Das Erbe der Macht - Band 19: Blutzeit - Andreas Suchanek - E-Book

Das Erbe der Macht - Band 19: Blutzeit E-Book

Andreas Suchanek

4,7

Beschreibung

Die alte Ordnung liegt in Trümmern. Während die Jagd nach den Überlebenden des Massakers beginnt, tauchen Jen, Alex und Kevin ein in eine längst vergangene Zeit. Bran, die alte Dame und der Verräter berichten von den tragischen Ereignissen aus den Dämmerungen des Anbeginns. Das Erbe der Macht ... ... Gewinner des Lovelybooks Lesepreis 2018! ... Gewinner des Skoutz-Award 2018! ... Silber- und Bronze-Gewinner beim Lovelybooks Lesepreis 2017! ... Platz 3 als Buchliebling 2016 bei "Was liest du?"! ... Nominiert für den Deutschen Phantastik Preis 2017 in "Beste Serie"! Das Erbe der Macht erscheint monatlich als E-Book und alle drei Monate als Hardcover-Sammelband.

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Table of Contents

Titelseite

Was bisher geschah

Prolog

1. Eine neue Zeit

2. Excalibur

3. Ich sehe alles

4. Ein ganz besonderer Ring

5. Ansturm der Dunkelheit

6. Eine Brücke nach Avalon

7. Das Feuer des Drachen

8. Über den Dächern von London

9. Eine Armee

10. Gnadenlos

11. Die Pfeiler der Ewigkeit

12. Ein See vom Anbeginn

13. Vor der Schlacht

14. Drachenjagen leicht gemacht

15. Kralle um Kralle

16. Der nächste Schritt

17. Wo alles seinen Anfang nahm

18. Alles für das Reich

19. Ein Schluck bittersüße Wahrheit

20. Aus freien Stücken

21. Vor langer Zeit

22. Ein Schluck vom Anbeginn

23. Kraft und Gegenkraft

24. Ein Fluch, zu binden

25. Eine alte Freundin sagt Hallo

26. Um zu überleben

27. Am Ende der Welt

28. Der erste Kampf

29. Quelle Surprise

30. Machtlos

31. Minuten der Stille

Epilog

Vorschau

Seriennews

Glossar

Impressum

Das Erbe der Macht

Band 19

»Blutzeit«

von Andreas Suchanek

 

Was bisher geschah

 

Bran tritt aus dem Schatten.

Herangereift im Inneren des Onyxquaders, sammelte der alte Widersacher von Leonardo und Johanna seine Kraft. Ränke wurden geschmiedet, Artefakte geborgen, die Krallen tief in den Leib von Lichtkämpfern und Schattenkriegern geschlagen.

Nachdem Chloe das Artefakt mit der Bezeichnung ›Seelenmosaik‹ bergen konnte – wobei Chris, Nikki und Nemo im Unterwasserreich der Aquarianer zurückblieben –, leitet Bran die Blutnacht ein. Seine ihm treu ergebenen Helfer beginnen den Kampf. Die Unsterblichen sollen gestürzt werden, alle Gegner sterben. Auch die magischen Familien sind nicht länger sicher.

Die Archivarin wird in ewigem Bernstein eingeschlossen. Grace liegt im Sterben, Eliot tötet alle anwesenden Gelehrten.

Alex und Jen haben das Archiv kurz zuvor verlassen und werden von einem letzten Zauber der Archivarin gewarnt.

Jen eilt zu Dylans Rettung und kann den Nimag gerade noch vor einem Angriff der Schattenkrieger in Sicherheit bringen. Sie fliehen in das geheime Haus in London, wo Crowley plötzlich auftaucht. Er erklärt Jen, dass Dylan in Wahrheit der Verräter ist – der Unsterbliche Artus von Camelot. Daraufhin verliert Jen erneut die Kontrolle über ihre Macht, die Artus auch als den ›Drachen‹ bezeichnet.

Unterdessen erreicht Alex über das Splitterreich von Paris das Haus von Lady Morgause, jedoch wird er dabei schwer verletzt. Nachdem er gesund gepflegt wurde, entpuppt Morgause sich als Morgana Le Fay. Im alten Thronsaal von Schloss Camelot, der sich unter ihrem Haus befindet, berichtet sie Alex von den Ereignissen aus vergangener Zeit.

Im Castillo ist der Umsturz im Gange, bei dem die Eltern von Chris und Kevin getötet werden. Zwar können Max und Kevin Chloe gefangen nehmen, doch am Ende fällt Kevin in Brans Hände, der sich als Merlin offenbart. Auch er berichtet von den Ereignissen aus tiefster Vergangenheit.

Das Schicksal von Johanna und Kleopatra ist ungewiss, werden beide doch von Merlin und Patricia Ashwell in den Immortalis-Kerker geworfen. Einzig Tomoe kann entkommen. Die Machtübernahme durch Bran schreitet unaufhaltsam voran.

Prolog

 

Ein neues Zeitalter begann, doch die wenigsten wussten davon. Ich, Morgana Le Fay, war die erste Unsterbliche und wandelte bereits eine Ewigkeit über das Antlitz der Erde. Als der erste Wall erschaffen wurde, verzichtete auch ich auf einen Teil meiner Erinnerungen, und das mit Freude.

Die dunkle Zeit des Anbeginns, der Götter und finsteren Kreaturen blieb endgültig zurück. Natürlich hinterließ der Anbeginn seine Spuren, doch das Grauen selbst verblasste.

Wenn auch nicht für alle.

Es gab Schlupflöcher, die manch ein machtgieriger Magier sich zunutze machte. So entstanden zwei Seiten. Jene, die die neue Zeit verteidigten und jene, die die alte Macht zurückholen wollten – ohne wahrlich zu wissen, was das bedeutet hätte.

Doch ich werde dir heute nicht vom Anbeginn erzählen, Alexander Kent. Das könnte ich gar nicht, besitze ich doch längst keine Erinnerung mehr daran. Nur ein vages Gefühl des absoluten Grauens ist geblieben. Alle wissen heute, dass diese Zeit niemals zurückkehren darf, selbst die Schattenkrieger.

Nein, ich erzähle dir von der Dämmerung des Anbeginns, als die letzten Reste zurückgedrängt wurden, der Wall seine gesamte Macht entfaltete und die Basis für all das gelegt wurde, was bis heute überdauerte. Der erste Wall versiegelte den Anbeginn hinter einer Mauer aus Vergessen, doch nicht vollkommen. Die Welt balancierte am Abgrund, aber keiner wusste davon.

Wie soll man einen Feind besiegen, an den sich niemand mehr erinnert? Vor jener Frage standen wir damals. Die Zitadelle, Merlin, ich und viele mehr.

In den Geschichten der Nimags ist Camelot längst ein Mythos, die Tafelrunde ein Sinnbild für tugendhafte Ritter. Die Wahrheit sah völlig anders aus, waren jene Ritter doch in Wahrheit die stärksten der starken Magier und keinesfalls droschen sie tumb mit Schwertern aufeinander ein.

Derjenige, der heute als einziger Magier in der Geschichte verewigt ist, war damals nur einer von vielen – wenn auch von Klugheit geleitet. Merlin von Avalon war der erste Magier, der nach der Erschaffung des Walls geboren wurde.

Du siehst die Trinität des Seins, Alexander Kent. Der erste Magier – Merlin. Der erste König einer neuen Zeit – Artus. Die erste Unsterbliche – ich. Das Gleichgewicht besteht niemals nur aus zwei Seiten, bedenke das jetzt und immer.

Die Geschichte von Camelot begann in einer Sommernacht zwischen dem dichten Grün eines geheimen Ortes, wo zwei Menschen das Beste für die Menschheit wollten und das Furchtbarste in Gang setzten.

1. Eine neue Zeit

 

Schwer atmend rollte Merlin sich zur Seite.

Der Silberschein des Mondes bedeckte ihre beiden nackten Körper wie ein Tuch aus hauchdünner Seide. Das Gestirn schickte seine mystische Kraft herab, um sie beide zu schützen. Hier, in diesen Stunden zwischen Abendlicht und Morgenschwärze, konnten sie sicher sein, es würde keine Attacke erfolgen.

»Sie planen etwas.« Merlin lag auf dem Rücken, hatte den Kopf auf die verschränkten Arme gebettet und blickte in die sternenklare Nacht. Er hielt sich nie mit Liebesgeplänkel auf, obgleich Morgana seine Verbundenheit ihr gegenüber spürte.

»Tun sie das nicht immer?«

»So mag es wohl sein, doch es fällt mir schwerer und schwerer, ihre Attacken vorauszusehen. Der letzte Angriff hat das Dorf Calowell völlig zerstört, weil ich nicht genug Helfer versammeln konnte. Die Geschichte wird es vergessen. Sie glaubten nicht an eine ernste Gefahr, weil der Wall ihre Erinnerungen genommen hat!«

Damit sprach er aus, was möglicherweise den Untergang einleiten konnte. Im Gegensatz zu vielen anderen trug Morgana mehr Wissen in sich. Ihre Erinnerungen reichten weit zurück, wurden jedoch mit jedem Tag verwaschener.

Die Macht des Anbeginns war nicht gebrochen worden, wie sie dereinst geglaubt hatten. Das Vergessen hatte die Wesen zurückgedrängt, doch sie klammerten sich an ihre Existenz auf dieser Daseinsebene.

»Sie werden wieder und wieder angreifen«, sprach Merlin leise. »Jeder Riss ist ein Geschwür in den Fasern der Realität, als habe eine Weberin eine Lücke übersehen.«

»Denkst du nicht, die Zitadelle wird uns warnen, wenn das Gleichgewicht zu entgleiten droht?«

»Waren es nicht jene in ihrem Schutz, die die Idee des ersten Walls in unsere Ohren flüsterten?«

Morgana richtete sich auf, die Stirn gerunzelt und Grimm im Herzen. »Ohne den Wall würden die Steppen brennen, die Seen wären mit flüssigem Metall gefüllt und am Himmel würden schwarze Drachen kreisen. Mythen und Legenden erscheinen fern, doch hast du das wahre Ausmaß dessen schon jetzt vergessen, was die Kreaturen erschufen?«

»Natürlich nicht«, versicherte Merlin schnell.

Sein Blick suchte den ihren. Das dunkle Haar, das ihr Geliebter normalerweise mit einem Lederband schnürte, umrahmte offen sein Haupt. Auf der nackten Haut zeichneten sich dichte Muskeln ab, ein sanftes Lächeln lag auf seinem Gesicht. Äußerlich glich er einem Mann, der etwas mehr als zwanzig Sommer erlebt hatte, doch er war älter. Jugend und Stärke waren Merlin wichtig, deshalb hatte er bereits früh mit lebensverlängernder Magie experimentiert.

»Trotzdem glaube ich, dass sie nicht vorausgesehen haben, was auf uns zukommt«, erklärte er seine Worte. »Überall auf der Welt sind die mächtigen Artefakte des Anbeginns verstreut. Es sind so viele, dass jene, die vergessen haben, nur noch die verlorene Macht sehen. Es werden täglich mehr jener dunklen Krieger.«

»Sie können den Anbeginn nicht zurückholen«, erwiderte Morgana sanft.

»Bist du da sicher?«

Die Frage hallte in ihrem Inneren nach und schürte Zweifel. Niemand kannte die Magie hinter dem Wall. Er war erschaffen worden durch den Zusammenschluss mächtiger Magier, die in die Zitadelle getreten waren. Dort hatten sie ihr Leben gegeben, um etwas zu tun. Natürlich gab es Gerüchte. Sie hätten einen Anker erschaffen, eine Verbindung … Doch es blieben gewisperte Worte, die wahr sein mochten oder auch nicht.

Morgana wusste nur zu gut, dass alles rückgängig gemacht werden konnte. Jeder Weg war in beide Richtungen begehbar. Letztlich vermochte sie die Schatten der Zukunft nur zu erahnen. Nun, manch einer konnte mehr. In diesem Augenblick begriff sie, was Merlin zu tun gedachte.

»Du willst sie befragen?«

Er zögerte, nickte dann aber. »Wir müssen damit beginnen, eine Gegenkraft aufzubauen. Nicht einzelne kleine Gruppen, sondern ein Bollwerk des Friedens.«

»An was denkst du?«

»Ein Königreich«, flüsterte er. »In dem Sicherheit durch starke Magie einer neuen Ordnung garantiert wird.«

»Doch wer stünde an der Spitze? Du?« Sie konnte sich Merlin durchaus in dieser Position vorstellen, er brachte alles Gute mit sich, das einem solchen König innewohnen musste.

»Nein«, erwiderte er kategorisch. »Ich und ein König? Mein Weg ist ein anderer. Doch ich helfe gerne bei der Formung. Es gibt einen Mann, der dafür geeignet erscheint, doch er benötigt ein Werkzeug.« Auf ihren neugierigen Blick hin ergänzte er: »Eine Waffe.«

Morgana fuhr in die Höhe. »Bist du von Sinnen?! Excalibur?«

»Es ist die einzige Möglichkeit.«

»Eine solche Macht in die Hände eines gewöhnlichen Magiers zu legen, wäre gefährlich. Die Macht in Excalibur könnte ihn verderben.«

»Deshalb wird es kein Magier sein.«

Morgana schlüpfte in ihr Kleid und gürtete es, legte ihren Essenzstab an. »Dann könnte er die innewohnende Macht des Artefaktes nicht nutzen.«

»Dieser schon«, widersprach Merlin.

Er lächelte sphinxhaft, schlüpfte in seine Hose und das weiße Hemd. Mit ein paar gezielten Fingergriffen band er das Haar zu einem Pferdeschwanz. »Dieser kann mit Magie umgehen, besitzt aber kein eigenes Sigil. Seine Macht ist anders. Er ist wie ein Leiter, der die Essenz anderer kanalisiert. Wir beide wissen, dass Excalibur voll davon ist.«

Morgana atmete scharf ein, erwiderte Merlins erwartungsvollen Blick dann aber mit einem Nicken. »Er könnte die Magie nutzen, würde sie aber nicht in sich aufnehmen. Das könnte verhindern, dass seine Seele Schaden nimmt.«

»Er ist der einzige Nimag, der dazu imstande wäre. Ich beobachte ihn bereits seit einigen Jahren, er ist zum Jüngling herangereift. Jetzt wäre die Zeit. Niemand sonst könnte Excalibur führen, doch um den Anbeginn zurückzudrängen, muss es genutzt werden.«

»So weit mir bekannt ist, wurde dafür gesorgt, dass niemand sich des Artefaktes bemächtigen kann.«

»Du magst recht haben«, gestand Merlin ein, »doch sollte es mir gelingen, sie zu überzeugen, könnte sich das ändern.«

Ein Lachen stieg aus Morganas Brust empor. »Du wirst dich niemals ändern. Stellt sich dir eine Mauer in den Weg, reißt du sie ein. Deine Leidenschaft wird dir noch eines Tages zum Verhängnis, doch möglicherweise ist es unsere größte Hoffnung.« Sie trat ganz nah an ihn heran, legte die Hand auf sein Herz. »Möge das Glück mit dir sein.«

»Glück.« Er lachte auf. »Schwache Menschen verlassen sich auf Glück, ich halte nichts davon. Es werden meine Worte und meine Überzeugungskraft sein, die ein Königreich erschaffen. Eine neue Ordnung. Warte nur ab.«

Sie sah in seine Augen und erblickte ein Feuer darin, das seinesgleichen suchte. Es stand außer Frage, dass Merlin Großes vorherbestimmt war, ja: Möglicherweise war er die Lösung für ihrer aller Problem.

»Nimm mein Glück trotzdem.«

»So sei es.« Er lächelte sanft.

Ihre Lippen berührten sich zu einem zaghaften Kuss, wie es stets geschah, wenn die Leidenschaft abgekühlt war.

Merlin löste sich von ihr, bestieg sein Pferd und ritt davon. Der Morgen graute und mit ihm erhob sich die Gefahr. Auch Morgana würde sich in Sicherheit begeben.

Sie blickte Merlin hinterher, die Hand lächelnd auf ihren Unterleib gelegt. Sein Samen war in ihr, das Werk war vollendet.

»Unsere Macht wird geboren in einem Kind. Möge es der Welt den Frieden bringen.«

 

An jenem Tag begingen wir beide Fehler. Merlin, der ein Königreich gründen wollte. Und ich, die Mordred das Leben schenkte.

2. Excalibur

 

»Was ist das hier?«

Merlin betrachtete Artus. Der Junge war wie ein Welpe, der mit großen Augen das unvertraute Terrain erkundete. Mochte er auch auf einer gewissen Ebene Magier sein, so war sein bisheriges Leben doch als Nimag erfolgt.

»Ein vergessener Ort«, erklärte Merlin freundlich. »Es sind blinde Flecken in der Realität, die niemand jemals finden kann, der nicht weiß, wonach er sucht. Dieser hier wurde erschaffen, um ein Artefakt zu verbergen.«

Er deutete auf einen Punkt in Sichtweite.

Mitten auf einer weiten grünen Ebene lag ein Felsbrocken. Er hätte gewirkt wie ein gewöhnlicher Stein, wäre er nicht von schwarzer Farbe gewesen. Dunkel wie Onyx schimmerte die Oberfläche.

»Da steckt etwas drin«, stellte der Jüngling das Offensichtliche fest. »Ist das …«

»Ein Essenzstab, ja.«

Die eine Hälfte von Excalibur schien mit dem Stein verschmolzen zu sein, die andere ragte daraus hervor. Der Essenzstab war länger als ein gewöhnlicher und verziert mit dunklem Metall. Nur wenige kannten das Geheimnis dieses Artefaktes, sogleich würde ein weiterer Wissender hinzukommen.

»Unter Nimags und Magiern kursiert eine Legende«, erklärte Merlin. »Sie besagt, dass der, der würdig ist, Excalibur aus dem Stein zu ziehen, ein Königreich regieren wird. Zugegeben, diese Legende habe ich gesät. In Wahrheit muss es wohl heißen, dass jenem die Bürde auferlegt wird, eine Gemeinschaft zu formen, der einen Blick auf die Wahrheit erhascht.«

Verwirrt sah Artus zu ihm auf. »Aha.«

»Probiere es.«

»Ich? Aber ich bin kein Magier.«

»Das spielt keine Rolle. Du bist zu Höherem bestimmt, Artus. Zieh den Essenzstab aus dem Stein.«

Merlin verzichtete darauf, den Jüngling zu warnen. Es gab keine Worte, die diesen auf das vorbereiten konnten, was gleich geschah. Die Geschichte würde lebendig werden.

Sie hatten den Stein erreicht und Artus kletterte darauf. In seinem Blick war Stolz zu lesen, aber auch Hochmut. Der Wille, etwas Großes zu erschaffen, aber auch, dass das Schicksal ihm genau das schuldete. Er beherbergte alle Facetten in sich, die einen König ausmachten. Seine Finger schlossen sich um den Essenzstab.

»Sprich die Worte, die ich dich gelehrt habe«, forderte Merlin.

»Revelatio Aeternum.«

Der Himmel öffnete sich und eine gleißende Lohe aus reiner Essenz schoss herab, die von Excalibur aufgenommen wurde. Ein magischer Sturm tobte, in dessen Zentrum Artus stand, die rechte Hand noch immer um den Essenzstab gelegt. Er zitterte, Tränen rannen aus seinen Augen.

Merlin bedauerte ihn, konnte jedoch nichts tun. Die Kraft musste aus dem Jüngling selbst an die Oberfläche gelangen, doch erst, wenn ihm die Wahrheit enthüllt worden war – keinesfalls zuvor. Denn wer König sein wollte, musste die Schatten kennen.

Excalibur zerfetzte den Zauber, der durch den Wall gewoben worden war, und erlaubte Artus einen Blick auf die Vergangenheit. Er sah die Zeit des Anbeginns und durch sie hindurch. Uralten Kreaturen und Götter wurde für ihn lebendig, er sah Siege wie Niederlagen. Flüsse aus Metall, Meere aus Lava, grauenvolle Wesen von der Größe ganzer Berge.

Irgendwann endete der Sturm.

Artus brüllte, doch er ließ nicht los. Mit letzter Kraft zog er Excalibur aus dem Onyxgestein, dann brach er wimmernd in die Knie.

»Was … war das?«

»Du weißt, was das war.«

»Der Anbeginn.« Artus kam keuchend auf die Beine.

»Was einst war, doch wieder sein könnte, wenn du versagst.« Merlin deutete auf Excalibur. »Der Essenzstab ist jetzt ein Teil von dir. Doch während andere Magier die Essenz in ihrem Sigil erzeugen und durch den Stab wirken, wird deine Macht durch den Essenzstab produziert und durch deinen Körper gewirkt. Der Weg ist umgekehrt. Aber durch diese besondere Art der Magie kann Excalibur dir nichts nehmen, nichts aus dir herausreißen.«

Voller Abscheu betrachtete Artus das Artefakt. »Was ist, wenn ich es nicht will?«

»Es ist das Werkzeug, das dir ermöglichen wird, ein Reich des Lichts zu erschaffen«, erwiderte Merlin. »Doch vergiss dabei niemals, dass in ihm auch die Kraft zu zerstören wohnt. Dieser Essenzstab wurde einst in der Schmiede des Anbeginns erschaffen, doch eine große Kriegerin drang dorthin vor, barg das Artefakt und brachte es zur Quelle des Schicksals. Die Herrin vom See veränderte Excalibur und machte es zu einer Waffe gegen seine Herren.«

Der Widerstreit in Artus war offensichtlich. Er betrachtete das Artefakt und strich schließlich vorsichtig darüber. »Es ist warm.«

»Niemand weiß, woraus es besteht«, erklärte Merlin. »Doch es wird dir seine Dienste erweisen, bis der Tag gekommen ist, an dem es zurückgebracht wird.«

»Wer ist diese ›Herrin des Sees‹?«, fragte Artus.

»Es ist nur einer ihrer Namen«, erklärte Merlin. »Sie schaut in die Schatten des Schicksals, die verästelnden Flüsse, und greift hier und da lenkend ein. Sie … korrigiert winzige Dinge, doch wir merken nichts davon. Wir glauben, dass es schon immer so war, nur wenige Auserwählte sehen die Dinge so, wie sie tatsächlich gewesen sind.«

Artus war nach dem ersten Satz gedanklich ausgestiegen, das erkannte Merlin. Der Krieger in dem Jüngling begriff, dass er dank des Essenzstabes Zauber würde wirken können. Er sollte König werden.

»Wann …«

»… wir anfangen können?«, unterbrach Merlin ihn trocken. »Ich werde gar nicht erst versuchen, dich durch allerlei Manuskripte zu quälen, dafür kannst du nicht lange genug still sitzen.«

»Du bist ein weiser Mann.« Artus grinste frech.

»Stattdessen werde ich dich Magie in ihrer Anwendung lehren. Das ist zum Beispiel ein Kraftschlag.«

Ein ausgesprochenes Wort später lag Artus verwirrt am Boden, Excalibur einen Steinwurf entfernt.

»Selbst die beste Waffe ist nur so stark wie jener, der sie führt«, kommentierte Merlin. »Momentan ist Excalibur also schwach wie ein Welpe.«

»Ich bin nicht schwach!«, brüllte Artus und nahm das Artefakt wieder auf.

Im nächsten Moment hing er kopfüber im Himmel, der Essenzstab flog davon.

»Wir haben einen langen Weg vor uns.« Merlin seufzte,

kurz darauf spiegelte er das freche Grinsen von Artus. »Aber zumindest ich werde dabei eine Menge Spaß haben. Gravitate Negum!«

Der zukünftige König stürzte zu Boden. Natürlich passte Merlin den Sturz dahingehend an, dass er nicht tödlich endete. Nur ein paar blaue Flecken, damit der Heißsporn ein wenig abkühlte.

Auf diese Art erlernte Artus die Magie und Merlin musste ihm zugestehen, dass er die magischen Sprüche und Symbole rasend schnell erfasste. Seine Achillesferse blieben das Temperament und Excalibur. Denn sobald das Artefakt nicht mehr in seiner Hand lag, verlor er die Fähigkeit, Magie zu wirken. Letztlich war Artus ein Nimag, der die Welt verändern sollte.

 

Ich hätte diesem elenden Emporkömmling das Genick brechen sollen. Stattdessen verhalf ich ihm zur Gründung eines Königreichs! Alles für die Zitadelle, doch gedankt hat sie es mir nicht. Die Geschichte nahm ihren Lauf und die Schatten des Anbeginns regten sich. Sie hatten bemerkt, was wir taten, und richteten ihre tückischen Augen auf uns.

3. Ich sehe alles

 

Aus Sicherheitsgründen überprüfte Max Chloes Fesseln, obgleich die Freundin tief und fest schlummerte.

»Der Schlafzauber wirkt.« Annora Grant blickte mit Bedauern auf die von Bran mit falschem Glück vergiftete Magierin. »Aber ich verstehe, dass du auf Nummer sicher gehen möchtest.«

Max schluckte. Er fühlte sich wie eine Schaluppe auf dem Meer, von Wellen und Sturm herumgeschleudert, ohne die notwendige Kraft, das eigene Schicksal zu bestimmen. Der Mann, den er liebte, befand sich in Gefangenschaft von Bran und eine ihrer besten Freundinnen lag gefesselt vor Max.

Er wusste, dass auch Annora sich so gut es ging beherrschte. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn waren vor ihren Augen quasi im Vorbeigehen getötet worden.

»Sofern der Zauber wirkt – und davon gehe ich aus –, werde ich Zeit zur Regeneration benötigen«, erklärte Max noch einmal. »Sollte Chloe in diesem Augenblick fliehen, könnte ich nichts tun. Und du wirst beschäftigt sein.«

Sie befanden sich in der kleinen geheimen Kammer, die Nils als sein Versteck auserkoren hatte. Hier auf dem Speicher würde kaum jemand nachsehen. Und falls doch, waren sie hinter dickem Gestein in Sicherheit.

Der Winzling und Tilda befanden sich im Verlorenen Castillo und bereiteten es darauf vor, als Flüchtlingsunterkunft zu fungieren.

Max ließ sich im Schneidersitz nieder, die Symbole hatte er bereits mit seinem Essenzstab auf dem Gestein angebracht. Die magischen Zeichen loderten in burgunderfarbenem Feuer.

»Revelatio Universalis Castillo.«

Während er die Worte sprach, schloss Max die Augen. Sein Körper prickelte, dann schien er neben sich selbst zu schweben.

Der Revelatio-Universalis-Zauber gehörte zu jenen, die nur Agenten lernten. Nicht nur, dass er ausnehmend viel Essenz benötigte – einschließlich der Gefahr eines Aurafeuers –, er war auch von imenser Macht. Für einen Beobachter ein ausgezeichneter Weg, verborgen zu bleiben. Durch den Wall fraß der Zauber jedoch so viel Essenz, dass er nur wenige Minuten stabilisiert werden konnte.

Mit einem Gedanken brachte Max seinen Essenzschatten in die Eingangshalle des Castillos. Die Aschehaufen all jener, die von Bran verbrannt worden waren, türmten sich noch immer auf. Überall standen lächelnde Magier, Brans willfährige Helfer, seine Soldaten. Er konnte nicht einmal mehr von Lichtkämpfern sprechen, denn letztlich existierten die alten Bezeichnungen und Grenzen nicht länger.

Ein junger Mann und eine junge Frau kamen aus dem Durchgang zu den Katakomben. Sie trugen altmodische Kleidung, wirkten verwahrlost. Zwillinge, das erkannte er auf den zweiten Blick. Weitere Magier strömten in die Halle. Mit einem Gedanken schwebte Max in den Katakomben.

»Er hat den Immortalis-Kerker geöffnet«, sprach er laut aus, was Annora nicht sehen konnte. »Die Insassen wurden befreit.« Er lauschte den Gesprächen der anwesenden Magier. »Kleopatra und Johanna wurden dort eingesperrt.«

Konnte ein einzelner Mann noch mehr Chaos anrichten? Im Kerker der Unsterblichen hatten die schrecklichsten und gefährlichsten Magier ihr Dasein gefristet. Dass für sie nur Sekunden vergingen, während es außerhalb Jahrzehnte waren, machte die Haft human. Gleichzeitig wurde ein Ausbruch quasi vollständig unmöglich gemacht.

»Er hat die Sprungportale reaktiviert, das Archiv zersplittert und den Immortalis-Kerker geöffnet«, fasste Max ihre bisherigen Kenntnisse zusammen. »Patricia Ashwell ist auf seiner Seite.«