen – nur Sex von unterschiedlicher Dauer. Alex schattierte mit dem Knöchel seines Daumens den Oberschenkel und kratzte an der Form des Kniegelenks mit dem Nagel seines Zeigefingers.

Und jedes Mal hatten sie sich mehr Zeit genommen. Denn je größer die Begierde eines Mannes, umso schneller ist der Akt vorbei – für die Frau nur wenig befriedigend. Wie war’s für dich?

Mit einer ungeduldigen Gebärde strich er sich eine braune Haarsträhne aus der Stirn. Die Sexspiele mit Marisa fand er weiterhin äußerst befriedigend, denn sie gab sich völlig ihrer Lust hin – wie eine Katze. Jeder Mann würde sie streicheln und zum Schnurren bringen wollen. Aber schließlich, nach einer Weile …

»Arme alte Imo«, sagte Jude und sah durchs Fenster ihres Salons ihrer Freundin nach, die die Straße hinunter zu ihrem Auto ging. Aufrecht und entschlossen wirkte die Haltung der großen, schlanken Frau in dem schwarzen Wollmantel, aber Jude machte sich Sorgen. Ihre Freundin litt und stand noch unter Schock. Wem würde es nicht so gehen? Welche Frau rechnet schon damit, mit fünfunddreißig plötzlich Witwe zu werden?

»Glaubst du, dass sie damit zurechtkommt?«, fragte Hazel und seufzte. Sie hatte eine fliederfarbene Strickweste über ihre Schultern drapiert und trug dazu einen marineblauen Faltenrock. Adrett wie immer, dachte Jude.

»Ihr bleibt wohl nichts anderes übrig«, sagte Jude und sah sich um. »Wo ist denn Daisy?«

»Im Garten hinterm Haus.«

Das Telefon läutete und Hazel ging an den Apparat. Jude verschwand in der kleinen Küche am Ende des Salons und öffnete die Tür zu der winzigen Grasfläche, die sie Garten nannten. Im selben Augenblick schoss ein kleines Wesen in einer orangefarbenen wattierten Jacke und limonengrüner Trainingshose an ihr vorbei.

Jude blieb in der Küche und füllte lächelnd den Wasserkessel. Sie hatte noch Zeit für eine Tasse Kaffee und eine Zigarette, ehe sie sich mit der neuen Artikelreihe Elegante Fingernägel vertraut machte, um ihrer nächsten Kundin perfekte Fingernägel anpassen zu können.

»Beerdigungen sind so deprimierend.« Hazel stand in der offenen Tür zum Salon, strich sich eine graue Haarsträhne aus der Stirn und sah Jude mit ihren hellen Augen nachdenklich an. »Wenn es nur eine angenehmere Art gäbe, Lebewohl zu sagen.«

»Ist der Gottesdienst in der Kirche?«, fragte Daisy, die auf allen vieren unter dem Empfangstisch kauerte.

»Nein, im Krematorium, Schätzchen«, sagte Jude und warf ihrer kleinen blonden Rakete einen Blick über die Schulter ihrer Mutter zu.

»Geht Onkel Edward zu seinem Schöpfer?«

»Hmm … irgendwie schon«, antwortete Jude und löffelte Kaffee in einen Becher. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Daisy in eine anglikanische Schule zu schicken. Die Behörde behauptete zwar, der Religionsunterricht sei nur ein Nebenfach, das sich auf morgendliche Versammlungen und die Vermittlung ethischer Werte beschränke, aber den armen Kleinen wurde die Religion anscheinend bei jeder sich bietenden Gelegenheit eingetrichtert.

»Darf ich mitkommen?«

»Auf gar keinen Fall.«

»Warum nicht?«

»Weil du noch zu jung bist.«

»»Lasset die Kindlein zu mir kommen««, zitierte Daisy vorwurfsvoll aus der Bibel.

»Vielleicht beim nächsten Mal«, hörte Jude sich sagen. Beim nächsten Mal? Da kochte das Wasser, und sie goss es über das Pulver im Becher. Stark und heiß musste der Kaffee sein. Tonight, tonight … schwirrte ihr der Text eines Liedes im Kopf herum. Wer weiß, was der heutige Abend bringt? dachte sie.

»Daisy, würdest du nach oben gehen und Granny einen Beutel Earl-Gray-Tee holen?«, sagte Hazel und zog sich ihre Strickjacke enger um die Schultern.

Daisy – noch immer auf allen vieren – schaute mit leicht zur Seite geneigtem Kopf ihre Mutter an.

»Apport, Timmy!«, befahl Jude ihrer vierbeinigen Tochter, kramte ihre goldene Zigarettenschachtel aus der tiefen Tasche ihres schwarzen Kittels und zündete sich eine Zigarette an. Sie musste mit ihrer Mutter noch über den heutigen Abend sprechen.

Daisy schoss – immer noch auf allen vieren – durch die kleine Küche, schlüpfte zur Hintertür hinaus und polterte die Außentreppe zu ihrer Wohnung und dann in den zweiten Stock zu Florrie Halls Wohnung hoch.

»Ich glaube, ich bin im Irrenhaus«, murmelte Hazel.

Mit Zigarette, Aschenbecher und ihrem Kaffeebecher bewaffnet, drängte sich Jude an ihrer Mutter vorbei und ließ sich auf den am nächsten stehenden schwarzen Stuhl plumpsen. Ihrer Meinung nach sorgten sich viel zu viele Menschen um ihre Gesundheit – in geistiger und auch in physischer Hinsicht. Viel wichtiger war es doch, das Leben zu genießen und sich zu amüsieren.

»Gegen eine lebhafte Fantasie ist doch nichts einzuwenden«, sagte Jude. Daisy schlüpfte gern in die Rolle vieler Tiere mit verschiedenen Namen und ahmte ihre Laute nach. Warum auch nicht, dachte Jude und fugte grinsend hinzu: »Machen wir uns doch nichts vor: Um mit dem anderen Geschlecht fertig zu werden, braucht ein Mädchen eine lebhafte Fantasie. Durch solche Spiele bekommt Daisy einen wesentlichen Vorsprung in ihrer Entwicklung.«

Aber davon wollte Hazel nichts hören. Mit verschränkten Armen, die hellblauen Augen kämpferisch zusammengekniffen, sagte sie zu ihrer Tochter: »Daisy ist völlig durcheinander.«

»Sind wir das nicht alle?«, konterte Jude, zog an ihrer Zigarette und dachte: Nicht jetzt! Sie wollte jetzt nicht mit ihrer Mutter streiten, sagte aber: »Meine Tochter ist völlig in Ordnung. Beim Essen wird sie doch immer wieder ein Mensch. Und das allein zählt.«

Wie auf ein Stichwort hin sauste da Daisy zur Hintertür herein – den Teebeutel hatte sie glücklicherweise in der Hand und nicht im Mund.

»Braver Hund«, lobte Jude unbeirrt, nahm ihrer Tochter den Beutel aus der Hand und machte noch mal Wasser heiß.

»Armes Kind«, sagte Hazel, seufzte und setzte sich. »Hätte sie doch nur einen Vater. In jedes Heim gehört ein Mann.« »Geht das schon wieder los!«, murmelte Jude vor sich hin, schwenkte den Beutel heftiger als nötig im Becher und goss einen Schuss Milch dazu. Muss das ausgerechnet jetzt sein? dachte sie. In Gedanken bin ich doch eigentlich schon beim heutigen Abend.

»In einem Heim ohne Mann lebt es sich reibungsloser«, entgegnete Jude, ging in den Salon zurück und knallte den Becher vor ihre Mutter auf den Tisch. »Er hat nichts mehr mit uns zu schaffen.«

Außerdem war Daisys Vater während der Affäre mit Jude verheiratet gewesen und hatte die Kinder in seinem anderen Nest versorgen müssen. Wie hätte er sich da um einen weiteren Sprössling kümmern können?

Hazels Gesicht über der bis zum Hals zugeknöpften weißen Bluse drückte Missbilligung aus, als sie streitlüstern sagte: »Erzähl mir bloß nicht, dass Männer keine Sehnsucht nach einem schönen Heim haben, keinen Nistinstinkt sozusagen.«

Irgendetwas in meiner Mutter bringt immer das Schlimmste in mir zutage, dachte Jude und spürte, wie ihre Geduld rapide abnahm. Obwohl die beiden einander halfen und sie die Rente ihrer Mutter aufbesserte, hatte Jude das Gefühl, besser dabei wegzukommen. Wer sonst würde sich um Daisy kümmern, wenn sie arbeitete? Während der Schulzeit wurde Daisy nach dem Unterricht betreut, aber Frauen wollen ja nicht nur in diesen Monaten, sondern auch in der Ferienzeit schön sein. Trotzdem brachte ihre Mutter sie oft zur Verzweiflung, öfter, als Jude sich eingestehen wollte. Natürlich liebte sie ihre Mutter … Aber … Und manchmal war das ein ziemlich großes Aber.

»Die meisten Männer hätten am liebsten zwei Frauen«, sagte sie, setzte sich wieder und drückte ihre Zigarette aus. »In jedem Mann steckt diese Begierde.«

»Vorsicht, Ohren«, sagte Hazel.

»Was?«

»Ohren.«

»Ach ja, stimmt«, sagte Jude. Daisys Tierimprovisationen waren so perfekt, dass Jude manchmal vergaß, dass ihre Tochter ja noch im Raum war und sie – Jude – unbekümmert gegen alle Erziehungsregeln verstieß. Sie betrachtete sich im Spiegel. Steht mir Blond eigentlich? überlegte sie.

»Gott hat Ohren«, sagte Daisy altklug und kroch wieder unter den Empfangstisch. »Vielleicht hört sogar Onkel Edward zu.«

Was Jude nicht hoffte. Sie wickelte sich eine Haarsträhne um die Finger und dachte: Er ist im Schlafzimmer gestorben. Wie viel schrecklicher es für Imo gewesen wäre, wenn er beim Sex gestorben wäre. Mein Gott… was tut man in einer solchen Situation? Was macht man dann mit dem Mann? Was sagt man den Sanitätern? Wie fühlt sich ein toter Körper eigentlich an? Jude überlief ein Schauder. Sie stand auf und leerte den Aschenbecher in einen der glänzenden schwarzen Mülleimer. Aber bei Imo und Edward wäre so etwas wahrscheinlich nicht passiert, überlegte Jude. Imo hatte immer angedeutet, Sex sei bei ihnen eher eine Seltenheit gewesen.

Jude nahm ein sauberes schwarzes Handtuch von einem Stapel und rollte ihren Manikürewagen in den Salon. Da The Goddess Without alle kosmetischen Behandlungen anbot – von Haarentfernung bis Nagelstyling, von Massage bis Gesichtsmasken und Make-up, stand für jede dieser Prozeduren ein mit allem Notwendigen bestückter Wagen einsatzbereit an der Rückwand des Salons.

»Ma, wegen heute Abend …«, fing sie an.

»Kommt Onkel Edward in den Himmel?«

Jude rückte den Wagen sorgfältig zurecht. Ich muss mit Daisys Klassenlehrerin sprechen, dachte sie. Christliche Werte gut und schön, aber das grenzt an Gehirnwäsche bei Kindern und das ist etwas ganz anderes. »Wahrscheinlich«, sagte sie und kreuzte zwei Finger hinter ihrem Rücken. »Und Hunde?«

»Hunde?«, wiederholte Jude stirnrunzelnd und dachte: Vielleicht hat meine Mutter doch recht. Daisy scheint durcheinander zu sein.

»Kommen Hunde auch in den Himmel?«

Aha. Jude beugte sich vor, gab ihrer Tochter einen spielerischen Klaps auf den Po und sagte: »Erst wenn sie sterben, Schätzchen. Und du zischst jetzt ab nach oben. Pronto!« »Aber wenigstens werde ich Vanessa bei der Beerdigung wieder sehen«, sagte Hazel, stand auf, ging zu dem Wagen mit den Make-up-Utensilien und fragte:»Ist dieser rosa Farbton neu?«

»Ja, mit einem Hauch Fuchsienrot.«

Ihre und Imos Mutter hatten sich während einer angeblich friedlichen Diskussion über den Feminismus im Frauenzentrum angefreundet.

»Friedlich soll es dabei zugegangen sein? Kannst du dir das vorstellen?«, hatte Jude einmal im Scherz zu Imo gesagt. »Wo meine Mutter doch der Meinung ist, eine Frau soll eine Frau sein, worauf deine ihr am nächsten Tag einen Fußabtreter geschickt hat.«

Obwohl die beiden gegensätzliche Charaktere waren, hatte ihr Freundschaft die Jahre überdauert und ihre damals zwölf- und fünfjährigen Töchter waren dem Beispiel ihrer Mütter gefolgt. Auch Jude und Imo waren im Wesen und Aussehen grundverschieden, hatten jedoch Judes Meinung nach dieselben Wertvorstellungen. Und das allein zählte.

»Darf ich fernsehen und mir die Simpsons anschauen?«, fragte Daisy plötzlich und zupfte ihre Mutter am Ärmel.

»Na klar«, antwortete Jude und küsste ihre Tochter auf den Kopf. Es war beruhigend zu wissen, dass Daisy neben ihrem missionarischen Eifer und ihrer Vorliebe, Tiere zu imitieren, auch noch Serien wie Die Simpsons schätzte.

»Ma?«, fragte Jude zögernd, »… was ist mit heute Abend?« »Mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig«, entgegnete Hazel und seufzte wie eine Märtyrerin. »Was sollte ich denn sonst mit meiner Zeit anfangen?«, fügte sie mit einem melodramatischen Unterton in der Stimme hinzu und zog die Strickjacke noch fester um ihre Schultern. »Geh nur und amüsier dich. Ich halte hier die Stellung.«

»Danke«, sagte Jude und schluckte ihren Stolz hinunter, weil sie es als knapp vierzigjährige alleinerziehende Mutter – entgegen ihrer Behauptung, ein Leben ohne Mann verlaufe viel reibungsloser – noch immer nicht lassen konnte, einen Großteil ihrer Freizeit damit zu verbringen, nach dem Mann ihres Lebens Ausschau zu halten. Und heute … wer war wohl heute Abend an der Reihe?

Jude schnappte sich ihre Handtasche vom Regal und kramte zwischen Papiertaschentüchern, Pfefferminzbonbons, Adressbuch und Lippenstift ein zerknittertes Stück Papier hervor: eine Anzeige, die sie aus der Seite Von Herz zu Herz des lokalen Käseblatts ausgeschnitten hatte. »Groß, schlank und solvent mit EHUA«, las sie laut vor. »Was kann eine Frau sich mehr wünschen?«

»Was heißt EHUA?«, fragte Daisy zerstreut, während sie wie ein orangefarbener, limonengrüner Blitz zur Hintertür flitzte.

»Eigenes Haus und Auto?«, rief ihr Jude hinterher und warf ihr eine Kusshand zu. Dieses erste Treffen würde wohl kaum mehr als ein kurzes Gespräch werden, denn bestimmt hatten außer ihr noch an die dreißig hoffnungsvolle Sucherinnen auf diese Anzeige geantwortet. Und mit jeder Zuschrift war sein Ego bestimmt ins Unermessliche angeschwollen.

»Wie heißt er denn?«, fragte Hazel, betupfte ihren geschminkten Mund mit einem Taschentuch, strich ihren Faltenrock glatt und folgte Daisy nach draußen.

»Rod«, rief Jude ihr hinterher, machte die Tür hinter Tochter und Mutter zu und ging in den Salon zurück. Der Name ist kein gutes Omen, dachte sie. Unter Rodney stelle ich mir einen Schwächling vor, aber lässt Rod etwa auf einen Macho-Typen schließen? Sie nahm eine Spraydose aus dem Regal und versprühte hektisch Raumspray im Salon. Ich sollte wirklich nicht hier drin rauchen!

Rod. Unter welcher Kategorie Männer werde ich ihn wohl einordnen? überlegte sie, schlüpfte schnell aus ihren Clogs und stellte ihre Füße auf den kühlen, gefliesten Boden. Ist er ein Macho, ein Pedant oder der Typ, der sagt: Deine Probleme interessieren mich einen Dreck, nein danke? Aber trotzdem – es ist nicht ausgeschlossen, dass ich mich heute Abend irrsinnig und leidenschaftlich bis über beide Ohren verliebe, sinnierte Jude, stützte beide Hände auf die Rücklehne eines Stuhls und beugte sich vor. Sie betrachtete stirnrunzelnd ihr Gesicht im Spiegel und glättete dann mit der Fingerspitze die Falten auf ihrer Stirn. Gegen Lachfalten war nichts einzuwenden, denn ohne Humor kommt man nicht durchs Leben. Tonight, tonight … summte sie vor sich hin. Vielleicht lerne ich schon in zwei Stunden den Mann meines Lebens kennen.

Da wurde mit einem ermutigenden Klingeln die Salontür geöffnet. Jude richtete sich auf, schlüpfte schnell wieder in ihre schwarzen Clogs, warf ihre honigblonde Mähne in den Nacken und drehte sich lächelnd zu ihrer nächsten Kundin um. Ein mürrisches Gesicht starrte ihr entgegen. Wenn Humor so lebenswichtig ist, warum gibt es dann so viele unglückliche Menschen auf der Welt? fragte sich Jude.

Als Alex Marisas verkrampfte Schultern und ihre nach unten gezogenen Mundwinkel sah, fragte er sich, ob es der Mühe wert war. Hat es überhaupt noch einen Sinn weiterzumachen? Es ist ja gut und schön, wenn zwei Körper sich im Sex oder in Liebe vereinen – je nach Stimmung und persönlichem Gusto –, aber dem Partner nur noch als Objekt des Vergnügens zu dienen, das war etwas anderes. Falls es denn so war. »Warum bist du eigentlich wütend?«, fragte er und betrachtete Marisa mit der Objektivität des Künstlers. Es konnte nicht nur daran liegen, dass sie in dem kalten Atelier fror – dann wäre sie längst gegangen.

»Wie kommst du darauf, dass ich wütend bin?«

Alex hatte festgestellt, dass Marisa eine Frage gern mit einer Gegenfrage beantwortete. Geschah das aus Neugier an ihrer Umwelt? Wahrscheinlich nicht. Oder versuchte sie, damit ihre Gefühle zu verbergen? Unwahrscheinlich. Alex bezweifelte allmählich, dass sie überhaupt Gefühle hatte. Plausibler war wohl die Erklärung, dass sie ihn als Spiegel für ihr Ego benutzte. Alex musste lachen. Er würde sie gern wie Picasso mit zwei Gesichtern zeichnen, mit so einer kubistischen Arroganz. »Wegen deines Mundes«, sagte er und skizzierte die Form ihrer Lippen. »Du ziehst einen Schmollmund.« »Haha!«

Alex wartete, aber Marisa bewegte ihre Lippen nicht und zeigte keine Reaktion, womit es für ihn noch schwieriger wurde, ihre Stimmung zu erfassen, denn die Körpersprache konnte er im Allgemeinen gut deuten.

»Also?«, hakte er nach.

»Also was?«, entgegnete Marisa.

Ihr Gesicht lag jetzt halb im Schatten, denn nachmittags fiel weniger Licht durch die nikotin- und ölverschmierten Fensterscheiben in die ehemalige Werkstatt, die Alex bei seinem Einzug vergeblich zu säubern versucht hatte. Mittlerweile hatte er sich an die eingeschränkten Lichtverhältnisse gewöhnt und nahm sie als gegeben hin.

»Sagst du mir jetzt, was mit dir los ist, oder nicht?«, fragte Alex.

Manche seiner Freundinnen hätten sich beklagt, weil er nicht angerufen hatte und ein wenig aufmerksamer Liebhaber war. Doch Alex’ Aufmerksamkeit galt ausschließlich Dingen, die ihm wirklich am Herzen lagen, wozu Mädchen selten gehörten.

»Es geht um meine Mutter«, fing Marisa an, »sie zieht mich völlig runter, wenn du es unbedingt wissen willst. Möchtest du wirklich, dass ich darüber rede?«

»Ja«, entgegnete Alex.

Nein, hätte er gesagt, wenn er hätte weiter zeichnen wollen, doch für heute war er fertig. Er warf das Stück Kohle auf seinen Arbeitstisch, denn es interessierte ihn tatsächlich, etwas über Marisas Familie oder Freunde zu erfahren, da sie bisher nie über ihr Privatleben gesprochen hatte. Nach dem Sex und einer Tasse Tee – oder gelegentlich einem Glas Wein je nach Stimmung, und wenn Alex bereits eine Flasche geöffnet hatte – war sie nach einem kurzen Blick in ihren Terminkalender und einem flüchtigen Kuss auf die Wange immer sofort gegangen. Marisa hatte für Bettgeflüster nichts übrig, deshalb blieb von ihr nur ein Dufthauch zurück. Was Alex ziemlich erfrischend fand.

Jetzt gähnte Marisa und streckte sich anmutig.

»Was ist mit deiner Mutter?«, hakte Alex nach, ohne den Blick von ihr zu wenden.

»Sie geht mir absolut auf den Geist. Den ganzen Tag spielt sie Trauermusik, heult ständig und geistert durchs Haus …« Alex lag eine witzige Bemerkung über nackte Pos auf der Zunge, er hielt aber lieber den Mund, denn Marisa war offensichtlich für Scherze nicht aufgelegt. Und auf einen dieser Blicke, die ihm das Gefühl gaben, er wäre ein Beutetier, das die Katze hereingebracht – oder gerade fallen gelassen – hat, konnte er verzichten. Marisa konnte so giftig sein wie Marilyn Monroe bezaubernd gewesen war – beide Frauen waren Naturtalente.

»Warum ist sie denn so?«, fragte Alex stattdessen.

»Ich glaube, sie hat Depressionen«, sagte Marisa und legte sich ihre cremefarbene Fleecejacke über die Schultern.

Als sie zu ihm gekommen war, wusste er schon, dass sie sich gleich auf seinen Schoß setzen, die Jacke von ihren weißen Schultern gleiten lassen und er wieder nichts über ihre familiären Hintergrund erfahren würde. Na gut, darauf konnte er verzichten, aber es passte ihm auch nicht, nur Marisas Spielzeug zu sein, verdammt noch mal. Etwas gepflegte Konversation, ein vertrauliches Gespräch würde den rein sexuellen Charakter ihrer Begegnungen etwas abmildern. Oder machte er sich etwas vor? Schließlich war er ein Mann, oder?

»Ist sie vielleicht in den Wechseljahren?«, fragte Alex und legte einen Fuß auf seinen Oberschenkel, damit Marisa nicht direkt auf seinem Schoß landen konnte. »Wie alt ist deine Mutter?«

Jetzt ließ Marisa ihre Jacke zu Boden fallen, so wie sie zuvor ihr Kleid und ihre Dessous ausgezogen hatte, und platzierte ihren perfekt geformten Hintern auf seine Oberschenkel. »Neunundvierzig«, sagte sie, beugte sich vor und erforschte mit ihrer Zunge die Mulde an seinem Schlüsselbein unter dem aufgeknöpften Kragen seines Jeanshemds. Ihm stieg der Duft ihres tizianroten Haars in die Nase. Marisa vergeudete niemals Zeit.

»Na, siehst du«, sagte er.

»Was?«, fragte sie und sah ihn mit ihren klaren Augen irritiert an.

»Sie könnte in den Wechseljahren sein«, sagte Alex und merkte, dass er eine Erektion bekam, was Marisa in dieser Position natürlich nicht entging. »Wie heißt denn deine Mutter?«

»Wie sie heißt?«, wiederholte Marisa und starrte ihn fassungslos an. »Warum, verdammt noch mal, willst du das wissen?«, fragte sie.

»Es interessiert mich eben«, sagte er.

»Naomi. Naomi Gibb. Bist du jetzt zufrieden?« Langsam knöpfte sie sein Jeanshemd auf. Er sah ihr an, dass sie wusste, was er jetzt dachte.

»Es gibt also nur euch beide?«

»Was geht dich das an?«, entgegnete sie, streifte ihm das Hemd von den Schultern, rutschte von seinem Schoß und machte sich an seine Jeans zu schaffen. Alex fragte sich, wie lange er noch durchhalten konnte.

»Ich hab dir doch gesagt, dass es mich …« Plötzlich fiel es ihm schwer weiterzusprechen. Er blickte auf sie hinunter und merkte, dass sie sich schon völlig ihrer Lust hingab. Marisa unterbrach kurz ihre Tätigkeit, schaute auf und fragte: »Willst du sie etwa kennenlernen?« Ihre Lippen waren leicht geöffnet und er konnte ihre rosa, feuchte Zungenspitze sehen.

Diese Kehrtwende in Marisas Verhalten und weil sie aufgehört hatte, das zu tun, was sie lustvoll getan hatte, überrumpelten Alex derart, dass er ohne über die Gründe für dieses Einlenken nachzudenken sagte: »Ja, warum nicht?«

Aber das war nicht mehr so wichtig, denn im Augenblick war nicht nur sein Verstand mit etwas ganz anderem beschäftigt.

Kapitel 3

»Tonight, tonight … »Love is in the air«, sang Jude, als sie die Hintertreppe hinauflief, um nach Florrie zu sehen. Sie hatte sich eine schwarze Strumpfhose angezogen und eine Trainingsjacke über ihren Arbeitskittel gestreift, denn abends war die Dezemberluft feucht und kalt. Florrie war eine alte Dame, die allein lebte, und Verwandte oder Freunde ließen sich nur selten blicken. Da Jude direkt unter ihr wohnte, fühlte sie sich verpflichtet – ganz gleich, wie hektisch es zugeht, und ganz gleich, mit wem ich später am Abend eine Verabredung habe, dachte sie lächelnd – kurz bei ihrer Nachbarin reinzuschauen und zu fragen, ob sie etwas für Florrie einkaufen oder eine Glühbirne auswechseln solle oder ob sie sonst etwas brauche, da Florrie selbst aus Stolz nie um einen Gefallen bat.

Jude klopfte an die Tür, hörte ein schwaches: »Hallo, meine Liebe«, und ging sofort in die Wohnung. Florries Gesicht war weiß wie ein Laken.

»Florrie? Geht es dir nicht gut?«, fragte Jude besorgt und versuchte, das vogelleichte, zerbrechliche Wesen vorsichtig auf den nächsten Stuhl zu bugsieren. Florries Knochen schienen so zart zu sein, dass sie bei der leisesten Berührung zu brechen drohten. »Was ist denn los?«

»Nichts. Ich muss mich nur kurz mal hinsetzen«, sagte Florrie unwirsch und entzog sich Judes sanftem Griff. »Ich bin nur ein bisschen müde. Ich hatte Besuch, und in meinem Alter kann das ganz schön anstrengend sein, meine Liebe. Sogar wenn hilfsbereite Menschen kommen.«

»Dieses Gefühl kenne ich nur zu gut.«

»Komm mit ins Wohnzimmer. Dort machen wir es uns gemütlich.«

Etwas unsicher auf den Beinen ging Florrie über den dunklen Flur voran zu ihrem mit allem möglichen Krimskrams vollgestopften Wohnzimmer. Sooft Jude auch schon hier gewesen war, entdeckte sie doch jedes Mal etwas Neues: eine zwanzigste Kerze in Schwanenform, ein Sepiafoto von Florrie als Schulmädchen mit seelenvollem Blick, ein chinesisches Teeservice – das ihr bisher zwischen den vielen Vasen nicht aufgefallen war –, Töpfe und Porzellanfiguren – alles mit einer dicken Staubschicht und der Patina der Vergangenheit überzogen.

»Vielleicht meint er es ja nur gut mit mir«, murmelte Florrie und ließ sich auf ihr braunes, mit Fransen versehenes Samtsofa sinken, »aber zu viel Fürsorge kann auch erdrückend sein.«

»Wessen Fürsorge?«, fragte Jude. Sie sah, dass Florries Wangen wieder etwas Farbe bekommen hatten, und ging zum Fenster. Den marineblauen BMW entdeckte sie sofort – das klassische Statussymbol der Neureichen. »Ach, er war hier! Das erklärt alles.« Der Wagen gehörte ihrem Hausbesitzer, James Dean, den Jude auch abfällig das Narbengesicht nannte, weil sie glaubte, ihn von Anfang an durchschaut zu haben.

»Natürlich bin ich nicht mehr so jung und fit wie früher«, sagte Florrie und zupfte mit ihren arthritischen Fingern an ihrem Tweed-Rock. »Da muss ich ihm recht geben.«

Jude spähte mit zusammengekniffenen Augen zum Fenster hinaus. Nein, sie hatte diesen Typen nie gemocht. Grundstücksmakler waren ihrer Erfahrung nach meistens Haie, und diesem da gehörte wahrscheinlich halb Chichester. Irgendetwas an James Dean fand sie beunruhigend, obwohl sie dieses Gefühl nicht erklären konnte.

»Was hat er zu dir gesagt?«, fragte Jude. »Hast du dich seinetwegen so aufgeregt?«

»O nein, meine Liebe, wirklich nicht. Ich habe dir doch gesagt, dass ich nur ein bisschen müde bin.«

Aber Florries Stimme war schriller geworden, und ihre Finger, mit denen sie an ihrer braunen Wolljacke zupfte, zitterten.

Jude kniete sich neben Florrie aufs Sofa. Sie mochte die alte Dame und wusste von den Geschichten, die sie ihr erzählt hatte, dass ihre Nachbarin das Leben in vollen Zügen genossen hatte – davon zeugten auch die fächerförmigen Lachfalten um ihre Augen und den noch immer vollen Mund. Doch jetzt war sie alt. Und James Dean war genau der Typ Mann, der sich Schwache und Wehrlose als Opfer aussuchen würde. Aber ich bin weder schwach noch wehrlos, dachte Jude wütend, und werde es nicht zulassen, dass Florrie herumgeschubst wird.

»Schon gut«, sagte sie beschwichtigend. »Soll ich den Wasserkessel aufsetzen?« »Nein, danke«, sagte Florrie und schüttelte den Kopf. »Ich habe gerade eine Tasse Tee getrunken.« Ihr Haar war schlohweiß, die einzige Farbe, die nicht einmal Jude hätte verändern wollen.

»Also, was hat er zu dir gesagt?«, hakte Jude nach. Vielleicht war Florrie mit der Miete im Rückstand und zu stolz, um ihre Nachbarin um Hilfe zu bitten.

Die etwas wässrigen hellblauen Augen der alten Dame wurden ausdruckslos, als sie auf ihre weichen, flauschigen Hauspantoffeln starrte und sagte: »Ich bin nicht mehr so sicher auf meinen Beinen wie früher …«

»Hat er das zu dir gesagt?«, empörte sich Jude. So eine Frechheit! Ich möchte mal sehen, wie Narbengesicht zurechtkommt, sollte er je achtzig werden.

»Aber ich möchte unbedingt meine Wohnung behalten«, verkündete Florrie plötzlich entschieden mit fester Stimme und herausforderndem Blick. Da wusste Jude, welchen Vorschlag James Dean seiner hochbetagten Mieterin gemacht hatte.

»Er will, dass du ausziehst«, murmelte sie. Florrie lebte schon so lange in dieser Wohnung, dass der Hausbesitzer dafür wohl nur eine kaum nennenswerte Miete bekam. Wenn es ihm gelang, Florrie vor die Tür zu setzen, konnte er die Wohnung renovieren lassen und dafür in dieser Gegend – immerhin in der Nähe des Stadtzentrums – eine Menge mehr kassieren.

»Ich brauche meine Unabhängigkeit«, sagte Florrie mit tränenverschleierten Augen. »Aber das versteht ihr jungen Leute ja nicht. Ich kann nicht in ein Altenheim ziehen …« »Das musst du auch nicht«, sagte Jude und drückte Florries

Hände. Die braun gefleckte Haut war dünn und durchsichtig wie Papier, die Knöchel knotig, aber ihr Händedruck erstaunlich kräftig. »Ich verstehe dich sehr gut.«

Ich habe schon immer gewusst, dass James Dean ein Mistkerl ist, dachte Jude. Aber keine Bange, mit solchen Typen werde ich fertig. Auf diese Konfrontation freue ich mich schon.

»Überlass das mir«, sagte sie zu Florrie. »Ich kümmere mich darum. Niemand wird dich gegen deinen Willen aus deiner Wohnung jagen.«

Jude war zwar keine Expertin in Mietrecht, wusste jedoch, dass Florrie Mieterschutz genoss. Was kann Narbengesicht also tun, um seine Mieterin loszuwerden? überlegte sie, während sie die Außentreppe hinunterlief. Er kann zum Sozialamt gehen und behaupten, Florrie sei nicht mehr imstande, sich allein zu versorgen. Aber solange sie keine Gefahr für andere Menschen darstellte, solange sie nicht die Wohnung verwüstete und solange sie ihre Miete bezahlte …

Jude ging durch die Küchentür in ihre Wohnung und folgte dem leisen Stimmengemurmel in ihrem kleinen Wohnzimmer. Jeder Mensch besitzt doch gewisse Rechte, oder? Sie nahm sich vor, am nächsten Morgen ins Büro des Mieterschutzbundes zu gehen und sich zu erkundigen, welche Rechte Florrie in ihrer Angelegenheit geltend machen konnte.

In der Tür blieb sie wie angewurzelt stehen. Ihre Mutter saß mit geschlossenen Knien, den marineblauen Rock sittsam darüber gebreitet da und gab respektvolle Äußerungen wie »natürlich« und »natürlich werden wir« von sich. Auf dem kastanienbraunen Sofa ihr gegenüber rekelte sich James Dean persönlich. Er war ein Mann Ende vierzig, hatte sein dunkles Haar aus dem zerfurchten Gesicht nach hinten gekämmt und sah aus wie ein Mann, der das Leben kennt. Einen jugendlichen Rebellen wie seinen Namensvetter in dem Film: Denn sie wissen nicht, was sie tun hätte Jude zwar nicht in ihm gesehen, aber die Art, wie Dean ihre Mutter herablassend behandelte und ungeniert ihren Tee trank, ließ darauf schließen, dass er die Wehrlosigkeit älterer Damen bestimmt auszunutzen wusste.

Er stand auf, als Jude ins Zimmer trat – seine Körpersprache brachte ein träges Gelangweilt sein zum Ausdruck. Jude wartete. Er war eine imposante Erscheinung, groß und breitschultrig, aber gut in Form, wie ihm Jude widerstrebend zugestehen musste. Und die Anzüge, die er trug, sahen immer aus, als wären sie eine Nummer zu klein für ihn. »Mr. Dean«, sagte sie kalt.

»Miss Lomax.«

Hazels Blicke schweiften zwischen den beiden hin und her, als würde sie die unterschwellige Spannung spüren, und sie sagte: »Mr. Dean hat sich nur erkundigt, ob wir uns um Florrie kümmern könnten.«

»Ach, tatsächlich?«, entgegnete Jude und warf ihm einen bösen Blick zu.