Das Erbe der Macht - Band 13: Onyxquader - Andreas Suchanek - E-Book

Das Erbe der Macht - Band 13: Onyxquader E-Book

Andreas Suchanek

5,0

Beschreibung

Während Jen alles daransetzt, Alex die Erinnerung zurückzugeben, versucht Johanna, den Onyxquader zu erhalten. Doch das mächtige Artefakt scheint dem Untergang geweiht. Unterdessen macht Moriarty eine verblüffende Entdeckung. Der Auftakt zur 2. Staffel. Die Ereignisse in diesem Roman spielen nach den Ereignissen aus dem Finale der ersten Staffel, "Allmacht", und dem anschließenden Spin-Off, "Die Chronik der Archivarin: Der verschollene Mentiglobus". Das Erbe der Macht ... ... Gewinner des Skoutz-Award 2018 in der Kategorie "Fantasy"! ... Silber- und Bronze-Gewinner beim Lovelybooks Lesepreis 2017! ... Platz 3 als Buchliebling 2016 bei "Was liest du?"! ... Nominiert für den Deutschen Phantastrik Preis 2017 in "Beste Serie"! Das Erbe der Macht erscheint monatlich als E-Book und alle drei Monate als Hardcover-Sammelband.

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Seitenzahl: 163

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Table of Contents

Titelseite

Was bisher geschah

Prolog

1. Das Herz im Widerstreit

2. Das erste Artefakt

3. Geboren aus dem Stein

4. Die Verrückte mit dem Regenschirm

5. Irgendeine Idee?

6. In den Trümmern

7. Der Nimag

8. Schönheit in Vielfalt

9. Familie

10. Inkognito

11. Schein und Sein

12. Der Antrittsbesuch

13. Der Meisterdetektiv

14. Schrammen, Schlamm und Schabernack

15. Das Ende eines Traums

16. Er will doch nur kuscheln

17. Der Lord

18. Holmes hoch zehn

19. Dem Archivar im Angesicht

20. Im verbotenen Reich

21. Die grüne Tür

22. Vergessen

23. Zwei Seiten einer Münze

24. Der Spiegelsaal

25. Der dir am nächsten steht

26. Der einzige Weg

27. Die Bürde des Nimags

28. Ein Plausch unter Freunden

29. Der Onyxquader

Epilog

Vorschau

Seriennews

Glossar

Impressum

Das Erbe der Macht

Band 13

»Onyxquader«

von Andreas Suchanek

 

 

 

 

Der vorliegende Roman ist der Auftakt zur zweiten Staffel der Reihe. Er setzt nach den Ereignissen aus dem Finale von Staffel 1, »Allmacht«, und dem darauffolgenden Spin-off, »Die Chronik der Archivarin: Der verschollene Mentiglobus«, ein.

 

 

 

Was bisher geschah

 

Der Kampf gegen die Schattenfrau ist vorüber. In der finalen Schlacht auf Iria Kon wurde das manifestierte Böse aus Clara Ashwell vernichtet. Die Sigilsplitter lösten sich auf und die Sigile nahmen ihren vorbestimmten Platz im Wall ein. Damit wurde das dritte große Friedensprojekt der magischen Welt erfolgreich vollendet.

Doch der Kampf forderte seine Opfer.

Bis auf Nikki tötete die Schattenfrau alle Sprungmagier. Edison gab sein Leben, um Max‘ Tod durch Moriartys Hand rückgängig zu machen. Zudem ist Einstein aufgrund seiner Gefangenschaft in einem Artefakt vorerst nicht einsatzbereit.

Auch die Schattenkrieger haben Opfer zu beklagen. Saint Germain wurde von Moriarty getötet, damit dieser den Platz an der Spitze der dunklen Kämpfer einnehmen konnte. Das Hauptquartier in Sibirien wurde von Chloe vernichtet, ebenso viele weitere Häuser auf beiden Seiten durch die Hand der Schattenfrau.

Die Sprungportale wurden versiegelt und alle Kontaktsteine von der Schattenfrau zerstört. Durch das Fehlen des Contego Maxima können aktuell keine neuen Essenzstäbe aufseiten der Lichtkämpfer erschaffen werden.

Da der Wall nun vollständig erwacht ist, wird die Magie noch stärker gedämpft als bisher, die Folgen sind nicht abzusehen. Auch den Splitterreichen droht Gefahr, erste Dimensionsfalten kollabieren bereits.

Der gewonnene Kampf gewährt den Lichtkämpfern aber auch Momente der Ruhe. So kehrt Alexander Kent nach London zurück. Dort, wo er einst sein Sigil aufnahm, taucht jedoch Johanna auf. Sie kapselt das Sigil ein und nimmt Alex seine Erinnerungen daran, ein Magier zu sein. Es bleibt unklar, warum. Doch das ominöse Opernhaus scheint eine wichtige Rolle zu spielen.

Leonardo und Johanna lesen wenige Tage später einen auf Iria Kon gefundenen Mentiglobus aus und erfahren, dass ihr Sohn Piero anders starb, als sie annahmen. Sein Körper wurde durch einen uralten indianischen Geist übernommen, der durch einen der legendären Blutsteine gewaltige Macht erhalten hatte. Um ihn zu besiegen, musste der Körper in einer entfernten Dimension eingekerkert werden. Erst danach wurde deutlich, dass ein unbekannter Mann, der sich als Bran vorstellte, genau das geplant hatte. Er nahm allen beteiligten Unsterblichen die Erinnerung an dieses Ereignis und verschloss sie in dem Mentiglobus.

An Brans Gesicht können die Unsterblichen sich nicht mehr erinnern. Da er kein Unsterblicher war, sondern ein normaler Magier, ist davon auszugehen, dass er mittlerweile tot ist. Doch was war sein Plan?

In vier steinernen Särgen in der fernen Dimension schickte er vier Krieger in einen langen Schlaf. Einer davon ist Piero. Seine Prophezeiung: Eines Tages, wenn der Wall erwacht, wird ihr Schlaf enden.

Doch davon ahnt niemand etwas.

Als Johanna und Leonardo ihre lange Reise zurück in die Erinnerungen beenden, hat das beide verändert. Während Johanna sich voller Tatkraft auf die neuen Herausforderungen stürzen will, macht Leonardo sich auf die Suche nach Antworten. Wer war Bran? Und warum wollte er ausgerechnet ihren Sohn Piero?

Annora Grant erhält unterdessen zwei schockierende Nachrichten. Der Onyxquader, das wertvollste Artefakt, das die Lichtkämpfer beschützen, scheint zu zerbrechen.

Und dann ist da noch Jennifer Danvers ...

Prolog

 

 

Hier gab es kein menschliches Leben.

Gewaltige Wellen brandeten an den Strand, wurden kleiner und kleiner, bis sie über den Sand schwappten. Muster bildeten sich und vergingen, Kiesel wurden herumgeschleudert.

Ein ständiges Werden und Vergehen.

In der Luft lag der Geruch von Tang und Meeressalz, eine Brise wehte heran. In der Ferne ragte die dichte Vegetation eines Waldes empor. Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben.

Ein Idyll.

Wenn auch ein totes.

Alex ging am Strand entlang und genoss das Gefühl des kühlen Wassers, das seine Füße umspielte. Er hatte die Jeans nach oben geschlagen und die Schuhe zurückgelassen. Genau genommen hatte er sie einfach weggedacht.

Hier auf der Traumebene war alles so leicht. Ein Gedanke genügte. Normalerweise.

Weit in der Ferne entstand ein Gewitter. Blitze zuckten über das dunkle Firmament und Donner grollte. Ein Spiegelbild seiner Wut.

Ein leises Schwappen erklang. Alex war nicht mehr allein.Ohne aufzusehen sagte er: »Es hat wieder nicht geklappt.«

Jules Verne stand vor ihm, die Füße mit den edlen schwarzen Slippern im Wasser. Seine Beine in der Stoffhose wurden von Wellen umspült, blieben aber trocken. Er hielt eine Tasse aus hauchdünnem Porzellan in der Hand und nippte daran. Selbst als Traumgeist liebte der Schriftsteller, dessen Gebeine das Siegel zur Traumebene auf Antarktika bildeten, seinen Tee.

»So störrisch.« Er trank. »Ich habe es dir gesagt. Es ist lediglich deinem wilden Sigil zu verdanken, dass ich deine Erinnerungen in dieser Form«, dabei deutete er mit einer Hand auf Alex, »hierherholen konnte«.

»Aber so kann es doch nicht weitergehen«, blaffte Alex. »Jeden Tag erwache ich, gehe brav in die Holding und arbeite vor mich hin. Was nutzt es mir, wenn ich mich hier erinnere, aber da draußen in der wirklichen Welt wieder alles vergessen habe?!«

»Geduld.«

»Ich scheiße auf Geduld.«

Jules Verne verzog angewidert das Gesicht. »Wir könnten die Zeit hier dazu nutzen, deinen Sprachschatz zu erweitern und dir Benehmen beizubringen.« Etwas leiser ergänzte er: »Ein Jahrhundert könnte reichen.«

»Das ist nicht witzig«, sagte Alex nur eine Nuance ruhiger.

Die Antwort war ein Seufzen. »Das ist mir bewusst. Und ich rechne dir hoch an, dass du dich wenigstens einmal dafür bedankt hast, dass ich dich gerettet habe. Doch du wirst dich erst wieder erinnern können, wenn der Zauber gelöst wird. Die Hilfe muss allerdings von außen erfolgen.«

Frustriert verpasste Alex der nächsten Welle einen Tritt. Wasser spritzte nach allen Seiten davon. »Und solange sitze ich hier drinnen fest. Es sind Wochen vergangen. Jen hat versucht, Kontakt aufzunehmen. Ich habe gesehen, wie sie auf mich zukam, mir aber nichts dabei gedacht. Ordnungsmagier haben sie abgefangen und weggebracht, bevor sie etwas sagen konnte.«

»Was immer Johanna sich bei ihrer Aktion auch dachte, sie glaubt zweifellos, gute Gründe dafür zu haben.«

Alex lachte nur bitter auf. Das Gewitter nahm an Stärke zu.

»Allerdings halte ich von solch drastischen Maßnahmen nichts, deshalb habe ich dich auch gerettet.«

»Danke.«

Jules Verne lächelte. »Wir sollten deine Zeit hier nutzen.«

»Und wie?«

»Irgendwann werden deine Freunde zweifellos eine Lösung für das Problem finden«, erklärte der Traumgeist. »Dann wirst du dich zwar wieder erinnern, doch da du keine Möglichkeit hattest, dein Wissen zu vertiefen, wirst du die vererbten Zauber von Mark Fenton bis dahin vergessen haben. Dagegen könnten wir etwas tun.«

Die Gewalt des Gewitters nahm ab. »Und was?«

Jules Verne schürzte die Lippen. Mit einer schnellen Handbewegung schleuderte er seine Tasse davon. Das feine Porzellan flog durch die Luft auf das Wasser zu, doch kurz bevor es darin eintauchte, explodierte es. Fünf kleine blaue Vögel schossen davon. Ihre Flügelschläge trugen sie hoch in die Luft.

»Das hier ist die Traumebene. Es gibt hier Bibliotheken, die vor langer Zeit erträumt wurden, Wissen über nahezu alle Magiezweige. Wir können dich in jedes Szenario stecken und Nacht für Nacht deine Kenntnisse vertiefen und mehren.«

Das Gewitter verschwand.

Alex schnippte mit dem Finger und ein Keks erschien in der Luft. Er biss herzhaft hinein. »Legen wir los.«

1. Das Herz im Widerstreit

 

Die Januarkälte war über das Land hereingebrochen.

Das Geäst der Bäume war in Eis erstarrt, der Boden steinhart und die gemeißelten Engel wirkten wie die letzten Überbleibsel der Zivilisation.

Jen stand in der offenen Verandatür und blickte hinaus auf den Garten. Im Hintergrund prasselten die Flammen des Kamins. Der Geruch brennender Holzscheite stieg ihr in die Nase.

In den letzten Wochen hatte sie sich ablenken müssen, um nicht durchzudrehen. Die gesamte Welt schien im Chaos zu versinken. Da Magie zwar noch funktionierte, aber deutlich mehr Essenz erforderte als bisher, hatte sie auf ihre Erbschaft zurückgegriffen und die Villa ihrer Eltern wieder instand setzen lassen. Das Castillo diente als Zufluchtsort für Lichtkämpfer aus aller Welt, sie konnte sich nur hierher zurückziehen, um zur Ruhe zu kommen.

Nach den Ereignissen rund um Clara, die Schattenfrau, den Zwillingsfluch und schließlich Alex hatte sie gelernt, ihre eigene Geschichte und Vergangenheit zu akzeptieren. Dieser Ort – mochte er auch schreckliche Erinnerungen wachrufen – gehörte zu ihrem Leben, hier war sie aufgewachsen. Hier war ihr Erbe erwacht und sie zur Lichtkämpferin geworden, wenn auch zu einem schrecklich hohen Preis.

Sie wischte die Erinnerungen fort.

Sanft schwenkte sie das Kristallglas in ihrer Hand. Der blutrote Pinot noir wirkte wie frisch vergossenes Blut. Die Flammen spiegelten sich im Kristall.

Alex erinnerte sich nicht länger an sie, das war endgültig und offensichtlich. Sie hatte alles gegeben. Umsonst. Die Ordnungsmagier überwachten ihn überall, in der Holding ganz besonders. Sie kam einfach nicht an ihn heran. Leonardo und Johanna hüllten sich weiterhin in Schweigen.

Und dann war da noch Dylan.

Jen erinnerte sich an den Tag vor vielen Jahren, als ihre beste Freundin Paula ihr von ihrem Zwiespalt berichtet hatte. Sie hatte sich zwischen zwei Männern entscheiden müssen, die sie beide mochte. Am Ende war eine Dreiecksbeziehung entstanden, die tatsächlich bis heute anhielt.

Für Jen war es undenkbar, zwei Menschen zu lieben. Das war unmöglich. Andererseits fühlte sie sich sowohl zu Alex als auch Dylan hingezogen. Jeder ergänzte einen Teil von ihr. Die magische Welt und die Welt der Nimags.

Wenn sie Dylans Penthouse betrat und er sie mit einem Glas Wein in der Hand, engen Jeans und einem verschlissenen Pulli begrüßte, seine starken Arme um ihren Körper schlang und sie feurig küsste, konnte sie alles andere vergessen. Die Welt der Magie verblasste in diesen Momenten.

Doch dann gab es Alex‘ freches Grinsen. Der ständige Schabernack, die sanften Augen, das kleine Machogehabe. Er trieb sie zur Weißglut, aber gleichzeitig wuchs das Bedürfnis in ihr, seine Lippen zu spüren, seinen Duft zu riechen.

Als er ihren Essenzstab geheilt hatte, waren alle Emotionen auf sie übergeschwappt. Alexander Kent liebte sie. Und sie ihn. In diesem Augenblick war das deutlicher gewesen als alles andere. Klar wie Kristall.

Ihre Finger glitten über den Rand des Glases.

Dylan und Alex.

Alex und Dylan.

Sie wollte beide. Oder auch nicht. Was wollte sie?

Die Welt ringsum trieb ab ins Chaos, genau wie ihr Innerstes. Die alten Regeln schienen keine Gültigkeit mehr zu besitzen.

Frau verliebte sich in Mann – und das war‘s. Magie funktionierte anstandslos. Kontaktsteine und Essenzstäbe waren für jeden unbegrenzt verfügbar. Portale konnten geöffnet und genutzt werden.

Nichts war mehr wie zuvor.

Doch wo war Jens Platz in dieser neuen Welt?

Das Schneetreiben wurde dichter. Sie genoss die Kühle, die frische Luft und die behagliche Wärme.

Weihnachten hatte sie mit Chloe, Max, Kevin und Chris verbracht. Tilda hatte einen Weihnachtsbaum im Castillo aufgestellt, dazu Chanukka-Kerzen und alle möglichen anderen traditionellen Gegenstände. Die weihnachtliche Stimmung hatte jedoch nicht aufkommen wollen. Alle vermissten Alex.

Silvester hatte Jen sich zurückgezogen, um allein ins neue Jahr zu wechseln. Nicht einmal in Menschenmassen war sie eingetaucht, was sonst Tradition war. Stattdessen wälzte sie Folianten und suchte nach Informationen über Vergessenszauber. Auch ein Gespräch mit Clara hatte nichts ergeben. Die Freundin hatte an Neujahr vorbeigeschaut und einen wundervollen Tag bei Jen verbracht. Sie hatten geplaudert wie in alten Zeiten.

Doch am Ende war sie wieder aufgebrochen, um das Unheil rückgängig zu machen, das ihr böser Teil – die Schattenfrau – über Generationen hinweg angerichtet hatte.

Jen war allein.

Sie minimierte die gemeinsame Zeit mit Dylan, konnte sich aber nicht vollständig fernhalten. Dass er Chirurg war und sein Leben quasi im Operationssaal verbrachte, kam ihr gerade zugute. Trotzdem spürte er, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie musste es ihm sagen, ihm offenbaren, dass sie zwischen ihm und einem anderen Mann hin und her gerissen war.

Sie seufzte.

Sofort fokussierten sich ihre Gedanken wieder auf Alex.

Möglicherweise würde eine Reise zu Nemo helfen. Der Kapitän der Nautilus war in den Alltag der Unsterblichen nicht eingebunden. Eventuell wusste er etwas, das gegen Vergessenszauber half.

Die Bibliothekarin reagierte nicht auf ihre Kontaktversuche. Und da Jen kein Permit für das Archiv besaß, blieb es ihr verschlossen. Möglicherweise befand die Unsterbliche sich auch einfach gerade in der Pubertät, wer konnte das bei einem Wesen, das ständig den gesamten Lebenszyklus von vorne durchlief, schon wissen.

»Jennifer Danvers, du drehst dich im Kreis. Rede mit Dylan und finde eine Lösung für Alex.« Sie ballte die Fäuste. »Und dann stellen wir Leonardo und Johanna zur Rede.«

Sie wusste nicht einmal, was mit Alex‘ Essenzstab geschehen war. Vermutlich verwahrten ihn die Unsterblichen irgendwo, doch ebenso gut konnte er sich bei Nostradamus befinden.

Jen sank auf die Couch gegenüber dem Kamin und beobachtete die lodernden Flammen. Hier drinnen herrschte behagliche Wärme. Die Welt dort draußen war ausgesperrt und weit weg.

Wenigstens Max ließ nichts unversucht, ihr zu helfen. Neben seiner Tätigkeit als Agent trieb er sich ständig in der Bibliothek herum. Er hatte auch versucht, Annora Grant auszufragen, doch die kesse alte Dame hatte ihm auf den Kopf zugesagt, dass er nicht um den heißen Brei herumreden sollte. Danach hatte sie versprochen, bei den Unsterblichen nachzuhaken. Bisher war jedoch noch nichts geschehen.

Das mochte auch mit der ominösen Sache zu tun haben, die sich vor einigen Tagen ereignet hatte. Chloe befand sich auf Iria Kon, um dort die Bergung der alten Artefakte zu beaufsichtigen. Leonardo und Johanna waren ebenfalls dorthin aufgebrochen, kurz darauf verschwanden Kleopatra und Annora Grant nach Italien.

Die Archivmagier hatten Gerüchte über einen seltsamen Mentiglobus gestreut, der etwas damit zu tun haben sollte.

»Wenigstens konnte ich Leonardo und Johanna vorher noch zusammenbrüllen«, murmelte Jen zufrieden.

Heute wollte sie sich noch eine Auszeit gönnen. Ab morgen ging es zurück ins Castillo.

»Ich finde einen Weg, Alex. Versprochen!«

Ihr Blick verlor sich in den Flammen.

2. Das erste Artefakt

 

Sie hatte den Neuerweckten nicht zum Weinen bringen wollen. Wirklich nicht. Womöglich war ihre Wut etwas mit ihr durchgegangen.

Jen eilte die Stufen der Wendeltreppe hinab und versuchte, den anklagenden Blick von Annora Grant auszublenden. Die Großmutter von Chris und Kevin hatte hier im Castillo Quartier bezogen, um die neuen Magier in Kampfmagie zu unterrichten. Dabei ging sie nicht zimperlich vor, was Jen mehr als einmal an Edison erinnerte.

»Ah, da bist du ja endlich«, wurde sie von Max begrüßt. »Oh. Du siehst aus, als sei dir ein Schattenkrieger über die Leber gelaufen.«

»Wie genau stehst du zukünftig zu Annora Grant?«

»Was?« Max erwiderte ihren Blick verwirrt. »Na ja, ich heirate in ihre Familie ein.« Er hob die Hand mit dem Verlobungsring.

Nach seiner Gefangenschaft durch den Wechselbalg hatte Max ein Auf und Ab seiner Gefühle erlebt. Schließlich hatte er es jedoch geschafft, sich zu fangen. Von Edison zum Agenten ausgebildet, schien er in seiner Bestimmung aufzugehen und hatte sich vor Kurzem mit Kevin verlobt. Obgleich er eine Menge Verantwortung trug, wirkte er nach außen noch immer sanft. Sein Lächeln konnte Eisberge zum Schmelzen bringen.

»Diese Frau ist eine Urgewalt«, sprach Jen das Offensichtliche aus.

»Was hast du angestellt?«

»Wie kommst du darauf …?« Jen seufzte. »Nachdem die Ordnungsmagier mich aus der Holding geschleift hatten, bevor ich mit Alex sprechen konnte, wurde mir eine Strafe aufgebrummt. Ich darf nicht in den Einsatz und soll Neuerweckte unterrichten. In Kampfmagie. Als Sparringspartner sozusagen. Babysitten scheint meine neue Berufung zu sein.«

Max kicherte, maskierte es jedoch schnell als ein Husten, als er Jens Blick bemerkte. »Und?«

»Möglicherweise habe ich für einen Augenblick die Beherrschung verloren, als so ein arrogantes kleines Frettchen dachte, es könnte sich über mich lustig machen. Mein Zauber hat ihn quer durch den Übungsraum geschleudert und die Rückkopplung hat irgendwie prompt die Hexenholzkrieger aktiviert. Die sind dann auf alle Neuerweckten losgegangen.«

Max‘ Augen wurden groß. »Es wurde doch niemand verletzt?«

»Nein«, versicherte sie schnell. »Nur ein bisschen. Ein paar blaue Flecke und so was. Danach hat Annora mich rausgeworfen.«

»Und du willst, dass ich gut Wetter mache?«

»Das würdest du tun?« Jen lächelte Max so lieblich an, wie sie in der aktuellen Situation nur konnte. »Ich muss wieder da raus, um nach einer Lösung für Alex zu suchen.«

»Betrachte das als erledigt.«

Jen zog ihn in eine Umarmung.

Der Pfirsichgeruch seines Shampoos stieg ihr in die Nase. Max‘ wuscheliges dunkles Haar stand wie immer zu allen Seiten ab und sein Lausbubengrinsen hatte bisher noch jeden und jede um den Finger gewickelt. Möglicherweise sogar Annora Grant.

»Was tust du überhaupt hier?«Jen sah sich um.

Es war der Raum, in dem der Onyxquader untergebracht war, das wertvollste Artefakt der Lichtkämpfer. Verbunden mit dem Wall, zeigte es auf seiner Oberfläche neuerweckte Lichtkämpfer. Auf diese Art konnten sich Teams sofort auf den Weg machen, um die Neulinge unter ihre Fittiche zu nehmen.

In den letzten Wochen war das schwieriger geworden, da es nur noch eine Sprungmagierin gab, die ständig bis an ihr Limit beansprucht wurde. Durch die Vollendung des Walls konnte sie auch nicht mehr so viel und so weit springen wie zuvor.

Um das Problem einstweilen zu umgehen – zumindest bis die Portale wieder entsiegelt waren –, hatte Tomoe ein Dutzend Privatjets gemietet. Diese flogen Lichtkämpferteams nun überallhin. Das dauerte natürlich.

Kleopatra stand neben dem Quader und ließ mehrere Diamanten über die Oberfläche gleiten. Andere Magier träufelten Indikatortinkturen darauf.

»Wieder ein Neuerweckter?«, fragte Jen.

Max schüttelte den Kopf. »Der Onyxquader zeigt nichts mehr an. Und schau, da.« Er winkte sie zum Rand des Artefaktes.

Sie musste nicht einmal ihren Weitblick einsetzen, um zu erkennen, dass feingranulare Partikel von dem Artefakt zu Boden rieselten. »Er löst sich auf.«

»Zerbricht auf Mikroebene«, korrigierte Max. »Es wurde noch nicht bekannt gegeben. Das Letzte, was wir uns leisten können, ist eine Panik. Momentan sind alle gereizt, weil wir zu wenig Platz haben.«

Wegen der Zerstörung zahlreicher Häuser überall auf der Welt waren die dortigen Lichtkämpfer hier im Castillo untergebracht worden, bis Tomoe über die Holding Ersatz erwerben konnte.

»Das habe ich mitbekommen.«

Die Gesellschaft der Lichtkämpfer basierte auf Freiheit und gelebter Gleichheit, doch dieses Zusammenleben machte deutlich, dass es noch immer zahlreiche Vorurteile gab. Verschiedene ethnische Gruppen zusammen auf engem Raum bedeuteten stets eine explosive Mischung.

»Niemand kann behaupten, dass unser Leben langweilig ist«, sagte Jen. »Gibt es schon einen Termin für die Hochzeit?«

Sie konnte Max‘ Grinsen förmlich spüren, während sie sich über den Onyxquader beugte. Der Weitblick kam nur zögerlich und Jen wusste, dass sie ihn nicht länger als dreißig Sekunden einsetzen konnte, ohne mit Kopfschmerzen dafür zu bezahlen. Der Wall machte es ihnen nicht leicht.

»Wir lassen es langsam angehen«, erklärte Max. »Den Termin gibt es erst, wenn Kevins Eltern das Tribunal überstanden haben.«

»Er zerbricht wirklich«, murmelte Jen.

Aus der Nähe konnte sie deutlich erkennen, wie die Brocken zerbröselten. »Und keiner der Indikatoren sagt etwas?«

»Nope. Angeblich hat es nichts mit Magie zu tun, es gibt keinerlei Ausstrahlung. Es ist Materialermüdung.«

»Wir wissen, dass der Quader mit dem Wall verbunden ist.« Jen ließ ihre Hand über die Oberfläche gleiten. Das onyxartige Gestein wirkte warm und schien im Takt eines Herzschlages zu pulsieren. »Möglicherweise sorgt das dafür, dass das Material jetzt zerbröckelt.«