Das geopolitische Risiko - Katrin Suder - E-Book

Das geopolitische Risiko E-Book

Katrin Suder

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Beschreibung

Geopolitik, Nachhaltigkeit und Technologie sind die drei strategischen Herausforderungen der 2020er-Jahre. Die zunehmende Rivalität zwischen den USA, China und Europa, der Klimawandel, neue gesellschaftliche Erwartungen an die Wirtschaft und die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz führen zu völlig neuen globalen Dynamiken. Heute hängen Geschäftsmodelle, Finanzierbarkeit und Reputation von Firmen davon ab, diese externen Faktoren richtig zu managen. Katrin Suder und Jan F. Kallmorgen machen deutlich: Unternehmensstrategie ist auch Geostrategie. »Unternehmen können nicht mehr unpolitisch sein, die Autoren zeigen das deutlich auf. Gleichzeitig werden Wege beschrieben, wie Firmen sich klug politisch positionieren können.« Simone Menne, Präsidentin der AmCham Germany »Selten hatte die Weltpolitik mehr Einfluss auf die Wirtschaft. Wir müssen die geopolitischen Entwicklungen verstehen und damit umgehen – dieses Buch hilft dabei.« Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI)

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Katrin Suder, Jan F. Kallmorgen

DAS GEOPOLITISCHE RISIKO

Unternehmen in der neuen Weltordnung

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

So viel Geopolitik war noch nie, so viel Nachhaltigkeit war noch nie, so viel Technologie war noch nie – Entscheidungsträger in Politik und Unternehmen müssen sich mit neuen globalen Dynamiken auseinandersetzen, um die Wirtschaft wetterfest zu machen gegenüber internationalen Spannungen, fortschreitendendem Klimawandel, gesellschaftlichen Erwartungen und rasanten Innovationszyklen. Katrin Suder und Jan F. Kallmorgen schildern die komplexen politischen Zusammenhänge und geben praktische Handlungsempfehlungen, um die neuen Risiken der 2020er Jahre vorausschauend zu managen. Ihr Buch beleuchtet deren Auswirkungen auf Märkte, Geschäftsmodelle, Lieferketten und Investitionen. Es macht deutlich: Unternehmensstrategie und Weltlage sind zwei Seiten einer Medaille.

INHALT

Kapitel 1Willkommen im Jahr 2025 – Ein Szenario

Analoge und digitale Seidenstraßen

2025 ist Europa souveräner

Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gibt es nicht

Die neue Verantwortung der Unternehmen

GeoTech ist 2025 ein zentrales Thema – auch für CEOs

Kapitel 2Die drei Dimensionen der Geopolitik, die Unternehmen in den Blick nehmen müssen

»Wie ein autoritärer Staat!«

Was die Wirtschaft heute über Geopolitik, ESG-Verantwortung und Technologie wissen muss

Wie sich Unternehmen auf die neue Weltordnung einstellen können

Warum politische Krisen eine umfassende Analyse erfordern

Kapitel 3Was uns wichtig ist

Wir brauchen mehr Expertise und Perspektivwechsel – Katrin Suder

Geopolitik muss eine größere Rolle spielen – Jan Kallmorgen

Kapitel 4Der USA-China-Konflikt und seine Auswirkungen auf Märkte

»Eine echte Bedrohung der Demokratie«

Die Lex Huawei

Was China für das Jahr 2025 plant

Neue Seidenstraße, neue Lieferketten, neue Abhängigkeiten

Ein neuer Kalter (?) Krieg als geopolitisches Risiko

Von Trump zu Biden – die China-Politik bleibt

Kapitel 5Die Folgen für Unternehmen

Nicht auf einzelne Pferde setzen

Die Herausforderungen des chinesischen Marktes

USA versus China: Was ist zu tun? Handlungsempfehlungen

Alternative Märkte – Chancen und Risiken

Kapitel 6Nachhaltigkeit und verantwortliches soziales Handeln als Wettbewerbsvorteil

Von Autoschlüsseln, Zwangsarbeitern und »weißen« Marken

Die Bedeutung des Kapitalmarkts für den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft

Eine grundsätzliche Haltungsänderung

ESG: Was ist zu tun? Handlungsempfehlungen

Kapitel 7Technologie als Machtinstrument

Machtinstrumente in der globalen Zusammenarbeit

Digitaler durch die Pandemie

Das Wasser kommt mit dem Lastwagen: Die Abhängigkeit vom Halbleiter

Technologiegetriebene Geopolitik

Technologie: Was ist zu tun? Handlungsempfehlungen

Kapitel 8Wie Unternehmen politischer werden

Geopolitik-Upgrade: Ein Wegweiser

Das gesamte Unternehmen muss politischer werden

Tools für politisches Risikomanagement

Was wäre, wenn … – What-if-Szenarien

Szenarioplanung als Grundlage der Strategie

Eine Szenarioplanung für Banken

SCHLUSS UND DANKSAGUNG

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS

Kapitel 1Willkommen im Jahr 2025 – Ein Szenario

Es ist ein warmer Tag im September 2025. Am Stadtrand von Mainz ist ein großes Zelt aufgebaut. Man hört Musik. Zur Einweihung einer neuen Giga-Fabrik sind Vertreter von Politik, Medien und Wirtschaft angereist. Es ist bereits die dritte Batteriefabrik in Deutschland, die innerhalb kürzester Zeit entstanden ist, und die erste in Rheinland-Pfalz. Kurz vor der Bundestagswahl wollen sich führende Wirtschaftspolitiker:innen noch einmal von ihrer besten Seite zeigen, zumal die Batterieherstellung inzwischen ein boomender Markt ist. Immer mehr Elektroautos auf deutschen und anderen Straßen weltweit benötigen immer mehr Batterien. Elektromobilität gilt damit inzwischen als einer der größten Wachstumstreiber, auch und gerade für die deutsche Chemieindustrie. In ganz Europa wird in Forschungsprojekte investiert, um die Kapazität der Batterien weiter zu erhöhen, immer neue Giga-Fabriken sind im Bau. In den festlichen Ansprachen in Mainz ist von der »Reindustrialisierung Europas« die Rede – und auch vom Ziel, sich in der Batterietechnologie »endgültig unabhängiger von den Marktführern aus Asien« zu machen. »Hier geht es um die Selbstständigkeit Europas«, sagt eine Rednerin. »Wenn wir uns auf chinesische Hersteller verlassen hätten, wäre die europäische Industrie heute längst tot!«

In den USA war bereits im Januar Kamala Harris als neue US-Präsidentin vereidigt worden. In der zurückliegenden Wahl im November 2024 hatte sie sich knapp gegen den republikanischen Bewerber Mike Pence durchsetzen können. Ihrem Vorgänger Joe Biden war es nach den zermürbenden Jahren der Trump-Präsidentschaft gelungen, die Gräben innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft zu verkleinern. Dank einer Politik des billigen Geldes hatten viele Amerikaner vom boomenden Aktienmarkt profitiert. Auch das Arbeitsmarkt- und Infrastrukturprogramm der Biden-Administration hatte Wirkung gezeigt. Andererseits war die private und öffentliche Verschuldung in schwindelerregende Höhen gestiegen. In der Außenpolitik hatten die USA durch das Desaster in Afghanistan viel Vertrauen bei Verbündeten verspielt, konnten in den Folgejahren ihre Allianzen aber wieder stärken. Dies galt insbesondere für den Indo-Pazifik-Raum, der strategischen Hauptarena, um die Gegenmacht China einzudämmen. Denn China war und ist der globale Rivale der USA; längst ist es auf vielen Feldern zu einem »Decoupling« gekommen, also einer Entkopplung der beiden Großmächte, mittlerweile auch auf dem Feld der Technologie.

Das von Xi Ping geformte China, ein ebenso effizienter wie autoritärer kapitalistisch-kommunistisch-konfuzianisch geprägter Staat mit stark wachsender Cyber-Aktivität und -Überwachung, ist unvermindert bestrebt, seinen globalen Einfluss weiter auszubauen. Mittlerweile ist die De-facto-Diktatur für drei Viertel aller Länder zum wichtigsten Handelspartner geworden. Der 2020 ausgerufene 14. Fünf-Jahres-Plan ist in aller Konsequenz umgesetzt, wirtschaftlicher Erfolg scheint nun endgültig nicht mehr mit der Staatsform Demokratie verknüpft zu sein. Xi Jinping ist der unumstrittene Führer Chinas, der Kult um seine Person nimmt längst bizarre Züge an. Die Welt sieht Bilder von Aufmärschen und Versammlungen, in denen Soldaten, Funktionäre und Bauern in Ehrfurcht erstarrt und mit aufgerissenen Augen seinen Worten lauschen und in jeder Sprechpause eifrig klatschen, um auf diesem Weg »Sozialpunkte« auf der vorinstallierten staatlichen Smartphone-App zu sammeln. Und auch 2025 erweist sich die autokratische Struktur Chinas nicht als wirtschaftlicher Nachteil.

Analoge und digitale Seidenstraßen

China hat Stück für Stück die Vorherrschaft im eurasischen Raum sowie in Afrika erobert. In den vergangenen Jahren ist die Seidenstraßen-Strategie mit immer neuen Infrastruktur- und Logistikprojekten weiter ausgebaut worden; als besonders erfolgreich hat sich die »Gesundheits-Seidenstraße« erwiesen. Während der COVID-19-Pandemie war es zunächst vor allem China, das Schwellen- und Entwicklungsländer mit Impfstoff versorgte und sich dadurch neuen Einfluss sicherte. Schon zuvor hatten chinesische Kredite und Baufirmen das Gesicht Afrikas verändert. Infrastrukturprojekte wie das städtische Nahverkehrssystem in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba, das China in den 2010er-Jahren für rund 500 Millionen Euro installierte, halfen dem Land, seine Macht auf dem afrikanischen Kontinent auszubauen. China hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Minen, Fabriken und Einkaufszentren finanziert und gebaut – und das nicht nur in Afrika und asiatischen Staaten. »Gebaut« und »geteert« wurde zudem im Netz. Die Strategie einer digitalen Seidenstraße, die aus Telekommunikationsnetzen ebenso wie aus Überwachungstechnologie besteht, verfolgt China auch im Jahr 2025 noch mit gleicher Vehemenz. Das einzige Problem: In der Chipproduktion hat China trotz aller Bemühungen den Anschluss an die Weltspitze noch nicht geschafft.

Auf dem chinesischen Markt und in den weniger entwickelten Teilen Asiens sowie in der Automatisierungstechnik dominiert China. Mit einer Mischung aus strategischer Technologiepolitik und Protektionismus ist es den USA und der EU aber gelungen, die Führerschaft in Schlüsseltechnologien wie Halbleiterproduktion, Mikroelektronik im Allgemeinen, Lasertechnologie und Spezialoptik zu verteidigen. Bei Zukunftstechnologien wie Quantencomputing, KI, Medizintechnik und digitalen Kryptowährungen liefern sich die USA und China bis heute ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

2025 ist Europa souveräner

Die Europäische Union hat im Jahr 2025 einen wichtigen Schritt hin zu mehr Souveränität getan. Maßgeblich dabei war die größte staatliche Intervention in der europäischen Nachkriegsgeschichte: der European Green Deal und das »Fit-for-55«-Programm der EU. Ihr ambitioniertes Ziel: bis 2050 die Nettoemissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und damit Europa als ersten Kontinent klimaneutral zu machen – und gleichzeitig Weltmarktführer für neue, CO2-freie Technologien, Produktion und Distribution zu werden. Dieser Green Deal wurde tatsächlich mit dem Ehrgeiz eines »Man-on-the-Moon-Projekts« angegangen, wie es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die 2025 im Amt bestätigt wurde, nannte. So gelang es, die Transformation der europäischen Industrie in Richtung Dekarbonisierung einen entscheidenden Schritt voranzutreiben. Nachdem der Kontinent mehr als 200 Jahre auf fossile Rohstoffe gesetzt hat, zeigt er im Jahr 2025 ein neues Gesicht: Wasserstoff wird eine realistische Energiequelle. Sie stammt vor allem aus globalen H2-Partnerschaften, die die EU unter Führung Deutschlands mit Ländern wie Australien, Brasilien oder Marokko geschmiedet hat.

Zentral für den Erfolg des Green Deal war eine etwas sperrig klingende und anfangs nur von Expert:innen beachtete, aber hochwirksame Regulierung, die Anfang 2022 in Kraft getreten war: die EU-Taxonomie. Diese verfolgt das Ziel, mithilfe eines Klassifikationssystems für grüne und nachhaltige Investments Kapitalströme in Unternehmen und Projekte zu lenken. Damit hat die EU einen starken Anreiz für Unternehmen geschaffen, die Dekarbonisierung voranzutreiben und sich als soziale Akteure zu positionieren. Wer 2025 nicht verantwortungsvoll wirtschaftet, kann sich kaum noch Geld auf den Finanzmärkten beschaffen oder nur zu sehr ungünstigen Konditionen, weil immer mehr Fonds und Investmentbanken ausschließlich in Firmen, die »grün, nachhaltig und gerecht« agieren, investieren oder ihnen Kredite geben. Mithilfe der EU-Taxonomie gelang es, Investitionen in Billionenhöhe zugunsten der Dekarbonisierung weitgehend über den Kapitalmarkt zu finanzieren – ein regulatorischer Coup der EU, der Wirkung zeigt: So legen internationale Versicherungen und Pensionsfonds weltweit 2025 ihre Gelder überproportional in der Europäischen Union an.

Parallel dazu wurden bisher maßgebliche EU-Kriterien aufgeweicht. Keinem Staat ist es gelungen, nach der Corona-Krise seine Schulden wieder unter die im Maastricht-Vertrag festgelegte Grenze von 60 Prozent des Bruttosozialprodukts zu drücken. 2023 war der Stabilitäts- und Wachstumspakt in einem wichtigen Punkt geändert worden: Staatliche Investitionen in grüne Projekte und Infrastruktur werden seitdem separat von anderen Staatsausgaben behandelt, wodurch die EU-Mitgliedsstaaten nun deutlich mehr Flexibilität hinsichtlich ihrer Ausgabenpolitik haben. Die südeuropäischen Länder unter Führung von Italiens Ministerpräsident Mario Draghi hatten dies gegen starken Widerstand der kleineren nordeuropäischen Länder durchgesetzt – flankiert von Frankreichs wiedergewähltem Präsidenten Macron und geduldet von der deutschen Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz.

Die Folgen waren drastisch: Allein in Deutschland liegt die Staatsverschuldung 2025 bei knapp 2,5 Billionen Euro und damit noch einmal deutlich über dem Rekordstand, der durch die erhöhten Ausgaben im Zuge der Corona-Krise erreicht worden war. Auch die EZB hat ihre Politik des billigen Geldes und niedriger Zinsen zur Unterstützung der wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise und von Investitionen in den Green Deal fortgesetzt. Zusammen mit einem erheblichen – zum Teil durchaus gewollten, aber von den Bürger:innen und der Industrie heftig kritisierten – Anstieg der Energiepreise führte dies zu einem Anstieg der Inflationsrate über die 2-Prozent-Grenze, die sich die EZB gesetzt hat. Der Vorteil, den viele Ökonom:innen früher hinter vorgehaltener Hand, nun aber immer offener artikulieren: Inflation ist schon immer ein mögliches Mittel zum Schuldenabbau gewesen.

Bemerkenswerterweise und entgegen der Erwartung vieler Skeptiker:innen war es Draghi, Macron und Scholz ebenfalls gelungen, die lange angestrebte EU-Banken- und Kapitalmarktunion zu schaffen. Damit erhielt die Wirtschaft endlich leichteren Zugang zu paneuropäischen Finanzdienstleistungen mit einheitlichen Regeln, größeren Aktienmärkten vor der Haustür, Private Equity sowie dem dringend für Innovationen benötigten Wagniskapital. Der offene EU-Kapitalmarkt hat wiederum maßgeblich dazu beigetragen, die notwendigen Billionen-Investitionen für den Klimawandel zu mobilisieren.

Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gibt es nicht

Während die EU 2025 in puncto Klima oder auch Digitalwirtschaft und Datenschutz eine regulatorische Weltmacht ist, lässt sich dasselbe in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht behaupten. Zwar haben sich einige Länder unter Führung Frankreichs und Deutschlands zusammengetan, um stabilisierende Auslandseinsätze vor allem in Afrika durchzuführen und dadurch das Aufkommen neuer Flüchtlingsströme zu verhindern. Dennoch ist die EU nach wie vor keine globale Ordnungsmacht und militärisch weiterhin von den USA und der NATO abhängig, denn die USA hält den nuklearen Schutzschirm zur Verteidigung der EU-Ostflanke aufrecht. Im Gegenzug erwartet Washington von den europäischen Partnern allerdings, dass sie den USA hinsichtlich der Politik gegenüber China folgen – der neue transatlantische »Grand Bargain«. Zu diesem gehört auch, dass sich primär die Europäer:innen um Stabilität in den Beziehungen zu Russland und der Türkei kümmern, was seit dem Ausscheiden von Wladimir Putin aus dem Präsidentenamt im vergangenen Jahr zunehmend gelingt.

Eine spürbare Veränderung seit der Zeit der Corona-Pandemie ist der wesentlich stärkere Einfluss des Staates in der Wirtschaft und der Industriepolitik. In der Corona-Krise erwarben viele Staaten Anteile an Privatunternehmen. In den meisten Fällen konnte dieses Engagement bis 2025 noch nicht rückgängig gemacht werden, ganz allgemein besteht eine große Abhängigkeit von staatlichen Investitionsprogrammen. Die Europäische Union hat den EU Recovery Fund mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro – davon rund die Hälfte erstmals als Gemeinschaftsschulden – aufgelegt, die USA das sogenannte Stimulus Package mit dem Rekordwert von rund zwei Billionen US-Dollar. Beide Programme haben den beteiligten Volkswirtschaften und den Aktienmärkten starken Auftrieb gegeben. Schwer haben es Investor:innen aus Nicht-EU-Ländern, vor allem in den »renationalisierten« Bereichen Pharma- und Medizintechnik. Medikamente werden als Folge der Pandemie wieder zunehmend in Europa hergestellt, auch um in Krisenfällen die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten zu senken.

Die neue Verantwortung der Unternehmen

Im Jahr 2025 hat sich die Rolle von Unternehmen und CEOs weiter gewandelt. Vor allem die großen Konzerne leisten inzwischen einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels, ebenso wie zur Überwindung der wachsenden Ungleichheit in der westlichen Welt sowie in den Ländern des globalen Südens. Der »Stakeholder-Kapitalismus« ist nun Realität: Kein Unternehmen kann es sich 2025 noch leisten, nicht über eine ausgefeilte Nachhaltigkeits- und Verantwortungsstrategie zu verfügen. Es gibt bereits erste Verantwortungs-GmbHs.

Die neue Verantwortung der Unternehmen manifestiert sich insbesondere in drei Buchstaben: ESG. Die Abkürzung steht für Nachhaltigkeit in den Bereichen Environment (u. a. Umwelt und Klima), Social (u. a. soziale Gerechtigkeit, Arbeitsrechte, Diversität, Menschenrechte) und Governance (u. a. Aufsichtsstrukturen, Compliance). Bei Investitions- und Produktionsentscheidungen ist es im Jahr 2025 selbstverständlich, dass ESG-Kriterien Berücksichtigung finden. Wie zentral das Thema inzwischen ist, wird bei den Hauptversammlungen der großen Konzerne deutlich. Während in den 2010er-Jahren das Thema Verantwortung noch unter dem Kürzel CSR (Corporate Social Responsibility) zusammengefasst und auf Hauptversammlungen eher sporadisch diskutiert wurde – auch weil es sich oft um PR handelte –, spricht 2025 ein CEO ganz selbstverständlich in seiner Rede von Klimaschutz, sozialem Zusammenhalt, Kampf gegen Kinderarbeit, Reduzierung von Kobalt für Batterietechnologien und von der Verantwortung seines Unternehmens im Hinblick auf die Einhaltung von Menschenrechten. Das Verständnis und die Kommunikation mit all diesen Stakeholdern ist zentraler Bestandteil der CEO-Agenda geworden.

Und nicht zu vergessen: 2025 hat eine Reihe von weiblichen CEOs die Verantwortung in DAX-Konzernen übernommen – endlich.

GeoTech ist 2025 ein zentrales Thema – auch für CEOs

Mit einer weiteren Dimension müssen sich CEOs, ob weiblich oder männlich, 2025 verstärkt auseinandersetzen: den Folgen der anhaltenden geopolitischen Systemrivalität zwischen China und dem Westen und dem damit einhergehenden Wettbewerb auf dem Feld der Hochtechnologie. Die USA haben eine sogenannte »Tech Containment«-Politik gegenüber China entwickelt und wollen die europäischen Alliierten zunehmend darin einbinden. Die Folge: Unternehmen werden gezwungen, sich zu entscheiden, welche Technologien sie bei wem einkaufen und wo sie sie einsetzen. Im Technologiebereich ist es nicht mehr länger eine Frage der besten Lösungen und der Architektur, sondern zunehmend der Geografie, wo Entwicklung, Produktion und Distribution von Produkten sowie Datenverarbeitung angesiedelt werden. Unternehmen bauen infolgedessen zum Teil teure Mehrfachstrukturen auf – für den amerikanischen und den chinesischen Markt und etwa beim Datenmanagement zunehmend für jedes einzelne Land.

Nicht nur den globalen Technologiekonzernen ist es nun verwehrt, auf allen Märkten mit einem einheitlichen Angebot aufzutreten – dies betrifft in immer größerem Maße alle Unternehmen, denn Technologie ist inzwischen zentral für jedes Geschäftsmodell geworden. 2025 haben viele ihre digitale Transformation entweder abgeschlossen oder doch deutlich vorangetrieben, sie sind technologiegetrieben. Prozesse sind digitalisiert worden, Daten bilden die Grundlage für Entscheidungen, repetitive Aufgaben werden von künstlicher Intelligenz durchgeführt, Fabriken sind umgebaut, Hardware und Software kommen zusammen, der allgemeine Automatisierungsprozess hat eine neue Stufe erreicht. Die geotechnologische Teilung der Welt führt insofern dazu, dass im einen Land nicht gilt, was im anderen Standard ist. Dies verursacht Ineffizienzen und treibt die Kosten.

Apropos Kosten: Weil durch das Internet of Things (IoT) alles mit allem verknüpft ist, wird auch alles gehackt – zahlreiche Unternehmen haben das sogenannte cyber rat race verloren, konnten »Eindringlinge« nicht abwehren und sind insolvent gegangen.

Weil Digitalisierung und die dafür notwendigen Technologien so zentral geworden sind, weil sie 2025 der Rohstoff sind für alle Industrien und Prozesse, werden sie inzwischen als politisches Instrument eingesetzt.

Und genau da tun sich viele vor allem mittelständische Unternehmen schwer, den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Viele Mittelständler stellen 2025 fest, dass sie es jahrelang versäumt haben, sich auf diese stark politisch getriebene Zeit vorzubereiten. Denn es zeigt sich: Mehr als jemals zuvor sollten Unternehmen wissen, in welchem politischen Umfeld sie jeweils agieren.

Ob 2025 so aussehen wird? Wir wissen es nicht.

Mit Prognosen sollte man generell vorsichtig sein. Wer hätte Anfang 2020 geahnt, dass wenige Wochen später eine Pandemie alles auf den Kopf stellen würde? Auf der anderen Seite hat die Weltgemeinschaft auch gezeigt, zu was sie in der Lage ist: Innerhalb eines Jahres war es Wissenschaftler:innen gelungen, Corona-Tests bereitzustellen, die Behandlung anzupassen und einen sicheren und wirksamen Impfstoff zu entwickeln. So schnell wie nie zuvor im Kampf gegen ein Virus. Im Grunde stimmt das zuversichtlich, trotz aller Krisen, Kriege und Verwerfungen, die das Leben auf dem Planeten belasten.

Fest steht jedoch: In diesem Jahrzehnt, in der Zeit bis zum Jahr 2030, müssen Unternehmenslenker:innen, Aufsichtsräte und Investoren größte Priorität auf das richtige Management von geopolitischen Risiken, Klimawandel, ESG und Technologie legen. Davon hängt mittelfristig ein Großteil des Unternehmenswerts ab.

Dafür müssen wir auch nicht ins Jahr 2025 blicken. Außen- und sicherheitspolitische Machtverschiebungen haben längst CEO-Relevanz bekommen, müssen von Vorständen im Blick behalten werden. Denn sie beeinflussen Strategien, Geschäftsmodelle, Investitionen und Handel.

Das beobachten wir in unserer täglichen Arbeit in unseren verschiedenen Rollen und insbesondere in der geopolitischen Beratung – und das versuchen wir in diesem Buch zu vermitteln.

Kapitel 2Die drei Dimensionen der Geopolitik, die Unternehmen in den Blick nehmen müssen

Am 11. September 2017 feiert Katalonien seinen Nationalfeiertag. Wie in jedem Jahr wird in Barcelona des Nationalhelden Rafael Casanova i Comes gedacht. Eigentlich nur ein sich alljährlich wiederholendes Ritual. Doch 2017 ist alles anders.

Die Stimmung ist aufgeheizt, mehr als eine Million Menschen sind an diesem Septembertag gekommen, es ist eine gewaltige Demonstration – und die Demonstranten haben nur eine Forderung: Katalonien soll sich von Spanien abspalten. Die Region will die Unabhängigkeit. Am 1. Oktober 2017 soll es auf Wunsch der Katalanen ein Unabhängigkeitsreferendum geben, mit dem sich das wirtschaftlich starke Katalonien vom Rest des Landes loslösen will. Angeführt wird die Unabhängigkeitsbewegung vom Regionalpolitiker Carles Puigdemont, der in einer Rede vor dem katalonischen Regionalparlament klarstellt: »Wenn Madrid keine Einigung will und die Mehrheit der Katalanen einen unabhängigen Staat will, wie soll man das dann verhindern?« Damit ist der Ton vorgegeben.

Was in Barcelona geschieht, sorgt für ein heftiges Brodeln, nicht nur in Spanien. Auch im europäischen Ausland und in der Europäischen Kommission wird es aufmerksam beobachtet. Und es gibt viel Kritik. Der spanische König Felipe VI. sagt im Oktober 2017 in einer Fernsehansprache, die katalanische Regionalregierung habe sich nicht an die Rechtsordnung Spaniens gehalten. Das Ganze sei ein »unverantwortliches Verhalten«, mit dem sie »die wirtschaftliche und soziale Stabilität« Kataloniens und ganz Spaniens riskiere.

Das Verfassungsgericht in Madrid erklärt das Referendum schließlich für verfassungswidrig, was die Regionalregierung nicht davon abhält, es dennoch durchzuführen – koste es, was es wolle.

»Wie ein autoritärer Staat!«

In den Tagen rund um das Referendum werden die Auseinandersetzungen lauter und heftiger. Hunderttausende demonstrieren in Barcelona gegen die Regierung in Madrid. Die Welt sieht, wie spanische Polizisten mit Schlagstöcken und Gummigeschossen auf Demonstranten losgehen; Wahllokale werden geschlossen, Abstimmungsunterlagen beschlagnahmt. Das Ergebnis des Referendums lautet, dass 90 Prozent der Wähler für die Ausrufung einer katalanischen Republik gestimmt haben, allerdings bei nur 42 Prozent Wahlbeteiligung. Am 27. Oktober 2017 wird im katalanischen Parlament die Unabhängigkeit der Region ausgerufen – was von Madrid nicht anerkannt wird. Am 30. Oktober 2017 erhebt die spanische Staatsanwaltschaft dann Anklage gegen Puigdemont, er wird per Haftbefehl gesucht. Die Vorwürfe lauten: Rebellion, Auflehnung gegen die Staatsgewalt und Unterschlagung öffentlicher Gelder. Puigdemont flieht nach Brüssel – und kritisiert bei einer Pressekonferenz vor allem auch die EU: »Fundamentale Freiheitsrechte europäischer Bürger wurden verletzt. Aber von der EU kommt nichts!« Die Zentralregierung in Madrid handele, so Puigdemont, »wie ein autoritärer Staat«. Die Lage bleibt verworren, unklar war und ist, was aus dem Wunsch nach Unabhängigkeit Kataloniens wird.

Mitten in dieser Gemengelage bekamen wir als Berater:innen eine Anfrage. Eine amerikanische Energiefirma wollte im Hafen von Barcelona knapp eine Milliarde Euro in eine Anlage investieren. Ein Investment, das auf mindestens 20 Jahre angelegt war. Das am Mittelmeer gelegene Barcelona war als Standort eigentlich ideal. Aber sie waren unsicher und fragten uns: Was passiert da? Wie ist die Entwicklung zu bewerten? Wird Katalonien ein eigenständiger Staat, tritt es aus der EU aus? Wie werden sich die Beziehungen zur EU entwickeln? Wie wird die spanische Regierung reagieren? Helft uns, diese Entwicklung zu verstehen. Wie gesagt: Betriebswirtschaftlich betrachtet war die Investition eine kluge Entscheidung, juristisch und politisch jedoch eine zur damaligen Zeit äußerst brisante.

Wir machten uns an die Arbeit. Denn dies war eine der typischen Situationen, in denen wir angefragt werden: Wenn die Lage unübersichtlich und die weitere Entwicklung nicht absehbar ist, wenn es gilt, über den aktuellen Tellerrand hinauszublicken, zeigt sich, wie relevant heute fundierte geopolitische Kenntnisse sind. Denn das geopolitische Risiko ist greifbar – und doch noch zu wenig beleuchtet. Dabei hängt für Unternehmen vieles von differenzierten geopolitischen Einschätzungen und Analysen ab.

Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und Steuern zahlen und damit die Grundlage unseres Wohlstands schaffen, müssen auf die neuen globalen Veränderungen vorbereitet sein. Je früher und konsequenter sie mögliche Szenarien durchdacht haben, desto zeitiger lassen sich Anpassungen vornehmen: an der Strategie, am Geschäftsmodell, an der Investitionsplanung. Mittlerweile haben das immer mehr Unternehmenslenker:innen verstanden. Aber es war ein langer Weg – den wir auch persönlich gegangen sind. Heute, zu Beginn des Jahres 2022, sind geopolitische Analysen und Beratung gefragter denn je, zumal eine Pflicht besteht, die wichtigsten Themen zu bedenken. Vorstand und Aufsichtsrat sind nicht zuletzt auch rechtlich gebunden, sich geopolitischer Risiken anzunehmen, wie einer der renommiertesten deutschen Gesellschaftsrechtsexperten, Christoph Seibt, im Gespräch mit uns betont. So muss die Führungsetage externe Risiken – wie etwa den Konflikt USA-China – im Auge behalten und mögliche Folgen antizipieren, muss die Risikoanalyse Themen wie Klimawandel oder Menschenrechte berücksichtigen. Geschieht das nicht, gilt es als Pflichtverletzung. Mit anderen Worten: Unternehmen müssen ihren Blick auf die Welt schärfen und über ihre klassische betriebswirtschaftliche Perspektive hinausdenken.

Ihnen will dieses Buch helfen, indem es die neuen Dynamiken und ihre Zusammenhänge analysiert, Fragen stellt und zum Perspektivwechsel einlädt. Wir sehen uns dabei in der Rolle von Übersetzer:innen und Frühwarner:innen, die seit Jahren darauf achten, was auf internationalen Konferenzen und in Thinktanks diskutiert wird und welche Pläne das Weiße Haus, die Brüsseler EU-Kommission oder die chinesische Staatsführung verfolgen. Oder wohin der ESG-Zug rollt, welche Anforderungen und Risiken das neue »Lieferkettensorgfaltsgesetz« ab 2023 birgt oder wer bei künstlicher Intelligenz (KI) und Halbleitern die Nase vorn hat.

Was die Wirtschaft heute über Geopolitik, ESG-Verantwortung und Technologie wissen muss

Wir leben in einer Welt, die volatil, unberechenbar, komplex und voller Ambiguitäten ist – in der oft zitierten VUKA-Welt also. Nichts ist sicher; was gestern noch galt, kann morgen veraltet sein. Wir haben das in den vergangenen 20 Jahren immer wieder selbst erlebt und gesehen, welche Wucht geopolitische Entscheidungen entfalten können. Als Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium (BMVg) von 2014 bis 2018 erlebte Katrin Suder eines jener politisch ausgelösten »Beben«, die in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben: »Wir waren damals, Anfang 2017, alle geschockt. Wir trafen uns zu einer Besprechung im Verteidigungsministerium, in einem fensterlosen und abhörsicheren Raum, intern auch U-Boot genannt. Es gab leicht säuerlichen Filterkaffee, der schon seit Stunden in der Maschine stand, und es ging um die Nachricht des Tages: Der neue US-Präsident Donald Trump hatte verkündet, die NATO sei für ihn obsolet. Er könne sich vorstellen, dass die USA aus der NATO aussteigen werde, hieß es aus dem Weißen Haus. Und auch wenn man gerade im BMVg vorsichtig sein sollte mit der Formulierung, etwas habe ›wie eine Bombe eingeschlagen‹, stimmt es tatsächlich: Uns klappte die Kinnlade herunter, wir waren sprachlos. Für uns alle im Raum war es unvorstellbar, dass die USA die NATO verlassen könnten. Wir skizzierten, welche unmittelbaren und langfristigen Auswirkungen das haben würde. Es wäre ein tiefer Einschnitt gewesen. Für mich war es rückblickend ein Tag, der mir zeigte, welche Tragweite Entscheidungen haben können, die von einem einzelnen Individuum ausgehen, auch wenn er kein Diktator, sondern der Präsident der mächtigsten Demokratie der Welt ist. Auch wenn es glücklicherweise am Ende anders kam: Es blieb das beunruhigende Gefühl, dass Gewissheiten von einem Tag auf den anderen zerplatzen können, und die Erkenntnis, wie tiefgreifend (und schnell) sich die Welt heute verändern kann. Diese Episode verstärkte bei mir die Überzeugung, dass es zwingend notwendig war, tiefer und umfassender in die Bedeutung von Geopolitik für uns hier in Deutschland einzusteigen. Später entstand daraus der Wunsch, dies ganz konkret für Unternehmen zu tun, anknüpfend an meine Zeit als Beraterin.«

Wenn von Geopolitik die Rede ist, geht es um die Wechselwirkungen zwischen Geografie und Macht. Der Begriff »Geopolitik« fasst beide Parameter zusammen, weil beide große Auswirkungen auf Staaten und die Beziehungen zwischen Staaten sowie auf die Wirtschaft haben. Wer immer Planung im internationalen Maßstab betreibt, sollte dieses Zusammenspiel mitdenken.

Wir erweitern hier die Definition von geopolitischen Risiken um diejenigen externen politischen Dynamiken, die aus unserer Sicht die 2020er-Jahre am stärksten prägen, mit Auswirkungen auf Märkte, Wertschöpfungsketten und Transaktionen: Neben der Geopolitik im engeren Sinne sind dies der neue Imperativ für Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Verantwortung, der sich unter ESG subsumieren lässt, sowie Technologie. Wir blicken bewusst ganzheitlich auf diese drei Themenfelder, da sie in Kombination für die Komplexität einer neuen Weltordnung stehen, also das geopolitische Risiko des wirtschaftlichen Handelns bestimmen: daher der Titel dieses Buches.

Was in der Geopolitik wichtig ist

Die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China, den führenden Mächten und größten Exportmärkten für europäische Unternehmen, werden die nächste Dekade beherrschen. Das wird insbesondere global verflochtene deutsche Unternehmen vor weitreichende Entscheidungen stellen, die nicht allein mithilfe des vertrauten betriebswirtschaftlichen Instrumentariums getroffen werden sollten. Denn der Status quo kann durch ein neues in Washington oder Peking verabschiedetes Gesetz, also quasi mit einer Unterschrift, zerstört werden.

Die zunehmende Systemrivalität zwischen Washington und Peking und die partielle Entkoppelung der jeweiligen Wirtschaftsräume stellt die deutsche Politik und Industrie vor größere Herausforderungen, als vielen derzeit bewusst ist. Daher betrachten wir das Verhältnis zwischen den USA und China und die Rolle der EU und Deutschlands in diesem Gefüge als eine der wichtigsten geopolitischen Fragen der 2020er-Jahre.

Natürlich fordern auch andere Probleme den Westen heraus: Autokratien, die das Völkerrecht missachten; Diktatoren, die foltern und Menschenrechte mit Füßen treten; Korruption; Migrationsdruck; organisierte Kriminalität. Oder auch das Verhältnis zu Russland. Russland ist unser Nachbar, und ohne Russland ist eine dauerhafte Friedensordnung in Europa schwer vorstellbar. Unter Putin zielt Russland eher auf eine Spaltung des Westens und lehnt sich derzeit an seinen anderen Nachbarn China an – eine Entwicklung, die nicht im Interesse des Westens und Europa liegen kann. Auch darauf muss reagiert werden.

Und selbstverständlich bergen auch der Nahe und Mittlere Osten einschließlich der Türkei, Ägyptens, Nordafrikas und der arabischen Halbinsel mit ihren Konflikten, Krisen und diversen gescheiterten Staaten massive politische Risiken, darunter das unabsehbare Potenzial weiterer Flüchtlingskrisen. Nicht zuletzt ist und bleibt es innerhalb Europas kompliziert: Populistische Regierungen wie in Ungarn und Polen stellen Politik und Wirtschaftsakteur:innen vor große Herausforderungen und verhindern auf verschiedenen Ebenen schnelle Fortschritte.

Doch in diesem Buch stehen China und die USA aufgrund ihrer Größe und Relevanz im geopolitischen Mittelpunkt.

Was beim Thema ESG wichtig ist

Zweites Hauptthema dieses Buches ist der Megatrend ESG und die damit verbundenen neuen Erwartungen an Unternehmensführungen, mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und zum Teil auch politisch Stellung zu beziehen.

Die deutsche und die europäische Industrie stehen vor der Jahrhundertaufgabe der Dekarbonisierung, die privater und öffentlicher Finanzmittel in Billionenhöhe bedarf. Auf drei Dinge kommt es dabei an: neben der Verpflichtung der Wirtschaft auf die Pariser Klimaziele auf die richtigen Rahmenbedingungen und insbesondere auf eine Regulierung, die Anreize schafft, globale Kapitalflüsse in nachhaltige Produktion und Produkte zu lenken. Dies ist eines der Ziele der EU-Sustainable-Finance-Strategie und der eingangs schon erwähnten »Taxonomie«. Gelingt der EU der Green Deal, besteht die Chance, dass europäische Unternehmen mit neuen, CO2