Das große Buch vom Schlaf - Matthew Walker - E-Book
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Das große Buch vom Schlaf E-Book

Matthew Walker

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Beschreibung

Warum schlafen so wichtig ist: Prof. Dr. Matthew Walker, Direktor des Schlaflabors der UC Berkeley, teilt seine bahnbrechenden Forschungserkenntnisse und verdeutlicht die enorme Wirkung der Nachtruhe. Denn Schlaf ist einer der wichtigsten und zugleich unterschätztesten Aspekte eines gesunden, langen und glücklichen Lebens. Der richtige Schlaf macht uns klüger, attraktiver, schlanker, beugt Krebs und Demenz vor, stärkt das Immunsystem und verringert das Risiko für Herzinfarkt und Diabetes. Der internationale Bestseller – Übersetzungsrechte in 30 Länder verkauft!

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Seitenzahl: 605

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Buch

Schlafexperte Prof. Dr. Matthew Walker liefert uns ein völlig neues Verständnis dafür, wie wichtig Schlafen ist: So sorgt richtiger Schlaf etwa dafür, dass sich unsere Fähigkeit zu lernen, uns zu erinnern und logische Entscheidungen zu treffen, verbessert. Er reguliert unsere Emotionen, stärkt das Immunsystem, stellt unsere Verdauung ein und steuert unseren Appetit. Träume mildern schmerzhafte Erinnerungen ab und schaffen den nötigen Raum, um Kreativität zu ermöglichen. Auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie seiner jahrzehntelangen Forschungsarbeit und Erfahrung aus der klinischen Praxis erklärt Walker, wie wir den Schlaf nutzen können, um Lernfähigkeit, Stimmung und Energielevel zu verbessern, Hormone zu regulieren, Krebs, Alzheimer und Diabetes vorzubeugen, den Alterungsprozess zu verlangsamen und ein gesundes, langes Leben zu führen.

Autor

Prof. Dr. med. Matthew Walker ist Professor für Neurowissenschaften und Psychologie an der University of California, Berkeley, Direktor des dortigen Schlaflabors sowie ehemaliger Professor für Psychiatrie an der Harvard University. Er hat über hundert wissenschaftliche Studien veröffentlicht. Das große Buch vom Schlaf ist sein erstes Buch.

Prof. Dr. med. Matthew Walker

Das große Buch vom Schlaf

Die enorme Bedeutung des Schlafs

Beste Vorbeugung gegen Alzheimer, Krebs, Herzinfarkt und vieles mehr

Aus dem Amerikanischen

von Annika Tschöpe

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Why We Sleep« bei Scribner, einem Imprint von Simon & Schuster, New York.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

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Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © 2017 der Originalausgabe: Matthew Walker

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

KW ∙ Herstellung: IH

ISBN 978-3-641-23239-9V003

www.goldmann-verlag.de

Für Dacher Keltner, der mich zu diesem Buch inspiriert hat

Inhalt

Teil 1:

Das, was man Schlaf nennt

1. Schlafen …

2. Koffein, Jetlag und Melatonin:

So wird der Schlafrhythmus beeinflusst

3. Definition und Entstehung von Schlaf:

Zeitdilatation und was wir 1952 von einem Baby gelernt haben

4. Affenbetten, Dinosaurier und Nickerchen mit nur einer Gehirnhälfte:

Wer schläft wie und wie lange?

5. Veränderung des Schlafverhaltens im Laufe des Lebens

Teil 2:

Warum soll man schlafen?

6. Das wussten schon Ihre Mutter und Shakespeare:

So fördert der Schlaf das Gehirn 151

7. Zu extrem für das Guinness-Buch der Rekorde:

Was Schlafmangel mit dem Gehirnmacht 187

8. Krebs, Herzinfarkte und verkürzte Lebenszeit:

Was Schlafmangel mit dem Körpermacht

Teil 3:

Wie und weshalb wir träumen

9. Mit schöner Regelmäßigkeit psychotisch:

Träumen im REM-Schlaf

10. Träumen als nächtliche Therapie

11. Kreativität im Traum und Traumsteuerung

Teil 4:

Von Schlaftabletten zu einer veränderten Gesellschaft

12. Nächtliche Vorkommnisse:

Schlafstörungen und Tod durch Schlafmangel

13. iPads, Fabriksirenen und Schlummertrunke:

Was hindert Sie am Schlafen?

14. Was dem Schlaf schadet und was ihn fördert:

Tabletten oder Therapie

15. Schlaf und Gesellschaft:

Das machen Medizin und Bildungswesen falsch, und Google und die NASA richtig

16. Eine neue Vision für den Schlaf im 21. Jahrhundert

Fazit: Schlafen oder nicht schlafen

Zwölf Tipps für einen gesunden Schlaf

Bildnachweis

Danksagung

Register

Teil 1:

Das, was man Schlaf nennt

KAPITEL 1

Schlafen ...

Haben Sie in der vergangenen Woche genug Schlaf bekommen? Können Sie sich noch erinnern, wann Sie zuletzt ohne Wecker ganz ausgeruht aufgewacht sind und nicht sofort eine Dosis Koffein brauchten? Wenn die Antwort auf eine dieser Fragen »Nein« lautet, sind Sie in bester Gesellschaft. Zwei Drittel der Erwachsenen in industrialisierten Ländern schlafen nicht wie empfohlen acht Stunden pro Nacht.1

Diese Tatsache wird Sie sicher nicht überraschen, die Folgen dagegen vielleicht schon. Wer dauerhaft weniger als sechs oder sieben Stunden pro Nacht schläft, zerstört sein Immunsystem, sodass sich das Krebsrisiko mehr als verdoppelt. Die Schlafdauer hat maßgeblichen Einfluss darauf, ob ein Mensch an Alzheimer erkrankt oder nicht. Unzureichender Schlaf – selbst ein geringfügiger Mangel, der nur eine Woche andauert – beeinträchtigt den Blutzuckerspiegel so stark, dass sich eine Vorstufe eines Diabetes feststellen lässt. Verkürzter Schlaf erhöht die Wahrscheinlichkeit für verstopfte und spröde Arterien, was langfristig zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfällen und kongestiver Herzinsuffizienz führen kann. Schon Charlotte Brontë wusste: »Ein aufgewühlter Geist ist ein schlechtes Ruhekissen«, und tatsächlich werden alle bedeutenden psychiatrischen Leiden, zum Beispiel Depressionen, Angstzustände und Suizidgefahr, bei Schlafstörungen schlimmer.

Vielleicht haben Sie schon einmal festgestellt, dass Sie größeren Appetit verspüren, wenn Sie müde sind? Das ist kein Zufall. Bei Schlafmangel steigt die Konzentration eines körpereigenen Hormons, das Hungergefühle hervorruft, während ein anderes Hormon, das Sättigung signalisiert, unterdrückt wird. Obwohl Sie eigentlich satt sind, verspüren Sie dann das Verlangen, mehr zu essen. Sowohl Erwachsene als auch Kinder, die unter Schlafmangel leiden, nehmen damit zuverlässig zu. Solange Sie zu wenig schlafen, bleibt jeder Diätversuch fruchtlos, da Sie dann in erster Linie schlanke Körpermasse und nicht etwa Fett verlieren.

Diese breite Palette an gesundheitlichen Folgen erklärt einen erwiesenen Zusammenhang: Je weniger man schläft, desto kürzer das Leben. Der Grundsatz »Schlafen kann ich, wenn ich tot bin« ist deshalb nicht besonders ratsam, denn wer sich daran hält, stirbt früher und beeinträchtigt noch dazu die Qualität des (verkürzten) Lebens. Schlafmangel ist wie ein Gummiband: Er lässt sich zwar eine Zeit lang ausdehnen, doch irgendwann ist das Ende erreicht. Leider ist der Mensch die einzige Spezies, die sich selbst ganz gezielt am Schlafen hindert, ohne dass dies erkennbare Vorteile mit sich bringt. Die Missachtung unseres Bedürfnisses nach Schlaf hat in zwischenmenschlicher und finanzieller Hinsicht einen hohen Preis und betrifft alle Aspekte des Wohlbefindens und vieles, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Und zwar so sehr, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Schlafmangel in Industrienationen mittlerweile zur Epidemie erklärt hat.2 Es ist kein Zufall, dass in den Ländern, in denen die Schlafdauer im vergangenen Jahrhundert besonders drastisch gesunken ist, zum Beispiel in den USA, im Vereinigten Königreich, in Japan, Südkorea und in Deutschland sowie in etlichen anderen westeuropäischen Staaten, auch die bereits erwähnten Erkrankungen und psychischen Störungen besonders weit verbreitet sind.

Wissenschaftler wie ich selbst drängen Ärzte mittlerweile schon dazu, Schlaf regelrecht zu »verordnen«. Einen harmloseren und angenehmeren medizinischen Ratschlag kann man sich kaum vorstellen. Allerdings ist damit keineswegs gemeint, dass mehr Schlafmittel verordnet werden sollten – ganz im Gegenteil, denn die möglichen Folgen dieser Medikamente sind alarmierend.

Aber kann man wirklich mit Fug und Recht sagen, dass zu wenig Schlaf das Leben kosten kann? Ja, allerdings – zumindest in zwei Fällen. Zum einen gibt es eine sehr seltene genetische Störung, die mit progressiver Schlaflosigkeit einhergeht und im mittleren Lebensabschnitt erstmals auftritt. Nach einigen Monaten können die Erkrankten überhaupt nicht mehr schlafen. In dieser Phase haben sie bereits viele grundlegende Gehirn- und Körperfunktionen eingebüßt. Bislang gibt es keine Mittel, die diesen Patienten zum Schlafen verhelfen. Nach zwölf bis achtzehn Monaten ohne Schlaf sterben die Erkrankten. Diese – zugegeben äußerst seltene – Störung macht deutlich, dass Schlafmangel zum Tod führen kann.

Zum anderen hat es oft tödliche Folgen, wenn sich jemand, der nicht genug geschlafen hat, ans Steuer eines Kraftfahrzeugs setzt. Müdigkeit am Steuer ist Jahr für Jahr für Hunderttausende von Verkehrsunfällen und Todesopfern verantwortlich. Und in diesem Fall bringen die Unausgeschlafenen nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Mitmenschen in Gefahr. In den Vereinigten Staaten verliert jede Stunde ein Mensch sein Leben durch einen Unfall, der mit Müdigkeit zusammenhängt. In Deutschland sind etwa 20 Prozent der schweren Verkehrsunfälle auf die Übermüdung des Fahrers zurückzuführen. Es sollte uns sehr zu denken geben, dass mehr Autounfälle auf Schläfrigkeit zurückzuführen sind als auf Alkohol und Drogen zusammen!

Dass unsere Gesellschaft den Schlaf nicht richtig würdigt, ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Wissenschaft lange Zeit nicht erklären konnte, wieso er überhaupt so wichtig ist. Schlaf blieb eines der großen biologischen Geheimnisse. Vor dem unzugänglichen Reich des Schlafs versagen alle Methoden, mit denen die großen Probleme der Wissenschaft angegangen werden – Genetik, Molekularbiologie und leistungsstarke Digitaltechnik. Die klügsten Köpfe, darunter der Nobelpreisträger Francis Crick, der die leiterförmige Struktur der DNA entdeckte, der berühmte römische Lehrer und Rhetoriker Quintilian und selbst Sigmund Freud versuchten vergeblich, den geheimen Code des Schlafs zu entschlüsseln.

Um sich vor Augen zu führen, wie wenig die Wissenschaft einst zu diesem Thema wusste, stellen Sie sich bitte Folgendes vor: Ihr erstes Kind wurde gerade geboren, im Krankenhaus kommt die Ärztin ins Zimmer und sagt: »Herzlichen Glückwunsch, Sie haben einen gesunden Jungen zur Welt gebracht. Die ersten Untersuchungen sind abgeschlossen, und alles sieht in Ordnung aus.« Sie lächelt zuversichtlich und wendet sich zur Tür. Dann jedoch dreht sie sich noch einmal um und fügt hinzu: »Nur eines noch. Von nun an und für den Rest seines Lebens wird Ihr Kleiner immer wieder in einen komaartigen Zustand verfallen. Manchmal kann es so wirken, als sei er tot. Und während sein Körper reglos daliegt, ist sein Kopf oft voll mit unglaublichen, bizarren Halluzinationen. Dieser Zustand wird ein Drittel seines Lebens ausmachen, und ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wieso das so ist oder wozu es dient. Alles Gute!«

Erstaunlicherweise war das bis vor sehr kurzer Zeit die Realität: Ärzte und Wissenschaftler hatte keine logische oder umfassende Antwort auf die Frage, weshalb wir schlafen. Die Funktionen der drei anderen grundlegenden Bedürfnisse im Leben – Essen, Trinken und Fortpflanzung – sind dagegen bereits seit vielen Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten bekannt. Den vierten wichtigen biologischen Trieb, der im gesamten Tierreich zu finden ist – den Schlaftrieb –, konnte die Wissenschaft jedoch jahrtausendelang nicht ergründen.

Befasst man sich aus evolutionärer Sicht mit der Frage, warum wir schlafen, so wird die Verwirrung nur noch größer. Aus welcher Perspektive man es auch betrachtet, Schlaf scheint das dümmste aller biologischen Phänomene zu sein. Wenn man schläft, kann man keine Nahrung beschaffen. Man kann keine sozialen Kontakte pflegen. Man kann keinen Partner suchen und sich nicht fortpflanzen. Man kann den Nachwuchs nicht ernähren oder schützen. Schlimmer noch: Im Schlaf ist man Feinden hilflos ausgeliefert. Daher zählt Schlafen eindeutig zu den unerklärlichsten Verhaltensweisen des Menschen.

Jeder einzelne dieser Gründe – und erst recht alle zusammen – hätte die Evolution dazu bewegen müssen, Schlaf oder alles, was diesem Phänomen ähnelt, zu verhindern. Ein Schlafforscher meinte dazu: »Wenn Schlaf keine lebenswichtige Funktion erfüllt, ist er der größte Fehler, den die Evolution jemals gemacht hat.«3

Dennoch hat der Schlaf bis heute Bestand. Unerschütterlich. Jede bislang erforschte Spezies schläft.4 Diese schlichte Tatsache verdeutlicht, dass der Schlaf schon mit dem ersten Leben auf diesem Planeten oder zumindest kurz danach entstanden sein muss. Dass er sich danach im Laufe der gesamten Evolution durchgesetzt hat, bedeutet, dass er erhebliche Vorteile mit sich bringen muss, die gegenüber den offensichtlichen Gefahren und Nachteilen deutlich überwiegen.

Letztendlich war »Weshalb schlafen wir?« die falsche Frage. Diese Formulierung implizierte, dass es eine einzelne Funktion geben musste, einen heiligen Gral des Sinns für unseren Schlaf, nach dem wir suchten. Die Theorien stützten sich zum Teil auf Logik (um Energie zu schöpfen), zum Teil auf absonderliche Annahmen (zur Sauerstoffsättigung der Augäpfel), zum Teil auf psychoanalytische Aspekte (ein Zustand des Unbewussten, in dem wir unterdrückte Wünsche erfüllen).

Dieses Buch wird zeigen, dass die Wahrheit ganz anders liegt: Schlaf ist unendlich komplexer, weitaus interessanter und in beunruhigender Weise viel wichtiger für die Gesundheit. Schlaf erfüllt eine breite Palette an Zwecken, Plural – er liefert zahllose Vorzüge, die sowohl unserem Gehirn als auch unserem Körper zugutekommen. Jedes einzelne Organ und jeder Prozess im Körper scheint vom Schlaf zu profitieren (beziehungsweise zu leiden, wenn wir nicht ausreichend schlafen). Dass wir jede Nacht so vielfältige gesundheitliche Vorteile genießen, sollte uns nicht überraschen. Schließlich sind wir zwei Drittel unseres Lebens wach und erledigen in dieser Zeit nicht nur eine Sache, sondern vollbringen Myriaden von Leistungen, die unser Wohlergehen und unser Überleben sichern. Warum also sollte der Schlaf – und die fünfundzwanzig bis dreißig Jahre, die wir im Schnitt zeitlebens damit zubringen – nur eine einzige Funktion erfüllen?

In den letzten zwanzig Jahren hat uns eine wahre Explosion von Entdeckungen erkennen lassen, dass der Evolution keineswegs ein grober Schnitzer unterlaufen ist, als sie den Schlaf ersann. Schlaf bringt vielfältige Vorteile für die Gesundheit mit sich, die Sie sich alle vierundzwanzig Stunden ganz mühelos neu verordnen können. (Leider verzichten viele Menschen darauf.)

Im Gehirn fördert der Schlaf zahlreiche Funktionen, darunter unsere Fähigkeit, Dinge zu lernen, uns zu erinnern und logische Entscheidungen zu treffen. Schlaf dient unserer psychischen Gesundheit, indem er unsere emotionalen Schaltkreise im Gehirn neu kalibriert, sodass wir soziale und psychische Herausforderungen am nächsten Tag mit kühlem Kopf meistern können. Mittlerweile verstehen wir sogar immer besser, was es mit den rätselhaftesten und kontroversesten aller bewussten Erlebnisse auf sich hat: mit den Träumen. Träume bieten jeder Spezies, die das Glück hat, sie zu erleben – auch dem Menschen – einzigartige Vorteile. So liefern sie unter anderem ein beruhigendes neurochemisches Bad, das schmerzliche Erinnerungen lindert, sowie eine virtuelle Realität, in der das Gehirn Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmelzen lässt, um die Kreativität zu fördern.

In anderen Körperregionen frischt der Schlaf unseren Vorrat an Abwehrkräften auf, sodass wir bösartige Tumoren bekämpfen, Infektionen verhindern und Krankheiten aller Art abwehren können. Im Schlaf wird der Stoffwechsel durch die Abstimmung von Insulin und Blutzuckerspiegel in Ordnung gebracht. Zudem reguliert der Schlaf unseren Appetit und sorgt für ein gesundes Körpergewicht, da wir, wenn wir gut ausgeruht sind, eher zu gesunder Nahrung greifen statt zu unüberlegten Snacks. Ausreichend Schlaf lässt das Mikrobiom im Darm gedeihen, das so maßgeblichen Anteil an unserer Ernährungsgesundheit hat. Und genügend Schlaf ist untrennbar mit der ordnungsgemäßen Funktion unseres Herz-Kreislauf-Systems verknüpft, denn er senkt den Blutdruck und sorgt für ein gesundes Herz.

Ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung sind lebenswichtig, das steht außer Frage. Mittlerweile gilt Schlaf jedoch als überragende Größe in diesem gesundheitsrelevanten Dreigestirn. Nur eine Nacht Schlafmangel hat weitaus dramatischere Folgen für die körperliche und geistige Gesundheit als zu wenig Nahrung oder Bewegung. Weder auf natürlichem Wege noch durch Medikamente lässt sich ein Zustand erreichen, in dem Körper und Geist in jeder Hinsicht so effektiv in Ordnung gebracht werden wie im gesunden Schlaf.

Die umfassenden neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema Schlaf bedeuten, dass wir nicht mehr überlegen müssen, wozu der Schlaf gut ist. Wir müssen uns vielmehr fragen, ob es irgendwelche biologischen Funktionen gibt, denen ausgiebiger Nachtschlaf nicht zugutekommt. Viele Tausend Studien legen nahe, dass das tatsächlich nicht der Fall ist.

Diese Renaissance der Wissenschaft vermittelt eine eindeutige Botschaft: Schlafen ist das allerbeste Mittel für die Gesundheit unseres Gehirns und unseres Körpers – die stärkste Waffe von Mutter Natur. Leider sind die deutlichen Hinweise auf die Risiken, die zu wenig Schlaf für den Einzelnen und die Gesellschaft mit sich bringt, der Öffentlichkeit bislang noch nicht ausreichend bekannt. Das ist ein drastisches Versäumnis der aktuellen Gesundheitsdebatte. Deshalb soll das vorliegende Buch diese Lücke mit wissenschaftlich korrekten Daten schließen und hoffentlich spannende Erkenntnisse liefern. Es soll bewirken, dass wir den Schlaf künftig zu schätzen wissen und nicht mehr vernachlässigen.

Ich sollte vielleicht betonen, dass ich persönlich den Schlaf liebe (nicht nur meinen eigenen, obwohl ich strikt darauf achte, dass ich Nacht für Nacht acht Stunden schlafen kann). Ich liebe alles, was den Schlaf ausmacht und was er bewirkt. Ich liebe es, sämtliche Aspekte zu erforschen, die zu diesem Thema noch nicht bekannt sind. Ich liebe es, die überwältigenden Vorteile des Schlafs publik zu machen. Ich liebe es, neue Methoden zu entdecken, die die Menschheit wieder mit dem Schlaf versorgen, den sie so dringend braucht. Diese Liebe währt nun schon über zwanzig Jahre, seit Beginn meiner Forschungskarriere als Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School, und auch heute, da ich Professor für Neurowissenschaften und Psychologie an der University of California, Berkeley, bin, ist sie noch lange nicht erloschen.

Allerdings war es keine Liebe auf den ersten Blick. An die Schlafforschung bin ich durch Zufall geraten. Ich hatte nie die Absicht, dieses esoterische Randgebiet der Wissenschaft für mich in Beschlag zu nehmen. Mit achtzehn Jahren begann ich ein Studium am Queen’s Medical Centre in England, einem wundervollen Institut in Nottingham, an dessen Fakultät großartige Hirnchirurgen lehrten. Irgendwann stellte sich heraus, dass die Medizin nicht das Richtige für mich war, da sie sich mehr auf Antworten konzentriert – ich jedoch war von Fragen fasziniert. Eine Antwort war für mich schlichtweg der Schritt zur nächsten Frage. Ich beschloss, Neurowissenschaften zu studieren, und nach meinem Abschluss erwarb ich mit Unterstützung eines Stipendiums des Medical Research Council in London einen Doktortitel in Neurophysiologie.

Während meiner Promotion verfasste ich die ersten richtigen wissenschaftlichen Beiträge im Bereich der Schlafforschung. Ich untersuchte die Muster der elektrischen Gehirnwellen bei älteren Erwachsenen, die an beginnender Demenz litten. Entgegen der landläufigen Meinung gibt es nicht nur eine Art von Demenz. Die Alzheimer-Krankheit ist zwar am weitesten verbreitet, aber nur eine von vielen Formen. Aus verschiedenen Behandlungsgründen ist es wichtig, so früh wie möglich zu ermitteln, an welcher Art von Demenz ein Mensch leidet.

Ich machte mich also daran, die Aktivität der Gehirnwellen meiner Patienten im wachen und schlafenden Zustand zu messen. Meine Hypothese lautete, es müsse eine einzigartige, ganz bestimmte Gehirnsignatur geben, die vorhersagen kann, welchen Untertyp von Demenz eine Person entwickeln wird. Die Messungen im Tagesverlauf waren nicht eindeutig und ließen keine klar erkennbare Signatur feststellen. Nur im nächtlichen Ozean der schlafenden Gehirnwellen vermittelten die Aufzeichnungen ein klares Bild des traurigen Schicksals meiner Patienten. Diese Entdeckung bewies, dass der Schlaf durchaus als neuer Lackmustest in der Frühdiagnostik in Frage kam, da er deutlich machte, welche Art von Demenz bei den Betroffenen entstehen würde.

So begann meine Leidenschaft für den Schlaf. Wie alle guten Antworten hatte mich auch diese zu weiteren faszinierenden Fragen geführt, zum Beispiel: Wurde die Krankheit, an der meine Patienten litten, durch Schlafstörungen schlimmer, und waren diese sogar für einige besonders drastische Symptome wie Gedächtnisverlust, Aggressivität, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen verantwortlich? Ich las alles, was ich in die Finger bekommen konnte, und stellte etwas fest, das ich kaum glauben konnte: Niemand wusste genau, wieso der Mensch Schlaf braucht und was der Schlaf bewirkt. Meine eigene Frage zur Demenz konnte ich nicht beantworten, solange diese grundlegende Ausgangsfrage nicht geklärt war. Folglich beschloss ich, den Code des Schlafes zu knacken.

Meine Forschungen zur Demenz legte ich deshalb vorerst auf Eis und befasste mich im Rahmen einer Postdoktorandenstelle, die mich über den Atlantik führte, mit einem der größten Rätsel der Menschheit – einer Frage, an der die besten Wissenschaftler gescheitert waren: Warum schlafen wir? Mit echter Naivität und ohne Hybris war ich davon überzeugt, dass ich in zwei Jahren die Antwort finden müsste. Das ist nun zwanzig Jahre her. Knifflige Fragen scheren sich nicht darum, was einen Forscher motiviert, sondern zeigen uns ganz deutlich, was eine echte Herausforderung ausmacht.

Heute, nach zwei Jahrzehnten eigener Forschung sowie Tausenden von Studien anderer Labors in aller Welt, liegen uns viele Antworten vor. Diese Entdeckungen haben mir wunderbare, spannende und unerwartete Exkursionen in der Welt der Wissenschaft und in anderen Bereichen ermöglicht, für die ich sehr dankbar bin – so war ich Schlafberater für verschiedene Mannschaften aus der NBA, der NFL und der Premier League, durfte mit Pixar Animation, Regierungsbehörden und bekannten Technologie- und Finanzunternehmen arbeiten, an mehreren Fernsehsendungen und Dokumentationen mitwirken und diese mitgestalten. Diese Erkenntnisse zum Thema Schlaf werden Ihnen zusammen mit vielen ähnlichen Entdeckungen meiner Kollegen aus der Schlafforschung überdeutlich zeigen, wie lebenswichtig der Schlaf ist.

Eine letzte Anmerkung zum Aufbau dieses Buches. Die Kapitel sind logisch angeordnet und spannen in vier Hauptteilen einen narrativen Bogen.

Teil 1 entmystifiziert das betörende Phänomen, das wir Schlaf nennen, und erklärt, was Schlaf ist und was nicht, wer schläft, wie viel geschlafen wird, wie der Mensch schlafen sollte (aber nicht schläft) und welche Veränderung das Schlafverhalten im Laufe eines Lebens sowie im Kindesalter durchmacht, mit allen Vor- und Nachteilen.

Teil 2 erläutert die guten, die schlechten und die tödlichen Aspekte von Schlaf und Schlafmangel. Wir werden darauf eingehen, welch erstaunliche Vorteile der Schlaf für Gehirn und Körper hat, und feststellen, dass er tatsächlich eine Allzweckwaffe für Gesundheit und Wohlbefinden ist. Dann geht es darum, inwiefern und weshalb zu wenig Schlaf eine Fülle von Gesundheitsbeschwerden und Krankheiten mit sich bringt und letztendlich tödliche Folgen hat – einen eindringlicheren Weckruf zum Thema Schlaf kann es nicht geben.

Teil 3 führt uns vom Schlaf in die phantastische Welt der Träume – mit wissenschaftlichen Erklärungen. Wir blicken in die Köpfe Träumender und erfahren, wie Träume Nobelpreisträger auf Ideen bringen, die die Welt verändern, ob man Träume tatsächlich steuern kann oder nicht und ob so etwas überhaupt sinnvoll wäre.

In Teil 4 setzen wir uns zunächst an die Bettkante und untersuchen zahlreiche Schlafstörungen, darunter Schlaflosigkeit. Ich werde die offensichtlichen und weniger offensichtlichen Gründe darlegen, aus denen es so vielen von uns schwerfällt, jede Nacht erholsamen Schlaf zu finden. Dann folgt ein offenes Wort zu Schlaftabletten, das sich nicht auf Hörensagen oder Markenbotschaften, sondern auf wissenschaftliche und klinische Daten stützt. Anschließend erläutere ich neue, unbedenklichere und wirkungsvollere arzneimittelfreie Therapien, die den Schlaf fördern. Von der Bettkante geht es zum Schlaf in der Gesellschaft, und wir erfahren, welch ernüchternde Wirkung Schlafmangel im Bildungswesen, in der Medizin und im Gesundheitswesen sowie in der Wirtschaft hat. Die vorliegenden Fakten räumen mit der Überzeugung auf, mit langen Wachphasen ohne ausreichend Schlaf ließen sich Ziele in einem dieser Bereiche effektiv, sicher, rentabel oder ethisch erreichen. Am Ende dieses Buches liefere ich mit aufrichtig optimistischer Hoffnung verschiedene Ratschläge, mit denen die Menschheit den Schlaf bekommen kann, der ihr so sehr fehlt – eine neue Vision des Schlafes im 21. Jahrhundert.

Ich möchte darauf hinweisen, dass Sie dieses Buch nicht unbedingt von vorne nach hinten durchlesen müssen. In den meisten Fällen kann jedes Kapitel für sich stehen und bleibt trotzdem schlüssig. Deshalb können Sie dieses Buch gerne komplett oder in Teilen, häppchenweise oder am Stück lesen, ganz, wie es Ihnen gefällt.

Zum Abschluss möchte ich mich von jeder Verantwortung freisprechen. Wenn Sie beim Lesen schläfrig werden oder wenn Ihnen dabei gar die Augen zufallen, wird mich das anders als andere Autoren nicht aus der Bahn werfen. Angesichts des Themas und Inhalts dieses Buches muss ich das sogar ausdrücklich befürworten. Da ich um die Zusammenhänge zwischen Schlaf und Erinnerungsvermögen weiß, fasse ich es als Kompliment auf, wenn Sie, meine Leser, dem Drang nicht widerstehen können, das Gelesene besonders gut abzuspeichern, indem Sie einschlafen. Also nur keine Hemmungen, nicken Sie beim Lesen getrost nach Belieben ein. Ich nehme Ihnen das keineswegs übel. Im Gegenteil, es würde mich sehr freuen!

1 Sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch die National Sleep Foundation geben für Erwachsene eine durchschnittliche Schlafdauer von acht Stunden pro Nacht vor.

2Sleepless in America. National Geographic, http://channel.nationalgeographic.com/sleepless-in-america/episode/sleepless-in-america.

3 Dr. Allan Rechtschaffen.

4 Kushida, C. Encyclopedia of Sleep, Band 1 (Elsevier, 2013).

KAPITEL 2

Koffein, Jetlag und Melatonin

So wird der Schlafrhythmus beeinflusst

Woher weiß Ihr Körper, wann es Zeit zum Schlafen ist? Wieso leiden Sie an Jetlag, wenn Sie in eine andere Zeitzone gereist sind? Wie lässt sich dieser Jetlag überwinden? Warum hat die Akklimatisierung zur Folge, dass der Jetlag nach der Rückkehr nach Hause noch schlimmer ist? Wieso nehmen manche Menschen gegen diese Symptome Melatonin? Warum (und auf welche Weise) hält eine Tasse Kaffee wach? Und vielleicht besonders wichtig: Woher wissen Sie, ob Sie genug schlafen?

Wann Sie schlafen und wann Sie wach sein wollen, wird im Wesentlichen durch zwei Faktoren bestimmt. Während Sie diese Worte lesen, üben diese beiden Faktoren erheblichen Einfluss auf Ihren Geist und Ihren Körper aus. Der erste Faktor ist ein Signal, das von der inneren 24-Stunden-Uhr tief in Ihrem Gehirn ausgeht. Diese Uhr lässt einen zyklisch verlaufenden Tag-Nacht-Rhythmus entstehen, der bewirkt, dass Sie in regelmäßigen Abständen müde oder wach sind. Der zweite Faktor ist ein chemischer Stoff, der in Ihrem Gehirn gebildet wird und einen »Schlafdrang« hervorruft. Je länger Sie wach sind, desto stärker wird dieser chemisch bedingte Schlafdrang und desto müder werden Sie folglich. Die Wirkung dieser beiden Faktoren bestimmt, wie wach und aufmerksam Sie tagsüber sind, wann Sie abends müde und bettreif werden und zum Teil auch, wie gut Sie schlafen.

Sind Sie im Rhythmus?

Der enorme Einfluss Ihres 24-Stunden-Rhythmus, der auch zirkadianer Rhythmus genannt wird, wirkt sich auf viele der Fragen am Anfang dieses Kapitels aus. Jeder Mensch verfügt über einen zirkadianen Rhythmus (circa bedeutet »um« und dian stammt von diam, »Tag«). Dieser natürliche Zyklus findet sich bei jedem Lebewesen auf dem Planeten, das länger als nur ein paar Tage lebt. Die innere 24-Stunden-Uhr in Ihrem Kopf leitet die Signale des täglichen zirkadianen Rhythmus an alle anderen Gehirnregionen und jedes Organ im Körper weiter.

Ihr 24-Stunden-Rhythmus legt nicht nur fest, wann Sie wach sein und wann Sie schlafen wollen, sondern steuert auch andere Rhythmen, zum Beispiel, wann Sie vorzugsweise essen und trinken, Ihre Stimmungen und Gefühle, die Menge an Urin, die Sie produzieren,5 die Temperatur in Ihrem Körperinneren, Ihren Stoffwechsel und die Freisetzung zahlreicher Hormone. Es ist kein Zufall, dass die Wahrscheinlichkeit, einen olympischen Rekord zu brechen, stark von der Tageszeit abhängt und am frühen Nachmittag, wenn der zirkadiane Rhythmus des Menschen von Natur aus seinen Höhepunkt erreicht, besonders hoch ist.

Schon lange vor der Entdeckung dieses biologischen Schrittmachers gelang mit einem genialen Experiment etwas ganz Bemerkenswertes: Die Zeit wurde angehalten, zumindest für eine Pflanze. Im Jahr 1729 entdeckte der französische Geophysiker Jean-Jacques d’Ortous de Mairan den allerersten Hinweis darauf, dass Pflanzen eine eigene innere Zeit erzeugen.

De Mairan befasste sich mit den Bewegungen der Blätter von heliotropen Spezies – also von Pflanzen, deren Blätter oder Blüten im Tagesverlauf der Bewegung der Sonne am Himmel folgen. Eine Pflanze, die Mimosa pudica6, faszinierte De Mairan besonders. Nicht nur, dass die Blätter dieser Pflanze dem Lauf der Sonne am Himmel folgen, sie fallen auch nachts in sich zusammen, als seien sie verwelkt. Zu Beginn des nächsten Tages klappen die Blätter dann wieder auf wie ein Regenschirm, gesund wie eh und je. Dieses Verhalten wiederholt sich jeden Morgen und jeden Abend und veranlasste den berühmten Evolutionsforscher Charles Darwin dazu, sie als »schlafende Blätter« zu bezeichnen.

Vor dem Experiment von de Mairan war man gemeinhin der Ansicht, das Entfalten und Zuklappen der Pflanze werde lediglich durch Sonnenauf- und -untergang bestimmt. Diese Annahme war durchaus logisch: Bei Tageslicht (selbst bei bewölktem Wetter) öffneten sich die Blätter weit, wurde es dunkel, machten sie dagegen den Laden dicht, rollten sich zusammen und blieben geschlossen. De Mairan bewies jedoch, dass diese Annahme nicht richtig war. Zunächst stellte er die Pflanze ins Freie, sodass sie bei Tag und bei Nacht den entsprechenden hellen und dunklen Reizen ausgesetzt war. Erwartungsgemäß falteten sich die Blätter bei Tageslicht auf und zogen sich nachts im Dunkeln zusammen.

Dann kam der geniale Kniff. De Mairan setzte die Pflanze vierundzwanzig Stunden lang in eine verschlossene Kiste, sodass sie sich sowohl tagsüber als auch nachts in vollkommener Dunkelheit befand. Während dieser vierundzwanzig Stunden in kompletter Finsternis spähte er hin und wieder auf die abgedunkelte Pflanze, um die Position ihrer Blätter zu erkennen. Obwohl tagsüber kein Licht mehr auf sie fiel, benahm sich die Pflanze, als sei sie von Sonne beschienen, und hatte ihre Blätter weit ausgebreitet. Gegen Abend faltete sie diese dann wie auf ein Signal hin zusammen, obgleich die Sonne gar nicht unterging, und hielt sie die gesamte Nacht über geschlossen.

Das war eine revolutionäre Entdeckung: De Mairan hatte nachgewiesen, dass ein lebender Organismus eine eigene Uhr hat und kein Sklave des von der Sonne vorgegebenen Rhythmus ist. Irgendwo in der Pflanze wurde ein 24-Stunden-Takt erzeugt, der die Zeit ohne äußere Signale wie das Tageslicht nachhalten konnte. Die Pflanze verfügte nicht nur über einen zirkadianen Rhythmus, sondern hatte einen »endogenen«, von ihr selbst erzeugten Rhythmus, ganz so, wie Ihr Herz in seinem individuellen Takt schlägt. Die Herzfrequenz ist lediglich viel schneller und liegt in der Regel mindestens bei einem Schlag pro Sekunde, während die zirkadiane Uhr nur alle vierundzwanzig Stunden ein Signal gibt.

Erstaunlicherweise dauerte es weitere zweihundert Jahre, bis nachgewiesen wurde, dass wir Menschen einen ganz ähnlichen, im Körper selbst erzeugten zirkadianen Rhythmus haben. Dieses Experiment lieferte jedoch unerwartete Erkenntnisse zur körpereigenen Uhr. Im Jahr 1938 beschloss Professor Nathaniel Kleitman von der University of Chicago in Zusammenarbeit mit seinem Forschungsassistenten Bruce Richardson, eine noch radikalere wissenschaftliche Untersuchung durchzuführen. Dazu war ein Einsatz erforderlich, der bis heute seinesgleichen sucht.

Kleitman und Richardson wollten ihr Experiment am eigenen Leib durchführen. Mit einem Vorrat an Lebensmitteln und Wasser für sechs Wochen sowie zwei ausrangierten, hohen Krankenhausbetten machten sie sich auf in die Mammoth Cave in Kentucky, eine der tiefsten Höhlen auf dem Planeten – so tief, dass in die entlegenen Winkel kein wahrnehmbarer Sonnenstrahl fällt. In dieser Finsternis sollten Kleitman und Richardson eine erhellende wissenschaftliche Feststellung machen, nämlich dass unser biologischer Rhythmus nur in etwa einem Tag (zirkadian) und nicht genau einem Tag entspricht.

Neben Lebensmitteln und Wasser hatten die beiden Männer verschiedenste Messgeräte im Gepäck, um ihre Körpertemperatur sowie ihren Schlaf-wach-Rhythmus zu kontrollieren. Dieser Aufzeichnungsbereich bildete den Mittelpunkt ihres Wohnraums, der auf beiden Seiten von den Betten gesäumt war. Die hohen Bettpfosten standen ähnlich wie ein Wasserschloss jeweils in einem Eimer Wasser, um die unzähligen kleinen (und weniger kleinen) Kreaturen in den Tiefen der Mammoth Cave davon abzuhalten, sich in die Betten zu gesellen.

Mit dem Experiment wollten Kleitman und Richardson eine einfache Frage beantworten: Würden der biologische Schlaf-wach-Rhythmus und die Körpertemperatur ohne den täglichen Zyklus von Licht und Dunkelheit vollkommen außer Kontrolle geraten, oder würden sie weiterhin so bleiben wie bei den Menschen außerhalb der Höhle, die dem Rhythmus der Tageszeiten ausgesetzt waren? Insgesamt verweilten die beiden Männer zweiunddreißig Tage in kompletter Dunkelheit. In dieser Zeit wuchsen ihnen nicht nur beeindruckende Bärte, sondern sie machten zwei bahnbrechende Entdeckungen. Die erste war, dass der Mensch genau wie die heliotropen Pflanzen von de Mairan auch ohne Licht von der Sonne nach einem eigenen endogenen zirkadianen Rhythmus lebt. Wachen und Schlafen waren weder bei Kleitman noch bei Richardson willkürlich, sondern beide erlebten vorhersehbare, sich wiederholende Wachphasen (von etwa fünfzehn Stunden) und schliefen dann etwa neun Stunden lang.

Die zweite, unerwartete – und noch grundlegendere – Erkenntnis lautete, dass ihre Schlaf-wach-Zyklen sich zwar sehr zuverlässig wiederholten, aber nicht exakt vierundzwanzig Stunden entsprachen, sondern stets eindeutig mehr als vierundzwanzig Stunden betrugen. Bei Richardson, der Mitte zwanzig war, umfasste der Schlaf-wach-Zyklus zwischen sechsundzwanzig und achtundzwanzig Stunden, bei dem über vierzigjährigen Kleitman näherte er sich schon eher vierundzwanzig Stunden, war jedoch immer noch ein wenig länger. Ohne den äußeren Einfluss des Tageslichts dauerte der innere »Tag« der beiden Männer also nicht genau vierundzwanzig Stunden, sondern etwas mehr. Wie eine Armbanduhr, die ein wenig nachgeht, wurde die innere, selbst bemessene Zeit bei Kleitman und Richardson mit jedem (echten) Tag, der in der Außenwelt verstrich, geringfügig länger.

Da unser angeborener Biorhythmus nicht genau, sondern nur in etwa vierundzwanzig Stunden entspricht, war eine neue Nomenklatur erforderlich: der zirkadiane Rhythmus – also ein Rhythmus, der in etwa oder ungefähr der Länge eines Tages und nicht genau einem Tag entspricht.7 In den gut siebzig Jahren seit dem bahnbrechenden Experiment von Kleitman und Richardson haben wir mittlerweile erkannt, dass die endogene zirkadiane Uhr bei einem erwachsenen Menschen etwa vierundzwanzig Stunden und fünfzehn Minuten beträgt. Das entspricht zwar annähernd den vierundzwanzig Stunden, die die Erde für eine Umdrehung braucht, aber nicht so genau, dass ein ehrbarer Schweizer Uhrmacher damit zufrieden sein könnte.

Zum Glück leben die meisten von uns nicht in der Mammoth Cave und der ständigen Finsternis, die dort herrscht. Wir erleben immer wieder das Sonnenlicht, das unsere ungenaue, hinterherhinkende innere zirkadiane Uhr rettet. Die Sonne hat die gleiche Funktion wie das kleine Rädchen, mit dem man eine Armbanduhr nachstellen kann. Ihr Licht justiert unseren ungenauen inneren Zeitmesser Tag für Tag neu und stellt ihn wieder so ein, dass er genau und nicht nur ungefähr vierundzwanzig Stunden entspricht.8

Es ist kein Zufall, dass das Gehirn dazu das Tageslicht nutzt, denn dieses ist das zuverlässigste Signal in unserer Umwelt, das immer wieder auftritt. Seit der Entstehung unseres Planeten ist die Sonne an ausnahmslos jedem Tag morgens auf- und abends untergegangen. Die meisten lebenden Spezies haben vermutlich deshalb einen zirkadianen Rhythmus, damit sie selbst und ihre Aktivitäten – sowohl die inneren (wie die Körpertemperatur) als auch die äußeren (wie die Nahrungsaufnahme) – der Mechanik des Planeten Erde entsprechen, der sich im Orbit so um seine Achse dreht, dass regelmäßig Phasen des Lichts (der Sonne zugewandt) und der Dunkelheit (der Sonne abgewandt) herrschen.

Das Tageslicht ist zwar das wichtigste und bevorzugte Signal, nach dem das Gehirn die biologische Uhr zurückstellt, doch es ist nicht das einzige. Sofern sie sich zuverlässig wiederholen, kann das Gehirn auch andere äußere Reize wie Nahrung, Bewegung, Temperaturschwankungen und sogar regelmäßig stattfindende soziale Kontakte nutzen. All diese Ereignisse können die biologische Uhr so einstellen, dass ihr Rhythmus genau vierundzwanzig Stunden entspricht. Deshalb geht der zirkadiane Rhythmus auch bei Menschen ohne Augenlicht nicht vollständig verloren. Stehen keine Lichtsignale aufgrund von Blindheit zur Verfügung, setzen andere Phänomene die innere Uhr zurück. Alle Signale, die das Gehirn zu diesem Zweck nutzt, bezeichnet man als Zeitgeber. Licht ist der zuverlässigste und deshalb wichtigste Zeitgeber, doch es gibt noch viele weitere Faktoren, die zusätzlich zum oder als Ersatz für das Tageslicht verwendet werden können.

Die biologische 24-Stunden-Uhr in der Mitte Ihres Gehirns heißt suprachiasmatischer Nukleus. Wie in der Medizin üblich ist dieser Name, so kompliziert er auch scheinen mag, sehr aufschlussreich: supra bedeutet »oberhalb« und Chiasmus ist eine Kreuzungsstelle. In diesem Fall kreuzen sich die Sehnerven, die von den Augäpfeln kommen. Diese Nerven treffen mitten im Gehirn aufeinander und wechseln dann die Seiten. Der suprachiasmatische Nukleus befindet sich aus gutem Grund direkt oberhalb dieser Kreuzung. Er »testet« das Lichtsignal, das jedes Auge durch den Sehnerv zur weiteren Verarbeitung in den hinteren Teil des Gehirns schickt. Anhand dieser zuverlässigen Lichtinformation passt der suprachiasmatische Nukleus seine inhärente Ungenauigkeit an den exakten 24-Stunden-Zyklus an und verhindert so jegliche Abweichung.

Der suprachiasmatische Nukleus besteht aus 20000 Gehirnzellen oder Neuronen – man könnte also meinen, er müsse einen riesigen Bereich im Schädel einnehmen. In Wirklichkeit ist dieser Nukleus jedoch sehr klein. Im Gehirn gibt es etwa 100 Milliarden Neuronen, sodass der suprachiasmatische Nukleus im Vergleich zur gesamten Hirnmasse winzig ist. Dennoch hat er ganz entscheidenden Einfluss auf das übrige Gehirn und auf den Körper. Dieses kleine Ührchen ist der zentrale Dirigent der biorhythmischen Symphonie des Lebens – nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei allen anderen Lebewesen. Der suprachiasmatische Nukleus steuert die verschiedensten Verhaltensweisen, darunter auch das Phänomen, um das es in diesem Kapitel in erster Linie geht: wann Sie wach sind und wann Sie lieber schlafen.

Bei tagaktiven Spezies wie dem Menschen aktiviert der zirkadiane Rhythmus tagsüber viele Mechanismen in Gehirn und Körper, die dafür sorgen, dass Sie wach und aufmerksam sind. Diese Prozesse werden dann gegen Abend heruntergefahren, sodass die Aufmerksamkeit nachlässt. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel für einen solchen zirkadianen Rhythmus, nämlich den der Körpertemperatur. Zu sehen ist die durchschnittliche (und zwar rektal gemessene) Körperkerntemperatur eines erwachsenen Menschen. Vom Ausgangspunkt »12 Uhr« ganz links steigt die Körpertemperatur an und erreicht am Nachmittag ihren Höchstwert. Danach ändert sich der Verlauf, denn die Temperatur sinkt wieder und fällt unter den mittäglichen Ausgangspunkt, wenn die Schlafenszeit naht.

Abbildung 1: Typischer zirkadianer Rhythmus im Verlauf von 24 Stunden (Körperkerntemperatur)

Ihr biologischer zirkadianer Rhythmus koordiniert ein Absinken der Körpertemperatur, wenn die typische Schlafenszeit naht (Abbildung 1), und erreicht den Tiefstpunkt etwa zwei Stunden nach Einsetzen des Schlafs. Dieser Temperaturrhythmus ist jedoch unabhängig davon, ob Sie tatsächlich schlafen. Wenn ich Sie die ganze Nacht über wach hielte, würde die beschriebene Temperaturveränderung im Verlauf von vierundzwanzig Stunden dennoch stattfinden, ob Sie schlafen oder nicht. Dies ist ein klassisches Beispiel für einen vorprogrammierten zirkadianen Rhythmus, der sich unablässig wiederholt, wie ein Metronom. Die Körpertemperatur ist nur einer von vielen 24-Stunden-Rhythmen, die der suprachiasmatische Nukleus steuert. Wachen und Schlafen sind weitere Beispiele. Somit sind Wachen und Schlafen vom zirkadianen Rhythmus abhängig und nicht umgekehrt. Ihr zirkadianer Rhythmus setzt alle vierundzwanzig Stunden neu ein, unabhängig davon, ob Sie geschlafen haben oder nicht. In dieser Hinsicht ist er unerbittlich. Allerdings unterscheidet sich dieser Zyklus von Mensch zu Mensch und ist nicht bei jedem gleich.

Mein Rhythmus ist anders als dein Rhythmus

Obwohl jeder Mensch ein starres 24-Stunden-Schema aufweist, sind die jeweiligen Hoch- und Tiefpunkte von Person zu Person äußerst unterschiedlich. Manche Menschen sind früh am Tag besonders munter und werden dafür schon am frühen Abend schläfrig. Zu diesen »Morgenmenschen« zählen etwa 40 Prozent der Bevölkerung. Sie wachen gerne schon bei Morgengrauen auf und sind zu dieser Tageszeit zu Bestleistungen in der Lage. Andere dagegen sind »Abendmenschen«, die lieber spät ins Bett gehen und folglich spät am nächsten Morgen oder gar erst am Nachmittag aufwachen. Diese Gruppe macht etwa 30 Prozent der Bevölkerung aus, und die übrigen 30 Prozent liegen irgendwo zwischen den Morgen- und Abendmenschen mit leichter Tendenz zum Abend hin – so wie ich zum Beispiel.

Vielleicht kennen Sie für diese beiden Personengruppen die umgangssprachlichen Bezeichnungen »Lerchen« und »Nachteulen«. Im Gegensatz zu den Lerchen können die Nachteulen am frühen Abend einfach nicht einschlafen, so sehr sie sich auch bemühen. Erst in den frühen Morgenstunden schlummern die Eulen ein. Da sie so spät eingeschlafen sind, stehen die Eulen natürlich nicht gerne früh auf. Zu dieser Tageszeit funktionieren sie nicht richtig, unter anderem deshalb, weil das Gehirn zwar »wach« ist, aber trotzdem den ganzen Morgen über in einem schlafähnlichen Zustand bleibt. Das gilt ganz besonders für eine Region namens präfrontaler Kortex, der sich oberhalb der Augen befindet und quasi als Schaltzentrale des Gehirns fungiert. Der präfrontale Kortex steuert komplexe Gedanken und logische Überlegungen und hilft uns dabei, unsere Gefühle im Griff zu halten. Muss eine Nachteule zu früh aufstehen, bleibt ihr präfrontaler Kortex blockiert, sozusagen »offline«. Wie ein kalter Motor im Winter braucht er lange, bis er sich auf Betriebstemperatur erwärmt hat, und kann bis dahin nicht effizient arbeiten.

Der Chronotyp eines Erwachsenen, also die Zugehörigkeit zur Eulen- oder Lerchengruppe, ist stark genetisch beeinflusst. Wenn Sie eine Nachteule sind, gilt das höchstwahrscheinlich auch für eines Ihrer Elternteile (oder beide). Leider ist die Gesellschaft zu Nachteulen in zweierlei Hinsicht ungerecht. Zum einen werden sie als faul abgestempelt, weil sie erst spät am Tag aufwachen, da sie erst am frühen Morgen eingeschlafen sind. Nachteulen müssen sich oft Vorwürfe anhören (in der Regel von Lerchen), weil man fälschlicherweise glaubt, das Schlafverhalten sei eine freie Entscheidung und die Eule könne ohne Weiteres früher aufstehen, wenn sie nur nicht so träge wäre. Nachteulen haben sich ihr Schicksal aber nicht ausgesucht, sondern sind durch ihre DNA zwangsläufig auf einen späteren Zeitplan programmiert. Das ist keine bewusste Entscheidung, sondern genetisch vorherbestimmt.

Zum anderen beharrt die Arbeitswelt hartnäckig auf frühen Anfangszeiten, die Nachteulen strafen und den Lerchen sehr entgegenkommen. Auch wenn sich die Situation allmählich ein wenig entspannt, werden Eulen in den typischen Beschäftigungsverhältnissen zu einem unnatürlichen Schlaf-wach-Rhythmus gezwungen. Folglich bringen die Nachteulen am Vormittag deutlich schlechtere Leistungen und können ihr wahres Potential am späten Nachmittag und frühen Abend nicht zeigen, da die üblichen Arbeitszeiten dann schon beendet sind. Viele Nachteulen leiden unter chronischem Schlafmangel, da sie mit den Lerchen aufstehen müssen, aber erst viel später einschlafen können. Deshalb müssen Eulen leider oft die sprichwörtliche Kerze an beiden Enden anzünden und leiden aus diesem Grund häufiger unter gesundheitlichen Beschwerden wie Depressionen, Angstzuständen, Diabetes, Krebs, Herzinfarkten und Schlaganfällen.

Unsere Gesellschaft muss sich in dieser Hinsicht ändern und Möglichkeiten schaffen, die den jeweiligen Bedürfnissen Rechnung tragen, so wie es auch bei anderen körperlich bedingten Unterschieden (zum Beispiel Sehbehinderungen) der Fall ist. Wir brauchen flexiblere Arbeitszeiten, die besser auf die verschiedenen Chronotypen abgestimmt sind und nicht nur einem einzigen extrem entgegenkommen.

Vielleicht fragen Sie sich, wieso Mutter Natur die Menschen so unterschiedlich programmiert hat. Wäre es nicht besser, wenn wir als soziale Spezies alle im Einklang leben und zur gleichen Zeit aufwachen würden, um optimal miteinander interagieren zu können? Nicht unbedingt. Wie wir später in diesem Buch feststellen werden, hat die Evolution vermutlich vorgesehen, dass der Mensch mit der ganzen Familie oder sogar mit dem gesamten Stamm gemeinsam schläft, nicht allein oder als Paar. Dieser evolutionäre Hintergrund erklärt, wieso der Schlaf-wach-Rhythmus genetisch unterschiedlich programmiert ist. Die Nachteulen in der Gruppe würden erst um ein oder zwei Uhr morgens einschlafen und um neun oder zehn Uhr aufwachen. Die Lerchen dagegen hätten sich schon um neun Uhr schlafen gelegt und wären um fünf aufgewacht. Somit bliebe die Gruppe insgesamt nur vier und nicht acht Stunden lang ungeschützt (weil alle schlafen), und doch bekäme jedes Mitglied acht Stunden Schlaf. Das würde die theoretischen Überlebenschancen um 50 Prozent erhöhen. Eine biologische Eigenschaft, die das Überleben einer Spezies sichert und somit ihre Stärke drastisch erhöht – in diesem Fall die sinnvollen Unterschiede im Schlaf-wach-Rhythmus innerhalb eines Stammes –, würde Mutter Natur sich niemals entgehen lassen. Deshalb sind wir so unterschiedlich veranlagt.

Melatonin

Um Gehirn und Körper immer wieder Nacht und Tag zu signalisieren, verwendet Ihr suprachiasmatischer Nukleus einen Botenstoff namens Melatonin. Melatonin ist auch unter den Bezeichnungen »Hormon der Dunkelheit« bekannt – nicht etwa, weil dieser Stoff finstere Absichten hat, sondern einfach deshalb, weil Melatonin abends freigesetzt wird. Auf Anweisung des suprachiasmatischen Nukleus steigt der Melatoninspiegel kurz nach Einbruch der Dunkelheit an, weil der Stoff aus der Zirbeldrüse tief im Gehirn in den Blutkreislauf abgegeben wird. Wie ein lautstarkes Megafon ruft das Melatonin Hirn und Körper unmissverständlich zu: »Es ist dunkel, es ist dunkel!« So wird uns offiziell mitgeteilt, dass Abend ist und damit biologisch der Zeitpunkt zum Schlafen angeordnet.9

Indem Melatonin den Organismus systematisch auf die einsetzende Dunkelheit hinweist, wirkt es sich auf den Zeitpunkt des Einschlafens aus. Ob sich der Schlaf tatsächlich einstellt oder nicht, kann Melatonin dagegen kaum beeinflussen, obwohl sich dieser Irrglaube hartnäckig hält. Der Unterschied wird deutlich, wenn man sich den Schlaf als olympisches 100-Meter-Rennen vorstellt. Melatonin ist die Stimme des Offiziellen, der die Sportler »Auf die Plätze« beordert und dann den Startschuss abfeuert. Dieser Zeitgeber (das Melatonin) entscheidet, wann das Rennen (der Schlaf) beginnt, doch am Rennen selbst nimmt er nicht teil. In dieser Analogie sind die Läufer die anderen Gehirnregionen und Prozesse, die den Schlaf aktiv herbeiführen. Melatonin beordert diese schlaferzeugenden Regionen des Gehirns zur Schlafenszeit an die Startlinie. Das Hormon gibt also lediglich das offizielle Startsignal für das Ereignis Schlaf, am Schlafvorgang selbst ist es dagegen nicht beteiligt.

Aus diesen Gründen ist Melatonin für sich allein keine wirkungsvolle Einschlafhilfe, zumindest nicht bei gesunden Personen, die nicht unter Jetlag leiden. (Gleich erfahren Sie mehr zum Thema Jetlag und wie Melatonin dabei helfen kann.) Tabletten enthalten nur wenig hochwertiges Melatonin, oft sogar gar keines. Dennoch hat Melatonin eine erhebliche Placebowirkung in Zusammenhang mit dem Schlaf, den man nicht unterschätzen darf, denn schließlich ist der Placeboeffekt in der Pharmakologie die zuverlässigste Wirkung überhaupt. Genauso ist unbedingt zu beachten, dass frei verkäufliches Melatonin von weltweiten Zulassungsbehörden wie beispielsweise der Food and Drug Administration (FDA) in den USA nicht reguliert ist. Wissenschaftliche Untersuchungen haben in frei verkäuflichen Produkten Melatoninkonzentrationen festgestellt, die bis zu 83 Prozent unter der auf dem Etikett genannten Menge oder auch bis zu 478 Prozent darüber lagen.10

Sobald der Schlaf eingetreten ist, sinkt der Melatoninspiegel im Laufe der Nacht und in den frühen Morgenstunden allmählich. Im Morgengrauen, wenn (auch bei geschlossenen Lidern) Sonnenlicht durch die Augen ins Gehirn gelangt, wird die Zirbeldrüse gestoppt und damit die Melatoninzufuhr unterbrochen. Da nun kein Melatonin mehr zirkuliert, erkennen Gehirn und Körper, dass die Ziellinie des Schlafens erreicht ist. Nun ist es an der Zeit, das Rennen zu beenden und für den Rest des Tages aktiv und wach zu werden. In dieser Hinsicht haben wir Menschen einen »Solarantrieb«. Wird das Licht dann wieder schwächer, löst sich die Solarbremse, die das Melatonin unterdrückt hat. Der steigende Melatoninspiegel kündigt eine weitere Phase der Dunkelheit an, und ein neues Schlafrennen geht an den Start.

Das typische Profil der Melatoninfreisetzung ist in Abbildung 2 dargestellt. Das Hormon tritt einige Stunden nach Einbruch der Dämmerung auf, steigt dann rasch an und erreicht gegen vier Uhr morgens seinen Höchstwert. Danach sinkt es bis zum Morgengrauen allmählich ab und ist am frühen Morgen beziehungsweise am Vormittag nicht mehr nachweisbar.

Abbildung 2: Melatoninzyklus

Reisen bringt uns aus dem Takt

Die Erfindung des Düsentriebwerks bedeutete eine Revolution für die Beförderung der Massen auf diesem Planeten. Allerdings hatte dies eine unvorhergesehene biologische Misere zur Folge: Mit Düsenflugzeugen eilt man so schnell durch Zeitzonen, dass unsere innere Uhr unmöglich mithalten oder sich darauf einstellen kann. Jets verursachen eine biologische Zeitverzögerung, den sogenannten Jetlag. In einer anderen Zeitzone sind wir tagsüber müde und schläfrig, weil unsere innere Uhr nach wie vor davon ausgeht, es sei Nacht. Sie hat noch nicht aufgeholt. Als wäre das nicht schlimm genug, können wir dann abends oft nicht ein- oder durchschlafen, weil unsere innere Uhr nun meint, es sei Tag.

Mein letzter Flug von San Francisco nach London ist ein gutes Beispiel für dieses Phänomen. London ist San Francisco acht Stunden voraus. Wenn ich in England ankomme, zeigen die Uhren am Flughafen Heathrow zwar neun Uhr morgens, doch meine innere zirkadiane Uhr registriert eine ganz andere Zeit – nämlich die kalifornische, also ein Uhr nachts. Demnach sollte ich eigentlich tief und fest schlafen. Das hat zur Folge, dass ich mein zeitverzögertes Hirn samt Körper in tiefer Lethargie durch London schleppe. Alle biologischen Prozesse in mir verlangen nach Schlaf, dem Schlaf, den die meisten Menschen in Kalifornien in diesem Moment gerade genießen.

Das Schlimmste steht mir jedoch noch bevor. Wenn es in London Mitternacht wird, liege ich todmüde im Bett und möchte dringend einschlafen. Doch anders als den meisten in London will mir das einfach nicht gelingen. Die Uhren zeigen zwar Mitternacht, doch für meine innere biologische Uhr ist es vier Uhr nachmittags wie in Kalifornien. Normalerweise wäre ich also hellwach, und das bin ich auch – in meinem Bett in London. Erst nach fünf oder sechs Stunden stellt sich ein natürliches Schlafbedürfnis ein ... wenn London gerade aufwacht und ich einen öffentlichen Vortrag halten muss. Eine schöne Bescherung!

Das ist der bekannte Jetlag: Man ist in der neuen Zeitzone tagsüber müde und schläfrig, weil die Körperuhr und die damit verknüpften biologischen Abläufe nach wie vor »denken«, es sei Nacht. In der Nacht kann man dagegen oft nicht richtig schlafen, weil der biologische Rhythmus noch immer davon ausgeht, es sei Tag.

Zum Glück bleiben Gehirn und Körper nicht ewig in diesem Zwischenzustand. Dank der Signale, die das Sonnenlicht am neuen Aufenthaltsort sendet, gewöhne ich mich an die Londoner Zeit. Das dauert jedoch eine ganze Weile, denn mit jedem Tag, den man in einer anderen Zeitzone zubringt, kann der suprachiasmatische Nukleus nur etwa eine Stunde ausgleichen. Somit brauchte ich etwa acht Tage, um mich nach dem Aufenthalt in San Francisco auf die Londoner Zeit umzustellen, da London San Francisco wie gesagt acht Stunden voraus ist. Nachdem die 24-Stunden-Uhr meines suprachiasmatischen Nukleus so immensen Aufwand betrieben hat, um die Zeit vorzustellen und sich an London anzupassen, kommen leider niederschmetternde Nachrichten: Ich muss nach neun Tagen zurück nach San Francisco fliegen. Meine arme biologische Uhr muss die Quälerei somit erneut durchmachen, nur in die andere Richtung!

Vielleicht haben Sie schon einmal bemerkt, dass die Umstellung auf eine neue Zeitzone schwererfällt, wenn man nach Osten reist statt nach Westen. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen muss man bei Reisen in Richtung Osten früher einschlafen, als man es gewöhnt ist, und das lässt sich schwer mit bloßer Willenskraft erzwingen. Geht es Richtung Westen, muss man dagegen länger wach bleiben, was leichter gezielt möglich ist. Zum anderen haben wir ja bereits festgestellt, dass unser natürlicher zirkadianer Rhythmus ohne jeglichen Einfluss der Außenwelt von Natur aus etwas mehr als einen Tag dauert – etwa vierundzwanzig Stunden und fünfzehn Minuten. Dies mag zwar geringfügig erscheinen, macht es jedoch ein wenig leichter, den Tag künstlich in die Länge zu ziehen, statt ihn zu verkürzen. Wenn Sie nach Westen reisen – in die Richtung Ihrer von Natur aus längeren inneren Uhr –, ist dieser »Tag« für Sie länger als vierundzwanzig Stunden, sodass Sie damit besser zurechtkommen. Bei Reisen Richtung Osten dagegen beträgt Ihr »Tag« weniger als vierundzwanzig Stunden; das widerspricht Ihrem angeborenen längeren inneren Rhythmus und ist deshalb ungleich schwerer.

Ob nach Westen oder Osten, ein Jetlag ist immer eine enorme physiologische Belastung für das Gehirn und bedeutet großen biologischen Stress für die Zellen, Organe und wichtigsten Systeme im Körper. Und das hat Folgen. Bei der Untersuchung von Flugbegleitern, die häufig Langstrecken zurücklegen und sich nur selten richtig erholen können, haben Wissenschaftler zwei beunruhigende Erkenntnisse getroffen. Zum Ersten waren Teile des Gehirns – insbesondere diejenigen, die für Lernen und Erinnerung wichtig sind – physisch kleiner geworden, was darauf hinweist, dass der biologische Stress bei der Durchquerung von Zeitzonen Gehirnzellen zerstört. Zum Zweiten war bei diesen Menschen das Kurzzeitgedächtnis erheblich beeinträchtigt. Sie waren deutlich vergesslicher als Menschen in vergleichbarem Alter mit ähnlichem Hintergrund, die nicht häufig durch verschiedene Zeitzonen reisten. Andere Studien mit Piloten, Bordpersonal und Schichtarbeitern haben weitere beunruhigende Auswirkungen aufgezeigt, darunter deutlich mehr Fälle von Krebs und Typ-2-Diabetes als in der Gesamtbevölkerung – oder auch als bei sorgfältig untersuchten Vergleichspersonen, die weniger häufig reisen.

Angesichts dieser schädlichen Folgen können Sie sich sicher vorstellen, dass Menschen, die häufig unter Jetlag zu leiden haben, zum Beispiel Piloten und Bordpersonal in Flugzeugen, die Belastung gerne reduzieren würden. Deshalb greifen sie oft zu Melatonintabletten, um das Problem zu lindern. Denken Sie noch einmal zurück an meinen Flug von San Francisco nach London. An jenem Tag konnte ich nach der Ankunft kaum ein- und durchschlafen. Das lag zum Teil daran, dass in meiner Nacht in London kein Melatonin freigesetzt worden war. Mein Melatonin-Hoch lag noch etliche Stunden in der Zukunft und richtete sich nach kalifornischer Zeit. Stellen wir uns jedoch einmal vor, ich hätte nach der Ankunft in London eine angemessene Menge Melatonin zu mir genommen. Das hätte so funktioniert: Gegen sieben oder acht Uhr Londoner Zeit hätte ich eine Melatonintablette geschluckt, die einen künstlichen Anstieg des Melatoninspiegels bewirkt hätte, ähnlich dem natürlichen Melatonin-Hoch, das die meisten Menschen zeitgleich in London erlebten. Folglich hätte mein Gehirn geglaubt, es sei Nacht, und mit diesem chemischen Trick wäre der Startschuss für den Schlaf gefallen. Zwar wäre es trotzdem nicht leicht gewesen, zu dieser (für mich) ungewöhnlichen Zeit tatsächlich einzuschlafen, aber das richtige Startsignal erhöht bei einem Jetlag die Wahrscheinlichkeit, dass man schlafen kann, ganz erheblich.

Schlafdruck und Koffein

Der vierundzwanzigstündige zirkadiane Rhythmus ist einer von zwei Faktoren, die über Wachen und Schlafen entscheiden. Faktor Nummer zwei ist der Schlafdruck. In diesem Augenblick baut sich in Ihrem Gehirn ein chemischer Stoff namens Adenosin auf. Die Konzentration wird mit jeder wachen Minute, die verstreicht, immer höher. Je länger Sie wach sind, desto mehr Adenosin sammelt sich an. Stellen Sie sich das Adenosin als chemisches Barometer vor, das unablässig registriert, wie viel Zeit verstrichen ist, seit Sie morgens aufgewacht sind.

Die zunehmende Menge an Adenosin im Gehirn hat ein wachsendes Verlangen nach Schlaf zur Folge. Dies ist der Schlafdruck, die zweite Einflussgröße, die bestimmt, wann Sie müde werden und ins Bett gehen sollten. Hohe Adenosinkonzentrationen haben eine raffinierte Doppelwirkung, denn sie »dämpfen« die Gehirnregionen, die uns wach halten, und verstärken gleichzeitig die schlaffördernden Regionen. Dieser chemische Schlafdruck bewirkt, dass sich ein unwiderstehlicher Drang zum Einschlafen regt, wenn die Adenosinkonzentration ihren Höchststand erreicht. Bei den meisten Menschen ist dies der Fall, nachdem sie zwölf bis sechzehn Stunden wach waren.11

Allerdings kann man das Schlafsignal des Adenosins mit einem chemischen Stoff unterdrücken, der dazu führt, dass Sie sich wacher und munterer fühlen: Koffein. Koffein ist kein Nahrungsergänzungsmittel, sondern das am weitesten verbreitete (und am häufigsten missbrauchte) psychoaktive Stimulans der Welt. Keine Ware außer Öl wird so viel gehandelt wie Koffein. Der Konsum von Koffein ist Gegenstand einer der längsten und größten unkontrollierten Drogenstudien, die jemals am Menschen durchgeführt wurden – vergleichbar höchstens mit Alkohol – und bis heute nicht abgeschlossen.

Koffein wirkt, indem es erfolgreich mit dem Adenosin darum kämpft, sich an den Adenosin-Andockstellen – oder -Rezeptoren – im Gehirn festzusetzen. Hat das Koffein diese Rezeptoren belegt, führt es im Gegensatz zum Adenosin nicht dazu, dass Sie schläfrig werden, sondern blockiert und deaktiviert die Rezeptoren. So als würden Sie sich die Ohren zuhalten, um ein Geräusch auszublenden. Indem es diese Rezeptoren kapert und belegt, unterdrückt Koffein das Müdigkeitssignal, das das Adenosin an das Gehirn schickt. Die Folge: Koffein bewirkt, dass Sie sich munter und wach fühlen, obwohl ein hoher Adenosinpegel vorliegt, der Sie eigentlich zum Schlafen verleiten würde.

Das im Körper zirkulierende Koffein erreicht etwa dreißig Minuten nach der oralen Aufnahme seinen Höchstwert. Problematisch ist dabei, wie lange es im System bleibt. In der Pharmakologie spricht man von der »Halbwertszeit« eines Wirkstoffs. Damit ist schlicht und einfach die Zeit gemeint, die der Körper braucht, um die Konzentration eines Mittels um 50 Prozent zu reduzieren. Die Halbwertszeit von Koffein beträgt fünf bis sieben Stunden. Wenn Sie also nach dem Abendessen gegen 19.30 Uhr eine Tasse Kaffee trinken, sind um 1.30 Uhr nachts noch 50 Prozent des Koffeins aktiv und im Gehirngewebe. Mit anderen Worten: Um 1.30 Uhr zeigt die Hälfte des Koffeins, das Sie nach dem Abendessen zu sich genommen haben, nach wie vor Wirkung.

Die 50-Prozent-Marke ist keineswegs harmlos. Eine halbe Dosis Koffein wirkt immer noch ziemlich stark, und in der Nacht ist noch reichlich Abbauarbeit zu leisten. Sie können nicht gut ein- oder durchschlafen, wenn Ihr Gehirn weiterhin gegen die feindliche Kraft des Koffeins ankämpft. Den meisten Menschen ist gar nicht klar, wie lange es dauert, um eine einzige Koffeindosis abzubauen, sodass sie keinen Zusammenhang zwischen ihrem schlechten Nachtschlaf und der Tasse Kaffee erkennen, die sie zehn Stunden zuvor getrunken haben.

Koffein – übrigens nicht nur im Kaffee, in bestimmten Teesorten und vielen Energydrinks zu finden, sondern auch in Nahrungsmitteln wie dunkler Schokolade und Eiscreme sowie in Medikamenten wie Abnehmpillen und Schmerzmitteln – gehört zu den schlimmsten Übeltätern, die verhindern, dass man gut in den Schlaf kommt und danach fest durchschläft. Die Symptome erinnern an eine Insomnie, bei der es sich um eine echte medizinische Störung handelt. Bitte beachten Sie auch, das entkoffeiniert nicht zwangsläufig koffeinfrei bedeutet. Eine Tasse entkoffeinierten Kaffees enthält 15 bis 30 Prozent der Koffeindosis einer normalen Tasse, also durchaus noch eine ganze Menge. Wenn Sie abends drei bis vier Tassen koffeinfreien Kaffee trinken, schaden Sie Ihrem Schlaf damit genauso wie mit einer normalen Tasse.

Der »Schub« des Koffeins lässt irgendwann nach. Koffein wird durch ein Enzym in Ihrer Leber abgebaut,12 das es im Laufe der Zeit zersetzt. Bei manchen Menschen arbeitet das koffeinabbauende Enzym genetisch bedingt effektiver als bei anderen,13 sodass die Leber das Koffein rasch aus dem Blutkreislauf beseitigt. Diese seltenen Exemplare können zum Abendessen einen Espresso trinken und zu Mitternacht ganz ohne Probleme einschlafen. Bei anderen dagegen wirkt das Enzym langsamer, sodass ihr System weitaus länger braucht, um die gleiche Menge Koffein abzubauen. Deshalb reagieren sie äußerst empfindlich auf Koffein. Die Wirkung einer Tasse Tee oder Kaffee am Morgen hält bei diesen Personen fast den ganzen Tag an, und wenn sie noch eine zweite Tasse trinken, und sei es früh am Nachmittag, können sie abends kaum einschlafen. Auch das Alter bestimmt mit, wie schnell Koffein abgebaut wird: Je älter wir sind, desto länger brauchen Gehirn und Körper, um das Koffein zu beseitigen, und desto empfindlicher reagieren wir somit auf seine schlafstörende Wirkung.

Wenn Sie versuchen, durch Koffein abends lange wach zu bleiben, müssen Sie mit üblen Folgen rechnen, wenn Ihre Leber das Koffein endlich erfolgreich aus dem System entfernt hat: Dieses Phänomen wird gemeinhin als »Koffeincrash« bezeichnet. Wie bei einem Spielzeugroboter, dem die Batterien ausgehen, sinkt der Energiepegel rapide ab. Sie haben Schwierigkeiten, normal zu funktionieren und sich zu konzentrieren, und verspüren wieder starke Müdigkeit.

Mittlerweile wissen wir, warum das so ist. Während der gesamten Zeit, in der sich das Koffein im System befindet, baut sich der blockierte Müdigkeitsstoff (das Adenosin) weiterhin auf. Das Gehirn registriert die wachsende Menge an schlafförderndem Adenosin nicht, da der Koffeinwall dessen Wahrnehmung abschirmt. Sobald die Leber diese Koffeinbarrikade jedoch beseitigt hat, ist ein heftiger Rückschlag zu spüren: Sie erleben nicht nur die Müdigkeit, die Sie vor zwei oder drei Stunden vor dem Kaffee verspürt haben, sondern noch dazu das gesamte zusätzliche Adenosin, das sich inzwischen aufgebaut und ungeduldig auf das Verschwinden des Koffeins gewartet hat. Wenn die Rezeptoren nach dem Abbau des Koffeins wieder frei sind, strömt das Adenosin mit Macht auf sie ein und nimmt sie in Beschlag. Dann überkommt Sie ein äußerst heftiger, vom Adenosin ausgelöster Schlafdrang – der bereits erwähnte Koffeincrash. Sofern Sie das Adenosin nicht mit weiterem Koffein zurückdrängen, was zur Abhängigkeit führen würde, wird Ihnen das Wachbleiben sehr, sehr schwerfallen.

Um Ihnen die beeindruckende Wirkung des Koffeins deutlich zu machen, möchte ich auf Forschungen verweisen, die die NASA in den 1980er-Jahren durchführte. Die Wissenschaftler verabreichten Spinnen verschiedene Drogen und beobachteten, was für Netze sie daraufhin sponnen.14 Zu diesen Drogen zählten LSD, Speed (Amphetamin), Marihuana und Koffein. Abbildung 3 zeigt die Ergebnisse, die für sich selbst sprechen. Die Forscher stellten fest, dass die Spinnen unter dem Einfluss von Koffein ganz offensichtlich nicht in der Lage waren, ein auch nur annährend normales, logisches und zweckdienliches Netz zu konstruieren. Selbst im Vergleich zu den anderen starken Drogen im Test fiel das Ergebnis äußerst kläglich aus.

Abbildung 3: Wirkung verschiedener Drogen auf den Netzbau bei Spinnen

Man sollte sich durchaus klarmachen, dass Koffein eine Droge mit stark stimulierender Wirkung ist. Zudem ist Koffein der einzig süchtig machende Stoff, den wir ohne Bedenken auch Kindern und Jugendlichen geben – welche Folgen das hat, werden wir später in diesem Buch erfahren.

Im Tritt, aus dem Tritt

Lassen wir das Koffein nun einen Moment lang außer Acht. Vielleicht sind Sie davon ausgegangen, dass die beiden Faktoren, die den Schlaf vornehmlich steuern – der vierundzwanzigstündige zirkadiane Rhythmus des suprachiasmatischen Nukleus und der vom Adenosin ausgelöste Schlafdruck – miteinander kommunizieren, um mit vereinten Kräften zu wirken. Dem ist jedoch nicht so. Die beiden Systeme arbeiten getrennt und eigenständig, ohne voneinander zu wissen. Sie sind nicht miteinander verknüpft, stimmen jedoch meist überein.

Abbildung 4 stellt von links nach rechts einen Zeitraum von achtundvierzig Stunden dar – zwei Tage und zwei Nächte. Die gestrichelte Linie in der Abbildung ist der zirkadiane Rhythmus, auch Prozess C genannt. Wie eine Sinuskurve hebt und senkt er sich ganz regelmäßig. Der zirkadiane Rhythmus beginnt ganz links in der Abbildung und steigert seine Aktivität einige Stunden vor dem Aufwachen, indem er ein weckendes Energiesignal an Gehirn und Körper sendet. Dieses Signal können Sie sich als laute Blaskapelle vorstellen, die aus der Ferne immer näher kommt. Zunächst ist das Signal noch sehr schwach, doch nach und nach wird es stärker und stärker und stärker. Am frühen Nachmittag erreicht das aktivierende Signal des zirkadianen Rhythmus bei den meisten gesunden Erwachsenen seinen Höhepunkt.

Abbildung 4: Die beiden Faktoren, die Wachen und Schlafen steuern

Schauen wir uns nun an, wie es sich mit dem zweiten schlafsteuernden Faktor verhält, dem Adenosin. Adenosin ruft einen Schlafdrang hervor, den man auch als Prozess S bezeichnet. In Abbildung 4 ist dieser durch eine durchgehende Linie dargestellt. Je länger ein Mensch wach ist, desto mehr Adenosin sammelt sich an, sodass der Drang (oder Druck) zu schlafen immer stärker wird. Am späteren Vormittag ist man erst seit einigen Stunden wach, folglich hat sich die Adenosinkonzentration erst geringfügig erhöht. Zudem ist der zirkadiane Rhythmus auf dem Weg zur Stufe höchster Wachsamkeit. Diese Kombination aus dem starken Aktivierungssignal des zirkadianen Rhythmus bei geringem Adenosinspiegel sorgt für das angenehme Gefühl höchster Aufmerksamkeit. (Zumindest sollte es so sein, wenn Sie in der Nacht davor gut und ausreichend lange geschlafen haben. Falls Sie im Laufe des Vormittags das Gefühl haben, Ihnen könnten jederzeit die Augen zufallen, schlafen Sie vermutlich nicht lange oder nicht gut genug.) Der Abstand zwischen den wellenförmigen Linien zeigt Ihr Verlangen nach Schlaf. Je größer der Abstand zwischen den beiden, desto stärker Ihr Schlafdrang.

Wenn Sie beispielsweise um acht Uhr morgens aufgewacht sind, ist der Abstand zwischen der gestrichelten Linie (zirkadianer Rhythmus) und der durchgehenden Linie (Schlafdruck) um elf Uhr vormittags nur sehr gering. Dies wird durch den senkrechten Doppelpfeil in Abbildung 5 verdeutlicht. Dieser geringe Abstand steht für einen schwachen Schlafdrang und einen starken Drang, wach und aufmerksam zu sein.