Das große Trauma-Selbsthilfebuch - Jasmin Lee Cori - E-Book

Das große Trauma-Selbsthilfebuch E-Book

Jasmin Lee Cori

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  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Jedes Trauma ist individuell. Und ebenso ist jeder Heilungsweg singulär. Vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse aus der Traumaforschung beschreibt Jasmin Lee Cori die vielfältigen Formen von Traumatisierung und die ebenso vielfältigen Wege zur Heilung. Sie erklärt, wie ein Trauma entsteht und mit welchen Symptomen es sich äußern kann, zum Beispiel mit Dissoziation und dem Gefühl der Erstarrung. Sie zeigt, wie man mit traumatischen Erinnerungen umgeht und wie man am besten vorgeht, um sich Unterstützung zu holen. Sei es therapeutische Hilfe, Selbsthilfegruppen, medikamentöse Behandlung oder alternative Heilverfahren.

Ergänzt durch viele Übungen und Fallgeschichten ist dieses Buch ein hilfreicher Begleiter für alle, die nach einem Trauma wieder ins Leben zurückfinden möchten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 455

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Über das Buch

Ein ganzheitlicher Ansatz zur Traumaheilung.

Es braucht Mut, Geduld und Entschlossenheit, die Folgen eines Traumas zu verarbeiten. Die ausgebildete Trauma-Therapeutin Jasmin Lee Cori weiß das aus eigener Erfahrung. Mit großem Einfühlungsvermögen beschreibt sie, wie herausfordernd der Heilungsweg ist. Gleichzeitig bietet sie konkrete Unterstützung: Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten, Übungen zur Selbstfürsorge und ermutigende Geschichten. Auf der Basis aktueller Erkenntnisse aus der Forschung hilft Ihnen dieses Buch, zu verstehen, was ein Trauma ist und welche langwierigen Folgen es haben kann, klassische Traumasymptome zu erkennen, mit traumatischen Reaktionen und Erinnerungen gut umzugehen, Ihre Lebensumstände so zu gestalten, dass sie Ihren Heilungsweg unterstützen, die für Sie richtige Behandlungsmethode zu finden.

Ein wertvoller Begleiter für alle, die nach einem Trauma wieder ins Leben zurückfinden möchten.

Jasmin Lee Cori

Das große Trauma-Selbsthilfebuch

Symptome verstehen und zurück ins Leben finden

Kösel

Aus dem Amerikanischen von Silvia Autenrieth, Aachen

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Healing from Trauma. A Survivor’s Guide to Understanding Your Symptoms and Reclaiming Your Life« bei Da Capo Press, A Member of the Perseus Books Group, New York.

Copyright © 2008 by Jasmin Lee Cori, MS, LPC

Foreword copyright © 2008 by Robert C. Scaer, MD

Auszüge aus Terrys Geschichte in Kapitel 10: Copyright © 2008 by Terry Ray

Copyright © 2015 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlag: Weiss Werkstatt, München

Umschlagmotiv: shutterstock/miumiu

Lektorat: Imke Oldenburg, Bremen

ISBN 978-3-641-16669-4V002

Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter

www.koesel.de

Für diejenigen, die sich Zentimeter für Zentimeter aus Traumen herausziehen – und für die, die es nicht schaffen. Dieses Buch ist euch gewidmet für das, was ihr durchgemacht habt.

Haftungsausschluss

Die Informationen in diesem Buch sollen Leserinnen und Lesern helfen, fundierte Entscheidungen rund um ihre eigene Gesundheit und die ihrer Lieben zu treffen. Sie sind nicht dazu gedacht, eine Behandlung durch Angehörige der Gesundheitsberufe oder deren Beratung und Betreuung zu ersetzen. Sowohl die Verfasserin als auch der Verlag haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, sicherzustellen, dass die angegebenen Informationen zutreffend und aktuell sind, haften jedoch nicht für eventuelle nachteilige Wirkungen oder Folgen bei Personen, die dieses Buch benutzen.

Danksagungen

Zunächst einmal möchte ich Marlow & Company dafür würdigen, dass sie dieses Werk übernommen haben. Ich danke meiner Lektorin, Renée Sedliar, mit deren Hilfe dieses Buch entstehen konnte und weiß ihre so gute Zusammenarbeit mit mir sehr zu schätzen. Mit ihrer Hilfe ist ein besseres Buch entstanden.

Ich stehe in der Schuld von allen, die mich an ihren Traumen teilhaben ließen, ob als KlientInnen oder im Freundeskreis. Ihr habt das Vertrauen aufgebracht, mich an eure wundesten Punkte heranzulassen, und dafür gilt euch meine Hochachtung. Außerdem schulde ich all den Autoren und Autorinnen eine Menge, die zu meinem Wissen über Traumen beigetragen haben und hoffe, dass ich wahrheitsgemäß weitergegeben habe, was ich durch sie gelernt habe. Auf die meisten von ihnen verweise ich in diesem Buch mit Anmerkungen, wenn auch nicht unbedingt an jeder einzelnen Stelle, an der sie zu meinem unablässig wachsenden Verständnis beitrugen.

Zudem möchte ich die Großzügigkeit derer würdigen, die sich die Zeit genommen haben, mir Feedback zu dem Material dieses Buches zu geben, oder die sich mit mir trafen und mich an ihrer Weisheit teilhaben ließen. Ich danke Willow Arlenea, Anupam Barlow, Sara Benson, Jody Berman, Michael Broas, Anna Chitty, Alan Cogen, Cathee Courter, Andy Dorsey, Lynn Grasberg, Susann Hannah, Betsy Kabrick, Teddie Keller, Debbie Mihal, Christine Palafox, Terry Ray, Salila Shen, Jane Sinclair, Sara Swift, Mary Timmons und Lois VanderKooi. Danke auch an Robert C. Scaer für seine Unterstützung im Hinblick auf das Buch.

Vor allem danke ich meiner Therapeutin, Konstanze Hacker, für die vielen Weisen, auf die sie zu diesem Projekt beitrug. Ohne sie gäbe es dieses Buch nicht. Danke, dass Sie mir geholfen haben, meinem inneren Ruf treu zu bleiben. Danke, dass Sie mir immer wieder eine helfende Hand gereicht und mich aus dieser Hölle herausgeleitet haben. Das folgende Gedicht ist für Sie:

»Du hast überlebt!«, riefst du mir zu,

während ich benommen dalag, mit Blutspritzern übersät.

»Du hast überlebt!«, sagtest du noch einmal,

dieses Mal leiser, nahe bei mir.

Da regte ich mich, wachgeküsst durch die Zärtlichkeit in deiner Stimme.

Als ich mich umschaute, sah ich die wunderbarsten Farben

und wusste, dass deine Worte wahr waren.

Irgendwie war über allem, was mich am Boden zerstört zurückließ,

etwas bestehen geblieben und konnte wieder wachsen.

Aus tiefstem Herzen danke dafür.

Wenn dir jemand hilft, durch die Hölle zu gehen,

begreifst du, was ›Himmel‹ bedeutet.

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Ein Traumabuch für jene an vorderster Front

1 Shit happens

Was bedeutet Trauma?

Warum manche mehr leiden und manche weniger

Im Verborgenen stattfindende Traumen

Übung: Identifikation Ihrer Traumen

Bleibt das für immer so?

Zwei Formen von Leid

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

2 Es ist etwas Körperliches

Was geschieht bei einem Trauma?

Gefangen in den unteren Regionen des Gehirns

Betrunken von Emotionen

Die Wiedererlangung des Kommandos

Resilienz

Durchdrehende Räder wieder freibekommen

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

3 Die Fußabdrücke des Traumas

Spuren im Körper

Empfindlichkeiten

Trigger, überall Trigger

Der feige Löwe, die Vogelscheuche und der Blechmann

Nicht ganz da (Dissoziation)

Ich kann nicht klar denken!

Versteinerung (Betäubung)

Amnesie, Flashbacks und fragmentarische Erinnerungen

Schlafstörungen

Intrusive Gedanken und Bilder

Selbstverletzendes Verhalten

Schuldig ohne Anklage

Ein Leben in der Besenkammer

Verletzte Grenzen

Beziehungsmuster

Gebrochen sein

Allein in einer gleichgültigen Welt

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

4 Traumabedingte Störungen

Posttraumatische Belastungsstörung

Mitverursacher einer PTBS

PTBS als Diagnose

Traumatische Stressoren

Symptome einer PTBS

Eine PTBS kommt selten allein

PTBS als physiologisches Reaktionsmuster

Akute Belastungsstörung

Depression

Angststörungen

Panikattacken

Zwangsmuster

Suchterkrankungen

Essstörungen

Dissoziative Störungen

Dissoziative Identitätsstörung (ehemals Multiple Persönlichkeitsstörung)

Amnesie und psychogene Fugue-Zustände

Depersonalisierung und Derealisierung (Gefühl der Unwirklichkeit)

Borderline-Persönlichkeit

Traumabedingte körperliche Erkrankungen

Traumabetroffene

Zwei Kokons

Der Wattekokon (Vermeidung)

Der Kokon aus Stein (Betäubung)

Die Kokon-Strategien als versuchte Regulierung von Erregung

Welche Hilfswerkzeuge brauchen Sie?

Übung: Erkunden Sie Ihren Kokon

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

5 Der Weg zur Heilung

Kellys Geschichte: Ein schwer erarbeitetes Ich

Grundvoraussetzungen für den Aufbruch

Ein wohldurchdachter Lehrplan

Die Aufgaben der Heilung

Persönliche Ressourcen

Hilfreiche Fähigkeiten auf dem Weg zur Heilung

Übung: Einschätzung Ihrer Ressourcen

Die Heilungsspirale

Janas Geschichte: Tief in sich hineinhören

Der Vervollständigungstrieb

Rückkehr zum Heil- und Ganzsein

Jeder Weg ist einzigartig

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

6 Die Wahl der richtigen professionellen Begleitung

Traumen in Ihrer Geschichte mit anderen teilen

Heikle Punkte bei der Arbeit mit Gesundheitsfachkräften

Ist Psychotherapie etwas für mich? Wie lange wird sie dauern?

Die Wahl des richtigen Therapeuten

Private und therapeutische Beziehung gleichzeitig

Kontaktaufnahme

Verwundete und verwundende Heiler

Wann ist ein Therapeutenwechsel angezeigt?

Kann ich auch ohne Psychotherapie Heilung finden?

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

7 Die Wahl der richtigen Interventionen

Containment versus Katharsis

EMDR und alternierende bilaterale Stimulation (ABS)

Punkttherapien

Das TARA-Verfahren zur Auflösung von Schock und Traumen

Somatische Therapien (Somatic Experiencing und sensomotorische Psychotherapie)

Manuelle Traumatherapien

Bildbasierte Traumatherapien

Korrektive Erfahrungen

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Veränderung von Erfahrungen durch Musterdurchbrechung

Hilfe von Gleichgesinnten

Co-Counseling/Re-evaluation Counseling

Selbsthilfegruppen

Stationäre Behandlungsprogramme

Medikamente und natürliche Alternativen

Überwachung der medikamentösen Behandlung

Nahrungsergänzungen

Komplementäre und alternative Medizin (CAM)

Sie entscheiden

Konfrontation mit denen, die Ihnen Schaden zugefügt haben

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

8 Tools für den Umgang mit Traumen

Das Tempo des Prozesses drosseln

Mit einem Fuß auf sicherem Boden bleiben

Erden

Ihren Fels in der Brandung finden

Ihren Erregungspegel steuern

Selbstberuhigung erlernen

Sich von anderen trösten lassen

Verschiedene Optionen sehen

Innehalten, beruhigen und unterstützen (ein Gegenmittel zu Übererregung)

Wiederherstellung des Fokus, Wiederherstellung des Kontakts und Wiedereintritt (ein Gegenmittel zu Dissoziation)

Der Kontrollknopf

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

9 Tools für den Alltag

Ihre Aufgabe als Lebensmanager

Wie Sie zum energischen Beschützer und Fürsprecher Ihrer selbst werden

Unterstützende feste Strukturen im Leben

Wissen, was für Sie die beste Medizin ist

Nährende Selbstgespräche

Ihre Gedanken unter Kontrolle bekommen

Objektivität

Fragen, was wahr ist

Beweise sichten und sich mit den Konsequenzen auseinandersetzen

Einen anderen Blickwinkel einnehmen

Stärkung der eigenen Grenzen

Kultivieren einer freundlichen Beziehung zu Ihrem Körper

Humor

Tagebuch schreiben

Die Gefahr einer emotionalen Überflutung

Kreativität und Selbstausdruck

Die Gaben der Natur

Auf Kuschelkurs mit der Welt

Die beste Rache ist ein glückliches Leben

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

10 Spirituelle Fragen

Warum hat Gott das zugelassen?

Eine ernsthafte Suche

Verborgene Geschenke

Was das spirituelle Leben zu bieten hat

Die Transzendenzfalle

Expansion und Kontraktion

Was hat Leid hiermit zu tun?

Das Leben nehmen, wie es ist

Eine integrierte Spiritualität

Terrys Geschichte: Der Weg zu einer integrierten Spiritualität

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

11 Nicht länger innerlich kaputt

Bloß überleben oder wachsen?

Zeichen der Heilung

Zeichen von Ganzheit

Ein neues Ich

Nach Hause kommen

Roberts Geschichte: Nicht mehr Krieg

Es ist nie zu spät für ein wenig Glück

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

12 Meine Geschichte

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

Anhang

Verfahren der Körperarbeit

Anmerkungen

Glossar

Ressourcen

Die Autorin

Vorwort

Unsere Reaktion auf ein Trauma hängt sehr spezifisch und konkret von der Frage ab, ob wir das Ereignis steuern können. Es kommt nicht wirklich darauf an, wie schwerwiegend oder heftig das traumatische Erlebnis ist. Wenn wir durch wirksamen Selbstschutz oder durch Flucht erfolgreich eine Kontrolle über die traumatische Erfahrung ausüben können, verarbeitet unser Gehirn sie so, dass sie dem Fundus wichtiger Lebenserfahrungen hinzugefügt wird, die mit erhöhter emotionaler Erregung einhergingen.

Ist jedoch unser Leben in Gefahr, ohne dass wir irgendeinen Einfluss haben – ein Zustand, den wir als Hilflosigkeit wahrnehmen –, verarbeitet unser Gehirn die Erfahrung von Grund auf anders. Heilung von den Auswirkungen dieses Erlebnisses finden wir dann, wenn wir die Wahrnehmung unseres Überlebensgehirns verändern: von einem Zustand anhaltender Hilflosigkeit zu dem solider und dauerhafter Kontrolle. Wir müssen die Erinnerungen an das Trauma verändern, samt allem, was sie auslösen. Aus einer für uns ansonsten noch immer bestehenden Gefahr wird auf diese Weise etwas, das nur eine alte Geschichte ist, die weit zurückliegt – ein zugegebenermaßen emotionales, heute aber harmloses Ereignis, das zwar vielleicht zu der Person beiträgt, die wir geworden sind, uns aber heute nicht mehr bestimmt. Vielleicht durchleben wir von Zeit zu Zeit noch die körperlichen Empfindungen und Gefühle, die mit jenem Ereignis verbunden waren, heute warnen sie aber nicht mehr vor drohender Gefahr. Sie sagen uns nur, dass der Stresspegel in unserem derzeitigen Leben ein paar unserer alten Selbstschutzreflexe an die Oberfläche gebracht hat. Heute können wir dieses Erkennen körperlicher Zustände als etwas einsetzen, das nützliche Botschaften für uns bereithält, statt Hinweise auf aktuelle Bedrohungen. Und aus diesem ganzen Prozess entsteht schließlich Lebensklugheit – eine Integration von Emotionen, körperlichen Empfindungen und unseren unablässig ablaufenden bewussten Wahrnehmungen und Gedanken. Wenn wir diesen Punkt erreicht haben, haben wir einen Fortschritt gemacht. Aus Traumaopfern sind Traumaüberlebende geworden.

Ganz schön viel verlangt, das alles, und so haben AutorInnen, SchriftstellerInnen und ReferentInnen, die sich mit traumatischen Belastungen beschäftigt haben, Tausende von Büchern und Artikeln zum Thema Traumaheilung herausgebracht. Nur einige wenige jedoch sind aus der Perspektive von Traumaopfern oder Traumaüberlebenden an das Thema herangegangen. In Das große Trauma-Selbsthilfebuch hat Jasmin Lee Cori genau das getan – klar, scharfsinnig und von tiefen Erkenntnissen durchdrungen. Sie hat sich dieser Aufgabe von einem Standpunkt aus genähert, der bislang sträflich vernachlässigt wurde: dem der physischen (somatischen) Komponente traumatischer Erlebnisse. Cori geht gerade eben genug auf die physiologischen Kennzeichen von Traumen ein, um eine überzeugende Grundlage für ihre Beobachtungen und ihre Empfehlungen, die sich an Nichtfachleute wenden, zu schaffen.

Sehr wenige Bücher zum Thema Trauma beschreiben das, was die Betroffenen brauchen, aus deren eigener Sicht, der Sicht der KlientInnen. Cori tut es mit pragmatischer Einfachheit: Wie wählt man einen Therapeuten? Woher weiß man, dass die ausgewählte Person der richtige für einen ist? Woran merkt man, dass man die Therapie beenden kann – aus der eigenen Warte? Das sind praktische Fragen, die TherapeutInnen nicht wirklich beantworten können. Nie ist die Chemie zwischen KlientIn und TherapeutIn spannungsreicher oder entscheidender als bei komplexen Traumen. Und nur der Klient kann entscheiden, ob die unvermeidbaren traumatischen Erinnerungen, die durch einen bestimmten Therapeuten getriggert werden, überwindbar sind oder nicht.

Dieses Buch ist relativ kurz – ein Segen für das Traumaopfer, dem die Auseinandersetzung mit komplexer Lektüre und Konzentration oft schwerfallen. Und dennoch umfasst es eine bemerkenswert breite Palette wichtiger Überlegungen im Hinblick auf das Erleben und die Heilung von Traumen. Cori legt Wert auf eine ganzheitliche Herangehensweise an das Verständnis von Traumen und an die zur Verfügung stehenden Heilungsmöglichkeiten, darunter viele der neueren und zugegebenermaßen kontrovers diskutierten somatisch basierten Traumatherapien. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Einnahme von Nahrungsergänzungspräparaten und pflanzlichen Heilmitteln für Menschen, die Psychopharmaka schlecht vertragen. Informiert wird hierüber weniger, um für bestimmte Behandlungsmethoden zu werben, als vielmehr, um die Möglichkeiten aufzuzeigen, die neben den standardmäßigen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen zur Verfügung stehen.

Der zentrale Bestandteil all dieser Ausführungen ist vielleicht die Botschaft der Hoffnung, die dieses Buch in sich trägt. Sie steckt in der Art, wie Cori mutig einen ganz eigenen Nutzen aus ihrer persönlichen Traumaerfahrung zieht und ihre eigene Reise von der Hilflosigkeit zur Meisterschaft unternimmt. Dieses Buch können Opfer komplexer Lebenstraumen als Spiegel für Erfahrungen in ihrem eigenen Leben heranziehen. Sie können sich so den Sinn ihres chaotischen Innenlebens erschließen, ohne von seinen Inhalten traumatisiert zu werden, und die Botschaft der Hoffnung, Heilung und Transformation in sich aufnehmen.

Robert C. Scaer, MD

Robert C. Scaer, MD, schrieb The Trauma Spectrum: Hidden Wounds and Human Resiliency sowie The Body Bears the Burden: Trauma, Dissociation, and Disease.

Einleitung:Ein Traumabuch für jene an vorderster Front

Ich verbrachte meine Kindheit in einem traumatisierten Zustand, obwohl ich mich erst im Alter von fast 40 Jahren überhaupt an traumatisierende Ereignisse oder meine wahren Gefühle zu erinnern begann, und heilen konnte ich diese Wunden erst mit Mitte 50. Im Laufe der Suche nach etwas, das mir dabei helfen würde, las ich etliche Bücher über Traumen. Einige davon enthielten hie und da ein paar Bröckchen an nützlichen Informationen, die meisten jedoch ließen mich unbefriedigt zurück. Sie mögen von meinen Symptomen gesprochen haben, aber sie sprachen mich nicht an.

Als Schriftstellerin, die das Gefühl hatte, dass Traumaüberlebende Informationen benötigen, die gezielt auf das zugeschnitten sind, was sie brauchen, beschloss ich, selbst ein Buch zu schreiben. Ich wollte die Berge von Informationen sichten und mehr oder weniger das Wissenswerteste in einer Kurzfassung zusammentragen. Auch wenn ich zugelassene Psychotherapeutin bin, schreibe ich ebenso viel von der anderen Seite des Schreibtischs, aus einer Position, aus der heraus ich mich persönlicher äußern kann. Ich weiß, wie es ist, verletzlich zu sein. Ich weiß, wie es ist, Hilfe zu brauchen. Ich weiß etwas über diese Reise – nicht aus der sicher(er)en Distanz der Therapeutenrolle, sondern aus der Perspektive, mittendrin zu sein.

Das große Trauma-Selbsthilfebuch wurde in erster Linie für Menschen geschrieben, die bedeutende Lebenstraumen durchgemacht haben und Hilfe in Anspruch nehmen möchten, um Traumen besser zu verstehen und zu erfahren, was sie zur Förderung ihrer eigenen Heilung tun können. Natürlich werden auch PartnerInnen der Betroffenen sowie TherapeutInnen verschiedener Art von diesem Buch profitieren. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich mitunter aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur die männliche Form von Begriffen wie Therapeut, Partner und so weiter verwende – selbstverständlich sind damit stets auch Therapeutinnen, Partnerinnen und so fort gemeint.

Der ganzheitlich orientierte Führer, den Sie hier in der Hand halten, kann Ihnen helfen, mit auftretenden störenden Auswirkungen eines Traumas umzugehen und einen umfassenderen Plan für eine vollständige Heilung aufzustellen. Dieses Buch wird

Sie besser verstehen lassen, was es mit Traumen auf sich hat und warum sie derartige Auswirkungen haben;Sie mit praxisbezogenen Selbsthilfe-Tools ausstatten;die Aufgaben der Heilung klarstellen und so einen Verständniskontext schaffen, der zeigt, warum zahlreiche Therapien, persönliche Ressourcen und Selbsthilfe-Tools benötigt werden;Sie bei einer Therapie begleiten oder vielleicht in die Therapie führen, indem es Ihnen hilft, verschiedene Optionen einzuschätzen und die beste verfügbare Hilfe zu finden;Hoffnung auf Heilung spenden und einige Wegweiser dazu bereitstellen, wie diese aussieht;verschiedene spirituelle Themen in Verbindung mit Traumen erörtern – etwa, wie Spiritualität uns hilft, wie sie missbraucht werden kann und welche spirituellen Herausforderungen und Chancen mit Traumen verbunden sind sowieeine breite Palette an Sichtweisen und Tools zur Verfügung stellen, so dass Sie das Beste von unterschiedlichen Ansätzen mitnehmen können, die in der Regel nur allein angeboten werden. Sie erhalten eine abgespeckte Version somatischer (auf dem Körper basierender) und kognitiver Ansätze sowie ein Verständnis davon, wie unerfüllte Entwicklungsbedürfnisse infolge einer Störung durch frühe Traumen angegangen werden müssen und können.

Den Mechanismus von Traumen zu verstehen, ist eine hilfreiche Sache. Es hilft, das zu normalisieren, was Überlebende durchmachen und sich einiges von dem zu erklären, was derart verwirrende und destabilisierende Gefühle auslöst. Ich weiß von Traumaüberlebenden, die die Erinnerung an den Hergang des Traumas noch nicht wiedererlangt haben, und doch zieht sich der Fußabdruck des Traumas durch ihr ganzes Leben. Diese Fußabdrücke zu verstehen und mehr über den Heilungsprozess in Erfahrung zu bringen, kann selbst dann helfen, wenn die Betreffenden nichts Konkretes über die von ihnen erlebten traumatischen Ereignisse wissen.

Sich Traumen anderer anzuhören ist besonders schwierig, wenn man selbst viel Traumatisierendes erlebt hat. Ihr Nervensystem als Betroffene(r) ist kein unbeschriebenes Blatt, und Sie haben vielleicht nicht die Robustheit von Menschen, an denen es scheinbar komplett abperlt, wenn sie von solchen Vorfällen hören. Vor diesem Hintergrund habe ich im Hinblick auf den Inhalt dieses Buches zwei Entscheidungen getroffen.

Die erste lautet, dass ich keine Traumageschichten erzählen werde. Viele Bücher über Traumen sind voll von solchen Charakterskizzen – wer so etwas sucht, dem bietet sich eine breite Auswahl. Ich glaube, allein schon etwas über die Mechanismen bei Traumen zu lesen, ist eine solche Herausforderung, dass ich Sie nicht auch noch mit persönlichen Geschichten überfluten muss. Der Haupttext enthält durchaus gewisse Episoden und ein paar ausführlichere Heilungsprofile, ohne Sie jedoch in traumatische Ereignisse hineinzuführen. In einem Kapitel beziehe ich auch meine eigene Geschichte mit ein, die Sie selbstverständlich überblättern können, ohne dass es dem grundlegenden aufklärerischen Ansatz dieses Buches etwas nehmen würde. Mein Bericht konzentriert sich primär auf meinen Heilungsweg, und nicht auf eine nochmalige detaillierte drastische Schilderung traumatischer Ereignisse, die ich unnötig aufwühlend finde.

Selbst bei einer derart »abgespeckten« Herangehensweise werden Sie eventuell merken, wie Sie etwas aufwühlt oder wie Sie dichtmachen, woraufhin es vielleicht Ihr Lesetempo entsprechend abzustimmen gilt. Das können Sie erreichen, indem Sie für eine Weile bewusst an etwas anderes denken und etwas Beruhigendes tun oder indem Sie durch Gespräche und Tagebuchschreiben verarbeiten, was bislang bei Ihnen angekommen ist.

Meine zweite Entscheidung war die, mich möglichst kurz zu fassen. Wenn Sie gerade dabei sind, sich von einem Trauma zu erholen, haben Sie nun wahrlich schon genug zu tun und wahrscheinlich weder die Zeit noch die persönlichen Kapazitäten, um einen dicken Theoriewälzer auf etwas zu durchforsten, was Sie praktisch anwenden können. Meine Intention ist die, immer dafür zu sorgen, dass das Buch praxisbezogen bleibt. Ich bemühe mich, die zu diesem Thema greifbaren Informationen so zu verschlanken, dass ein sozusagen mundgerechtes Stück zurückbleibt, mit dem sich die Heilung unterstützen lässt. Dies ist ein Buch für diejenigen von uns, die selbst im Schützengraben liegen, nicht für das Publikum, das man an Universitäten oder in Fachkonferenzen findet. Dieser Idee folgend habe ich den entsprechenden Fachjargon so weit wie möglich vermieden. Ein Glossar hinten im Buch liefert Definitionen einiger der Begriffe, die Sie vielleicht erklärt haben oder schnell nachschlagen möchten. Alle Begriffe, die in das Glossar aufgenommen wurden, tauchen bei der ersten Erwähnung im Text (nach dieser Einleitung) in Kursivschrift auf. Außerdem wurden Textpassagen von mir mit Endnoten versehen, die Sie vielleicht überfliegen möchten.

In den ersten vier Kapiteln wird das Terrain von Traumen dargelegt, bevor wir uns mit den Aufgaben der Traumaheilung befassen. Kapitel 1 beginnt mit einigen grundlegenden Fakten darüber, was Trauma bedeutet und warum Traumen sich so sehr auf uns auswirken. Kapitel 2 skizziert die physiologische Grundlage von Traumen. Diese physiologische Komponente zu verstehen, hilft uns, die Symptome oder »Fußabdrücke« von Traumen zu erfassen, die in Kapitel 3 beschrieben werden. Das letzte Kapitel dieses Teils gibt uns einen Überblick über Störungen, die oft mit Traumen einhergehen und umreißt kurz die kollektiven Kosten von Traumen.

Kapitel 5 beschreibt den Weg zur Heilung, welche Aufgaben er beinhaltet und welche Ressourcen hierzu erforderlich sind. Kapitel 6 hilft Ihnen, die bestmöglichen Personen auszusuchen, die Sie auf Ihrem Weg unterstützen sollen, und Kapitel 7 enthält Kurzbeschreibungen bestimmter Interventionen. Ob Sie mit einem Psychotherapeuten arbeiten oder allein – Sie werden Hilfsmittel brauchen, um mit Traumasymptomen umzugehen, vor allem mit Zuständen der Aktivierung und Dissoziation. Genau das bietet Kapitel 8. Kapitel 9 ist mit »Tools für den Alltag« überschrieben und zeichnet ein umfassenderes Bild von Strategien, sich ein Leben aufzubauen, dass Ihnen bei der Stabilisierung hilft, als Gegengewicht zu den Auswirkungen des Traumas und damit es Sie möglichst wenig im Griff hat.

Für Traumaüberlebende kann Spiritualität sowohl eine unvergleichlich wertvolle Ressource darstellen als auch nicht ganz unproblematisch sein – manchmal auch beides. Kapitel 10 befasst sich mit genau diesen beiden Facetten und entwirft Ansätze einer integrierten Spiritualität, die Teil unseres Unterstützungssystems ist, ohne gleichzeitig zu einem Element unseres Abwehrsystems zu werden.

Kapitel 11 wirft einen Blick auf das Leben nach der Heilung des Traumas und legt dar, was es bedeutet, Traumen zu meistern. Danach kommt meine eigene Geschichte (Kapitel 12), gefolgt von einigen nützlichen Hinweisen, einer Aufstellung weiterer Ressourcen und einem Anhang mit einer Kurzdarstellung von diversen Ansätzen therapeutischer Körperarbeit.

Es gibt eine Reihe von Übungen in diesem Buch, bei denen es Ihnen überlassen ist, ob Sie sie durchführen oder nicht. Zudem gibt es immer wieder Stellen im Text, die dazu einladen, erst einmal innezuhalten, das Gelesene sacken zu lassen und über Ihre eigene Situation zu reflektieren. Diese sind mit einer besonderen Art von Aufzählungssymbol gekennzeichnet und meist als Frage formuliert. Ich möchte Sie anregen, diese einen Moment auf sich wirken zu lassen und in sich hineinzuhorchen, um festzustellen, was Ihnen beim Lesen in den Sinn kommt, selbst wenn Sie nicht so weit gehen, jede Frage zu beantworten (vielleicht schriftlich), was auch eine Möglichkeit wäre. Auf dem Weg durch ein Trauma absolvieren Sie quasi ein Studium über Traumen. Ich bin der entschiedenen Auffassung, dass die besten Absolventen dieses Studiums nicht unbedingt diejenigen sind, die die meisten Informationen durchgeackert haben, sondern diejenigen, die Informationen integriert haben und sie nutzen. Die genannten Fragen können bei dieser Aufgabe helfen.

Im Zuge des Entwicklungsprozesses, den das Buch, ausgehend von seinem ursprünglichen Kern, durchlief, ergänzte ich es um zusätzliche Informationen, bei denen mir klar war, dass nicht alle sich davon angesprochen fühlen werden. Dennoch sollten sie der Vollständigkeit halber dabei sein. Überblättern Sie bestimmte Informationen gerne, wenn sie in Ihren Augen für Sie nicht relevant sind oder gerade keine Priorität für Sie haben. Sie können später ja immer noch auf sie zurückkommen.

Ich habe es schon erlebt, dass Traumaüberlebende mir berichteten, sie hätten das Material mehr als einmal lesen müssen, bis es »Klick« machte und ihnen klar wurde, in welchen Elementen sie sich wiederfanden. Das ist absolut nachvollziehbar. Wir gehen unsere traumatische Vorgeschichte nach dem Zwiebelprinzip an, Schicht für Schicht abschälend. Es kann gut sein, dass die Verdrängung und die Dissoziation, die uns ja ursprünglich geholfen haben, weiterwirken, wenn wir mehr von einem Trauma erfahren. Verdrängung und Dissoziation versuchen uns vor schmerzhaften Wahrheiten zu schützen. Das tun sie entweder, indem sie diese abblocken oder indem wir nicht präsent bleiben und das, was gerade geschieht, nicht an uns herankommt. Wenn Sie sich bestimmte Abschnitte zu unterschiedlichen Zeitpunkten vornehmen, werden Sie den Inhalt wahrscheinlich jedes Mal etwas anders aufnehmen. Dieser allmähliche Prozess macht das Herz der Heilung aus – hacken Sie also nicht auf sich herum, wenn Sie beim ersten Durchgang nicht gleich alles mitbekommen. Genau das hat die Natur sogar vorgesehen, wenn es darum geht, Schwieriges zu integrieren.

Leider gibt es kein allgemeingültiges Punkteprogramm, das bei allen Wirkung zeigt. Jede Auseinandersetzung verläuft individuell und auf ihre einzigartige Weise. Was dieses Buch tun kann: Es kann Ihnen jeden erdenklichen Vorsprung geben, damit Sie absehen können, wie das Terrain beschaffen ist, was Sie brauchen, wo Sie die Orientierung verlieren könnten und welcher Lohn Ihnen winken könnte, wenn Sie durchhalten. Dieses Buch ist Ihre Landkarte und Ihr Kompass. Nutzen Sie es mit Bedacht. Mögen Sie auf dieser überaus heiligen Entdeckungsreise gesegnet sein!

1 Shit happens

Wer dieses Buch liest, weiß etwas, das einige noch nicht wahrhaben wollen: manchmal passiert eine ziemliche Scheiße. Und zwar uns.

Etwa wenn ein Mensch, den wir lieben, plötzlich eines gewaltsamen Todes stirbt. Wenn ein Kind geschändet wird. Wenn man in den Krieg geschickt wird und lernt, andere umzubringen oder zusehen muss, wie Menschen verstümmelt und getötet werden. Es passiert, wenn ein Unfall unser Leben völlig aus der Bahn wirft, unsere Träume auf einen Schlag für immer zunichtemacht. Es passiert, wenn selbst ernannte Glaubenswächter einem die Kirche abbrennen oder einen brutal zusammenschlagen, weil man schwul ist. Wenn die falsche Hautfarbe oder die falsche Religion bedeutet, dass man um sein Leben fürchten muss. Wenn die Deiche brechen. Wenn das Flugzeug abstürzt. Jedes Mal, wenn jemand vergewaltigt wird.

Schlimme Dinge passieren nicht nur mit bösen Fremden und bei Naturkatastrophen, sondern auch in unserer eigenen Familie. Sie passieren, wenn ein Elternteil trinkt und ein Kind schlägt. Sie passieren, wenn eine Betreuungsperson oder ein Geschwister übergriffig wird, unser Denken durcheinanderbringt, unser Vertrauen missbraucht. Sie geschehen auf alle erdenklichen Weisen und unter allen erdenklichen Deckmänteln. Sogar im Namen der Liebe.

Ich wollte, ich könnte Ihnen etwas anderes sagen, aber Sie wissen selbst, dass das stimmt. Sie wissen es aus Ihrer eigenen Erfahrung. Es ist nichts, was irgendjemand unter uns gewollt hätte. Ach, wie sehr wir uns doch wünschen würden, in einer sicheren, geborgenen Welt zu leben! Aber so ist es einfach nicht.

Was bedeutet Trauma?

Die schlimmen Dinge, die da passieren, sind eben deshalb ein so harter Schlag, weil sie traumatisch sind. Sie werden ihre Auswirkungen besser verstehen, wenn Sie mehr über Traumen erfahren.

Zunächst einmal müssen Sie sich klarmachen, dass es zum Wesen eines Traumas gehört, entsetzliche Angst zu machen und uns absolut zu überwältigen. Es geschieht etwas, über das man keine Kontrolle hat, und es ist so übermächtig, dass man das Gefühl hat, es könne einen vernichten. Tatsache ist, dass die wahrgenommene Gefahr ein grundlegender Bestandteil von Traumen ist. Eben diese Wahrnehmung einer unmittelbaren Bedrohung für Leib und Leben sowie unseres Wohls oder unserer seelischen Gesundheit macht Traumen aus. Freud erkannte das, als er sagte, im Trauma fühle sich der Mensch völlig hilflos und handlungsunfähig angesichts von etwas, das in seinem Erleben auf das Heftigste als Gefahr wahrgenommen wird.

Von diesem Grundverständnis gehen heute die meisten aus, die Traumen erforschen und psychische Prozesse begleiten. Die Autorin Maggie Scarf traf eine nützliche Unterscheidung, als sie sagte, es gäbe »TRAUMEN« und »Traumen«.1 TRAUMEN sind das, was ich gerade beschrieben habe. Die anderen, die Traumen, sind vielleicht nicht lebensbedrohlich (auf jeden Fall nicht aus der Warte von Außenstehenden) oder nicht mit ganz so viel Horror verbunden wie die üblichen Erlebnisse, die in Verbindung mit dem Begriff TRAUMA aufgezählt werden (etwa Krieg, Folter, sexuelle Gewalt, tätliche Angriffe, lebensbedrohliche Unfälle, Naturkatastrophen), und doch können sie eine verheerende Wirkung haben und vieles zerstören. Dabei sprechen wir von Ereignissen, die bei der Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ausscheiden, da sie häufiger vorkommen und nicht so universell traumatisierend wirken, auch wenn manche Menschen von ihnen durchaus schwer traumatisiert werden. Beispiele dieser Art wären etwa eine Scheidung, ein einschneidender Verrat oder Vertrauensbruch, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der eigenen Firma sowie Unfälle, die nicht unser Leben in Gefahr bringen. Da derartige Ereignisse Symptome nach sich ziehen können, die denen bei TRAUMEN ähneln (und dann auch ein ähnliches Vorgehen verlangen), werden auch viele LeserInnen mit einer solchen Geschichte etwas mit diesem Buch anfangen können.

Sehen wir uns doch einmal näher an, was bei einem Trauma vor sich geht. Wenn etwas Traumatisches geschieht, sind wir in diesem Moment davon überfordert, es komplett an uns heranzulassen und zu integrieren. Überlegen Sie nur für einen Moment, was geschieht, wenn Ihnen etwas zu viel wird. Sie büßen die Fähigkeit ein, sinnvoll mit einer Situation umzugehen. Vielleicht kommt Ihnen sogar das Gefühl abhanden, ein solides, zusammenhängendes Ganzes zu sein. Sie müssen sich vor dem schützen, was Sie da überrollt. Also gilt es, irgendeinen Weg zu finden, sich davon abzutrennen – ob durch Schock, Leugnen, Verdrängung, Dissoziation oder Erstarrung. Vielleicht erinnern Sie sich danach an das Ereignis, vielleicht auch nicht, aber jedenfalls hat es, indem es Sie überwältigt hat, etwas in Ihrem physiologischen System verändert und daran, wie Sie sich selbst und Ihre Welt erleben. Diese Erfahrung, von etwas überwältigt zu werden, beschränkt sich dann aber nicht auf die vorübergehende Situation, sondern läuft im Hintergrund mehr oder weniger permanent.

Die freundlichste Reaktion auf Derartiges ist die, zu akzeptieren, dass das ein heftiger Schlag für Sie war, der Sie ziemlich aus der Bahn geworfen hat. Es hat Ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen, und jetzt reicht es nicht, sich einfach wieder aufzurappeln. Es ist einiges zu Bruch gegangen, was erst einmal verheilen muss.

Warum manche mehr leiden und manche weniger

Die Frage, warum manche Menschen nach einem schlimmen Ereignis heftiger leiden als andere, ist ein Dauerbrenner. Die Antworten fallen unterschiedlich aus – es gibt keine einfache, allgemeingültige Erklärung. Natürlich sind unsere Erfahrungen unterschiedlich, wir sind unterschiedlich und wir haben vielleicht unterschiedliche Gründe, auf diesem Planeten zu sein. Damit sind auch schon gleich die drei grundlegenden Erklärungen dafür angesprochen, warum manche mehr leiden als andere: 1. Die traumatischen Ereignisse unterscheiden sich; 2. unsere persönliche Konstitution und unsere Ressourcen unterscheiden sich und 3. unsere Antworten auf diese Frage aus spiritueller und philosophischer Sicht unterscheiden sich. Zunächst einmal ist Trauma nicht gleich Trauma. Unterschiedliche Traumen in einem unterschiedlichen Lebensalter und unter unterschiedlichen Umständen haben unterschiedliche Auswirkungen. Hier einige allgemeine Prinzipien:

Wenn Sie in dem Moment des Traumas etwas tun konnten (etwa jemandem helfen, davonzukommen oder Hilfe zu mobilisieren), werden Sie weniger am Boden zerstört sein als dann, wenn Sie nichts tun konnten.Wenn Sie sehr jung waren, waren Sie verletzlicher und hatten weniger Ressourcen, die Ihnen helfen konnten, das Ganze zu bewältigen oder sich davon zu erholen. Deshalb tragen Sie wahrscheinlich mehr Narben davon.Wenn jemand, den Sie kennen – und vor allem jemand, den Sie lieben – Ursache des Traumas war, wirkt sich das vernichtender auf Ihr Weltbild und subjektives Sicherheitsgefühl aus. Mildernd wirkt es, wenn Nahestehende Sie nach einem traumatischen Ereignis unterstützt haben. Da in dem erstgenannten Fall Verrat und Vertrauensbruch sowie ein verletztes Selbstwertgefühl involviert sind, hinterlässt diese Art von Trauma die meisten Narben. Am heftigsten wirken sich Traumen aus, die man als etwas erlebt, das einem bewusst und in bösartiger Absicht innerhalb einer solchen Beziehung zugefügt wurde – im schlimmsten Fall durch einen Elternteil.2Einem Trauma immer wieder ausgesetzt zu sein, hat im Vergleich zu einem einmaligen Vorfall gravierendere Auswirkungen.Unvorhersehbare traumatische Ereignisse wirken sich massiver aus als Ereignisse dieser Art, die man kommen sieht und auf die man sich vorbereiten kann.Eine Verletzung durch eine andere Person ist immer schlimmer als ein Trauma, an dem kein anderer Mensch beteiligt ist. Nur ein sehr geringer Prozentsatz (weniger als fünf Prozent) derer, die eine Naturkatastrophe erlebt haben, entwickelt die Langzeitsymptome, die mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) verbunden sind,3 während ein viel größerer Prozentsatz (fast die Hälfte)4 derartige Symptome nach einem sexuellen Übergriff entwickelt. Auf der Skala ganz oben rangieren Gefangenschaft und Folter.Hilfe zur Verfügung zu haben, mildert generell die Auswirkungen traumatischer Ereignisse. Das Ausmaß von Hilfe während des Ereignisses und die Unterstützung danach sind die zentralen Faktoren, die darüber entscheiden, wie massiv die langfristigen Folgen ausfallen.

Es wäre schön, wenn wir davon ausgehen könnten, dass uns alles Erdenkliche widerfahren könnte, und wir würden uns wie ein Stehaufmännchen immer wieder aufrichten. In Filmen und Büchern hören wir von Menschen, die Unglaubliches überlebt haben und denken, wir sollten uns ähnlich verhalten können. Vielleicht fragen wir uns: »Wie kommt es, dass der nach einem so heftigen Unglück wieder auf die Beine kommt, während bei mir anscheinend eine viel kleinere Dosis reicht, um mich derart aus dem Tritt zu bringen?«

Damit komme ich zu meinem zweiten zentralen Punkt: wir reagieren nicht gleich auf traumatische Ereignisse, weil wir nicht gleich ausgestattet sind. Einige haben Glück gehabt und in der prägenden ersten Zeit jede Menge liebevolle Fürsorge erhalten, so dass mit ihrer Entwicklung alles glattging. Sie machten viele gute Erfahrungen, die zu einem starken Ich-Gefühl zu Beginn ihres Lebens beitrugen. Der »Kleber«, der sie zusammenhielt, war ein guter Kleber: eine Menge Liebe, Spiegeln und Berührung. Psychologisch ausgedrückt, waren sie an ihre Bezugspersonen »sicher gebunden« und erleben deshalb eine gewisse Grundstabilität in sich. Einige Therapeuten glauben, dass gesunde Bindungen im frühen Kindesalter am besten geeignet sind, um die schmerzhaften langfristigen Auswirkungen traumatischer Erfahrungen abzufedern.

Doch es gibt eine Reihe von Gründen, warum diese Bindung und dieses Ausgangsfundament weniger solide ausfallen können. Vielleicht lag es an der familiären Situation (ein Elternteil war zum Beispiel erkrankt oder psychisch labil, ein Geschwisterkind brauchte besonders viel Aufmerksamkeit, oder die Eltern waren nicht zugänglich oder verstanden sich nicht darauf, gute Eltern zu sein). Vielleicht lag ein physiologischer Faktor vor, der unser System geschwächt hat (etwa eine frühe Kopfverletzung oder wir waren im Säuglings-/Kleinkindalter zu krank oder zu stark von Koliken geplagt, um entsprechende Bindungen zu entwickeln). Oder vielleicht gab es sogar soziale und kulturelle Faktoren weitreichenderer Art, die sich auf die Familie auswirkten (etwa ein gewaltiger wirtschaftlicher Zusammenbruch, Bedrohung durch Terroristen oder kulturelle Umwälzungen, die das Gesellschaftsgefüge zerrissen). Was auch immer die Ursache sein mag – bei Menschen mit einem schwächeren Fundament sind Ich-Gefühl, emotionale Gesundheit und Lebenskompetenzen von vornherein beeinträchtigt.

Die Forschung sucht zu ergründen, was hinter den Unterschieden steht, die Menschen im Hinblick auf ihre naturgegebene Resilienz und ihre Fähigkeit aufweisen, mit traumatischen Ereignissen fertig zu werden. Dabei handelt es sich offenbar nicht um Faktoren, die man einfach aus einem Auswahlmenü herauspicken könnte, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Sie hängen mit der frühen Entwicklung zusammen (welcher Kleber uns zusammenhält). Sie stehen und fallen mit der sozialen Unterstützung, unserer ererbten Veranlagung und sogar mit Aspekten wie unseren Bewältigungsstrategien. Beispielsweise können Menschen, die dazu neigen, sich von unangenehmen Gefühlen abzuschneiden, oft ohne größeren Schaden durch verstörende Ereignisse hindurchgehen. Das gleiche gilt für Menschen, die zur Selbstüberschätzung neigen: sie überstehen widrige Bedingungen besser.5 Aus Gründen, die man sowohl als »gut« wie auch als »schlecht« bewerten mag, reagieren wir also unterschiedlich, und es besteht keine Veranlassung, uns dafür schlecht zu machen.

Sie brauchen die Schuld also nicht bei sich selbst zu suchen, wenn in Ihrem Leben mehr schlimme Dinge passiert sind als in dem von anderen. Es bedeutet nicht, dass Sie etwas falsch gemacht oder das irgendwie verdient hätten. Sie können sich sozusagen vorstellen, dass die Würfel für Sie eben ungünstig gefallen sind (obwohl eine solche Sicht der Dinge dazu angetan ist, Bitterkeit und Ressentiments zu erzeugen). Oder Sie sagen sich, dass Sie in diesem Leben schwere Lektionen auf sich genommen haben, weil auf irgendeine Weise bei Ihnen die Bereitschaft dazu da war. Stephen Gaskin, ein Hippielehrer aus der damaligen Gegenkultur, sagte immer, wir alle müssten unseren Teil des kollektiven Leids auf uns nehmen. Vielleicht haben Sie sich stark genug gefühlt, um sich gleich auf eine doppelte Portion einzulassen.

Selbst wenn wir dem Glauben anhängen, dass wir aus irgendeinem Grunde diesen Auftrag angenommen hätten und dass er dem Daseinszweck unserer Seele diene, heißt das nicht, dass wir nicht lieber etwas anderes wählen würden, wenn wir gerade schreien vor Schmerz. Es heißt nicht, dass wir darüber froh sind, und es heißt auch nicht, dass wir immer das Gefühl hätten, es sei machbar, diese Last zu tragen. Manchmal kommt uns vielleicht der Gedanke, falls wir uns auf diese Herausforderung einließen, so wäre das ein Riesenfehler und wir würden es nie schaffen. Das sind die »schlechten Tage«. Und es kann viele schlechte Tage geben, wenn man unter einem Trauma leidet.

Es kommen also bestimmte Faktoren zusammen, die unsere Reaktion auf Traumen beeinflussen, darunter auch der Zusammenhalt und die Ressourcen des gesellschaftlichen Umfelds um uns herum. Allerdings ist einem mit einer Gemeinschaft, in der gute Bindungen und Ressourcen existieren, die aber nichts von dem Trauma weiß, da es im Verborgenen abläuft (etwa bei sexuellen Übergriffen oder häuslicher Gewalt in der Familie), auch nicht wirklich geholfen.

Im Verborgenen stattfindende Traumen

Ebenso wie wir vielleicht gar nicht registrieren, dass bei uns ein Nerv eingeklemmt ist, obwohl wir dadurch in unserer Funktionsfähigkeit eingeschränkt sind, kann ein Ereignis eine große Wirkung auf uns haben, und doch erkennen wir nicht, warum wir so fühlen und handeln, wie wir es tun. In beiden Fällen wirkt etwas auf uns ein, dessen wir uns nicht bewusst sind.

Es gibt diverse Umstände, unter denen Traumen im Verborgenen ablaufen können. Ein Fall wäre der, dass das Trauma verdrängt wurde. Da einige unserer verheerendsten Traumen verdrängt werden, ist das ein nicht unerhebliches Problem. Wenn Sie sich nicht erinnern können, wie es war, in einem Zuhause aufzuwachsen, in dem es über lange Zeit in regelmäßigen Abständen zu Inzest kam, haben Sie keine Ahnung, warum Sie nie wirklich das Gefühl haben, in Sicherheit zu sein, auch wenn keine Gefahrenquellen erkennbar sind. Vielleicht registrieren Sie diese Hintergrundmelodie nicht einmal, vor allem, wenn Sie schon immer mit ihr leben. Und dennoch ist Ihr Nervensystem so »eingestellt«, wie es diese Erfahrung verlangt.

Ein weiterer Umstand, unter dem ein Trauma sich im Verborgenen abspielen kann, ist ein traumablindes soziales Umfeld, ein Umfeld also, das die Bedeutung bestimmter Vorfälle nicht erkennt oder ihre Wichtigkeit herunterspielt. Grund dafür kann ein Nichtwahrhabenwollen oder Verdrängung auf Seiten der Menschen um uns herum sein, oder es ist einfach Ausdruck eines gut gemeinten Bemühens, unser Unbehagen möglichst gering zu halten. Ganz ähnlich wie eine Mutter ihr Kind ablenkt, wenn es sich wehgetan hat, werden Menschen in unserem Umfeld vielleicht versuchen, uns von »schlimmen« Dingen abzulenken, die da stattfinden. Sie wollen nicht, dass uns etwas wehtut, und sie selbst wollen unserem Schmerz ebenfalls nicht ausgesetzt sein, weil sonst auch sie einiges davon spüren. In einer solchen Umgebung legt man uns nahe, Schlechtes, was passiert sein mag, hinter uns zu lassen. Aber aus den Augen ist nicht aus dem Sinn. Der stumme Abdruck des traumatischen Ereignisses bleibt und bringt unser System tüchtig aus dem Takt.

Es kann aber auch kollektive Scheuklappen gegenüber Traumen geben. Etwa wenn in einer traumablinden Kultur bestimmte Ereignisse als nicht auffällig gelten. Das trifft zum Beispiel zu, wenn eine bestimmte Form von zwischenmenschlicher Gewalt die Norm ist – sei es das Schlagen eines Kindes (oder einer Ehefrau), der sexuelle Kontakt zwischen einem Elternteil und seinem Kind, Vergewaltigung in der Ehe oder Genitalverstümmelung. Auch wenn solche Ereignisse innerhalb einer kulturellen Gruppe nicht »auffällig« sein mögen (also nicht als ungewöhnlich wahrgenommen werden), registriert das Nervensystem sie sehr wohl. Der bekannte Autor und Therapeut John Bradshaw rückte diesen Punkt ins öffentliche Bewusstsein, als er beschrieb, dass ein Erwachsener für ein kleines Kind wie ein Riese ist. Stellen Sie sich vor, dieser Riese baut sich mit hochrotem Kopf und hervorquellenden Augen vor Ihnen auf.

Nun hängen alle oben genannten Beispiele mit gesellschaftlichen Normen zusammen. Aber es gibt auch noch andere Traumen, die unsichtbar ablaufen können. Ein Beispiel hierfür wäre ein Beinahe-Unfall, bei dem jemand einen Moment lang Angst um sein Leben hatte. Ein anderes wäre das einer Patientin, die während einer Operation bei vollem Bewusstsein, aber vorübergehend bewegungsunfähig war und von einer enormen Hilflosigkeit überwältigt wurde. In wieder anderen Fällen, etwa bei Cathys Geschichte, die im Folgenden erzählt werden soll, werden die Traumen nicht wahrgenommen, da sie sich im Windschatten anderer Aspekte eines Ereignisses oder der Traumen anderer abspielen.

Cathy war acht Jahre alt, als sie und ihre jüngere Schwester in dem Getreide spielten, das in den Korntank des riesigen Mähdreschers rieselte, während ihr Onkel mit der Weizenernte beschäftigt war. Als der Zeitpunkt kam, das Getreide auf einen LKW abzuladen, setzte er aus alter Gewohnheit die Abladeschnecke im Korntank in Gang und vergaß dabei die dort spielenden Mädchen. Die kleinere der Schwestern erlitt schwere Verletzungen und verlor am Ende einen Fuß. Der Vater der Mädchen packte die Jüngere und rannte mit ihr zum Auto, während Cathy sich verzweifelt an der Seitenwand des Tanks festklammerte. Cathy trug zwar keine körperlichen Verletzungen davon, und doch war sie durch den Unfall eindeutig traumatisiert.

Alle zentralen Elemente eines Traumas waren bei Cathy gegeben: das Gefühl der Hilflosigkeit, die Angst um das eigene Leben, Horror und Schrecken überwältigenden Ausmaßes. Noch heute stehen wir ziemlich am Anfang, wenn es darum geht, die Wirkungsmechanismen von derartigen Vorfällen zu verstehen. Vor vierzig Jahren, als der Unfall geschah, erkannte man diese erst recht nicht ohne Weiteres. Was Cathys Trauma verschlimmerte, war die Tatsache, dass die Menschen um sie herum nichts davon mitbekamen und sich nicht um sie kümmerten. Die Schwester, die den sichtbaren Verlust erlitt, zog alle Aufmerksamkeit auf sich, und Cathy wurde gleich doppelt im Stich gelassen: zuerst unmittelbar in Verbindung mit dem Unfall, als sie zurückblieb, während ihr Vater das jüngere der Mädchen aus dem Korntank befreite und die Eltern für eine Woche bei ihrer jüngeren Tochter im Krankenhaus verschwanden, und dann, als niemand Cathys Trauma realisierte oder behandelte.

Wie wir sehen werden, hinterlässt jede traumatische Erfahrung, ob sichtbar oder unsichtbar, einen Abdruck im Nervensystem, das die primäre Instanz in uns ist, die ein Trauma registriert. Was im Nervensystem geschieht (unsere Reaktion auf die von uns wahrgenommene Bedrohung), entscheidet darüber, ob etwas traumatisch ist oder nicht. Es ist hilfreich, Ereignisse zu würdigen, die derartige Prägungen bei Ihnen hinterlassen haben könnten.

ÜBUNG:Identifikation Ihrer Traumen

Hier eine Übung, die Ihnen helfen könnte, Ereignisse, die Sie für sich vielleicht schon als traumatisch ausgemacht haben, näher zu betrachten und eventuell zusätzliche traumatische Belastungsfaktoren herauszufinden. Wie für jede Übung in diesem Buch gilt auch hier, dass sie vollkommen optional ist. Sie selbst beobachten, wozu Sie in der Lage sind, ohne dass es Sie allzu sehr aufwühlt. Sie können sich jetzt, später oder gar nicht mit ihr befassen. Wenn Sie sie durchführen, so sollten Sie es in einem Umfeld tun, in dem Sie sich sicher fühlen und zu einem Zeitpunkt, an dem Sie tun können, was Sie zu Ihrer Unterstützung brauchen, falls schwierige Gefühle aufsteigen. Sollten Sie merken, wie sich körperlich oder psychisch alles in Ihnen verkrampft, wie Sie vielleicht die Luft anhalten oder irgendwohin abdriften, rufen Sie sich in Erinnerung, dass Sie nun in Sicherheit sind und nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um Ihren Atem wahrzunehmen oder darauf zu achten, wie sich Ihr Kontakt mit dem Boden anfühlt.

Ermitteln Sie ein Ereignis in Ihrem Leben, das Ihr Organismus wahrscheinlich als massive Bedrohung erlebte.War dieses Ereignis damals für andere sichtbar? Wie reagierten sie?Wurde dieser Vorfall als traumatisches Erlebnis erkannt? Welche Hilfe haben Sie erhalten, sofern Sie welche erhielten?Wenn Sie heute über dieses Ereignis nachsinnen – worin schlägt es sich heute noch nieder? Beispielsweise reagieren Sie vielleicht besonders empfindlich auf das Geräusch einer Kreissäge, wenn Sie einmal einen Unfall mit einer solchen hatten. Oder auf Schüsse, wenn Sie einmal in eine Schießerei verwickelt waren. Hat die Heftigkeit, mit der Sie auf diese Reize reagieren, im Laufe der Zeit zu- oder abgenommen?Zu welchem Fazit sind Sie nach diesem Ereignis gelangt? Wenn Sie zum Beispiel von einer aufgebrachten Horde Menschen angegriffen und zusammengeschlagen wurden, könnten Sie daraus schließen, dass große Gruppen leicht außer Kontrolle geraten und gefährlich werden können. Und wenn Kinder früh Vertrauensbruch erleben, folgern sie daraus oft, dass man Menschen nicht über den Weg trauen kann.

Die gleiche Übung lässt sich mit anderen potenziell traumatisierenden Ereignissen wiederholen. Eine solche Auseinandersetzung mit Ihren Erfahrungen kann Ihnen helfen, Traumen zu ermitteln, die Sie beeinflusst haben mögen. Das ist ein erster Schritt zur Heilung. Sie können auch einmal darauf achten, welche der Faktoren, die im Abschnitt »Warum manche mehr leiden und manche weniger« aufgeführt werden, auf Sie zutreffen. Zum Beispiel, ob die traumatische Erfahrung sich wiederholte, vorhersehbar war, in welchem Alter sie auftrat und so weiter.

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit dafür, zu würdigen, was Sie durchgemacht haben. Sie sind auf einer sehr fundamentalen Ebene bedroht gewesen, und Sie haben überlebt. Schicken Sie mitfühlende Gedanken an den emotionalen Teil von Ihnen, der das Trauma erlebt hat und an Ihren Körper für das, was er durchstehen musste.

Bleibt das für immer so?

Wir alle haben diesen Spruch schon gehört: »Das Leben geht weiter«. Für diejenigen aber, die im Trauma stecken geblieben sind, lautet die traurige Wahrheit, dass das Leben ohne Hilfe irgendeiner Art eben nicht einfach so weitergeht, sie kommen von diesen unverdauten Ereignissen nicht weg. Die Spuren des Traumas verfolgen sie überall und sorgen dafür, dass sie nie einfach nur im Hier und Jetzt sind. Ständig wird die Gegenwart vom in der Vergangenheit Vorgefallenen beeinflusst – vergleichbar mit einem Computervirus, der alles infiziert, womit er in Kontakt kommt.

Der Körper-Geist braucht Zeit, um sich wieder aufzurichten, sich von den Mechanismen und unbewussten Kräften zu lösen, die dafür sorgen, dass die schreckenerregenden Spuren des Traumas uns weiter so unter die Haut gehen, und es braucht Zeit, bis das Nervensystem wieder auf null steht. Das ist eine enorme Arbeit, eine schwere, schwere Aufgabe, aber es ist nicht unmöglich. Es ist wichtig, dass Sie sich darüber im Klaren sind. Sie werden vielleicht immer etwas empfindlich auf bestimmte Dinge reagieren, aber die meisten Symptome, die Sie plagen, lassen sich auflösen. Es gibt ein Leben jenseits des Traumas.

Zwei Formen von Leid

Es gibt zwei Formen von Leid, über die Sie Bescheid wissen sollten. Die eine ist das Leid, das auf Dinge zurückgeht, die passiert sind (der Verlust, der Vertrauensbruch, die Verletzung oder was auch immer). Dazu gehört auch das Leid, das damit verbunden ist, mit dieser Erfahrung und den entsprechenden Symptomen leben zu müssen. Wenn Sie Glück haben, nimmt dieses Leid im Laufe der Zeit ab, obwohl das bei Menschen, die unter voll ausgebildeten Traumasyndromen leiden, eher nicht der Fall ist. Ein Teil von diesem Leid ist aber eigentlich das Ergebnis der Strategien, die wir anwenden, um uns dem wirklichen Schmerz über das Geschehene nicht aussetzen zu müssen und resultiert daraus, wie wir uns bei dem Versuch, dafür zu sorgen, dass uns nichts passiert, »schachmatt« setzen.

Wenn wir fest entschlossen sind, die eigene Heilung voranzutreiben, öffnen wir uns für eine andere, die zweite Art von Leid: den Schmerz, der mit zum Heilungsprozess gehört. Das ist der Schmerz, der zuvor zu massiv gewesen war, um ihn fühlen zu können. Es ist der Schmerz, den wir während der traumatischen Ereignisse blockiert haben und der in uns aufsteigt, wenn wir die volle Wucht des Traumas spüren. Traumatische Ereignisse sind wie Diebe, die uns etwas Kostbares rauben. Vielleicht rauben sie uns die Kindheit, unsere Gesundheit, bestimmte Träume, das Vertrauen oder das Zutrauen zu uns selbst – es gibt viele Möglichkeiten, und mit einer muss es nicht getan sein.

Im Heilungsprozess betrauern wir diese Verluste. Wir fühlen den Schmerz des einsamen Kindes, das auf Liebe wartet und schließlich aufgibt. Wir öffnen uns für das angstvolle Entsetzen, dass wir unmittelbar vor dem Aufprall, der Messerattacke, dem Angriff des Bären oder was auch immer verspürt haben. Wir öffnen uns für die Hilflosigkeit und für die Wut, für die damit verbundenen körperlichen Empfindungen, für den Hass, für all das. Wenn wir entsprechend damit umgehen, bekommt dieses Leiden etwas Therapeutisches. Wir finden Heilung. Bei einem weniger geschickten Umgang damit können wir darin ertrinken.

Vielleicht fragen Sie sich, ob die Sache, diese zweite Art von Leid, die zur Heilung gehört, es wert ist, und einige beantworten sich diese Frage vielleicht mit Nein. Doch ohne diese Form von Leid zu durchleben schaffen wir es oft nicht, aus der ersten Form von Leid herauszukommen. Abgesehen davon erschwert die erste Form von Leid es vielen immens, im Leben zu funktionieren oder jedenfalls in vollen Zügen zu leben.

Für mich war der mit der Heilung verbundene Schmerz sehr schwer zu ertragen. Er war in vielerlei Hinsicht stechender als der Schmerz davor, aber: er war zeitlich begrenzt und irgendwann vorbei. Der Schmerz dagegen, der ihm vorangegangen war, hätte für den Rest meines Lebens fortbestanden. Vielleicht hätte er zwischendurch auch immer wieder ausgesetzt und wäre oft nur dumpf zu spüren gewesen, aber er hatte eine Wirkung, mit der er vieles untergrub. Dieser frühe Schmerz, das Leid, mit dem ich noch nicht meinen Frieden geschlossen hatte, zog viele versteckte Kosten nach sich.

Ich erinnere mich noch sehr klar, wann ich beschloss, dass sich etwas ändern müsste. Ich war mit jemandem aus meinem Freundeskreis auf einer Wanderung und merkte, dass unter der Oberfläche eine Bitterkeit in mir brodelte. Die Bitterkeit war mir vertraut, ich hatte sie nur noch nie so konkret wahrgenommen. Verbittert zu sein, war das allerletzte auf der Welt, was ich für mich wollte, also ging ich nach Hause und überließ mich dort dem Schmerz, der sich zu dieser Bitterkeit verhärtet hatte.

Mich dem Schmerz so hinzugeben, war ein Wendepunkt für mich. In jenem Sommer damals weinte ich fast jeden Tag. Es gehörte mit dazu, die emotionale Komponente zuzulassen, die bei vielen meiner zuvor zurückgekehrten Erinnerungen nur teilweise vorhanden gewesen war und zugleich der Beginn eines tieferen Betrauerns meiner Verluste. Das Weinen als solches brachte keine Lösung für mich. Aber es gehörte schon mit zu dem, was mich auf das vorbereitete, was später kam, als sich die Gelegenheit bot, die Wunden mit einer qualifizierten Traumatherapeutin wirklich zu reinigen.

Schlimme Dinge passieren. Sie können uns für den Rest unseres Lebens bitter machen und traumatisieren, oder wir können sie langsam integrieren, uns den Weg durch den mit ihnen verbundenen Schmerz bahnen, während wir gleichzeitig weicher und stärker, weiser und weniger zynisch werden. Sie haben sich nicht ausgesucht, was geschehen ist. Aber Sie können wählen, welchen Weg Sie heute beschreiten wollen.

Zehn Punkte, die Sie sich merken sollten

Während traumatischer Ereignisse fühlen Sie sich hilflos und überwältigt. In gewissem Umfang wirksame Maßnahmen ergreifen zu können oder etwas auszublenden, was das eigene Leben bedroht, bewahrt vor den Auswirkungen ansonsten traumatisierender Ereignisse.Indem es Sie überwältigt, verändert ein Trauma die physiologischen Abläufe in Ihnen und wie Sie sich selbst und Ihre Welt erleben. Kein Wunder, dass sich Dinge für Sie so anders anfühlen!Es hat ganz bestimmte Gründe, warum wir unterschiedlich stark in der Lage sind, uns nach Traumen zu erholen. Einige Traumen schränken uns stärker ein als andere, und außerdem sind wir nicht alle mit den gleichen Schutzfaktoren gesegnet, die uns helfen würden, mit einem Trauma zurechtzukommen.Wenn Ihnen eine Menge Schlimmes passiert ist, ist das kein Spiegel von Ihnen. Es geht einfach auf das zurück, was geschehen ist, und Sie haben (leider) mehr zu schultern als der Durchschnittsmensch. Ein größeres Päckchen zu tragen zu haben kann mit etwas Arbeit dazu führen, größere Stärken zu entwickeln.Gewaltsame Übergriffe von jemandem zu erleben, dem man vertraut und von dem man abhängig ist, hat viel weitreichendere Konsequenzen als Traumen, an denen keine Person beteiligt ist (etwa Naturkatastrophen) oder der tätliche Angriff eines Fremden.Selbst Traumen, die wir aus unserem Bewusstsein verdrängt haben, üben eine enorme Wirkung auf uns aus. Sie beeinflussen unser Nervensystem, unseren Körper, unsere Reaktionen auf Ereignisse, unsere Entscheidungen, unsere Gefühle im Hinblick auf uns selbst und andere sowie viele weitere Aspekte unserer Erfahrungswelt. Aus den Augen ist nicht aus dem (Körper)-Sinn.Unterstützung zu erfahren, mildert die Auswirkungen von Traumen. Wenn Sie nach einem verheerenden Ereignis Unterstützung bekommen können, wird es Ihnen mit Sicherheit helfen.Unverdaute Traumen lassen uns häufig verbittert und brüchig geworden zurück. Wir sind brüchig geworden. Wenn Sie das Geschehene integrieren und Ihr System heilen können, werden Sie in der Folge glücklicher und resilienter.Es gehört zur Heilungsarbeit, sich für Verletzungen, Angst und Schrecken und für alles andere zu öffnen, was damals zu viel war, als dass wir uns erlauben konnten, es zu fühlen. Aber das Leiden hat seinen Sinn und geht außerdem nicht endlos weiter.Sie können nichts ändern an dem, was geschehen ist. Aber Sie können die Spuren verändern, die es in Ihnen hinterlässt. Sie können Heilung finden. Dazu kommt es nicht automatisch, aber es kann geschehen, wenn Sie sich dem Heilungsprozess überlassen.

2 Es ist etwas Körperliches

Wenn wir die Auswirkung von Traumen auf den Körper verstehen, hilft uns das, ihre Symptome zu begreifen (Kapitel 3 und 4) und diese besser zu bewältigen (Kapitel 8 und 9). So groß das Durcheinander auch sein mag, das ein Trauma in unserem Kopf anrichtet – im Grunde ist das Ganze eine körperliche Angelegenheit. Nicht, dass man Traumen auf etwas Physiologisches reduzieren könnte (zumindest meiner Ansicht nach) – aber ebenso wenig kann man sie davon trennen.

In diesem Kapitel betrachten wir einige grundlegende Aspekte der physiologischen Abläufe bei Traumen und was der menschliche Körper braucht, um sich wieder zu fangen.

Was geschieht bei einem Trauma?

Ein traumatisches Ereignis ist für den Körper ein Notfall, und auf diesen Notfall reagiert er. Mitunter tut er dies durch Kampf oder Flucht, wovon wir ja alle schon gehört haben, aber manchmal geht weder das eine noch das andere, und ihm bleibt nichts anderes übrig, als in einen Zustand der Erstarrung zu verfallen. Wahrscheinlich kennen Sie dieses Gefühl aus eigener Erfahrung, denn die meisten von uns haben es zumindest schon einmal für kurze Momente erlebt – wenn nicht sogar in einem Moment, in dem es zu einem echten Trauma kam. Dieses Erstarren wird auch als Immobilitätsreaktion oder in der Tierwelt auch als Totstellreflex bezeichnet, da wir uns vor Angst und Schreck nicht mehr rühren können, wie gelähmt sind.