Das Erdenbuch von Sturmtor - Poul Anderson - E-Book

Das Erdenbuch von Sturmtor E-Book

Poul Anderson

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Beschreibung

Die Geschichte der Menschheit im Zeitalter des Hyperdrive

Dank der revolutionären Durchbrüche in der Raumfahrttechnik hat die Menschheit das Sonnensystem verlassen und ist in die Galaxis vorgestoßen, die keineswegs unbewohnt ist. Das Interesse der Menschen gilt der Ausbeutung von Rohstoffen und dem Handel mit den Aliens. Um das zu koordinieren, wurde die Polesotechnische Liga gegründet, der der Kaufmann Nicholas van Rijn angehört. Er fordert von seinen Kapitänen höchsten Einsatz, wenn es um die Sicherung seines Gewinnes geht – aber nur allzu oft greift er selbst ein, wenn es gilt, Piraten abzuwehren oder neue Märkte zu erschließen. Dies ist die Geschichte van Rijns und der Polesotechnischen Liga im 22. Jahrhundert …

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Seitenzahl: 786

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POUL ANDERSON

DAS ERDENBUCH VOM STURMTOR

Roman

Das Buch

Dank der revolutionären Durchbrüche in der Raumfahrttechnik hat die Menschheit das Sonnensystem verlassen und ist in die Galaxis vorgestoßen, die keineswegs unbewohnt ist. Das Interesse der Menschen gilt der Ausbeutung von Rohstoffen und dem Handel mit den Aliens. Um das zu koordinieren, wurde die Polesotechnische Liga gegründet, der der Kaufmann Nicholas van Rijn angehört. Er fordert von seinen Kapitänen höchsten Einsatz, wenn es um die Sicherung seines Gewinnes geht – aber nur allzu oft greift er selbst ein, wenn es gilt, Piraten abzuwehren oder neue Märkte zu erschließen. Dies ist die Geschichte van Rijns und der Polesotechnischen Liga im 22. Jahrhundert …

Der Autor

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Titel der Originalausgabe

THE EARTH BOOK OF STORMGATE

Aus dem Amerikanischen von Peter Pape

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1978 by Poul Anderson

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat

Inhalt

Vorwort

Flügel des Sieges

Vom Sinn des Leidens

Wie man spielend in einer einzigen Lektion Rassenbewusstsein erlangt

Die Gewinnspanne

Esau

Zeit der Vergebung

Ein Mann, der zählt

Mit etwas Verstand

Vorwort

Einen guten Gedankenflug wünsche ich allen, die lesen können. Der Schreiber ist Hloch von der Sturmtor-Sippe, er schreibt dieses Buch auf dem Gipfel des Mount Anrovil im Weathermother-Massiv. Sein Verwandter, der Wyvaner Tariat, der Sohn von Lythra und Blawsa, hat ihn darum gebeten.

Kennt der Schreiber auch nicht genau alle Zusammenhänge in dieser Sache, so gebieten es doch die Bande des Blutes, diese Bitte zu erfüllen.

Urteilt selbst, ihr Leute!

Der Vater von Hloch war Ferranian, die Mutter Rennhi. Ihnen gehörte das Land rings um den Spearhead-See. Als Ingenieur reiste der Vater oftmals nach Gray auf Centauri und in andere Städte und verhandelte mit Menschen. Umgekehrt kamen auch sie oft zu ihm, denn ihre Reiserouten kreuzten sich über dem See. Außerdem befand sich eine Kupfermine ganz in der Nähe. Hlochs Eltern waren gastfreundlich, beherbergten Besucher, die ihnen willkommen waren, oft tagelang hintereinander und gaben ihnen Gelegenheit zum Umherstreifen und Jagen.

Die bevölkerungsreiche Stadt Gray liegt, wie ihr wisst, ganz in der Nähe unseres Stammes, und aus diesem Grund sind mehr Menschen in unsere Sippe aufgenommen worden als sonst üblich. Wir Jünglinge wuchsen in Freundschaft mit vielen Mitgliedern dieser Rasse auf und waren vertraut mit den Regungen und Gefühlen, die ihre Seelen bewegten.

Rennhi war eine Erforscherin der Jahrhunderte, an die sich sicher viele aus ihrer Schulzeit erinnern werden – an die Flamme, die sie in denen zu entzünden vermochte, die sie als reif für die ›Lehre‹ erachtete. Doch noch berühmter wurde sie als die Autorin, die ›Das Himmelsbuch von Sturmtor‹ geschrieben hatte. Darin beschrieb und durchleuchtete sie, wie ihr alle wisst, die Geschichte unserer Sippe. Sie erzählte von den Vorfahren auf Ythri, von den Gründern und Pionieren hier auf Avalon, beschrieb die Entwicklung der Nachfahren bis zu ihrer eigenen Zeit, verdeutlichte das Zusammenspiel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und ihre Einflussnahme auf das Geschick der Sippe und die wechselseitige Befruchtung der Zeitläufe.

Ihr Werk ist ein Dokument der Wahrheit, solange Gedanken in der Lage sind, unsere Welt in Bewegung zu halten.

Gott nahm sie von uns, ehe sie die nächste Chronik erstellen konnte. Sie hatte schon sehr viel Material gesammelt, das sie für dieses Unterfangen benötigte, wobei ihr Sohn Hloch ihr teilweise behilflich gewesen war. Doch dann kam der Terranische Krieg, der nach seiner Beendigung unter fremd gewordenen Himmeln zerstörte Ruinenlandschaften hinterließ. Immer noch sind wir dabei, aus der Zerstörung, die dieser Hurrikan hinterließ, neues Leben aufzubauen. Hloch, der als Soldat im Weltraum gedient hatte, fand sich später auf verschiedenen Reichsplaneten wieder, die er als Kaufmann bereiste, als der Handel allmählich wiederaufgenommen wurde. Sicherlich bezog er aus dieser Zeit seine weiteren Erkenntnisse über die menschliche Spezies.

Dies alles hatte der Wyvaner Tariat bedacht, als er an Hloch mit seiner Bitte herantrat, nachdem dieser, der Öde des Raumes müde, in die Welt der Winde zurückgekehrt war. Hier seine Worte:

»Wir müssen unbedingt die Realitäten unserer beider Völker begreifen lernen, unsere eigenen und die der anderen, die zum Reich gehören. Daher – und das wusste deine Mutter genau – ist es am besten, bei den anderen zu leben und die Dinge durch ihre Augen sehen zu lernen – eher auf geschichtlicher als auf emotionaler Basis –, damit wir rechtzeitig erkennen, was auf uns zukommt. Hloch, schreibe das Buch, für das zu schreiben deine Mutter nicht mehr lange genug lebte.«

Flügel des Sieges

Unsere Expedition im Rahmen der Großen Suche hatte uns in die Nähe der Riesensonnen Alpha und Beta Crucis geführt. Von der Erde aus gesehen befanden wir uns in der Konstellation Lupus. Doch die Erde lag zweihundertachtundsiebzig Lichtjahre hinter uns, Sol selbst war längst bis zur Unsichtbarkeit verblasst, und die Sternbilder über uns glitzerten in einem fremden Muster in der ewigen Dunkelheit.

Nach drei langen Jahren waren wir müde geworden, hatten Verluste an Menschen und Material erlitten. Oh, das Wunder der weiteren Welt, die wir entdeckten, erneuerte es sich. Doch wir waren inzwischen auf so viele Welten gestoßen, hatten einige von ihnen sogar betreten. Manche waren schön, andere schrecklich, doch die meisten waren beides (wie auch die Erde). Keine gefiel uns, alle waren mysteriös, fremd. In Gedanken verschmolzen alle zu einer.

Immer noch war es eine erregende Sache, auf fremde Intelligenzen zu stoßen, vielleicht sogar erregender als die Entdeckung eines kolonisierbaren Planeten. Vor einem Jahr aber war Ali Hamid an einem giftigen Biss gestorben, und Manuel Gonsalves hatte sich noch nicht von dem Schädelbruch erholt, den ihm ein zorniges Wesen mit einem Schlag beigebracht hatte. Dadurch wurde Vaughn Webner zu unserem Chef-Xenologen, und er bereitete uns nicht wenig Ärger. Nicht, dass er – oder einer von uns – es darauf angelegt hätten. In einem Universum, das nicht für einen geschaffen, auf einen zugeschnitten ist, lernt man entweder, wachsam zu sein und vorsichtig, oder man stirbt. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.

Wir näherten uns diesem Stern, denn jeder Zwerg der G-Kategorie zog unsere Aufmerksamkeit magisch an. Doch schwenkten wir nicht in den Orbit um seinen erdähnlichen Begleiter ein, bevor eine Neutronenanalyse bestätigt hatte, dass kein Planet in diesem System radioaktive Strahlen aussandte. Wir spielten alle auf unseren Instrumenten nur möglichen Tests durch, bevor wir den ersten Roboter landeten.

Die Sonne gehörte zur Kategorie G 9, verstrahlte goldenes Licht und besaß die halbe Leuchtkraft von Sol. Die Welt, die uns interessierte, lag nahe genug, um in etwa die gleiche Strahlung aufzufangen wie die Erde von der Sonne. Sie war kleiner, die Schwerkraft auf der Oberfläche dementsprechend um ein Viertel geringer, die Atmosphäre dünner und trockener. Trotzdem war die Luft für Menschen atembar, auch existierten riesige Wasservorkommen, die man getrost als Ozeane bezeichnen konnte. Der Planetenball sah hübsch aus vor dem Hintergrund der sternendurchsäten Nacht – blau, lohfarben, rostfarben mit weißen Wolken. Zwei kleine Monde umkreisten ihn.

Biologische Untersuchungen ergaben, dass die Lebensformen auf diesem Planeten chemisch den unseren ähnelten. Keine der Mikroorganismen, von denen wir Kulturen anlegten, barg eine Gefahr, die nicht mit normaler Vorbeugung und Medikation in den Griff zu bekommen wäre. Fotos, aus niedriger Höhe und von der Oberfläche geschossen, zeigten Wälder, Seen und weite Ebenen, die sich bis zum Rand von Gebirgen erstreckten. Wir waren Feuer und Flamme, uns hier niederzulassen.

Doch die Eingeborenen …

Man muss berücksichtigen, wie neu noch der Hyperdrive ist, wie immens der Kosmos. Die Organisatoren der Großen Suche waren zu klug zu glauben, dass die wenigen Nachbarsysteme, die wir auf unserer Suche kennenlernten, stellvertretend für alle anderen Weltensysteme waren. Unsere Expedition stand unter dem stolzen Leitspruch: »Wir kommen als Freunde.«

Doch andererseits war jede Expeditionscrew gehalten, nach eigenem Ermessen vorzugehen. Nach fünf Jahren sollten die Kundschafter dann zusammentreffen und ihre Erfahrungen miteinander austauschen.

Uns an Bord der ›Olga‹ hatte Captain Gray befohlen, die Eingeborenen nicht durch das plötzliche Auftauchen unserer Maschinen zu erschrecken, soweit sich dies verhindern ließ. Wir sollten versuchen, unsere Experimente in unbewohnten Gegenden durchzuführen. Wenn wir dann selbst landeten, würden wir dies ganz offen tun, denn immerhin war die Form des Körpers weniger wichtig als der Geist beziehungsweise die Geisteshaltung, die in ihm steckte. So glaubten wir bis dahin jedenfalls.

Wie üblich trugen wir alle Daten ein, die wir beim Eintritt in die Umlaufbahn und den verschiedenen außeratmosphärischen Überflügen erarbeiteten. Unter solchen Bedingungen gaben sie naturgemäß kaum Aufschluss über die Welt unter uns. Dafür zeigten die Aufnahmen einige kleine Städte auf zwei Kontinenten – Ansammlungen von Gebäuden ohne Verteidigungsmauern oder angelegte Straßen – in der Nähe von primitiven Minen. Gegenüber den immensen Flächen, die sie umgaben und unbewohnt aussahen, wirkten sie unscheinbar. Wir glaubten verschiedene Kulturstufen erkennen zu können – von der Steinzeit bis zur Eisenzeit. Außer diesen wenigen Gemeinden gab es nur noch kleinere, weitverstreute Ansiedlungen, bestehend aus einem oder einigen wenigen Häusern. Wir entdeckten keine, die nicht wenigstens zehn Kilometer von der nächsten entfernt war, die meisten isoliert inmitten der Einsamkeit.

»Fleischfresser, vermute ich«, sagte Webner. »Die primitiven Gemeinschaftsformen ernähren sich als Jäger und Fischer, die fortgeschritteneren sind Hirten. Die größeren kultivierten Flächen dienen vielleicht nur dem Futteranbau – sie sehen mir nicht nach echten bewirtschafteten Farmen aus.«

Er rieb sich das Kinn.

»Ich gestehe, dass ich recht neugierig bin, wie diese Zivilisation – besser ausgedrückt, diese Eisenzeitleute – ihr Leben meistert. Man braucht dafür Handel, Verbindungen, Gedankenaustausch – besonders bei diesem Entwicklungsstand. Doch wenn ich von hier die Situation richtig deute, gibt es außer den Häusern schlichtweg keinerlei künstliche Anlagen – außer ein paar schlammigen Pfaden zwischen den Städten und den Minen oder den wenigen Docks für die Lastkähne oder Schiffe. Und die Schifffahrt, insgesamt gesehen, liegt sehr im argen, ist völlig unzulänglich.«

»Vielleicht benutzen sie Lasttiere?«, gab ich zu bedenken.

»Sind zu langsam«, antwortete er. »Man kann nie eine fortschrittliche Kultur aufbauen, wenn die Kommunikation zwischen den wenigen Individuen, die dazu fähig wären, durch die gewaltigen Entfernungen Monate benötigt. Ein Ding der Unmöglichkeit.«

Einen Augenblick lang ließ ihn seine Pedanterie im Stich.

»Nun«, sagte er, »wir werden sehen!« Der bedeutendste Satz, den irgendeine Sprache nur haben kann.

Den ersten Kontakt stellten drei Leute von uns her – ganz bewusst nur die kleinste Gruppe, die einen solchen Auftrag durchführen kann, für den Fall, dass wir sie verloren. Dieses Mal waren es Webner, der Xenologe, Aram Turekian als Pilot und Yukiko Sachansky als Scharfschütze. Es war Grays Idee, diese letzte Aufgabe einer Frau zu übertragen, denn Frauen waren ausdauernder beim Beobachten und Abwarten, eröffneten in zweifelhaften Situationen weniger eifrig das Feuer als Männer.

Die Ansiedlung, die man für die Landung ausgewählt hatte, lag in der Minenregion, war aber keine Stadt. Warum auch sollte man die ganze Sache unnötig komplizieren? Die Gebäude lagen auf einer zerklüfteten Hochebene, von dichten Urwäldern umgeben. Nach Norden ragten die Berge steil in den Himmel empor, oberhalb der Baumgrenze waren ihre Gipfel vergletschert. Nach Süden senkte sich die Hochebene zu einem großen Plateau hinab, die Wälder wichen offenem Land, auf dem Viehherden das rötliche Gras oder niedriges Buschwerk weideten. Waren es zahme Haustiere? Die Bewohner der Ansiedlung schienen auf jeden Fall sehr viel zu jagen.

»Vielleicht ist das die Erklärung für ihre weit auseinandergezogenen Siedlungen«, murmelte Yukiko. »Vielleicht braucht jedes Individuum hier solch riesige Landflächen, um sich ernähren zu können.«

»Dann müssen die Lebewesen hier sehr darauf bedacht sein, ihre Territorien zu schützen«, antwortete Webner. »Also halte gefälligst deine Waffe schussbereit!«

Es war uns gestattet, uns im Falle eines persönlichen Angriffes zu verteidigen, auch wenn dieser durch einen Fehler von uns provoziert wurde. Trotzdem zuckte das Mädchen zusammen. Turekian bemerkte es aus den Augenwinkeln, und diese Tatsache, zusammen mit Webners Ton, ärgerte ihn.

»Nun mach mal halblang, Vaughn«, knurrte er.

Webners hagere Gestalt versteifte sich. Blut schoss ihm ins Gesicht. Wütend wandte er sich dem Piloten zu.

»Was hast du da eben gesagt?«

»Dass du dich besser um deine eigenen Angelegenheiten kümmern solltest.«

»Halte deine Zunge im Zaum. Dies ist zwar mein erstes Kommando, doch ich bin …«

»… noch nicht unten. Wir fliegen noch …«

»Bitte!« Yukiko beugte sich aus ihrem Geschützturm und legte beiden Männern ihre Hände auf die Schultern. »Bitte, streitet euch nicht … wo wir gerade im Begriff stehen, einer vollkommen fremden Zivilisation gegenüberzutreten.«

Dieser Bitte konnten die Männer nicht widerstehen. Auch in ihrer ungefügen, mit Werkzeug bestückten Kombination blieb sie immer noch die bildhübsche Eurasierin, die schönste und begehrteste Frau an Bord der ›Olga‹. Auch alle anderen Frauen mochten sie. Gonsalves hatte einen Standardausdruck für sie gehabt: Sie war für ihn einfach simpático.

Doch die beiden Männer beruhigten sich nur nach außen hin. Sie waren kein gutes Gespann, nicht direkt Feinde – man arbeitet nicht mit jemandem, der sich Gefühle wie Hass erlaubt –, aber sie mochten einander nicht. Webner war als Professor der Xenologie an der Universität von Oceania der typische Akademiker. In jungen Jahren hatte er ausgezeichnete Forschungsarbeit geleistet, hatte sich besonders durch die Auffindung der Handelsrouten der Cynthianer einen Namen gemacht. Seine Vorgesetzten lobten ihn stets in den höchsten Tönen. Doch im Herzen war er ein Theoretiker geblieben, und das vorrückende Alter hatte aus ihm einen Dogmatiker gemacht.

Turekian war das genaue Gegenteil: Jung, stämmig, schwarzbärtig, ungestüm und draufgängerisch. In einem Fellzelt auf dem Planeten Mars wurde er für ein unstetes Wanderleben im erschlossenen Kosmos geboren. Wenn seine prahlerischen Geschichten auch nur zur Hälfte stimmten, dann war er der Menschheit wagemutigster Abenteurer, härtester Kämpfer und ausdauerndster Liebhaber. Doch ich hatte zu meinem Vergnügen und zu meinem Vorteil schon bald herausgefunden, dass er nicht das Pokerface war, das zu sein er vorgab. Er besaß gute Anlagen, war freundlich, hilfsbereit und deshalb beliebt. Was natürlich in dem armen, nüchternen Webner nur Neid hervorrufen konnte.

»Ist doch Ehrensache«, lachte Turekian jetzt.

»Für dich, Yu, tue ich alles.« Er hauchte einen Kuss in ihre Richtung.

Webner kam weniger leicht von seinem Ärger los.

»Was meintest du mit deiner Bemerkung vorhin?«

»Nichts hat er damit gemeint!«, rief das Mädchen nun fast flehend.

»Doch, etwas schon!«, unterbrach sie Turekian. »Mir wäre wesentlich wohler, wärst du nicht so sehr davon überzeugt, dass deine Wissenschaft für alles eine Erklärung hat. Ich habe da schon Dinge erlebt …«

»Diese Stories habe ich schon oft genug gehört«, unterbrach ihn Webner grob. »In einem Dschungel auf irgendeiner exotischen Welt bist du schon Tieren mit Rädern anstatt Beinen begegnet.«

»Das habe ich nie behauptet. Aber trotzdem … wäre doch eine hübsche Geschichte, nicht?«

»Nein, weil sie absurd ist. Frag dich doch mal, wie die Zellernährung vom äußersten Rand der Achsknochen bis zum äußersten Rand der Scheibe vor sich gehen sollte. In welcher Art …«

»Ja, ja, schon gut. Ruhe jetzt! Ich muss uns heil herunter bringen.«

Auf dem gewölbten Bildschirm wuchs der Landeplatz. Die Klimaanlage rauschte schwach, die Vibration des Antriebs schüttelte leicht die Körper der Besatzung. Turekian hasste Trödelei. Außerdem könnte eine langsame Landung den Einheimischen genügend Zeit lassen, hysterisch zu reagieren, was wiederum tragische Folgen haben konnte.

Unter sich erspähten die Menschen ein Haus am Rande einer Schlucht, durch die sich ein reißender Fluss wand. Drei weitere Gebäude bildeten ein grobes Hofviereck. Sie waren aus Balken errichtet, lang und niedrig und mit grünen Grassoden gedeckt. In einem Pferch außerhalb des Hofgevierts weideten vierbeinige Tiere, ganz in der Nähe standen eine Reihe von – wie Turekian sie nannte – überdimensionalen Vogelhäuschen. Das ganze Anwesen lag inmitten einer weiten Grünfläche, die wiederum von dichtem Urwald ringsum begrenzt wurde.

Es gab sehr viele Vögel oder, besser gesagt, vogelähnliche Wesen. In dichten Schwärmen bevölkerten sie den Himmel. Zwei besonders riesenhafte Kreaturen kreisten ständig über ihnen, schienen sie zu bewachen. Sie verschwanden, als das Schiff sich herabsenkte.

Plötzlich explodierte das Haus zu einem Gewirr von flatternden Flügeln. In Scharen schossen fliegende Wesen aus den Fensteröffnungen, die kleineren klammerten sich auf den Rücken der größeren fest. Die größten erreichten die Spannweite eines ausgewachsenen Kondors auf der Erde. Das klatschende Flattern schwirrender Flügel drang sogar deutlich durch die Hülle des Schiffes. Der Schwarm schraubte sich in den Himmel, floh auf den Wald zu und verlor sich zwischen den Wipfeln. Die Menschen landeten bei einem verlassenen Anwesen.

Die Hände an den Kolben ihrer Waffen bewegten sich Webner und Turekian vorwärts, betrachteten neugierig die Umgebung, ließen sich von dem Planeten fesseln …

Der Mensch wird beim Betreten eines neuen Planeten immer einem seltsamen Gefühl unterliegen. Denn nicht nur der Raum trennt diese neue Welt von seinem Heimatstern, sondern auch die Zeit, in diesem Falle hier fast fünf Billionen Jahre. Manchmal braucht er Minuten, ehe er seine Umgebung bewusst wahrnehmen kann, weil sie so fremd ist. Die Augen registrieren sie zwar, doch nicht der Verstand.

Diese Welt hier jedoch ähnelte sehr der Heimatwelt der Menschen. Und trotzdem war sie unbeschreiblich fremd. Die Schwerkraft betrug nur dreiviertel von der des Schiffes, man ging leichter, schwungvoller. Man musste seine Gangart den neuen Verhältnissen anpassen, jedoch mehr mit dem Verstand als mit den Muskeln.

Die Luft war wie die auf einem Berg der Erde in einer Höhe von etwa zwei Kilometern. Man empfand sie als kristallklaren, kühlen Strom, vergleichbar den Winden auf der Erde, die in Schluchten und Flussläufen heulten und seufzten. Doch der Geruch war anders, es fehlte der Duft nach sonnendurchwärmtem Harz und Holz. Diese Luft hier roch ein wenig rauchig und beißend.

Das Licht erstrahlte in einem warmen Goldton, machte die Farben kräftiger, die Schatten tiefer, als sie in Wirklichkeit waren. Es wurde von einer Vormittagssonne ausgestrahlt, die etwa nur den halben Durchmesser der Erdensonne besaß und an einem Himmel erstrahlte, der, abgesehen von einigen wenigen Wolkenbändern, tiefblau war.

Belebt wurde dieser Planet von den kreischenden Vogelschwärmen hoch über den Köpfen der Menschen und den gackernden und brüllenden Lebewesen aus dem Pferch. Die Füße versanken in einem rötlichbraunen widerborstigen Pflanzenteppich, der eher als Moos statt als Gras bezeichnet werden konnte, jedoch im Grunde mit beiden Pflanzen nicht zu vergleichen war. Er war übersät mit seltsamen Blumen. Die Bäume besaßen grüne Blätter (in allen Schattierungen – von einem merkwürdigen Silberton bis zum Dunkelgrün). Die Rinde (wenn es Rinde war) zeigte alle Farbtöne von schwarz über grau, braun bis weiß. Die Baumformen wirkten ebenso fremd, wie Pinien oder Ginkobäume jemandem seltsam erscheinen mussten, der aus seiner Heimat nur Eichen oder Buchen kennt. Diese hier waren jedoch mit keiner Baumart der Erde zu vergleichen. Ein Schwarm zwergenhafter, insektenartiger Wesen summte vorbei – und ein großer Vogel mit kupferfarbenen Schwingen fraß einige von ihnen.

Die Szenerie war überwältigend. Über den Wipfeln des Waldes ragte das Gebirge hoch in den Himmel hinauf, seine Gletscher schimmerten eisblau. Zur Rechten stürzten Felswände senkrecht ab, bildeten rötliche oder ockerfarbene Schluchten.

Doch die Menschen hatten dafür keinen Blick. Erwartungsvoll schauten sie nur geradeaus.

Das Haus war von erstaunlicher Größe.

»Eine verzauberte Burg«, rief Turekian aus.

Das Gebäude sah aus wie ein zwanzig Meter hoher Würfel, dessen obere Kante in ein Steildach auslief. Die Wände bestanden aus großen, wohlbehauenen Granitblöcken. An den Fensteröffnungen konnte man abzählen, dass das Gebäude in sechs Stockwerke unterteilt war. Die Fenster bestanden lediglich aus großen Öffnungen, die mit hölzernen Läden und schmiedeeisernen Balkonen versehen waren. Der einzige Eingang zu ebener Erde war ein riesiges Tor, dessen Fassade mit Geweihen, Tierschädeln und Jagdwaffen wie Messer, Speere, Kurzschwerter und Pfeil und Bogen verziert war.

Die benachbarten Gebäude dienten zweifellos nur als Scheunen oder Schuppen. Auch an ihnen hingen Trophäen.

Die Tiere im Pferch sahen aus wie Säugetiere, doch möglicherweise waren es keine. Zwei Spezies erinnerten entfernt an Pferde und Rinder, eine dritte an Schafe. Nur wenige Tiere grasten dort; sie konnten nicht den ganzen Tierbestand der Bewohner hier darstellen. Die Taubenschläge beherbergten Vogelwesen so groß wie Truthähne, die nicht eingeschlossen waren, jedoch von drei habichtartigen Wächtern am Verlassen ihrer Gehege gehindert wurden.

»Wachhunde«, nannte Turekian sie.

»Nein, Wachfalken.«

Aufgescheucht durch die Eindringlinge schlugen sie erregt mit den Flügeln.

Yukikos Stimme drang sehnsüchtig aus dem Empfänger hinter Turekians Ohr: »Kann ich zu euch kommen?«

»Nein, bleib bei deinen Waffen«, antwortete Webner.

»Wir müssen noch die Bewohner dieses Ortes finden.«

»Wieso?«, fragte Turekian.

»Sie sind doch verschwunden. Ausgerissen, als sie uns kommen sahen.«

»Was, sie sind ängstlich?«, fragte Yukiko. »Das passt aber gar nicht zu ihrer Lebensweise als eifrige und kühne Jäger.«

»Im Gegenteil, ich halte sie für recht mutig«, antwortete Turekian. »Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass wir uns in feindlicher Absicht nähern, weil sie selbst niemals uneingeladen den Besitz eines anderen betreten würden. Unsere Fähigkeiten sind ihnen unbekannt, und sie haben vielleicht Frauen und Kinder zu schützen. Aus diesem Grunde haben sie sich klugerweise zurückgezogen. Meiner Meinung nach werden ihre männlichen Krieger, oder wie man sie sonst nennen mag, bald zurückkehren.«

»Worüber sprecht ihr überhaupt?«, mischte sich jetzt Webner ein.

»Nun … über die Einheimischen.« Turekian blinzelte ihm zu. »Du hast sie doch gesehen.«

»Diese riesigen Vogelwesen? Unsinn!«

»Wieso? Sie kamen doch direkt aus diesem Haus dort!«

»Gezähmte Haustiere«, brummte Webner unwirsch. Seine hagere Gestalt duckte sich leicht.

»Doch ich bestreite nicht, vor einem Rätsel zu stehen.«

»Das ganze Leben ist ein Rätsel«, warf Yukiko leise ein.

Webner nickte.

»Stimmt. Trotzdem, jedes Rätsel lässt sich mit Fakten und einer gesunden Portion Logik lösen. Wir sollten unsere Aufgabe nicht durch Scheinprobleme komplizieren. Was auch immer diese Flugwesen sein mögen, die eigentlichen Bewohner dieser Welt sind sie nicht. Auf einem Planeten, der soviel Ähnlichkeiten mit der Erde aufzuweisen hat, ist eine fliegende Intelligenz vollkommen unmöglich.« Seine Gestalt straffte sich wieder. »Ich vermute, die Eingeborenen haben sich verbarrikadiert«, beendete er seinen Vortrag. »Wir werden uns jetzt dem Haus nähern und ihnen durch Zeichen zu verstehen geben, dass wir uns in friedlicher Absicht nähern.«

»Die durchaus auch missverstanden werden könnten«, murmelte Turekian voller Zweifel. »Ein Pfeil oder ein Speer töten dich genauso wie ein Strahler.«

»Gib uns Feuerschutz, Yukiko«, ordnete Webner an. »Folge mir, Aram – wenn du den Mut dazu hast.«

Unter dem sichernden Blick des Mädchens stapfte er vorwärts. Fluchend eilte Turekian ihm nach.

Sie standen dicht vor dem mächtigen Tor, als ein Schatten über sie fiel. Beide Männer wirbelten herum und starrten nach oben. In den Kopfhörern hörten sie deutlich, wie Yukiko scharf den Atem einzog. Über ihnen schwebte eins der riesigen Vogelwesen. Das Sonnenlicht fiel auf die äußeren Federn der Flügel, färbte sie golden. Ein zweites Wesen drehte etwas weiter ab seine Kreise.

Der Anblick war furchterregend. Erst später ging den Menschen auf, wie großartig er andererseits war. Die Spannweite der Flügel maß sechs Meter. Vor den Eindringlingen gähnte ein weites Maul mit scharfen weißen Fangzähnen. Zwei Beine, lang und dick wie der Arm eines kräftigen Mannes, endeten in stark gebogenen Klauen mit scharfen Krallen. Der kräftige Flügelschlag trieb die Kreatur wie ein Torpedo voran. Die Luft rauschte und donnerte. Blitzschnell zogen die Männer ihre Waffen.

»Nicht schießen!« Yukikos Schrei schien von sehr weit zu kommen.

Das beeindruckende Monster war fast über ihnen. Webners Strahlpistole spuckte Feuer. Im gleichen Augenblick bremste das Tier seinen Flug, die Federn richteten sich auf, der scharfe Luftzug des Wendemanövers zerrte an den Körpern der Menschen.

Turekians Augen erblickten ein Bild, das er nie mehr vergessen würde. Das fremde Wesen hatte Federn, war sicher auch ein Warmblüter, doch kein Vogel. Der Schädelknochen ragte wie ein Schiffsbug über dem starken Hals auf. Der Kopf war stumpfnasig, besaß keine Ohrmuscheln. Turekian erkannte, dass der beutegierige Mund phantastischerweise Lippen besaß. Zunge und Gaumen waren purpurfarben, zwei große goldene Augen starrten ihn an, glühten bedrohlich. Ein Kamm weißer Federn mit schwarzen Spitzen sträubte sich darüber, verdeckte den Blick auf den nach hinten verflachenden Schädel. Der fächerartige Schwanz trug die gleichen Farben. Ansonsten war der Körper mahagonibraun, die nackten Beine und Klauen jedoch gelb.

Webners Schuss traf den linken Flügel genau in der Mitte. Rauch wallte auf, das Wesen stieß einen schrillen Schrei aus, trudelte zur Seite hin ab, gewann aber dann mit schwerem Flügelschlag wieder an Höhe. Webners Schuss hatte keinen dauernden Schaden angerichtet, behinderte aber das Wesen beim Fliegen.

Turekian bemerkte im letzten Moment die drei parallelen Schlitze auf der linken Seite des Körpers. Wahrscheinlich befanden sich drei weitere Schlitze auf der anderen Seite des Körpers. Seltsamerweise sahen sie aus wie Kiemen. Als sich die Flügel hoben, bemerkte er, wie sich die Schlitze weit öffneten – ein dreifaches Gähnen. Als sich die Flügel senkten, schlossen sich die Öffnungen. Mit einem wütenden Aufschrei stürzte er sich auf Webner.

»Lass sofort die Waffe fallen, du Narr!«

Mit hartem Griff packte er Webners Schusshand. Beide Männer rangen miteinander. Doch schließlich siegte Turekians Jugend. Er zwang Webner, die Hand zu öffnen; die Waffe fiel zu Boden. In der Zwischenzeit floh das verwundete Vogelwesen zu seinem Artgenossen. Beide schwebten davon.

»Was soll das?«, keuchte Webner und hieb auf Turekian ein.

Der Pilot gab ihm einen harten Stoß vor die Brust, Webner taumelte und stürzte. Turekian kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern setzte rasch sein Fernglas ans Auge. Die Wipfel der Bäume beschränkten seine Sicht. Müde ließ er das Instrument sinken.

»Zu spät«, brummte er. »Deine Schuld!«

Webner kam hoch, sein Gesicht war blass, er zitterte vor Wut.

»Bist du wahnsinnig geworden?«, stieß er hervor. »Ich bin dein Kommandant!«

»Anscheinend bist du aber nur in der Lage, Plastikenten in der Badewanne zu befehligen«, entgegnete Turekian. »Einfach auf einen Eingeborenen zu schießen!«

Webner war zu verblüfft, um darauf zu antworten.

»Außerdem hast du mir die Möglichkeit genommen, Nummer Zwei ein wenig näher unter die Lupe zu nehmen. Ich glaube, das Wesen trug so etwas wie einen Harnisch oder eine Rüstung, es könnte auch eine Waffe gewesen sein, doch ich bin nicht sicher.«

Turekian kochte vor Wut.

»Aram, Vaughn«, mahnte Yukikos bittende Stimme.

Einen langen Augenblick starrten sich beide Männer feindselig an, dann holte Webner tief Luft, zuckte die Schultern und sagte mit krächzender Stimme:

»Anscheinend bleibt es mir überlassen, dieses Unternehmen wieder auf eine durchführbare Basis zu stellen, da du dazu nicht in der Lage bist.« Er schwieg einen Moment. »Entschuldige dich, und ich halte diese Tätlichkeit mir gegenüber deinem übermäßigen Temperament zugute. Andernfalls muss ich dich melden und vom Erstkontakt-Dienst ablösen lassen.«

»Du willst mich vom Dienst suspendieren lassen …?«

Turekian ballte voller Grimm die Fäuste, sein Atem ging schwer.

»Wollt ihr euch nicht mal endlich das Haus ansehen?«, drängte Yukiko.

Die Frage, was sie wohl hinter den dicken Mauern erwartete, ließ die beiden Männer wieder zur Vernunft kommen.

Außer dem Vieh fanden sie nichts in den Anbauten. Um die Bewohner nicht dadurch zu beleidigen, dass sie das verriegelte Tor zerstörten, benutzten die beiden Männer ihre Antigrav-Einheiten und schwebten durch ein Fenster in das Innere des Baues. Jedes Stockwerk besaß nur einen oder zwei Räume. Offensichtlich gaben die Bewohner der Weitläufigkeit und Höhe der Räume den Vorzug vor privater Abgeschlossenheit. Die Verbindung zwischen den einzelnen Stockwerken bildeten steile Wendeltreppen, deren schmale Stufen im Widerspruch zu den riesigen Räumen standen. Die Einrichtung war karg und nichtssagend. Das Mobiliar bestand hauptsächlich aus Bänken und Tischen. Betten oder Schlafgelegenheiten gab es nicht. Schliefen die Einheimischen, wenn sie überhaupt schliefen, im Sitzen oder im Stehen? Möglich wär’s. Viele Spezies konnten die Gelenke ihrer Gliedmaßen beliebig versteifen.

Gestapelte Nahrungsmittel bestätigten die Vermutung, dass die Einheimischen Fleischfresser waren. Waffen, Gerätschaften, Gebrauchsgegenstände waren reichlich vorhanden, ordentlich verstaut. Sie verrieten die Technologie eines Eisenzeitalters, mehr oder weniger ähnlich der klassischen Zivilisation der Erde zu dieser Zeit. Doch es gab Ausnahmen: Zum Beispiel einige zerfledderte Bücher, deutlich erkennbar von Hand gedruckt. Die einzigen Illustrationen waren Diagramme, die einerseits eine gewisse Geometrie zeigten, andererseits so unbeholfen waren, als hätte ein Steinmetz sie in Felsen gehauen. Verbot diese Kulturform ihren Wesen Bilder, oder war das Schiff zufällig bei einer Behausung gelandet, in der es keine Bilder gab? Das Innere des Hauses und der Anbauten ließ kaum Rückschlüsse auf seine Bewohner zu. Doch das hatte auch niemand erwartet. Man stelle sich einen nicht menschlichen Xenologen vor, der die Erde besucht, ehe die Menschheit sich den Weltraum zugänglich machte. Welche Rückschlüsse könnte er von der Bauweise der Häuser und den Gerätschaften darin – sagen wir – auf einen Europäer, einen Eskimo, einen Pygmäen im Urwald des Kongo und einen japanischen Kleinbauern ziehen? Er würde sich sicherlich fragen, ob die Bewohner der gleichen Gattung zuzurechnen seien.

Nur die Zeit konnte Aufschlüsse bringen. Doch Turekian bezweifelte, dass ihnen die nötige Zeit gegönnt war. Deshalb forderte er Webner grimmig auf, ihren Entdeckungsausflug abzubrechen und zum Boot zurückzukehren. Nach einer Weile gab der Chef nach.

»Glaub nicht, dass ich den Gedanken an eine ausgedehnte Erforschung dieser Wesen aufgegeben hätte«, sagte Webner dazu und fuhr nachdenklich fort: »Ich bin dafür, wir besprechen gemeinsam diese Angelegenheit. Vielleicht kann ich eure Bedenken zerstreuen.«

Kehrte man von draußen ins Boot zurück, schmeckte die Luft im Inneren abgestanden, die Bilder auf den Schirmen wirkten stumpf. Turekian zog eine Pfeife aus seiner Brusttasche.

»Nein!« Webner machte eine abwehrende Handbewegung.

»Was soll das heißen?« Der Pilot war verwirrt.

»Die Luft in dieser engen Kabine ist schon schlecht genug.«

»Mich stört es nicht, wenn er rauchen möchte«, warf Yukiko ein.

»Mich dafür um so mehr«, gab Webner zurück, »und solange wir auf dem Boden sind, bin ich euer Kommandant.«

Turekian zuckte die Schultern und gehorchte. Die Disziplin im All muss stahlhart sein – will man überleben. Ein guter Kommandant verkleidet seine Befehle geschickt mit etwas Diplomatie. Doch Webner … Yukiko schaute ihn vorwurfsvoll an, beruhigend legte sie ihre Hand auf des Piloten Arm. Der Xenologe bemerkte es. Seine Mundwinkel zuckten, dann presste er die Lippen zu einem Strich zusammen.

»Wir werden Schwierigkeiten bekommen«, murmelte Turekian. »Unsere Versicherungsträger werden uns sehr dankbar sein, wenn wir so schnell wie möglich von hier verschwinden.«

»Unsinn!«, fauchte Webner. »Unser einziges Problem ist, dass wir den Einheimischen einen Schrecken eingejagt haben. Es wird Tage dauern, bis sich ein Späher von ihnen wieder hierher traut.«

»Sie hatten schon zwei gesandt. Du musstest ja unbedingt auf sie schießen.«

»Ich habe nur auf ein gefährliches Tier geschossen. Hast du nicht diese Klauen, diese Fangzähne gesehen? Doch vergiss einmal diese Attribute – ein einziger Flügelschlag von einem dieser Wesen könnte dir das Genick brechen.«

Webners Blicke wanderten zu Yukiko, er richtete seine Worte an sie:

»Zugegeben, sie scheinen zahm zu sein. Ich vermute, sie sind gute Jäger, fliegen wie Falken, obwohl sie wie Wölfe in Rudeln jagen. Die beiden Flugwesen, mit denen wir zusammenstießen, müssen uns schon von weitem erspäht haben. Doch dass sie die Herren dieser Welt sein sollen« – er schüttelte den Kopf – »völlig unmöglich!«

Nur undeutlich verstand er ihre gemurmelten Worte: »Wieso bist du so sicher?«

Webner lehnte sich zurück, legte die Fingerspitzen gegeneinander und dozierte wie bei einer Vorlesung:

»Man braucht nur an die Basis zu gehen. Alle Organismen haben in ihrer bestimmten Umwelt einen biologischen Zweck, oder sie sterben aus. Denkende Wesen machen da keine Ausnahme. Im Gegenteil, sie stammen ja ursprünglich von nicht denkenden Geschöpfen ab, die in eine Umwelt eingebunden waren, die nie künstlich modifiziert worden ist.

Auf nicht irdischen Welten können diese Wesen durchaus weit von unseren Vorstellungen abweichen, weil ihre Entwicklung unter nicht irdischen Bedingungen stattgefunden hat. Doch auf einer erdähnlichen Welt muss die Evolution zwangsläufig parallel zu unserer eigenen verlaufen sein. Natürlich, einige Abweichungen gibt es auch dann. Nehmen wir zum Beispiel die sechsbeinigen Wirbeltiere, deren Vorderglieder sich im Lauf der Zeit zu Händen ausgebildet haben, wodurch sie zu Centauroiden wurden – wie die Bewohner von Woden. Ihre Vorfahren waren Sechsbeiner. Doch auf dieser Welt hier sind, wie ihr selbst gesehen habt, die höheren Tierarten Vierbeiner.

Ein Wesen, das in der Lage ist, künstliche Gebilde wie dieses Haus da zu erschaffen, ist völlig hilflos ohne ein Äquivalent zu unseren Händen. Die Natur bringt ein solches Gebäude nie zustande, also müssen seine Bewohner Zweibeiner sein, wenn auch vielleicht mit äußerlichen Abweichungen von der uns gewohnten menschlichen Gestalt. Ein Fuß, der gleichzeitig als Hand dient – oder umgekehrt – würde keiner von beiden ihm zugedachten Funktionen auch nur annähernd gerecht. Außerdem würde die Natur in dieser Richtung kaum Mutationen zulassen, würde sie längst wieder vernichtet haben – lange bevor der Intellekt in seine erste Entwicklungsstufe eingetreten wäre. Was also haben diese Vogelwesen, das mit unseren Händen vergleichbar wäre?« Webner lächelte wieder sein überlegenes Lächeln.

»Die Klauen unter ihren Schwingen?«, fragte Yukiko schüchtern.

»Wohl kaum«, mutmaßte Turekian. »Ich habe es recht gut beobachten können. Sie können damit zwar zupacken, doch Dinge damit manipulieren, bearbeiten – nein!«

»Du hast gesehen, wie sich die Nestlinge bei der Flucht an den Eltern festklammerten«, bemerkte Webner.

»Vielleicht können sie mit ihren Krallen auch an Bäumen emporklettern. Auf der Erde gibt es einen ähnlichen Vogel, den Hoaktzin. Dieser Vogel verliert seine Fähigkeit jedoch während seines Wachstums. Vielleicht werden die Klauen hier zu extrem gefährlichen Waffen der ausgewachsenen Tiere.«

»Die Klauen …« Turekian runzelte die Stirn. »Zwei gegenüberliegende Daumenglieder neben drei mittleren, geraden Krallen. Könnten durchaus als Hände dienen.«

»Aber wie kommt das Wesen am Boden damit zurecht?«, beharrte Webner. »Man kann kein Werkzeug sinnvoll benutzen, wenn man schwebt oder fliegt – also wohl kaum Erz schürfen oder Steinhäuser bauen.«

Er hob den Zeigefinger.

»Noch etwas Grundlegendes«, fuhr er fort. »Fliegende Wesen sind in ihrem Körpergewicht begrenzt. Es stimmt, die Schwerkraft ist hier geringer als auf der Erde, aber auch der Luftdruck ist niedriger. Trotzdem dürfte der Vergleich in etwa hinkommen. Die größten Vögel, die sich auf der Erde jemals durch die Lüfte schwangen, wogen etwa fünfzehn Kilo. Ein schwereres Wesen hätte sich nie in der Luft halten können, der Stoffwechsel allein hätte die dafür nötigen Kräfte nie produzieren können. Wir haben an Bord anhand unserer Untersuchungen festgestellt, dass die örtlichen Lebensformen unseren auf der Erde ähnlich sein müssen. Also können diese Vogelwesen hier auch nicht schwerer sein als ein ausgewachsener Geier. Stimmt, sie sind sehr groß – und beeindruckend. Trotzdem bestehen sie nur aus Federn, Hohlknochen – einem aerodynamischen Skelett, überzogen mit dünnen Fleischpolstern.

Aram, du hast einige ihrer Gebrauchsgegenstände aufgehoben, zum Beispiel einen Steintopf. Oder denk an die Eimer, mit denen vermutlich Wasser vom Fluss hochgeholt wird. Wie schwer würdest du den schwersten davon schätzen?«

Turekian strich nachdenklich über seinen Bart.

»Vielleicht zwanzig Kilo«, antwortete er zögernd.

»Na bitte. Kein Flugwesen könnte das heben. Es war immer nur ein dummer Aberglaube, dass Adler Lämmer oder Babys wegschleppen. Sie könnten es gar nicht. Und diese Vogelwesen hier sind ebenso gehandicapt. Wer würde schon Dinge anfertigen, die er dann nicht tragen kann?«

»Hm …« Turekian brummte unbehaglich.

Webner fuhr ein noch stärkeres Argument auf: »Der Körper jedes Flugwesens auf einem erdähnlichen Planeten ist zu klein, um ein genügend großes Gehirn aufzunehmen, das wirkliche Intelligenz entwickeln könnte. Schon allein die einfachen tierischen Körperfunktionen verlangen den Stoffwechsel aller Körperzellen. Kleinere Vögel haben aufgrund ihrer Kopfform etwas mehr Gehirn, weil sie Schädel statt Kiefern haben – wie diese Vogelwesen, die du als Wachfalken bezeichnetest. Die großen Flugwesen hier jedoch haben weniger.«

Er zögerte.

»Tatsächlich«, sagte er dann langsam, »bezweifle ich sogar, dass man sie zu den höher entwickelten Tierarten rechnen kann. Mir scheinen sie recht dumm – und dabei gefährlich. Sollten wir nochmals mit ihnen zusammenstoßen, brauchen wir keine Gewissensbisse zu haben, sie zu vernichten.«

»Was geht in dir vor?«, flüsterte Yukiko. »Wäre es nicht möglich, dass er, sie oder es sich euch nur genähert hat, um euch aus der Nähe in Augenschein zu nehmen – unbewaffnet, in friedlicher Absicht?«

»Wenn es intelligent gewesen wäre – ja«, antwortete Webner.

»Doch da es, wie ich euch gerade bewiesen habe, nicht intelligent sein kann, bin ich sicher, dass es nicht in friedlicher Absicht kam. Ich habe uns vor ein paar schmerzhaften Verletzungen bewahrt, vielleicht sogar ein Leben gerettet.«

»Die Bewohner könnten etwas dagegen haben, dass wir auf ihr lebendes Eigentum schießen«, murmelte Turekian.

»Sie brauchen ja nur ihre … ihre Hunde zurückzupfeifen. Tatsächlich brauchte der Angriff auf uns nicht einmal befohlen worden sein, er könnte ja die unbewusste Reaktion auf die Panik sein, die wir durch unser Auftauchen ausgelöst haben.«

Webner erhob sich.

»Seid ihr nun beruhigt? Wir werden unsere Untersuchungen bis zur Dämmerung fortsetzen, lassen Geschenke da, ziehen uns zurück und hoffen auf einen freundlicheren Empfang, wenn wir merken, dass die Einheimischen zurückgekehrt sind.«

Zu den Geschenken für diese Zwecke gehörte meist auch ein Fernsehempfänger.

Turekian schüttelte den Kopf.

»Gegen deine Logik ist nichts einzuwenden, glaube ich. Und trotzdem schmeckt mir etwas daran nicht.«

Webner ging auf die Luftschleuse zu.

»Kann ich mitkommen?«, fragte Yukiko. »Bitte!«

»Nein«, entgegnete Turekian. »Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.«

»Uns droht keine Gefahr«, protestierte sie. »Unsere Handfeuerwaffen werden mit allen Flugwesen fertig, die uns nicht wohlgesonnen sein sollten. Wenn wir ringsum zusätzlich Sensoren auslegen, kann sich uns auch kein aufrecht gehendes Wesen bis auf Schussweite nähern, ohne dass wir es merken. Ich fühle mich hier drinnen eingesperrt.«

Sie schenkte Webner ein Lächeln. Der Xenologe überlegte.

»Warum eigentlich nicht?«, sagte er schließlich.

»Ich könnte einen ausgeglicheneren Assistenten gebrauchen.«

Er wandte sich an Turekian.

»Du kannst ja derweil den Geschützturm des Bootes besetzt halten, wenn du willst.«

»Mit Freuden«, brummte Turekian und folgte ihnen.

Er musste zugeben, der Chef verstand sein Handwerk. Bei der weiteren Erkundung wurde Gegenstand für Gegenstand einer peinlich genauen Untersuchung unterworfen. Sämtliche Dinge wurden gemessen, fotografiert und auf einem Mini-Recorder analysiert und kommentiert. Yukiko half Webner dabei. Bei solchen Erkundungsaufträgen musste jeder einige Kenntnisse von dem Spezialgebiet der anderen Teilnehmer besitzen. Doch Webner benötigte für seine Arbeit nur eine einzige weitere Person.

»Was soll ich tun?«, fragte Turekian.

»Du hast die schwerste Aufgabe«, spottete der andere. »Beobachte meinetwegen den Wald, aber steh mir dabei nicht im Weg.«

Yukiko war zu fasziniert von der Arbeit, um ihn zurechtzuweisen. Turekian schluckte seinen Groll, stopfte sich eine Pfeife und schlenderte, wütend dicke Wolken paffend, in der Gegend umher.

Am Pferch lehnte er sich auf einen Balken und beobachtete die Wesen darin.

»Ihr müsst gefüttert werden«, entschied er plötzlich, ging in die Scheune, deren Tür im Gegensatz zu der des Hauses nicht verriegelt war, und entdeckte eine Sense und ein paar Mistgabeln, die ihn trotz einiger unterschiedlicher Details an einige Geräte in einer der Hinterwäldler-Siedlungen auf Hermes erinnerten, die er einmal besucht hatte. Zu Beginn der Raumfahrt waren solche einfachen Gerätschaften zur Kolonisierung neuer Planeten wichtiger gewesen als moderne landwirtschaftliche Maschinen. Der Farmer dort hatte eine Tochter gehabt … Erinnerungen tauchten auf, während er sich daran machte, einen Ballen dieser zimtfarbenen Futterpflanzen auseinanderzuzerren.

»He, du!« Webner schaute zu einem Fenster hinein. »Was hast du vor?«, rief er.

»Dieses Viehzeug ist hungrig«, antwortete Turekian. »Hör doch nur wie sie brüllen.«

»Woher willst du wissen, was ihre Bedürfnisse sind? Oder die der Besitzer? Wir sind nicht hier, um den lieben Gott zu spielen. Das nur zu deiner Information! Wir sind hier, um zu lernen und möglicherweise zu helfen. Schaff das Zeug wieder dahin, wo du es hergeholt hast!«

Turekian schluckte seinen Groll darüber, dass Yukiko diese Demütigung vielleicht mitbekommen haben könnte – und kam dem Befehl nach. Webner war sein Captain, bis sie wieder vom Boden abhoben.

Himmel … Vögel … er beobachtete die ›Taubenschläge‹. Die Pseudofalken flatterten umher, kreischten zornig, waren aber zu klein, um ihm etwas anzuhaben. Wurden die großen Flugwesen ausschließlich als Schutz gegen größere ›Boden-Räuber‹ gehalten? Turekian beobachtete die Herde. Die Tiere dösten, stampften umher oder wälzten sich im Schlamm, fett und behäbig, schon lange zahm und abgerichtet. Doch bei keinem der Tiere entdeckte er die kiemenartigen Schlitze wie bei …

Ein Schatten … Turekian schaute auf und griff nach seinem Fernglas. Ein halbes Dutzend dieser Riesen schoss heran, die Mittagssonne ließ ihre Federn aufglühen. Sie flogen jedoch zu hoch, um Einzelheiten erkennen zu lassen. Turekian betätigte rasch die Schalter an seiner Antigrav-Einheit und flog zum Haus hinüber. Webner und Yukiko befanden sich im fünften Stockwerk. Turekian flog durch ein Fenster. Er hatte jetzt keinen Blick mehr für die spartanische Einrichtung des Gemachs.

»Sie kommen«, rief er. »Wir kehren besser schleunigst zum Boot zurück.«

Webner trat auf den Balkon hinaus.

»Nicht nötig«, sagte er. »Ich glaube kaum, dass sie angreifen werden. Tun sie es trotzdem, sind wir hier drinnen sicherer als im offenen Gelände.«

»Es wäre vielleicht besser, wenn wir die Läden schließen«, sagte das Mädchen.

»Auch die Tür zu diesem Raum«, pflichtete Webner ihr bei. »Das wird sie aufhalten. Sie werden dann recht bald die Geduld verlieren und wieder verschwinden – wenn sie überhaupt so etwas vorhaben. Sollten sie uns aber doch wider Erwarten angreifen, können wir uns den Weg freischießen oder über das Landungsboot einen Hilferuf absetzen, sobald die ›Olga‹ unseren Horizont überfliegt.«

Webner betrat wieder das Gemach. Turekian bezog seinen Platz auf dem Balkon und spähte in den Himmel. Weitere geflügelte Wesen waren inzwischen zu den ersten gestoßen, und ihre Zahl wuchs mit jeder Sekunde. Sie stürzten im Steilflug herab, schwangen sich wieder in den Wind und kreisten über den Baumwipfeln.

Ein ungutes Gefühl beschlich den Piloten.

»Mir gefällt das ganz und gar nicht«, rief er den anderen zu. »Sie verhalten sich nicht wie harmlose Tiere.«

»Möglicherweise planen ihre Besitzer einen Sturmangriff mit ihnen«, sagte Webner. »In diesem Fall müssten wir ihnen leider einen Denkzettel für ihre Unfreundlichkeit verpassen.«

Doch seine Stimme klang weniger überzeugend als seine Worte, und die Schweißtropfen auf seiner Stirn straften seine äußere Ruhe Lügen.

Lichtreflexe im Fernglas stachen grell in Turekians Augen.

»Ich wette, sie schleppen irgendetwas Metallisches mit sich«, brummte er. »Hört zu, wenn sie trotz allem intelligente Wesen sein sollten – und scharf darauf, uns zu erwischen, nachdem wir beinahe eines von ihnen getötet haben, – dann ist dieses Haus nicht der richtige Ort für uns. Machen wir, dass wir hier weg kommen. Uns bleiben vielleicht noch ein paar Minuten.«

»Ja, vielleicht ist es wirklich besser, Vaughn«, drängte nun auch Yukiko. »Wir dürfen nicht riskieren, auf intelligente Wesen schießen zu müssen – auf ihrem eigenen Grund und Boden.«

Möglicherweise gab Webners Abneigung gegenüber dem Piloten den Ausschlag.

»Wie oft soll ich noch erklären, dass es ein solches Risiko nicht gibt? Im Gegenteil, wir haben hier eine Möglichkeit, etwas zu erfahren. Was jetzt geschieht, kann uns wertvolle Aufschlüsse geben. Wir bleiben.« Und zu Turekian gewandt: »Vergiss das Metall, das du angeblich gesehen hast. Vermutlich sind es nur Schutzringe um den Hals. Und zügle gefälligst deine ausschweifende Phantasie!«

Der andere erstarrte auf der Stelle, wo er stand.

»Aram!« Yukiko ergriff seinen Arm. Er starrte auf sie herab.

»Was ist los?«

Er schüttelte ihren Arm ab.

»Meine ausschweifende Phantasie«, murmelte er. »Bei Gott, ja!«

Und plötzlich bellte er: »Wir verschwinden! In dieser Sekunde! Die Wesen da draußen sind die Bewohner dieses Hauses, und sie haben die ganze Nachbarschaft gegen uns aufgeboten!«

»Hüte deine Zunge«, warnte Webner, »oder ich werde dich wegen Insubordination zur Verantwortung ziehen.«

Tief aus Turekians Brustkorb ertönte ein rollendes Gelächter. »Juhu, Meuterei!«

Er duckte sich und sprang vorwärts. Seine Faust flog seinem Körper voran. Yukikos Aufschrei vereinte sich mit dem dumpfen Klatschen, mit dem Turekians Faust gegen Webners Solarplexus prallte. Webner stieß pfeifend die Luft aus. Er verdrehte die Augen und knickte in den Beinen ein. Er war halb bei Bewusstsein, jedoch nicht in der Lage, sich wieder aufzurichten, während er krampfhaft nach Luft schnappte. Turekian fing ihn mit den Armen auf.

»Zum Boot – schnell!«, schrie er. »Beeil dich, Mädchen!«

Seine Antigrav-Einheit war nicht in der Lage, zwei Personen gleichzeitig zu tragen, dämpfte aber den Aufprall auf den Boden nach dem Sprung vom Balkon. Turekian versuchte erst gar nicht, die notwendigen Schaltungen an Webners Antigrav vorzunehmen. Seinen Chef auf den Armen tragend lief er in Richtung Landungsboot davon. Yukiko folgte ihm.

Wenn man weiß, was einen in etwa erwartet, kann man vorausplanen. Als nächstes besuchten wir andere Stämme auf Ythri, wie der Planet von seiner fortschrittlichsten Kultur genannt wird, etwa tausend Kilometer entfernt von dem Ort des Überfalls durch die Vogelwesen. Unsere Annäherung an diese Stämme erfolgte vorsichtig, mit viel Geduld. Da wir auf die Art der Wesen eingingen, empfingen sie uns begeistert und herzlich. Ehe wir sie wieder verließen, war in ihnen der Wunsch erwacht, Handelsbeziehungen mit uns anzuknüpfen. Ich bin sicher, dass sie wenige Generationen später schon Raumschiffe haben werden.

Trotzdem sind sie im Grunde gebunden an ihr Territorium – so wie der Mensch gebunden ist an seine Sexualität. Diesen wichtigen Gesichtspunkt dürfen wir nie vergessen. Der Grund liegt in der Evolution der Vogelwesen. Sie ist überall Ursprung einer jeden Lebensform. Der Ythrianer frisst, abgesehen von einigen süßen Fruchtarten, ausschließlich Fleisch. Und Wesen, die sich von Fleisch ernähren, brauchen zwangsläufig mehr Raum für jedes Individuum als zum Beispiel Pflanzen- oder Allesfresser, trotz der Tatsache, dass ein Kilo Fleisch mehr Kalorien hat als ein Kilo Gemüse. Jede Antilope braucht einen gewissen Lebensraum. Vielleicht sollte man tatsächlich einmal überlegen, wie viele Antilopen nötig sind, um ein Rudel Löwen zu ernähren. Xenologen haben Tausende von Seiten gefüllt über die Wechselbeziehung zwischen Nahrung und arttypischer Persönlichkeit von Eingeborenen. Ich für meinen Teil melde Zweifel an am Wert und der Vollständigkeit solcher Untersuchungen. Denn eine Rasse wie die der Ythrianer wird in ihnen nicht erwähnt, eine Rasse, deren Gebundenheit an ein bestimmtes Territorium und deren extreme Individualität – mit allen Konsequenzen wie Regierungen, Lebensart, Kunst und Gemeinschaftsleben überhaupt – nicht zuletzt von ihrem großen Appetit diktiert werden.

Die Vogelwesen haben ein Körpergewicht bis zu dreißig Kilogramm. Trotzdem schaffen sie es, das gleiche Gewicht zu heben, oder – unbehindert – wie Dämonen durch die Luft zu schnellen. Außerdem haben sie eine gewisse Zivilisationsstufe erreicht, ohne sich dafür in engen Städten zusammenpferchen zu müssen. Die Stadtbewohner sind ohnehin meistens nur ihre Kriminellen und Sklaven, denen die Flügel gestutzt worden sind. Doch die ythrianischen Führer hoffen, dass so etwas bald nicht mehr nötig sein wird, wenn Roboter deren Arbeit übernehmen können.

Ihre Hände? Es sind diese Krallen, die zur Handhabung nur modifiziert wurden. Ihre Füße? Diese Klauen unter den Schwingen, frühzeitliche Ausbildungen, die sich im Lauf der Zeit fortentwickelten. Die Schwingen selbst bestehen wie bei den Vögeln aus Schulterbein, Spannknochen und Elle. Beim Flug ermöglichen sie die enorme Spannweite. Sind die Flügel eingefaltet, bilden sie eine Art Knie. Die drei überlangen Finger der Klaue stehen nach hinten und halten den ganzen Körper im Gleichgewicht, wenn sich das Vogelwesen auf dem Boden fortbewegt. Um sich in die Lüfte zu schwingen, machen die Ythrianer in etwa einen Handstand, um die Schwingen entfalten zu können. Doch die ganze Prozedur nimmt kaum eine Sekunde in Anspruch.

Es stimmt, zu Fuß bewegen sie sich nur sehr langsam und beschwerlich vorwärts. Doch sie können es. Infolge ihrer Größe und Bewaffnung brauchen sie kein anderes Wesen unter dem Himmel zu fürchten. Ihr fragt euch sicher, woher sie die Kräfte nehmen, ihre gewaltigen Körper durch die Luft zu schwingen. Sie oxidieren die Nahrung, was sonst? Daher auch der immense Bedarf eines jeden Haushaltes an Fleisch, daher die weit verstreuten Anwesen. Der kritische Faktor bei diesen Wesen ist die Sauerstoffzufuhr. Ihr Blutplasma kann mehr Sauerstoff aufnehmen als das Hämoglobin, doch das Gas muss umgewandelt werden. Turekian erkannte als Erster, wie das vor sich ging. Der Ythrianer hat Lungen, ein passives Atmungssystem ähnlich dem unseren. Zusätzlich besitzt er aber noch durch die ›Kiemen‹ an beiden Brustseiten ein ›Gebläse‹, ein Überbleibsel seiner vielleicht amphibienähnlichen Vorfahren. Durch die Flügelmuskulatur wie Pumpen bewegt, direkt mit dem Blutkreislauf verbunden, erlauben ihm diese Luftansaug-Organe, seine Kalorien so rasch, wie in bestimmten Situationen nötig, zu ›verbrennen‹. Ich frage mich, wie es sein mag, so zu leben. Ich erinnere mich, wie Yukiko Sachansky dicht neben Aram Turekian stand, im schwindenden Licht der Dämmerung den Abschiedstanz der Ythrianer beobachtete und unter Tränen ausrief:

»So fliegen zu können – was gäbe ich dafür!«

Diese Begegnung trug sich ganz zu Beginn der Raumfahrt zu. Aufgezeichnet ist sie in dem Buch ›Abenteuer Weltraum‹ von Maeve Downey, einer Autobiographie des Planetologen.

Ihr wisst alle, welchen Einfluss die Große Suche auf die Leute nahm, die ihre wirkliche Bedeutung kannten. Die Ythrianer jedenfalls waren später nie in der Lage, diese sinngemäß zu überliefern, verstanden nicht die Lieder, Bücher und die Kunst der Stammväter. Die Wiederkehr der Irdischen, die erste gegenseitige Erforschung, aufblühender Handel, dann Hader und Streit, durch unsere fortschrittliche Technik hervorgerufen, die geschichtlichen Hintergründe jeder Generation – von all diesen Dingen wurde in vielen Büchern berichtet. Weitgehend unbekannt dagegen ist leider das zwischenzeitliche Geschick der Menschheit.

Ihr Staatenbund setzte sich aus zahlreichen Nationen zusammen, zu denen später noch weitere hinzukamen. Den Begriff Nation zu erklären, dürfte wohl kaum nötig sein, trotzdem wollen wir es zur Verdeutlichung nochmals tun. Innerhalb eines genau abgegrenzten Territoriums wohnen eine große Zahl von Menschen, die sich auf ganz subtile Art, die nichts mit eigenem Besitz und aufgeteiltem Lebensraum zu tun hat, mit diesem Land – und auch miteinander – identifizieren. Von ihnen werden Gesetze und Moral weniger aus Stolz und Selbstachtung als aus Angst vor persönlichem Schaden oder aus Furcht vor körperlicher Gewalt erlassen. Gesetzgeber und -wahrer sind die sogenannten Regierungen. Eine einzige kleine Gruppe, die sich permanent gegen die übrige Gemeinschaft auflehnt, könnte Tod und Verwüstung verursachen, wo immer sie auftritt, und dies als ihre Weltanschauung und das ihr zustehende Recht bezeichnen. Deshalb betrachtet man Willfährigkeit und Zusammenarbeit als ehrenhaft, Widerstand als verdammenswert – besonders, wenn eine Nation mit der anderen im Krieg liegt, denn jedes dieser Gemeinwesen hat Kräfte, die nicht durch Gesetz, Mäßigung oder Klugheit begrenzt werden, sondern nur durch ihre eigene Stärke.

Ihr wisst alle genau, dass die meisten Menschen auf Avalonimmer noch unter einer modifizierten Regierungsform leben. Doch der Einfluss der Regierung ist scharf abgegrenzt, sowohl in der Praxis wie auch durch Gesetze. Aber das ist eine andere Sache. Man kann die Struktur des jungen Terranischen Imperiums nicht begreifen, wenn man den Begriff ›Nation‹ nicht richtig zu deuten weiß.

Um also die Aktivitäten der wenigen Außenseiter, die den eigenen Planeten in Schutt und Asche zu legen drohten, rasch und effektvoll zu unterbinden, wurde schließlich der Staatenbund, das Commonwealth, als Nation aller Nationen gebildet. Dies war nicht schnell, einfach und rational von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Es war ein langwieriges, mühseliges und teilweise grausames Unterfangen. Trotzdem erreichte man schließlich das Ziel – und eine Zeitlang schuf das Commonwealth Ruhe unter den ihm angehörenden Nationen. Unter seinem Schutz wuchsen Wohlstand und Zufriedenheit.

Unabhängig davon schritt die Erforschung dieses Teiles der Galaxis unaufhaltsam voran. Für Menschen bewohnbare Welten, auf denen keine intelligenten Wesen lebten, wurden besiedelt. Unsere Spezies begann, ihre ersten Gehversuche außerhalb des eigenen ›Nestes‹. Meist waren dies nur ganz kleine Siedlergruppen.

Die gleiche Expedition, der die Entdeckung der Welt Ythri zugeschrieben werden muss, hatte ihr Glück auch mit Avalon versucht. Doch trotz zahlloser Reichtümer lag der Planet zu dieser Zeit noch zu weit entfernt von der Heimatsonne Sol und geriet deshalb bald wieder in Vergessenheit. Aber auch seine Zeit sollte kommen! Es ereignete sich etwas, das es wert ist, hier wiedergegeben zu werden. Rennhi fand die Unterlagen, Kopien einer Aufzeichnung von der Erde, in den Archiven der Universität von Fleurville auf dem Planet Esperanza. Es war die Privatkorrespondenz zweier Menschen, von den Nachfahren des zuletzt Gestorbenen nach seinem Tod sorgsam aufbewahrt. Ein Historiker, der bei ihnen zu Besuch weilte, machte sich davon Kopien, veröffentlichte sie jedoch nie. Gott hat alle, die davon betroffen sein könnten, schon lange zu sich genommen, so dass es niemandes Ehre verletzen könnte, diese Geschichte hier wiederzugeben.

Ihr Wert liegt in der Ansicht der Menschen über uns, einer Meinung, die ihren Ursprung in unserem Wesen findet und uns vielleicht einen Einblick in das Wesen der Menschen gewährt.

Vom Sinn des Leidens

Vielleicht kann nur ein Christ diese Geschichte verstehen. In diesem Fall bin ich kaum kompetent. Doch mich beherrscht ein großes Interesse an Religionen, vielleicht, weil ich die Psychologie als Hobby pflege und weil ich immer und überall, wo ich hingehe, eine Bibel mit mir führe – sei es auch nur wegen der Erhabenheit ihrer Worte.

Das war auch der Grund, weshalb mir Peter Berg erzählte, was sich in seiner Vergangenheit zutrug. Er suchte verzweifelt nach dem Sinn dahinter, doch bis jetzt hatte kein Priester, an den er sich um Rat wandte, seine Fragen hinreichend beantworten können, um den Ärmsten zur Ruhe kommen zu lassen. Es gab für Peter nur noch eine einzige Chance, dass ein Unvoreingenommener wie ich eine Erklärung fand, die ein gläubiger Mensch nicht zu erkennen imstande war.

Sein untergeordnetes Problem war ganz einfach seine Einsamkeit. Wir befanden uns als Angehörige einer Untersuchungskommission auf Luzifer. Der Name ist äußerst zutreffend für diese Welt, denn sie wird niemals eine echte Kolonie werden können für Wesen, deren Ahnen einen grünen Planeten bewohnten. Doch für eine kurze Zeit konnte man diesen Planeten ertragen, und seine Bodenschätze schienen unermesslich. Dies aber genau festzustellen waren wir hier. Auch eine friedlich erscheinende Umwelt verbirgt unzählige tödliche Fallen, bis man die Schwierigkeiten kennt und sie in den Griff bekommt. (Die Erde ist da keine Ausnahme.)

Manchmal stößt man auf Probleme, die nicht ökonomisch gelöst werden können – oder unlösbar sind. Dann bleibt nichts anderes übrig, als diese Region oder gar den ganzen Planeten abzuschreiben und sich nach einer anderen Welt umzusehen.

Wir hatten vertraglich vereinbart, drei Standard-Jahre auf Luzifer zu arbeiten. Die Entlohnung war ausgesprochen großzügig, doch erst an Ort und Stelle wurde uns klar, dass kein auch noch so gut gepolstertes Bankkonto uns einen einzigen Tag zurückkaufen konnte, den wir statt auf dieser Welt unter einer freundlichen Sonne verlebt hätten. Aber alle Teilnehmer der Kommission vermieden es sorgfältig, über diese Erkenntnis miteinander zu reden.

Etwa zur Halbzeit unserer Verpflichtungsdauer erhielten Peter Berg und ich den Auftrag, eine eingehende Untersuchung der Ökologie eines bestimmten Gebietes im mittleren Norden des Planeten durchzuführen. Für uns bedeutete dieser Auftrag Wochen – die schließlich zu Monaten wurden – in einem Testgebiet, weit genug entfernt, um auch die geringste Ablenkung durch unsere zurückbleibenden Gefährten auszuklammern. Ein Versorgungsboot dann und wann war unsere einzige Verbindung mit ihnen. Die Elektronik konnte zur Kontakterhaltung kaum beisteuern, da dieser verdammte Planet mit seinen seltsamen Energiefeldern sie ständig auf den Kopf stellte.

Unter solchen Bedingungen lernt man zwangsläufig seinen Partner besser kennen als sich selbst. Peter und ich kamen gut miteinander zurecht. Er war ein großgewachsener, blondhaariger junger Mann mit Sommersprossen im Gesicht, alles in allem ein erträglicher Zeitgenosse, freundlich, höflich und ausgeglichen, und in keinem Falle ein Aufschneider und Angeber. Offen gesagt mangelt es ihm etwas an Humor – trotzdem kann ich ihn als Gefährten nur empfehlen. Er weiß eine Menge zu erzählen von seinen eigenen Weltenwanderungen, doch er hört aufmerksam und interessiert zu, wenn andere von ihren Erfahrungen berichten. Auch ist er sehr belesen – und außerdem ein ausgezeichneter Koch. Schach spielt er mindestens ebenso gut wie ich.

Ich wusste schon lange, dass er nicht von der Erde stammte, tatsächlich nie dort gewesen war. Er kam von Aeneas, fast zweihundert Lichtjahre von der Erde und etwa dreihundert Lichtjahre von Luzifer entfernt. Er wuchs weitab von der Zivilisation der großen Städte im Hinterland auf, erhielt aber seine Ausbildung auf der Universität von Nova Roma, der Hauptstadt seiner Heimatwelt. Möglicherweise erklärt dies seine tiefe Gläubigkeit an einen Gott, der, Fleisch geworden, aus Liebe zu den Menschen sein Leben dahingab.

Glaubt nicht, ich spotte! Wenn Peter morgens und abends in unserer Unterkunft, die aus nur einem einzigen Raum bestand, vertrauensvoll wie ein Kind seine Gebete sprach, versuchte ich, ihn möglichst nicht dabei zu stören, und tat ich es doch einmal, kam nie ein Wort des Vorwurfes über seine Lippen. Doch es führte im Lauf der Wochen dazu, dass wir uns eingehender über diese Dinge unterhielten.

Schließlich erzählte er mir von seinem Problem.

Wir waren den ganzen, auf Luzifer sehr langen Tag draußen gewesen, hatten wie die Irren gebuddelt, dass uns der Schweiß aus allen Poren lief, die Wäsche an der Haut klebte, und wir stanken wie die Ziegen. Unsere Laune war durch Ärger und Müdigkeit auf den Nullpunkt gesunken. Einmal schwebten wir sogar in tödlicher Gefahr: Und doch hatten wir endlich die Uranader entdeckt, die die Ursache für die unheimliche Einöde ringsum war. Wir kehrten zu unserem Lager zurück, als der Tag in die übliche Dämmerung überging, wuschen uns, aßen etwas und schliefen mit dem Tosen eines Sandsturmes als Schlaflied ein. Zehn oder zwölf Stunden später erwachten wir und erblickten durch die Glasfiber-Paneele unserer Unterkunft die Sterne an einem kristallklaren Himmel, flammenden Sonnen gleich, das Land ringsum überzogen von schimmerndem Raureif, die seltsam gewundenen Dinge, die wir als Bäume bezeichneten, bedeckt mit glitzerndem Eis.

»Bis zur Dämmerung können wir kaum etwas tun«, sagte ich, »außerdem haben wir uns die Pause für eine kleine Feier redlich verdient.«

Also bereiteten wir uns ein üppiges, ausgedehntes Mahl. – Frühstück oder Abendessen? Egal, was bedeutete das hier schon? Dazu tranken wir Wein und hinterher genehmigten wir uns einige Cognacs, während wir nebeneinander in unseren Sesseln den fortwährenden Wechsel der Sternbilder am Himmel verfolgten, die von der Erde oder Aeneas aus nie zu sehen waren. Und wir unterhielten uns. Schließlich sprachen wir von Gott.

»… vielleicht kannst du mir dabei helfen«, sagte Pete schließlich.

Im schwachen Lichtschein sah ich, dass sein Gesicht zuckte. Er starrte vor sich hin und bewegte nervös die Hände.

»Ich weiß nicht«, antwortete ich vorsichtig. »Ich will dir nicht wehtun, doch um ehrlich zu sein: Gespräche über Theologie erscheinen mir sinnlos.«

Er schaute mich offen an. Seine Stimme war sanft:

»Willst du damit sagen, dass sich deiner Meinung nach keine Paradoxa ergeben, wenn wir unseren Glauben ablegen?«

»Ja, ich respektiere deinen Glauben, Pete, doch es ist nicht meiner. Aber angenommen, ich sähe hinter diesem Universum da eine, na, sagen wir, geistige Macht oder sonst etwas«, – mit diesen Worten deutete ich hinaus zu dem leeren, hässlichen Himmel – »können wir anhand eines kleinen, begrenzten Dogmas, einer unscheinbaren Glaubensthese, wirklich jemals erklären oder begreifen, wer oder was das da draußen geschaffen hat?«

»Nein, ich stimme dir völlig zu. Wie könnte ein zeitlich begrenzter Geist jemals das Ewige, Unendliche begreifen? Wir sehen nur Bruchstücke, und da auch nur die, die Gott uns zu erkennen erlaubt, die uns offenbart sind.«

Er holte tief Luft.

»Lange vor Beginn des Raumfahrtzeitalters hat die Kirche erklärt, dass Jesus ausschließlich zur Erde, nur zu den Menschen herabgestiegen sei. Sollten andere Intelligenzen im Raum der Erlösung bedürfen – und davon gibt es offensichtlich eine Menge – wird der Herrgott schon Seine Vorsehung für sie walten lassen, da bin ich sicher. Das bedeutet aber nicht, dass die christliche Lehre unwahr ist, oder dass andere Glaubensrichtungen nicht falsch sind.«

»Wie etwa die Vielgötterei, die man hie und da antrifft?«

»Ja, zum Beispiel. Außerdem entfalten sich Religionen in die verschiedensten Richtungen. In primitiven Religionen werden Gott, oder die Götter, gleichgesetzt mit Macht und Gewalt, höherstehende Glaubensrichtungen symbolisieren mit Ihm die Gerechtigkeit, und nur die am weitesten entwickelten Religionen sehen in Ihm die Liebe.«

Er schwieg abrupt und ballte die Fäuste. Dann ergriff er sein Glas, kippte seinen Inhalt in sich hinein und füllte es wieder – alles fast gleichzeitig mit einer einzigen, ungebärdigen Bewegung.