Das große Faszien-Yoga Buch - Daniela Meinl - E-Book

Das große Faszien-Yoga Buch E-Book

Daniela Meinl

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Beschreibung

Das Grundlagenwerk zum Faszien-Yoga

Die Faszien werden bereits durch die klassische Yoga-Praxis angeregt. Durch kleine Modifikationen und die Art der Ausführung lässt sich die Wirkung der Übungen aber noch deutlich steigern. Daniela Meinl zeigt in diesem umfassenden Grundlagenwerk, wie sich die von Dr. Robert Schleip entwickelten Prinzipien des Faszientrainings effektiv in die Yoga-Praxis integrieren lassen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 378

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Die in diesem Buch vorgestellten Übungen und Konzepte erheben nicht den Anspruch zu heilen oder zu therapieren.

Das Buch will Sie dazu anregen, Ihre Yoga-Praxis zu erweitern und neue Impulse zu setzen, um Ihr Faszien-Netz während Ihrer Yoga-Praxis optimal zu stimulieren. Ob die jeweiligen Übungen für Sie geeignet sind, hängt von Ihrer Vorerfahrung und von Ihrem allgemeinen Gesundheitszustand ab.

Beginnen Sie mit diesen Übungen nicht, wenn Sie eine akute Verletzung, Erkrankung, Entzündung oder einen Infekt haben oder wenn Sie schwanger sind.

Bitte sprechen Sie im Zweifel mit Ihrem Arzt, bevor Sie mit den Übungen beginnen.

Lassen Sie sich beim Üben immer von Ihrem inneren Gespür leiten – Ihr Körper teilt Ihnen mit, ob Ihnen eine Übung guttut oder eher nicht. Achten Sie auf die leisen Signale aus der Tiefe und überfordern Sie sich nicht. Folgen Sie der Spur des Wohlbefindens auf der Suche nach Ihrer individuellen Übungsintensität.

Eine Bewegungsmethode über ein Buch zu erlernen, ist immer mit Grenzen behaftet, da zweidimensionale Abbildungen die Bewegungsabläufe manchmal nur unzureichend wiedergeben können.

Ich empfehle Ihnen daher, sich an einen zertifizierten Fascial Yoga Practitioner zu wenden oder ein Online-Coaching bei mir zu buchen, wenn Sie nicht ganz sicher sind, wie einige Übungen auszuführen sind. Sobald Sie den Ablauf einmal gespürt haben, erinnert sich Ihr Körper dann ganz von alleine.

Die Informationen in diesem Buch sind von Autorin und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Alle Rechte vorbehalten. Vollständige oder auszugsweise Reproduktion, gleich welcher Form (Fotokopie, Mikrofilm, elektronische Datenverarbeitung oder andere Verfahren), Vervielfältigung und Weitergabe von Vervielfältigungen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Bildnachweis: Fotografin: Frauke Wichmann (alle Übungsfotos, Stills und Aufmachermotive, siehe Credit)

Haare und Make-up: Angela Merten

Models: Barbara Banks, Leigh Banks, Daniela Meinl

Styling: Daniela Meinl und Bele Engels

Foto 1: privat; Foto 2: Saraswati/privat; Foto 3: Frauke Wichmann; Foto 4: scottpageazyoga.com; Foto 5: Frauke Wichmann; Foto 6: Smitt/istockphoto; Foto 7: duncan1890/istockphoto; Illustration 1: www.fascialnet.com; Foto 8: Svitlana Amelina / shutterstock; Foto 9: Frauke Wichmann; Foto 10: Guimberteau/EndovivoProductions; Foto 11: Chiffanna/istockphoto; Foto 12: kyoshino/istockphoto; robynmac/istockphoto; thinkstock; fascial-fitness.com (2); Foto 13: privat; Foto 14: sergey7/Fotolia; Foto 15: Frauke Wichmann; Illustration 2, Illustration 3, Illustration 4, Illustration 5, Illustration 6, Illustration 7, Illustration 8, Illustration 9, Illustration 10, Illustration 11, Illustration 12, Illustration 13, Illustration 14, Illustration 15, Illustration 16, Illustration 17, Illustration 18, Illustration 19, Illustration 20, Illustration 21: Sabine Timmann; Illustration 22: Jürgen Kiermeier (nach einer Vorlage von www.fascialnet.com); Illustration 23: Sabine Timmann; Illustration 24: Sabine Timmann nach einer Vorlage aus R.Schleip, Fascia, The Tensional Network of the Human Body, 2012, Churchill Livingstone Elsevier; Illustration 25: Nadine Schur (nach einer Vorlage von www.fascialnet.com); Illustration 26: Jürgen Kiermeier (unter Verwendung der Vorlagen von Didem Hizar, Adrian Hillmann/thinkstockphoto); Foto 16: aristotoo/istockphoto; Foto 17: privat; Illustration 27 Sabine Timmann (nach einer Vorlage von nach einer Vorlage aus R.Schleip, Fascia, The Tensional Network of the Human Body, 2012, Churchill Livingstone Elsevier); Foto 18: Guimberteau/ EndovivoProductions; Foto 19: Frauke Wichmann; Illustration 28, Illustration 29, Illustration 30, Illustration 31: Auszug aus Atlas of Human Fascial Topography, Herausgeber Dr. Hanno Steinke, erschienen im Leipziger Universitätsverlag, ISBN 978-3-96023023-6 © Dipl.-Des. Anna Katharina Rowedder, www.annarowedder.de(3); fascial-fitness.com (1); Illustration 32, Illustration 33: Sabine Timmann; Foto 20: privat; Illustration 34: Sebastian Kaulitzki/Fotolia; Illustration 35: Nadine Schur (nach einer Vorlage von www.fascialnet.com); Illustration 36: Jürgen Kiermeier (nach einer Vorlage von www.fascialnet.com); Foto 21: Cristian Baitg/istockphoto; Foto 22, Foto 23: AlexPro9500/ iStock; HandmadePictures /shutterstock; Joana Kruse/shutterstock; Foto 24: Frauke Wichmann; Foto 25: Kenneth Snelson; Foto 26: Axle/istockphoto; alle Übungsfotos von hier bis hier: Frauke Wichmann (Shooting); Foto 27: privat; Foto 28: MaXPdia/istockphoto; Illustration 37: Sabine Timmann; Foto 29: Frauke Wichmann; Illustration 38: Sabine Timmann; Illustration 39: Bettina Kammerer (nach einer Vorlage von www.fascialnet.com); Foto 30: privat; Foto 31, Foto 32, Foto 33: Frauke Wichmann; Foto 34: privat; Foto 35: www.fascialnet.com; Foto 36: privat; Illustration 40, Illustration 41, Illustration 42, Illustration 43, Illustration 44: Sabine Timmann; Foto 37: Alexander Lauterwasser; Illustration 45: Auszug aus Atlas of Human Fascial Topography, Herausgeber Dr. Hanno Steinke, erschienen im Leipziger Universitätsverlag, ISBN 978-3-96023-023-6 © Dipl.-Des. Anna Katharina Rowedder, www.annarowedder.de; Illustration 46, Illustration 47: Sabine Timmann; Graphik 1: Daniela Meinl (nach einer Vorlage aus Joanne Avison, Yoga & Fascia Anatomy and Movement, Handspring Publishing, Edinburgh 2015); Foto 38: privat; Illustration 48, Illustration 49: www.fascialnet.com; Foto 39: privat; Foto 40: privat; Foto 41: Frauke Wichmann; Foto 42: Frauke Wichmann

1. Auflage

© 2017 by Irisiana Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Martin Stiefenhofer

Satz und Seitenlyout: Der Buchmacher,

Reproduktion: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh

Arthur Lenner, München

Projektleitung: Sven Beier

Bildredaktion: Bele Engels

Herstellung und Layout: Claudia Scheike

Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie unter Verwendung von Fotos von Frauke Wichmann

E-Book Herstellung: JB

E-Book Produktion: Vera Hofer

ISBN: 978-3-641-20013-8V001

für Saraswati

Indische Göttin der Kreativität und der Wissenschaft

Es war ihr Ruf, dem ich folgte.

Sie zeigte mir den Weg.

Sie trieb mich an.

Sie inspirierte mich.

Sie unterstützte mich.

Sie hielt mich.

Sie schob mich.

Sie beruhigte mich.

Sie führte mich.

Sie rief mich.

Om Aim Saraswatiyai Namaha

INHALT

Vorwort von Dr. Robert Schleip

Auf der Suche nach dem Geheimnis des Lebens

THEORIETEIL

Kapitel 1: Yoga & Faszien

Yoga – Der Weg zur Einheit

Der philosophische Hintergrund des Yoga

Der körperliche Aspekt des Yoga

Faszien – Das Gewebe der Einheit

Das Avidya der Anatomie

Eine ganzheitliche Betrachtungsweise

Die Anatomie der Kontinuität

FASZIEN-YOGA – Yoga-Praxis mit faszialer Stimulation

Kapitel 2: Alles über Faszien

Was sind Faszien?

Sind Faszien dasselbe wie Bindegewebe?

Aufgaben von Faszien

Eigenschaften von Faszien

Der Aufbau des körperweiten Netzes

Das Schichten-Modell

Vom Zauber, den Körper zu erforschen –Interview mit Gil Hedley

Das Tensegrity-Modell

Das Zugbahnen-Modell

Woraus bestehen Faszien?

Zellen im Fasziengewebe

Die extrazelluläre Matrix

Wasser – Viel mehr als H20 –Interview mit Gerald Pollack

Arten von Faszien

Lockeres Bindegewebe

Festes Bindegewebe

Spezielle Faszien-Bereiche

Die Faszien im Rad des Karma

Von Wikingern und Schlangenmenschen

Die Anpassungsfähigkeit von Faszien

Individuelle Anatomie –Interview mit Bernie Clark

Wie lassen sich Faszien trainieren?

Fasziengerechte Ernährung

PRAXISTEIL

Kapitel 3: Die Prinzipien des Faszien-Yoga

Faszien lieben Abwechslung

Spielen Sie mit der Bewegungsvielfalt

Stabil und leicht – Tensegrity in den Asanas

Die tensegral aufgespannte Berghaltung (Tadasana)

Tensegral aufgespannte Ausgangspositionen

Myofasziale Zugbahnen in der Yoga-Praxis

Vollständige und unterbrochene Ketten

Die Zugbahnen optimal aufspannen

Das Konzept der myofaszialen Leitbahnen –Interview mit Thomas Myers

Elastische Rückfederung

Känguruartige Bewegungen

Froschartige Bewegungen

Elastische Rückfederung – Was zu beachten ist

Fasziales Dehnen

Warum ist das Dehnen so gesund für die Faszien?

Fließende Dehnungen

Schmelzende Dehnungen

Yin Yoga, Prana und Faszien –Interview mit Paul Grilley

Aktiv geladene Dehnungen

Modifikationen beim faszialen Dehnen

Rollen, Bälle, Saugnäpfe – Myofasziale Selbstmassage

Bewährte Hilfsmittel

Techniken der myofaszialen Selbstmassage

Myofasziale Selbstmassage – Was zu beachten ist

Myofasziale Selbstmassage – Die Übungen

Die inneren Schwämme rehydrieren –Interview mit Sue Hitzmann

Sensorisches Verfeinern

Die leise Stimme aus dem Inneren

Mechanorezeptoren – Vermittler der Körperwahrnehmung

Auswirkungen von Stress auf das Faszien-Netz –Interview mit Dr. Robert Schleip

Die Körperwahrnehmung verfeinern

Vibrationen durch den Klang der Stimme

Der innere Faszienschlauch

Der Atem – Träger der Lebensenergie

Pranayama – faszial abgewandelt

Faszien und Atmung –Interview mit Anna Maria Vitali

Die Bandhas – Zentren der Kraft

Pada Bandha – Das Fußgewölbe

Mula Bandha – Der Beckenboden

Dynamisch-fasziales Beckenboden-Training –Interview mit Divo Müller

Uddiyana Bandha – Die starke Mitte

Jalandhara Bandha – Die freie Stimme

Fasziale Ansichten zu unserer »starken Mitte« –Interview mit Carla Stecco

Der Kehlkopf als fasziales Organ der Stimmentwicklung –Interview mit Martin Landzettel

Hasta Bandha – Stabile Hände

Die Chakren – Zentren der Lebensenergie

Kapitel 4: Asanas – faszial abgewandelt

Klassische Asanas faszial erweitern

Aufbau der Mini-Flows

Die Yoga-Praxis abwandeln

Tipps für das Übungsprogramm

Stehende Vorbeuge

Herabschauender Hund

Zange

Krieger 1

Kobra

Kamel

Fisch

Tor

Seitstütz

Taube

Stuhl

Krokodil

Katze

Schmelzendes Herz

Kuhmaul und Adler

Stehende Grätsche

Tiefe Hocke

Dank

Empfehlenswerte Adressen

Literatur

Vita Daniela Meinl

VORWORT VON DR. ROBERT SCHLEIP

Unsere Faszien – die weißen, faserigen Hüllschichten, die in mehreren Schichten den gesamten Körper umgeben und auch unsere Muskeln und Organe einbetten und ihnen ihre Form verleihen - erleben gegenwärtig eine beeindruckende Beachtung in der wissenschaftlichen Forschung und den Medien. Wurde dieses faszinierende Gewebe früher in den Anatomiesälen der Universitäten einfach „wegpräpariert", so gibt es heute, seit dem ersten internationalen Faszien-Kongress an der Harvard Medical School 2007 in Boston, eine Vielzahl an wissenschaftlichen Studien und Untersuchungen, die sich mit dem Verhalten und dem Aufbau dieses spannenden und wandelbaren Gewebes, das als dreidimensionales Netzwerk alle Körperstrukturen miteinander verbindet, beschäftigen. Nicht zuletzt machten moderne Messverfahren wie der hochauflösende Ultraschall und die Immunohistochemie es möglich, das Verhalten von Fasziengewebe auf unterschiedlichste Einflussfaktoren und Stimulationen sichtbar zu machen, sodass wir heute wissen, dass dieses Gewebe von enormer Wichtigkeit für die Körperhaltung, die Kraftübertragung, die Beweglichkeit, aber auch für unsere Körperwahrnehmung ist.

Kein Wunder, dass es daher bereits zahlreiche Ratgeber darüber gibt, wie Sie dieses Gewebe mit Sport und Bewegung gesund erhalten können. Ob Ihr Bindegewebe steif, teigig, spröde oder jugendlich-elastisch geformt ist, das bestimmen in erster Linie die Bindegewebszellen, die Fibroblasten, indem sie regelmäßig ihr ganzkörperweites kollagenes Fasernetz aufrechterhalten und erneuern. Welche Art von Stimulation für die Ausbildung eines gesunden inneren Netzwerks hilfreich ist, wurde in zahlreichen Untersuchungen eruiert.

Auf Basis dieser wissenschaftlichen Ergebnisse haben wir in einem Team von Manualtherapeuten, Physiotherapeuten, Sportwissenschaftlern und Bewegungsexperten vor einigen Jahren den Trainingsansatz „Fascial Fitness" entwickelt, der speziell auf die optimale Stimulation des Fasziengewebes abzielt und dessen Trainingsprinzipien mittlerweile als Grundlage des modernen Faszientrainings gelten.

Daniela Meinl, eine der führenden Köpfe der Fascial Fitness Association, hat nun in beeindruckender Weise die Trainingsprinzipien des Faszien-Trainings mit der uralten Weisheit des Yoga verbunden. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der ausgewogenen Integration aller Prinzipien, um eine optimale Stimulation des Gewebes zu erreichen.

Vor allem im Bereich des sensorischen Verfeinerns und der theoretischen Hintergründe geht dieses Buch weit über bereits erhältliche Faszien-Yoga-Bücher hinaus und dürfte sich voraussichtlich innerhalb kürzester Zeit als Grundlagenwerk zu diesem Thema etablieren.

Insbesondere der Ansatz, das Fasziengewebe durch die Vibration des Klanges der eigenen Stimme in Schwingung zu versetzen, ist hierbei neu und spannend.

Ich kenne Daniela Meinl bereits seit fast zehn Jahren und schätze ihre Fähigkeit, komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge in einfacher, klarer und strukturierter Weise zu vermitteln.

So halten Sie mit diesem Werk eine äußerst fundierte und dennoch leicht verständliche Zusammenfassung über die wissenschaftlichen Hintergründe des Faszientrainings und die Integration dieser Aspekte in den Yoga in den Händen. Darüber hinaus wagt Daniela Meinl immer wieder den Spagat, einen Zusammenhang oder Analogien zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Faszienforschung und den uralten Überlieferungen aus der yogischen Philosophie herzustellen, was über die bisherigen Ansätze des Faszien-Yoga hinausgeht und insbesondere für ernsthafte Yogis und Yogis, für die die Yoga-Praxis weit mehr als nur ein Körperertüchtigungsprogramm darstellt, interessant sein dürfte.

Ähnlich wie schon die Faszien-Pioniere Ida Rolf, Begründerin der Rolfing Methode, und Andrew Taylor Still, Begründer der Osteopathie, haben auch die alten Yogis und Yoginis intuitiv und aus der eigenen Körpererfahrung heraus die Wichtigkeit von Dehnungen und Spürübungen erkannt – wenngleich die physische Praxis des Yoga sich erst in den letzten Jahrhunderten und nicht wie oft behauptet vor einigen Jahrtausenden entwickelt und verbreitet hat. Einiges was in den alten yogischen Schriften zu lesen ist, beginnt die Wissenschaft nun Schritt für Schritt zu belegen, wie am Beispiel der Akupunktur und der Meridianverläufe deutlich wird. Anderes lässt sich durch die Erkenntnisse der modernen Faszien-Forschung noch optimieren, wie Daniela Meinl in diesem Werk detailliert aufzeigt.

Bei diesem Wechselspiel zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und hypothetischen Überlegungen im Zusammenhang mit den derzeit noch nicht oder nur ansatzweise belegbaren Phänomenen aus der yogischen Philosophie stellt Daniela Meinl immer wieder sehr klar heraus, wann es sich um Überlegungen ihrerseits und wann um belegte Fakten handelt. Dies ermöglicht es dem Leser, sich kompetent weiterzubilden und durch weiterführende Denkansätze inspirieren zu lassen, eine eigene Erfahrung zu machen.

Im Übungsteil wird für die bekanntesten Yoga-Asanas erläutert, wie sich die unterschiedlichen Prinzipien auf die Asana anwenden lassen, sodass Sie dies auch auf weitere, nicht explizit im Buch beschriebene Asanas anwenden können.

Immer wieder sind Sie eingeladen, selbst kreativ zu werden und ihre eigenen, individuellen Verklebungen und Verfilzungen aufzuspüren und gezielt daran zu arbeiten. Faszien lieben Abwechslung! Lassen Sie sich inspirieren und lauschen Sie auf die Antworten Ihres Körpers – Sie werden erstaunt sein, in welche Tiefen der Wahrnehmung und des Wohlgefühls Faszien-Yoga Sie entführen kann.

Ich wünsche dem Buch und allen Leserinnen und Lesern einen faszinal-faszinierenden Erfolg!

Dr. biol. hum. Robert Schleip, Dipl.Psych.

Direktor der Fascia Research Group, Universität Ulm

Forschungsdirektor der European Rolfing Association

AUF DER SUCHE NACH DEM GEHEIMNIS DES LEBENS

Saraswati ist die indische Göttin der schöpferischen Energie, der Kreativität und der Weisheit. Sie steht auch für alle Künste und Wissenschaften. Ein scheinbarer Widerspruch – aber vielleicht nur aus unserer westlichen Sicht. Sie hat mich seit meiner frühesten Kindheit begleitet, bringt mich immer wieder an die Schwelle dieses Paradoxons und nährt meinen Wunsch, dieses zu überwinden.

Von diesem Wunsch ist auch dieses Buch getragen – es ist ein Versuch, die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der aktuellen Faszienforschung mit dem zeitlosen spirituellen Wissen und den Praktiken des Yoga zu verbinden. Eine Umsetzung der Prinzipien faszialer Stimulation, die über reine Körperübungen hinausgeht und das Wesen der Faszien im Körper in einen größeren Zusammenhang stellt.

Saraswati, indische Göttin der Kreativität und der Weisheit

Unser Geist möchte gerne die Welt verstehen. Häufig benutzen wir auf dem Weg dahin eine reduktionistisch-mechanistische Herangehensweise, d. h. wir versuchen etwas in seine Einzelteile zu zerlegen, um zu verstehen, wie es funktioniert. Manchmal geht dabei der Blick auf das große Ganze verloren. Genau auf diese Art und Weise wurde im Westen der Körper erforscht – und dabei das Gewebe, das alles zusammenhält – unsere Faszien – buchstäblich »übersehen«.

Ich selbst habe mich aus dem Wunsch, die Magie des Lebens verstehen zu lernen, zunächst der Naturwissenschaft verschrieben und Pharmazie studiert. Ich wollte wissen, wie das Leben, wie der Körper funktioniert, und ich mochte die klare Logik der Chemie. So lernte ich Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie. Ich lernte von Körperteilen, Organen, Stoffwechselkreisläufen, biochemischen Reaktionen im Körper, Proteinen, Molekülen, Rezeptoren, Zellen, Atomen, physikalischen Gesetzen der Energie und Elektrizität – und am Ende blieben nur Teilchen und Welle übrig. Nur Energie. Nur »Zufall« …

Nun, ich glaube nicht an den Zufall. Ich lernte zwar verstehen, WAS passiert, wenn etwas nicht so läuft, wie es soll, oder WIE es läuft, wenn alles rund läuft, aber das WARUM – warum wird ein Mensch krank, warum gerät etwas aus dem Lot, aus dem Gleichgewicht –, diese Frage blieb leider unbeantwortet. So machte ich mich schon früh parallel erneut auf die Suche, diesmal im Feld der Körperarbeit und der Körperpsychotherapie. Von Faszien hatte ich während des gesamten Studiums übrigens kein Wörtchen gehört.

Auf die Faszien und den tieferen Sinn zumindest meines Lebens gekommen, bin ich schließlich durch meine Ausbildung zur bodybliss® Trainerin bei Divo Gitta Müller in München, die sich in ihrem Programm »bodybliss®« auf die Suche nach dem Körperglück macht. Vieles von dem, was hier passierte, war für mich naturwissenschaftlich geprägtes Kind zunächst ziemlich befremdlich. Und doch, irgendetwas tief in mir wurde angesprochen und fühlte ganz genau: Hier geht es lang. Das ist der richtige Weg. Und so sollte es sich auch bewahrheiten: bodybliss® hat buchstäblich mein Leben verändert. Ich begann, nicht mehr alles mit dem Kopf verstehen zu wollen, sondern über den Körper zu erfahren und meine Intuition zu schärfen und ihr zu vertrauen. Die Wahrheit, die sich mir hier zeigte, konnte ich zunächst oft nicht in Worten beschreiben, und doch stillte sie einen Teil dieser tiefen Sehnsucht nach Verstehen in mir. Ich fand einen Zugang zur Spiritualität, der, wie ich später lernen sollte, ein universeller und tief im Yoga verankerter ist, der meine Seele von meinen alten Traumata und Wunden heilte und mich in der Tiefe meines Seins nährte. Schritt für Schritt wagte ich mich tiefer vorwärts in mein Inneres und war erstaunt über den Frieden, der dort zu finden ist.

bodybliss® basiert auf der von Emilie Conrad entwickelten Bewegungsform »Continuum Movement«, die Divo Müller mit eigenen Impulsen und nicht zuletzt faszialen Aspekten erweitert hat. Schon damals hörten wir viel zum Thema »Faszien«, denn Dr. Robert Schleip – der führende deutsche Faszien-Forscher der Universität Ulm und Ehemann von Divo G. Müller – unterrichtete den Anatomie-Teil der Ausbildung. Als eingefleischter »Fascianado« hat er uns natürlich immer auf dem neuesten Stand der Faszien-Forschung gehalten, auch wenn damals der Startschuss für die Faszien-Bewegung gerade erst gefallen war. Viele Aspekte aus bodybliss® und Continuum Movement fließen in meinen Ansatz des Faszien-Yoga mit ein. Ich blieb den beiden eng verbunden und war eine der ersten Master-Trainerinnen im Team der Fascial Fitness Association, die in Zusammenarbeit mit Dr. Robert Schleip und weiteren führenden Bewegungswissenschaftlern mit dem Trainingsprogramm »Fascial Fitness« den Grundstein für das moderne Faszien-Training gelegt hat.

Heute verbinde ich die vier großen Leidenschaften meines Lebens – Yoga, Faszien, bodybliss® und Reisen – und unterrichte eine Kombination daraus in vielen Teilen der Welt.

Zum Yoga habe ich erstmals über AcroYoga gefunden – und so zunächst einen eher ungewöhnlichen Aspekt des Yoga besonders lieben gelernt: Die riesige Gemeinschaft von Menschen, die an gelebter Spiritualität interessiert sind, ohne sich völlig in der Esoterik zu verlieren. Hier fühlte ich mich zu Hause. Ich tingelte von Yoga-Festival zu Yoga-Festival, lernte unzählige Stile, Traditionen, Menschen und Lehrer kennen und fand auch hier in meiner verschütteten Liebe zum Singen im Kirtan die Göttin Saraswati wieder.

Sie ist seither eine treue Begleiterin meines Lebens und aus vielerlei Gründen für mich die Göttin des Faszien-Yoga. Saraswati bedeutet übersetzt »die Fließende« und »diejenige, die Essenz (Sara) des eigenen Selbst (Swa) gibt«. Sie wird häufig auf einer Lotusblüte sitzend dargestellt, die für die Selbstverwirklichung, das letztendliche Ziel menschlichen Seins, steht.

Sie symbolisiert die Kreativität und die Intuition. Sie ist die Göttin des Lernens, der Weisheit, der Sprache, der Schrift und der Wissenschaften, der Literatur, der Künste, des Tanzes, der Musik und des Gesangs.

Ursprünglich wurde sie in der Rig-Veda, einer uralten indischen Schrift, als Natur- und Flussgöttin beschrieben und wird auch heute noch mit reinem Wasser in Verbindung gebracht.

All diese Aspekte vereinen wir im Faszien-Yoga:

Die fließenden Aspekte des Wassers in dreidimensional wellenförmigen (undulierenden) Bewegungen, die die flüssige Dynamik des Faszien-Netzes stimulieren.

Das Lauschen auf die innere Essenz, unsere tiefste innere Wahrheit und den Ausdruck dessen, was wir in uns finden.

Die Kreativität im spielerischen Erforschen der Asanas.

Die Intuition im Auflösen des »Planens von Bewegung« hin zum »Geschehenlassen, was sich aus der Tiefe unseres Seins ausdrücken will«.

Das Wissen und die Weisheit der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur optimalen Stimulation und Gesunderhaltung von Faszien, individueller Anatomie und Ausrichtung und das uralte Wissen der yogischen Philosophie.

Musik und Gesang im Tönen und Singen von Mantren und Klängen.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Forschungsreise in die Welt der Wissenschaft, der Spiritualität und vor allem in Ihren eigenen Körper und Ihre tiefste Wahrheit.

Ganz im Sinne der Faszien lassen Sie uns verbunden bleiben – bleiben Sie nicht allein auf Ihrer Matte beim Üben. Bauen Sie sich ein Netzwerk auf und verbinden Sie sich gerne ab und an mit meinem Netzwerk in einem meiner Retreats, Immersions oder Online-Kurse und Coachings.

Nach einer indischen Schöpfungsmythologie half die Göttin Saraswati dem Schöpfergott Brahma bei der Erschaffung des Universums. Brahma wünschte sich, dass es in dem zunächst so stillen Universum, das er geschaffen hatte, »etwas zu erleben gäbe«. Saraswati begann, auf ihrer Laute zu spielen, und erweckte durch die Schwingung des heiligen Mantras OM das ganze Universum zum Leben. Und alles hatte mit dem Wunsch begonnen, eine Erfahrung zu machen.

Lassen Sie uns das Lied des Lebens gemeinsam aus unserer tiefsten Essenz erklingen – immer beflügelt von dem Wunsch, eine Erfahrung zu machen.

Namasté,

Ihre Daniela Meinl

YOGA & FASZIEN

Die perfekte Synthese oder schon immer Teil der Yoga-Praxis? Was haben die uralte Weisheit des Yoga und die aktuelle Faszien-Forschung gemeinsam? Wie kann das Gewebe der Einheit unsere Yoga-Praxis unterstützen? Wie können wir das Gewebe der Einheit durch unsere Yoga-Praxis optimal stimulieren?

YOGA – DER WEG ZUR EINHEIT

Yoga ist uraltes Wissen aus Indien und zugleich modern wie nie. Aus dem Zusammenspiel zwischen Tradition und Erfahrung lebt der Yoga immer wieder neu. Yoga ist nicht primär ein Bewegungsprogramm, sondern vielmehr eine Methode zur Befreiung des Geistes und zur Erkenntnis unseres Selbst. Die körperliche Praxis dabei hat natürlich einen Trainingseffekt auf unseren Organismus, dient aber hauptsächlich dazu, den Körper auf die Meditation vorzubereiten und über die Erfahrung der Einheit von Atem und Bewegung den Geist zur Ruhe zu bringen, um sich selbst und das größere Ganze zu erkennen.

T. K. V. Desikachar, der Sohn des großen Yoga-Meisters Sri Tirumala Krishnamacharya, des Begründers von Vinyasa Yoga (ein Yoga-Stil, in dem man fließend von einer Position in die nächste übergeht), bietet in seinem Buch »YOGA – Tradition und Erfahrung« für den Begriff Yoga verschiedene Erklärungen an:

»Yoga bedeutet Zusammenbringen«

Ein zentrales Anliegen des Yoga ist es, Körper und Geist zusammenzubringen. Die Einheit allen Seins zu begreifen. Nichts ist getrennt, alles ist mit allem verbunden. Faszien sind das Organ im Körper, das alle Einzelstrukturen untereinander verbindet und damit für mich das Gewebe der Einheit schlechthin. Aus diesem Grunde schien es mir von Anfang an unerlässlich, Faszien-Training und Yoga zu kombinieren.

»Yoga bedeutet den Geist bündeln«

Gerade in unserer stressgeplagten Zeit ist dieser Aspekt des Yoga bedeutsamer denn je. In Zeiten von E-Mails und Internet ist unser Geist einer unheimlichen Schnelligkeit und Reizüberflutung ausgesetzt, die unsere Gedanken kaum zur Ruhe kommen lassen. Durch die Verbindung von Atem, Bewegung und Wahrnehmung gelingt es uns leichter, den fortlaufenden Gedankenstrom leiser werden zu lassen und uns auf die eigentliche Bündelung des Geistes in der Meditation vorzubereiten.

»Yoga bedeutet Aufmerksamkeit im Handeln«

Dieser wichtige Aspekt im Yoga – ganz im gegenwärtigen Moment zu sein, wahrzunehmen, wie sich unser Körper während der Praxis anfühlt – wird entscheidend durch unser Fasziennetz mitbestimmt, denn ein Großteil der Körperwahrnehmung findet in unserem Fasziengewebe statt. Wenn wir lernen, auf der Matte ganz bei uns zu sein und unserer inneren Weisheit zu folgen, lernen wir mit der Zeit auch, dies im Alltag und in all unserem Handeln umzusetzen.

»Yoga bedeutet eins sein mit dem Göttlichen«

Der Begriff des »Göttlichen« hat hierbei erst einmal nichts mit Religion zu tun. Es geht um das Begreifen und Erfahren, dass es etwas Größeres gibt als uns selbst, etwas, in das wir eingebettet sind. So wie alle Körperstrukturen durch unser Fasziennetz eingebettet, geschützt und gestützt sind und zugleich durch die gleitfähigen Schichten die Freiheit zur Bewegung haben, sind auch wir in ein größeres Netzwerk eingebettet, das uns trägt und schützt und dabei doch unsere ganz eigene Entfaltung und Erfahrung erlaubt und ermöglicht. Das »Göttliche« ist hierbei in uns selbst zu finden – unsere tiefste Essenz in Einheit mit dem größeren Ganzen. Über eine achtsame Praxis können wir uns mit diesem tiefen inneren Kern wieder verbinden und aus ihm heraus die Verbundenheit mit allem anderen erleben.

DER PHILOSOPHISCHE HINTERGRUND DES YOGA

Yoga ist eines von insgesamt sechs grundlegenden philosophischen Systemen in Indien, die unter dem Sanskrit-Begriff Darshana zusammengefasst werden.

Sanskrit ist, vor allem auf die Literatur bezogen, die einflussreichste antike Sprache des indischen Kulturkontextes. Sanskrit wurde zumeist in einem noch heute in Indien für verschiedene Sprachen benutzten speziellen Alphabet, dem Devanagari, geschrieben. Das Devanagari besteht aus 48 Buchstaben mit unterschiedlichen Sonderzeichen und ist auf unterschiedliche Weise ins lateinische Schriftsystem transkribiert worden. In diesem Buch wird die literarische Korrektheit der Transkriptionen dem einfachen Zugang zu den Sanskrit-Begriffen untergeordnet.

Darshana bedeutet übersetzt in etwa »eine besondere Art des Sehens«. Im Allgemeinen versteht man darunter, auf eine Art und Weise zu sehen, die es uns ermöglicht, uns selbst zu erkennen – wie in einem Spiegel.

Yoga hat seinen Ursprung in den alten indischen Schriften, den sogenannten Veden, ebenso wie die anderen philosophischen Systeme des Darshana. Das Wissen der Veden wurde über lange Zeit nur mündlich überliefert, bis es schließlich im riesigen, mehrschichtigen Gesamtwerk der Veden niedergeschrieben wurde. Wie in den meisten philosophischen Lehren gibt es zahlreiche Auslegungen und Kommentare zu diesen Schriften.

Patanjali, der Verfasser des berühmten Yoga Sutra wird der Sage nach als halb Mensch, halb Schlange dargestellt.

Patanjali, einer der großen indischen Weisheitsgelehrten, systematisierte das Wissen des Yoga in einem der wichtigsten Werke zum Thema Yoga, dem sogenannten Yoga Sutra. Das Yoga Sutra wird heute neben der Bhagavad Gita, die traditionell als die Quintessenz der Veden betrachtet wird, als einer der wichtigsten Leitfäden für den Yoga angesehen.

Sutra bedeutet übersetzt »Faden« – ein Leitfaden, an dem die 195 Sanskrit-Verse wie Perlen an einer Schnur aufgefädelt sind und so das Grundgerüst der Yoga-Praxis bilden. Die Verse sind sehr kurz und kompakt gehalten, sodass sie viel Raum für Interpretation lassen, was über die Jahrhunderte auch immer wieder durch verschiedenste Kommentare und Auslegungen geschehen ist. Dies eröffnet auch den Spielraum, das uralte Wissen in unseren heutigen, modernen Kontext zu übersetzen.

ÜBERSICHT DES ACHTGLIEDRIGEN YOGA NACH PATANJALI

Häufig wird der achtgliedrige Weg des Yoga nach Patanjali auch mit dem Begriff des Raja Yoga gleichgesetzt. Andere Schulen unterteilen die ersten Stufen des achtgliedrigen Weges Yamas, Niyamas, Asana und Pranayama in Hatha Yoga, die weiteren Stufen als Raja Yoga.

1)

Yamas: Verhaltensregeln zur Ethik

Ahimsa: Gewaltlosigkeit in Worten, Gedanken und Taten

Satya: Wahrhaftigkeit in Worten, Gedanken und Taten

Asteya: Nichts nehmen, das einem nicht gehört

Brahmacharya: Bewegung hin zum Wesentlichen

Aparigraha: Nichts annehmen, das einem nicht zusteht

2)

Niyamas: Verhaltensregeln zur Selbstdisziplin

Sauca: Sauberkeit, innere und äußere Hygiene

Santosha: Zufriedenheit, die Dinge annehmen, wie sie sind

Tapas: Das innere Feuer dazu nutzen, sich zu reinigen, Selbstdisziplin

Svadhyaya: Selbsterforschung und das Studium der alten spirituellen Texte

Ishvarapranidhana: Urvertrauen und Hingabe an das größere Ganze, mit dem Fluss des Lebens gehen

3)

Asana: Körperhaltungen zur Reinigung des Körpers und zur Vorbereitung auf die Meditation

4)

Pranayama: Übungen zur Atemkontrolle

5)

Pratyahara: Zurückziehen der Sinne von der Außenwelt

6)

Dharana: Konzentration

7)

Dhyana: Meditation

8)

Samadhi: Einheitsbewusstsein

DIE UNTERSCHIEDLICHEN YOGA-WEGE

Die einzelnen Formen des Yoga werden in der Bhagavad Gita näher beschrieben. Die Bhagavad Gita ist ein spiritueller Text, der in eine historische Handlung eingebettet ist. Der Hindu-Gott Krishna befindet sich mit dem Krieger Arjuna auf dem Schlachtfeld und erklärt ihm unter anderem die unterschiedlichen Wege zur Erleuchtung.

Hatha Yoga

Im Hatha Yoga geht es im Wesentlichen um den Yoga des Körpers. Die Silbe »Ha« bedeutet Sonne oder Kraft, die Silbe »tha« steht für Mond oder Stille. Hatha Yoga wird als System zur Harmonisierung der aktivierenden und beruhigenden Energien verstanden, wobei das zusammengesetzte Wort »Hatha« auch mit »Anstrengung« übersetzt werden kann. Im Hatha Yoga werden üblicherweise Asanas (Körperübungen), Pranayama (Atemkontrolle) und meist auch ein wenig Meditation geübt. Diese Form gilt als Vorbereitung für Raja Yoga. Es ist die Form des Yoga, die im Westen am häufigsten praktiziert wird und innerhalb derer sich mittlerweile zahlreiche Unterformen ausgebildet haben. Auch Faszien-Yoga gehört im weitesten Sinne in diese Kategorie.

Raja Yoga

Beim Raja Yoga steht die Entwicklung und Beherrschung des Geistes im Vordergrund. Viele Schulen sehen Hatha und Raja als eine Einheit, in der eine Form nicht ohne die andere möglich ist. Andere Traditionen erklären den Raja Yoga als »Königsweg«, der den anderen überlegen sei.

DIE YOGA-WEGE

Hatha Yoga – Der Yoga des Körpers.

Raja Yoga – Der Yoga des Geistes.

Jnana Yoga – Der Yoga der Erkenntnis.

Karma Yoga – Der Yoga der Tat.

Bhakti Yoga – Der Yoga der Hingabe.

Jnana Yoga

Jnana Yoga ist der Yoga des Wissens und der Erkenntnis. Dies bezieht sich jedoch nicht auf akribisches Einzelwissen, sondern auf Weisheit durch sinnvolles Anwenden des Wissens. Der Erkenntnisprozess im Jnana Yoga erfolgt klassischerweise in vier Schritten. Auch wenn Jnana Yoga in seiner ursprünglichen Form auf die Befreiung des Geistes abzielt, so können Sie sich die Aspekte des Jnana Yoga auch beim Lesen dieses Buches zu Hilfe nehmen:

Shravana

Shravana bedeutet das Hören des Wissens. In Ihrem Falle handelt es sich dabei um den konzentrierten Vorgang des Lesens dieses Buches. Versuchen Sie, das Wissen erst einmal in sich aufzunehmen, ohne es innerlich bereits zu kommentieren und einzuordnen. Erfahren Sie das Neue wie ein Kind. Ich lade Sie ein, es jedoch nicht beim bloßen Lesen zu belassen, sondern auch die weiteren Schritte der Erkenntnis zu gehen, um die für Sie idealen Erkenntnisse aus diesem Buch zu ziehen.

Manana

Manana bedeutet Reflexion und Verinnerlichung des Wissens. Lassen Sie nach dem Lesen eines Kapitels den Inhalt noch einmal innerlich Revue passieren. Was berührt Sie? Was macht für Sie Sinn? Wo treten Zweifel und Fragen auf? Wie könnten Sie mit diesen umgehen? Was möchten Sie aus verschiedenen Gründen vielleicht lieber weglassen oder noch vertiefen? Was brauchen Sie dazu? Für den Praxisteil bedeutet dieser Aspekt auch: Probieren Sie die Übungen aus. Spüren Sie, was die Übungen mit Ihnen machen und nehmen Sie dies bewusst wahr.

Nididhyasana

Nididhyasana bedeutet die Meditation über das Wissen. Lauschen Sie in Ihren Körper hinein. Welche neuen Impulse entstehen in Ihnen durch das Gelesene? Welche Sehnsüchte werden wach, welche Ängste, welche Ideen? Wie könnten Sie das Wissen in Ihre Yoga-Praxis und darüber hinaus auch in Ihr Leben integrieren? Öffnen Sie sich für das Unbekannte. Für den Praxis-Teil bedeutet dies, sich nach der Übung eine Zeit des Nachspürens zu geben: Wie geht es Ihnen im Anschluss? Mit welchen Signalen berichtet Ihnen Ihr Körper, wie es ihm geht? Was für neue Impulse entstehen? Was für Gefühle tauchen auf?

Anubhava

Anubhava ist die Verwirklichung des Wissens. Wenn Sie die vorherigen Schritte gewissenhaft üben, geschieht dieser Schritt ab einem bestimmten Zeitpunkt von ganz allein, wenn Ihnen das Üben in Fleisch und Blut übergegangen ist und Ihr Körper so wach und verbunden ist, dass er Ihnen wie von selbst den Weg weist und Sie dem ohne Zögern folgen können.

Karma Yoga

Karma Yoga zeichnet sich durch die aktive Tat aus. Bei diesem Weg des Yoga wird die Befreiung durch kontinuierliches selbstloses Handeln erreicht. Es gibt vielfältige Wege, sich ins Leben und in die Gemeinschaft einzubringen. Je verbundener wir mit uns und unserer eigenen Wahrnehmung sind, desto mehr entsteht meiner Erfahrung nach das Bedürfnis, einen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten und sich selbstlos einzubringen zum Wohle eines größeren Ganzen. Folgen Sie diesem inneren Impuls, wenn Sie ihn spüren. Sie werden auf einer anderen Ebene reich beschenkt werden, wenn Sie diesem Ruf folgen und sich ganz im Sinne der Faszien in das größere Netzwerk des Lebens einweben.

Malas – lange Perlenketten mit 108 Perlen – dienen nicht nur als Schmuck, sondern als Rezitationshilfe für die Meditation.

Bhakti Yoga

In sogenannten »Japa-Mantra-Meditationen« wird mithilfe der Mala, einer Perlenkette mit üblicherweise 108 Perlen, ebenso oft der Name einer indischen Gottheit rezitiert. Dabei steht nicht die Gottheit als solche im Mittelpunkt, sondern der Aspekt, für den sie steht und der auch in uns allen vorhanden ist.

Bhakti Yoga zeichnet sich durch das Rezitieren und Singen von Mantren aus, dem Verehren der hinduistischen Gottheiten, dem Vollziehen von Ritualen und dem Üben in völliger Hingabe. Im Faszien-Yoga integrieren wir diesen Aspekt des Yoga teilweise durch das Einbauen von Klängen und Mantren sowie durch den Fokus auf die völlige Hingabe an eine Asana. Hierbei geht es mir weniger um eine religiöse Form der Verehrung »Gottes« als mehr um den psychologischen Aspekt, für den die bunten und zahlreichen Götter des Hinduismus stehen, deren Aspekte wir alle in uns tragen und entwickeln und transformieren können. So können wir beispielsweise die fließende Kreativität Saraswatis oder die Fröhlichkeit Krishnas in unsere Praxis einladen.

DER KÖRPERLICHE ASPEKT DES YOGA

Yoga war und ist ein Weg zur Selbsterkenntnis. Auch wenn in unseren modernen Yogastilen die körperlichen Übungen oft im Vordergrund stehen, so waren diese in den alten Schriften zunächst eher von untergeordneter Bedeutung. Patanjali beschreibt in den Yoga-Sutren in den Versen 2.46 – 2.48 zwar den Aspekt »Asana« als einen der acht Glieder des Yoga-Weges – gemeint ist hierbei jedoch vermutlich eher die einfache »Körperhaltung« für das Meditieren. Korrekterweise müsste es im Deutschen eigentlich »das Asana« heißen, die Verwendung von »die Asana« hat sich aber mittlerweile derart eingebürgert, dass auch ich es in diesem Buch so verwenden werde.

Bereits im ersten Kommentar zu den Versen des Yoga Sutra durch den Gelehrten Vyasa im 6. Jahrhundert ist die Rede von 10 Asanas, in weiteren Kommentaren wechselt die Anzahl zwischen 2 und 32. Mittelalterliche Schriften zum Hatha Yoga gehen davon aus, dass die Asanas durch den Hindu-Gott Shiva gelehrt wurden, und zwar derer genau 8.400.000 – für jedes Lebewesen eine! So bewegen wir uns also in einem Raum von 1 bis über 8 Millionen Möglichkeiten, Asanas auszuführen – eine Ansicht, die mir im Faszien-Yoga entgegenkommt, denn Faszien lieben Abwechslung! Vielleicht erfinden Sie auf dem Weg zu sich selbst einfach noch eine neue dazu? Ihre ganz eigene Asana …

Die körperorientierte Form des Yoga, wie wir sie heute im Westen kennen, geht zunächst auf die Hatha Yoga Pradipika zurück. Diese wichtige Schrift wurde vermutlich im späten 14. Jahrhundert von Swami Svatmarama verfasst und ist damit sehr viel jünger als die philosophischen Texte des Yoga. Wenn wir also von einer »jahrtausendealten Methode« sprechen, so bezieht sich dies weniger auf den körperlichen als auf den philosophischen Anteil des Yoga.

Die Hatha Yoga Pradipika beschreibt 15 Asanas und verschiedene Atemtechniken sehr ausführlich, in späteren Werken werden häufig 84 Asanas benannt. Auf Basis dieser Grundlagen haben sich zahlreiche Yogastile entwickelt, deren Auflistung den Rahmen dieses Buches sprengen würde. Sie alle gehen jedoch in ihren Wurzeln auf die grundlegenden philosophischen und körperlichen Bausteine des alten Indien zurück, wurden jedoch über die Jahre immer wieder auch um gymnastische Übungen und Abwandlungen aus West und Ost ergänzt. Jeder Übende macht eigene Erfahrungen. Die einen halten sich immer streng an das, was der Lehrer vorgibt. Die anderen wandeln die Übungen ab oder bringen neue Aspekte hinein. Durch das Abwandeln und Hinzufügen von Neuem hat sich der Yoga über die Jahrhunderte gewandelt und verändert. Heute stehen uns so viele Formen, Traditionen und Stile zur Verfügung, dass es manchmal schwerfällt, sich für einen zu entscheiden oder überhaupt den Überblick zu behalten.

Welche Art des Yoga Sie auch üben – Sie können die Aspekte der faszialen Stimulation in jede Art der Praxis einbauen. Trauen Sie sich, ein wenig zu experimentieren und neue Wege zu beschreiten. Finden Sie heraus, wie dies Ihre Praxis verändern und bereichern kann und finden Sie dennoch auch immer wieder zu den Wurzeln Ihrer Praxis zurück.

FASZIEN – DAS GEWEBE DER EINHEIT

Faszien, die weißen Hüllen, die unsere Körperbestandteile gleichzeitig voneinander abgrenzen und sie miteinander verbinden, sind derzeit in aller Munde. Woran liegt das? Ein neuer Hype? Nur gutes Marketing? Mitnichten, handelt es sich doch um einen integralen Bestandteil unseres Körpers.

Sicher haben Sie selbst bereits schon einmal Faszien-Gewebe in der Hand gehabt; es ist das weiße, gleitfähige Gewebe an einem Stück Fleisch. Es kann unterschiedliche Stärken und Dichten haben.

Warum jedoch ist der Fokus auf dieses Gewebe derzeit so groß? Die Antwort ist so einfach wie unglaublich: Weil dieses Gewebe bis vor einigen Jahren geradezu ein »Aschenputtel-Dasein« fristete.

Auch wenn bedeutende Manualtherapeuten wie Ida Rolf, die Begründerin der Rolfing Methode, und Andrew Taylor Still, der Begründer der Osteopathie, bereits vor vielen Jahren von der Bedeutsamkeit der Faszien überzeugt waren, so wurde es in der Naturwissenschaft lange Zeit als bloßes »Verpackungsmaterial« abgetan und nicht weiter beachtet. In den Anatomiesälen dieser Welt wurde tonnenweise »weißes« Material weggeschnippelt und landete ohne weitere Beachtung auf dem Boden oder im Mülleimer.

Der Grund dafür liegt zum Teil in der Art und Weise, wie die Lehre der Anatomie historisch entstand: mit dem Messer. Schon zu Urzeiten waren die ersten »Innenansichten« von Tieren und Menschen durch das Aufschneiden beim Schlachten, Sezieren und später beim Operieren bestimmt. So begann man, mithilfe des Messers den Körper in Einzelteile zu zerlegen – und schnitt dabei meist genau an den faszialen »Trennlinien« entlang, um die Einzelteile freizulegen. Stellen Sie sich einfach vor, wie Sie bei einem Stück Fleisch an dem weißen, festeren Gewebe (das sind die Faszien) entlangschneiden, um es zu unterteilen. Hierdurch wurden die Einzelteile sicht- und greifbar – das verbindende Gewebe dazwischen aber fiel durchs Raster. Um dann auch die andere Seite freizulegen, löste man das verbleibende weiße Gewebe ab und warf es weg … Dass es noch viel mehr von diesem Gewebe in feinerer Ausprägung auch im Inneren der Organe und Muskeln gab, konnte man erst sehr viel später erkennen, als die technischen Möglichkeiten präziserer Messgeräte und Mikroskope dies zuließen. Auch in unserer Zeit wird häufig noch auf diese Weise seziert. Sogar das Wort »Anatomie«, das aus dem Griechischen kommt, spiegelt dies wider: Es bedeutet übersetzt »Auf-Schnitt«. Wir begreifen den Körper also, indem wir ihn aufschneiden und in möglichst viele Einzelteile zerlegen.

Der belgische Arzt Andreas Vesalius (1514 – 1564) gilt als Begründer der Anatomie in der Naturwissenschaft; er lehrte an der Universität in Padua in Italien, an der heute auch die bedeutende Faszienforscherin Carla Stecco wirkt.

DAS AVIDYA DER ANATOMIE

Das Verständnis um die Natur der Dinge wird stark beeinflusst durch die Perspektive, aus der wir auf die Ergebnisse blicken. Das Erforschen des menschlichen Körpers durch das Zerlegen in seine Einzelteile führte zu einem Verständnis, als bestünden wir aus vielen Einzelteilen, zusammengehalten von der äußeren Hülle der Haut. Unsere Anatomiebücher und -modelle verstärken diese Sichtweise noch. So haben wir den Blick für das, was uns tatsächlich zusammenhält, verloren. Würde man jedoch statt des Seziermessers beispielsweise mit Chemikalien arbeiten, die alle Strukturen außer der des Fasziennetzes auflösen würden (bisher ist eine solche Flüssigkeit noch nicht bekannt), so würden die allumfassend zusammenhängenden Strukturen des Bindegewebes eindrücklich zutage treten: Der Mensch wäre immer noch erkennbar, die komplette Form und Struktur bliebe erhalten. Würde man hingegen alles Fasziengewebe herauslösen, fiele der Körper in seine Einzelteile auseinander.

Patanjali beschreibt im Yoga Sutra 2.5 das »Wissen, das kein richtiges Wissen ist«: Avidya. Es handelt sich hierbei um ein Wissen, das nicht Unwissen ist, sondern eher eine Täuschung oder eine falsche Vorstellung von etwas. Dies kann dazu führen, dass wir glauben, etwas zu wissen und entsprechend handeln, in Wirklichkeit aber einer Täuschung aufsitzen und unser Handeln daher nicht ganz korrekt ist. Oder aber wir handeln aufgrund unseres vermeintlichen Wissens NICHT, obwohl es eigentlich sinnvoll gewesen wäre.

Avidya beschreibt eine inkorrekte Art des Verstehens. Dadurch sehen wir etwas auf eine Art und Weise, wie es in Wirklichkeit nicht ist. Wie wir die Anatomie des Körpers begreifen, können wir als eine Art von Avidya bezeichnen. Wir haben Anatomiebücher, in denen stilisiert und aufbereitet eine grafische Darstellung einzelner Muskeln und Muskelgruppen dargestellt wird. So, als könnte man die Einzelteile wie Legobausteine zusammen- und auch wieder auseinanderbauen. Bewegung wird über physikalische Gesetze mit Winkeln, Hebeln und Kraftangaben betrachtet und berechnet. Dem wahren Leben jedoch kommt dies nur sehr unzureichend nahe. Die rein biomechanische Betrachtungsweise von einzelnen Muskeln wird der tatsächlichen Erfahrung menschlicher Bewegung und der Kraftübertragung von Muskeln und Faszien nicht gerecht, wie neuere Forschungen dazu belegen.

Wenn wir das Wissen der alten Anatomiebücher als gegeben akzeptieren, dabei aber den faszialen Aspekt übersehen, so werden daraus Handlungen resultieren, die der Wirklichkeit nur bedingt dienlich sind.

Avidya wird verstanden als ein Ergebnis von Handlungen aus der Vergangenheit, die wir möglicherweise über lange Zeit fast schon mechanisch oder wie blind wiederholt haben. Vor allem in der Wissenschaft gilt dies dann schnell als »Gesetz«, das nicht mehr hinterfragt wird und die Basis weiterer Studien bildet. So werden wir möglicherweise blind für Hinweise auf die tatsächliche Wirklichkeit.

EINE GANZHEITLICHE BETRACHTUNGSWEISE

Im frühen 20. Jahrhundert entwickelte sich die Physik durch die Arbeiten von Bohr und Einstein vom mechanistisch-reduktionistischen Weltbild hin zu einem relativistischen Weltbild und untersuchte fortan nicht nur linear-kausale Zusammenhänge, sondern auch Beziehungen. Dabei setzte Einsteins Relativitätstheorie nicht die vorherigen physikalischen Gesetze außer Kraft – im Gegenteil, sie stellte diese in einen größeren Zusammenhang. Dieser Ansatz wurde durch C. G. Jung auf die Psychologie übertragen und fand auch in vielen anderen Gebieten Einzug. Was die Anatomie und die Bewegungswissenschaften anging, hat es allerdings noch bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts gedauert, bis dieser Ansatz Beachtung fand.

Mit dem ersten internationalen Faszien-Kongress 2007 in Boston schließlich wurde der ganzheitliche Ansatz auch auf das Gebiet der Anatomie übertragen, als mit den vielen Erkenntnissen der Forscher, die diese erstmals gesammelt einem großen Fachpublikum vorstellten, klar wurde, dass dieses weiße Hüllgewebe weit mehr als einfach nur »Verpackungsmaterial« darstellt: ein lebendiges, wandelbares Gewebe mit zahlreichen wichtigen Funktionen für den Organismus.

Dieser Kongress war der Startschuss für den Siegeszug der Faszien, und so manches Anatomiebuch müsste neu geschrieben werden. Dieser Prozess dauert bis heute an und ist noch lange nicht abgeschlossen. Jede Woche erscheinen neue wissenschaftliche Abhandlungen und Studien in Bezug auf die Faszien. Während ich diese Zeilen schreibe, findet in Washington gerade die erste Konferenz zum Thema »Faszien, Krebs und Akupunktur« statt. Viele Felder und Zusammenhänge sind noch unklar und unerforscht. Wir dürfen gespannt bleiben auf die neuen Forschungen und Ergebnisse der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Auch hier gilt, dass die Ergebnisse der Faszienforschung keinesfalls die bisherigen Manualtherapie- und Bewegungskonzepte überholen oder ablösen – jedoch eröffnet sich durch dieses neue Wissen eine andere Sichtweise und eine ganzheitlichere Herangehensweise. Und manchmal kann die Forschung nun bestätigen, was die alten Yogis schon vor vielen Jahrhunderten gespürt haben.

Bei der Verbindung von Faszienforschung und Yoga bewegen wir uns in einem Spannungsfeld aus Naturwissenschaft und althergebrachtem, spirituellem Wissen. In meinem Leben waren und sind beide Aspekte gleichermaßen wichtig und ich werde versuchen, beidem auch in diesem Buch gerecht zu werden.

Die Wissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass in klar umrissenen Versuchen mithilfe einer Kontroll- und einer Prüfgruppe eine bestimmte Fragestellung (eine sogenannte Hypothese) unter klar definierten Voraussetzungen überprüft wird. Am Ende steht ein Ergebnis, das reproduzierbar sein sollte und dann als mehr oder weniger bewiesen gilt.

Die Problematik daran ist, dass Studien häufig in vereinfachten Systemen durchgeführt werden, sodass die Ergebnisse zwar Hinweise liefern können, jedoch oft noch keine Aussage erfolgen kann, ob dies tatsächlich in der Realität ebenso stattfindet.

So liefern z. B. Studien an Gewebeproben oder Ratten im Labor wichtige Grunddaten, inwiefern sich diese Ergebnisse jedoch auf das komplexe System lebendiger Menschen übertragen lässt, ist nicht immer vorhersehbar.

In der Spiritualität und im Yoga hingegen gilt einzig und allein die Erfahrung - die Erfahrung des Einzelnen, des Lehrers und die Erfahrung vieler, vieler Praktizierender über die Jahrhunderte hinweg. Auch wenn es mittlerweile immer mehr Studien zur Wirksamkeit von Yoga gibt, so ist doch vieles von den Aspekten, die wir im Yoga als gegeben hinnehmen bzw. selbst erfahren – wie z.B. die Existenz von Chakren, Koshas, Prana und Nadis –, bislang wissenschaftlich nur rudimentär oder (noch) nicht belegt.

DIE ANATOMIE DER KONTINUITÄT

Die frühere Sicht der Anatomie betrachtet den isolierten Muskel und versteht so seine einzige Aufgabe darin, dass er mit seinen zugehörigen Sehnen zwei Knochen über ein Gelenk miteinander verbindet und diese durch Kontraktion einander annähert. Die Verbindungen der faszialen Muskelhüllen und ihr Einfluss auf umliegende Muskelgruppen wurden lange Zeit außer Acht gelassen.

In der Realität jedoch gibt es weder definiertes Ende noch Anfang eines Muskels, einer Sehne oder einer Gelenkkapsel: Das Gewebe der Gelenkkapsel entwickelt sich kontinuierlich zu einer Sehne, aus der Sehne verändert sich das Gewebe graduell zur Muskelscheide und dann weiter zum Muskel. Von dort entwickelt sich das Gewebe wiederum zur Sehne, die sich dann in die Knochenhaut, den sogenannten Periost verwandelt … Ein kontinuierlich zusammenhängendes Netz ohne Anfang und Ende, alles ist miteinander verbunden. Das Eine wird zum Anderen und ist zugleich Teil des größeren Ganzen.

Eine Unterteilung in Muskel und Faszie mag für die oberflächlichen, leicht mit dem Skalpell zu entfernenden Schichten noch nachvollziehbar sein. Wenn wir uns jedoch mit den inneren faszialen Strukturen und Schichten der Muskulatur beschäftigen, so erscheint eine Trennung der beiden Strukturen sehr künstlich, wenn nicht gar unmöglich, denn diese Bestandteile bilden eine nicht voneinander zu trennende funktionelle Einheit. Würden wir alles fasziale Gewebe von muskulärem Gewebe trennen, so bliebe als »muskuläres Gewebe« nur ein Haufen unverbundener Muskelfasern übrig, die keine Einheit und keine Form mehr hätten und somit nicht zu einer Bewegung fähig wären. Würden wir hingegen aus einem Muskel alle Muskelfasern herauslösen und nur das fasziale Gewebe übriglassen – so würde der Muskel zwar seine Form behalten, wäre jedoch zu keiner Kontraktion und Bewegung mehr fähig, da ihm die aktiven Muskelfasern fehlen.

Das fasziale Netz kennt keinen Anfang und kein Ende: Es entwickelt sich vom muskulären Bindegewebe zur Sehne, die wiederum übergeht in die Knochenhaut an den Knochen.