Das Geschenk der Sterne - Hans Kruppa - E-Book

Das Geschenk der Sterne E-Book

Hans Kruppa

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Beschreibung

Inspiration ist das größte Geschenk Seit jeher ist der Weise Tschuang Tse dem Prinzen Yan ein Dorn im Auge, erscheinen ihm die Reden des großen Philosophen doch höchst gefährlich. Yan beauftragt seinen Soldaten Min Teng, den Philosophen umzubringen. Doch der Soldat ist überrascht, dass der alte Mann keine Angst vor dem Sterben hat. Es entspinnt sich ein tiefes Gespräch zwischen den beiden, und Min Teng kommen Zweifel an seinem Auftrag. Da er aber nicht unverrichteter Dinge im Palast erscheinen kann, entschließen sich die zwei Männer zur Flucht. Unterwegs wächst Min Tengs Erkenntnis – und er öffnet sich für die Liebe zu einer jungen Frau.

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Seitenzahl: 258

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HANS KRUPPA

DAS GESCHENKDER STERNE

Roman

Mit Illustrationenvon Catherine Ducloux

PERSONEN

Tschuang Tse – bedeutender Weiser und ein Mann des Tao

Min Teng – tritt in Tschuang Tses Leben, um es zu beenden

Yan – Prinz von Sung, skrupelloser Tyrann

Feng – Hauptmann der Palastwache des Prinzen Yan

Huang Sun – Freund Tschuang Tses

Tan Yong – Soldat in den Diensten von Prinz Yan

Han Ting – ist ein Mann des Tao, ohne es zu wissen

Kun Liang – Heilkundiger in He Jing und Freund Tschuang Tses

Yu Lin – anmutige junge Frau mit einer besonderen Gabe

Lao Tse – legendärer Weiser, der in seinem Buch weiterlebt

Hong Wang – reicher Großkaufmann, der nicht alles kaufen kann

Mo Tschen – Gastwirt in Mang Wu, Schwager von Kun Liang

ERSTER TEIL

UNVERHOFFTER BESUCH

Als Tschuang Tse um die Mittagszeit von einem Spaziergang zurückkehrte, wartete ein junger Mann vor seinem Haus, verneigte sich höflich und fragte: »Bist du Tschuang Tse?«

»Ja, der bin ich.«

»Mein Name ist Min Teng. Ich habe eine Nachricht für dich.«

»Laß uns hineingehen«, erwiderte Tschuang Tse.

Der junge Mann folgte ihm ins Innere seines kleinen Hauses, schloß die Tür hinter sich und sagte: »Es ist keine gute Nachricht. Du wirst jetzt sterben!«

Min Teng zückte seinen Dolch, doch etwas hinderte ihn daran, den todbringenden Stoß auszuführen. War es die Verblüffung darüber, daß Tschuang Tse nicht die geringste Furcht vor dem Sterben zeigte? Nicht eine Spur von Angst war in seinem Blick. Er sah Min Teng mit einer Gelassenheit an, die ihn maßlos verwirrte.

Je länger Min Teng in Tschuang Tses Augen sah, desto deutlicher wurde ihm bewußt, daß er ihn nicht töten konnte, ohne zuvor herauszufinden, warum er sich nicht vor dem Sterben fürchtete. Außerdem hatte ein Mann, der mit solchem Gleichmut der Zerstörung seines Lebens entgegensah, eine Aufklärung über den Grund seines Todes verdient. Min Teng senkte langsam den zum Dolchstoß erhobenen Arm.

»Wollen wir uns nicht setzen? Meine Beine sind etwas müde von meinem Spaziergang.«

Min Tengs Verwunderung über Tschuang Tses Sorglosigkeit wuchs. Hatte der Mann, den viele für einen bedeutenden Weisen hielten, seinen Verstand verloren?

Unwillkürlich streifte Min Tengs Blick über die karge Einrichtung des Raumes. Tschuang Tse lebte in Armut. Nur das Allernötigste war in dem kleinen Haus vorhanden und von den Spuren langen Gebrauchs gezeichnet. Seine abgetragene Kleidung hatte kleinere Löcher und Risse, seine Schuhe waren mit Schnüren zusammengebunden, damit sie nicht auseinanderfielen.

Die Tötung des schlanken, fast schmächtigen Mannes, der in Lumpen herumlief und sich gerade so unbekümmert auf einem der beiden zerschlissenen Sitzkissen niederließ, als hätte er die Lage der Dinge überhaupt nicht verstanden, würde ein Kinderspiel sein. Tschuang Tse war nicht mehr der Jüngste und trug keine Waffe am Körper, mit der er sich hätte verteidigen können. Er strahlte mit allen Fasern seines Wesens aus, daß er kein Kämpfer war. Von diesem seltsamen Mann ging nicht die geringste Gefahr aus, er wirkte wehrlos und arglos wie ein Kind. Ohne daß Min Teng hätte sagen können warum, störte ihn die Leichtigkeit, mit der sich Tschuang Tses Leben vernichten ließ.

»Hast du keine Angst vor dem Tod?« fragte Min Teng, schob seinen Dolch in die Scheide zurück und setzte sich auf das andere Strohkissen.

»Warum sollte ich?«

»Alle Menschen fürchten den Tod!«

»Nur diejenigen, die nicht wissen, daß er nicht zu fürchten ist. Warum willst du mich töten?«

»Hauptmann Feng, der Führer der Palastwache des Prinzen Yan, gab mir den Befehl dazu. Prinz Yan hält dich für einen gefährlichen Mann, dessen Gedanken und Worte die Menschen im Land in geistige Verwirrung stürzen könnten.«

Tschuang Tse lachte auf. »Sie sind bereits so verwirrt, daß es unmöglich wäre, sie in noch größere Verwirrung zu stürzen!«

»Du lachst im Angesicht deines Todes?«

»Ich lache, weil ich etwas Lustiges gehört habe.«

»Deine Furchtlosigkeit beeindruckt mich.«

»An dir kann ich bislang nichts Beeindruckendes entdecken.«

»Ich bin nicht hier, um dich zu beeindrucken.«

»Darf ich dir eine Schale Wasser anbieten?« fragte Tschuang Tse und stand auf.

Während Min Teng noch darüber nachdachte, ob es recht war, Wasser von einem Mann anzunehmen, den er gleich erdolchen würde, hatte Tschuang Tse einen Krug mit Wasser und zwei Schalen auf den Tisch gestellt und sich wieder auf dem Sitzkissen niedergelassen.

Min Teng goß Wasser in eine der beiden Schalen. »Genieße dieses Wasser! Es wird dein letztes sein.«

»Ich frage dich, Min Teng: Ist es nicht verwunderlich, daß ein mächtiger, reicher Mann wie Yan, der Prinz von Sung, einen machtlosen, armen Mann wie mich so sehr fürchtet, daß er meinen Tod will?«

»Es steht mir nicht zu, die Beweggründe des Prinzen in Frage zu stellen. Du bist ein Schädling, denn dein Denken vergiftet den gesunden Menschenverstand, auch wenn manche dich für einen Dichter halten, sogar für einen Weisen. Trinke dein Wasser, Tschuang Tse!«

Tschuang Tse nahm die Schale und stellte sie vor Min Teng auf den Tisch. »Trink du es! Oder fürchtest du, daß es vergiftet ist?«

Min Teng widerstand dem Drang, erneut seinen Dolch zu ziehen. Warum zögerte er, den Befehl des Prinzen von Sung auszuführen? Sicherlich war es Tschuang Tses Furchtlosigkeit, die ihn nach wie vor beeindruckte, aber mehr noch war es das Verlangen zu erfahren, was der Grund dieser Todesverachtung war. Er saß keinem gebrechlichen Greis gegenüber, der ohnehin bald sterben würde, sondern einem Mann im Herbst seines Lebens, der heiter und zufrieden wirkte, offensichtlich bei bester Gesundheit war und sich noch viele Jahre seines Daseins erfreuen konnte.

DIE AUSKUNFT DES TOTENSCHÄDELS

»Warum ist deiner Ansicht nach der Tod nicht zu fürchten, obwohl fast alle Menschen Angst vor ihm haben?« fragte Min Teng.

»Sie fürchten ihn, weil sie ihn nicht kennen.«

»Du kennst ihn auch nicht, Tschuang Tse. Aber du wirst ihn gleich kennenlernen! Danach wirst du mir allerdings nicht mehr sagen können, ob er wirklich nicht zu fürchten ist.«

»Min Teng, wie kannst du wissen, ob die Furcht vor dem Tod nicht der Furcht eines Kindes gleicht, das glaubt, ins Ungewisse, ins Unbekannte zu gehen, ohne zu wissen, daß es sich in Wahrheit auf dem Heimweg befindet? Ein Mädchen, Tochter armer Eltern, wurde gegen seinen Willen an den Hof eines Königs geholt und weinte deshalb bittere Tränen. Als es jedoch im Palast des Königs lebte, mit ihm das weiche Lager teilte und das üppige Mahl an seiner Tafel genoß, bereute es seine Tränen bald. Ich frage dich, Min Teng: Wie kannst du wissen, daß die Toten nicht auch bereuen, einst mit allen Fasern ihres Wesens am Leben gehangen zu haben?«

»Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Auch du nicht, Tschuang Tse!«

»Wie kannst du das wissen? Du bist nicht ich.«

»Weil du ein Mensch bist, und kein Mensch weiß, was nach dem Tod sein wird.«

»Und wenn ich es weiß, obwohl ich ein Mensch bin?«

»Wie solltest du es wissen können?«

»Die Einsicht ist zu mir gekommen, ohne daß ich sie gesucht habe. Alles wahre Wissen kommt auf diese Weise. Der Tod ist nicht etwas, das wir fürchten sollten.«

Min Teng fragte sich, ob es möglich war, daß ein Mensch mehr vom Tod wissen konnte als die anderen.

»Vor vielen Jahren unternahm ich eine Wanderung«, erzählte Tschuang Tse. »Ich wandere gern ziellos umher, weil dies die beste Art ist, ans Ziel zu kommen. Dabei fand ich einen Totenschädel, der von der Witterung gezeichnet war, aber seine Form bewahrt hatte. Ich berührte ihn mit meinem Wanderstab und fragte: ›Warst du einmal ein allzu Gieriger, dessen Maßlosigkeit dich hierher gebracht hat? Oder ein Verräter, der mit dem Beil hingerichtet wurde? Warst du ein gemeiner Schurke, der Schande über seine Familie gebracht hat? Vielleicht ein Bettler, der durch Hunger und Kälte umkam? Oder bist du ganz einfach an Altersschwäche gestorben?‹

Ich nahm den Schädel auf meine Wanderung mit und legte ihn später, als ich müde wurde, wie ein Kissen unter meinen Kopf. Im Traum erschien mir der Totenschädel und sagte: ›Du hast zu mir gesprochen wie ein Schwätzer. Alle deine Worte drückten nur die Sorgen der Lebenden aus. Im Tod aber gibt es nichts von alledem. Soll ich dir etwas vom Tod erzählen?‹

Ich bat ihn darum, und er sagte: ›Im Tod gibt es kein Oben und kein Unten, keinen Herrscher und keinen Knecht. Es gibt keine Zeit und auch keinen Raum. Das Glück eines Königs auf seinem Thron ist gering im Vergleich zum Glück der Toten.‹

Ich glaubte dem Totenschädel nicht und fragte ihn: ›Wenn ich das Schicksal lenken würde und deinen Körper zu neuem Leben erwecken könnte, dir wieder Fleisch und Knochen, Haut und Muskeln, Familie und Freunde geben würde, wärst du darüber nicht erfreut?‹

Der Schädel starrte mich aus seinen Augenhöhlen an und antwortete: ›Warum sollte ich mein himmlisches Glück aufgeben, um wieder alle Mühen, Sorgen und Leiden der Menschenwelt auf mich zu nehmen?‹

Nach dieser Antwort erwachte ich aus meinem Traum und wußte, daß ich das Ziel meiner Wanderung erreicht hatte. Denn ein Toter hatte mir etwas Wesentliches über den Tod erzählt.«

Min Teng schüttelte unwillig den Kopf. »Ich habe auch schon seltsame Träume gehabt, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, ihnen eine wirkliche Bedeutung zuzumessen.«

»Das wundert mich nicht, denn du bist ein Handlanger des Prinzen von Sung, der bekanntlich ein gewissenloser Schurke ist. Wie kann man von einem Menschen wie dir erwarten, daß er die Weisheit versteht, die uns durch unsere Träume geschenkt wird?«

Erneut mußte Min Teng dem Drang widerstehen, den Dolch zu ziehen und Tschuang Tse auf seine letzte Reise zu schicken. »Wenn du mich oder den Prinzen von Sung noch einmal beleidigst, werden dies deine letzten Worte gewesen sein!«

»Warum trägst du nicht die Uniform eines Soldaten, sondern die Kleidung eines Händlers?« fragte Tschuang Tse unbeeindruckt.

»Hauptmann Feng gab mir diese Kleidung als Tarnung, damit Prinz Yan auf keinen Fall in Zusammenhang mit deiner Tötung gebracht werden kann.«

»Wie respektvoll von Prinz Yan!« sagte Tschuang Tse spöttisch. »Er mißt mir offenbar eine so große Bedeutung zu, daß er den Zorn des Volkes fürchtet, falls es erfährt, daß er den Befehl zu meiner Ermordung gegeben hat.«

In diesem Augenblick klopfte es an der Haustür.

»Herein!« rief Tschuang Tse, und ein Mann betrat das Zimmer, der in Min Tengs Alter war. Im Gegensatz zu Tschuang Tse war er kräftig gebaut, mit einem Dolch bewaffnet und strahlte Wehrhaftigkeit aus. Über seiner linken Schulter trug er einen Bogen und einen Köcher mit einigen Pfeilen.

Der Besucher neigte höflich den Kopf und sagte zu Tschuang Tse: »Ich bin auf dem Weg in den Wald, um einen Hasen zu erlegen. Als ich an deinem Haus vorbeikam, verspürte ich Lust, bei dir hineinzuschauen. Aber ich habe das Gefühl, daß ich störe.«

»Ich freue mich, dich zu sehen, Huang Sun!« erwiderte Tschuang Tse. »Hoffentlich hast du heute mehr Glück bei der Hasenjagd als beim letzten Mal! Leider bin ich ganz in das Gespräch mit meinem Freund Min Teng vertieft, den ich auf einer meiner Reisen kennengelernt habe. Wir haben uns noch manches Wichtige zu erzählen, und er muß schon bald weiterziehen. Könntest du auf dem Rückweg ins Dorf noch einmal vorbeikommen?«

Huang Sun bekundete sein Einverständnis mit einem Kopfnicken, verbeugte sich und zog sich aus Tschuang Tses Haus zurück.

»Wer war das?« fragte Min Teng.

»Ein Freund.«

»Warum hast du ihn nicht um Hilfe gebeten?«

»Warum hätte ich es tun sollen?«

»Um dein Leben zu retten!«

»Hätte ich Huang Sun die Wahrheit gesagt, wäre er auf dich losgegangen, um dich zu töten. Und du hättest versucht, ihn zu töten. Huang Sun ist ein hervorragender Kämpfer. Auch du bist sicherlich gut ausgebildet in der Kampfkunst. Einer von euch hätte bei diesem Kampf sein Leben verloren, und das wollte ich verhindern.«

»Ich verstehe, daß du das Leben deines Freundes schützen möchtest, aber warum das Leben deines Mörders? Entweder bist du nicht mehr ganz bei Verstand, oder mein Verstand reicht nicht aus, um deine Beweggründe zu erfassen.«

»Meine Beweggründe wurzeln im Tao, und der Verstand als solcher reicht nicht aus, um das Tao zu erfassen«, antwortete Tschuang Tse. »Der Verstand ist von Natur aus zielgerichtet; er folgt immer einer Absicht, und deshalb steht er nicht in Einklang mit dem Tao und kann das ewig Wahre nicht entdecken. Ich will dir eine kleine Geschichte erzählen: Der Gelbe Kaiser verlor auf einer Reise seine Zauberperle. Er sandte Wissen aus, um sie zu suchen, aber Wissen fand sie nicht. Er sandte Scharfsinn aus, aber Scharfsinn fand sie ebenfalls nicht. Nun sandte er Logik aus, um die Zauberperle zu suchen, aber auch Logik hatte keinen Erfolg. Er schickte Geduld aus, und Geduld ließ sich mit ihrer Suche sehr viel Zeit, doch dann kehrte auch sie mit leeren Händen zum Gelben Kaiser zurück. Schließlich schickte er Absichtslos aus, und Absichtslos fand die Zauberperle und brachte sie dem Gelben Kaiser. Das verwunderte ihn, und vielleicht hat er etwas daraus gelernt. Doch das ist unwahrscheinlich, denn ein Herrscher ist so weit vom Tao entfernt wie ein Ziegenbock vom Gesang.«

DER ATEM ALLEN LEBENS

»Ich habe schon öfter vom Tao gehört, doch niemand konnte mir bislang seine Bedeutung erklären«, sagte Min Teng. »Auch deine Worte haben mich nicht klüger gemacht!«

»Wenn ich dir sage, das Tao ist der höchste Sinn und die tiefste Wahrheit, der wahre Weg und die größte Kraft, sind das nur Worte, die dir nicht weiterhelfen. Wenn ich dir sage, daß sich mit Worten nicht erklären läßt, was das Tao ist, sind auch das nur Worte, die dir nicht weiterhelfen. Das Tao ist jenseits aller Worte und aller Dinge. Es ist die Quelle allen Lebens. Wohin kein Wort reicht, dort ist das Tao.«

»Warum gibt es ein Wort für etwas, das mit Worten nicht erklärt werden kann?« fragte Min Teng.

»Warum soll es kein Wort für etwas Unerklärliches geben? Das Tao erklärt sich selbst, Min Teng, wenn wir eins mit ihm sind. Wenn wir im Nichtstun aufgehen, in absichtsloser Stille, im Erleben von Gleichklang und Ruhe, wenn wir das Gefühl für die Zeit verlieren und uns in der Grenzenlosigkeit des Augenblicks treiben lassen wie Wolken am Himmel, können wir das Tao erleben und es im Erleben verstehen. Dann erkennen wir, daß die Kraft, die Welken und Vergehen bewirkt, selbst niemals welkt und vergeht. Dann begreifen wir, daß die Kraft, die den ewigen Wandel in der Welt bewirkt, sich selbst niemals wandelt.«

»Das Tao ist also unsterblich?«

»Ja, es war schon immer und wird immer sein. Es ist von ewiger Wirklichkeit und von unermeßlicher Kraft, doch es handelt niemals. Allem gibt und nimmt es Gestalt, doch es selbst ist gestaltlos. Alles ist von ihm abhängig, aber das Tao ruht unabhängig von allem in sich selbst. Es erzeugt und zerstört alle Dinge, wird selbst jedoch nie geboren, und keine Macht der Welt und des Himmels kann es vernichten.«

»Wenn das Tao niemals handelt, wie kann es dann allem Gestalt verleihen und entziehen, wie kann es Dinge erzeugen und zerstören?«

»Widersinnig klingt der Sinn im Zusammenspiel mit der Sprache. Widersinnig erscheint das Tao im Zusammenspiel mit dem Verstand, aus dem die Sprache hervorgeht. Das Tao selbst ist ohne Widerspruch, es trägt alle scheinbaren Gegensätze in sich, es umfaßt Hitze und Kälte, Höhe und Tiefe, es vereint Freude und Leid, Armut und Reichtum. Was dem Verstand als widersprüchlich erscheint, ist in Wahrheit eine vollkommene Einheit. Was ihm als widersinnig erscheint, ist in Wahrheit das Wesen des Sinns. Doch eher fliegt ein Ochse durch die Lüfte, als daß der Verstand das Tao versteht.«

»Wo ist das Tao zu finden?«

»Überall ist es zu finden, denn es durchdringt alles, jeden Menschen, jedes Tier, jede Pflanze, jeden Gegenstand. Es ist der Atem allen Lebens, und wie der Atem ist es unsichtbar. Selbst wenn wir eins mit ihm sind, können wir sein innerstes Geheimnis nicht ergründen. Alles Leben braucht das Tao, um bestehen zu können, doch das Tao besteht unabhängig von allem Leben.«

»Und du hast das Tao gefunden, Tschuang Tse?«

»Wir haben einander gefunden. Ich habe es gefunden, weil ich bereit war, es zu finden. Und es hat mich gefunden, weil ich bereit war, mich finden zu lassen. Dadurch habe ich mich auch selbst gefunden, denn das Tao ist mein wahres Selbst. Wer das Tao nicht kennt, kennt sich selbst nicht. Er geht durch sein Leben und durch diese Welt, ohne zu wissen, wer er ist. Und weil er nicht weiß, wer er ist, weiß er auch nicht, was er tut. Da die gewöhnlichen Menschen das Tao nicht kennen, ist ihr Leben von großer Verwirrung gekennzeichnet. Und weil sie die Seelenruhe nicht haben, die nur das Tao ihnen geben kann, treibt ihre Unruhe sie zu Handlungen an, die ihre Verstörtheit noch vergrößern. Betrachte nur Prinz Yan! Er hat dich zu mir geschickt, um mich zu töten, weil ich angeblich Verwirrung stifte, obwohl ich jenseits der allgemeinen Verwirrung lebe. Ist das nicht lustig?«

Tschuang Tse lachte.

»Stimmt es«, fragte Min Teng, »daß der König von Wei einmal zwei Boten mit Geschenken zu dir geschickt hat, um dich dazu zu bewegen, als Minister an seinen Hof zu kommen?«

»Ja, aber diesen Versuch hätte er sich sparen können. Ich habe ihm ausrichten lassen, ich wolle lieber als kleines Kälbchen im Hinterhof leben, als zum Tempelochsen zu werden, den man füttert und ziert, um ihn dann zu opfern. Tausend Goldstücke sind ein großer Gewinn, und die Stellung eines königlichen Ministers genießt höchstes Ansehen, aber meine Freiheit gebe ich für kein Gold und Ansehen der Welt her. Besser ein sorgloser Habenichts als ein von Sorgen geplagter, in häßliche Intrigenspiele verstrickter Minister. Die Staatsführung ist eine so große Schlammgrube, daß alle Schweine der Welt sie nicht auffüllen könnten. Wer sich dort hineinbegibt, lebt in einem Dreck, der durch seine Hautporen in sein Inneres dringt, bis er das Herz und die Seele erreicht und verdreckt. Wenn du Augen hättest, Min Teng, würdest du den Schmutz in dem Herzen und der Seele des Prinzen von Sung sehen, der dich zu mir geschickt hat, um dich in seinen Dreck zu reißen, um das Blut auf deine Hände zu ziehen, das an seinen schon unauslöschlich klebt.«

»Wie kannst du wissen, daß noch kein Blut an meinen Händen klebt?«

»Ich sehe es, wenn ich in deine Augen blicke. Du hast noch nie einen Menschen getötet, Min Teng! Ich sehe es auch, wenn ich die Augen schließe und in dein Herz blicke.«

Als Min Teng den nun mit geschlossenen Augen dasitzenden Tschuang Tse betrachtete, dachte er, daß jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen sei, ihm das Leben zu rauben. Doch als er den Griff des Dolches spürte, zog er seine Hand zurück, denn es war ihm, als läge auf einmal ein Schleier von weißem, leicht flimmerndem Licht über Tschuang Tses ganzem Körper. Er rieb sich seine Augen, doch noch immer sahen sie dieses nie zuvor gesehene Licht.

»Warum willst du dich von dem Schurken Yan zu einem Mörder machen lassen?« fragte Tschuang Tse leise, ohne die Augen zu öffnen.

»Sagst du das, um dein Leben zu retten?«

Tschuang Tse öffnete wieder die Augen: »Ich sage es vor allem, um dein Leben zu retten! Mit der Last eines Mordes auf deinem Gewissen wirst du alles Gute und Schöne verlieren, was jetzt noch dein Leben bereichert. Du wirst das Gefühl bekommen, daß dein Leben nicht mehr lebenswert ist, aber du wirst an ihm hängen aus Angst vor dem Tod und weitere Morde für Prinz Yan verüben. Und schließlich wirst du zu einer seelenlosen Maschine, die wie ein Mensch aussieht. Als solche sollst du Prinz Yan nützlich sein bei seinem rast- und gewissenlosen Streben, seinen Herrschaftsbereich zu sichern und zu erweitern.«

EINE STÜRMISCHE NEUGEBURT

Unvermittelt stand Min Teng auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab, von Wand zu Wand, als bräuchte er körperliche Bewegung, um sich Tschuang Tses Worten zu stellen, die ihn ergriffen hatten wie keine Worte zuvor. Und wie war das rätselhafte Licht um seinen Körper zu erklären, das inzwischen allerdings wieder verloschen war? Etwas in Min Teng ahnte die tiefe Wahrheit dessen, was Tschuang Tse zu ihm gesagt hatte, aber etwas anderes wehrte sich heftig dagegen und behauptete, daß ein Mann, der die Auskunft eines Totenschädels in seinem Traum für bare Münze nahm, nicht ernst zu nehmen war.

Und dann gab es noch etwas anderes in ihm, das sich weder auf die Seite seiner Ergriffenheit noch auf die Seite seiner Zweifel stellte. Es stand über beiden Seiten und beobachtete sie mit ebenso wachen wie gelassenen Augen. Im Gegensatz zu den beiden Seiten, die ein gemeinsames Ziel hatten, nämlich die Überwältigung der anderen Seite, besaß es keinen erkennbaren Willen. Es genügte ihm, einfach dazusein. Dieses geheimnisvolle Dritte, das Min Teng noch nie an sich erlebt hatte, strahlte große Ruhe aus, im Gegensatz zu seiner Ergriffenheit und seinen Zweifeln, die vor Erregung bebten. Während Min Teng wie ein gefangenes Tier in seinem Käfig auf und ab lief, hatte er das Gefühl, daß etwas in seinem Innersten auch in einem Käfig auf und ab lief, weil seine Sehnsucht nach Freiheit mit einem Schlag erwacht war.

»Ich habe Prinz Yan viel zu verdanken«, sagte Min Teng. »Schon mein Vater stand als Leutnant in seinen Diensten. Er kam vor drei Jahren bei der Niederschlagung eines Aufstandes ums Leben. In ihrer Verzweiflung darüber erkrankte meine Mutter schwer und starb bald darauf. Nach dem Tod meiner Eltern erschien mir mein Leben sinnlos, ich versank in tiefe Schwermut, die mir mehr und mehr das Leben aus dem Körper saugte. Hauptmann Feng, ein entfernter Verwandter meines Vaters, erfuhr von meinem Schicksal und ließ mich zu Prinz Yan bringen, der mich auf Fengs Empfehlung in seine Palastwache aufnahm und meinem Leben einen neuen Sinn schenkte. So half Prinz Yan mir, meine Trauer über den Tod meiner Eltern zu überwinden.«

»Ich glaube nicht, daß dies seine Absicht war.«

»Wie meinst du das?«

»Er hat dich nicht in seine Palastwache aufgenommen, um dir zu helfen, deine Trauer zu überwinden, sondern weil du ein kräftiger Bursche und guter Kämpfer bist, von dem er sich wirksamen Schutz verspricht. Wärst du ein schwacher, schmächtiger Mann, hätte er dich wieder nach Hause geschickt.«

»Das mag sein. Mein Vater hatte schon in meiner Kindheit angefangen, mich in einer geheimen Kampfkunst zu unterrichten.«

»Und nun bist du einer von Prinz Yans Palastwächtern! Das heißt, daß du dein Leben opfern würdest, um das Leben eines Schurken zu verteidigen. Könnte es sein, daß dein Leben vielleicht einem etwas höheren Sinn dienen sollte?«

Min Teng blieb auf der Stelle stehen, als hätte Tschuang Tses Frage seine Unruhe mit einem Schlag überwältigt, und blickte aus dem Fenster auf den verwilderten Garten, hinter dem sich die sanften grünen Hügel erstreckten, die das Dorf Mong umgaben wie ein schützender Wall. Eine Nachtigall in einem Ginkgo, dessen Äste sanft im Wind tanzten, sang ein Lied der Sorglosigkeit.

»Warum nennst du Prinz Yan einen Schurken?«

»Weil er dir befohlen hat, mich zu töten. Weil er anderen befohlen hat, andere zu töten. Weil er selbst ein Mörder ist. Weil er sein Gewissen und seine Seele verloren hat im Rausch der Machtbesessenheit.«

»Ein Fürst muß sich gegen seine Feinde wehren!«

»Es gibt unterschiedliche Arten, sich gegen seine Feinde zu wehren«, sagte Tschuang Tse, »und es gibt unterschiedliche Arten von Herrschern. Nicht alle sind so verbrecherisch und gewissenlos wie Yan, manche erhalten sich einen Rest von Anstand, der ihnen sogar die Achtung ihrer Feinde einbringt. Prinz Yan wird nicht einmal von seinen Gefolgsleuten geachtet. Sie fürchten ihn, weil er ihnen an Herrschsucht, Heimtücke und Grausamkeit überlegen ist. Ihre Furcht vor ihm ist seine Macht über sie.«

Min Teng blickte auf Tschuang Tse hinunter und dachte, daß Prinz Yan recht hatte: Tschuang Tse war ein gefährlicher Mann, seine Gedanken und Worte wirkten verwirrend auf den Verstand! Er konnte aber auch Tschuang Tses Worten über Prinz Yan nicht widersprechen. Es war ein offenes Geheimnis, daß Yan seinen jüngeren Bruder im Schlaf erdolcht hatte, um sich vor dessen möglichen Machtansprüchen zu schützen. Er hatte allein in diesem Jahr schon Dutzende von Männern töten lassen, in denen er eine wirkliche oder mögliche Gefahr für seine Macht sah.

Min Teng hatte sich nie angemaßt, über Yans Wesen und sein Handeln, das sein Wesen zum Vorschein brachte, zu urteilen. Ein Fürst stehe über der Urteilsfähigkeit seiner Untertanen, hatte Yan einmal verkündet, und Min Teng hatte ihm geglaubt.

Tschuang Tse hatte diesen Glauben ins Wanken gebracht, und Min Teng verspürte Furcht davor, daß er fallen und zerbrechen würde, weil danach nichts mehr so sein würde, wie es einmal gewesen war. Es würde wie ein Tod im Leben sein, und Min Teng klammerte sich an das Leben, das ihm zu entgleiten drohte.

Er zog seinen Dolch aus der Scheide und betrachtete ihn. Eine schnelle Bewegung des Armes, ein gezielter Wurf, und Tschuang Tse wäre tot.

»Ein hübscher Dolch«, hörte er Tschuang Tses Stimme, »mit einem reichverzierten Knauf. Ist es nicht seltsam, daß sehr viel Mühe darauf verwendet wurde, ausgerechnet so etwas Häßlichem wie einem Tötungswerkzeug einen Anschein von Schönheit zu verleihen?«

Tschuang Tse griff zum Krug, goß Wasser in seine Schale und nahm einen Schluck.

Min Teng steckte nach kurzem Zögern den Dolch in die Scheide an seinem Gürtel zurück und setzte sein ruheloses Umherlaufen im Zimmer fort. Die Verwirrung, in die Tschuang Tse ihn gestürzt hatte, brauste in ihm wie ein unverhofft aufgekommener, schnell wilder werdender Sturm, der die Stützpfeiler seines Denkens umzustürzen drohte. Er zerrte unerbittlich an seinen Überzeugungen, riß seine vermeintlich festen Ansichten mit sich fort wie Seidenfetzen, wirbelte seine Gefühle in alle Himmelsrichtungen, als wollte er die Ordnung in seinem Inneren ein für allemal zerstören. Seine Meinungen, seine Grundsätze, all das, was ihm als sicher und unverrückbar erschienen war, wurde von der Gewalt des Unwetters erfaßt, gebrochen und ins Nichts geschleudert. Obwohl er sich noch immer gegen den Sturm stemmte, um seiner Zerstörungswut Einhalt zu gebieten, wußte er, daß dieser Kampf bereits verloren war. Er hatte zu lange gezögert, Tschuang Tse zu töten, hatte ihm zu lange zugehört. Nun töteten Tschuang Tses Worte ihn. Seltsamerweise fühlte er keinen Haß, keine Wut auf den Mann, der das wilde Tosen in ihm entfacht hatte, das ihm den Tod im Leben brachte. Mit einer seltsamen Ruhe, die ihn mit Verwunderung erfüllte, beobachtete er, wie das Unwetter seinen Höhepunkt erreichte, keinen Stein auf dem anderen ließ, das Obere nach unten kehrte und unter den Trümmern, die es schuf, all das begrub, was er für sein Ich gehalten hatte.

Min Teng spürte, wie das gewaltige Tosen nachließ, als gäbe es nun nichts mehr in ihm, was sich noch zu vernichten lohnte. Er betrachtete das ganze Ausmaß seiner inneren Zerstörung mit einer Gelassenheit, die ihn erstaunte. Warum war er nicht entsetzt, verzweifelt, zornig? Warum empfand er keine Trauer über seine erlittenen Verluste? Warum hatte er keine Angst mehr davor, daß nichts mehr so sein würde, wie es gewesen war? Hatte der Sturm ihm auch seinen Verstand entrissen?

Schließlich wurde es ganz still in ihm, so still wie nie zuvor.

»Ich bin gestorben«, sagte er.

»Damit du neu geboren wirst«, erwiderte Tschuang Tse.

»Ich habe mich verloren.«

»Damit du dich findest.«

»Ich weiß nicht mehr, wer ich bin.«

»Damit du erkennst, wer du sein sollst.«

KEIN STAUB FÄLLT AUF DAS TAO

Min Teng wurde bewußt, daß er am ganzen Körper zitterte. Wie aus weiter Ferne hörte er Tschuang Tses leise Stimme: »Setz dich zu mir!«

Willenlos folgte er der Aufforderung, ließ sich auf dem Sitzkissen nieder und griff zu der Wasserschale, die Tschuang Tse ihm reichte.

»Da das Tao überall ist, ist es auch in diesem Wasser. Wenn du das Wasser trinkst, nimmst du auch das Tao in dich auf. Trinke es so, als hättest du noch nie Wasser getrunken! Tue alles so, als tätest du es zum ersten Mal! Das Leben besteht zu einem großen Teil aus sich täglich wiederholenden Handlungen, und mit jeder Wiederholung legt sich eine dünne Staubschicht auf die Dinge. Mit den Jahren wird sie immer dicker, bis die Dinge unter ihr verschwinden. So sieht man schließlich alles, ohne es noch zu sehen. So fühlt man alles, ohne es noch zu fühlen. So erlebt man alles, ohne es noch zu erleben. Wer verhindern will, daß der Staub der Gewohnheit alle Dinge seines Lebens überdeckt, muß diese Dinge so sehen, fühlen und erleben, als sähe, fühlte und erlebte er sie zum ersten Mal. So bleibt er in Verbindung zum Tao, denn kein Staub fällt auf das Tao.«

Min Teng nahm die Schale entgegen, und als er das Wasser trank, war ihm tatsächlich so, als hätte er noch nie etwas so Klares und Frisches getrunken. Min Tengs Zittern legte sich, als hätte das Wasser eine beruhigende Kraft in seinen Körper geleitet. Verwundert stellte er die Schale auf den Tisch zurück.

Er fühlte sich wie ein Wanderer, der nicht nur vom Weg abgekommen war, sondern auch das Ziel seiner Wanderung vergessen hatte. Etwas war mit ihm geschehen, das nie hätte geschehen dürfen. Und doch war es gut, daß es geschehen war.

»Wohin soll ich nun gehen?« fragte er.

Tschuang Tse lächelte. »Gehe immer dorthin, wohin das Tao dich führt! Heute hat es dich zu mir geführt und sich dabei des Schurken Yan bedient. Das Tao ist nicht zimperlich in der Wahl seiner Mittel, wenn es einem Menschen helfen will, gewisse Dinge zu erkennen.«

»Ich erkenne«, sagte Min Teng, »daß ich nicht mehr dorthin gehen kann, woher ich gekommen bin, und zwar in jeder Hinsicht.«

»Damit erkennst du schon viel. Die meisten Menschen gehen in so mancher Hinsicht immer wieder dorthin, woher sie gekommen sind, obwohl im Leben kein einziger Weg zurückführt. Sie gehen einen Weg, der keiner ist, weil sie in großer Verwirrung leben. Ihre Verstörtheit wird von Herrschern wie Prinz Yan ausgenutzt, die selbst in großer Verwirrung leben und Freude daran haben, andere Menschen zu unterdrücken. Die Macht der Herrscher gibt ihnen ein Gefühl der Überlegenheit, das ihnen als Rauschmittel dient, mit dem sie ihre eigene Verworrenheit besser ertragen können. Doch die Könige und Knechte sitzen in einem Boot. Die nüchternen Knechte rudern, die berauschten Könige lassen sich rudern, doch alle sitzen sie im Boot der Wirrnis, das sich auf den Wellen der Zeit endlos im Kreis bewegt.«

»Wohin bewegst du dich, Tschuang Tse?«

»Der Mensch des Tao sitzt nicht im Boot der Wirrnis. Er ist weder König noch Knecht, er lebt in heiterem Einklang mit den ewigen Gesetzen der Natur. Er betreibt seine Geschäfte ohne Eifer, sucht nicht den Nutzen und fürchtet nicht den Schaden. Er sammelt keine irdischen Güter, meidet den Ruhm, ist im Leben ohne Rang und im Tod ohne Titel. Alles Streben macht ihm keine Freude. Er redet, ohne zu reden. Er vergißt die Zeit und die Meinungen, erhebt sich ins Grenzenlose und wohnt im Unendlichen. Er geht jenseits vom Staub und Schmutz dieser Welt.«

»Ich bin kein Mensch des Tao, Tschuang Tse. Wohin soll ich gehen im Staub und Schmutz dieser Welt? Wenn ich zu Prinz Yan reite und ihm gestehe, daß ich dich nicht töten konnte, wird er mich auf der Stelle hinrichten lassen und einen anderen Mann ausschicken, der nicht zögern wird, dich umzubringen. Ich kann nie mehr zum Palast zurückkehren.«

»Sei froh darüber, Min Teng! Wer zu lange einem Schurken dient, wird selbst zum Schurken.«