Das Erbe der Lebküchnerin: Die Lebkuchen-Saga - Zweiter Roman - Sybille Schrödter - E-Book
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Das Erbe der Lebküchnerin: Die Lebkuchen-Saga - Zweiter Roman E-Book

Sybille Schrödter

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Beschreibung

Verfolgt, gedemütigt – aber ungebrochen: Der fesselnde historische Roman »Das Erbe der Lebküchnerin« von Sybille Schrödter als eBook bei dotbooks. Nürnberg in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Bis weit über die Stadtgrenzen hinaus sind die berühmten Benedicten-Lebkuchen begehrt – und ein einträgliches Geschäft, an dem sich viele bereichern wollen. Als Benedicta, die Erfinderin der süßen Köstlichkeit, stirbt, gibt es nur noch eine, die das geheime Rezept kennt: Bianca, die in Benedictas Haushalt aufwuchs und ihren Enkel Andreas heiraten will, sobald er von seiner Handelsreise aus Venedig zurückkehrt. Nun aber findet Bianca sich inmitten eines brutalen Ränkespiels wieder. Im letzten Moment kann sie entkommen – und weiß, dass ihre Feinde versuchen werden, Andreas in ihre Gewalt zu bringen. Ganz allein auf sich gestellt muss Bianca die gefahrvolle Reise über die Alpen meistern, um ihn zu warnen … Das brodelnde Nürnberg, das schillernde Venedig und eine Liebe, für die eine willensstarke junge Frau über sich hinauswächst: Erleben Sie ein packendes Leseabenteuer! Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Das Erbe der Lebküchnerin« von Sybille Schrödter. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Nürnberg in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Bis weit über die Stadtgrenzen hinaus sind die berühmten Benedicten-Lebkuchen begehrt – und ein einträgliches Geschäft, an dem sich viele bereichern wollen. Als Benedicta, die Erfinderin der süßen Köstlichkeit, stirbt, gibt es nur noch eine, die das geheime Rezept kennt: Bianca, die in Benedictas Haushalt aufwuchs und ihren Enkel Andreas heiraten will, sobald er von seiner Handelsreise aus Venedig zurückkehrt. Nun aber findet Bianca sich inmitten eines brutalen Ränkespiels wieder. Im letzten Moment kann sie entkommen – und weiß, dass ihre Feinde versuchen werden, Andreas in ihre Gewalt zu bringen. Ganz allein auf sich gestellt muss Bianca die gefahrvolle Reise über die Alpen meistern, um ihn zu warnen …

Das brodelnde Nürnberg, das schillernde Venedig und eine Liebe, für die eine willensstarke junge Frau über sich hinauswächst: Erleben Sie ein packendes Leseabenteuer!

Über die Autorin:

Sybille Schrödter ist Juristin, Kabarettistin, Sängerin, Roman- und Drehbuchautorin – und so wenig, wie sie sich auf einen einzelnen Beruf festlegen lassen will, ist sie bereit, sich nur in einem Genre zu bewegen: Sie schreibt Kriminalromane und Thriller (»Weil mich menschliche Abgründe faszinieren«), historische Roman (»Weil es ein Vergnügen ist, in lang vergangenen Zeiten auf die Suche nach starken Frauenfiguren zu gehen«) und – unter verschiedenen Pseudonymen – Familiensagas (»Weil es in jeder Familie dunkle Geheimnisse gibt«) und Liebesgeschichten (»Nach dem Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt …«). Sybille Schrödter lebt in Hamburg.

Die Autorin im Internet: www.sybilleschroedter.de

Bei dotbooks veröffentlicht Sybille Schrödter die Kriminalromane »Das dunkle Netz des Todes« und »Was letzte Nacht geschah« und die historischen Romane »Die Lebküchnerin« und »Die Minnesängerin«.

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eBook-Neuausgabe Dezember 2018

Dieses Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel »Das Erbe der Benedictenbäckerin« im Piper Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2011 Piper Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/faestock und einer Karte von Bolognino Zaltieri

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-296-2

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Sybille Schröder

Das Erbe der Lebküchnerin

Historischer Roman

dotbooks.

Prolog

Der hagere Mann in dem schwarzen Habit bahnte sich in großer Hast einen Weg durch die lärmende Menge. War es wirklich klug, sich am Markttag in einem Gewölbe am Weinmarkt zu treffen? Der Geistliche schüttelte sich. Er hasste es, mit dem Pöbel auf Tuchfühlung zu gehen. Er war schon viel zu spät und wollte doch kein einziges Wort von dem versäumen, was bei diesem konspirativen Treffen gesprochen wurde. Im Grunde seines Herzens traute er seinen Mitverschwörern nicht über den Weg. Eine Zwangsgemeinschaft waren sie in seinen Augen. Nicht mehr und nicht weniger. Jeder von ihnen kochte sein eigenes Süppchen.

Der Mönch hielt sich die Nase zu, weil er den Gestank, den die Marktweiber absonderten, nicht länger ertrug. Er eilte angewidert weiter, bis er das Haus des Weinhändlers erreichte. Vor der Tür wurde er von einem Hünen von Mann aufgehalten. Der trug die Kleidung eines Büttels.

»Wohin des Weges?«, donnerte der Wächter.

»Finis coronat opus«, raunte der Mönch.

Der Hüne blickte ihn daraufhin fragend an. »Ich befürchte, Ihr seid falsch hier.« Der hagere Mönch rollte gefährlich mit den Augen und packte den Hünen, ohne mit der Wimper zu zucken, am Kragen. »Das Ende krönt das Werk, du Einfaltspinsel, du!«

»Entschuldigt, ich bin angewiesen, nur den einzulassen, der das Losungswort nennt. Aber nun habt Ihr es ja ausgesprochen. Dann dürft Ihr eintreten.«

»Ich nannte das Losungswort bereits auf Lateinisch, du Dummkopf.«

Der Wächter hob die Schultern und sagte unterwürfig: »Es tut mir leid, hochwürdiger Herr, ich bin ein einfacher Mann, aber nun geht. Ich glaube, Ihr werdet bereits ungeduldig erwartet. Die Treppe hinunter in den Keller und dann immer geradeaus.«

Der Geistliche drückte sich an dem Wächter vorbei, stieg die morsche Stiege hinab und gelangte so in das Lager. Er nahm den schmalen, durch das Licht einer offenen Luke schwach beleuchteten Gang zwischen den Weinfässern hindurch. Je weiter er in das Innere des Kellers gelangte, desto schummriger wurde es. Bald konnte er die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Da ertönte eine ihm bekannte dröhnende Stimme.

»Wer da?«

Der Mönch zuckte zusammen.

»Ich bin es«, raunte er und atmete erleichtert auf, als ihn jemand bei der Hand packte und zu einem Gewölbe führte, das hell erleuchtet war.

»Wir haben Euch bereits erwartet«, knurrte der andere missmutig. »Wir haben doch nicht ewig Zeit.«

Der Mönch wollte den Mann beim Namen nennen, aber dieser fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Er überlegte fieberhaft. Natürlich wusste er, welch hohes Amt der gedrungene, wohlbeleibte, kahlköpfige Herr, der ihn da gerade zurechtwies, in der Stadt Nürnberg bekleidete und wie er in Wirklichkeit hieß, aber wie lautete noch sein Tarnname? Er konnte sich ja kaum seinen eigenen merken. Jeder von uns weiß doch, wer der andere ist. Was soll das mit diesen merkwürdigen Decknamen?, hatte er den Kopf der Verschwörung gefragt, doch der hatte keinen Widerspruch geduldet. So wirst du selbst unter der Folter die wahre Identität deiner Freunde nicht verraten, hatte er getönt. Und wenn Janus, wie sich der Recke aus einem alten Raubrittergeschlecht in diesem Kreis zu nennen pflegte, etwas befahl, tat man besser daran, es zu befolgen.

»Kommt schnell, Balthasar!«, trieb ihn der Dicke zur Eile an, stieß eine Tür auf und schob den Mönch hindurch.

»Ach, wie schön, ehrwürdiger Vater, wir dachten schon, Ihr hättet es Euch anders überlegt und womöglich unseren Plan verraten«, begrüßte ihn ein gut aussehender junger Mann mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Nein, so dumm bin ich nicht, verehrter Ritter von ...«

»Haltet ein, ich bin Nero. Schon vergessen?«

»Können wir endlich anfangen?«, mischte sich ein blasser alter Mann ein.

Der Mönch setzte sich seufzend auf eines der Fässer und blickte aufmerksam in die Runde. Die Gesichter leuchteten im Schein eines Kienspanes. Mit ihm waren es vier Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Doch jeder von ihnen besaß auf seinem Gebiet etwas, das er, Balthasar, sich erst erkämpfen musste. Macht! Nero hatte einen wohlklingenden Namen, der Gedrungene saß im Inneren Rat der Stadt, und der Alte war der wichtigste Mann seiner Zunft.

Ihnen ging es darum, Macht und Reichtum zu mehren und zu festigen. Er aber, Balthasar, musste sich mithilfe dieses Planes überhaupt erst Macht verschaffen. Die anderen handelten aus schnöder Gier, er hingegen folgte einer höheren Berufung. Das waren entscheidende Unterschiede, und doch brauchte er die anderen. Und deshalb wäre es mehr als dumm von ihm gewesen, seine Mitverschwörer zu verraten. Davon hätte er gar nichts gehabt. Im Gegenteil!

Nero räusperte sich mehrfach laut.

Unglaublich, welch teuflische Fratze sich hinter diesem Engelsgesicht verbirgt, dachte der Mönch erschaudernd, während der blond gelockte Schönling zu reden begann. Seine Stimme klang samtig wie die eines Götterboten. Welch tödlicher Irrtum, schoss es dem sogenannten Bruder Balthasar durch den Kopf.

»Ich bedaure zutiefst, dass der Plan beim ersten Anlauf fehlschlug. Aber nun kann es sich nur noch um Stunden handeln. Ich konnte mich mit eigenen Augen davon überzeugen. Und ich habe jetzt die Gewissheit, wer in den Genuss kommt, ihr Geheimnis zu erfahren. Und deshalb könntet Ihr, Asinus, den ersten Schritt tun, sobald sie den letzten Schnaufer getan hat.«

Nero blickte den blassen alten Mann herausfordernd an. Der stierte grimmig zurück.

»Ich habe mich Equus genannt. Und das wisst Ihr auch ganz genau.«

Ein breites Grinsen huschte über Neros Gesicht.

»Verzeiht, aber immer wenn ich Eure Ohren ansehe, dann kann ich nicht anders.« Er brach in lautstarkes Gelächter aus.

Alle Blicke richteten sich auf den Kopf des alten Mannes, denn er besaß selten spitze Ohren, die in der Tat an einen Esel erinnerten. Selbst Balthasar verzog ganz leicht die Miene zu einem schiefen Grinsen. Und das war viel für ihn, war er doch als humorloser Geselle bekannt. Doch nun wurde Nero schlagartig wieder ernst.

»Ich hatte gehofft, der dank meiner kleinen Hilfe Todgeweihten das Geheimnis auf friedlichem Wege zu entlocken, doch sie ist auf der Hut. Sie hat mir aber verraten, dass sie es nur einem einzigen Menschen anvertrauen wird.«

»Aber dann sind wir doch nicht klüger als vorher. Das kann sie oder er sein.«

»Nein, eben nicht. Er ist auf dem Weg nach Venedig. Wie soll sie ihn wohl aus der Ferne in die Rezeptur einweihen?«

»Nun gut, dann wäre es klug, wenn wir zunächst sie aus dem Weg räumen würden«, bemerkte der alte Mann mit den merkwürdigen Ohren eifrig.

Nero schüttelte unwirsch den Kopf. »Mitnichten. Sie bleibt am Leben! Für sie habe ich eine andere Verwendung. Überlasst sie ganz und gar mir!«

»Aber hat Euer Vater nicht gesagt, sie muss sterben? Wo steckt er überhaupt?« Der massige Kahlköpfige musterte Nero zweifelnd.

»Janus ist verhindert, aber er wird mir meinen kleinen Wunsch sicher nicht abschlagen. Solange es unsere Pläne nicht gefährdet – und dass dies nicht geschieht, dafür bürge ich. Sorgt Ihr lieber dafür, dass er nicht nach Nürnberg zurückkehrt, werter Cäsar.«

»Ich werde mich schon gebührend um ihn kümmern«, erwiderte der Kahlköpfige entschlossen.

»Und, was soll ich zu alledem beitragen?«, fragte Balthasar, nachdem er sich den Tarnnamen des wichtigen Mannes eingeprägt hatte. Natürlich Cäsar! Wie hatte er das vergessen können?

Die drei Männer blickten den Mönch unschlüssig an.

»Abwarten. Wenn alles nach Plan verläuft, werden wir das Geheimnis kennen, ehe die Hochwohlgeborene erkaltet ist. Dann wird der Lebküchner mundtot gemacht, und wir kümmern uns um ihren Erben ...« Nero verstummte und kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Besser wäre es natürlich, Ihr würdet ihr das Rezept zuvor entlocken. Mir gelang es nicht. Aber Ihr als Klosterbruder ... Es muss ihr doch jemand die Letzte Ölung geben, und sie will doch sicher noch eine Beichte ablegen.«

»Aber sie ist dem Prior vom Predigerkloster verbunden. Im Herzen ist sie trotz ihres Frevels eine Dominikanerschwester geblieben. Was sie denen alles zukommen lassen will – unglaublich. Sie wird mich niemals vorlassen. Allein am Habit wird sie mich erkennen. Unsere dominikanischen Brüder pflegen sich in Weiß zu kleiden.«

»Also, wenn es daran schon scheitert ... Wir anderen müssen ganz andere Unbilden auf uns nehmen. Dann könnt Ihr auch nicht erwarten, dass wir Euch an den Früchten unseres Planes naschen lassen. Dann werden die Dominikaner eben weiterhin alle Klöster mit den Benedicten beliefern, und Ihr könnt kein Prior werden.«

Balthasar senkte den Kopf.

»Ich werde mein Bestes versuchen«, raunte er unterwürfig.

»Wenn Euer Bestes zum Erfolg führt«, erwiderte der junge Mann in überheblichem Ton. Dann ließ er den Blick noch einmal herrisch in die Runde schweifen.

»Dann weiß jeder der Herren, was er zu tun hat?«

Alle nickten einmütig.

»Gut, so werde ich mich nun aufmachen, um mich nach ihrem werten Befinden zu erkundigen. Haltet Euch bereit, Freunde der Nacht. Es liegt noch ein Stück Arbeit vor uns, aber dann gebühren meiner Familie, unserer Stadt, Eurem Geschäft und Eurem Kloster Ruhm und Geld. Sobald ich Euch einen Boten schicke, werter As ... äh ... Equus, nehmt Euch den Lebküchner vor. Und bedenkt, Ihr müsst ihn zum Reden bringen, bevor Ihr ihm die Kehle durchtrennt.«

»Es wird alles nach Plan erfolgen. Bei meinem Leben«, erwiderte der alte Mann eilfertig.

Nero lachte. »Andernfalls wäre es auch nicht mehr viel wert. Euer Leben.«

Balthasar rieselte ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Er konnte kaum fassen, wie freundlich dieser Teufel in Menschengestalt dreinblickte, während er skrupellos ein Todesurteil fällte. Dennoch – oder gerade dafür – bewunderte er ihn maßlos.

I. TeilNürnberg 1452

Kapitel 1

Das prächtige Schlafgemach im oberen Stockwerk des Ehrenreitschen Hauses war hell erleuchtet. Bis hierher zogen die Düfte, die aus dem Lager kamen, und tauchten das Sterbezimmer in eine Wolke aus den exotischsten Gewürzen. Die Hausherrin Benedicta lag blass und erschöpft in ihrem Himmelbett. Sie hatte angeordnet, die Lichter anzuzünden. Wenn es schon nicht mehr lange dauern würde, bis ihr Lebenslicht erlosch, dann wollte sie in diesen letzten Tagen oder Stunden wenigstens sehen, was um sie herum geschah.

»Ingwer, das ist Ingwer«, seufzte sie und nahm einen tiefen Atemzug. »Der Herr meint es gut mit mir, dass er mir meinen Geruchssinn nicht geraubt hat.«

»Ach, Mutter, Ihr werdet noch oft im Lager an den frisch eingetroffenen Gewürzen schnuppern.«

Benedicta war froh, während ihrer letzten Atemzüge wenigstens Bianca an ihrer Seite zu wissen. Auch wenn die junge Frau ihr ständig vorzugaukeln versuchte, dass sie nicht todgeweiht sei. Andreas war weit fort. Er war vor einigen Wochen völlig arglos in geheimer Mission nach Venedig aufgebrochen. Sie war die Einzige, die den Grund für die weite und beschwerliche Reise über die Alpen kannte. Er würde sich dort mit einem Händler aus Konstantinopel treffen, um einen Vertrag über die Lieferung von wertvollem Pfeffer nach Nürnberg abzuschließen. Wenn er wüsste, wie es um mich steht, er würde sicherlich auf der Stelle umkehren, dachte Benedicta. Doch das wäre gar nicht in ihrem Sinn gewesen, denn eine solche Gelegenheit durfte man sich nicht entgehen lassen. Die reichen Bürger der Stadt und auch die Adligen bei Hofe lechzten nach diesem Gewürz. Und noch hatte es kein Nürnberger Händler geschafft, Pfeffer zu vertreiben. Benedicta hoffte im Stillen, dass ein Hauch davon im Teig vielleicht geeignet sei, ihre Lebkuchen zu verfeinern. Deshalb bedauerte sie zutiefst, dass sie nun nicht mehr in den Genuss käme, diesen Versuch selbst zu wagen. Doch Andreas war in ihren Plan eingeweiht. Wie so oft in den letzten Tagen fragte sie sich, wie sie nur so unglücklich hatte stolpern und die Treppe hinunterfallen können. Sie war doch weder in Eile noch mit den Gedanken woanders gewesen. Immer wenn sie an das Unglück dachte, meinte sie, einen Stoß im Rücken zu verspüren. Doch das musste wohl dem Reich ihrer lebhaften Phantasie entstammen, denn sie war an jenem Tag allein zu Hause gewesen.

Wenn ihr jemand prophezeit hätte, sie würde einmal wegen der Folgen eines dummen Fehltrittes das Zeitliche segnen, sie hätte es nicht geglaubt. Nicht nach alledem, was sie bereits in jungen Jahren durchgemacht und unbeschadet überstanden hatte. Und sie mochte sich kaum mehr vorstellen, wie knapp sie einst dem Tod von der Schippe gesprungen war.

Benedicta drückte die Hand ihrer Ziehtochter, die eigentlich ihre Ziehenkelin war, fester und rang sich zu einem Lächeln durch. Es war kaum mitanzusehen, wie Bianca litt. Die junge Frau war zwar sichtlich bemüht, die Tränen zu unterdrücken, aber aus ihren Augen sprach pure Verzweiflung.

»Kind, ich weiß, es ist schlimm für dich, aber bedenke, welch ausgefülltes Leben ich hinter mir habe«, versuchte Benedicta Bianca zu trösten, bevor ein Hustenanfall ihr das Sprechen unmöglich machte.

»Ich hole Euch einen Becher Wein.« Und schon war Bianca aufgesprungen und zur Tür geeilt.

Benedicta versuchte sich aufzurichten.

»Warte, ich muss dir dringend etwas mitteilen!«, rief sie der jungen Frau mit schwacher Stimme hinterher, aber die war bereits außer Hörweite.

Hoffentlich ist sie rechtzeitig wieder zurück, schoss es ihr durch den Kopf. Seufzend ließ sie sich in die Kissen sinken. Und noch einmal rief sie sich das dumme Missgeschick in Erinnerung, das sie unweigerlich das Leben kosten würde. Hätte sie bloß gewusst, wer die eiserne Kiste am Fuß der Treppe abgestellt hatte! Die Knechte und Mägde behaupteten, es nicht gewesen zu sein. Das wunderte Benedicta nicht weiter, denn wer wollte schon gern schuld daran sein, dass die Herrin an einem zertrümmerten Rückgrat zugrunde ging?

Benedicta stieß einen tiefen Seufzer aus und bemühte sich, nicht an den Schmerz zu denken, den ihr jeder Atemzug aufs Neue bereitete. Stattdessen versuchte sie sich der vielen schönen Stunden zu entsinnen, die sie in ihrem langen Leben hatte erfahren dürfen. Und alles zog noch einmal an ihrem inneren Auge vorüber: die Flucht aus dem Kloster Engelthal zusammen mit dem Fechtmeister Julian von Ehrenreit, ihr Kampf mit den Verfolgern, das einfache Leben bei Bäckermeister Crippin Heller und seinem Sohn Anselm in Nürnberg als vermeintliche Schwester der Klosterköchin Agnes, der Erfolg ihres Lebkuchenrezeptes, ihre Liebe zu Julians Bruder, dem Gewürzhändler Konstantin von Ehrenreit, die Verfolgung durch ihre Stiefmutter und ihr Wiedersehen mit Konstantin. Sie schloss die Augen und lächelte in sich hinein. Ich komme bald zu dir, mein Liebling, dachte sie. Ihr Mann war letztes Jahr gestorben. Auch ein Unfall. Er war im Gewürzlager unglücklich gestürzt und hatte sich am Kopf tödlich verletzt. Sein verrenkter Körper hatte auf dem kalten Boden gelegen, umhüllt von einer Wolke betörender Gerüche. Er hatte ausgesehen, als ob er schliefe, wenn da nicht diese Blutlache gewesen wäre ... Benedicta riss die Augen auf, um die grausamen Bilder abzuschütteln, nein, das Bild sollte nicht eines ihrer letzten sein. Doch es wurde nicht besser. Ohne ihr Zutun schlich sich nun plötzlich Artemis in ihre Gedanken. Was für eine schöne Hündin sie doch gewesen war, bis sie Opfer der hinterlistigen Giftmörderin geworden und im Schmutz der Gasse elendig verendet war. Wie lange war das her? Fünfzig Jahre? Sechzig Jahre? Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Benedicta setzte sich mit letzter Kraft auf, aber es half nichts. Die Erinnerungen stoben durch ihren Kopf, als wäre es gestern gewesen. Meister Heller, seine Hände im Krampf wie die eines Raubvogels erstarrt. Ihre Freundin Agnes, vergiftet von Lukarde ... und dann das Brüllen des Kindes. Bei dem Gedanken an die kleine Leonore, dieses unschuldige Wesen, kam Benedictas aufgewühltes Gemüt zur Ruhe, und ein Lächeln erhellte ihr gequältes Gesicht. Sie atmete tief durch und schloss erneut die Augen. Sie meinte förmlich, die Haut des Kindes riechen zu können. Nach Zimt hatte der Säugling geduftet. Mit einer Prise Anis. Leonore, hatte Benedicta die Kleine genannt, nachdem es Agnes nicht vergönnt gewesen war, ihrem Kind einen Namen zu geben. Und dann war auch Leonore viel zu früh gestorben. Bei der Geburt ihrer Tochter Bianca. Und sie, Benedicta, hatte nun Bianca wie ein eigenes Kind großgezogen, weil kurz darauf auch der Vater der Kleinen aus dem Leben gerissen worden war. So war die Kleine unter dem Dach der Familie groß geworden. Zusammen mit Andreas, Benedictas Enkel. Benedictas Sohn Albrecht und seine Frau waren kurz hintereinander von einem Fieber dahingerafft worden, sodass der kleine Waisenknabe ebenfalls im Haus der Großeltern aufgewachsen war. Bei der Verantwortung für zwei elternlose Kinder hatte sich Benedicta niemals allzu sehr dem Schmerz über den Tod ihres einzigen Sohnes hingeben können. Wie Geschwister waren die beiden Kinder groß geworden, und dennoch waren sie nicht annähernd miteinander verwandt. Leonore war die Tochter einer Köchin und eines Bäckers gewesen. Albrecht hingegen der leibliche Sohn eines angesehenen adligen Gewürzhändlers und einer ehemaligen Nonne von edler Herkunft.

Ganz kurz musste Benedicta an die Zeit im Kloster denken, und eines wusste sie am Ende ihres Lebens genau: Es war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen, die Mauern zu überwinden und zu fliehen. Sonst hätte sie niemals die Freuden der weltlichen Liebe kennengelernt. Wie glücklich sie mit Konstantin gewesen war! Das Einzige, was dieses Glück gelegentlich getrübt hatte, war das schlechte Gewissen gewesen, weil sie sich schließlich gegen Julian entschieden hatte. Der Fechtmeister war nie ganz über diese Enttäuschung hinweggekommen. Aus dem einst lebensbejahenden Herzensbrecher war ein verbitterter Mann geworden. Und die starke Alisa eine traurige Frau an seiner Seite. Immer wenn Benedicta sich in der Vergangenheit die Schuld am Unglück der beiden gegeben hatte, war Konstantins Antwort gewesen: Jeder ist seines Glückes Schmied. Gräm dich nicht.

Benedictas Gedanken schweiften zurück zu ihren Kindern. Ja, sie nannte sie ihre Kinder, obwohl sie es beide nicht waren. Immerhin war Andreas ihr leiblicher Enkel, aber sie hatte ihn dem Mädchen niemals vorgezogen. Es war ihr ein Dorn im Auge, dass Bianca nicht ebenfalls Ehrenreit hieß. Konstantin hatte ihrer Mutter Leonore nämlich damals seinen Namen gegeben, der in der Stadt Nürnberg etwas galt. Aus Leonore Heller war Leonore von Ehrenreit geworden, ein wunderhübsches Kind, um das sich, sobald sie zur Frau erblüht war, sämtliche Junggesellen Nürnbergs gerissen hatten. Sie aber hatte ganz bescheiden einen Bäckermeister geehelicht, einen Bruder des Lebküchners Ebert. Und so hieß Bianca nach ihrem Vater.

Ihre Mutter Agnes wäre sicher stolz auf ihre Tochter gewesen, dass sie einen Bäcker bevorzugt und seinen Namen angenommen hat, dachte Benedicta. Wehmütig erinnerte sie sich noch einmal an die einstige Klosterköchin, die ihr auf der Flucht zu einer echten Freundin geworden war, bis ... Sie wollte lieber nicht daran denken, wie die Gute einem feigen Giftmord zum Opfer gefallen war.

Benedictas fester Glaube daran, dass sie all ihre Lieben bald dort oben wiedertreffen würde, ließ die Angst vor ihrem eigenen Ende nahezu schwinden. Der Gedanke an eine letzte irdische Freude erhellte ihre matten Züge: Bianca würde nach der bevorstehenden Hochzeit mit Andreas endlich auch den Namen Ehrenreit tragen! Bekümmert fügte sie in Gedanken hinzu: Schade, dass es mir nicht mehr vergönnt ist, die Hochzeit der beiden mitzuerleben. Sie sind ein so schönes Paar. Der hochgewachsene Andreas mit seinem kantigen Gesicht und den blonden Locken und die schlanke, große Bianca mit ihrem schwarzen Haar und dem sinnlichen Mund. Sie würde wie eine Prinzessin aussehen, wenn sie zum Altar ...

Benedicta spürte zu spät, wie ihr die Tränen kamen.

»Um Himmels willen, Mutter, Ihr weint ja!«, rief Bianca erschrocken aus.

»Nein, nein, das ist nur ein Luftzug. Er muss zur Tür hereingeweht sein, als du sie geöffnet hast«, schniefte Benedicta und ergriff Biancas Hand. »Nun setz dich zu mir, liebes Kind. Es bleibt mir nicht mehr viel Zeit, dir das Rezept zu verraten.«

»Aber sollte nicht Andreas derjenige sein, an den Ihr es weitergebt?«

»Wie du weißt, befindet sich mein Enkel auf dem Weg nach Venedig, aber wenn es dich beruhigt, er kennt es bereits, und er hat sich nur aus einem Grund auf den gefährlichen Weg gemacht: um das Rezept nach meinen Wünschen zu vervollständigen.«

Benedicta machte ein Zeichen, dass Bianca sich mit dem Ohr zu ihr herunterbeugen solle.

»Er trifft sich dort mit einem der besten Gewürzhändler aus dem Morgenland, um mit ihm eine Partnerschaft zu besiegeln«, flüsterte sie.

»Von diesem Treffen hat er mir kein Sterbenswort verraten«, erwiderte Bianca. In ihrem Ton lag eine Spur von Vorwurf.

Sie ist traurig, dass er ihr etwas so Wichtiges verheimlicht hat, vermutete Benedicta und fügte hastig hinzu: »Ich habe ihn strengstens zum Schweigen verdonnert. Es gibt zu viele Neider, die ein solches Geschäft allzu gern durchkreuzen würden, denn wenn es zustande kommt, wird der Lebkuchen zu seiner Vollendung gelangen.«

»Weiß Meister Ebert schon von seinem Glück?«

Benedicta schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein, wir wollten Andreas' Rückkehr abwarten.«

Wieder schweifte Benedicta mit ihren Gedanken ab. Sie sah sich als blutjunge Frau mit dem Lehrjungen Gieselbert Ebert in Meister Hellers Backstube zanken. Niemals hätte sie gedacht, dass sie ihm nach Anselms Tod sogar ihr Rezept anvertrauen würde, damit er die Köstlichkeit weiter auf den Märkten der Städte feilbot. Das nämlich hätte sich für sie, die ehemalige Nonne vornehmer Herkunft, nicht geziemt. Außerdem hatte sie genug damit zu tun, von St. Katharinen aus Benedicten an alle Klöster zu liefern. Mittlerweile gelangten ihre Waren weit über die Landesgrenzen hinaus. Und bei den Kindern wusste sie ihr Geschäft in guten Händen.

»Mein Herz, nun hör mir gut zu. Nach meinem Tod ...«

»Du stirbst noch lange nicht«, widersprach Bianca heftig.

»Meine Kleine, es hat keinen Sinn, es länger zu leugnen. Ich brauche jetzt das Ohr meines großen, starken Mädchens, denn es geht um mein Erbe.«

Bianca atmete einmal tief durch und wischte sich über die feuchten Augen.

Benedicta griff unter die Bettdecke und zog ein Schriftstück hervor.

»Lies mir vor!«

»Aber Ihr wisst doch, was darinnen geschrieben steht.«

Benedicta lächelte verschmitzt. »Ich höre dich so gern lesen. Und da keine Zeit mehr bleibt für die Bibel, lies mir meinen Letzten Willen vor.«

Mit zitternden Händen griff Bianca nach der Schriftrolle.

»Nürnberg, anno vierzehnhundertzweiundfünfzig. Ich, Benedicta von Ehrenreit, Witwe des Gewürzhändlers Konstantin von Ehrenreit, vererbe alles, was ich besitze, meinem Enkel Andreas von Ehrenreit. Sollte ihm etwas zustoßen, bevor er das Erbe antreten kann, tritt meine Ziehtochter Bianca von Ehrenreit an seine Stelle. Sollte meinen beiden Kindern etwas widerfahren, wird mein Vermögen dem Katharinenkloster zufallen. Der Lebküchner Ebert wird nach meinem Tod zusammen mit meinem Enkel Andreas den weltlichen Handel der Benedicten betreiben. Ihm und seinen Nachkommen wird dieses Geschäft immer zur Hälfte gehören. Wenn Ebert kinderlos stirbt, geht alles an Andreas und seine Nachkommen. Die Aufsicht über die klösterlichen Backstuben wird fortan meine Ziehtochter Bianca von Ehrenreit führen. Die Erträge dieser Geschäfte werden zur Hälfte an meine Erben und zur anderen Hälfte an das Katharinenkloster und das Predigerkloster abgeführt. Das Vermögen der Klöster wird verwaltet durch den Prior des Predigerklosters.

Bianca atmete tief durch und reichte Benedicta das Testament.

»Nein, du wirst es behalten und im Fall der Fälle dem Provinzial aushändigen, meinem Testamentsvollstrecker. Ich möchte nicht, dass man es bei mir findet. Du weißt, nicht alle, die an meinem Bett Totenwache halten werden, sind mir in Liebe zugetan.«

»Ihr sprecht von Onkel Artur, nicht wahr?«

»Ach, ich will nichts gesagt haben, aber man muss das Schicksal nicht versuchen.«

»Meinst du nicht, er erwartet, auch etwas zu erben?«

Benedicta lachte. »Am liebsten alles, und ich hätte ihm vielleicht sogar das eine oder andere hinterlassen. Doch Konstantin hat mir eingeschärft, seinem ungeratenen Neffen nicht einmal das Schwarze unter den Fingernägeln zu gönnen.«

»Nun gut, er ist nicht gerade ein angenehmer Mensch ...«

»Und zerfressen von Neid, dass sein Onkel Konstantin seinen Reichtum dank der Lebkuchen noch gemehrt hat, während sein Vater nichts als diese schreckliche Burg besaß.«

Bianca schüttelte sich. »Wir waren nur einmal zu Besuch bei Onkel Artur. Da lebte sein Vater noch, Onkel Julian. Das werde ich nie vergessen. Ich war noch ganz klein, und da hat mich sein Sohn, dieser Bruno, durch die zugige Burg gejagt.«

»Ja, ja, es ist ein Trauerspiel. Sogar die Burg mussten sie verkaufen. Das hätte Arturs Vater Julian sicherlich das Herz gebrochen. Er fühlte sich wohl dort. Und auch Alisa hat es als ihre Heimat angenommen ...« Benedicta hielt seufzend inne. Das Sprechen fiel ihr zunehmend schwer. Sie nahm einen tiefen Atemzug.

»Sie haben alles versucht, Geld zu machen. Sogar in den Weinhandel sind sie eingestiegen, aber dort haben die alteingesessenen Händler das Sagen. Dennoch, nimm dich in Acht, vor allem, nachdem ich dir das Rezept verraten habe.«

»Das werde ich«, erwiderte Bianca, doch sie war nicht bei der Sache. Das entging auch ihrer Ziehmutter nicht.

»Bianca, zum Träumen bleibt dir noch dein ganzes Leben.«

Bianca fühlte sich ertappt und errötete.

»Ach, ich dachte gerade, dass ... also Onkel Julian ... ob ihr beide euch einmal geliebt habt ...«, stammelte sie.

Ein Lächeln umspielte Benedictas Lippen.

»Er war mein Ritter, der mich aus dem Kloster befreit hat und dem ich meinen ersten Kuss geschenkt habe. Der Kuss, weshalb man mich bestrafen wollte und ...«

Benedicta verdrehte die Augen und stöhnte auf.

»Ich würde dir gern alles erzählen, aber ...« Sie bekam kaum noch Luft. »Wir wollen nicht warten, bis es zu spät ist. Komm her.«

Bianca tat, wie Benedicta ihr befohlen hatte, und lauschte atemlos deren Worten, die diese nur unter äußerster Anstrengung hervorstieß.

Nachdem Benedicta geendet hatte, keuchte sie streng: »Hast du alles behalten, oder soll ich es wiederholen? Du darfst es nämlich niemals schriftlich festhalten.«

»Nein, es hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Und ich habe mich schon immer gefragt, was den Teig so nussig macht ...«

»Nun wiederhole. Flüstere mir die Rezeptur ins Ohr, auf dass ich überprüfen kann, ob du Fehler machst. Es ist nicht so einfach. Selbst wenn du dich in der Menge irrst, wird sich der Geschmack verfälschen.«

Bianca beugte sich zu Benedicta hinunter und wiederholte wortwörtlich, was ihre Ziehmutter ihr soeben anvertraut hatte.

»Gut, mein Kind. Bedenke, keiner wird es dir je stehlen können, weil es nirgends aufgeschrieben ist. Und in deinen Kopf kann keiner hineinsehen. Nicht einmal unter der Folter.«

Bianca durchfuhr es eiskalt. Das wollte sie sich lieber gar nicht erst vorstellen.

»Aber nun sagt, liebe Mutter, was wird Andreas am Rezept verändern?«

»Mit diesem Wissen sollst du dich nicht unnötig beschweren. Es ist gefährlich genug, dass du das Rezept kennst ...«

»Und Ihr glaubt wirklich, dass ich in der Lage bin, die Klosterbäckereien zu beaufsichtigen? Ist es nicht besser, wenn Ihr die auch Andreas unterstellt? Ich meine, wir sind dann ohnehin ein Ehepaar und teilen alles miteinander.«

»Andreas hat viel zu viel mit dem weltlichen Handel zu tun. Ich möchte, dass jeder von euch beiden für seinen Bereich die Verantwortung trägt.«

»Und Ihr meint, das kann ich?«

»Ja, und noch einmal ja. Ich kann mir keine bessere Nachfolgerin vorstellen und ...« Weiter kam Benedicta nicht, weil sie erneut von einem furchtbaren Hustenanfall geschüttelt wurde.

Bianca wollte ihr Wein einflößen, aber ihre Ziehmutter schob die Hand mit dem Becher beiseite. Ihr Gesicht war krebsrot angelaufen, und sie rang nach Luft. Dann war alles still.

Bianca befürchtete schon, dass dies das Ende bedeutete, aber Benedicta deutete auf den Krug und lächelte. »Jetzt kannst du mir einen kräftigen Schluck Wein geben, und bitte schick eine Magd zu meinem Freund, dem Prior. Ich glaube, mir bleiben nur noch wenige Stunden.«

»Kann ich Euch wirklich für einen Augenblick allein lassen?«

»Der Herr wird mich nicht gehen lassen, ohne dass ich die Beichte abgelegt habe. Ich muss doch wenigstens Abbitte dafür leisten, dass ich einst das Kloster verließ ...«

Bianca erhob sich zögernd. »Ich bin gleich zurück.«

Benedicta schloss die Augen, und wieder zogen die Bilder ihres Lebens an ihr vorüber. Da war der junge Fechtmeister Julian gewesen, dem sie im Kloster einen Kuss gegeben hatte, nicht ahnend, dass man sie dafür mit dem Tod bestrafen wollte. Sie hatte ihn wirklich gemocht, aber ihr Herz hatte seinem Bruder gehört. Noch auf seinem Sterbebett, an das Julian sie ausdrücklich gebeten hatte, hatte er ihr gestanden, dass er nur sie geliebt habe. Kein Wunder, dass die arme Alisa jung und vor Kummer gestorben war. Hatte sie doch vergeblich gehofft, dass sich Julians Gefühle im Lauf ihrer Ehe ihr zuwenden würden. Und dann das Pech mit seinem einzigen Sohn Artur, einem jähzornigen Heißsporn, der sich einen Namen mit Wirtshausprügeleien gemacht hatte. Wie oft hatte Konstantin seinem Neffen Artur ins Gewissen geredet, sich wie ein anständiger Ehrenreit zu benehmen. Bei diesem groben Gesellen aber war das Wesen seines Großvaters durchgekommen, eines grausamen Raubritters.

»Liebe Tante, wie geht es Euch heute?«, ertönte nun eine Stimme, die der des ausgemachten Nichtsnutzes zum Verwechseln ähnelte. Benedicta fuhr erschrocken zusammen.

»Du, Bruno? Wie kommst du herein? Ich habe dich gar nicht gehört.«

Sie musterte Arturs Sohn mit gemischten Gefühlen. Er hatte nichts von dem finsteren Äußeren seines Vaters. Im Gegenteil, er besaß eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem Großcousin Andreas. Nur seine Züge waren weicher, seine Wangen runder. Als Kind hatte er wie ein Engel ausgesehen, doch er hatte es seit jeher faustdick hinter den Ohren. Stets hatte er versucht, seine groben Streiche Andreas in die Schuhe zu schieben.

»Die Magd hat mich eingelassen, und Bianca streitet an der Tür mit einem Dominikanerbruder.«

»Warum? Ich hieß sie nach dem Prior rufen.«

»Ja, ich weiß, aber der befindet sich auf einer Reise, und so eilte dieser Bruder zu Euch, aber Bianca will ihn nicht einlassen.«

Benedicta stieß einen tiefen Seufzer aus.

»Ach, die Gute! Dann muss ich ja wohl mit dem Dominikaner vorlieb nehmen. Ich bin sehr gespannt, wen er mir geschickt hat. Ich kenne beinahe jeden von ihnen mit Namen. Rasch, sag ihr, sie möge ihn vorlassen. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.«

Hätte Benedicta in diesem Augenblick den triumphierenden Gesichtsausdruck ihres Großneffen sehen können, als er das Zimmer verließ ... Wahrscheinlich hätte sie rechtzeitig durchschaut, welch böses Spiel er trieb, und sie hätte Bianca warnen können, aber so?

Benedicta spürte, wie ihre Kräfte sie langsam, aber sicher verließen.

»Bitte, Herr, schick mir noch rechtzeitig einen Bruder, der dir treu dient«, betete sie mit geschlossenen Augen. Als sie sie wieder öffnete, sah sie verschwommen, wie sich ein Mönch in einem weißen Habit zu ihr herunterbeugte. Merkwürdig, er besaß ein ihr völlig unbekanntes Gesicht. Und so jung, dass er erst kürzlich ins Kloster eingetreten war, wirkte er auch nicht gerade.

»Schwester Benedicta, ich bin zu Euch gekommen, damit Ihr rein und ohne Sünde vor dem Herrn steht. Was habt Ihr mir zu sagen?«

Benedicta wollte gerade mit ihrer Beichte beginnen, als sie den blonden Schopf ihres Großneffen in einer Ecke entdeckte. Hier stimmt doch etwas nicht, durchfuhr es sie eiskalt. Niemals hätte der Mönch einen Zeugen bei der Beichte zulassen dürfen. Sie schloss den Mund und überlegte. Sollte sie sich diesem Bruder wirklich anvertrauen? Nein, sprach eine innere Stimme zu ihr, schweig! Der Herr hat dir bereits alles verziehen. Benedicta entspannte sich merklich.

»Nun redet schon!«, hörte sie den Bruder ungeduldig fordern.

»Nein, ich habe nichts zu beichten«, erwiderte Benedicta mit klarer Stimme und blickte ihn an. Der Schleier vor ihren Augen war verschwunden.

»Aber habt Ihr nicht ein teuflisches Rezept ersonnen, das mit seiner Süße selbst Bräute des Herrn zur Unzucht verführt? Nennt mir die Zutaten, sonst seid Ihr verdammt, im Höllenfeuer zu schmoren.«

Benedicta lächelte. »Bruder, Ihr tätet mir einen großen Gefallen, wenn Ihr dieses Zimmer verließet. Ich möchte mit dem Herrn Zwiesprache halten. Nur er und ich!«

»Verdammt!«, ertönte es da aus der Ecke, in der Bruno lauerte. Mit einem Satz war er am Bett. »Genug gefrömmelt, werte Tante, das Rezept, wenn ich bitten darf, und zwar schnell!«

Benedicta blickte ihrem Großneffen fest in die Augen. In diesem Augenblick erkannte sie, dass sich hinter seinem engelsgleichen Gesicht die Fratze des Teufels verbarg. Sie rührte sich nicht einmal, als er ihr die Hände um die Kehle legte.

»Das Rezept!«, verlangte er mit wutverzerrter Miene und drückte, um seine Worte zu unterstreichen, fest zu. »Sonst seid Ihr des Todes. Und ich rede nicht nur, ich handle!«

Benedicta aber schloss die Augen. Ein Gefühl der Ruhe durchströmte sie, obgleich sie in diesem Augenblick das ganze Ausmaß seines Hasses erkannte. Er hatte ihr den Stoß versetzt, und um sicherzugehen, dass der Sturz tödlich wäre, vorher die Kiste hingestellt. Hatte er vielleicht auch Konstantin im Gewürzlager aufgelauert und ihn zu Fall gebracht? Ob sein Vater ihn dazu angestiftet hat?, fragte sie sich. Doch dann erschrak sie. Wenn ihre Verwandten so weit gegangen waren, dann würden sie nicht eher ruhen, bis sie im Besitz des Erbes waren. Andreas! Bianca! Sie befanden sich in großer Gefahr! Ich muss sie warnen, war ihr letzter Gedanke.

Als Bianca wenige Augenblicke später ins Zimmer stürzte, stieß sie einen Schrei aus und warf sich verzweifelt über die Tote. Dann sah sie ihre Mutter an und erstarrte. Benedictas Gesicht war so verzerrt, als habe sie dem Leibhaftigen in die Augen geblickt.

Kapitel 2

Im Refektorium des Katharinenklosters herrschte Totenstille, nachdem der Provinzial die soeben im Kloster beigesetzte Verblichene mit warmen Worten gewürdigt hatte. Sie sei eine der größten Wohltäterinnen der Stadt gewesen und habe den Klöstern eine kulinarische Köstlichkeit vermacht, die Benedicten. Dass sie einst aus dem Kloster geflüchtet war, erwähnte er mit keinem Wort.

Vielleicht weiß er es auch gar nicht, dachte Bianca, während sie tapfer gegen die Tränen ankämpfte. Der Vorvorgänger des jetzigen Provinzials hatte dereinst wider Willen seinen Segen zur Hochzeit Benedictas mit Konstantin von Ehrenreit gegeben. Ein Lächeln huschte über Biancas Gesicht. Die Drohung ihrer Ziehmutter, andernfalls die Herstellung der köstlichen Benedictenlebkuchen einzustellen, hatte den damaligen sinnesfreudigen Provinzial überzeugt, Benedicta ein neues Leben außerhalb der Klostermauern zu gewähren.

Bei dieser Vorstellung musste Bianca wider Willen schmunzeln. Sie schreckte erst aus ihren Gedanken auf, als sich im Saal lautes Gemurmel erhob. Der Provinzial hatte seine Ansprache beendet. Bianca sah sich um. Die Menschen waren ergriffen, viele weinten, und manche stöhnten ihren Kummer laut hinaus. Nur die beiden Männer, die zu Biancas rechter und linke Seite saßen, die einzigen anwesenden Verwandten außer ihr, verzogen keine Miene.

Erst als sich ihre Blicke trafen, raunte Bruno betroffen: »Ach, liebe Bianca, sei meines Mitgefühls sicher.« Um seine Worte zu unterstreichen, nahm er ihre Hand und führte sie zum Mund.

Bianca zuckte zusammen. Abgesehen davon, dass die Hand eiskalt war, hatte sie ein ungutes Gefühl, seit sie jenen Mönch gemeinsam mit Bruno aus dem Zimmer ihrer Mutter hatte kommen sehen.

Bianca hatte Bruno am Tag darauf angesprochen, aber er hatte steif und fest behauptet, Benedicta habe noch gelebt, als der Mönch ihr die letzte Beichte abgenommen habe. Aber wieso waren die beiden gemeinsam aus dem Zimmer gekommen? Es war doch üblich, dass die Beichte unter vier Augen stattfand. Und noch etwas war merkwürdig. Sosehr sie sich auch im Saal umsah, der Mönch war nirgendwo zu entdecken. Dabei waren fast alle Dominikanerbrüder und –schwestern gekommen, um Benedicta von Ehrenreit die letzte Ehre zu erweisen.

»Wenn wir dir helfen können, nichts lieber als das«, hörte sie Bruno schmeicheln. Er hielt immer noch ihre Hand, die sie ihm rasch entzog.

»Ich komme schon zurecht«, erwiderte sie schroffer als beabsichtigt.

Täuschte sie sich, oder verfinsterte sich sein Blick?

»Nun gut, aber dir steht im Augenblick keine männliche Hilfe zur Seite, nachdem sich mein Großcousin auf den gefährlichen Weg über die Alpen gemacht hat.«

»Er wird bald wieder zu Hause sein, und zwar gesund und munter. Mach dir also keine Sorgen, aber danke der Nachfrage.«

An seinen zusammengekniffenen Augen erkannte Bianca, dass er ihre Botschaft sehr wohl verstanden hatte. Er wäre der Letzte gewesen, den sie um Hilfe gebeten hätte.

Bianca wandte den Blick von Bruno ab, als sich sein Vater polternd von seinem Hocker erhob.

»Wir sehen uns gleich in der Amtsstube des Provinzials zur Testamentsverkündung«, knurrte er. »Das hätte eigentlich mir zugestanden. Ich bin der älteste männliche Verwandte, der zurzeit vor Ort ist.« Zur Bekräftigung rülpste er laut.

Bianca hielt den Atem an. Eine Wolke aus Weindünsten und sonstigem schlechten Geruch hüllte sie ein.

Doch Artur merkte nichts von ihrem Ekel, sondern durchbohrte sie förmlich mit stechenden Blicken.

»War es wirklich ihr Wille, dass der Pfaffe dieses Testament verkündet?«

Bianca nickte.

»Wo ist das Dokument denn überhaupt?«

»Schon lange dort, wo es hingehört«, entgegnete sie bestimmt.

Artur lächelte daraufhin auf eine Art und Weise, die Bianca stutzig machte, aber sie fühlte sich sicher. Das Dokument lag schließlich in der Amtsstube des Provinzials im Predigerkloster.

Artur erhob sich rasch und entfernte sich ohne ein weiteres Wort.

»Verzeih das Benehmen meines Vaters«, tönte hinter ihr Brunos einschmeichelnde Stimme. »Er meint es nicht so.« Er erhob sich und reichte ihr seinen Arm.

»Komm, ich begleite dich auf dem Weg zum Predigerkloster.«

Bianca war das gar nicht recht. Dieser Mann, der ihrem geliebten Andreas äußerlich so sehr ähnelte, verursachte ihr eine Gänsehaut, aber nicht aus Freude, sondern aus Furcht. Das war schon früher so gewesen, obwohl Bruno ihr gegenüber meistens freundlich gewesen war. Wenn er sie nicht gerade durch die kalte Burg gejagt hatte. Doch einmal hatte sie heimlich beobachtet, wie er einem aus dem Nest gefallenen Vogel die Flügel ausgerissen hatte. Sie war stumm vor Schreck gewesen und hatte nie jemandem davon erzählt.

Bianca zögerte, sich bei Bruno einzuhaken.

»Es gebietet die Höflichkeit, dass ich dich durch die Stadt begleite. Schließlich bist du die Verlobte meines Großcousins, und es wäre sicherlich nicht in seinem Sinn, dich ohne Schutz durch die Gassen zu schicken.«

Widerwillig nahm Bianca seinen Arm und schritt mit ihm aus dem Saal, vorbei an den vielen Trauernden, die in kleinen Gruppen beieinanderstanden und sich unterhielten. Die Gesprächsfetzen, die sie im Vorbeigehen aufschnappte, wollten ihr schier das Herz brechen.

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich nie wieder in ihre verschmitzten Augen sehe und nie mehr ihr Lachen höre.«

»Sie war eine gute Seele ...«

»Wenn jemand in den Himmel kommt, dann Benedicta von Ehrenreit ...«

»Merkwürdig, gleich zwei Unfälle binnen eines Jahres ...«

Bianca durchzuckte es eiskalt. In der Tat, zwei Unfälle, ja, das war höchst merkwürdig.

»Zwei Unfälle in einem Jahr«, wiederholte sie laut.

Unvermittelt blieb Bruno stehen und wandte sich ihr zu. »Es ist traurig, fürwahr, aber bedenke, deine Mutter war stets in Eile. Und da ...«

»Du meinst, da sollte ich mich nicht wundern, wenn sie auf der Treppe gestolpert wäre«, fügte Bianca nachdenklich hinzu.

»Genau so ist es«, bekräftigte Bruno. »Und zerbrich dir das hübsche Köpfchen doch nicht über das Gerede der Leute.«

Bianca schwieg und ließ sich von ihm durch den Saal führen. Als sie den Provinzial erblickte, blieb Bianca stehen.

»Bis gleich, ehrwürdiger Vater.«

»Seid Ihr zu Fuß?«

Bianca nickte.

»Da werde ich Euch geschwind mit dem Pferd einholen.«

Bianca nutzte das Gespräch, um unauffällig den Arm wegzuziehen. Ihr war die Nähe zu Bruno körperlich unangenehm. Immer wieder schlich sich für einen Wimpernschlag das Bild des bei lebendigem Leib zerrissenen Vogels vor ihr inneres Auge.

Sie war erleichtert, als er keinen neuerlichen Versuch unternahm, mit ihr, nach ihrem Geschmack allzu vertraut, durch Nürnbergs Gassen zu schlendern. Stattdessen bemühte er sich, sie in ein Gespräch über Andreas' Reise zu verwickeln. Doch sie dachte nicht daran, ihm Einzelheiten zu verraten. Dazu hatte sie noch viel zu deutlich die Warnung ihrer Ziehmutter im Ohr, nichts über diese Mission verlauten zu lassen. Dabei wusste sie genau, auf welchem Weg Andreas die beschwerliche Reise angetreten hatte. Er hatte nicht die kürzeste Strecke gewählt, sondern sich mit einer Gruppe von Kaufleuten aus Konstanz am Fuß des Arlbergs getroffen, um die gefährliche Überquerung der Alpen nicht allein zu machen.

Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, als Bruno unvermittelt fragte: »Stimmt es, dass dein Verlobter einen Umweg gemacht hat, um über den Reschenpass durch das Gebirge zu reisen?«

»Wer hat dir denn diesen Unsinn erzählt?«, fragte Bianca so entschieden wie möglich, während ihr das Herz bis zum Hals schlug. Sie wusste nicht, warum, aber ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, dass Bruno Andreas' Reiseroute nach Italien herausbekäme. Lag es an der Art, wie er fragte?

»Ich habe es auf dem Weinmarkt läuten hören«, erwiderte Bruno und musterte Bianca durchdringend. »Du bist blass geworden.«

»Unsinn, er ist über den Mons Brennus gereist«, widersprach Bianca heftig und ging auf die Bemerkung über ihre Gesichtsfarbe nicht ein.

»Ach so, ich dachte, du blickst so ängstlich drein, weil dich die Kunde, dass am Reschenpass eine Räuberbande ihr Unwesen treibt, auch bereits erreicht hat.«

Bianca wurde schummrig vor Augen, doch sie riss sich zusammen. Wenn sie ihrem Großcousin in die Arme sank, dann wusste er, dass sie ihn beschwindelte.

Mit fester Stimme wiederholte Bianca: »Andreas ist über den Mons Brennus gereist.« Und sie fügte nachdrücklich hinzu: »Und wie es scheint, war das die bessere Entscheidung.«

In Wirklichkeit überlegte sie krampfhaft, woran sie sich wohl festhalten konnte, damit ihre wackeligen Knie nicht nachgaben. Sie schaffte es gerade noch, an der Wand des Kreuzganges von St. Katharinen Halt zu suchen.

»Welch schmerzhafter Verlust!«, jammerte sie und wandte sich Bruno zu. »Verzeih mir den kleinen Schwächeanfall, aber ich habe sie nun einmal geliebt wie eine eigene Mutter.« Unter anderen Umständen wäre sie bei der Erinnerung an Benedicta wahrhaftig in bittere und echte Tränen ausgebrochen. In diesem Augenblick jedoch beschäftigte sie nur ein Gedanke: Nahm Bruno ihr ab, dass sie sich aus Schmerz über den Verlust an der Wand abstützen musste? Und nicht, weil die Sorge um Andreas an ihr nagte? Sie ließ Bruno nicht aus den Augen. Noch zeigte sein Gesicht keinerlei Regung, doch dann meinte sie, etwas Weiches in seinem Blick zu erkennen.

»Ich würde dich gern trösten«, flüsterte er und strich ihr eine schwarze Locke aus der Stirn. Sie hielt diese Berührung aus, und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

Bruno sah sie nicht an wie eine entfernte Verwandte, sondern wie eine Frau, die er begehrte. Doch darauf, was das zu bedeuten hatte, durfte Bianca keinen weiteren Gedanken verschwenden. Zurzeit war nur eine Frage wichtig: Hatte er ihr abgenommen, dass Andreas nicht über den Reschenpass gereist war?

Ein Blick in seine Augen, die vor Begehrlichkeit blitzten, genügte, um die richtige Antwort zu erhalten. In diesem Zustand würde Bruno ihr jede noch so große Lüge abnehmen. Er glaubte ihr den Mons Brennus!

Bianca atmete erleichtert auf. Doch dann sah sie voller Entsetzen, wie sich sein Mund dem ihren näherte. Rasch wandte sie den Kopf zur Seite und erschrak: In seinen Augen stand noch etwas anderes geschrieben als das reine Begehren. Es war die Entschlossenheit, sich um jeden Preis das zu holen, wonach es ihn verlangte.

Bianca nahm all ihren Mut zusammen. »Ich bin deinem Cousin versprochen, falls du es vergessen haben solltest«, fauchte sie.

Statt ihr böse zu sein, huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

»Er wäre nicht der Erste, der von einer Reise nicht mehr zurückkehrt«, verkündete er in einem Ton, als überbrächte er ihr eine freudige Nachricht.

»Selbst dann würde ich eher ins Kloster gehen, als mich auf dich einzulassen«, zischte Bianca und ließ ihn einfach stehen.

Kapitel 3

Andreas fühlte sich wie neugeboren. Er stand splitternackt am Brunnen hinter der Herberge. Er hatte sich den Reiseschmutz sorgfältig vom Körper und aus dem Haar gespült. Er erschrak, als er hinter sich ein Räuspern vernahm. Rasch griff er nach seinem Hemd und hielt es sich vor den entblößten Unterleib, bevor er sich umwandte. Trotzdem errötete er, als er sah, wer sich ihm da näherte. Es war eine der Dirnen, die vorhin in einem ganzen Tross wie aus dem Nichts aufgetaucht waren. Die anderen Kaufleute hatten nicht lange gezögert und waren mit ihnen in den Zelten verschwunden, die die Huren auf dem Platz vor der Herberge errichtet hatten. Er hatte sich dieses Vergnügens aus gutem Grund enthalten.

Dennoch verschlang Andreas die schlanke, dunkelhaarige junge Frau mit seinen Blicken. Sie war wunderschön und verführerisch. Und es gab keinen Zweifel, was sie von ihm wollte. Das Gefährlichste an ihr aber war die unübersehbare Ähnlichkeit mit Bianca. Sie war genau die Art von Frau, nach der er sich verzehrte. Wie oft in den letzten Wochen hatte ihm allein der Gedanke an Bianca den Mut verliehen, die Strapazen der Reise zu überstehen. Noch immer hingen seine Füße in Fetzen, weil er sich Blasen gelaufen hatte, glühte sein Gesicht feuerrot, weil die Sonne es ihm versengt hatte, und die Augen tränten ihm von dem Wind, der von den Bergen herabpfiff. Gar nicht zu reden von der klammen Kleidung, nachdem sie immer wieder reißende Bäche zu durchqueren hatten.

So beschwerlich hatte sich Andreas die Reise nicht vorgestellt, obgleich sich die erfahrenen Kaufleute, mit denen er reiste und die schon mehrfach die Alpen hatten überwinden müssen, mit entsetzlichen Geschichten nahezu überboten. Wenn er nur an den Aufstieg auf den Adlerberg dachte. Sie waren tagelang durch schwer begehbare Täler gewandert und dann immer höher geklettert. Über Wege, an deren einer Seite der schroffe, felsige Berg in schwindelnde Höhe zu steigen schien, während auf der anderen Seite der Abgrund nur darauf wartete, jene Wanderer für immer zu verschlingen, die einen falschen Tritt machten ...

Andreas wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die Dirne vor seinen Augen genüsslich das Mieder ihres blauen Kleides öffnete und ihre Brüste entblößte. Sie hatte noch kein Wort gesprochen, versenkte aber ihren Blick in den seinen und leckte sich die Lippen. Nicht schamlos und gewöhnlich, sondern mit beinahe kindlichem Gebaren.

So wie Bianca, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, schoss es Andreas durch den Kopf. In seinem Herzen schrie er nach der fernen Geliebten, während er sich nicht von dem Anblick der Hure losreißen konnte.

Ihm blieb die Luft weg, als er noch einmal auf ihre festen Brüste schielte. Sie waren genauso geformt wie die von Bianca. Seine Männlichkeit, die er immer noch hinter dem Hemd versteckte, regte sich, während er daran dachte, wie sie am Abend vor seiner Abreise an den Früchten der verbotenen Liebe gekostet hatten. Es war von Bianca ausgegangen, die bei Nacht in seine Kammer geschlichen war und ihm unmissverständlich erklärt hatte, dass sie ihn nicht reisen lasse, wenn er sie nicht zu seiner Frau mache.

Diese Nacht mit ihr hatte alle seine Erwartungen übertroffen. Wie süß sie geduftet hatte und wie erregt sie die Schenkel gespreizt hatte, damit er in sie hatte eindringen können.

Andreas stöhnte auf. Die Erinnerung war so gegenwärtig, dass er glaubte, sie leibhaftig vor sich zu sehen. Er liebte sie mit jeder Faser seines Körpers. Als Kind hatte er sie stets brüderlich beschützt. Er würde nie vergessen, wann die geschwisterliche Liebe in Begehren umgeschlagen war. Sie hatten miteinander gerangelt, wie sie es früher oft getan hatten, doch ganz plötzlich hatte ihn das Bedürfnis gepackt, sie zu küssen, statt durchzukitzeln. Bianca hatte, wie sie ihm später gestanden hatte, genau dasselbe gedacht und ihm ihren Mund zum Kuss dargeboten. Anfangs hatten sie befürchtet, dass ihre Großmutter dagegen sei, dass sich ihr Enkel und ihre Ziehtochter liebten, doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Sowohl Benedicta als auch Konstantin hatten ihnen aus ganzem Herzen ihren Segen erteilt.

Die Hure begann in einer fremden, wohlklingenden Sprache auf Andreas einzureden. Er verstand kein Wort, aber er ahnte, was sie sagte. Sie bot ihm ihren verführerischen Körper an und pries lautstark ihre Vorteile als geschickte Liebesdienerin.

Andreas atmete ein paarmal tief durch. Seine drängende Männlichkeit schmerzte. Nur der Gedanke an seinen Schwur, Bianca stets treu zu sein, hielt ihn davon ab, sie auf der Stelle zu nehmen. Der Ton ihrer Stimme war allzu verlockend.

Andreas aber presste sein Hemd fester gegen den Leib.

»Du bist ein so schöner Mann, ich mache es auch ohne Geld«, gurrte sie fehlerfrei in seiner Sprache, aber mit diesem sinnlichen Timbre der Fremdheit. Sie trat einen Schritt auf ihn zu. In einem ähnlichen Singsang wie sie redeten die Gewürzhändler aus Venedig. Er mochte den weichen, warmen, vollen Klang dieser Sprache. Wie eine einzige Liebkosung kam sie ihm vor. Ehe er sich versah, war sie noch näher gekommen. Andreas zuckte zurück. Wieder dachte er an den Schwur, den sich Bianca und er im Gewürzlager gegeben hatten. Nachdem sie sich am Boden zwischen den Düften des Orients geliebt hatten, hatten sie die Hände zärtlich ineinander verschlungen.

»Ich werde dir immer treu sein«, hatte er mit belegter Stimme geraunt.

»Ich schwöre dir ebenfalls Treue«, hatte Bianca heiser erwidert. Und wie strahlend sie ausgesehen hatte.

»Ich kann nicht. Ich bin verlobt. Ich habe ihr ewige Treue geschworen. Treue, verstehst du, Treue!«, presste Andreas hervor, doch da hatte die Dirne bereits mit einer Hand das Hemd berührt.

Andreas durchfuhr ein heißer Schauer, als ihre Finger durch den groben Stoff nach seiner Männlichkeit tasteten. Er rührte sich nicht. Obwohl sein Kopf ihn dringend dazu aufforderte, sich rasch zu entfernen, wollte sein Körper ihm nicht folgen. Ihm war, als würde sein Unterleib in Flammen stehen.

»Schließ die Augen und lass mich machen. Du bist treu. Versprochen!«, schnurrte die Dirne und löste seine Hände, die verkrampft das Hemd festhielten. Es flatterte zu Boden. Obgleich Andreas seine Blöße zu verdecken suchte, wusste er, dass er vor dieser Versuchung nicht mehr flüchten konnte. Es war zu spät zum Weglaufen.

»Du bist ein schöner Mann«, wiederholte die Dirne und berührte sanft seine sehnige Brust. Dann tastete sie, ohne die Augen von ihm abzuwenden, mit den Fingern immer tiefer und umfasste sein hartes Glied. Und zwar mit solcher Geschicklichkeit, dass er ungehemmt aufstöhnte. Ich tue doch nichts Unrechtes, dachte er erregt, bevor er sich endgültig den sachkundigen Hurenhänden überließ. Ich berühre sie doch gar nicht. Er hatte die Augen geschlossen und sich gegen die Wand eines Stalles gelehnt. So gut er es vermochte, zögerte er den Höhepunkt hinaus. Sonst wäre er gleich in ihren Händen gekommen. Doch kurz bevor er endgültig nachgeben wollte, waren sie verschwunden.

Wie aus einer anderen Welt hörte er sie verführerisch raunen. »Komm!« Benommen öffnete er die Augen, und es gab für ihn kein Halten mehr, als sich ihm das entblößte Hinterteil der Hure entgegenstreckte. Sie hatte ihren schweren Rock hochgeschoben und sich mit den Unterarmen auf den Brunnenrand gestützt.

Andreas verstand, was sie ihm zu sagen versuchte, doch bevor er in sie eindrang, zögerte er noch einmal. Es war eine große Sünde, wozu sie ihn verführte, aber er musste es tun. Und er ging vorsichtig zu Werke. Erst als sie in einer fremden Sprache »Si, si!« stöhnte, traute er sich endlich.

Er stieß immer wieder kräftig zu. Er war bemüht, das Vergnügen ausdehnen, aber er war nicht mehr Herr über seinen vor Lust bebenden Körper. Mit einem Aufschrei ließ er los. Als er zu sich kam, zog er sein noch immer nicht erschlafftes Glied hastig aus ihr heraus. Ihm war elend zumute. Was hatte er bloß getan? In diesem Augenblick wandte sich die Hure zu ihm um und lächelte ihn an.

»Denk nicht, dass du ein schlechter Mann bist. Du bist ein treuer Mann. Ich hätte gern einen Mann wie dich.«

Damit wandte sich die Dirne unvermittelt von ihm ab und rannte mit immer noch entblößter Brust zu den Zelten hinüber.

»Aber dein Lohn. Was ist mit deinem Lohn?«, flüsterte Andreas, während er ihr völlig entgeistert nachstarrte. Das Ganze kam ihm unwirklich vor. Wie ein flüchtiger Traum, doch sein verschwitzter Leib ließ keinen Zweifel daran, was er soeben getan hatte. Wie betäubt wusch er sich noch einmal von Kopf bis Fuß, als könne er die Sünde damit ungeschehen machen. Dann griff er nach Unterkleidung, Hose, Hemd und Wams, kleidete sich hastig an und kehrte zurück zur Herberge. Schon von Weitem hörte er lautes Lachen und den Klang einer Laute. Vor dem Haus, in dem die Reisenden nebeneinander auf Strohsäcken nächtigten, war ein langer Tisch aufgestellt worden, und die Mönche, die das Gasthaus betrieben, hatten reichlich aufgetragen.

Andreas lächelte bei dem Gedanken, dass in Nürnberg vor dem Kloster Huren ihre Zelte aufschlagen und von den Mönchen nach ihrem Liebesspiel verköstigt würden. Aber hier, hoch oben in den Bergen, galten offenbar andere Gesetze. Die meisten seiner Reisebegleiter hielten ungeniert Dirnen in den Armen. Ob sie ihren Liebsten alle die Treue geschworen haben, so wie ich meiner Bianca?, durchfuhr es ihn wie ein Blitz.

Er hatte Hunger und sah sich suchend um. Da erspähte er den einzigen freien Platz. Er näherte sich, doch als er erkannte, neben wen er sich gerade setzen wollte, erstarrte er. Bevor er sich abwenden konnte, machte ihm die Hure ein Zeichen, nicht vor ihr wegzurennen. Seufzend zwängte sich Andreas zu ihr auf die Bank. Es war so eng, dass sie einander unwillkürlich berührten. Andreas war erleichtert, dass sein erschöpfter Körper in keiner Weise darauf reagierte.

Die Hure drückte ihm einen vollen Becher in die Hand und stieß mit ihm an.

»Mi chiamo Coletta.«

»Coletta?«, echote er und betete, dass sie nicht noch näher an ihn heranrückte. Der Duft, der sie umschwirrte, war betörend. Sie roch nach körperlicher Lust. Ihm wurde schwindelig. Hektisch fingerte er in dem Geldbeutel, der an seinem Gürtel hing, und reichte ihr eine Münze. Er schaute nicht einmal hin, welchen Wert sie hatte.

Die Dirne stieß einen Pfiff aus, bevor sie ihm das Geldstück mit den Worten »Scusi, Signore, das ist zu viel!« zurückgab. Dabei berührten sich ihre Hände. Andreas zuckte zurück. Warum konnte diese Verführung in Menschengestalt nicht endlich aus seinem Blickfeld verschwinden? Doch als er erkannte, dass es sich um einen Gulden handelte, ergriff er ihn, fasste stöhnend in seinen Beutel und belohnte sie mit einem Dukaten.

Coletta zögerte einen Augenblick lang, doch dann nahm sie die wegen des großen Kupferanteils rot glänzende Münze an sich und ließ sie schnell in ihrem Ausschnitt verschwinden.

»Signore, von Euch hätte ich kein Geld genommen.« Sie schmiegte sich an ihn.

Andreas spielte mit dem Gedanken, aufzuspringen und sich in der Herberge auf seinen Strohsack zu verkriechen, doch er hatte entsetzlichen Hunger. Da spürte er ihre Hand auf seinem Arm. Treuherzig sah ihm Coletta in die Augen. Er wollte wegschauen, aber er schaffte es nicht, seinen Blick von ihr zu lösen.

»Non vi punite! Ihr sollt Euch nicht quälen. Ihr habt sie nicht betrogen.«

»Aber es war Sünde«, brach es aus ihm heraus.

»Ich bin eine Puttana. Sie wird es nie erfahren. Das war keine Liebe, das war ein Geschäft. Wie heißt Ihr?«

Andreas holte tief Luft. »Ich heiße Andreas von Ehrenreit.«

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fragte er sich, warum er ihr so bereitwillig geantwortet hatte. Warum nannte er ihr seinen richtigen und vollständigen Namen?

Coletta aber strahlte ihn vertrauensvoll an. »Bene, ich nur wollte wissen, wie der schöne Mann heißt, den ich nie vergessen werde.«

Dann sprang sie unvermittelt auf. »Ihr hingegen werdet keinen Gedanken mehr an mich verschwenden. Es ist alles nicht passiert. Nur ein schlechter Traum. Capite?«

Andreas sah ihr mit offenem Mund hinterher, als sie leichtfüßig in Richtung der Zelte verschwand. Einmal blieb sie kurz stehen. Er glaubte schon, sie würde sich umwenden, zurückkommen und ihn noch einmal verführen, doch sie schüttelte ihr schwarzes Haar und eilte weiter.

»Ihr habt aber Glück, lieber Freund!« Mit diesen Worten riss ihn sein Nachbar zur anderen Seite, ein Seidenhändler, aus seinen Gedanken.

»Wie meint Ihr das?«, fragte Andreas, wenngleich er ahnte, was ihm sein Reisegefährte zu sagen versuchte.

»Ihr habt die Schönste abbekommen. Wir alle haben versucht, sie zu kaufen, aber sie war plötzlich fort. Wie habt Ihr das bloß geschafft? Nun gut, Ihr seid ein hübscher junger Kerl, aber dass sie Euch so nachrennt ...«

»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht«, erwiderte Andreas mit belegter Stimme. »Das Weib wollte sich verkaufen, aber ich habe keinerlei Bedarf«, ergänzte er hastig.

»Schon gut, ich wollte Euch beileibe nicht zu nahe treten.«

»Dann ist es ja gut«, brummte Andreas und verschwand mit leerem Magen im Inneren der Unterkunft. Der Appetit war ihm gänzlich vergangen. Doch er konnte nicht schlafen. Sein Magen knurrte, und immer dann, wenn er die Augen fest schloss, erschien ihm Biancas Gesicht. In ihren Augen der stumme Vorwurf. Es dauerte lange, bis er endlich einschlief, doch das Vergnügen war kurz. Schon wenig später schreckte er aus einem schlimmen Albtraum hoch. Es war ein entsetzliches Bild, das sich in sein Gedächtnis einbrannte: Bianca stand in Flammen, nur ihre Hand war noch unversehrt, sie trug den Ring, den sie ihm geschenkt hatte, und sie schrie um ihr Leben, doch er konnte nicht zu ihr. Er war am ganzen Körper gelähmt.

Schließlich setzte er sich auf und blickte auf seine linke Hand. Kein Ring zierte seinen Finger. Er hatte es erst gemerkt, als er bereits in den Bergen gewesen war. Ob es ein schlechtes Omen war, dass er Biancas Liebespfand auf dem Fechtboden vergessen hatte, nachdem sein Großcousin Bruno ihn herausgefordert hatte, sich mit ihm zu messen? Eine merkwürdige Geschichte, dachte Andreas rückblickend. Bruno hatte geradezu darauf gedrängt, dass sie sich vor seiner Abreise einen Kampf lieferten. Früher hatten sie das öfter einmal getan, aber in letzter Zeit hatte sich Andreas geweigert. Bruno kämpfte jedes Mal so verbissen, dass es Andreas Angst machte. So als trachte der Großcousin ihm tatsächlich nach dem Leben. Andreas hatte sich manches Mal durchbohrt am Boden liegen sehen. An jenem Tag aber hatte Bruno versichert, er werde sich nur zum Spaß mit ihm messen. »Wir wollen doch in Frieden auseinandergehen«, hatte Bruno beteuert, und tatsächlich, er hatte selten so ritterlich gekämpft.

Erneut blieb Andreas' Blick an seinem unberingten Finger hängen. Aber warum hat er mich gebeten, den Ring abzulegen?, fragte er sich. Und weshalb hat er mich gleich nach dem Kampf förmlich vom Fechtboden gescheucht, um mit mir ins Wirtshaus zu gehen?

Andreas konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen. Es tat ihm nur entsetzlich leid, dass er Biancas Ring verloren hatte. Wie gern hätte er gerade in diesem Augenblick ein Zeichen ihrer Liebe bei sich getragen.