Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Aufbruch ins weite Meer - Antonia Michaelis - E-Book

Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Aufbruch ins weite Meer E-Book

Antonia Michaelis

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Beschreibung

Es ist Spätsommer, als der Seehund Minik sich auf den Weg macht: hinaus in die Ostsee, einem geheimnisvollen Klang folgend. Aber die See ist nicht nur voll verborgener Schönheit, dort lauern auch viele Gefahren – Gefahren, die oft von den Menschen ausgehen. Da lernt Minik den Buckelwal Lottazwei kennen, der ihm mehr als einmal das Leben rettet. Lottazwei möchte die Ostsee verlassen und Minik schließt sich seinem neuen Freund an. Aufregende Abenteuer, erstaunliche Wunder der Natur und das spannende Leben der Tiere – diese Kinderbuch-Reihe entführt Jungen und Mädchen ab 8 Jahren in die verschiedenen Lebensräume der Erde. Ob im tiefen Meer oder im dichten Wald: In diesen Geschichten erleben Tiere wunderschöne und zugleich bewegende Abenteuer. Mit berührenden und coolen Schwarz-Weiß-Illustrationen. Lehrreich wie ein Sachbuch und berührend wie ein Disney-Klassiker! Für Fans von Peter Wohlleben und Karsten Brensing. Alle Bände dieser Reihe: Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Aufbruch ins weite Meer Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Minik - Der Ruf der Arktis Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Abenteuer im Korallenriff Das geheime Leben der Tiere (Ozean) - Ein Seehund findet nach Hause Die Titel sind auf Antolin.de gelistet.

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Seitenzahl: 131

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Für alle Kinder, die die Ostsee lieben.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1

An einem klaren Tag Ende August schwamm vor der Insel Öland eine kleine graue Boje.

Wenn man näher hinsah, bemerkte man, dass die Boje Tasthaare hatte.

Und zwei schwarze Knopfaugen.

Das war ungewöhnlich für eine Boje.

Und dann tauchte die Boje weg. Offenbar war es gar keine Boje, sondern ein Seehund. Er schwamm jetzt unter Wasser, von oben hätte man nur noch seinen Schatten gesehen: rasch dahingleitend, elegant.

Die Insel Öland liegt vor Schweden und der Schatten schwamm nach Süden. Es gab keinen Grund, nach Süden zu schwimmen, die anderen Seehunde blieben vor Öland. Aber da war der Klang.

Dieser Klang, den er sich nicht erklären konnte. Er war verwirrend. Geheimnisvoll. Und kam von Süden.

Als der Seehund den Klang zum ersten Mal gehört hatte, hatte er noch Milch bei seiner Mutter getrunken. Dann, nach ein paar Wochen, hatte sie ihn verlassen, wie Seehundmütter es tun, und er hatte eine Weile nach ihr geheult. Er hatte begonnen, Krebse und Muscheln zu fressen, wie die anderen jungen Seehunde. Irgendwann hatte er gelernt, Fische zu jagen. Und eines Nachts, als er unter einem klaren Sternenhimmel tauchte, hatte er ihn wieder gehört: den Klang. Wunderschön und melodiös, wie ein Rufen.

„Was ist das?“, hatte er die anderen gefragt, auf Seehundart, mit Gedanken, ohne Worte.

„Vergiss es“, hatten sie gesagt. „Es ist fremd und was fremd ist, ist gefährlich. Wir tauchen bei allen Geräuschen weg, die wir nicht täglich hören. Das ist eine Regel.“

Aber er hatte den Klang nicht vergessen können.

Und als der Sommer sich dem Ende zuneigte und er ihn zum dritten Mal hörte, beschloss er, ihm zu folgen.

Also schwamm er nach Süden, auf die deutsche Küste zu.

Er war allein und seine Knopfaugen glänzten vor Neugier.

Er schwamm den ganzen Tag durch und dann sah er die Küste. Das Geräusch, das von dort gekommen war, war fort. Vielleicht versteckte es sich vor ihm.

Die Küste war nicht felsig wie die, an der er geboren war. Nein, sie war hell und sandig: ein langer, strahlender, flacher Streifen. Das Licht ließ den Streifen glitzern und der Seehund dachte: „Zauberland. Ich möchte mich dort hinlegen und mich in der Sonne ausruhen. Aber es sind keine anderen Seehunde da. Sonst sonnen wir uns in Gruppen, nur beim Jagen sind wir allein …“

Er tauchte ab, um sich dem Zauberland unter Wasser zu nähern, und da sah er etwas noch viel Schöneres: Er sah Fische. Einen ganzen Haufen Fische. Sie schwammen eng beieinander, als unterhielten sie sich. Er hatte nicht gewusst, dass Fische sich unterhielten. Sonst waren sie immer in Bewegung. Der Magen des jungen Seehundes knurrte.

Er schoss mitten hinein in die glitzernde Fischpracht.

Ein eiliger Seehund kann so schnell schwimmen, wie ein schneller Radfahrer fährt, 35 Stundenkilometer, aber natürlich wusste der Seehund nichts von Fahrrädern. Er wusste nur, dass er zu diesen Fischen wollte. Er war jetzt ganz nah und da sah er, dass etwas nicht stimmte.

Da war etwas um die Fische herum. Glänzende Linien. Aber es war zu spät, um abzubremsen – so ist es mit Autos auch.

Er hatte das Maul bereits geöffnet, schnappte einen Fisch und dabei zerriss etwas, er hörte es. Und als er versuchte wegzuschwimmen, war es unmöglich.

Etwas hatte sich um seinen Hals gewickelt. Er wurde gegen die Masse der Fische gedrückt und ließ seinen eigenen Fisch los. Verwirrt.

Er fing an, mit diesem Etwas zu kämpfen.

„Es muss ein Tier sein“, dachte er. „Ein seltsames Tier, das nur aus Linien besteht.“ Dieses Tier fing Fische, ließ sie aber am Leben. Und es fing Seehunde. Es wickelte sich um einen und je stärker man zog, desto fester hielt es einen. Er schlug um sich, panisch.

Er hatte gedacht, die gefährlichsten Tiere, die es gab, wären die alten Kegelrobben, die manchmal junge Seehunde rissen.

Er musste dringend auftauchen und atmen.

„Lass los, du Biest!“, schrie er dem Tier entgegen, lautlos, in panischen Seehundgedanken. „Ich will zu dieser Küste! Ich will noch jede Menge Dinge sehen! Ich habe gerade erst mit dem Leben angefangen. Es ist falsch, wenn ich jetzt schon wieder damit aufhöre!“

Und dann, mit einem verzweifelten Ruck, bekam er seinen Kopf frei. Wieder riss etwas. Vielleicht hatte er das Tier kaputt gemacht? Selbst schuld, wenn es ihn festhielt.

Er schoss an die Oberfläche, um Luft zu holen.

Aber da geschah etwas Neues.

Auf einmal wurde es laut.

Etwas lärmte unter Wasser, kam näher. „Das Tier“, dachte der Seehund, „hat seine Artgenossen gerufen und jetzt kommen sie und knurren.“ Aber eigentlich war das Knurren mehr ein Dröhnen, so laut, dass es in den Ohren wehtat, und auf einmal schwamm auch die Masse an Fischen aufwärts.

Der Seehund sah, dass ganz nah ein Boot auf den Wellen schwamm. Er sah es etwas verschwommen, unter Wasser sah er besser, aber es war eindeutig ein Boot. Natürlich, Boote machten Lärm, er kannte das.

Aber nur von Weitem. Dieses Boot war nah. Es trug ein Haus. Irgendwer hatte ihm gesagt, dass die Boot-Tiere sich Höhlen an Land bauten, die sie „Haus“ nannten. Sie lebten darin, wie manche Fische in Höhlen lebten, und hier war eines, das schwamm.

Und ein Boot-Tier. Sein Fell glänzte glatt wie Seehundfell. Eine Möwe hätte „orange“ gedacht, aber Seehunde sehen Farben nur schlecht.

Jetzt hatte das Tier ihn gesehen. Sein Gesicht war hell wie eine Muschel.

Der Seehund wünschte, das Tier wäre unter Wasser, denn dort konnte er besser sehen.

„Wer bist du?“, fragte er das Tier mit seinen Gedanken. „Willst du spielen? Sieh dich vor, hier sind eine Menge Fische, aber wenn man sie fressen will, wickelt sich ein unsichtbares Tier um einen!“

Das Boot trieb noch näher. Es war jetzt nicht mehr so laut.

Und da fiel dem Seehund ein, wie man die Tiere auf den Booten nannte: Menschen.

Der Mensch bellte wie jemand, der sein Revier verteidigte. Und der Seehund begriff, was er sagen wollte: „Das sind meine Fische!“

Dieser Mensch war böse auf ihn. Vielleicht arbeitete er mit dem unsichtbaren Tier zusammen.

„Ich wusste nicht, dass es deine Fische sind“, sagte der Seehund mit seinen Gedanken.

Aber der Mensch hielt jetzt etwas in den Flossen. Nein, er hatte gar keine richtigen Flossen, sondern etwas, das zum Schwimmen völlig ungeeignet schien. Der Seehund erinnerte sich, dass man es „Hände“ nannte. Es sah nicht gut aus. Er umklammerte damit ein Ding wie einen Aal, lang und glänzend. Dunkel. Aber ganz steif.

Es klickte: ein irgendwie kaltes Geräusch.

Es klang, obwohl der Seehund es sich nicht erklären konnte, nach Tod.

Etwas in ihm sagte: „Schwimm weg. Tauch unter. Flieh!“

Aber er konnte nicht, er war starr vor Schreck.

Der Mensch brüllte jetzt wie ein alter Seehund oder eine Kegelrobbe, die mit einem Artgenossen kämpfte. Er brüllte abgehackte, einzelne harte Laute.

Dann hob er das Schwarze noch höher.

Und hätte der Seehund gewusst, dass es eine Flinte war und dass das, was der Fischer brüllte, Worte waren, nämlich die Worte: „Ihr blöden Viecher werdet mir nicht schon wieder die Netze zerreißen! Teufelsbrut! Klar weiß ich, dass es verboten ist, euch abzuknallen, aber wovon sollen wir leben, wenn ihr unseren Fang wegfresst? Ich habe Frau und Kinder zu Hause, ich brauche Geld für die Miete, aber das schert die Umweltheinis einen Dreck!“, hätte er das gewusst, hätte es ihn nicht beruhigt. Und hätte er geahnt, dass der Fischer ihn für eine Kegelrobbe hielt, hätte es auch nichts genützt.

Der Fischer betätigte den Hahn der Flinte – und da schlug mit einem Krachen etwas nicht weit von dem Boot aufs Wasser.

Der Seehund drehte den Kopf, er sah gerade noch, wie etwas Großes, Dunkles abtauchte. Und da löste sich seine Starre, endlich tauchte auch er weg.

Was er unter Wasser sah, ließ seine Knopfaugen vor Verwunderung noch größer werden.

Da war ein Riese. Oben am Rücken war der Riese dunkel und unten weiß. Er hatte Längsstreifen in dem Weißen und Buckel in dem Grauen. Sein Maul war eine lange, geschwungene, lächelnde Linie, über der seitlich ein kleines Auge ins Meer hineinsah, und seine Flossen waren wie Flügel. Zuerst sah der Seehund nicht, wo der Riese aufhörte. Er schien überhaupt nicht aufzuhören, aber dann war er vorbeigeschwommen, und hinten besaß er eine breite, gigantische Schwanzflosse.

Der sehr Große schwamm abwärts und dann wieder aufwärts. Er war schön. Elegant. „Ich sollte fliehen“, dachte der Seehund.

Doch seine Neugier war zu groß. So ist das bei jungen Seehunden. Er wollte wissen, was der sehr große Dunkle an der Oberfläche wollte. Und so tauchte er auf.

Der Mensch stand in seinem schwankenden Boot und hielt noch immer das tödliche Ding in der Hand. Und dann knallte es furchtbar laut, etwas schlug in das Wasser, knapp neben dem Seehund.

Etwas, das aus dem langen Ding gekommen war. Wie Sandkörner.

Und ein klarer Gedanke formte sich im Kopf des Seehundes: „Wenn die Sandkörner mich getroffen hätten, hätte ich Löcher. Das Meer würde sich rot färben von meinem Blut, so wie bei einem meiner Artgenossen, der beim Kämpfen totgebissen wurde.“

Der Mensch zielte noch einmal, doch da flog der große Dunkle.

Wirklich, er flog.

Er hob seinen riesigen Körper aus dem Wasser, schnellte in die Luft und drehte sich. Sein Rücken war jetzt unten, seine helle, gefurchte Bauchseite oben, gleißend wie der weiße Strand. Der große Dunkle war ein großer Heller geworden.

Der Seehund erwartete, dass er davonflog wie die Möwen.

Doch dann kehrte der Riese mitten in der Luft um. Als hätte er gespürt, dass der Seehund ihn brauchte. Dass er jemanden brauchte, dem er tausend Fragen stellen konnte, über das Leben, über das Fliegen, über das Meer, über die Welt.

Und er klatschte zurück aufs Wasser und löste eine so große Welle aus, dass das Boot stärker schwankte als zuvor. Diesmal warf es den Menschen ab.

Der Seehund sah, wie er im Wasser strampelte.

Er sah es von unten, denn er war wieder abgetaucht. Es sah interessant aus. Eigentlich lustig. Dann landete ein Ring neben dem strampelnden Menschen, er griff danach und verschwand aus dem Wasser. Ein anderer Mensch, der bisher auf dem Boot versteckt gewesen war, hatte ihn hochgezogen. Er zog auch die Fische hoch.

All die schönen Dorsche und Meerforellen und Heringe.

Und da endlich sah der Seehund, dass sie sich in einem Netz befanden, das aus Strängen von Seegras bestand. Eine Sorte Seegras, die halb durchsichtig und sehr fest war. Vielleicht war es kein Seegras.

Der Seehund fragte sich, wie zwei Menschen so viele Fische essen konnten.

Das Boot fuhr in Richtung Küste, machte dabei wieder fürchterlichen Lärm und entließ Wolken einer Flüssigkeit ins Wasser, die scheußlich schmeckte.

Und endlich war es fort.

„Du meine Güte“, sagte der Seehund zu sich selbst. „Da setzen sie einem all diese Fische vor die Nase und dann bleibt man hungrig.“

Da dröhnte etwas anderes durchs Meer, tief und wohlklingend. Ein Befehl.

KOMM!

Er wandte den Kopf. Der große Helle-Dunkle schwebte still im Wasser, da, wo es tiefer wurde. Sonnenstrahlen brachen durch die Oberfläche und es war, als leuchtete der Riese.

Dann drehte er ab und schwamm ins Meer hinaus. Der Seehund folgte ihm.

HIER, sagte der Große schließlich und hielt an.

„Was ist hier?“ Es war kein Ton, sondern ein Gedanke, den der Seehund schickte. Nur der Große sprach mit Tönen.

HIER SIND WIR SICHER.

„Sicher wovor?“

VOR DEN MENSCHEN, sagte der Große. DU BIST AHNUNGSLOS WIE EIN MÖWENJUNGES, DAS GERADE GESCHLÜPFT IST. TAUCHST DIREKT VOR EINEM FISCHER AUS DEM WASSER! WIE DUMM KANN MAN SEIN?

„Was ist ein Fischer?“, fragte der Seehund. Aber er konnte es sich denken. Es war ein Mensch, der Fische haben wollte. „Du hast mich gerettet.“

ICH HABE NUR MEINE FLOSSE AUFS WASSER GESCHLAGEN. NORMALERWEISE TUN WIR DAS, UM ÜBER WEITE STRECKEN SIGNALE ZU SENDEN, sagte der große Helle-Dunkle. WER BIST DU? HAST DU EINEN NAMEN?

„Was ist ein Name?“

EIN NAME IST ETWAS, MIT DEM EIN FREUND DICH RUFEN KANN.

„Hast du denn einen Namen? Was bist du überhaupt?“

ICH BIN EIN WAL, sagte der große Dunkle. EIN BUCKELWAL. ABER DAS IST EIN WORT, DAS FÜR VIELE GILT. ICH HABE AUCH EINEN NAMEN, DER NUR MEINER IST. EIN KLEINER JUNGE HAT IHN MIR GEGEBEN.

„Kann ich ihn mal sehen?“

NAMEN KANN MAN NICHT SEHEN, sagte der Wal. MEIN NAME IST SCHÖN UND KLANGVOLL. ER LAUTET LOTTAZWEI. WENN DU WILLST, KANN ICH DIR EINEN NAMEN GEBEN, DEN ICH NOCH HABE. ER GEHÖRTE JEMANDEM, DEN ICH KANNTE. MINIK.

„Minik“, wiederholte der Seehund. „Wenn du mich Minik nennst, heißt das, wir werden Freunde sein.“

Er war unsicher, was Freunde sein bedeutete, er kam sich klein und dumm vor.

Aber seine Tasthaare meldeten eine Bewegung in der Tiefe. Dort war ein Schwarm kleiner Fische.

„Danke“, sagte er. „Das ist ein guter Name. Aber ich glaube, man kann ihn nicht essen. Du entschuldigst?“

Er schoss hinab und schnappte einen Fisch, tauchte wieder auf, warf ihn in die Luft und fing ihn so, dass er ihn besser schlucken konnte. Den nächsten Fisch, den er fing, brachte er zu Lottazwei. Er schwamm bis zum Auge des Wales.

„Ich bringe dir einen Dorsch“, sagte er. „Zum Dank.“

EINEN DORSCH? KLEINER MINIK, SCHAU ZU.

Der Buckelwal stieß eine perfekte Spirale aus Blasen aus, die weiß durchs Wasser tanzten und aufstiegen. Minik befand sich innerhalb der Spirale. Es war, als wäre er in einer Höhle mit Wänden aus Blasen. Und er war nicht der Einzige, der sich darin befand.

Da waren auch eine Menge winziger Fische, gefangen in einem Netz aus Luftblasen.

Lottazwei öffnete das riesige Maul. Es gab darin keine Zähne, sondern eine Art dichter Haare.

„Der Wal wird mich verschlucken“, dachte Minik. „Vielleicht gibt er allen, die er frisst, erst Namen?“

Lottazwei stieg jetzt senkrecht im Wasser auf, an dem Seehund vorbei.

Dabei schloss er sein Maul. Dann öffnete er es wieder einen Spaltbreit. Eine gewaltige Masse Wasser strömte aus.

SO MACHEN WIR DAS, sagte Lottazwei zufrieden. WIR FILTERN. WIR SCHLIESSEN ALL DAS KLEINE KRABBELZEUG IN UNSERE BLASEN EIN: ALGEN, FISCHE UND KREBSE. UND DANN FILTERN WIR SIE HERAUS. MANCHE SIND SO KLEIN, DASS DU SIE NICHT MAL SIEHST. ABER SIE SCHMECKEN.

„Ich dachte, du wolltest mich verschlucken“, sagte Minik erleichtert.

Lottazwei stieß ein tiefes, dröhnendes Geräusch aus, das ein Mensch vielleicht Lachen genannt hätte.

ICH VERSCHLUCKE DOCH KEINEN FREUND.

Und dann tauchte der Wal weg.

Die Sonne sank jetzt, der Himmel bekam Streifen aus Licht. Hätte Minik Farben besser sehen können, hätte er „rot“ und „violett“ und „rosa“ gedacht. So dachte er: „Ein hübsches Muster. Das Abendmuster.“

Und er machte sich auf den Weg zu der Zauberküste, um endlich auszuruhen. Er war erschöpft. Er hätte im Wasser schlafen können, aber er wollte an Land. Zwei Mal fast sterben an einem Tag, das war zu viel, auch für einen jungen Seehund.

Als er auf den warmen Sand hinaufgerobbt war, schloss er die Augen und dachte an den Klang. Den wundervollen, unerklärlichen Klang, den er finden wollte.

Er ahnte, dass es gefährlich war, ihn zu suchen. Es gab so viel, was er nicht kannte. Unbekanntes, Bedrohliches, Tödliches.

Aber es gab auch Schönes. Den warmen Sand unter ihm. Den Abendhimmel über ihm.

Und er war nicht allein. Lottazwei war irgendwo da draußen. Und das war ein gutes Gefühl.

Der Kampf um den Fisch

Nachdem Kegelrobben und Seehunde vor etwa 100 Jahren beinahe ausgerottet waren, sind sie nun durch Schutzmaßnahmen wieder da: In der Nordsee sind die Seehunde häufiger als die Kegelrobben, in der Ostsee ist es umgekehrt.

Seit 2015 werden auch an den deutschen Küsten der Ostsee immer mehr Robbenbabys geboren.

Seehunde hingegen haben ihre Kinderstuben an der schwedischen Küste und auf einigen dänischen Inseln.