Das Erbe der Macht - Band 27: Immortalis - Andreas Suchanek - E-Book

Das Erbe der Macht - Band 27: Immortalis E-Book

Andreas Suchanek

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Beschreibung

Alex, Kyra, Artus und Kevin beginnen ihre Reise, um Jen zu finden. Doch die erste Begegnung in der Vergangenheit läuft anders als erwartet. Intrigen, Mord und eine uralte Fehde drohen ihren Plan im Ansatz zu ersticken. Unterdessen setzt Annora alles daran, die gefangenen Unsterblichen aus dem Immortalis-Kerker zu befreien. Doch der Blutstein verliert an Kraft. Ein Rennen gegen die Zeit beginnt. Das Erbe der Macht ... ... Gewinner des Deutschen Phantastik Preis 2019 in "Beste Serie"! ... Gewinner des Lovelybooks Lesepreis 2018! ... Gewinner des Skoutz-Award 2018! Das Erbe der Macht erscheint als E-Book und alle drei Monate als Hardcover-Sammelband.

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Table of Contents

Immortalis

Was bisher geschah

Prolog

1. Was jetzt?

2. Das erste Ziel

3. Ein böses Erwachen

4. Zeitsturm und Käfighaltung

5. Immortalis-Schatten

6. Wer ich bin, will ich nicht sein

7. Familie

8. Contego Maxima

9. Zeitschatten

10. Die Fäden der Puppe

11. Ein böses Erwachen

12. Ein Brunnen voller Leid

13. Ein Marktplatz voller Blut

14. Eine Contessa zum Verlieben

15. Was war, was ist

16. Zwillingshass

17. Ein Blick von außen

18. Hallo, alter Feind

19. Ein Fisch auf dem Trockenen

20. Die Säulen des Kerkers

21. Zerrissen

22. Das Ende eines Lebens

23. Ein Opfer für Venedig

24. Die Rückkehr

25. Nach langer Zeit

26. Weggefährte

27. Hast du mich vermisst?

Epilog

Vorschau

Seriennews

Glossar

Impressum

Das Erbe der Macht

Band 27

»Immortalis«

von Andreas Suchanek

 

 

 

Was bisher geschah

 

Der Kampf zwischen dem Anbeginn, Merlin und den Widerständlern der Zuflucht geht weiter.

Nach dem letzten Sprung ihres Hauptquartiers haben die Magier um Alex, Max, Tomoe & Co. einen sicheren Hafen erreicht. Der mythische Kontinent Talanis bietet nicht nur Zeit zum Atem schöpfen – tief unter dem Eis wartet außerdem eine Überraschung. Dort gibt es die Weiße Krypta, in der die Träger der besonderen Essenzstäbe zu Rittern der Zitadelle geweiht werden. Max, Alana und - nach einem Abenteuer im Dschungel Brasiliens - auch Nikki sind die ersten drei Streiter für die Zuflucht. Nun gilt es, die verbliebenen vier Stäbe zu finden, um den Widerstand gegen Merlin und den Anbeginn weiter zu stabilisieren.

Gleichzeitig gelingt es Alex und Kyra mithilfe der Aquarianer, in den Besitz einer Seelenträne zu gelangen. Ein handtellergroßes Amulett, in dem Jens Geistessplitter gesammelt und wieder vereint werden können. Nun steht die Reise in die Vergangenheit bevor.

Prolog

 

Die Luft roch nach verbranntem Holz und Wasser.

Selbst hier oben, so viel näher an der Sonne, war die Lagune allgegenwärtig. Sie bildete das wässrige Fundament der Stadt. Die Häuser wirkten wie kleine Spielzeuge, die Menschen dazwischen waren nicht einmal zu erkennen.

Vor ihm in der Luft schwebte die hassverzerrte Fratze seines besten Freundes.

»Warum tust du das?!«, brüllte Ty.

Die Essenzflügel hielten ihn in der Luft, so wie gewöhnliche Menschen und Magier ihre Muskeln nutzten, um zu joggen oder zu tauchen. Der Wind ließ das Stoffhemd an Tys Brust flattern, das Leder der Hose erwärmte sich.

»Warum?« Dieses Mal war es nur ein Flüstern.

Lex antwortete nicht. Sein Blick war von einem Zauber umwölkt, der ihm den Geist vernebelte. Seine Finger bewegten sich, rasend schnell. »Mortus Absolutum.«

Ty gelang es im letzten Augenblick, eine Contego-Sphäre aufzubauen. »Contego Maxima. Potesta.«

Der Kraftschlag wurde von Lex aus der Luft gefegt. Er kannte ihn einfach zu gut, wie es ein bester Freund eben tat. Doch wie sollte Ty ihn besiegen? Möglichst ohne ihn zu verletzen.

Er bewegte mit einem Gedanken seine Essenzflügel, schoss durch die Luft davon. Ty nutzte einen Gravitationszauber und folgte ihm dichtauf.

Ein paar Dächer mussten Schrammen in Kauf nehmen, er sah die hochgereckten Fäuste einiger Geldsäcke. Eine Contessa schrie, und wäre sie Magierin gewesen, gewiss hätte sie einen ziemlich heftigen Kraftschlag hinter ihm hergeschickt.

Ty wusste, er konnte diesen Kampf hier in der Luft für sich entscheiden. Und dann …

Jeder weitere Gedanke verschwand, als ein gewaltiger Hieb ihn traf und durch die Luft wirbelte. Oben wurde zu unten. Dann hing er fest, wie in Bernstein gegossen.

»Was hast du getan?«, presste er hervor.

Der Druck nahm zu.

Lex sah ihn an, ein Lächeln auf den Lippen. »Ulcerus.«

Der Druck verschwand.

Ty hing noch einen Augenblick in der Luft, betastete ungläubig seine Kehle. Der Wundzauber hatte sie geteilt, wie eine Klinge es getan hätte. Das Blut schoss daraus hervor, rot und endgültig.

Seine Essenzflügel erloschen.

Wie ein blutiger Komet fiel Tyler Grant aus dem Himmel über Venedig, der Stadt entgegen.

1. Was jetzt?

 

Alex stand mit verschränkten Armen an der Seite und beobachtete, was geschah. Alles lief ab wie schon zweimal zuvor.

Nikki trat auf das Podest, die magische Sphäre in der Luft vollzog den Unum-Zauber und akzeptierte die Sprungmagierin als neuen Ritter. Damit wurde automatisch die Barriere zwischen Talanis und Antarktika gestärkt.

»Irgendwie war ich überzeugt davon, dass ich nicht akzeptiert werde.« Nikki trat vom Podest.

Sie trug Stiefel, eine Jacke mit dickem Futter und eine Trekking-Hose. Vor ihrem Mund kondensierte der Atem.

Während der übrige Bereich der unterirdischen Raumanlage mittlerweile an die Zuflucht über ihnen angeschlossen war – quasi eine Erweiterung der Katakomben –, ließ die Weiße Krypta nur Ritter und deren Gefolge ein. Deshalb war es hier auch noch immer eisig.

»Und?« Alana und Max blickten Nikki erwartungsvoll entgegen.

»Was?«

»Hast du etwas gesehen? Eine Vision des nächsten Ortes?«, fragte Max.

Nikki schüttelte den Kopf. »Sorry. Es hat sich nach … Geborgenheit angefühlt. Licht und Sonne. Sonst nichts.«

Alana seufzte auf. »Das verstehe ich nicht. Bisher scheine lediglich ich eine Vision gehabt zu haben. Wie sollen wir so den nächsten Essenzstab finden?«

»Immerhin, drei haben wir, vier fehlen noch.« Max grinste, obgleich er die Hände aufgrund der Kälte tief in den Taschen vergraben hatte. »Das ist doch ein prima Schnitt.«

Der Optimismus des Freundes tat gut. Und wenn jemand, der schon hunderte Male gestorben und als Unsterblicher zurückgekehrt war, noch so voller Energie stecken konnte, dann musste das Alex auch gelingen. Vermutlich vermisste er einfach die Schläge von Jen auf seinen Hinterkopf. Oder die Tiefe ihres Blickes, wenn sie einander anstarrten. Die Grübchen auf ihren Wangen, wenn einer seiner Witze versehentlich doch lustig gewesen war.

Es dauerte einen Augenblick, bis Alex die Stille ringsum registrierte. Verwirrt kehrte er mit seinen Gedanken zurück in die Krypta. »Was ist los?«

»Du lächelst«, sagte Max.

»Und?«

»Du lächelst normalerweise nicht so viel«, merkte Alana an.

»Gar nicht wahr.«

Nikki wandte sich ab und strebte dem Ausgang zu, was die Diskussion beendete. Die anderen folgten automatisch.

»Was tun wir jetzt?«, fragte Alana.

Max zuckte mit den Schultern. »Alles an Material untersuchen, was uns noch zur Verfügung steht?«

»Zerstörte Mentigloben, vernichtete Bibliotheken, kein Archiv mehr«, zählte Alana auf. »Damit bliebe nur die Traumebene von Jules Verne mit all den uralten Schriften. Ganz ehrlich, ich habe noch nie so viel geschlafen wie in den letzten Tagen.«

Alex lachte auf. »Ist doch praktisch, schlafen und gleichzeitig lernen. Ich habe das monatelang getan.«

Problematisch war jedoch, dass Skizzen, Zaubersprüche und Bewegungen für deren Ausführung nicht mit in die Realität geholt werden konnten. Auf diese Art ließen sich nur kleine Portionen an Wissen im Geist mit in den Wachzustand überführen.

»Tomoe hat bereits eine Besprechung angesetzt«, sagte Alana. »Eigentlich wollten wir ein Team zusammenstellen, das auf Basis der eventuell neuen Vision in den Einsatz geht. Jetzt gab es eben leider keine.«

»Wir finden eine Spur.« Max schien völlig überzeugt.

Alex beneidete ihn um das Selbstvertrauen. Manchmal erinnerte er sich noch an den Mann, der damals Kaugummiblasen zum Platzen gebracht und schüchtern in der Ecke gesessen hatte; der schreckliche Dinge erlebt hatte.

»Stundenlange Diskussionen könnt ihr ohne mich abhalten«, sagte Nikki.

»Es gibt Tee«, lockte Alana. »Ich habe eine neue Ernte aus dem Garten herübergebracht. Tomoe möchte sie auf japanische Art zubereiten.«

»Eine Teezeremonie«, freute sich Max. »Das wollte ich immer schon mal erleben. Aber dann könnte ich Kevin dazuholen. Ihm tut das bestimmt gut.«

Erst kürzlich hatte Alex Max’ Verlobten mit einem zerrissenen Hemd und von Schrammen übersätem Oberkörper in der Trainingshalle gefunden. Eine Teezeremonie war da ganz nett, aber nicht ansatzweise ausreichend. Außerdem blieb dafür kaum Zeit.

»Ich treffe mich gleich mit ihm«, sagte Alex. »Fangt doch schon mal ohne uns an.«

Glücklicherweise schien keiner von ihnen das genauer untersuchen zu wollen.

Sie nahmen einen der Sprungkreise nach oben. Dort gingen Max, Alana und Nikki in die eine, Alex in die andere Richtung.

»Es wird auch Zeit«, wurde er von Artus in der Trainingshalle begrüßt.

»Ich bin ebenfalls total begeistert von deinem Anblick«, sagte Alex trocken. »Vielleicht stelle ich mich auch vor die Barriere nach Antarktika und schaue mir die Kreatur vom Anbeginn an. Das kommt auf dasselbe raus.«

Artus trug, wie die neu ernannten Ritter, auch noch einen Essenzstab: Excalibur, die Waffe aus der Schmiede des Anbeginns. Sein Vollbart war sauber geschnitten, das Haar mittlerweile schulterlang. Er band es normalerweise zu einem einzelnen Zopf.

»Wir sind jetzt alle ganz brav«, schaltete Kyra sich ein. »Vor uns liegt eine gefährliche Reise.« Sie deutete in die Ecke.

Dort lag ein Etui mit gläsernen Phiolen, prall gefüllt mit Zaubertränken. Viel mehr Unterstützung besaßen sie nicht.

Alex betastete das Memorium, das unter seinem Shirt an einer Kette vor der Brust hing. Das Amulett in Form einer handtellergroßen Kugel, die von Metall eingefasst wurde. Darin konnte er Jens Geist speichern.

Fehlte nur noch …

»Ich bin soweit.« Kevin betrat den Raum.

Breite Schultern und dicke Armmuskeln zeichneten sich unter seinem Shirt ab. Fast wirkte er wie Chris zeit seines Lebens, nur mit deutlich mehr Kummer auf dem Gesicht.

Alex streckte die Hand aus. »Ich brauche den Ring.«

»Der bleibt bei mir«, stellte Kevin klar. »Der Suchzauber wirkt auch so. Schließlich kuscheln wir gleich alle.«

Es war einen Versuch wert gewesen. Andererseits hatte er bereits vermutet, dass der Freund das magische Artefakt nicht aus der Hand geben würde.

»Dieses Ding wurde also noch von niemandem untersucht?«, hakte Artus nach. »Ein Zeitring, der uns für die Zeit selbst unsichtbar macht. Wer ihn trägt, kann Dinge tatsächlich ändern? Und Moriarty hat ihn euch gegeben.«

Was sich schlimmer anhörte, als es in Wahrheit war. Andererseits: Es war tatsächlich so schlimm. »Du bist wirklich gut darin, das Offensichtliche zusammenzufassen.«

»Dieser Ring, der Stein in der Fassung, das ist doch Noxanith, oder?«

»Genau wie dein Excalibur. Und? Willst du Jen einfach im Stich lassen?«

»Wir könnten einen der anderen einweihen? Tomoe oder Alana. Was ist mit der Apparatur von H. G. Wells?«

»Die ist schwerfällig und schränkt uns ein«, sagte Alex. »Aber du kannst gerne Tomoe alles erzählen. Leg los.«

Artus funkelte ihn wütend an. »Schon klar. Ihr springt in die Vergangenheit und kehrt dann wenige Minuten oder Stunden später zurück. Niemand bemerkt eure Abwesenheit. Ich tauche hier auf und alles ist schon durch. Vergiss es.«

»Na dann.« Alex grinste frech. »Kuschelzeit. Aber du gehst bitte an das andere Ende.«

Kyra verdrehte die Augen. »Wir sind so gut wie tot.«

Kevin bildete die Mitte zwischen Alex und Artus. Auf der anderen Seite packte Kyra seinen Arm.

»Testen wir doch direkt das Teamwork«, sagte Alex. »Wir brauchen deinen Essenzstab, Ex-König.«

»Den schiebe ich dir gleich …«

Kevin legte kurzerhand Alex’ Finger auf den Ring. »Los!«

Die Aufforderung kam so wütend, dass Artus tatsächlich einfach gehorchte. »Tempus revelio. Revelio Fragmentum.«

Der Ring glühte auf.

Das Essenzecho von Artus’ Magie wehte heran. Der Geruch von Stroh. Gegerbtes Leder. Und das Klirren von Schwertern.

Dunkle Essenz leckte über Alex’ Haut. Er war Teil von Jens Leben sowie jeder ihrer Inkarnationen. Er sah Bilder, die Silhouette einer Stadt.

Der Ring drehte sich einmal.

Das Jahr.

Ein zweites Mal.

Der Monat.

Ein drittes Mal.

Der Tag.

Und die Reise begann.

2. Das erste Ziel

 

Das ist nicht mehr Spanien«, sagte Alex.

Er sah sich um. Sie standen nicht etwa auf dem Bauplatz, an dem viele Jahre später das Castillo errichtet werden würde. Das hier war ein anderer Ort. Eine Stadt, die er kannte. Sie hatten nicht wie früher nur die Zeit gewechselt sondern auch den Ort.

»Venedig«, sagte Artus. »Wart ihr nicht vor einigen Monaten bereits hier?«

Alex nickte langsam. Gemeinsam mit Kevin war er hier gewesen, um einen Fluch von Jen zu nehmen. Dieser hatte sie verfolgt, aufgrund von etwas, das ihre damalige Inkarnation getan hatte.

Contessa Sophia Farnese war zu einer Unterstützerin von Mordred geworden. Im Verlauf des Abenteuers hatten sie auch den Essenzstab des Schutzes an sich gebracht und das Leben von Marco Polo gerettet.

»Wann sind wir?«, fragte Alex.

»1416«, sagte Kevin. »Seit unserem letzten Besuch ist ein Jahr vergangen. Das bedeutet …« Er schluckte. »Mein Neffe ist hier.«

Die Stimme des Freundes war ungewöhnlich brüchig. Damals hatten sie den jungen Ty kennengelernt. Tyler Grant. Wie sich herausstellte, war dieser der Sohn von Chris, entstanden durch eine leidenschaftliche Nacht vor dem Untergang von Iria Kon. Das letzte Familienmitglied neben Annora, das noch lebte.

»Wir finden ihn«, sagte Alex.

Kevins Miene verschloss sich sofort. »Sicher.«

Artus hob seinen Essenzstab, erschuf magische Symbole in der Luft und sprach: »Generate Mirage.«

Ihre Kleidung wurde von einem glitzernden Schimmer überzogen. Sekunden später waren es Beinlinge, Lederschuhe und jeweils ein Wams mit Lederbeutel am Gurt.

»Wir wollen schließlich nicht auffallen.« Artus runzelte die Stirn und atmete tief ein. »Eine solche Freiheit und Leichtigkeit habe ich schon lange nicht mehr gespürt.«

»Der Wall ist noch nicht erschaffen«, sagte Alex. »Keine Dämpfung, keinerlei Abschöpfung von Essenz.«

Er konnte spüren, wie sein Sigil sich entspannt in seinem Innersten bewegte. Frei und ungehemmt. Diese Zeit war in vielerlei Hinsicht anders.

»Zahlungsmittel sind Bernsteinkörner«, erklärte Kevin bereits. »Die Macht liegt in den Händen der Signora, das ist die Regierung der Stadt. Unterm Strich halten die höheren Stände die Kontrolle, es gibt ständig Kriege zwischen einflussreichen Familien und der Kirche.«

»Die Medici spielen eine wichtige Rolle«, ergänzte Alex.

Sie standen am Rande einer schmalen Gasse und traten hinaus auf die Hauptstraße.

»Was ist das für eine Flagge?« Artus deutete auf eines der Häuser.

Verblüfft blieb Alex stehen. »Ich habe keine Ahnung. Beim letzten Mal gab es die noch nicht. Und ich kann mich auch nicht an die diesbezügliche Geschichte erinnern.«

Er selbst war mit der Nimag-Historie aufgewachsen, die durch den Wall in Wahrheit völlig anders verlaufen war.

Doch auf Nachfrage schüttelte auch Kevin den Kopf. »Diese Epoche hat mich nie im Detail interessiert. Leonardo hätte uns da vielleicht weiterhelfen können.«

Kyra musste er nicht erst fragen, diese hatte später gelebt und Jahre übersprungen.

Sie gingen die Straße entlang und näherten sich der Flagge. Auf ihr war ein schwarzer Kreis zu sehen, der von zwölf Wappensymbolen umringt war. In der Mitte prangten zwei überkreuzte Essenzstäbe.

»Wie genau war die Situation, als ihr Venedig verlassen habt?«, fragte Artus. »Habt ihr etwas verändert? Mit dem Ring?«

Der Gedanke klang im ersten Augenblick völlig abstrus, im nächsten schoss pure Angst durch Alex’ Adern. »Es gab da etwas. Marco Polo wäre beinahe gestorben. Aber wir haben ihn gerettet.«

»Und als wir zurückkamen, hatte sich auch nichts verändert«, sagte Kevin. »Selbst wenn wir einen Stein in einen Fluss geworfen haben, hat er höchstens ein paar Wellen verursacht.«

Alex atmete auf. Das ergab Sinn. Die Wahrscheinlichkeit war höher, dass all das ganz normal zur Geschichte gehörte. Vielleicht eine kurze Entwicklung, die über die vielen folgenden Jahre vergessen worden war.

Ein Trupp aus vier grimmig dreinblickenden Magiern, die die Straße entlangkamen, ließ ihn das gleich doppelt hoffen. Sie trugen schwarzes Leder, die Essenzstäbe waren gezogen.

»Wer seid ihr?«, blaffte ihn der Wortführer an. Sein rechtes Auge wirkte wie ausgekreuzt von einer Narbe.

»Besucher«, erwiderte Alex freundlich.

Für einen Augenblick wirkte Kreuznarbe tatsächlich verblüfft. »Ist das ein Scherz?«

»Äh. Nein?«, sagte Alex.

»Und wie seid ihr durch die Barriere gelangt?« Die Stimme von Kreuznarbe bekam den Klang einer schmeichelnden Gitarrensaite, die kurz davor stand, peitschend eine Wunde zu schlagen.

»Die Barriere.« Alex durchdachte blitzschnell seine Optionen. »Das war kein Problem, denn er«, damit deutete er auf Artus und war ein bisschen stolz über die Idee, »ist ein Unsterblicher.«

Kreuznarbe glaubte ihm eindeutig aufs Wort, denn er richtete seinen Essenzstab auf Artus. Genau wie alle anderen.

»Erinnere mich noch gleich daran, warum ich dir Excalibur nicht um die Ohren haue«, knurrte Artus.

»So viel zum Thema Respekt vor Euch«, sagte Alex leise.

Kevin war nichts anzumerken, doch seine Finger zuckten. Vermutlich ging er im Geist bereits alle möglichen Angriffs- und Verteidigungszauber durch. Kyras leicht geduckte Haltung machte deutlich, dass sie sich verwandeln wollte – das wäre dann die nächste Katastrophe geworden.

»Er ist ein netter Unsterblicher«, ergänzte Alex.

Was natürlich glatt gelogen war.

»Angriff ›Vier Fächer‹.« Kreuznarbe machte eine schnelle Bewegung.

Ein Kraftschlag donnerte vor Artus in den Boden des Pflasters, Steine spritzten in die Höhe. Unweigerlich verriss er Excalibur.

Zwei andere kümmerten sich um Alex, der gerade noch eine Contego-Sphäre erschaffen konnte. Sie war stark, doch die beiden Angreifer besaßen Essenzstäbe. Erste Risse erschienen innerhalb von Sekunden.

Kevin wirkte unbeeindruckt. Er sprang durch die Luft, trat einem der Angreifer die Beine weg und führte einen Gravitate Negum aus. Ein Kraftschlag traf jene Stelle, an der er gelegen hatte. Doch Kevin schwebte längst in der Luft. Ein gezielter Tritt gegen das Kinn, und einer der vier war ausgeschaltet.

»Aportate Essenzstab.«

Das magische Artefakt wirbelte in Kevins ausgestreckte Hand. Was natürlich sinnlos war, da sich jeder Essenzstab mit einem Besitzer verband und von anderen nicht genutzt werden konnte.

»Essenzstab Capere. Capere transformum. Transformum Essenz.«

Seine rote Essenz loderte. Das Echo brandete heran. Der Geruch von feuchtem Gestein. Brechendes Holz und Sturmgewalt. Aber verblassend, kaum noch wahrnehmbar in dieser Zeit mit anderen magischen Gesetzen.

»Nein«, hauchte Artus.

Alex hatte einen solchen Zauber nie zuvor gehört.

Kevin lächelte böse. »Potesta Maxima.« Der Kraftschlag durchdrang den Schutz eines Angreifers und streckte ihn nieder. »Magica Mirage Potenza.« Ein gegen ihn gerichteter Wundzauber wurde zurückgeschleudert.

Damit lag ein weiterer Gegner blutend am Boden.

Kreuznarbe preschte vor, sein Essenzstab schlug gegen den, den Kevin führte.

»Du hast dich versündigt«, brüllte der Angreifer.

»Werd erwachsen«, sagte Kevin nur und holte aus.

Kyra hob den Arm. »Du trägst den Ring.«

Falls Kevin jemand tötete, konnte das alles verändern. Er musste das verdammte Artefakt abstreifen – und zwar sofort.

Kyras Ruf ließ den Freund in der Bewegung innehalten.

Mit fatalen Folgen.

Sein Gegner stieß zu. Blut spritzte auf, als der glühende Essenzstab über Kevins Brust fuhr. Im gleichen Augenblick erklang das Knacken von Holz und Bersten von Himmelsglas. Der gekaperte Essenzstab zerfiel, die innewohnende Essenz schoss als Stichflamme davon.

Der Besitzer des Stabes verkrampfte, zuckte und erschlaffte.

Stiefelschritte erklangen.

Und während Kevin zur Seite kippte, rannte eine Gruppe von fünfzehn Magiern auf sie zu.

3. Ein böses Erwachen

 

 

Das stetige Tropfen von Wasser auf Stein vertrieb die Stille der Bewusstlosigkeit.

»Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal zu sehen«, erklang eine Stimme.

Kevin blinzelte. »Marco?«

Vor ihm saß der Unsterbliche mit dem normalerweise verschmitzten Grinsen und dem verstrubbelten Haarschopf. Dass er nicht grinste, lag vermutlich an den Ketten an Hand- und Fußgelenken, die an die Wand geschmiedet waren.

»Gradioso.« Marco nickte ihm zu.

Natürlich wusste er, dass Kevin den Namen erfunden hatte. Eine simple Tarnung bei ihrem ersten Abenteuer.

»Wenn du noch immer deinen Humor hast, kann es ja nicht so schlimm sein.« Kevin stöhnte auf.

»Ihr seid also noch einmal zurückgekehrt. Aus der Zukunft.« Marco betrachtete ihn eindringlich.

»Es ließ sich nicht vermeiden.« Kevin ließ den tiefen Blick des anderen Mannes an sich abprallen.

Dieses Mal würde es nicht zu einem Kuss kommen, so viel war sicher.

»Was ist hier los?«