Das Geheimnis des Walen - Klaus Hoffmann - Reicker - E-Book

Das Geheimnis des Walen E-Book

Klaus Hoffmann-Reicker

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dabei geht es vor allem um die "Kryptocalvinisten", welche mit einer 2. Reformation für das Bürgertum, die Aufklärung an die Renaissance anschließen wollen, um die bis heute fehlende tatsächlich ökumenische und christliche Kirche aufzurichten. 1574 - der Stab des "schwarzen Papstes", des Generals der Jesuiten, weist jetzt befehlend auf Sachsen, den Hort des deutschen Protestantismus: Kurfürst August 1. (1553-1586) ist auf die Seite von Kaiser und Papst zu bringen. Die gegen den Adel eingestellten fortschrittlich denkende Bürger wie der Kanzler Crackow, der Hofarzt Dr. Peucer, der Schwiegersohn Melanchthons, sowie der Erzieher des Kurprinzen , Dr. Krell, und andere Anhänger der kryptocalvinistischen Fraktion bei Hofe, sollen verdrängt werden

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 389

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Klaus Hoffmann - Reicker

Das Geheimnis des Walen

Roman aus der Zeit der Gegenreformation

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Das Schachspiel von Leitmeritz

Auf der Böhmischen Glasstraße

Die Nacht der Heiligen Wapurga

Festung Stolpen

Die ehrenwerte Schmiedezunft

Teufelsbündner in der Stadt

Der Schatz des Valtenberges

Impressum neobooks

Das Schachspiel von Leitmeritz

Das Schachspiel von Leitmeritz

Nach einem reichlich kalten, trüben März zeigte sich vor Ostern blanker Himmel über Leitmeritz. Die Nebel in der Elbaue waren schon früh der Sonne gewichen. Weit öffnete sich das fruchtbare Tal bis zu jener Stelle, wo die Eger ihre Wasser in die Elbe ergießt und den Garten Böhmens hervorbringt. Sogar die schmutzigen Gassen der Außenbezirke mit ihren eng an eng geklebten Gäßchen erschienen an diesem Morgen etwas freundlicher.

Vor den Schloßstufen standen viele Bürger, einen schmalen Gang in der Mitte freilassend. Dumpfes Murmeln und Summen lief durch die Gruppen. Man wollte Vladislaw von Lobkowitz sehen, der seit kurzem wieder in den Häusern des Kollegiatskapitels wohnte. Für ihn war es schon sehr gewagt, hierher in die Hochburg des Lutherismus zu ziehen, denn im deutschsprachigen Grenzland des Sudetengebirges galt die Macht des Papstes seit einem halben Menschenalter nicht mehr.

Wollten die Katholiken wieder ihr Haupt erheben?

Viele waren nur herbeigeeilt, um den Mann in Augenschein zu nehmen, der gleich Daniel furchtlos in die Löwengrube stieg. Auch August I., Kurfürst von Sachsen, interessierte sich für diese Vorgänge. Er hatte einen verschwiegenen Mann an den Hohen Rat von Leitmeritz gesandt, das Bemühen der Katholischen zu erforschen.

Wie würde der Bischof auftreten? Sollte es sogar Krieg geben? Die Papisten waren wieder im Vormarsch. So raunte und rätselte es durch die Ansammlung.

Langsam wurde die Menge ungeduldig. Sie drängelte und schob sich vorlaut in den von Stadtknechten freigehaltenen Raum. Irgendein Witzbold machte seinen Spaß und rief: „ Seht, er kommt! Welche Pracht!“ Alle reckten die Köpfe und erblickten nur den Stadttrunkenbold, der gerade aus der Schänke geworfen wurde. Lauthals schimpfte er über das sich wellenartig fortsetzende Gelächter.

Stille trat ein. „In viam pacis“, klang es noch aus dem St.-Stephansdom, das Ende der heiligen Messe anzeigend. Wenige Gläubige traten aus der großen dreischiffigen Hallenkirche ans Licht. Sie warteten, bis sich der Bischof und sein Hofstaat erhoben hatten und der bischöflichen Residenz zustrebten.

Schweren Schrittes stieg der beleibte Herr Wladislaw die Stufen empor, versehen mit allen Zeichen seiner hohen Würde: das edelsteinbesetzte Bischofskreuz leuchtete auf den kunstvoll bestickten, blütenweißen Ornat, Bischofsring , Bischofsmütze und Hirtenstab zogen auch die Blicke der hartgesottensten Protestanten auf sich. Da schritt sichtbare Macht.

Warum sollte sich das starke Leitmeritz zu seinen Obstgärten, Elbkähnen und Patrizierhäusern nicht auch einen richtigen Bischof leisten können? Entblößten Hauptes verneigten sich alle. Tief hatte jeder die Achtung vor den Hohen dieser Welt eingepflanzt bekommen. Wer wußte in diesem Augenblick noch, daß diese Kleriker nur faule Freßlinge und müßigen Mastsäue waren, welchen die armen Leute dem Teufel zuführten. So hatte so jedenfalls Doktor Martin Luther gesagt.

Schnell verflog dieser erste Eindruck. In den Gesichtern stand Enttäuschung. Der fünfzigjährige Bischof aus dem Geschlecht der Popel – Lobkowitze schien in Gedanken versunken. Er sah nicht einmal die bittend am Wegesrand knienden Bettler und Alten, die trotz Wittenberger Bekenntnisses auf seinen Segen hofften. Sorgen quälten den hohen Herrn. Selbst die Predigt war ihm entglitten. Unverwandt hatte er auf das berühmte Altarbild des Leitmeritzer Meisters mit Jesus und dem Hohenpriester Kaiphas gestarrt, als hätte es ihm auf bohrende Fragen eine Antwort geben können.

Weit in die Ferne gingen die Gedanken des Hirten – nach Wien. Von dort kam ein Übel auf ihn zu, von dem durfte niemand etwas ahnen noch wissen. Monsignore Querini, päpstlicherer Legat für die Gegenreformation, sollte ausgerechnet heute eintreffen. Der Bischof meinte auf einmal den Geruch verbrannten Menschenfleisches in der Nase zu haben und dazu fromme Gesänge eifernder Mönche.

Wie – das alles wieder?

Vladislaw von Lobkowitz fühlte sich ratlos. Wer würde Jesus sein. Wer Kaiphas? Vielleicht mußte er ausgerechnet gegen die Menschen zu seinen Füßen in den Kampf ziehen – oder Krieg gegen Sachsen? Immer erregter stieg er die Stufen hinauf. Schon seit Tagen fand er keinen richtigen Schlaf, da half auch kein Rotwein Ludmilla aus seinen Weinbergen vor der Tür. Gutes jedenfalls kam weder aus Rom noch aus Wien. Seit Jahren lebten die letzten Schafe seiner einstmals großen Herde friedlich neben den Lutherischen. Alle zahlten Steuern und Grundrente, leisteten Frondienste beim Bau von Schlössern, Burgen. Und nun? Etwa Ketzerhinrichtungen? Hatte er nicht genug Mut bewiesen, hierher unter seine ehemaligen Untertanen zu gehen, die ihn einst vertrieben hatte, Aber denen in Rom reichte das nicht. Sie wollten den Bruderkampf wie Kain gegen Abel.

Das einst schöne Gesicht des Bischofs hatte unmäßige Fettpolster und ein ausgeprägtes Doppelkinn angesetzt, nur die kleinen sehr beweglichen Augen mit den Lachfältchen in den Winkeln verrieten, daß er eigentlich recht lebhaft und weltoffen war. Er war einer jener sinnenfrohen Humanisten, die in allen Ländern Gleichgesinnte fanden. Leider war die Renaissance tot, bezwungen durch Luther. Dessen protestantische Jünger schulmeisterten nun an einem kümmerlichen grauen Menschenbild ohne Witz und Humor. In den katholischen Gebieten dagegen tanzten sie, fraßen, soffen und hurten sich um das letzte bißchen Würde – ihn, Vladislaw, eingeschlossen – oder erstarrten in Askese. Wo ist hier oben, wo unten? Was machte noch Sinn? Gottes Wort war schon lange zertreten in einem unmäßigen Parteiengezänk.

Konnte man denn in dieser desolaten Welt das lebensoffene Reich Papst Leos wieder aufrichten? War Legat Querini dazu bestellt? Kaum! Ein Ehrgeizling wie alle. Er strebte sicher nach der frömmelnden Friedhofsruhe Pauls IV., jenes Papstes, der sich morgens zur Frühstückszeit einige Ketzer unter sein Fenster in den Engelsburg hängen ließ.

Bischof Vladislaw schüttelte sich. Wer konnte hier noch raten? Er drehte sich halb um und suchte die Schar seiner Begleiter ab, bis sein Blick plötzlich auf einen breitschultrigen Mönch fiel: Joseph Paßler, Jesuit und Vorsteher des kürzlich nach dem Vorbild des Prager Clementinums eingerichteten Colleges für die Söhne der Adligen und Patrizier, um sie auf den Staatsdienst vorzubereiten. Nachlässig hatte der Pater die Hände gefaltet. Er sah streitlustig und herausfordernd auf seinen Bischof.

Bereits in der Tür befahl Vladislaw:“ Bruder Joseph, ich habe mit dir zu reden! Folge mir!“ Entschlossen schritt er voraus, während die Prälaten ihren Gemächern zustrebten. Wenn einer etwas über Querinis Absichten weiß, dann dessen Ordensbruder von der Kompanie Jesu, überlegte der Bischof und betrat die inneren Räume.

Paßler sah große Kredenztische mit silbernen und zinnernen Kannen, sowie edle Becher, nicht wenige mit Gold und edlen Steinen verziert. Im folgenden Raum hohe gotische Stühle, darauf seidene Kissen und farbige Wolldecken. Der Raum war mit Teppichen aus Smyrna ausgelegt. An den Wänden hingen keine Heiligen sondern Gobelins aus Flandern. Gegenüber standen eisenbeschlagene Truhen, in den Ecken schwere vergoldete Leuchter mit großen dicken Kerzen.

„ Hier sieht es gar nicht christlich aus! Ihr Freßwänste und Mastsäue nennt euch Diener der Heiligen?“ brach es unvermittelt aus Joseph hervor. “Christus gehört zu den Armen, er gehört den Armen! Wie soll euch das Volk glauben?“

Bischof Vladislaw vernahm den Ausfall mit einem leichten Grinsen. Er erwiderte ebenso stolz wie beiläufig: „Bete zum Himmel, mein Sohn, damit er dich endlich erleuchtet. Noch gibt es ein Oben und ein Unten. Sind alle gleicher als gleich, fällt diese Welt dem Teufel in die Hand, dann steht das Jüngste Gericht vor der Tür.“ Er zog einen Krug näher und schenkte sich ein Glas Weißwein ein. Paßler hielt er ein weiteres Glas hin. Der aber schüttelte verbissen den Kopf. Dann fuhr er fort: „ Bruder Joseph, wie soll uns das Volk anbeten und verehren, wenn wir sind wie sie, wenn wir uns ausdrücken wie du? Wen sollen die minderen Brüder verehren, wenn es nicht eine Instanz über ihnen gibt. Woher sollen die Quellen für die Kirche fließen – auch das Geld für deine Schule – wenn keiner mehr glaubt und opfert. Deshalb hat uns der Herr über sie gesetzt, deshalb gibt es einen Papst. Wir müssen alle Pracht entfalten, weil wir die ersten Diener des Papstes sind und zugleich herausgehobene Lehensherren Kaisers. So fällt auf beide ein Widerschein von uns. Ergo, wer uns angreift, tastet den Heiligen Vater in Rom an und dürfte mit einem Verfahren wegen Ketzerei rechnen.“

Der Bischof wendete sich blitzschnell und sah dem Pater voll ins Gesicht. „Na wird es Licht? Oder ist das bißchen Werg in deinem Kopf bei den letzten Exerzitien feucht geworden, so daß der Heilige Geist bei dir keinen Funken mehr schlagen kann. So etwas wie dich hätten sie im Lande des Sokrates nicht einmal verwendet, um den Unflat der Harpyien wegzuräumen.“

Nach diesen Worten schwenkte er sein Glas und trank den Rest Wein in einem Zuge leer. Dann betrat er ein abgelegenes Gemach, wo sein Schreibtisch stand und befahl über die Schulter: „ Du wartest vor der Tür, bis ich dich rufe!“

Aus einem Nebenraum erschien unaufgefordert des Bischofs Geheimkaplan. Wortlos legte er ein Schreiben auf den Arbeitstisch. „ Am Morgen hat den Brief jemand aus Dresden gebracht.“ Danach verschwand er so unauffällig, wie er gekommen war.

Dr. Georg Crackow, der Kanzler Kurfürst Augusts von Sachsen, war in vielen politischen Fragen meist gleichen Sinnes wie der Bischof, auch wenn sie äußerlich die Glaubensfeinde spielten. In ihren Gedanken blieben sie sich verwandt.

Neugierig löste Vladislaw von Lobkowitz das Siegel und rückte den Lehnstuhl näher ans Fenster. Er las wieder und wieder. Schließlich legte er das Pergament auf das Schreibpult. Ein breites Schmunzeln glitt über sein Gesicht. Endlich war es soweit! Die Glocke rief den Diener: “Ich lasse Kaplan Balthasar bitten.“

Der wortlos wieder eintretende Kaplan nahm den Brief mit einer angedeuteten Verbeugung und setzte sich auf einen Stuhl.

„Lies!“ Gespannt beobachtete der Bischof das Mienenspiel seines jungen Beichtigers, Balthasar Böhmer.

Der Mönch überflog den Text zunächst um die Zusammenhänge zu erfassen und las dann langsam, sehr genau. Kanzler Crackow schrieb von der bodenlosen Borniertheit der orthodoxen Lutheraner in Dresden und vor allem in Jena an der Universität. Er schrieb von ihrer Engstirnigkeit, welche das Bürgertum behindere. Er schrieb vom geplanten Glaubenswechsel Bischofs Johann von Meißen, der bereits die Heirat mit seiner jungen Nichte vorbereite. Auch der Kölner Erzbischof werde Protestant. So kämen die protestantischen Kurfürsten die Überzahl und könnten einen protestantischen Kaiser wählen. Es komme jetzt darauf an, daß Böhmen sich eindeutig bekenne. Am Schluß klagte Crackow über die stets wechselnden Launen des sächsischen Kurfürsten. Er wissen nur selten, was er wolle, außer: seine Frau stellt eine Forderung in die Richtung konservatives Luthertum. Mit der geistigen und politischen Größe seines Bruders Moritz sei er absolut nicht zu vergleichen. Bischof Vladislaw solle, falls er den Glauben wechsle, keinesfalls Augusts Seite wählen, der sei imstande ihn wegen eines kleinen Vorteils auszuliefern.

Als Balthasar die letzte Zeile gelesen hatte, hob er den Kopf und fragte: „ Was wollt Ihr tun Herr Vladislaw?“

Vladislaw von Lobkowitz schnüffelte erregt. „Man muß sich schließlich etwas einfallen lassen. Jetzt will ich erst einmal Bruder Joseph abklopfen. Er wird mir verraten, was die Jesuiten über mich denken und planen. Danach weiß ich, was man heute mit abtrünnigen Bischöfen plant und bin für Querini gerüstet. So wie ich es sehe, werde ich mich den böhmischen Ständen anschließen. Religionsfreiheit soll in diesem Land herrschen.“

Kaplan Böhmer zog sich wortlos mit einer Verbeugung zurück, den Antwortbrief an Kanzler Crackow zu entwerfen.

Bischof Vladislaw ging zu Tür, den wartenden Jesuiten hereinzurufen. Er wies auf einen Stuhl. Sie nahmen Platz. Ohne Übergang sagte er: „Bruder Joseph, uns kamen Klagen zu Ohren. Du planst in Prag etwas, um die Böhmischen Brüder in Menge brennen zu lassen. Wir, Vladislaw VII., verbieten dir derartiges. In Böhmen muß Friede herrschen. Zu leicht könnten wir wenigen Katholiken hier im Polzener Land zwischen die Fronten geraten. Komenskys Hussiten mit den Böhmischen Ständen wären auf der einen Seite und August von Sachsen auf der anderen. Wie zwischen Mühlsteinen würden wir zerrieben. Ein Riesenkrieg wäre die Folge, alle Herrscher von Schweden bis Spanien müßten Partei ergreifen. Zudem kommt genug Unangenehmes auf Uns zu.“

„Monsignore Querini?“ fragte Joseph frech, ohne sich im mindesten um seines Herrn Worte zu kümmern. „Warte nur Bischof, bis der Legat hier ist, dann bläst der wieder aus Rom. Wir von der Kompanie Jesu werden in der ersten Reihe stehen. Kampf gegen Ketzer und andere Irrgläubige ist gottgefälliges Tun, um den nachfolgenden Generationen endlich Ruhe zu geben. Je mehr wir von den Heutigen in die Hölle senden, um so gottgefälliger. Papst Gregor XII. hat uns ausdrücklich ermächtigt, sogar Prälaten und Bischöfe in das Inferno zu schicken. Und mit dir fangen wir an. Jeder im Glauben Schwankende ist ein Wurm im Stamm. Hüte dich Bischof. Erst vor wenigen Wochen haben meine Brüder den Erzbischof von Toledo der Suprema übergeben. Hüte dich Bischof! Hüte dich!“ Dabei bekreuzigte sich der Mönch. „Dreimal wehe, wehe, wehe!“

Der Bischof war nachdenklich, er entgegnete ruhig und langsam: „Alle Magnaten, auch die Rosenbergs und die Waldsteins, werden gegen uns stehen. Eine Blutspur des Fanatismus wird sich durch Europa ziehen. Schlimmer als anno 1525, da Männer, Frauen, Kinder erschlagen wurden wie Vieh.“

„Und?“ fuhr der Jesuit erregt dazwischen. „Über allem wird die Heilige Jungfrau triumphieren. Gott kennt die seinen. Jauchzen werden die Himmlischen. Unsere Härte wird das Chaos abwenden.“

Der Bischof betrachtete ihn amüsiert und kramte in einem Stapel Papiere nach einem Dokument. „Über dieses hier werden sie wohl etwas weniger jauchzen. Hör zu! Es sind deine Worte, die du dummerweise bei Luther abgeschrieben hast: ‚Wider das wild geifernde Eberschwein Comenius, so den Weingarten des Herrn zerwühlet und sich untersteht, mit seinem besudelten Rüssel umzustoßen die Kirche Jesu Christi und alle Heiligenverehrung zu vertilgen.1774: Joseph Paßler. Präpositus der Hohen Schule Prag.’ Und das nennst du christlich?“ fragte ihn der Bischof. Sollen die Humanisten über unsere Dummheit und Einfallslosigkeit lachen? Wer in so einem Ton eifert, hat stets Unrecht.“

„Auf einen groben Klotz gehört ein noch gröberer Keil!“ entgegnete Paßler bereits etwas gedämpfter. Ihm war eingefallen, daß Ignatius von Loyola gefordert hatte, seine Jünger müßten weitaus mehr wissen als die Gegner.

Dazu kam, daß Vladislaws Vater das höchste Amt in Böhmen bekleidete. Nach kurzem Zögern übermannte ihn aber wieder sein Bekehrungseifer. „Das Heiligtum der Heiligen leugnet Comernsky, das lasterhaft Lügenschwein. Die Heiligen sind nicht Diener Gottes, sondern Freunde Gottes. Komensky flickt wie Luther alle Irrtümer der Ketzer von Waldus über Hus bis Calvin zu einem einzigen Riesenirrtum zusammen. Sie sind des höllischen Bockes Vorläufer und Wegbereiter. Er ist ein Gesandter des Teufels und geifert um sich. Rauch und Dunst kommen aus seinem Schweinerüssel. ihn erkennt man am Toben und Rasen. Der ist kein Humanist. Gott steige herab und mache dieses Lügenmaul stumm.“

Vladislaw von Lobkowitz zog die Mundwinkel amüsiert nach oben. „ Da bist du völlig falsch unterrichtet. Comenius ist ein Feingeist, über seine Lippen kommt weder ein lautes Wort, noch Unflat. Ich verbiete, dieses primitive Gesudel zu verbreiten. Es beschädigt die Kirche. Außerdem, bedenke: wir leben hier in der Macht des Protestantismus. Der sächsische Kurfürst ist auch ein Eiferer. Er kann uns vertilgen wie lästige Wanzen.“

Alles konnte der Mönch ertragen, nur keinen Widerspruch. Ein Sturm brach aus ihm hervor. „Alle Welt soll sehen, wie Joseph Paßler, Soldat des Herrn, diese sächsischen und böhmischen Schweine zur Hölle senden läßt... Schweine, die den lieblichen Garten des Herrn verwüsten.“

„Joseph, du bist hysterisch wie ein unbefriedigtes Weib. Du besudelst alle klugen Köpfe der römischen Kirche.“ mahnte der Bischof sanft, aber eine Spur zu väterlich. „ Du schadest, wo du eigentlich nützen solltest. Ich schäme mich für dich. So hat Jesus nicht gepredigt. Das klingt mehr nach Luther oder Calvin.“

Das war für den Mönch zu viel. „Verfluchter Irrgläubiger! Fahr zur Hölle. Du bist es doch, der mit diesen Sendboten Belials paktiert. Erst heute kam ein Brief an dich von diesem Ketzer Crackow aus Dresden. Bischof, ich rieche in deiner Nähe den Gestank des höllischen Bockes. Verräter! Ich setze dir persönlich die Teufelsmütze auf.“

Der Bischof erhob sich ächzend und blickte belustigt auf den Jesuiten. Nun hatte er ihn im Griff. "Joseph, das Maß ist voll. Nicht umsonst laufen dir schon nach kurzer Zeit die mühsam zusammengebrachten Schüler davon. Zu oft suchst du nach unflätigen Worten und verleitest die Brüder zu Empörung und Aufruhr gegen ihren vom Heiligen Vater eingesetzten Bischof. Viel zu lange habe ich deine Tücke und Hinterlist nachsichtig geduldet. Nun ist das Maß am Überlaufen. Ich bin entschlossen, dir zu geben, was der heilige Domenicus gebietet, wenn ein Dekan oder Präpositus vom bösen Geist angeblasen werden.“

Hier machte Vladislaw eine Pause, seine Worte etwas nachwirken zu lassen. Dann griff er langsam hinter sich, um eine blutbesudelte Geisel hervorzusuchen und von ihren Futteral zu befreien. Sie lag stets bereit, um solchen Gesprächen einen passenden Abschluß zu geben.

Joseph begann nun zu brüllen. „Wir Soldaten Christi gehorchen nur dem Papst und unseren Oberen. Du wirst dafür in der tiefsten Hölle schmoren und ich werde von oben lachend herabblicken und zusehen, wie dich Herr Urian schindet.“

Ohne Übergang unterbrach ihn der Bischof mit gewaltiger Stimme:“ In die Knie pflichtvergessener Knecht! In den Staub, du Wurm, demütige dich vor deinem Bischof und koste die Geißel! Die Brüder werden dich ans Kreuz binden und peitschen, bis du um Gnade bittest. Und dich unterwirfst.“ Dabei zog er die Peitsche pfeifend durch die Luft. Das wiederum trieb den angemaßten Hochmut des anderen auf die Spitze. „Wenn mir meine Oberen befehlen, einen Stein am Meer vorwärts zustoßen, tue ich es, ohne zu fragen. Ich bin ein Stock in der Hand des Heiligen Vaters. Er kann mit mir hinzeigen, wo er will. Einem am rechten Glauben zweifelnden Bischof beuge ich mich nicht.“ Dabei machte er auf dem Absatz kehrt und verließ erhobenen Hauptes das Gemach.

Bischof Vladislaw war über Paßlers Benehmen keineswegs verärgert. Es war gekommen, wie geplant. Er machte einen zufriedenen Eindruck. Einen wichtigen Trumpf besaß er nun gegen Querini. Josephs Freilassung würde diesen schon etwas kosten. „ He Wache!“ rief er in das Schalloch neben der Tür. „Den aufsässigen Mönch in den Kerker, bis er um die Geißel fleht.“

Bewaffnete rasselten Treppe herauf, Pater Joseph in den Keller zu führen. Er folgte widerstandslos, wohl wissend, daß er dem Bischof viel zu viel von der Strategie der Gegenreformation verraten hatte. Querini würde es ihm kaum lohnen.

Bischof Vladislaw schloß einen Wandschrein auf, dort standen einige Flaschen Falerner, von dem er sich einen Becher voll eingoß. Der Wein erinnerte ihn an vergangene Zeiten: Steil war sein Weg gewesen. Sein Vater, Herr auf Burg Krumau, einem der bedeutendsten Bauwerke des Heiligen Römischen Reiches, hatte ihn schon zur Taufe in eine Stück Altardecke gewickelt, zum Zeichen, daß er Mönch würde. Der ältere Bruder war nach Vaters Ansicht dumm, und das mochte nur zum Politiker und Hofbeamten reichen.

Acht Jahre zählte Vladislaw als man ihm eine Tonsur in seine Locken schnitt. Mit vierzehn erteilte man ihm die niederen Weihen. Ab der Zeit lautete sein amtlicher Titel: „Hochwürden“. Jedermann hatte ihn so anzusprechen. Ihn, das Kind. Mit fünfzehn wurde er nach Prag gesandt zu einem Wortgefecht, bei dem viele namhafte Kleriker zuhörten, wo der Jüngling die sorgfältig zusammengestellten Zitate der Kirchenväter vortrug. Seit jener Zeit sagt man ihm nach, daß er Latein wie Cicero, Griechisch wie Demostenes beherrsche.

Vladislaw atmete tief durch. Es stimmte, er las die alten Sprachen gut und verstand auch, was gesprochen wurde. Aber klug sein, war gefährlich, das sollte er damals in Rom schnell begreifen. Wenige Jahre später gehörte er Kardinal Morones Kongregation an, die den „Index librorum prohibitorum“ zusammenstellte, das Verzeichnis der verbotenen Bücher.

Der Bischof stand am Fenster und blickte auf die Elbe hinab. Der Strom verband ihn mit Wittenberg. Endlich trat er an das Schreibpult und griff wahllos nach einem der dort aufgestellten Bücher. „Phillipus Melanchthon: Grundwahrheiten der Theologie“, las er laut. Er hatte dieses Buch aus Rom nach Böhmen geschmuggelt. Er erinnerte sich wieder an die überragende Gestalt des wahrhaft christlichen Reformators. „Phillipus, Meister Phillipus, ich kann nicht von dir lassen. Caraffa hatte recht! Manchmal verfluche ich sogar den Tag, der mich in deinen Bann riß. Seitdem bin ich wie vom Ufer fortgezogen, zaudere, zweifle, wäge ab, zermartere mich wie du. Phillip Schwarzerd, oft glaube ich, dein Weg ist der richtige und einzige – schon deshalb, weil uns Luther enttäuschte. Dann wieder zögere ich, noch eine Reformation, eine zweite? Gut, dein großes Wissen war es, du Neffe Reuchlins, das Lutherus half, seine Lehre zu untermauern. Ohne dich wäre Martinus nichts gewesen als ein verquerer Mönch. Du hast ihn am Ende überwunden. Aber was nützt uns das? Phillipisten verfolgen sie überall, in Rom, in Genf, in Wittenberg. Eine ökumenische Kirche, wie du sie plantest, will keiner wirklich. Vielleicht gibt es das in ferner Zukunft. Ohne deine Kenntnis der alten Sprachen und vor allem der Quellen hätte Martinus nie eine deutsche Bibel zustande gebracht, auch wenn er dem Beispiel der Hofschreiber Kaiser Karls IV. folgen konnte. Praeceptor Germaniae, wird es sie geben, die ökumenische Religion? Eine Religion der Humanisten für das Leben, über den verfeindeten Schwesterkirchen?

Vladislaw glaubte Melanchthon deutlich zu hören: Der Geist solle endlich die Macht haben – eine Kirche, die offen ist für die hellenistische Vergangenheit und die Zukunft.

Das ist es ja Phillipus: Seither hetzen nicht nur die Caraffas euch Phillipisten. Auch die Altlutheraner verfolgen sie mindestens ebenso grausam. Verfolgen sie, weil diese es wagen, sich durch eine Partei hindurch zu denken.

So war es auch damals in Rom geschehen. Nur einen Moment hatte Vladislaw von Lobkowitz gezaudert und schon warf man ihn in die Engelsburg. Zu lasch gegen Andersdenkende, hatte ihm Caraffa, der spätere Papst Paul IV., vorgeworfen. Glücklicherweise hatte man ihm nichts nachweisen können, und Vater Lobkowitz hatte den vakanten Bischofsstuhl Nordböhmen gekauft. Seither war Vladislaw böhmischer Magnat und Mitglied des kaiserlichen Hoftages zu Regensburg. Er war der Herr im Garten Böhmens, wie man das blühende Elbtal hier nannte. Und nun kam dieser Querini, Musterzögling Caraffas. Diesem sollte er beweisen, daß er doch ein treuer Sohn Roms war. Man befürchtete nicht zu Unrecht eine Union aller oppositionellen Reichsfürsten unter dem Sachsen August I, dessen Kanzler und Minister Melanchthon – Anhänger waren. Um dieser tödlichen Gefahr zu begegnen, blies man zum Sammeln. „Man“ war Querini und geblasen wurde er, Vladislaw von Lobkowitz, wichtige Stimme im Reichshoftag.

Zwei Fremde erreichten die bischöfliche Residenz. Italienische Adlige mochten es sein, Welsche. Während der Jüngere sicher nicht ohne Absicht in größerem Abstand folgte, wollte der Ältere gleich hoch zu Roß passieren. Die Wachen vertraten ihm mit aufgestellten Hellebarden den Weg. Er mußte absteigen, eine Prozedur, die ihm offensichtlich nicht zu schmecken schien. „Avanti! Zu Bruder Joseph, Präpositus des Jesuitenkollegs!“

Das klang mehr befehlend als bittend. Man sah dem Älteren den Zorn deutlich an, als ihn der Leutnant der Wache abschätzig musterte. Wer in den Zügen des Ankömmlings Hochmut und Verachtung lesen konnte, würde ihm dennoch Stattlichkeit und Bildung nicht absprechen .

„Zu Bruder Joseph?“ fragte der Leutnant und wandte sich zu seinen beiden Wächtern um, die neugierig näher traten. Solche Nichtachtung seiner sonst so geschätzten Person trieb dem Italiener das Blut in den Kopf. „Aus dem Weg!“ befahl er drohend. „Wißt ihr überhaupt, wen ihr vor euch habt?“

Die Wachen lachten nur. „Hunde, die so laut bellen, beißen nur selten.“

„Beim kahlen Schädel Methusalems, ihr böhmischen Flegel, wollt ihr endlich Platz machen! Ich werde erwartet!“

„Wirklich zu Pater Joseph?“ wollten die Böhmen nochmals wissen.

„ Die böhmischen Schweine schlafen oder verstehen mich nicht!“ schrie der Italiener und fuchtelte mit dem Degen. „Soll ich euch Beine machen oder wollt ihr lieber mit Pater Josephs Eiserner Jungfrau Bekanntschaft schließen?“

„Leutnant, der will sicher tatsächlich zu Pater Joseph. Er hat nicht nur seine Manieren sondern kennt auch dessen Heilmethoden“, meinte der eine Wächter, der andere ergänzte: “Also führen wir ihn zu seinem Herrn und Meister. Im Keller ist noch viel Platz.“

Der Leutnant wurde auf einmal ernst, das konnte den Bischof vielleicht interessieren.

„Verzeiht Herr! Pater Joseph liegt im Verlies.“

Der Fremde schien das als Ausrede aufzufassen, denn er kollerte jetzt wie ein Birkhahn. „ Ich will doch sehen, wer es wagt mich aufzuhalten. Endlich aus dem Weg, ihr Dorfköter! Oder ich mache eine Satteldecke aus eurem Fell, für den komischen Bischof da oben.“

Wortlos fällten die Wachen die Hellebarden und sorgten so für etwas Abstand.

„Zum Bischof!", befahl der Fremde jetzt ruhiger, aber deutlich genug, um zu zeigen, daß er das Befehlen von Kindesbeinen an gewöhnt war.

„Der Bischof ist heute nicht zusprechen. Er erwartet hohen Besuch“, lautete die Auskunft. „ Und jetzt fort hier, sonst müssen wir nachhelfen. Die Einfahrt muß frei bleiben für die päpstliche Kutsche.“

Der Italiener war plötzlich hellhörig geworden und steckte den Degen ein. „Meldet uns!“

„Wen? Sonst gibt es ein Loch im adligen Fell.“ Die Pike auf der Brust schien zu wirken oder war es die Erwähnung der päpstlichen Kutsche.

„ Ich bin Doktor Hieronymo Dersto, Graf von Murano, Gesandter Venedigs in Wien!“ bei jedem Wort schien er ein Stück zu wachsen.

„Und hier residiert Bischof Vladislaw von Lobkowitz, Reichsfürst. Heute nicht zu sprechen.“

„Ich komme vom Kaiser in Wien!“

Auf die Böhmen machte das offensichtlich keinerlei Eindruck. „Ruhe, du adliger Landstreicher. Hier gilt nur, was die Landstände in Prag beschließen.“ Dabei drohten sie wieder mit der Pike. „ Weder der Doge noch der Kaiser in Wien haben in Böhmen etwas zu sagen. Hier gilt das...“ Sie zeigten auf das prächtige Wappen auf ihren weißen Überwürfen. „Böhmen ist nicht Italien, wo jeder befehlen kann, wann immer er es nur will.“

„ Ich komme mit einem persönlichen Handschreiben des Erzbischofs von Wien“, Dersto begann einzulenken. Widerwillig reichte er das mehrfach versiegelte Schreiben dem Leutnant.

„ Warum nicht gleich so!“ meinte einer der Wächter. Und als Dersto erneut gegen die Behandlung protestieren wollte, fügte der Leutnant hinzu:“ „ Ruhe, du halber Hahn! Wer zu Pater Joseph will, muß froh sein, nicht im Loch zu landen.“

Jetzt war auch der zweite Italiener herangekommen und abgestiegen. „Und der hier? Wollte der neugierige Wächter wissen, wobei er auf den zarten Jüngling wies. „Noch ein Schüler, der in Pater Josephs Schule aufgenommen werden soll? Oder ist es der Page?“ Dieser trug eine enganliegende braune Hose, gelbe Halbstiefel und dazu einen weiten spanischen Mantel. Langes dunkles Haar umrahmte das Gesicht.

Wozu nur schleppte diese großmäulige Graf solch einen nutzlosen Knaben auf den unsicheren Landstraßen mit? „ Wer ist denn das Frauenzimmer hier?“ rief der Leutnant.

Das Wort Frauenzimmer brachte Dersto erneut in Rage. Wieder zog er den Degen.

Der Leutnant winkte ab. „Schon gut, ich meine euren Pagen.“

„ Er ist mein Mündel, Bastian Dersto, und soll auf der Universität Krakau seine Studien vollenden.“

Nachdem der Leutnant die beiden Ankömmlinge gemeldet hatte, deutete er den Derstos, ihm zu folgen. „Ich weise euch jetzt die Zimmer. Bischof Vladislaw wird euch rufen, wenn er Zeit hat.“

Inzwischen schickte der neugierige Wächter einen Knaben, der unbeachtet im Hintergrund gespielt hatte, zum Rathaus. Dort wohnte der sächsische Bote und wartete neben der Antwort des Bischofs auf weitere Nachrichten.

Des Bischof Blick glitt ein letztes Mal prüfend über die Purpurteppiche, die hohen geschnitzten Stühle und den ausladenden Kastentisch mit den beiden Gedecken. Ihm stand das goldene, mit dem Wappen derer von Lobkowitz geschmückte Gedeck zu. Für Querini würde auf ziseliertem Silber serviert werden. Sogar eine jener kürzlich aufgekommenen Gabeln lag neben Messer und Löffel.

Schwere Brokatvorhänge zierten die Fenster. Kerzen in großen Kadelabern mischten ihr Licht mit dem des Tages. Fackeln waren erst vorgesehen, wenn Querini über die Schwelle trat, denn sie rußten stark. Der Legat sollte spüren, welche Macht Böhmen darstellte.

Rings im weiten Elbkessel nichts als Obst und Weingärten, nur hier und da von Hopfenstangen unterbrochen. Wohlgefällig blickte der Bischof nach draußen auf sein Fürstentum. Niemand sollte es ihm nehmen, auch dieser Querini nicht. Lieber trat er wie der Kölner Erzbischof zum Protestantismus über. Dann könnte er sogar die Klosterländereien seinem Grundbesitz zuschlagen, säkularisieren. Nur aus diesem Grunde ließen sich viele Fürsten lutherisch taufen: Glaubenswechsel als Vorwand, die fürstliche Macht auf Kosten des kirchlichen Besitzes zu vergrößern.

Bischof Vladislaw schmunzelte. Wie das klang: Wir, Vladislaw von Lobkowitz, befehlen. Wir, das hieß Gott und er. Querini mochte ihn nur reizen. In diesem Punkte waren alle Lobkowitze Choleriker.

Der Schiffsverkehr auf der Elbe lenkte ihn ab. Heringe, Korn, Holz, Obst, Silber, Hopfen, Kies, Kupfer, Sandstein und andere Kostbarkeiten zogen direkt unter ihm vorüber. Überlieferte Vorrechte als der Zeit Kaiser Karls IV. sicherten sowohl der Stadt als auch den Fürsten regelmäßige Einkünfte. Jedes Schiff mußte hier anlegen und Zoll zahlen oder seine Waren auf dem Markt billig feilbieten.

Und wieder zog die schwarze Spinne ihre Fäden durch sein Gedankennetz. Was war von dem friedlichem Böhmen Karls IV. geblieben, wo man einen Klumpen Gold auf dem Kopf durchs Land tragen konnte, ohne überfallen zu werden. Eigentlich war nur eins geblieben: Noch immer war der Landtag, aus Pans, Rittern und Bürgern bestehend, höchstes Organ des Landes. Sogar Kaiser Maximilian mußte die alten Privilegien des Luxemburgers erneuern. Wollte ein Habsburger Krieg führen, gehorchten die Böhmen nur dem Landtag. Wollte Querini die Religion ändern, wollte er andere Urteile oder Steuern verkünden, brauchte er die Zustimmung dieses Parlamentes. Und da glaubte so ein Jesuit, er könnte das untergraben. Aber sie würden den entschlossenen Widerstand aller Böhmen, gleich ob Tschechen oder Deutsche, stoßen.

Nun gut, irgendwie würde er dem päpstlichen Legaten schon Zügel anlegen. Sollte dieser aber wider Erwarten besonders störrisch sein könnte ihm Pater Josephs Gefangenschaft vielleicht ein wenig nachhelfen. Sie mochte nur kommen, die päpstliche Kutsche. Nicht umsonst hatte Vladislaw im Vatikan studiert - klerikale Diplomatie.

Wie schnell das Fleisch dem Wohlleben verfällt – dort hatte er es am eigenen Leibe erlebt. Der Herr im Himmel allein wußte es: Die Gelüste des Menschen sind sein teuflischer Pferdefuß. Damals senkte der kleine Gott dieser Welt den Stachel der Lust auch in Vladislaws Herz. Die Kurie lebte es vor, die jungen Padres machten es nach, und bei Boccacciuo konnte man es lesen. Nicht nur Bruder Rustico entlastete zarte Seelen zu ihm kamen, ihre Sünden abzuladen. Jungen Frauen gab auch Vladislaw den Vorzug. Stets war der Vorhang des Beichtfensters etwas gelüftet, damit das begehrliche Auge die runden Herrlichkeiten abtasten konnte. Nicht selten half Vladislaw bei den anschließenden Bußübungen. Ovid, Catull, Tibull, Mäzenas waren in der Zeit seine Lieblingslektüre.

„O Göttin von Cypern“, murmelte der Bischof mit einem wehmütigen Blick. „ Gottes Haus wurde für mich zum Tempel der Aphrodite. Wäre diese Macht des Bösen nicht, gäbe es das Paradies. O Herr, gehe nicht zu streng mit deinem schwachen Diener ins Gericht. Gewähre auch mir die Vergebung meiner Sünden.“

Jeder Mensch besaß so einen Haken, mit dem ihn die Hölle schließlich angelte. Allein Christus vermochte zu widerstehen, als ihm der Satan alle Reichtümer dieser Erde anbot. Querini war nicht Jesus, auch wenn er so tat. Wo also würde er zu packen sein? Wein? Speisen? Ein reizendes Klosterkätzchen? Diplomatischer Spieltrieb oder Machtrausch? Vladislaw würde dem auf die Spur kommen.

Ein Diener in der Livree des Hauses Lobkowitz trat ein und stieß seinen Stab auf den Boden: „Monsignore Querini reitet eben auf einem weißen Esel in den Hof!“

„Auf einem weißen Esel...?“

„Herr, sorgt Euch nicht. Die Kutsche kam gestern im Kapuzinerkloster Raudnitz an. Jesuitisches Theater, denke ich.“

„Gut!“ Der Bischof setzte sich in seinen Sessel und griff nach den bereitgelegten Kommentaren des Heiligen Augustinus. Das war immer ansprechend, auch wenn man das Werk beinahe auswendig kannte.

Der Diener trat wieder ein und klopfte mit seinem Stab jetzt dreimal auf den Boden: "Monsignore Querini, Legat Seiner Heiligkeit Papst Gregor des Dreizehnten!“

Interessiert blickte der Bischof hoch und streckte die Hand vor. Querini verbeugte sich und küßte den Hirtenring. „Gelobt sei Jesus Christus!“

„...in Ewigkeit, Amen!“ vollendete der Bischof und segnete den Gesandten. Während Querini den Segen des Papstes und dessen Grüße überbrachte, erhob sich Vladislaw lächelnd und gab dem anderen den üblichen Kuß. „Raffaelo, Bruder! So sehen wir uns wieder.“ Jetzt lächelte auch Querini.

Als Vladislaw dann zu Tisch bat, gingen beider Gedanken zurück in die Zeit vor dem großen tridentinischen Konzil. „ Weißt du noch Raffaelo, das untere Begehren strebte nach Lust, das obere nach Askese und Reinheit. Unser geistiges Verlangen suchte Gott im kalten und Strengen, und das körperliche strebte in die Wirts- oder Freudenhäuser, wo Satan lauerte. Erinnerst du dich, wie uns das ewige Pendeln ganz krank machte? Wie hast du dich entschieden?“

Querini hätte die unangenehme Frage gern überhört. „Ja so hat es bei vielen angefangen. Erst trieben sie kleine Studien, disputierten dann mit den kursächsischen Reichständen des Melanchthon auf dem tridentinischen Konzil und saßen schließlich im Reformflügel des Kardinal Caraffa in Bologna wie du. Und da habe ich die Seiten gewechselt und du kamst in die Engelsburg.“

„ Ist mir nicht neu!“, antwortete der Bischof gespielt sorglos und schob sich ein Stück Pastete in den Mund. „Vorzüglich! Koste mal.“ Plötzlich setzte er sich gerade, legte die Serviette weg und begann überfallartig: „Das sagst ausgerechnet du? Erinnere dich alter Sünder! Uns gefielen damals die alten Griechen, weil sie ihre Götter anbeteten gerade wegen ihrer Torheiten. Erinnere dich an Zeus als Stier, Schwan oder Biene. Denk daran, wie du das damals nachmachen wolltest. Ich glaube, wir tun es diesem Volk von Denken nach, nur beten wir hölzerne Schnitzfiguren als Götter an. Wozu also die alberne Maskerade unter uns?“

Querini hatte nur wenig gegessen. Behutsam legte er den Löffel ab. „Es liegt schon Wahrheit in deinen Worten, nur keine katholische. Ich bin gar der Meinung, daß du unsere katholische Sache weitaus besser vertreten hättest als die konservativen Kardinäle und General Ignatius von Loyola zusammen. Du hättest uns statt Abrahams Gott gewiß gleich Bacchus, Apoll und Venus als Götter gegeben. Es ist wirklich ein Fehler, daß wir in Trident so stark waren, daß sich keine Stimme gegen uns regte. Du hast diesem Mangel dadurch abzuhelfen gewußt, daß du diese heidnische Vielgötterei hier in Böhmen tolerierst und mit den Ketzern in Sachsen befreundet bist.“

Querini kniff die Augen zusammen und sah Vladislaw nur durch einen Spalt. Warum reagierte er nicht auf diese ätzende Ironie? Genauso sicher hatte der Böhme damals in der Partei Carranzas gesessen neben den Reichsständen aus Sachsen. Die Una Sancta Catholika – die heilige Mutter Kirche – hatten sie reformieren wollen. Reformieren? Nein, verstümmeln. Er, Raffaelo Querini, verspürte das damals noch zeitig genug, um in die siegreiche Fraktion des siegreichen Jesuitengenerals Lainez zu wechseln. Als Eintrittsgebühr sozusagen hatte er diesen fetten Böhmen hier vor sich der päpstlichen Geheimpolizei ausgeliefert. Zeitig genug. Die Jesuiten siegten noch immer,

In Querinis Brust zog ein stolzes Gefühl. Er saß unter den Siegern. Carranza, Erzbischof von Toledo, heimlicher Protestant und Bewunderer dieses Ketzers Melanchthons, saß im Folterkeller der Inquisition. Mit Hilfe der Kompanie Jesu war der Marien- und Heiligenkult wieder aufgerichtet worden, die Unfehlbarkeit des Papstes durchgesetzt. Und jetzt war Böhmen dran. Wer Wind sät, muß Sturm ernten und wenn dabei ganz Europa zerstampft würde. Herzog Alba Heere waren gerade dabei in den Niederlanden den katholischen Glauben wieder her zustellen.

„ Ich habe wenig Glauben“, sagte der Bischof ungerührt, „aber dafür eine prächtige Domäne.“ Dabei schwenkte er seinen Glaspokal im Kerzenlicht. “Dir scheinen im Gegensatz dazu mehr die Erdrosselten im Keller der Suprema und die Scheiterhaufen mit Ketzern unwiderstehliche Kraft zu verleihen und Vorstellung der Qualen ewiger Verdammnis. Raffaelo, ehrlich, ist denn das auch ein auch ein Leben? O Herr, willst du den Ruhm seines jungen Ordens mehren, laß in Böhmen einen antikatholischen Aufstand ausbrechen, damit Albas Horden auch dieses Land von Ketzern säubern können. Danach wird die Kompanie Jesu einmarschieren und die zertretenen Menschen am Boden völlig zerstören – so christlich als möglich, versteht sich.“

„Scherz beiseite!“ sagte Querini plötzlich, ihm wurde das Gespräch zu offen. “Schlimme Zeiten waren das, als wir uns als Gegner gegenüber saßen.“

„Waren?“ fragte der Bischof belustigt und deutete auf zwei Sessel, zwischen denen ein Schachtisch stand. Wie würde er mit den Figuren zurechtkommen, dachte der Bischof, als Querini sagte: „Welche Partei wählst du Bruder Bischof?“

„Keine Frage, die kaiserliche natürlich!“ kam es wie selbstverständlich zurück, als habe es nie einen Zweifel gegeben. Er rief nach Wein.,

Der Legat betrachtete das Spiel erstaunt. Ein Holzschnitzer, vielleicht aus dem Erzgebirge, hatte die kunstvollen Figuren gefertigt, mit denen der Bischof dann und wann spielte, wenn er hier wohnte. Die kaiserliche Partei war rot, die französische weiß. Statt eines Gegenpapstes hatte der findige Gebirgler seinen Reformator Luther an die Seite seiner Allerchristlichsten Majestät von Frankreich gestellt. Heinrich IV. doch noch auf der Seite der Ketzer, ein fürchterlicher Gedanke. Es gab in dieser Partei die Könige von Schweden, Böhmen, England und Dänemark, sowie die Kurfürsten der Pfalz und Kölns. Als die Verbündeten von Papst und Kaiser standen die Könige von Polen, Ungarn, Spanien, Portugal, Neapel und der Herzog von Bayern. Querini sah sofort, das war mehr als ein Schachspiel. Er setzte sich vor die roten Figuren und eröffnete die rhetorische Partie noch ehe das Spiel begonnen hatte. „Luther beim französischen König? Meinetwegen, die größten Gegner des Papstes sind eben tot. Calvin in der Hölle, Melanchthon selig.“

Der Bischof schwieg. Querini begann seinen Angriff. „Bischof, du wirst dir bald ein neues Spiel besorgen müssen, wir Väter der Kompanie Jesu werden alle noch immer abtrünnigen Könige wieder dorthin stellen, wohin sie gehören. An die Seite römischen Kurie.“

„Nimm den Mund nicht zu voll, trinke lieber in kleinen Schlucken.“ Murmelte der Bischof, während er seine Königsbauern aufmarschieren ließ. Dann goß er Wein in die silbernen Becher. „Trinken wir aus einen Sieg des Kaisers!“

Querini versuchte Vladislaws Gedanken zu erraten. Er setzte seinen Becher ab. Seine Augen suchten etwas. „ Dreiviertel unserer Lebensarbeit verrichten, wir nach dem Ratschluß des Unerforschlichen...“ Und kichernd fügte er hinzu: „...also eine Art Geheimrat. Aber um alles in der Welt, sage mir, wohin ist der Kurfürst von Sachsen geraten? Er ist eine wichtige Säule der Abtrünnigen.“

Er steht dort, wo er hingehört, an der Seite seines Lehensherren und Kaisers, gegen dessen protestantische Feinde.“

Querini war verblüfft. Woher kannte dieser Fuchs die geheimen Pläne des Papstes?

„Das ist mein Ziel, deshalb bin ich hier,“ gab Querini zögernd zu. „Könnte August nicht auch zum Verräter werden wie sein Bruder, der Judas von Meißen, der Luther verriet, um Kurfürst zu werden? Vielleicht sollte man August mit einem Stück Land einkaufen, mit der Lausitz vielleicht oder Nordböhmen?“

Vladislaw fiel zunächst erst einmal ein Mühlstein vom Herzen. Es ging noch nicht um die Gegenreformation in Böhmen. Es ging um die Position Sachsens in einem möglichen Glaubenskrieg.

Vladislaw hob den Becher. Ihm war jetzt leichter. „Bruder Raffaelo,“ begann er deshalb wieder heiter, “ich sehe dich statt in kostbaren Gewändern des Vatikans in schmuckloser Mönchstracht? Statt in der Kutsche mit dem Wappen des heiligen Vaters kommst du auf einem weißen Esel wie der Heiland persönlich. Nimmst du es übel, daß wir dir keine Ölbaumzweige auf den Weg streuten. Aber ausgerechnet Ölbaumwedel sind hier nur schwer zu bekommen.“

Was sollte ihm Querini darauf antworten, ohne sich in die Karten sehen zu lassen? Er sprach jetzt leise: „Vor wenigen Jahren habe ich ein Bistum ausgeschlagen, bedeutender vielleicht als deins. Bin einfacher Soldat in der Kompanie unseres Herrn geworden."

"Kompanie", brummte der Bischof unwillig. "Kompanie Jesu? Väter der Kompanie. Was sollen daraus erst für ein Regiment Enkel werden?

"Ja, einfacher Soldat der Kompanie Jesu", rief Querini mit einem Male etwas mißgestimmt. "Bruder Vladislaw, wie spielen täglich mit solchen Bistümern wie mit deinem, sogar mit Handelshäusern und regierenden Königen. So wie hier auf dem Brett. Auf unseren Befehl bezahlen die Fugger den spanischen Staatsbankrott, bis ihnen der kaufmännische Hochmut vergeht." Dabei nahm er nahm er den Kaiser, wog ihn in der Hand und fügte stolz hinzu: "Sieh dir meinen Ordensbruder Possevino an, der reist heute als Mönch, morgen als Ritter, bald als Bauer oder als Graf mit Degen und Hut. Hier kauft er Schwedens König Johann III. für ganze 200 000 Talerchen, und dort in England setzt er einen Jesuiten auf den Thron. In Polen hat er es sogar fertiggebracht, die jetzt wieder katholischen Wasa an die Macht zu bringen. Nun ist er dabei, einen falschen Demetrios auf den russischen Zarenstuhl zu setzen. Rußland wird endlich katholisch. Die Macht des Papstes reicht dann bis zum Stillen Ozean. Wir würfeln die Herrscher dieser Welt durcheinander, wie es der Papst befielt."

"Ob das christlich ist, scheint noch nicht ganz klar zu sein. Warum aber befielt er dir einen weißen Esel? Das riecht ziemlich nach Armutsstreit, nach verbrannten Minoritenmönchen, nach Franz von Assisi, von dem man ja lange nicht genau wußte, ob er ein Ketzer oder ein Heiliger ist. Willst du am Ende gar Jesus spielen?"

"Warum nicht? Die Übung habe ich durch unsere Schauspiele und Singkömödien erworben", antwortete Querini jetzt seinerseits spöttisch. " Nimm ein Beispiel, jene Singkomödie, die Maestro Orlando di Lasso Opera nennt, ist auch unsere Erfindung. Wir sind überall. Wir durchdringen alles, folglich auch den Gesang."

" Doch nur solange, bis der Kaiser diesem Treiben einen Riegel vorschiebt. Und mir hast du die Partie des Kaiphas zugedacht? Ich bin weder Hoherpriester noch kann ich singen. Dafür aber stamme ich aus einem der mächtigsten Adelsgeschlechter Böhmens. Also etwas Vorsicht, sollte das möglich sein!“

Querini lachte in sich hinein, der schlaue Böhme war ihm nun doch noch ins Schach gelaufen. Nun brauchte er ihn nur nicht entwischen lassen. "Zu Zeit schwanken einige Bischöfe, nicht nur du. Sieh dir den von Meißen an oder den von Köln. Sie wollen zu den Protestanten überlaufen wie die weltlichen Fürsten und glauben ihr Bistum mitnehmen zu können. Da ist so eine Verkleidung schon nützlich. Kutte und Esel sollen auch dich mahnen an Holzstoß, Eiserne Jungfrau, an Gift. Du verstehst doch Bischof, leise und unauffällig. Erst kürzlich haben wir einen Kapuzinerprior in der Lagune ersäuft wie eine Ratte. Für die Reinheit der Kirche ist uns jedes Mittel gerade human genug."

" Tatsächlich, auch hier schwankt der Erzbischof von Köln", meinte der Bischof ungerührt und deutete dabei auf das Schachbrett. Ihm wurde heiß.

"Gut", sagte Querini, jetzt seiner Sache sicher, "wir werden ihn stützen oder unauffällig verschwinden lassen."

"Unauffällig, den Erzbischof? Glaube ich nicht!" Der Bischof hatte den Zug kommen sehen. Er lächelte leise und faßte den Schwedenkönig. " Matt! Angriff bleibt eben noch immer die beste Verteidigung, auch gegen Gift!" Er hatte Querini unterschätzt. Das war ein gerissener Geschäftsmann, bereit, mit Hilfe gewundener Formulierungen jedes Verbrechen zu rechtfertigen, wenn es in seiner Einbildung nur einem göttlichen Endziel diente. Er erinnerte sich: Die Menschen sollten eingetrichtert bekommen, daß die kirchliche Autorität unbedingt ist und die Unterordnung aller Stände bis zum Kaiser gottgewollt. Unter dieser Losung hatte Jesuitengeneral Petrus Canisius die Abtei Eichsfeld, die Abtei Fulda, das Bistum Würzburg, Österreich und Schlesien vollständig rekatholisiert.

Querini richtete sich auf. Er begriff, daß er dem Bischof so nicht beikommen konnte. Auch auf dem Schachbrett war er ihm überlegen, aber nun wollte er ihm zeigen, wie man in Rom ohne Brett mit Bischöfen spielt. Er wechselte die Tonart, da Vladislaw mit ironischen Zwischentönen nicht zu beeindrucken war. "Der Heilige Vater hat mir folgende Botschaft an dich aufgetragen: die Lutheraner sind unsere Feinde, die Calvinisten und Böhmischen Brüder sind unsere Todfeinde. Deshalb müssen die Protestanten gespalten werden. Willige Lutheraner sind auf unsere Seite zu ziehen, störrische Fürsten dabei notfalls gegen Katholiken auswechseln. Deine Aufgabe ist es, auf das Bürgertum einzuwirken, damit es den verlorenen, häufig entarteten Samen des Heiligen Geistes wiederfindet, den es irgendwo verstreut  hat. Mein treuer Freund Joseph Paßler wird dir dabei helfen. Die großen Reichsstädte sind jetzt die gefährlichen Zentren des freien Geistes geworden. Dort sitzt auch das Geld. Joseph berichtet, daß aus Prag und Leitmeritz Stimmen kommen, die uns vierhörnig nennen. Unserer geballten Kraft haben diese Ausgeburten der Hölle, diese elenden Ketzerschweine, nichts entgegenzusetzen.. Wir werden sie einzeln schlagen."

"Pfui, welch barbarische Sprache", hielt der Bischof dagegen. "Bleibe lieber bei deiner Ironie, sonst klingt es fast wie bei Joseph Paßler. Du siehst das alles etwas zu einseitig und undiplomatisch. Du hast beispielsweise vergessen, daß der Kurie nur der Bischofsstuhl gehört. Grundbesitz und Schlösser hat mein Vater dem Kaiser abgekauft. Es ist Besitz der Lobkowitze. Aber das nur am Rande. Mögen die Theologen in Rom, Genf, Jena noch so streiten, über die Leibeigenschaft sind wir uns doch einig. Und eine neue Reformation würde sie aufheben. Bis dahin sind wir der Rahm, die übrigen die Milch oder Molke, und wer etwas anderes behauptet, der irrt einfach."

Dem alten Zyniker kam er so nicht bei. Er kniff die Lippen zusammen. "Sprich über Kurfürst August von Sachsen!" befahl er fast wütend. "Schließlich warst du zur gleichen Zeit wie er am kaiserlichen Hof in Wien."

Vladislaw schenkte zunächst Wein nach. Dann setzte er sich in Positur. Ganz mechanisch machte er die kleine Rochade. Den ersten Angriff hatte er gut überstanden, deshalb begann er fast heiter: "August ist klein, dick und jähzornig - ein Zweitgeborener, der stets denkt, er könne zu kurz kommen. Deshalb ist er auch ein Despot, der sich gern den Anstrich väterlicher Strenge gibt und das mit der Bibel begründet. An diesem Punkt ähnelt er deinem Stock Joseph. Sein höchstes Vergnügen ist jemanden zu schinden. Dann lebt er erst richtig auf. Jemanden langsam zu Tode quälen, bereitet ihm offensichtliche Freude, weil er dabei seine Macht auskosten kann. Ein Ekelpaket! Erinnere dich an den alten Ritter Grumbach. Er hat ihn auf einem Rad annageln lassen und dann vierteilen. Einmal soll er einen Kammerdiener aus dem Fenster der Wiener Hofburg geworfen haben, weil ihn der Einfaltspinsel von der Lehre Calvins überzeugen wollte. Obwohl er von seinem Bruder Moritz volle Kassen übernommen hatte, behauptet er, sparen zu müssen und kein Geld zu haben. Deshalb ist Alchimie seine Lieblingsbeschäftigung. Stundenlang laboriert er in der Festung Stolpen, um Gold zu machen und dereinst sogar den Stein der Weisen. Abergläubisch ist er." Der Bischof griff erneut nach dem Weinglas."Jeder, der Geld ins Land bringt, ist willkommen. Aber jeder, der seinen Plänen entgegensteht, wird öffentlich gefoltert oder verfault in einem seiner zahllosen Verliese. Seiner Einbildung nach hat ihn Gott persönlich auf den Kurfürstenstuhl gesetzt. Sein größter Wunsch ist es, daß ihm der Kaiser die Hausmacht erweitert. Dazu duldet er in seiner Nähe jeden, der ihm nützlich sein könnte, gleich, was er denkt oder woher er kommt. August hofft so, eine holländische oder englische Entwicklung zu verhindern."

" Da liegt unser Angriffspunkt", stellte Querini sachlich fest. "und warum verbündet er sich nicht mit seinen protestantischen Glaubensgenossen gegen den Kaiser?"

"August ist kein Moritz! Er fürchtet, sich dem Schwächeren anzuschließen. Am Ende müßte er die Ländereien des Meißner Hochlandes einschließlich der Burg Stolpen herausgeben. Und gerade die Festung Stolpen ist seine Lieblingserwerbung."

Querini begriff, der widersprüchliche Charakter ließ hoffen. Auf jeden Fall, stand es aber schlechter, als Pater Canisius, der Beichtiger des Kaisers, erklärt hatte. "Bruder Vladislaw, wo muß ich ansetzen?"

"Bei dem ewig Mißtrauischen wird das schwierig. Nur über seine Süchte oder über seine Höflinge kommst du an ihn ran. Nutze seine Schwächen! Vielleicht bei einem aus dem Hofrat, dem du Vorteile für Sachsens Handel oder Wirtschaft in Aussicht stellst. Aber bedenke, so ein Kopf ist dann täglich henkersreif, wenn er etwas spürt."

"Nicht schlecht", lobte Querini, "aus dir könnte doch noch ein Jesuit werden."

"Einige Adelshäuser sind an fündigen Erzgruben interessiert. Sie wollen Augusts Luxus kopieren. Dabei stechen ihnen die Erzfunde der Herren von Schluckenau ins Auge."