Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende - Gerhard Groß - E-Book

Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende E-Book

Gerhard Groß

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Beschreibung

Bis 1918 waren die Soldaten wie auch die Bevölkerung des Deutschen Kaiserreichs noch überzeugt, dass ihr Sieg im Ersten Weltkrieg unmittelbar bevorstehe. Doch mit der Schlacht bei Amiens wendete sich das Blatt, nicht zuletzt weil aufseiten der Alliierten erstmals zahlreiche Panzer zum Einsatz kamen. Deutschland musste im Herbst 1918 kapitulieren, während sich im Hintergrund die Novemberrevolution zusammenbraute. In der sogenannten "Dolchstoßlegende" wurde die militärische Niederlage später auf die politische Unruhe im Land zurückgeführt. Warum es sich dabei um einen Mythos handelt und welche Umstände wirklich zum Scheitern des Kaiserreichs führten, erhellt dieses Buch. Die Reihe "Kriege der Moderne", herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, stellt die wichtigsten militärischen Konflikte des 19. und 20. Jahrhunderts nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen vor und erläutert ihre geschichtlichen Ursachen und politischen Folgen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 138

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Gerhard P. Groß

Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende

Reclam

Kriege der Moderne

 

Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

 

Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Fachbereich Publikationen (0861–01)

 

 

2018 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Umschlagabbildung: picture alliance / Mary Evans Picture Library – Deutsche Kriegsgefangene am 9. August 1918

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961346-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011168-0

www.reclam.de

Inhalt

1 Das Grauen2 Die Ausgangslage3 Planungen und Vorbereitungen4 Der Angriff5 Der »schwarze Tag«6 Der lange Weg zurück7 Die Dolchstoßlegende8 Das Ende des Ersten WeltkriegsAnhangZeittafelGenerallegende für taktische ZeichenLiteraturhinweiseAbbildungsnachweisPersonenregister

[7]1 Das Grauen

Von britischen Granaten getroffene Nachschubkolonne, im Vordergrund liegt ein gefallener deutscher Soldat.

Tausend Donner aus Tausenden von Geschützen überstürzen sich, überlärmen einander, verschlingen sich, vermischen sich zu einem einzigen, die Erde überdröhnenden, den Himmel verdrängenden Wirbel von Lärm, Raserei und Wut. Unaufhörlich, fast wie eine greifbare Masse erfüllt die Musik dieses wahnsinnigen Totentanzes den Raum. Es ist, als ob ein unsichtbarer, der Hölle entstiegener Riese um uns und über uns im Nebel mit rohen, krachenden Schlägen die Erde und alles, was darauf ist, für immer vernichten wolle […].

In dieser fürchterlichen Hölle hilft nur eines: gleichgültig bleiben! Schicksal: entweder du fällst, oder du fällst nicht!

[8]Mit diesen bildhaften, zugleich aber auch fatalistischen Worten beschrieb der Leutnant der Reserve DassauDassau (Leutnant der Reserve) nach dem Ersten Weltkrieg in der Regimentsgeschichte des Mindenschen Feldartillerieregiments 58 wohl zutreffend das Empfinden der westfälischen Artilleristen am frühen Morgen des 8. August 1918. Am Abend desselben Tages war das Feldartillerieregiment der 13. Division zerschlagen. Alle Geschütze waren vernichtet oder in Feindeshand geraten, und der Personalbestand war auf ca. 20 Prozent der ursprünglichen Zahl gesunken. Viele Soldaten waren gefallen, viele in Kriegsgefangenschaft geraten. Wie war es zu diesen ungewöhnlich hohen Verlusten eines doch mehrere Kilometer hinter der Front liegenden Feldartillerieregiments gekommen? Im Rahmen des Großangriffs der Entente gegen den weit vorgeschobenen deutschen Frontabschnitt östlich der nordfranzösischen Stadt Amiens hatte die 2. und 3. australische Division, unterstützt von starken Tank- und Fliegerkräften, die Verteidigungsstellungen der 13. deutschen Division sehr schnell durchbrochen. Dadurch wurden die [9]Artilleristen in einen für sie völlig ungewohnten Kampf Mann gegen Mann gezwungen.

Deutsche Soldaten nach der Schlacht bei Amiens am 9. August 1918 auf dem Marsch in die Gefangenschaft

Das Beispiel des Feldartillerieregiments 58 steht stellvertretend für die dem Schwerpunkt des alliierten Angriffes ausgesetzten deutschen Verbände der deutschen 2. Armee. Am Ende des Tages waren französische, britische, australische und kanadische Soldaten fast 10 Kilometer weit in das deutsche Stellungssystem vorgedrungen. Die 2. Armee hatte ca. 27 000 Mann, 700 Offiziere, 400 Geschütze sowie große Mengen an Minenwerfern und Maschinengewehren verloren. General Fritz von LoßbergLoßberg, Fritz von charakterisierte diese Schlacht als die »größte Niederlage, die eine deutsche Armee im Verlauf des Krieges erlebt hat«.

Während ihre Söhne, Brüder und Ehemänner im Feuerhagel der gegnerischen Artillerie kämpften, schliefen die meisten Angehörigen zu Hause im Deutschen Reich noch oder waren auf dem Weg zur Arbeit. Von dem schweren Schicksal ihrer Familienangehörigen ahnten sie nichts. Als die Einwohner von Minden gegen Abend wieder nach Hause kamen, konnten sie einer knappen Pressemeldung lediglich entnehmen: »Auf dem westlichen Kriegsschauplatz haben die Engländer und Franzosen beiderseits der Somme in breiten Abschnitten angegriffen. Sie sind in unsere Linie eingedrungen.«

Da die Mindener Bürger aufgrund der Geheimhaltung nicht wussten, an welchem Frontabschnitt ihre Familienangehörigen eingesetzt waren, werden sie diese lapidare Meldung wie viele andere zuvor wahrscheinlich lediglich zur Kenntnis genommen haben, ohne ihr allzu große Bedeutung beizumessen. Noch herrschte die von der Obersten [12]Heeresleitung (OHL) angesichts des Sieges über Russland sowie der Erfolge der deutschen Offensiven an der Westfront genährte Erwartung in der Gesellschaft vor, der Krieg werde in absehbarer Zeit mit einem deutschen Sieg enden. Über die tatsächlich kritische operative Lage und die schlechte personelle wie materielle Verfassung des deutschen Heeres im August 1918 waren weder die politische Leitung des Kaiserreiches noch die Bevölkerung informiert.

Das lag nicht zuletzt daran, dass der führende Kopf der 3. OHL, der Erste Generalquartiermeister General der Infanterie Erich LudendorffLudendorff, Erich, das Scheitern der deutschen Offensive in Frankreich 1918 selbst nicht wahrhaben wollte. Erste Rückschläge wie der erfolgreiche Angriff der Entente am 18. Juli 1918 gegen den deutschen Frontbogen zwischen Reims und Soissons, aber auch die angespannte Personal- und Materiallage, wurden von ihm schlicht verdrängt. Hinweise aus seinem Stab auf die nach dem ausgebliebenen Sieg schlechte Moral der Truppe ignorierte er ebenfalls oder wischte sie verärgert als schwarzseherisch vom Tisch.

Von der 4. australischen Armee im Verlauf der Kämpfe um den 8. August 1918 erbeutete deutsche Geschütze

Erst die schwere Niederlage am 8. August 1918, in deren Verlauf nicht nur die britischen Truppen große Geländegewinne erzielten, sondern auch mehrere eingesetzte deutsche Divisionen geradezu auseinanderbrachen und über 15 000 Soldaten in Gefangenschaft kamen, änderte LudendorffsLudendorff, Erich Meinung schlagartig. Er musste sich eingestehen, dass die Moral der Truppe zusammengebrochen war. Wenige Tage später nannte er den 8. August 1918 den »schwarzen Tag des deutschen Heeres«.

[13]2 Die Ausgangslage

Die beiden Getreuen beim Kriegsplan: Generalfeldmarschall HindenburgHindenburg, Paul von (l.) und General LudendorffLudendorff, Erich (Farbdruck nach einem Gemälde von Hugo Vogel, 1922)

Es darf nicht geglaubt werden, dass wir eine Offensive haben werden wie in Galizien oder in Italien; es wird ein gewaltiges Ringen, das an einer Stelle beginnt, sich an der anderen fortsetzt und lange Zeit in Anspruch nehmen wird, das schwer, aber siegreich sein wird.

Mit diesen Worten stimmte LudendorffLudendorff, Erich am 13. Februar 1918 auf dem Kronrat in Homburg den Reichskanzler Graf Georg von HertlingHertling , Georg Graf von sowie Kaiser Wilhelm II.Wilhelm II., Kaiser auf seinen Plan einer kriegsentscheidenden Offensive in den nächsten Monaten an der Westfront ein. Wie im ersten Kriegsjahr sollten die deutschen Armeen in Frankreich angreifen, um erneut in einer alles entscheidenden Offensive den Sieg zu erringen. Nachdem der Angriff von 1914 auch nach dem Scheitern eine Siegesoption für Deutschland offengelassen hatte, sollte die bevorstehende Offensive nach den Vorstellungen der OHL endgültig über Sieg oder Niederlage und Sein oder Nichtsein entscheiden – denn für zukünftige Angriffe würden nach dieser Offensive die Kräfte fehlen.

[14]Welche Gründe bewogen die militärische und politische Führung des Kaiserreichs, im Frühjahr 1918 alles auf die Karte Angriff und damit den Siegfrieden zu setzen? Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, die politischen und militärischen Ereignisse des Jahres 1917 zu rekapitulieren.

Im Großen Hauptquartier, Januar 1917: HindenburgHindenburg, Paul von, Kaiser Wilhelm II.Wilhelm II., Kaiser und LudendorffLudendorff, Erich beim Kartenstudium

Entschlossen, den Krieg bis zum Sieg weiterzuführen, hatte die 3. OHL unter Generalfeldmarschall Paul von HindenburgHindenburg, Paul von und General LudendorffLudendorff, Erich schon kurz nach ihrer Kommandoübernahme im August 1916 mit dem Hindenburg-Programm eine Rüstungs- und Wirtschaftsmaßnahme in die Wege geleitet, um unter Mobilisierung aller Reserven sowie unter Konzentration aller Ressourcen und Kapazitäten die Rüstungsproduktion des Kaiserreichs erheblich zu erhöhen. Dabei war durch die verstärkte Einführung vor allem von Maschinengewehren und Artilleriegeschützen die Durchhaltefähigkeit des deutschen Heeres deutlich gesteigert worden. All diese Maßnahmen litten jedoch unter den Auswirkungen der britischen Seeblockade, die den Warenverkehr erschwerte. Der von der Entente den Mittelmächten nach Kriegsbeginn aufgezwungene langwierige Abnutzungskrieg hatte das Kaiserreich in seinem Würgegriff. Auch die mit so großen Hoffnungen eingesetzte neue OHL sah sich dadurch gezwungen, den Krieg so zu führen, wie ihn der Generalstab vor 1914 als für Deutschland nicht gewinnbar beurteilt hatte. Genau diesen Verlauf hatte er mit einer schnellen, den gegnerischen Ressourcenaufbau unterlaufenden, offensiven Kriegführung verhindern wollen.

Vor diesem Hintergrund entschloss sich LudendorffLudendorff, Erich, der entscheidende operativ-strategische Denker der 3. OHL, zu einer Mischung aus operativer Defensive und strategischer Offensive. Aufgrund der hohen materiellen und personellen Verluste 1916 sowie der Überlegenheit der Gefechtsart Verteidigung über den Angriff sah er keine Möglichkeit, erneute Angriffe an der Westfront durchzuführen. Stattdessen befahl er, dort zur Verteidigung überzugehen. Mit ihrer taktisch-operativen Defensive in Frankreich beabsichtigte die OHL, Zeit zu gewinnen, obwohl sie doch aufgrund des von der Entente erfolgreich geführten Abnutzungskrieges eigentlich keine Zeit hatte. Das Standhalten im Westen war nämlich die Voraussetzung für eine strategische Offensive an anderer Stelle.

HindenburgHindenburg, Paul von, Kaiser Wilhelm II.Wilhelm II., Kaiser, Reichskanzler Bethmann Hollweg, Ludwig III., König von Bayern, LudendorffLudendorff, Erich und Holtzendorff, Chef des Admiralstabs, im Großen Hauptquartier in Pleß (Oberschlesien) am 9. Dezember 1916

Da die wirtschaftlichen Potenziale der beteiligten Staaten zu entscheidenden Faktoren für den Kriegsausgang geworden waren, plante [16]die OHL eine strategische Offensive zur See. Mit dem von der Marineführung seit Jahren geforderten, aus Rücksicht auf die USA1915 jedoch nach nur wenigen Wochen wieder eingestellten uneingeschränkten U-Boot-Krieg sollte Großbritannien vom Seehandel abgeschnitten und in die Knie gezwungen werden. Nach der vorwarnungslosen Versenkung aller Handelsschiffe in durch Deutschland zu Sperrgebieten erklärten Seegebieten werde England, so hatte der Admiralstab zugesichert, nach nur fünf Monaten besiegt sein. Zudem, darin waren sich OHL und Admiralstab einig, würden die militärischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten der Vereinigten Staaten schlicht überschätzt. Ein Kriegseintritt der USA sei daher zu verschmerzen. Reichskanzler Theobald von Bethmann HollwegBethmann Hollweg, Theobald von teilte die Bewertung der militärischen Führung keineswegs und sprach sich weiterhin gegen die Wiedereröffnung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges aus. Angesichts des [17]strategischen Patts im Landkrieg sowie der schlechten Versorgungslage gab Wilhelm II.Wilhelm II., Kaiser, der bis dato ebenfalls den uneingeschränkten U-Boot-Krieg abgelehnt hatte, allerdings dem Druck der Heeres- und Marineführung schließlich nach und befahl zum 1. Februar 1917 dessen Wiedereröffnung. Das Kaiserreich spielte somit seine letzte Trumpfkarte aus. Die USA brachen daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab und traten am 6. April 1917 aufseiten der Entente in den Krieg ein. Der europäische Krieg war endgültig zu einem Weltkrieg geworden.

Uneingeschränkter U-Boot-Krieg

1914 standen sich mit der deutschen Flotte und der Royal Navy die zwei stärksten Kriegsflotten der Welt in der Nordsee gegenüber. Im Gegensatz zur deutschen Annahme, die Royal Navy werde im Kriegsfall eine enge Blockade der deutschen Häfen durchführen und so der deutschen Flotte die Möglichkeit zu einer Entscheidungsschlacht bieten, praktizierten die Briten außerhalb der Reichweite der deutschen Großkampfschiffe eine wirksame Fernblockade der deutschen Häfen. Das Risiko eines Kampfes mit der Hochseeflotte vermieden sie.

Erste Erfolge im U-Boot-Krieg weckten im deutschen Admiralstab jedoch die Hoffnung, als Vergeltung für die auf deutscher Seite als völkerrechtswidrig empfundene britische Fernblockade auf diesem Weg erfolgreich gegen den britischen Seehandel vorgehen zu können. Anfangs führten die deutschen U-Boote den Handelskrieg noch gemäß der internationalen Prisenordnung. Ab dem 18. Februar 1915 erhielten die U-Boote dann jedoch die Erlaubnis, in einem zur Kriegszone erklärten Seegebiet um Großbritannien gegnerische Handelsschiffe vorwarnungslos zu versenken. Als im Mai 1915 das deutsche Unterseeboot U 20 das Passagierschiff »Lusitania« versenkte und zahlreiche US-Bürger starben, drohte Washington mit einem Kriegseintritt, sollte der uneingeschränkte U-Boot-Krieg nicht eingestellt werden. Daraufhin führten die deutschen U-Boote den Handelskrieg wieder gemäß der Prisenordnung.

Der Kampf zwischen der militärischen Führung und dem Reichskanzler Bethmann Hollweg um die Wiedereinführung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges ging jedoch weiter. Noch lehnte der Kaiser aus Angst vor einem amerikanischen Kriegseintritt aufseiten der Entente diesen Schritt ab. Angesichts der angespannten militärischen Lage und der sich dramatisch verschärfenden Ernährungssituation in Deutschland forderten der Admiralstab und die OHL aber immer vehementer die Wiedereinführung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Mit dem Argument, Großbritannien werde nach sechs Monaten uneingeschränkten Kampfes der U-Boote kapitulieren, setzte sich die militärische Führung letztlich im Januar 1917, den Kriegseintritt der USA billigend in Kauf nehmend, beim Kaiser durch.

Am 1. Februar 1917 wurde der uneingeschränkte U-Boot-Krieg erneut eröffnet. Die USA erklärten daraufhin am 6. April 1917 Deutschland den Krieg. Trotz anfänglich großer Erfolge der deutschen Marine blieb die Kapitulation Großbritanniens aus. Im Gegenteil: Aufgrund verbesserter Abwehrmaßnahmen und der Einführung des Konvoisystems ging die Anzahl der versenkten Schiffe ab Herbst 1917 dramatisch zurück. Letztlich verlegten die USA vom Jahresbeginn 1918 an monatlich über 100 000 Mann auf dem Seeweg nach Frankreich und stabilisierten so die stark unter Druck stehende Westfront und damit die Entente – trotz des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs.

Versenkung eines Handelsdampfers gemäß Prisenordnung (Gemälde von Willy Stöwer, 1915)

Für die Ententestaaten kam dieser Schritt zum richtigen Zeitpunkt. Auch sie befanden sich im Frühjahr 1917 in einer schwierigen Situation. Ihr Allfrontenangriff des vergangenen Jahres war unter schweren Verlusten gescheitert und der neue Verbündete Rumänien sogar innerhalb weniger Wochen vernichtend geschlagen worden. Obwohl sie weiterhin freien Zugriff auf ihre weltweiten Ressourcen hatten, war zudem [18]ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von den USA stetig gestiegen. Besonders gravierend war jedoch, dass als Folge der Niederlagen des Jahres 1916 sowie der dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Russlands im Winter 1916/17 Zar Nikolaus II.Nikolaus II., Zar nach Massenstreiks [19]und Arbeiteraufständen am 15. März abdanken musste. Die russische Februarrevolution beendete nicht nur die über 300-jährige Herrschaft der Romanows, sie führte zugleich zu einer schweren inneren Destabilisierung des Russischen Reiches. Ob Russland vor diesem Hintergrund [20]weiterhin aufseiten der Entente gegen die Mittelmächte Krieg würde führen können, war für die Regierungen in Paris und London von strategischer Bedeutung, zumal die deutsche Regierung sofort die Chance ergriff, Wladimir Iljitsch LeninLenin, Wladimir Iljitsch und weiteren führenden russischen Bolschewiki Anfang April 1917 die Durchreise aus der Schweiz nach Petrograd zu ermöglichen, um so die sich langsam etablierende bürgerliche russische Regierung, die den Krieg gegen die Mittelmächte weiterführen wollte, ins Wanken zu bringen. Kurzfristig zeigte die deutsche Strategie nur geringen Erfolg, denn die neugebildete russische Regierung hielt trotz der Forderungen der Bolschewiki, den Krieg zu beenden, an den russischen Bündnisverpflichtungen fest. Langfristig braute sich jedoch ein Konflikt zusammen, der ganz im Sinne der deutschen Führung Russland destabilisieren würde und in der Oktoberrevolution münden sollte.

Nicht nur in Russland, auch in anderen kriegführenden Staaten gärte es angesichts der hohen Verluste und der immer schwieriger werdenden Lebensbedingungen der Bevölkerung. Der Ruf nach Frieden wurde in [21]Europa immer lauter. Immer mehr Soldaten wollten das für sie sinnlose Massensterben beendet wissen. So kam es in der französischen Armee nach dem Scheitern der Nivelle-Offensive am Chemin des Dames Ende April 1917 zu Meutereien. Erst nach mehreren Wochen gelang es der französischen Führung, die Ordnung wieder herzustellen.

Öffentliche Suppenküche in Berlin

Infolge der schlechten Lebensmittelversorgung kam es im Januar 1918 zu Demonstrationen und Massenstreiks. Wie hier in St. Pauli, Hamburg, wurde auch Militär gegen die Streikenden eingesetzt.

Auch Deutschland wurde seit Jahresbeginn 1917 von innenpolitischen Krisen geschüttelt. Die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln verschlechterte sich nicht nur wegen der Blockade, sondern auch wegen Missernten dramatisch. Im Anschluss an die Hungerproteste während des »Steckrübenwinters« kam es wegen der teilweisen Solidarisierung der deutschen Arbeiterschaft mit den Bolschewiki, des Kriegseintritts der USA sowie vor allem der sehr schlechten Lebensmittelversorgung zu Massenstreiks, an denen sich viele mittlerweile in den Fabriken [22]arbeitende Frauen beteiligten. Gleichzeitig spaltete sich der linke Flügel der SPD zunehmend ab und gründete die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD). Für die SPD wurde es schwieriger, ihre Kooperation mit der Reichsregierung gegenüber der Bevölkerung zu vertreten. Die Arbeiterschaft verlangte immer nachdrücklicher politische Reformen. Zur Besänftigung der aufgebrachten Untertanen versprach der Kaiser in seiner sogenannten Osterbotschaft am 7. April die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts nach Beendigung des Krieges. Letztlich gelang es der Reichsregierung damit, die deutsche Bevölkerung vorerst zu beruhigen. Dagegen geriet Bethmann HollwegBethmann Hollweg, Theobald von innenpolitisch immer stärker unter Druck. Die OHL arbeitete seit Monaten auf seine Ablösung hin. Als die Mehrheitsparteien des Reichstags im Juli eine Friedensresolution ohne Gebietsabtretungen beschlossen, geriet er schließlich zwischen alle Stühle. Letztlich gab der Kaiser dem Druck des Militärs nach und ließ Bethmann HollwegBethmann Hollweg, Theobald von fallen.

Die OHL nutzte diese Situation und setzte am 14. Juli mit Georg MichaelisMichaelis, Georg ihren Kandidaten als Nachfolger durch. Damit hatte sie ihre Macht weit über ihr militärisches Aufgabenfeld in die Politik hinein ausgedehnt. Dies war nur möglich, weil Wilhelm II.Wilhelm II., Kaiser dem Machtanspruch des zur nationalen Identifikationsfigur und für viele Deutsche zur letzten Hoffnung gewordenen HindenburgHindenburg, Paul von kaum noch Widerstand entgegenbrachte. Fast zeitgleich mit dem innenpolitischen Umbau meuterten auf einigen Großkampfschiffen der Hochseeflotte im August 1917 Matrosen. Obwohl die Unruhen in erster Linie marinespezifischen Problemen, insbesondere den unhaltbaren inneren Zuständen an Bord der zumeist untätig im Hafen liegenden Großkampfschiffe geschuldet waren, musste die OHL erkennen, dass die in der Bevölkerung weitverbreitete Friedenssehnsucht sowie revolutionäres Gedankengut mittlerweile auch die Soldaten erfasst hatten.

HindenburgHindenburg, Paul von (5. v. l.) erörtert mit LudendorffLudendorff, Erich (r.), dem frisch ernannten Reichskanzler MichaelisMichaelis, Georg (links neben Hindenburg