Das Glück ist ein Schmetterling - Irén Beer-Kuhner - E-Book

Das Glück ist ein Schmetterling E-Book

Irén Beer-Kuhner

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Beschreibung

Heiter-besinnliche Kurzgeschichten für die Aktivierung und Erinnerungsarbeit. Ideal für Gruppenstunden oder die kleine Aufmunterung zwischendurch. Geschichten für die festlichen und alltäglichen Tage im Jahreskreis. Augenblicke des Glücks ergeben sich ganz von selbst beim (Vor-)Lesen der Geschichten dieses Buches. Die Autoren schreiben von Momenten der Freude, der Liebe und der Hoffnung: mal heiter, mal besinnlich, mal nachdenklich oder aufmunternd. Mit diesen Geschichten lassen sich Gespräche einleiten oder vergnügte Gruppenstunden veranstalten. Angeordnet im Jahreskreis illustrieren die kurzen Erzählungen Erinnerungen an Feiertage oder Erlebnisse, an die viele Senioren gern zurückdenken. Ein ideales Taschenbuch für die Aktivierung und Erinnerungsarbeit mit Senioren.

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Seitenzahl: 137

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Irén Beer-Kuhner, Katrin Bendrich, Martina Rühl, Bernd Saal, Susann Winkler

Das Glück ist ein Schmetterling

Lese- und Vorlesebuch für SeniorenHeiter-besinnliche Kurzgeschichten

Irén Beer-Kuhner, Katrin Bendrich, Martina Rühl, Bernd Saal, Susann Winkler

Das Glück ist ein Schmetterling

Lese- und Vorlesebuch für SeniorenHeiter-besinnliche Kurzgeschichten

2. Auflage

schlütersche

Irén Beer-Kuhner, Katrin Bendrich, Martina Rühl, Bernd Saal, Susann Winkler

Das Glück ist ein Schmetterling

Lese- und Vorlesebuch für Senioren

Heiter-besinnliche Kurzgeschichten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89993-848-7 (Print)

ISBN 978-3-8426-8790-5 (PDF)

ISBN 978-3-8426-8791-2 (EPUP)

2. Auflage

© 2017 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Verpflichtung oder Garantie des Autoren und des Verlages. Für Änderungen und Fehler, die trotz der sorgfältigen Überprüfung aller Angaben nicht völlig auszuschließen sind, kann keinerlei Verantwortung oder Haftung übernommen werden. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden. Die im Folgenden verwendeten Personen- und Berufsbezeichnungen stehen immer gleichwertig für beide Geschlechter, auch wenn sie nur in einer Form benannt sind. Ein Markenzeichen kann warenrechtlich geschützt sein, ohne dass dieses besonders gekennzeichnet wurde.

Umschlaggestaltung:

Kerker + Baum, Büro für Gestaltung GbR, Hannover

Titelbilder:

Romolo Tavani – iStockphotoK.-U. Hler –

Fotolia.com

Inhalt

Im neuen Jahr

Die heiligen drei Könige

Das Kind in dem goldenen Boot

Frühjahrsputz

Kindermund tut Wahrheit kund!

Osterzeit

Königskinder

Eier vom Osterhasen

Das Rätsel der Eierfarben

Ein ganz besonderes Osterfest

Die Zeittüte

Sommerfrische

Nomen est Omen – oder: Ich heiße Sonnenblume

Markttag

Der Schwimmreifen

Der Angler und seine Frau

Das Gras wachsen hören

Picknick mit Hindernissen

Kater Fips auf großer Tour

Sternwanderung

Waschtag

Der Herbst beginnt

Abendliche Einkehr

Auf dem Jahrmarkt

Rosenblüte

Vom Innehalten

Der reiche Bräutigam

Das Literaturcafé

Das schlechte Gewissen

Winter- und Weihnachtszeit

Die Holzscheite

Der Rosentroll

Das Erinnerungsgeschenk

Die kleine Fichte

Die Glasaugen

Der alte Käpt’n und der Tannenbaum

Die Suche nach dem Weihnachtsmann

Spatzenweihnacht

Die kleine Meerjungfrau

Das Glück ist ein Schmetterling

Autorinnen und Autor dieses Buches

Im neuen Jahr

Die heiligen drei Könige

Bernd Saal

Es gibt böse Geschichten. Da werden Verdächtigungen ausgesprochen, die keinen Funken Wahrheit enthalten. Da wird hinter dem Rücken Schlechtes über einen Menschen geredet. Die bösen Worte eilen von Mensch zu Mensch, stets kommt etwas hinzu, aber niemand hat den Mut zu sagen: »Halt! Wir wollen gut über unsere Mitmenschen reden. Wir wollen uns das Leben nicht noch schwerer machen, als es ohnehin ist.«

Doch einmal war alles anders.

Er erwachte ganz früh morgens. Noch im Halbschlaf glaubte er eine Stimme zu hören, die ihm sagte. »Die Welt ist freundlich. Lebe auch Du freundlich.« Dieser Satz begleitete ihn den ganzen Tag.

Als er durch die Stadt ging, schienen die Menschen diesen Satz zu rufen. Die Verkäufer lächelten ihn an. Die Menschen grüßten ihn verwundert, aber höflich. Jedes Gespräch, das er führte oder dem er lauschte, schien ihm zu sagen: »Die Welt ist freundlich. Lebe auch Du freundlich.«

Er dachte darüber nach, ob er wohl am Vorabend zu viel getrunken hatte, aber das konnte es eigentlich nicht gewesen sein. Er hatte nur Tee getrunken – mit einem kleinen Schuss Rum, das musste er zugeben. Doch das konnte seinen Zustand nicht erklären. Er fühlte sich auch nicht überarbeitet, obwohl die vergangenen Wochen sehr schwer für ihn gewesen waren. Nein, er fand einfach keinen Grund dafür, warum ihm jetzt alles zuzulächeln schien. Als er die tiefen Töne der Kirchenglocken hörte, ging er in den großen stillen Raum, setzte sich auf eine Bank und kam zur Ruhe. Vorn, neben dem Altar, stand eine große Krippe. Er konnte die heiligen drei Könige sehen. Sie sahen richtig schmuck aus in ihren feinen Gewändern und mit ihrer hoheitsvollen Haltung. Er kannte ihre Geschichte.

Eigentlich waren es Sterndeuter, aus denen die Überlieferung im Laufe der Jahrhunderte drei Könige gemacht hatte. Doch, ob Sterndeuter oder König, ob drei oder mehr – diese Männer waren mit ihren Gaben einem Stern gefolgt. Sie waren aufgebrochen, als es Zeit war und suchten ihren König, dem sie ihre Gaben darboten. Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Er saß still auf seiner Kirchenbank und dachte nach. Der Tag war schon ein wenig sonderbar gewesen: die Stimme am frühen Morgen, die Erlebnisse mit den Menschen in seiner Stadt. Während er so nachdachte, fiel sein Blick wieder auf die Krippe und – das war doch nicht möglich! – die Figuren darin bewegten sich! Er sah, dass die heiligen drei Könige dem Jesuskind ihre Gaben brachten.

Der erste König reichte dem Jesuskind das Gold. Das kleine Kind in der Krippe nahm es in seine Hände, segnete es und gab es dem König zurück.

»Mit dem Gold kannst du Gutes und Böses tun. Du kannst den Armen und Kranken helfen oder Armeen bezahlen und Kriege führen. Nimm die Gabe, die du mir schenken wolltest und setze sie zum Segen ein für alle Menschen.«

Der König verbeugte sich tief und nahm das Gold wieder entgegen.

Der zweite König reichte dem Kind eine Schale mit Weihrauch. Auch diese Schale nahm das Kind entgegen, segnete sie und gab sie dem König zurück.

»Ihr Menschen zündet oft wohlriechende Kräuter an, wenn ihr betet. Der aufsteigende Rauch macht eure Gebete sichtbar.

Nimm die Gabe, die du mir schenken wolltest, wieder entgegen und denke daran, dass deine Gebete zu meinem Vater im Himmel dich zu deinen Mitmenschen führen sollen.«

Auch dieser König verbeugte sich tief und nahm sein Geschenk entgegen.

Der dritte König reichte dem Kind einen Korb mit Myrrhe. Das Kind in der Krippe nahm auch diese Gabe an, segnete sie und reichte sie dem König zurück.

»Myrrhe ist ein Zeichen für das Leid. In ihr spiegelt sich mein künftiges Leiden wider und auch dein zukünftiger Weg. Nimm die Gabe, die du mir schenken wolltest, zurück, und nimm deinen Weg an. Er wird dich verwandeln. Du wirst tief hinabsteigen in die Seelen der Menschen und du wirst ihnen helfen, ihre Seelen zu heilen.«

Auch der dritte König verbeugte sich tief und nahm sein Geschenk entgegen.

Dann war alles still. Unbeweglich verharrten die Figuren in der Krippe. Hatte das Licht ihn getäuscht? War er eingeschlafen und hatte geträumt? Er schüttelte den Kopf. Heute ist entschieden ein seltsamer Tag, dachte er.

Doch als er zur Tür hinausging und den Weg zum Marktplatz einschlug, da rief ihm ein Kind zu: »Alles Gute noch zum neuen Jahr!«

Und plötzlich ging ihm der Sinn all der seltsamen Geschehnisse auf, die ihm den ganzen Tag wiederfahren waren. Ja, das neue Jahr sollte gut werden. Es konnte gut werden – wenn er etwas dafür tat. »Die Welt ist freundlich«, dachte er. »Also will ich freundlich leben.«

So änderte er seine Haltung, seine Gedanken, seine Handlungen. Von nun war er freundlich zu allen Menschen und wie ein Samenkorn ging diese Freundlichkeit auf, spross und wuchs und gedieh. Später dachten die Menschen in der Stadt: »Was ist das doch für eine schöne Zeit! Wir reden freundlich miteinander, grüßen uns höflich, helfen uns – und wenn mal jemand etwas Böses sagt, dann rufen wir gleich »Halt – wir wollen uns das Leben doch nicht noch schwerer machen, als es ohnehin ist.«

Das Kind in dem goldenen Boot

Bernd Saal

Es war einmal ein ganz normaler Junge, der in einer ganz normalen Stadt aufwuchs. Dort gab es eine Schule und ein Rathaus, eine Kirche, einen Bäcker, einen Metzger und selbst einen Supermarkt. Der Junge wuchs auf, ging zur Schule, spielte am Nachmittag, machte seine Hausaufgaben – jeder Tag ging so vorüber und ein Tag glich dem anderen.

Doch eines Tages merkte der Junge, dass er seine Freunde verloren hatte. Sie hatten alle keine Zeit mehr für ihn. Sie waren mit so vielem anderen beschäftigt, dass niemand mehr mit ihm auf der Straße Fußball spielen wollte. Keiner hatte die Zeit, am Fluss entlang zu streifen oder im Herbst Drachen steigen zu lassen. Der Junge war immer öfter allein und saß mit seinem Ball auf der Bank im Park.

Seine Freunde hatten keine Zeit, weil sie nach der Schule ihre neuen Computerspiele ausprobierten. Jeder saß dann in seinem Zimmer und spielte gegen andere, die auch in ihrem Zimmer saßen, irgendwo auf der Welt.

Der Junge kam sich ganz sonderbar vor und dachte: »Ich gehöre sicher einer anderen Welt an.« Und weil er so dachte, stand er eines Tages von seiner Bank auf und ging davon. Er steckte die Hände in die Hosentaschen, verließ die Stadt und suchte die Welt, zu der er wohl gehören würde. Dort hätten die Menschen Zeit für ihn – das wusste er.

Als seine Eltern abends nach Hause kamen, da vermissten sie ihren Sohn zwar. Aber sie dachten sich, er sei bei seinen Freunden und setzten sich erst einmal vor den Fernseher. Doch als es spät und später wurde, bekamen sie es mit der Angst zu tun und begannen, seine Freunde anzurufen. Aber die wussten von nichts, sie hatten den Jungen schon lange nicht mehr gesehen.

Der Junge aber ging fort, mit den Händen in der Hosentasche. Er ging durch Wälder, Dörfer und Städte. Er überquerte Flüsse und kam bis ans Meer. Dort wurde ihm seine Einsamkeit bewusst. Grau lag das Meer da, unüberwindlich und kalt. Der Junge weinte und suchte Schutz in den dürren Gräsern der Dünen. »Morgen gehe ich zurück«, sagte er sich. »Ich finde die Welt nicht, zu der ich gehöre.«

Doch als der Mond aufging und er übers Meer blickte, da sah er einen goldenen Schimmer auf den Wogen tanzen. Ein goldenes Boot kam auf ihn zu. Ein Kind saß darin und winkte ihm zu. Der Junge stieg ins goldene Boot und fuhr hinaus aufs Meer.

Dort draußen deutete das Kind aufs Meer und sagte zu dem Jungen: »Das ist deine Welt. Sie ist einsam und leer und voller Traurigkeit. Du kannst darin nicht leben. Niemand kann in einer solchen Welt leben. Deshalb bin ich zu dir gekommen. Ich möchte dir etwas zeigen. Doch damit ich das tun kann, musst du etwas tun. Du musst dich umdrehen und zurückschauen.«

Der Junge zögerte. Das Boot schwankte und er hatte Angst, dass er über Bord fallen würde, wenn er sich jetzt umdrehte. Aber das Kind nickte ihm freundlich zu und so stand er tapfer auf und blickte zurück. »Aber ich sehe ja nichts«, wollte er gerade ausrufen, als er einen hellen Lichtschein bemerkte. Immer heller wurde der und der Junge erkannte, dass der Strand direkt vor ihm lag: Warm war er und weiß glänzte – und er war voller Menschen!

Direkt vor ihm standen seine Eltern und winkten ihm zu. Sie waren noch in der Nacht aufgebrochen und hatten ihn gesucht. Auch seine Freunde waren da, mit ihren Eltern. Stundenlang hatten sie in der Kälte nach ihm Ausschau gehalten, bis sie ihn entdeckten – im Park, den Anorak über den Kopf gezogen, den Ball in der Hand. Der Junge hatte sein ganzes Abenteuer nur geträumt. Er war eingeschlafen, vor Kälte und vor Müdigkeit. Hätten seine Eltern, seine Freunde und deren Eltern ihn nicht gesucht – er wäre vor Kälte gestorben.

Diese Nacht veränderte die ganze Stadt, denn jeder nahm Anteil an der Geschichte des Jungen und an seiner Einsamkeit.

In dieser Nacht begannen die Menschen zu begreifen, was Glück wirklich bedeutet: dass niemand in dieser Welt einsam sein muss und dass man die Einsamkeit überwindet, indem man zurückschaut und wirklich sieht.

Es ist nicht immer wahr, dass Menschen nur an sich selbst denken. Sie können sehr wohl freundlich, hilfsbereit und liebevoll sein. Man muss ihnen nur manchmal die Gelegenheit dazu geben.

Frühjahrsputz

Susann Winkler

Vera hatte sich in diesem Jahr fest vorgenommen, neben dem normalen Frühjahrsputz auch endlich den Dachboden aufzuräumen. Dort sammelte sich seit Jahren alles, was eigentlich ausrangiert und unnütz war, aber irgendwie doch zu gut, um es wegzuwerfen. Vera war nicht übermäßig sparsam, allerdings vertrat sie die Ansicht, dass man alles irgendwann noch einmal brauchen konnte. Doch, selbst wenn dem so gewesen wäre, hätte sie längst nicht mehr gewusst, was sie alles aufbewahrt hatte und noch viel weniger wo. Also stapelten sich, seit Ewigkeiten unberührt, Kleidungsstücke, die nicht mehr passten, Blumentöpfe, die einen Sprung hatten, Schallplatten aus ihrer Jugendzeit und, und, und.

Den meisten Raum aber nahmen alte Spiel- und Anziehsachen ihrer Kinder ein. Die waren mittlerweile selbst Eltern und hatten Veras Angebot nie angenommen, alles Brauchbare für die Enkel wiederzuverwenden. Aber die Sachen, die sie damals mit viel Liebe und Bedacht für ihre Kinder ausgesucht hatte, waren heute nicht mehr zeitgemäß. Trotzdem musste Vera einige Male schlucken, als sie die zahlreichen Häkeljäckchen und -kleidchen betrachtete, an denen sie als junge Mutter viele Abende bis in die Nacht hinein gearbeitet hatte. Die konnte sie jetzt nicht einfach so in den Müll werfen.

Doch von den meisten Dingen, die den Speicher füllten, würde Vera sich trennen müssen, da half alles Jammern nichts. Es gab Unmengen an Büchern und Zeitschriften, Töpfe, alte Backformen, Wollreste, löchrige Bettdecken und kaputten Weihnachtsschmuck – um nur Einiges zu nennen.

In einem alten Kinderwagen fand Vera die Trompete ihres Mannes. Sie erinnerte sich, dass Peter in jüngeren Jahren recht häufig gespielt hatte, sogar auf Festen war er mit Freunden aufgetreten. Und dann fiel ihr auch wieder der Grund ein, weshalb das Instrument schließlich auf dem Dachboden geendet war. In einem Streit hatte Vera ihrem Mann damals vorgeworfen, er vertrödle seine Zeit mit Trompete spielen, während sie vor Arbeit nicht wisse, wo sie zuerst hinlaufen solle. Außerdem könnten die Kinder bei dem Krach nicht schlafen.

Heute kam ihr das ziemlich ungerecht vor. Was musste Peter wohl damals von ihr gedacht haben? Dennoch hatte er kein einziges Widerwort gegeben und das Instrument seither nicht mehr angerührt. Vera würde ihm die Trompete am Abend geben und ihn um Verzeihung bitten.

Aber zunächst musste sie weiter Aussortieren, das Nützliche vom Unnützen trennen und das Wertvolle vom Wertlosen. Bei vielen Dingen grübelte Vera lange darüber nach, zu welcher Kategorie sie wohl gehörten.

Unschlüssig hielt sie ein Paar gelb und grün gestreifte Gummistiefel in der Hand. Sie waren ein Notkauf gewesen, in einem schrecklich verregneten, aber sehr glücklichen Ostseeurlaub. Später entdeckte Vera zwei Poesiealben aus ihrer Schulzeit, tütenweise Briefe und Fotografien sowie einige Pokale, die ihr Mann bei Schachmeisterschaften gewonnen hatte. Was in aller Welt sollte sie mit all diesen Dingen tun? Sie waren mit Sicherheit nicht nützlich, aber doch wertvoll. Vera beschloss, alle fraglichen Gegenstände in eine separate Kiste zu packen und später ihrem Mann zu zeigen. Die Kiste füllte sich rasch, bald kam eine zweite dazu, eine dritte und schließlich eine vierte.

Als Peter am späten Nachmittag von der Arbeit heimkehrte, hielt Vera ihm mit einem schuldbewussten Lächeln die Trompete hin. Die anderen Funde wollte sie ihm nach dem Abendessen zeigen.

Die beiden hatten es sich gerade am Esstisch gemütlich gemacht, als sich ihre Tochter Gabi dazugesellte. Sie wohnte in der Nachbarschaft und schaute häufig vorbei. Gabi begann sofort in den großen Kartons herumzustöbern. Besonders angetan hatte es ihr eine Reihe von Hochzeitsgeschenken ihrer Eltern. Vera hatte damals alle Geschenke, die ihr nicht gefielen, auf den Dachboden gestellt und erst heute wiedergefunden. Die meisten Dinge waren für ihre Aussteuer bestimmt gewesen: hässliches Geschirr, noch hässlichere Bettwäsche, Handtücher und Blumenvasen in allen Variationen.

Tante Brigitte hatte ihnen damals einen grauenhaften Kerzenleuchter geschenkt. Vera war ziemlich gekränkt gewesen. Nun, 34 Jahre später, nahm ihre Tochter den Leuchter aus der Verpackung und Vera konnte sich nicht helfen, sie fand ihn noch genauso unerträglich, wie damals. Als Gabi den Kerzenständer wieder verstauen wollte, meinte sie: »Hier ist noch etwas, Mama. Schau mal!«

Sie reichte ihrer Mutter ein Briefkuvert. Vera drehte den Umschlag ungläubig hin und her; sie war sich sicher, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben. Ungeduldig riss Vera das Kuvert auf.

Es kam eine Karte zum Vorschein und zwei Eintrittskarten. Eintrittskarten für eine Eisrevue, die damals über Monate ausverkauft gewesen war. Vera hatte sich sehnlichst gewünscht, unter den Zuschauern sein zu dürfen, aber die Eintrittspreise waren für eine junge Frau unbezahlbar gewesen. Gerührt betrachtete sie nun die verfallenen Billets und seufzte schließlich: »Oh, Tante Brigitte! Der scheußliche Leuchter ist dir ab sofort verziehen.«

Im Laufe des Abends zeigte Vera ihrem Mann und ihrer Tochter noch einige der Schätze, die sie an diesem Tag gefunden hatte. Als sie Peter fragte, wo sie denn all die Dinge nur aufbewahren sollten, meinte er lächelnd: »Weißt du, meine Liebe, wir sollten uns wirklich sehr glücklich schätzen, dass wir mehr schöne Erinnerungen haben, als wir in einem Haus unterbringen können.«

Kindermund tut Wahrheit kund!

Martina Rühl