Das Haus der Träume - Rachel Hore - E-Book
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Das Haus der Träume E-Book

Rachel Hore

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Beschreibung

Ein Familiengeheimnis-Roman vor atmosphärischer, englischer Kulisse

Für Kate scheint ein lang gehegter Traum wahr zu werden: Sie und ihr Mann Simon ziehen mit ihren zwei kleinen Kindern an die Küste von Suffolk und lassen die Hektik der Großstadt hinter sich. Doch Monate später fragt sich Kate, ob die Entscheidung für das Landleben wirklich richtig war. Die Arbeitstage ihres Mannes werden immer länger, und auch das richtige Haus ist noch nicht gefunden. Bis Kate eines Abends unverhofft vor einer wunderschönen Villa steht, dem Haus ihrer Träume. Als sie deren ältere Besitzerin Agnes kennenlernt, stößt sie auf seltsame Gemeinsamkeiten und erfährt von einer tragischen Liebesgeschichte, die bis in die 1920er-Jahre zurückreicht ...

Weitere Romane von Rachel Hore bei beHEARTBEAT:

Der Garten der Erinnerung.

Das Erbe des Glasmalers.

Die Karte des Himmels.

Jene Jahre in Paris.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Rechtlicher Hinweis

Widmung

Stammbaum

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

Danksagung

Weitere Titel der Autorin:

Das Erbe des Glasmalers (alter Titel: Der Zauber des Engels)

Der Garten der Erinnerung

Die Karte des Himmels

Jene Jahre in Paris

Das Bienenmädchen

Wo das Glück zuhause ist

Das Geheimnis von Westbury Hall (November 2019)

Über dieses Buch

Ein Familiengeheimnis-Roman vor atmosphärischer, englischer Kulisse

Für Kate scheint ein lang gehegter Traum wahr zu werden: Sie und ihr Mann Simon ziehen mit ihren zwei kleinen Kindern an die Küste von Suffolk und lassen die Hektik der Großstadt hinter sich. Doch Monate später fragt sich Kate, ob die Entscheidung für das Landleben wirklich richtig war. Die Arbeitstage ihres Mannes werden immer länger, und auch das richtige Haus ist noch nicht gefunden. Bis Kate eines Abends unverhofft vor einer wunderschönen Villa steht, dem Haus ihrer Träume. Als sie deren ältere Besitzerin Agnes kennenlernt, stößt sie auf seltsame Gemeinsamkeiten und erfährt von einer tragischen Liebesgeschichte, die bis in die 1920er-Jahre zurückreicht …

Über die Autorin

Rachel Hore, geboren in Epsom, Surrey, hat lange Zeit in der Londoner Verlagsbranche gearbeitet, zuletzt als Lektorin. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen in Norwich. Sie arbeitet als freiberufliche Lektorin und schreibt Rezensionen für den renommierten Guardian. Mehr über die Autorin und ihre Bücher erfahren Sie unter www.rachelhore.co.uk.

Rachel Hore

Das Haus der Träume

Familiengeheimnis-Roman

Aus dem britischen Englisch von Barbara Ritterbach

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2006 by Rachel Hore

Titel der englischen Originalausgabe: „The Dream House“

Originalverlag: Pocket Books UK, an Imprint of Simon & Schuster UK Ltd.

Für diese Ausgabe:Copyright © 2007/2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Melanie Blank

Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock: yykkaa | irin-k ; © trevillion/Yolande de Kort

eBook-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-7722-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Dieser Roman ist ein fiktionales Werk. Namen und Figuren sind das Ergebnis der Fantasie der Autorin oder sind fiktiv gebraucht. Jegliche Ähnlichkeit zu realen Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Für meine Mutter und

zum Andenken an meinen Vater

1. KAPITEL

London, November 2002

Nun mach schon, geh endlich ran«, murmelte Kate in die Sprechmuschel. Ihr Blick heftete sich auf das Foto an der Wand ihres tristen, fensterlosen Büros. Es zeigte ihren Mann Simon mit Daisy und dem kleinen Sam. Sie lauschte eine Weile auf das ferne Klingelzeichen, dann legte sie wieder auf. Wo steckte Tasha bloß? Das Kindermädchen hätte sie doch sicher angerufen, wenn es Sam schlechter ginge!

Kate kramte ihr Handy aus ihrer Handtasche und gab Tashas Mobilnummer ein. Sie landete auf ihrer Mailbox. Verdammt!

»Tasha, hier ist Kate. Ich hoffe, bei euch ist alles okay. Ich wollte wissen, wie es Sam geht. Vielleicht können Sie mich kurz im Büro anrufen.«

Sie steckte das Handy in ihre Jackentasche und versuchte die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Sam hatte wahrscheinlich nur einen harmlosen Magen-Darm-Infekt, aber er war an diesem Morgen fiebrig und erschreckend schwach gewesen. Nicht mal das Wasser, das sie ihm eingeflößt hatte, hatte er bei sich behalten. Natürlich würde Tasha wissen, was zu tun war, aber … Ich hätte mich krankmelden und mit ihm zu Hause bleiben sollen, warf Kate sich vor.

Nein, hättest du nicht, widersprach eine Stimme in ihrem Kopf. Tasha kommt gut allein zurecht. Was wäre denn passiert, wenn du heute Morgen nicht im Fernsehstudio erschienen wärst, um Susie Zee das Händchenzu halten? Susie hätte sichvermutlich geweigert, in dieser Talkshow aufzutreten, und dann wäre die Hölle los gewesen!

Kate musste zugeben, dass die unbequeme Stimme der Vernunft Recht hatte. Susie war eine süße, aber ziemlich naive Sängerin und Songschreiberin, deren recht freizügige Autobiografie gerade bei Jansen & Hicks erschienen war, dem Verlag, für den Kate Öffentlichkeitsarbeit machte. In der letzten Woche hatte sie Susie und ihr Buch durch die Londoner Medienlandschaft gelotst und versucht, sie vor den Folgen zu bewahren, die ihr nach der Enthüllung diverser Affären mit Prominenten aus dem Showgeschäft drohten. Es war riskant genug gewesen, Susie zu einer Signierstunde in der Obhut des Londoner Verkaufsleiters zu lassen und einfach mit dem Taxi zurück ins Büro an der Warren Street zu fahren, um dort rasch das Wichtigste zu erledigen und dann früh Feierabend zu machen. Sie konnte nur hoffen, dass alles gut ging.

Kate warf einen Blick auf ihre Armbanduhr – schon Viertel nach zwölf – und betrachtete das Chaos auf ihrem Schreibtisch. Kaum zu glauben, was sich da an einem einzigen Vormittag angesammelt hatte! Berge neuer Bücher, schwankende Manuskriptstapel und Zeitungen, sogar ein Haufen Plastikkobolde mit fluoreszierenden Haaren – ein Werbeartikel zur Einführung eines Kinderbuches. Wieso laden die Leute eigentlich immer alles bei mir ab?, dachte sie mürrisch. Kate schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schaltete ihren Computer ein. Wie schon so häufig, wünschte sie sich, sie hätte eine Assistentin, aber leider befand sie sich dazu noch viel zu weit unten auf der Karriereleiter.

Das Telefon klingelte, und sie nahm hastig ab. Vielleicht war es ja Tasha.

»Kate? Hier ist Adam. Tut mir leid, dass ich dich schon wieder nerven muss, aber es gibt da ein Problem …«

Kate sank in sich zusammen. Adam Jacobs hatte gerade seinen ersten Roman veröffentlicht und brauchte ungeheuer viele Streicheleinheiten. Normalerweise hätte sie ihm diesen Zuspruch gern gegeben, aber jetzt musste sie ihn dringend abwimmeln. Sie klemmte den Hörer zwischen Kinn und Schulter und begann, das Chaos auf ihrem Schreibtisch zu sortieren – Bücher auf einen Stapel neben dem Schreibtisch, die Kobolde in eine Kiste, Manuskripte, Briefe und Zeitungen in verschiedene Ablagekörbe –, während sie sich Adams neuestes Problem anhörte: Der Buchhändler in seiner Wohngegend führte seinen Roman nicht.

»Adam, dafür gibt es sicher eine ganz einfache Erklärung. Uuups!« Ein Bücherstapel fiel krachend in sich zusammen. »Ich schreibe dem Verkaufsleiter sofort eine Mail, okay? Ja, ja, klar. Ich weiß. Adam, ich muss jetzt dringend in eine Besprechung. Bis bald.«

Sie knallte den Hörer auf, schob die heruntergefallenen Bücher zusammen und riss die Haftzettel ab, die überall auf ihrem Bildschirm klebten.

Das Telefon klingelte schon wieder. »Kate, hier ist Patrick. Wo zum Teufel waren Sie?«

O nein! Das hatte sie völlig verschwitzt. Sie hatte einen Termin mit dem Verlagsleiter und seinem Bestsellerautor gehabt! Patrick wollte den Mann unbedingt für einen weiteren Krimi unter Vertrag nehmen, aber der Autor hatte darauf bestanden, sich vorher von Kate zusichern zu lassen, dass das Buch auch die nötige Publicity bekam.

»Es tut mir so leid«, stammelte sie. »Das habe ich völlig vergessen. Ich war nicht im Büro und … Ja, ich weiß, es ist jetzt zu spät. Entschuldigung. Es war wegen Susie … Nein, natürlich nicht, Patrick – ja, ich weiß, dass es meine Schuld ist. Ja. Es tut mir wirklich leid.«

Er knallte den Hörer auf, und Kate schlug die Hände vors Gesicht. Seine wütende Stimme dröhnte noch immer in ihren Ohren. Wenn der Vertrag nicht zustande käme, hatte er getobt, sei das ganz allein ihre Schuld.

Es ist ja auch deine Schuld, schimpfte die oberlehrerhafte Stimme in ihrem Kopf. Es musste irgendwann so kommen.

Aber ich habe doch so viel um die Ohren und keinen, der mir hilft. Was soll ich denn machen?, wehrte Kate sich verzweifelt.

Du solltest dich besser organisieren. Sag öfter Nein.

Kate seufzte. Klar, und dann wirft man mir vor, nicht belastbar zu sein. Ich weiß nicht, wo diese berufstätigen Mütter ihren Verstand lassen, hatte sie Patrick erst kürzlich sagen hören. Dieser Mistkerl! Seine Assistentin hatte zwei Monate nach ihrer Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub gekündigt, weil sie »das Tempo einfach nicht mehr halten konnte«. Damit meinte er wahrscheinlich, jeden Abend bis sieben im Büro zu sitzen und am Wochenende noch Arbeit mit nach Hause zu nehmen.

In solchen Augenblicken wünschte sich Kate, zaubern zu können wie Harry Potter. Dann würde sie Patrick mit einer ehrgeizigen Karrierefrau verheiraten, ihm eine gewaltige Hypothek aufbrummen und Drillinge, die nur drei Stunden Schlaf pro Nacht brauchten – zu verschiedenen Zeiten, das verstand sich von selbst. Damit er mal sah, wie das war.

»Hi, Kate. Wollen Sie etwa schon wieder weg?« Annabelle, die Sekretärin von Kates Chefin Karina, schwebte in einer Anna-Sui-Parfümwolke ins Zimmer. »Karina hat gerade angerufen. Sie sitzt im Zug aus Leeds fest und schafft es nicht rechtzeitig zum Lunch mit James Clyde. Sie müssen das übernehmen.«

»Na wunderbar! Der hat mir gerade noch gefehlt.« Kate fuhr sich mit den Händen durch ihren dunklen Bob. Der nervtötende James Clyde, einer der älteren Autoren, war der Letzte, den sie an diesem Tag würde ertragen können. Aus Anlass der Veröffentlichung seines achtzehnten Politthrillers fand in der verlagseigenen Kantine ein Lunch statt. Das würde sie nicht durchstehen. Konnte das denn nicht jemand anders machen?

Annabelle hatte ihre Gedanken offenbar erraten, denn sie sagte hastig: »Außer uns beiden ist niemand da – und ich habe zu tun. Schließlich muss hier unten ja jemand die Anrufe entgegennehmen.«

Kate sprang wütend auf und beugte sich über den Schreibtisch. Auf ihren sonst so blassen Wangen machten sich rote Flecken breit, ihre grünen Augen blitzten vor Zorn. Mit ihren eins dreiundsechzig überragte sie die kleine Annabelle im Minirock nur knapp. »Wie Sie meinen«, zischte sie. »Aber ich möchte sofort informiert werden, wenn es etwas Wichtiges gibt. Es gibt hier nämlich Leute, die noch richtig arbeiten.«

Zu der erlesenen Gesellschaft, die sich in dem kleinen, aber eleganten Speiseraum von Jansen & Hicks versammelt hatte, gehörten neben James Clyde, einem korpulenten Mann Mitte sechzig mit schütterem Haar, auch Robert Goss, der Vorstandsvorsitzende des Verlagshauses, Felicity, Clydes geduldig leidende Lektorin, sowie zwei Verkaufsleiter. Kate hatte sich bisher zu folgenden Themen äußern dürfen: zum Spiel des FC Chelsea am vergangenen Samstag, von dem sie nicht den leisesten Schimmer hatte und das sie auch nicht interessierte; zum neu gestalteten Empfangsbereich des Verlagshauses; zu Jeffrey Archers jüngstem Projekt …

Sie warf einen verstohlenen Blick auf ihre Armbanduhr – halb zwei – und tastete nach dem Handy in ihrer Jackentasche. Ob sie sich für einen Moment entschuldigen und hinausgehen konnte, um Tasha noch einmal anzurufen? Genau in diesem Augenblick wandte sich James Clyde an sie und fragte: »Und welche anderen spannenden Projekte betreuen Sie gerade, meine Liebe?«

Kate reagierte blitzschnell. »Unser Buch Die verloreneGeneration läuft ganz ausgezeichnet«, antwortete sie. »Es handelt vom gesellschaftlichen Leben in den Zwanzigerjahren. Die Rezensionen sind bisher äußerst erfreulich. Die Party zum Verkaufsstart findet im Oxo Tower statt. Und die Fernsehserie …«

Aber Clyde hatte seine Aufmerksamkeit längst wieder seinem Lieblingsthema zugewandt – sich selbst.

»Genau darüber wollte ich mit Ihnen sprechen, Robert«, unterbrach er sie mit seiner unangenehm schrillen Stimme und wandte sich an Goss. Dabei fuchtelte er mit seinem Löffel aufgeregt in der Luft herum. »Irgendwie stößt mein Buch in der Presse nicht auf so viel Resonanz, wie ich es gewohnt bin«, lamentierte er. »Vielleicht sollte man diesem Typen vom Feuilleton der Sunday Times ein wenig mehr Druck machen.«

Kate dachte an ihre letzte Unterredung mit besagter Person, bei der es sich durchaus nicht um einen »Typen« handelte. »James Clyde? Gott, lebt der etwa immer noch?«, hatte sie gesagt.

Robert Goss reagierte, wie er in solchen Fällen immer reagierte. Er wälzte das Problem ab.

»Also, Katherine, Sie haben es gehört. Was gedenken Sie in James’ Fall zu unternehmen?«

Kate umklammerte ihr Wasserglas. Sie dachte an ein weiteres Gespräch ein paar Wochen zuvor, bei dem sie den Chefredakteur von Motoring Monthly regelrecht angefleht hatte, James Clyde mit dem Buch in der Hand in seinem silbernen Lamborghini zu fotografieren. Das war die einzige Werbeaktion für den Autor, die bisher gelungen war.

Während sie fieberhaft überlegte, wie sie aus der Sache herauskam, erschien die Rettung in Gestalt von Annabelle. Ohne anzuklopfen, kam sie in den Raum gestürmt.

»Wichtige Nachrichten für Kate«, stieß sie mit aufreizendem Augenaufschlag aus und drückte sich an Robert Goss vorbei, um Kate einen Stapel gelber Notizzettel in die Hand zu drücken. Dann verschwand sie wieder.

Den anwesenden Männern hatte ihr Anblick für einen Moment die Sprache verschlagen, und Felicity nutzte die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln.

Rasch sah Kate die Notizen durch. Ihre Erleichterung über die Unterbrechung war schnell dahin. Auf dem ersten Zettel stand: SUSIE, BUCHHANDLUNG BORDERS. ZIEMLICH SAUER. BITTE ZURÜCKRUFEN. Okay, das war vorauszusehen gewesen. Dann: IHR MANN HAT ANGERUFEN. KRISENSITZUNG IM BÜRO. SCHAFFT ES LEIDER NICHT ZUM DINNER. Oje, noch etwas, das sie völlig vergessen hatte! Sie hatten Liz und Sarah mit ihren Männern zum Abendessen eingeladen. Und das mit einem kranken Sam? Unmöglich. Sie würde ihnen mal wieder absagen müssen. Die dritte Nachricht stammte von Tasha. Endlich! WAREN BEIM ARZT. SAM GEHT ES VIEL BESSER.Gott sei Dank. Kate spürte, wie die Anspannung von ihr wich. Doch dann blickte sie auf den letzten Notizzettel, und ihr Magen begann sich zu drehen. DRINGEND! ANRUF VON DAISYS SCHULE. DAISY HAT AUSSCHLAG UND STARKE KOPFSCHMERZEN – MENINGITIS??? WURDE INS CHELSEA & WESTMINSTER HOSPITAL EINGELIEFERT.

Kate wusste später nicht mehr genau, wie sie nach unten ins Foyer gekommen war. Felicity sagte ihr, sie habe die Todsünde begangen, Robert Goss bei einem seiner langweiligen Witze zu unterbrechen. Am ganzen Körper zitternd, stieß sie gegen die Drehtüren, die ihr so furchtbar langsam vorkamen, und dann stand sie draußen auf der Straße und sah sich hektisch um. U-Bahn oder Taxi? Sie entschied sich für ein Taxi und winkte jedem, das vorbeifuhr, wie eine Wahnsinnige zu, bis endlich eins anhielt. Sie riss die Tür auf und warf sich auf den Rücksitz. Hastig erklärte sie dem Fahrer die Situation. Er nickte mitfühlend und steuerte den Wagen sofort quer über drei Spuren, um den Rechtsabbieger noch bei Grün zu schaffen. Kate klammerte sich an den Haltegriff, während der Taxifahrer in südwestliche Richtung raste. Sie sah die kleine fünfjährige Daisy vor sich, blond und blauäugig, mit ihrem strahlenden Lächeln. Die Vorstellung, dass sie nun mit lauter Schläuchen in einem Krankenhausbett lag, war nach dem stressigen Tag einfach zu viel.

Kate tastete neben sich. Sie brauchte dringend ein Taschentuch, aber ihre Handtasche war nirgends zu finden. Sie hatte sie im Büro vergessen. Auch das noch! Wie sollte sie denn jetzt das Taxi bezahlen? Sie kramte in ihrer Jackentasche, zog ihr Handy heraus und wählte Simons Büronummer.

»Warum tun wir uns das eigentlich an?«, fragte Kate ihren Mann später. Es war Viertel nach zehn, und Simon war erst vor zwanzig Minuten hungrig und erschöpft nach Hause gekommen. Jetzt saßen sie sich in der Küche ihres Reihenhauses in Fulham gegenüber, und er aß hastig von dem baskischen Huhn, das sie am Tag zuvor für das abgesagte Dinner vorbereitet hatte. »Das Leben kommt mir in letzter Zeit vor wie ein Hindernisrennen.«

Simon legte die Gabel aus der Hand und sah Kate unter seinem widerspenstigen blonden Haarschopf hervor an. Er rieb sich die Augen, dann nahm er ihre Hand und drückte sie.

»Du Ärmste!«, sagte er. »Was für ein schrecklicher Tag! Wenigstens ist mit den Kindern wieder alles in Ordnung. Sie schlafen ganz friedlich. Sam scheint sämtliche Kuscheltiere, die er besitzt, mit ins Bett genommen zu haben.«

»Hoffentlich muss er sich heute Nacht nicht übergeben. Die Hälfte von ihnen kann man nämlich nicht waschen.« Kate stand auf und holte das Dessert aus dem Kühlschrank – eine große Schüssel Sahnepudding mit Erdbeeren, an der sie die ganze Woche essen würden. Sie setzte sich wieder und häufte Simon eine Portion auf den Teller, während sie sich selbst nur ein paar Früchte herauspickte. Von Sahne bekam sie immer Pickel, abgesehen von den Fettpölsterchen an ihren Hüften. Seit Sams Geburt hatte sie sechs Kilo zu viel, die sie einfach nicht loswurde, und sie sah im Moment schlimm genug aus. Müde fuhr sie sich durch die strähnigen Haare. Ihre Bluse und ihr Rock waren nach sieben Stunden mit zwei kranken Kindern zerknautscht und fleckig.

»Du kannst dir vorstellen, in welchem Zustand ich war, als ich endlich im Krankenhaus ankam«, erzählte sie Simon. Während sie im Verkehr feststeckten, hatte sie dem Taxifahrer gebeichtet, dass sie kein Geld hatte, um ihn zu bezahlen, aber er hatte sich sehr verständnisvoll gezeigt. Er habe selbst Kinder, sagte er, und sei ohnehin auf dem Heimweg gewesen. Kate hatte sich überschwänglich bedankt, war aus dem Wagen gesprungen, zum Empfang gehastet und von dort aus auf die Kinderstation.

»Und da saß Daisy mit ihrer Lehrerin in einem Nebenraum und strahlte mich mit ihrem süßen Daisy-Lächeln an. Ich habe sie in die Arme genommen und gar nicht mehr losgelassen. Der Arzt meinte, sie habe lediglich einen harmlosen Ausschlag, aber weil ihr gleichzeitig schlecht geworden sei und sie darüber hinaus über Kopfschmerzen geklagt habe, hätten sie befürchtet, es könne etwas Ernsteres sein. Du glaubst gar nicht, wie froh ich war.«

»Das kann ich mir gut vorstellen. Es tut mir wirklich leid, dass du mich nicht erreichen konntest. Ich verstehe gar nicht, wieso Zara nicht Gillingham auf seinem Handy angerufen hat. Sie wusste doch, dass ich mit ihm unterwegs war.« Simon hatte sein eigenes Handy im Büro liegen lassen, und als er Kates verzweifelte Nachricht endlich erhielt, hatte sich die Lage längst entspannt.

»Die arme Tasha hat morgen zwei kranke Kinder am Hals. Im Moment ist es aber auch wirklich wie verhext, nicht?« Müde fuhr Kate sich durchs Gesicht.

Simon schob seinen Stuhl zurück und kam zu ihr. »Armer Schatz.« Sie spürte seinen warmen Atem, als er sie küsste. Dann ließ er sie ganz plötzlich los und wandte sich ab.

»Ist was?«, fragte Kate. Er wirkte auf einmal so nervös.

»Tja, weißt du, vielleicht ist das nicht der beste Zeitpunkt, es dir zu sagen, Kate, aber ich musste deshalb so lange im Büro bleiben, weil wir eine Krisensitzung hatten. Schlechte Nachrichten. Dieses Jahr gibt es keine Gratifikationen, und ein paar Leute müssen gehen. Keine Sorge, ich nicht – noch nicht«, fügte er schnell hinzu, als er Kates entsetztes Gesicht sah, und versuchte beruhigend zu lächeln.

Es wurde ganz still. Beide dachten sie an eine schwierige Zeit in der Vergangenheit zurück. Daisy war gerade unterwegs gewesen, und Simon war fast ein Jahr arbeitslos. Ihre Ehe war harten Belastungen ausgesetzt gewesen, an die Kate nicht gern zurückdachte. Nach Daisys Geburt war alles noch schlimmer geworden. Kate hatte monatelang an schweren Wochenbett-Depressionen gelitten, die der Arzt auf ihre psychologische Vorgeschichte zurückführte. Als Kate siebzehn war, war ihre Schwester Nicola bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die schwierige Geburt und die plötzliche Verantwortung für den Säugling hatten dieses unbewältigte Trauma wieder aufbrechen lassen.

Und dann war am zweiten Weihnachtstag auch noch Simons Vater, der erst kurze Zeit vorher seine Landarztpraxis aufgegeben hatte, an einem Herzinfarkt gestorben. Simons Mutter war am Boden zerstört gewesen, und da Simon ihr einziges Kind war, waren sie monatelang zwischen London und Suffolk hin- und hergefahren, um ihr beizustehen.

Ganz allmählich war es wieder aufwärts gegangen. Simon fand eine neue Stelle – auch wenn sie nicht mit seinem früheren Job zu vergleichen war –, Kate sprach auf die Therapie an, und irgendwann waren sie über den Berg.

Als Kate anderthalb Jahre später wieder schwanger wurde, war sie ziemlich beunruhigt, aber mithilfe ihres Arztes bewältigte sie den Babyblues bei Sam wesentlich besser. Noch heute litt sie unter gelegentlichen Stimmungstiefs und musste die Hilfe eines Therapeuten in Anspruch nehmen, der ihr dringend riet, Stress zu meiden. Doch das war leichter gesagt als getan. Die Tatsache, dass Simon nun nicht die erhoffte Gratifikation erhielt, war ein weiterer Schlag.

»Eigentlich war das zu erwarten«, meinte sie.

Simon nickte. »Ja, nach den Zahlen des Vormonats …«

»Dann müssen wir wohl noch eine Weile hier wohnen bleiben.« Kates Stimme zitterte. Sie sah sich in der kleinen Küche um. Einen Moment kam es ihr vor, als bewegten sich die Wände auf sie zu.

»In dieser Gegend werden wir uns jedenfalls vorerst kein größeres Haus leisten können.« Auch Simon war die Enttäuschung deutlich anzuhören.

Von der Gratifikation hatte eine Menge abgehangen. Seit Tasha bei ihnen wohnte, waren drei Schlafzimmer einfach zu wenig. Und das Wohnzimmer war für eine Familie mit zwei Kindern und deren ganzem Spielzeug schon wieder viel zu klein, obwohl sie es durch das Herausreißen einer Wand vergrößert hatten.

Kate blickte aus dem Fenster in den winzigen Garten; die leeren Terrakottatöpfe schienen sich in der kühlen Novemberluft Schutz suchend aneinanderzudrängen. Das Haus in einer der Wohnstraßen, die von der Fulham Palace Road abgingen, war für sie nie zu einem richtigen Zuhause geworden. Nach der winzigen Wohnung in Shepherd’s Bush, in der sie gemeinsam mit ihrer Freundin Claire gelebt hatte, war es ihr zwar zunächst riesig vorgekommen, aber seit sie sich mit drei Erwachsenen und zwei Kindern hier drängten, schien es regelrecht geschrumpft zu sein.

Sobald sie ein bisschen Geld hätten, würden sie sich nach etwas Neuem umsehen, hatte Simon immer gesagt. Aber sie hatten nie Geld.

Methodisch wie immer sah Simon die Post durch. Der erste Umschlag enthielt einen Kontoauszug, den er überflog und dann in eine Ablage auf der Anrichte sortierte. Der zweite Brief stammte von einem Immobilienmakler. Simon breitete die Broschüre auf dem Tisch aus, und sie studierten die Angebote für Häuser mit vier Schlafzimmern. Das hatten sie in den letzten Monaten häufig getan; jetzt mussten sie ihre Wünsche noch weiter herunterschrauben.

»Wir schaffen es einfach nicht, oder?«, fragte Kate resigniert.

»Nicht, wenn wir in dieser Gegend bleiben wollen. Am südlichen Flussufer wird es ein bisschen günstiger.« Simon zeigte auf zwei Häuser in Wandsworth. »Die Grundsteuer ist dort auch etwas niedriger. Aber die Grundstücke sind klein.«

»Außerdem liegen beide Häuser direkt an der Hauptstraße«, wandte Kate ein. »Und mein Weg zur Arbeit würde noch länger.« Sie brauchte schon jetzt mit der U-Bahn eine Stunde; Simon nur etwas weniger. »Wir können von Tasha nicht verlangen, noch länger zu arbeiten, und ich sehe Sam und Daisy ja ohnehin kaum.«

»Ich fürchte nur, wenn wir etwas Größeres haben wollen, müssen wir weiter rausziehen. Nach Surrey zum Beispiel, in die Nähe deiner Eltern.« Kate sah ihn an und schüttelte energisch den Kopf. Sie besuchten ihre Mutter und ihren Vater, Major Carter und seine Frau, einmal im Monat, und das war jedes Mal eine ziemlich verkrampfte Angelegenheit.

»Okay, dann eben woandershin. Wir haben schon so oft darüber gesprochen, Kate. Wir drehen uns ständig im Kreis.«

»Ich könnte mir einen anderen Job suchen. Oder ganz aufhören zu arbeiten. Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem können wir das Geld gut brauchen, auch wenn verdammt viel für Tasha draufgeht.«

»Vielleicht könntest du Teilzeit arbeiten«, schlug Simon vor. »Hast du dich im Verlag schon mal danach erkundigt?«

»Ja, aber Karina hat mir noch keine Antwort gegeben. Ihrer Miene nach zu urteilen würde ich sagen, sie lautet Nein. Sie wird garantiert niemand Neues einstellen können. Außerdem müssten wir dann Tasha entlassen, und das wäre wirklich schade. Die Kinder hängen so an ihr.«

Gedankenverloren begann Kate, mit einem Bleistift auf ein Stück Papier zu kritzeln. Sie zeichnete ein Haus, so wie Kinder es malen: mit Gardinen an den Fenstern, einem rauchenden Schornstein und Blumen im Garten. Mit ein paar Strichen fügte sie noch eine lächelnde Frau hinzu und zwei Kinder, die mit einem kleinen Hund auf der Wiese herumtollten.

Plötzlich merkte sie, dass Simon ihr zusah. Er räusperte sich. »Erinnerst du dich noch an die Idee, die ich vor ein paar Wochen hatte? Es klingt verrückt, aber wäre es nicht toll, einfach aufs Land hinauszuziehen?«

Kate antwortete nicht. Sie zeichnete noch einen Vater zu ihrer kleinen Familie, der mit seiner Aktentasche strahlend auf das Gartentörchen zuging.

»Ja, genau so.« Simon lachte. »Aber die Haare stimmen nicht. Du kannst einfach keine Gesichter zeichnen, stimmt’s? Gib mal her.« Kichernd stritten sie um den Bleistift, bis er zu Boden fiel und unter die Anrichte rollte.

Sie sahen sich Kates Zeichnung an. Kate sprach als Erste.

»Du meinst Suffolk, oder?«

»Na ja, meine Mutter wohnt dort, und wir kennen uns aus.« Nachdem Dennis Hutchinson in den Ruhestand gegangen war, waren Simons Eltern von Bury St. Edmunds näher an die Küste gezogen. »Die Gegend ist wunderschön, und es täte den Kindern gut, auf dem Land aufzuwachsen.«

»Aber es ist so weit weg von London und all unseren Freunden und Bekannten. Und was ist mit unseren Jobs?«

»Ich könnte bei Pennifold bleiben. Von Diss aus sind es nur eineinhalb Stunden mit dem Zug. Und wenn es gar nicht anders geht, könnte ich mir in der Gegend etwas Neues suchen. Auch wenn die Bezahlung sicher nicht so gut wäre.«

»Und was soll ich machen?«

»Du würdest bestimmt was finden. Du könntest dich selbstständig machen mit einer kleinen Agentur oder als Lehrerin arbeiten. Und unsere Freunde könnten uns immer besuchen. Wir könnten uns ein schönes großes Haus leisten.«

»So eins meinst du?« Gähnend zeigte Kate auf ihre Zeichnung.

»Ja, aber mit geraden Wänden. So, ich mache uns jetzt einen Tee, dann gehen wir schlafen.«

Während Simon das Geschirr in der Spüle stapelte und Tee kochte, hing Kate ihren Gedanken nach. Es war ein grässlicher Tag gewesen, und sie war froh, dass es den Kindern wieder besser ging. Aber ihr graute schon vor dem morgigen Arbeitstag. Vermutlich lag es an ihrer Müdigkeit und dem ständigen Stress. Das Schlimmste aber war die Tatsache, dass sie kaum etwas von ihren Kindern hatte.

»Du hättest mehr Zeit für die Familie. Denk mal darüber nach.« Simon unterbrach ihre Gedanken und stellte die Milch zurück in den Kühlschrank. »Manchmal mache ich mir Sorgen um dich, Schatz. Du wirst doch nicht wieder depressiv, oder?« Er stellte zwei Becher Tee auf den Tisch und fuhr ihr liebevoll durch die Haare.

»Ich habe ja grundsätzlich nichts gegen einen Umzug«, meinte Kate zögernd. »Wir müssen das nur ganz genau überlegen.«

»Wir sollten eine Liste der Vor- und Nachteile erstellen«, schlug Simon vor und griff nach dem Unterlagen des Immobilienmaklers.

»Bitte nicht mehr heute Abend.« Kate gähnte wieder und nahm ihm den Umschlag aus der Hand.

»Also gut. Aber vielleicht können wir uns wenigstens ein paar Häuser ansehen, wenn wir am Wochenende bei meiner Mutter sind. Und ein bisschen kalkulieren.«

»Wenn die Kinder bis dahin wieder gesund sind«, antwortete Kate. »Ich hoffe es.«

Dann klaubte sie den Bleistift unter der Anrichte hervor, kritzelte etwas unter ihre Zeichnung, schüttelte lachend den Kopf und hängte das Blatt an die Pinnwand. Das Traumhaus stand jetzt darauf.

2. KAPITEL

Suffolk, November 2002

Am Freitag waren die Kinder wieder putzmunter, und am Samstagmorgen brachen die Hutchinsons nach Suffolk auf. Der Nieselregen, der sie während der ganzen Fahrt begleitete, ließ erst gegen Mittag nach; als sie von der Küste ins Landesinnere Richtung Halesworth abbogen, drang ein blasser Sonnenstrahl durch die Wolkendecke.

Kurz vor dem Neubaugebiet am Ortsrand verringerte Kate das Tempo und folgte der breiter werdenden Straße zur Ortsmitte. Zwei Dutzend Cottages, einige davon strohgedeckt, standen um eine kleine Grünfläche. Im Sommer blühte es hier üppig, aber jetzt sahen die Häuser verlassen aus und die Gärten nass und trostlos. Auf der gegenüberliegenden Seite ragte die Kirche aus dem 14. Jahrhundert aus dem Nebel. Sie fuhren weiter, vorbei an der Grundschule, einem viktorianischen Backsteinbau, der Post, einigen kleinen Läden und zwei Pubs. Eins von ihnen warb mit Livemusik jeden Freitagabend, das andere mit Hausmannskost täglich außer montags. Kate erinnerte sich daran, dass ihre Schwiegermutter Joyce ihr erzählt hatte, dass die Pubs zwei Brüdern gehörten. Offenbar lebten sie hier alte Rivalitäten aus. Kate lächelte und spürte, wie der Druck der Woche langsam von ihr abfiel.

»Muuuum, sind wir endlich da?« Daisy hatte diese Frage in den letzten zwanzig Minuten bestimmt zwanzigmal gestellt.

»Ja«, antwortete Kate gut gelaunt, als sie in eine kleine Straße einbogen. »Jetzt sind wir da!« Sie parkte vor dem einzigen Haus, einem großen strohgedeckten Cottage mit einem weißen Lattenzaun davor. Aus dem Schornstein kringelte sich Rauch. Eine richtige Bilderbuchidylle. Kate liebte es.

Als sie aus dem Wagen stieg, um die Türen zu öffnen, wäre Kate fast über ein bellendes schwarz-weißes Bündel gestolpert. Bobby, Joyce’ Cockerspaniel, war außer sich vor Freude über ihren Besuch.

Hinter dem aufgeregten Hund und den ausgelassen hüpfenden Kindern sah sie Joyce gemessenen Schrittes durch den Garten auf sie zukommen. Simons Mutter war eine große Frau Ende sechzig. Sie trug einen eleganten weißen Pulli mit Polokragen zum marineblauen Rock und eine silberne Kette. Dazu passende Ohrringe blitzten unter ihrem kurzen grauen Haar hervor.

Joyce legte den Arm um Simon, der gerade den Kofferraum öffnete, und küsste ihn.

Er macht ein Gesicht wie ein kleiner Junge, der es nicht leiden kann, von seiner Mutter gedrückt zu werden, dachte Kate nicht zum ersten Mal. Als sie Joyce umarmte, bedauerte sie einen Moment, dass sie ihre eigene Mutter nie so umarmen konnte, denn Barbara Carter hielt nichts von Zärtlichkeitsbekundungen. Sogar Daisy und Sam hatte sie als Babys immer so gehalten, als befürchtete sie, sie fallen zu lassen.

»Hattet ihr eine gute Fahrt?«, fragte Joyce. Sie drehte sich zu Daisy und Sam um, die sich darum stritten, wer als Erster von ihrer Granny umarmt werden würde. »Kinder, ich habe doch Platz für euch beide«, rief sie und schloss sie fest in die Arme.

»Granny, wir haben dir Pralinen mitgebracht. Darf ich eine haben?«, rief Sam.

»Wie lieb von euch! Kommt herein. Das Mittagessen ist fertig, danach dürft ihr Schokolade haben, Liebes. Simon, kannst du vielleicht später auspacken? Die Suppe wird sonst kalt.«

»Es dauert nicht lange, Mutter.«

»Aber es fängt schon wieder an zu regnen, und du hast keine Jacke an.« Tatsächlich fing es in diesem Moment an zu schütten. Hastig schob Kate die Kinder ins Haus, während Simon mit starrsinniger Miene die Taschen auslud. Seltsam, wie schnell Joyce und Simon in alte Verhaltensmuster zurückfallen, dachte Kate; sie spielt die Rolle der überfürsorglichen Mutter, und er setzt störrisch seinen eigenen Kopf durch.

»Ich hole dir wenigstens einen Schirm«, hörte sie Joyce sagen. »Und pass auf die Pfütze auf.«

Schulterzuckend ging Kate durch die Diele in das große Wohnzimmer, während die Kinder nach oben liefen, um alles genau zu inspizieren.

Paradise Cottage war der ideale Rückzugsort für ein gemütliches Winterwochenende. Im Wohnzimmer standen bequeme schwere Sessel um ein loderndes Kaminfeuer. Es roch nach Apfelbaumholz und Lavendelpolitur. Kate setzte sich einen Moment und betrachtete die alten Holzbalken, die chinesischen Porzellanfiguren auf dem Kaminsims und die Drucke und Fotografien an den Wänden. Sie konnte die Schritte der Kinder über sich hören und das bedächtige Ticken der Wanduhr. Ein richtiges Zuhause, dachte sie, und Bobby, der sich auf den Teppich vor dem Kamin fallen ließ, als sei er völlig erschöpft, schien ihr zuzustimmen.

Und mit einem Mal begann ihr eigenes Leben zu verblassen, das dunkle Haus in Fulham, die stark befahrene Hauptstraße, die quietschenden Bremsen der Laster, die Abgase der Autos, der schmutzige Regen, der nach Eisen und Ruß roch, ihr trostloses Büro mit dem grellen Neonlicht … Ein Holzscheit rutschte ächzend von dem brennenden Stapel, Funken sprühten auf.

»Wenn ich in so einem Haus wohnte, könnte ich endlich wieder ich selbst sein«, flüsterte sie Bobby zu, doch noch während er zustimmend mit dem Schwanz wedelte, befielen sie wieder Zweifel. Woher sollte sie wissen, wie es wirklich war, hier zu leben und nicht nur in den Ferien hier zu sein? Würde sie das Stadtleben nicht schrecklich vermissen? Vor allem ihren Job. Schließlich definierte sie sich nicht zuletzt über ihren Beruf. Was wäre, wenn sie ihn plötzlich nicht mehr hätte? Ihre Gedanken kreisten unentwegt.

Simon hat Recht. Wir müssen eine Liste mit Vor- und Nachteilen erstellen, überlegte Kate. Doch gerade da streckte Joyce den Kopf zur Tür herein, um sie zum Essen zu rufen.

»Wir waren doch noch nie in Norwich, oder?«, meinte Simon unternehmungslustig, als sie nach dem Mittagessen noch eine Tasse Kaffee tranken. »Es ist erst halb zwei. Wie wär’s mit einer kleinen Spazierfahrt im Auto bei dem ungemütlichen Wetter? Mutter, was sagst du dazu?«

»Es gibt dort ein Schloss«, versuchte Joyce die wenig begeisterten Kinder zu motivieren. »Und einen großen Marktplatz.«

»Ich komme nur mit, wenn ihr mir etwas kauft«, maulte Sam. Als er sah, dass seine Großmutter das Gesicht verzog und die Pralinenschachtel, die sie gerade herumreichte, enttäuscht zurückzog, fügte er rasch hinzu: »Also gut.«

Es erwies sich als Albtraum, an einem Samstag so kurz vor Weihnachten in Norwich einen Parkplatz zu suchen. Schließlich fanden sie aber doch noch eine Lücke ganz in der Nähe der Kathedrale. Sie beschlossen, einen kurzen Blick hineinzuwerfen. Joyce führte sie durch den schlichten gotischen Bau aus normannischem Sandstein. Daisy und Sam rannten ausgelassen durch die langen Kreuzgänge – sie ignorierten Kates Versuche, ihr Interesse für die farbigen Bossenquader am Deckengewölbe zu wecken, vollkommen. Simon sah sich unterdessen die Schatzkammer an. Als Joyce mit den Kindern im angrenzenden Shop verschwand, schlenderte Kate noch ein wenig allein umher. Sie las die Inschriften auf den Grabsteinen längst verstorbener Bischöfe, ließ ihre Finger über das kunstvoll geschnitzte Chorgestühl gleiten und lauschte der mächtigen Orgel über ihr. Auf der modernen Glastür am Eingang zu der kleinen Kapelle gleich neben dem Südportal standen zwei Zeilen aus einem Gedicht von T.S. Eliot: Greif nach der Stille/Am Ruhepol der bewegten Welt.

Genau da bin ich heute, dachte Kate. An einem Ruhepol. Da, wo man nachdenken und die Antworten auf drängende Fragen finden kann. Oder auch nicht.

Sie folgte den anderen in den Laden und entdeckte ein Lesezeichen mit den Worten der mittelalterlichen Mystikerin Juliana von Norwich: Alles wird gut werden, und alle Dinge jeglicher Art werden gut werden. Kate kaufte es, in der Hoffnung, dass die Heilige Recht hatte.

Als Simon und seine Mutter mit den Kindern das Schloss besichtigten, brach Kate allein zu einem Stadtbummel auf. Sie verabredeten, sich später am Marktplatz wieder zu treffen.

Kate überquerte eine Hauptstraße und tauchte in ein Gewirr kleiner Gassen ein. Das gleichförmige Geläut der Kathedrale durchdrang die kühle Luft des späten Nachmittags. Fast eine Stunde lang spazierte Kate an windschiefen Häusern vorbei, an Steinkirchen und unzähligen Pubs mit seltsamen Namen. Sie überquerte den Fluss, betrachtete die Schiffe und die alten Lagerhäuser an den Ufern und war so fasziniert, dass sie den kleinen Antiquitätenladen an einer der Straßenecken fast übersehen hätte. Ein im Schaufenster ausgestellter Teller mit schwarzen und orangefarbenen ägyptischen Ornamenten erregte ihre Aufmerksamkeit. Daneben stand eine nackte Nymphe mit einer Fackel in der Hand.

Kate spähte durch die staubige Scheibe ins Innere des Geschäfts und musste unwillkürlich an das Buch über die Zwanzigerjahre denken, an dem sie gerade gearbeitet hatte. Sie entdeckte ein Clarice-Cliffstyle-Teeservice, hinten an der Wand standen eine Art-déco-Garderobe und eine -Frisierkommode. Der Laden schien auf Kunstgewerbe aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren spezialisiert zu sein.

Die Schmuckauslage war es schließlich, die sie bewog, hineinzugehen. In einem Glaskasten waren ein wunderschönes Armband, dessen schwarz emaillierte viereckige Glieder ein zartes russisches Muster in Rot und Gold trugen, große Plastikohrringe und klotzige Ringe ausgestellt. Ein silberner Anhänger an einer verhedderten Kette kam Kate seltsamerweise vertraut vor. Auf dem Oval war das reliefartige Bildnis eines jungen Mädchens mit wallenden Haaren zu sehen. Auf seiner Handfläche saß eine Taube.

Als Kate die Tür aufstieß, ertönte ein feines Klingeln, aber niemand kam. Nach einer Weile wurde im hinteren Teil des Ladens eine Tür zugeschlagen, und ein junger Mann erschien mit einem angebissenen Apfel in der Hand. Er lächelte schüchtern, als Kate auf den Schaukasten zeigte.

»Darf ich?«, fragte sie und nahm den Anhänger heraus, als der junge Mann nickte. Es war ein Medaillon von der Größe einer Fünfzig-Pence-Münze. Als sie das Schmuckstück herumdrehte, stellte sie fest, dass der rückwärtige Teil fehlte. Im Inneren des verbliebenen Deckels steckte die vergilbte Fotografie einer Frau. Offenbar war das Scharnier gewaltsam aufgebrochen worden. Erneut betrachtete Kate die Vorderseite. Sie fuhr mit dem Daumen über das Relief. Es war ein wenig grob gearbeitet, aber irgendetwas an dem Mädchen – ihre Ernsthaftigkeit, die Verbundenheit mit dem Vogel in ihrer Hand – berührte Kate zutiefst. Die Kette, an der das Medaillon hing, war noch vollkommen intakt, ebenso der Verschluss.

Kate warf einen Blick auf das Preisschild – fünfundzwanzig Pfund. Das Medaillon war wunderschön, auch wenn es kaputt war. Plötzlich wollte sie es unbedingt haben. Sie würde es sich selbst schenken. Sie mochte Silberschmuck, er passte gut zu ihrer blassen Haut. Auch ihr Ehering war nicht aus Gold, sondern aus Platin.

Kate wandte sich an den jungen Mann. »Wissen Sie etwas über dieses Medaillon? Über seine Geschichte, meine ich?«

Er schüttelte den Kopf und warf das Kerngehäuse seines Apfels in den Abfalleimer. »Da müssen Sie meine Mutter fragen. Ich bin nur aushilfsweise hier im Laden.«

Kate musste sich schnell entscheiden. Die anderen würden bereits auf sie warten.

»Ich nehme es«, sagte sie und sah zu, wie der junge Mann es umständlich in Seidenpapier einwickelte.

Auf dem Weg zum Marktplatz konnte Kate nicht widerstehen – sie packte das Schmuckstück aus und streifte sich die Kette über den Kopf. Es fühlte sich kalt und schwer an auf ihrer Haut. Sie hatte den jungen Mann nach dem Weg gefragt und beeilte sich, um nicht allzu spät zu kommen.

Als Kate in jener Nacht in Paradise Cottage an Simon geschmiegt in dem großen Mahagonibett unter der Dachschräge lag, hatte sie einen Traum. Sie träumte, sie spazierte an einem wunderschönen Sommertag durch einen Garten, der von einer italienisch anmutenden Steinmauer umgeben war. Eine sanfte Brise streichelte ihr Gesicht. Vor ihr stand ein schönes Haus aus rotem Backstein mit großen Schornsteinen. An den Mauern rankten üppig blühende Glyzinen empor. Neben dem Haupthaus befand sich ein Gewächshaus; an einer der Wände wuchs eine Weinrebe bis zum Dach.

Die Flügeltüren in der Mitte des Hauses standen weit offen. Kate ging die vier Stufen zur Terrasse hinauf und sah in einen Wohnraum. Ein Tisch stand dort mit Stühlen, deren blauer Bezug verschossen war, ein blank polierter Flügel und ein Kamin. Sie drehte sich wieder zum Garten um und ließ den Blick über die duftenden Blumen, die Steinfiguren und den kleinen plätschernden Springbrunnen schweifen. Das seltsames Kreischen von Pfauen übertönte den Gesang der Vögel. Während sie dastand und wartete – worauf nur? –, veränderte sich das Licht, und der schöne Sommertag neigte sich dem Ende zu. Der Himmel färbte sich rotgolden, der Gesang der Vögel wurde leiser. Das Traumbild verblasste und begann vor ihren Augen zu zerfließen. Kate empfand ein schmerzliches Gefühl von Verlust.

Plötzlich wachte sie auf. Es war dunkel, und sie benötigte einen Moment, ehe sie wusste, wo sie war. Sie lag ganz still, lauschte auf das Knarren der Holzbalken und den Regen, der auf das Dach prasselte. Kate dachte an ihren Traum. Das Haus war ihr so vertraut erschienen, wie ein Zuhause. Und dennoch war sie ganz sicher, dass sie noch nie dort gewesen war. Vielleicht hatte sie es auf einem Foto oder in einem Film gesehen, und ihre Überlegungen, ein neues Haus zu kaufen, hatten aus den Erinnerungsfetzen ihres Unterbewusstseins diese Idealvorstellung eines idyllischen Heims erzeugt. Ein Wunschtraum also.

Kate versuchte vergeblich, wieder einzuschlafen. Eine Weile wälzte sie sich unruhig hin und her, dann stand sie leise auf. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür, dem Lichtschein entgegen, der durch einen schmalen Spalt vom Flur ins Zimmer fiel.

Sie huschte in das Zimmer der Kinder. Sam und Daisy schliefen friedlich; das sanfte Licht fiel auf ihre Gesichter. Kate bückte sich, um Daisys Plüschhund aufzuheben, der zu Boden gefallen war. Als sie ihn in die Armbeuge des kleinen Mädchens zurücklegte, öffnete Daisy verwirrt die Augen, schlief jedoch sofort weiter. Kate sah ihren Kindern eine Weile zu. Ich liebe sie am meisten, wenn sie schlafen, dachte sie plötzlich. Vielleicht, weil sie dann so unschuldig und schutzbedürftig aussehen. Sie und Simon sind das Wichtigste in meinem Leben. Wie kann ich sie nur jeden Tag so lange allein lassen? Kate setzte sich ans Fußende von Sams Bett und wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie überlegte, was mit ihr los war. In letzter Zeit weinte sie wegen jeder Kleinigkeit.

Wieder sah Kate das Haus aus ihrem Traum vor sich. Sie dachte über ihr Leben nach und darüber, wie es wäre, es ganz neu zu gestalten. Erst als ihr kalt wurde, ging sie in ihr eigenes Zimmer zurück. Sie fühlte sich seltsam beschwingt. Als sie mit der Hand nach dem Bett tastete, berührte sie etwas Kaltes, Hartes auf dem Nachttisch. Das Medaillon. Die Finger fest um den Schmuck geschlossen, schlüpfte sie wieder unter die Decke. Ihre Gedanken kreisten um ihre Kinder, das Haus und das Medaillon. Was sollten sie bloß tun?

»Simon?«, flüsterte sie, als sie ihn seufzen hörte. Lag er vielleicht auch wach?

»Hm?«

»Wir denken doch über einen Umzug nach, nicht? Hier in dieser Gegend könnten wir uns sicher ein großes Haus leisten, oder?«

Er brummte etwas Unverständliches, und bevor sie nachhaken konnte, war er schon wieder eingeschlafen.

Kate nahm sich fest vor, schon bald einige Immobilienmakler in Halesworth aufzusuchen und zu sehen, was sie anzubieten hatten. Anschauen konnte ja nicht schaden.

Als Kate am darauffolgenden Nachmittag alles für die Heimreise packte, warf sie ein Manuskript, das sie bis zum kommenden Morgen gelesen haben sollte, mit dem sie aber noch immer nicht fertig war, in Joyce’ Altpapiertonne. Diese winzige Geste der Rebellion erfüllte sie mit Genugtuung. Das Medaillon steckte sie in ein kleines Reißverschlussfach ihrer Reisetasche – und vergaß es, als der Alltagstrott zu Hause sie wieder eingeholt hatte.

3. KAPITEL

London, April 2003

Am ersten Sonntag im April befanden sich die Hutchinsons unter den Zuschauern, die die Themseufer in der Nähe der Hammersmith Bridge säumten, um die alljährlich stattfindende Ruderregatta zwischen den Universitäten Oxford und Cambridge zu verfolgen. Sie waren zu Besuch bei den Longmans, einer befreundeten Familie, deren Grundstück an den Treidelpfad grenzte und die eine ihrer berühmten Partys gab.

»Verdammt, Kate! Sam liegt gleich im Fluss! Hier, nimm Charlie.« Laurence Longman drückte Kate seinen Sohn in die Arme. Kate wirbelte erschrocken herum und sah den vierjährigen Sam in voller Spiderman-Montur auf dem Ast einer Weide turnen, der über die reißenden Fluten der Themse hinausragte. Sie rannte sofort los, aber Laurence war schneller. Er hielt sich so gut es ging an dem Baumstamm fest, bekam Sam zu fassen und zog ihn in Sicherheit.

Erleichtert riss Kate ihren Sohn an sich. Bei der Vorstellung, was hätte passieren können, wurde ihr übel.

»Ich will die Boote sehen! Ich kann nichts sehen!« Sam zappelte heftig.

»Warte, ich heb dich hoch. Halt dich fest!« Mit Laurence’ Hilfe hievte sie ihn auf ihre schmalen Schultern. »Herrje, bist du schwer. Ich darf dir nicht mehr so viel zu essen geben.«

»Sie kommen!«, rief jemand. Kate ging ein wenig näher ans Ufer, um besser sehen zu können. In der Ferne konnte man die beiden Boote erkennen. Sie lagen praktisch gleichauf. Die Ruder tauchten in gleichmäßigem Rhythmus ins Wasser ein, das hoch aufspritzte. Sam rutschte ungeduldig auf ihren Schultern hin und her. Sie hob ihn herunter, packte ihn jedoch am Kragen, als er sofort wieder in Richtung Fluss strebte.

Simon stand mit Daisy auf den Schultern ein Stück flussabwärts. Die beiden hielten zu Oxford und ließen sich nicht davon abbringen. Kate lächelte, und Simon lächelte zurück. Ein warmes Glücksgefühl durchströmte sie. Sie hatten ein Geheimnis, und heute würden sie es preisgeben.

Seit fünf Jahren hatten sie keine Party versäumt, die Laurence und Liz aus Anlass der Ruderregatta in ihrem Haus in Barnes gegeben hatten. Kate kam ein trauriger Gedanke – vielleicht war es für sie und Simon die letzte Regattaparty.

»Cambridge schafft es!«, rief in diesem Moment ein Mann. »Unsinn! Oxford gewinnt«, antwortete ein anderer.

»Wann gehen wir endlich?« Sam hatte auf einmal das Interesse verloren. Kate machte Simon ein Zeichen und folgte ihrem Sohn durch das Gartentor auf das Grundstück der Longmans, wo sie sich unter die anderen Gäste mischten. Später erfuhren sie, dass das Boot aus Oxford tatsächlich gewonnen hatte.

Als Sam und Daisy mit Charlie und seinen Schwestern, den Zwillingen Lily und Lottie, im Kinderzimmer spielten, ging Kate in den Garten, um Liz zu suchen.

Die ersten Gäste waren bereits gegangen. Simon unterhielt sich mit einer blonden, schick gekleideten Frau Ende dreißig, die Kate als Meredith Sowieso vorgestellt worden war. Sie war Amerikanerin und eine Banker-Kollegin von Laurence’ Bruder Ted. Ein wenig neidisch bemerkte Kate, dass sie eine der bestickten Miu-Miu-Taschen trug, die kürzlich in Desira vorgestellt worden waren, dem Lifestyle-Magazin, für das Liz als Herausgeberin und Laurence als Artdirektor arbeitete.

Von den Gastgebern war niemand zu sehen. Simon war so in seine Unterhaltung vertieft, dass er Kate nicht bemerkte, die ihn verstohlen beobachtete. Sie versuchte ihn durch die Augen einer Fremden zu sehen – wie damals, als sie sich kennen gelernt hatten. Er sieht Jude Law tatsächlich sehr ähnlich, dachte sie – nicht zum ersten Mal. Seine Gesten hatten eine geschmeidige Eleganz, sie registrierte, dass er eine französische Zigarette in den Fingern hielt, die er jedoch nicht angezündet hatte. Sein schwarzer Kaschmirpulli und die alte Lederjacke trugen Spuren von Daisys Schuhen, aber das störte sie nicht: Sie sah ihn durch die rosarote Brille der Liebe. Plötzlich fiel ihr auf, wie verführerisch Simon diese Meredith ansah. Sie schien förmlich an seinen Lippen zu kleben. So verführerisch hatte er sie, Kate, lange nicht mehr angesehen.

Simon liebte die Gesellschaft von Frauen, seine offene, jungenhafte Art hatte auch Kate damals sofort beeindruckt. Sie selbst war im Umgang mit dem anderen Geschlecht immer zurückhaltend gewesen – im Gegensatz zu Liz und vielen anderen ihrer Freundinnen.

Kate war Simon auf der Verlobungsfeier ihrer alten Schulfreundin Sarah zum ersten Mal begegnet. Sie hatte ein wenig abseits gestanden, als sie jemand anrempelte, sodass ihr Champagner übers Kleid schwappte. Simon hatte den Vorfall beobachtet und kam ihr zu Hilfe. Er reichte ihr ein Papiertuch, damit sie die Flecken abtupfen konnte, dann besorgte er ihr ein neues Glas Champagner. Er erzählte ihr von seiner Schulzeit und der Freundschaft zu Sarahs Verlobtem, und die ganze Zeit hielt er den Blick auf sie gerichtet – erst auf ihre Augen, dann auf ihren Mund. Als er ihr Feuer gab – damals hatten sie beide gelegentlich geraucht –, berührten sich ihre Hände kurz, und Kate wurde ganz heiß.

In den folgenden Wochen brachte er sie dazu, mehr aus sich herauszugehen und selbstsicherer zu werden. Umgekehrt akzeptierte sie ihn so wie er war und versuchte nicht, wie seine anderen Freundinnen es immer wieder versucht hatten, ihn zu ändern. Sie erinnerte sich an eine Unterhaltung, die sie auf dem Rückweg von Suffolk geführt hatten, wo er sie seinen Eltern vorgestellt hatte. Kate war aufgefallen, wie angespannt er in ihrer Gegenwart gewirkt hatte, und Simon hatte ihr gestanden, dass sein Vater ständig Erwartungen an ihn richtete, die er nicht erfüllen konnte oder wollte. Anscheinend hatte er es nie verwunden, dass sein Sohn nicht Medizin studiert hatte wie er selbst, sondern Wirtschaftsprüfer geworden war. Und nun drängte er ihn, Teilhaber in der Firma zu werden, in der er angestellt war, wovon Simon jedoch nichts wissen wollte. »Wer weiß, vielleicht verdiene ich so viel, dass ich mit vierzig aufhören kann zu arbeiten«, hatte er gescherzt und Kate dieses warmherzige Lächeln geschenkt, bei dem ihr Herz jedes Mal einen Sprung machte.

Als sie ihn jetzt ansah, empfand sie dieselbe Zärtlichkeit für ihn wie in jenen längst vergangenen Tagen. Die Leidenschaft war inzwischen ein wenig abgekühlt, aber das war nach acht Ehejahren und mit dem Stress von zwei Fulltimejobs und zwei Kindern nicht verwunderlich. Und jetzt hatten sie ja eine Entscheidung getroffen, ein neues Leben zu beginnen, in dem sie vielleicht wieder mehr Zeit füreinander hatten …

»Das ist nicht dein Ernst!« Das heisere Lachen von Miss Miu-Miu riss Kate aus ihren Gedanken. Lächelnd drehte sich Simon zur Seite und erstarrte, als er Kate erblickte. Hastig ließ er die Zigarette in seiner Hosentasche verschwinden – als wäre ich seine Mutter, dachte Kate – und streckte die Hand nach seiner Frau aus.

»Du hast Kate bereits kennen gelernt, nicht wahr, Meredith?«

»Aber ja«, antwortete Simons Gesprächspartnerin nicht gerade erfreut und musterte Kate von Kopf bis Fuß. Neben Meredith in ihren Designerklamotten kam sie sich plötzlich schrecklich altbacken vor. Krampfhaft versuchte sie etwas zu sagen.

»Wie lange kennst du Ted schon?« Meredith runzelte genervt die Stirn.

In diesem Augenblick erschien Liz mit einem Tablett voll Kaffeetassen in der Küchentür. »Könnte einer von euch Männern mir das mal abnehmen?«, rief sie. Ted, der genauso lang und schlaksig war wie sein Bruder Laurence, entschuldigte sich bei seinen Banker-Kollegen und kam ihr zu Hilfe. Als er mit dem Tablett zu Kate, Simon und Meredith kam, wäre er fast über Sam gestolpert.

»Mummy, Daddy, Charlie hat mir meine Spider-Maske weggenommen, und Daisy hat mich geschubst!« Sein rundes Gesicht war tränenüberströmt, und Simon bückte sich sofort, um ihn zu trösten. »Komm mit, Daddy. Sag ihnen, sie sollen damit aufhören.« Simon nahm den schmutzigen kleinen Spiderman auf den Arm, warf den beiden Frauen einen entschuldigenden Blick zu und verschwand. Meredith bedachte Kate mit einem kühlen Lächeln und gesellte sich zu den Bankern.

Na wunderbar, dachte Kate. Sie kam sich ziemlich blöd vor. Als sie sich umdrehte, sah sie Liz mit einem weiteren Tablett aus der Tür kommen. Diesmal standen nur zwei Kaffeebecher darauf.

»So, nun sind alle versorgt.« Sie lächelte Kate an. »Komm, wir zwei suchen uns ein ruhiges Plätzchen. Wir haben noch gar nicht miteinander gesprochen, aber du weißt ja, wie das auf Partys so ist.«

Sie setzten sich an einen kleinen Gartentisch. Liz berührte Kates Arm. »Was ist los mit dir? Du wirkst heute so abwesend. Was beschäftigt dich?«

Liz und Kate kannten sich seit ihrer Studienzeit an der Universität von York, aber Freundinnen waren sie erst geworden, als sie sich im Geburtsvorbereitungskurs in Hammersmith wiedergetroffen hatten. Seither standen sie sich sehr nah. Während sie ihren Kaffee tranken, musste Liz immer wieder aufstehen, um sich von Gästen zu verabschieden. Später, als alle weg waren und es bereits dunkel wurde, gesellte sich auch Simon zu den beiden Frauen. Laurence erschien mit einer Kanne Tee in der Küchentür. »Ziemlich kühl hier draußen. Sollen wir die Kinder nicht lieber ins Haus schicken?«

Kate warf einen Blick auf die friedlich spielenden Kinder. »Warte!«, sagte sie rasch. »Wir müssen euch erst etwas sagen.« Sie griff nach Simons Hand, und er drückte sie fest.

»Du bist doch nicht etwa schon wieder schwanger?« Liz sah sie entsetzt an. »Ich warne dich, drei Kinder sind kein Spaß. Hast du gesehen, wie grau meine Haare geworden sind?« Sie schüttelte ihre perfekt gestylte rote Mähne.

Kate lachte. »Nein, ich bin nicht schwanger. Es ist nur so, ihr wisst ja, dass wir überlegen umzuziehen, nicht? Und jetzt haben wir beschlossen …«

»Wir ziehen von London fort«, unterbrach Simon sie. »Gestern war der Immobilienmakler da. Ende der Woche steht unser Haus zum Verkauf.«

Zunächst herrschte Stille, dann meinte Liz fassungslos: »Ihr zieht von London fort? Aber wohin denn?«

Kate warf Simon einen Hilfe suchenden Blick zu. »Nach Suffolk«, antwortete sie und zuckte zusammen, als Liz aufstöhnte.

»Puh!« Laurence verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Das kommt aber plötzlich. Wir dachten, ihr meintet irgendetwas am südlichen Flussufer. Wo denn in Suffolk?«

»Fernley«, stieß Kate mühsam hervor. »Halesworth. Da, wo Simons Mutter wohnt.«

»Aber das ist ja meilenweit entfernt«, kreischte Liz. »Praktisch in der Nordsee. Das könnt ihr doch nicht machen.«

»Haben wir uns dort nicht mal irgendwo getroffen?«, meinte Laurence. »In Southwold, dem Ort mit dem Leuchtturm in der Stadt?«

»Stimmt.« Simon nickte. »Ihr hattet damals dieses Cottage gemietet. Ja, es ist in der Nähe von Southwold, aber da, wo meine Mutter wohnt, gibt es nicht so viele Touristen. Halesworth ist ein netter kleiner Ort, und man ist schnell in Norwich und Ipswich.«

»Kate, das ist ja schrecklich. Ich meine, warum tut ihr das?«

Kate war auf diese Reaktion vorbereitet gewesen, trotzdem traf sie der Kummer ihrer Freundin bis ins Mark. Liz gehörte zu den Menschen, die sie am meisten vermissen würde.

»Wir haben es einfach satt, Liz«, sagte sie leise. »Alles. Ständig nur zu arbeiten, keine Zeit für die Kinder zu haben, keine Zeit für uns zu haben. Und dann dieser ganze Lärm von den Flugzeugen und der Fulham Palace Road, die praktisch an unserem Schlafzimmerfenster vorbeiführt.«

»Außerdem wäre es schön, wenn die Kinder einen richtigen Garten hätten«, fügte Simon hinzu.

»Aber ihr habt doch all eure Freunde hier«, wandte Liz ein. »Und was ist mit dem Theater und den Museen und all diesen Dingen? Auf dem Land macht man Urlaub, da wohnt man nicht. Ihr seid doch Stadtmenschen, genau wie wir.«

»Eigentlich sind wir das nicht, Liz. Simon ist auf dem Land groß geworden, und ich habe schon überall gelebt. Wir sind einfach am Ende unserer Kräfte. Und wir haben beschlossen, das alles nicht mehr mitzumachen. Wir wollen mehr Zeit für uns haben. Ist das denn so schwer zu verstehen?«

»Aber warum so weit weg? Das ist so radikal.«

»Liz, wir ziehen nach Suffolk, nicht auf den Mars«, scherzte Simon.

»Was ist mit deinem Job, Simon? Du kannst auch von dort nach London fahren, oder?« Laurence war pragmatisch wie immer.

»Ja, ich kann von Diss mit dem Zug fahren«, antwortete Simon. »Die Fahrt dauert nur anderthalb Stunden, und vom Bahnhof kann ich zu Fuß ins Büro gehen. Erinnert ihr euch an Nigel, den ihr mal bei uns kennen gelernt habt? Diesen Finanzmakler? Seine Frau hat ihn verlassen, und er sitzt jetzt ganz allein in einer riesigen Wohnung in den Docklands. Er hat mir angeboten, bei ihm zu übernachten, wenn es abends mal später werden sollte. Außerdem kann ich im Zug arbeiten, wenn ich meinen Laptop mitnehme.«

»Aber du wolltest dich doch nach einer neuen Stelle umsehen«, meinte Kate. Dies war einer der Punkte, der ihr die meisten Sorgen bereitete. Simon schien wenig Lust zu verspüren, sich beruflich zu verändern. Dabei konnte sie es ihm nicht mal verdenken. Ein Job in der Provinz würde nicht nur finanzielle Verluste bedeuten, sondern auch zu Lasten seiner Karriere gehen.

»Sobald wir uns ein wenig eingewöhnt haben«, versprach Simon und trommelte mit den Fingern auf die Stuhllehne.

»Wo werdet ihr denn überhaupt wohnen?«, fragte Liz.

»Das wissen wir noch nicht«, gestand Kate. Liz riss erstaunt die Augen auf. »Wir werden uns etwas Passendes suchen, bis dahin bleiben wir erst einmal bei Simons Mutter.« Darauf hatte Joyce’ Mutter bestanden, als sie ihr von ihren Umzugsplänen erzählt hatten. Sie hatte jegliche Form der Mietzahlung abgelehnt, nur einer Beteiligung an den Haushaltskosten zugestimmt.

»Besser du als ich«, murmelte Liz mit einem kurzen Seitenblick auf Laurence, der tat, als hätte er nichts gehört. Laurence’ Mutter war eine starke Persönlichkeit. Sie und Liz würden wahrscheinlich keine Nacht unter demselben Dach verbringen können, überlegte Kate. Gut, dass dies bei ihr und Joyce anders war.

»Es wird schon klappen«, meinte Kate zuversichtlich. »Joyce freut sich darauf, uns bei sich zu haben. Es gibt zwar nur drei Schlafzimmer, aber als Übergangslösung reicht das.«

»Wir werden euch vermissen.«

»Es wird höchste Zeit, dass sich bei uns etwas ändert.« Kate spielte nervös mit ihrer Teetasse, bis diese umkippte und der Tee durch die Holzlatten des Tisches auf die Wiese tropfte. Laurence warf ein Geschirrtuch auf die nasse Stelle. »Oje, das tut mir leid«, rief Kate. »Ich bin einfach mit den Nerven am Ende. Ich weiß gar nicht, wie du das machst, Liz. Ich brauche einfach mehr Ruhe, mehr Zeit zum Nachdenken. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wieso ich damals überhaupt nach London gezogen bin. Sicher, weil alle das taten. Ich habe damals Englisch studiert, und jeder sagte zu mir: ›Du musst zur BBC, ins Verlagsgeschäft, in einen Lehrberuf.‹ Und dann bekam ich die Stelle als PR-Assistentin und bin aus der Tretmühle nie wieder rausgekommen. Der Job macht mir großen Spaß, versteh das nicht falsch, aber ich weiß, dass ich auch noch andere Talente habe. Und jetzt habe ich endlich eine Chance herauszufinden, welche.«

Kate sah ihre Zuhörer an. Liz nickte nachdenklich. »Vielleicht kann ich mich zur Lehrerin ausbilden lassen«, fuhr Kate fort. »Oder es stellt sich heraus, dass ich mich aufs Gärtnern verstehe oder eine gute Geschäftsfrau bin. Vielleicht mache ich auch einen kleinen Laden auf. Ganz egal, was ich mache, es muss sich auf jeden Fall besser mit den Kindern vereinbaren lassen.« Während Kate redete, erschien ihr plötzlich alles viel realer. »Außerdem kann ich nebenher immer noch frei für Jansen & Hicks arbeiten. Schließlich will ich ja geistig nicht ganz verkümmern«, fügte sie hinzu.

Liz lächelte. »Du könntest auch für unsere Zeitschrift schreiben«, schlug sie vor. »Was hältst du von einer Kolumne mit dem Titel Mein Leben zwischen den Kohlrabis. Wir werden ein Foto von dir mit Latzhose dazu veröffentlichen.«

»Ach, sei doch still!« Kate lachte.

»Wie sieht es denn mit Schulen für die Kinder aus?«, schaltete Laurence sich ein.

»Wir haben uns einige angesehen, als wir in den Ferien bei meiner Mutter waren«, antwortete Simon. »In Fernley gibt es eine Dorfschule, die in Halesworth ist etwas größer. Beide könnten Daisy im September aufnehmen. Sam bekäme erst Ostern einen Platz in Halesworth. Aber die Grundschule in Fernley gefällt uns auch. Sie ist allerdings wirklich sehr klein und leider auch ein wenig baufällig.«

»Halesworth ist leider weiter weg, und die Schüler dort kommen sicher nicht nur aus dem Ort …«

Kate fing Liz’ Blick auf. Ihre Freundin schien etwas sagen zu wollen, entschied sich jedoch dagegen. »Die Einzelheiten sind noch nicht alle geklärt, aber das wird sich ergeben«, fuhr Kate trotzig fort. »Ich freue mich jedenfalls, dass wir diese Entscheidung getroffen haben. Und für Joyce ist es auch besser so. Seit Simons Vater tot ist, fühlt sie sich schrecklich einsam.«

»Aber du kannst doch nicht umziehen, nur damit deine Schwiegermutter glücklich wird.«

»Jetzt drehst du mir das Wort im Mund um, Liz. Wir fangen etwas Neues an, und ich kann immer mit den Kindern zusammen sein, das ist doch fantastisch! Wir werden uns ein hübsches Haus suchen, ein altes mit einem großen Garten! Und wer weiß, vielleicht können wir uns auch Tiere zulegen. Joyce hat einen Hund – das wäre auch was für uns.«

Daisy war zu ihnen an den Tisch gekommen und hatte den Kopf auf Simons Knie gelegt. Jetzt wurde sie hellhörig. »Und Ponys. Dad, du hast gesagt, wir könnten reiten gehen oder sogar ein eigenes Pony haben.«

»Zwei eigene Ponys«, verbesserte Simon und zog sie spielerisch an den Haaren. »Und ein Shetlandpony für Grandma.« Daisy kicherte bei der Vorstellung der eleganten Joyce auf einem kleinen dicken Pony.

»Ihr könnt uns alle jederzeit besuchen kommen!« Kate drückte Liz’ Arm. »In unserem Traumhaus.«

Aber Liz war noch nicht überzeugt. »Hast du es deinen Eltern schon gesagt?«, fragte sie.

Kates Miene wurde verschlossen. »Nein«, antwortete sie knapp. »Sie sind im Moment in Spanien. Wir sehen sie erst nächstes Wochenende. Mir graut jetzt schon davor.«

4. KAPITEL

Ich weiß gar nicht, was ich mehr befürchte«, sagte Kate zu Simon, als sie am darauffolgenden Sonntag zu Kates Eltern nach Surrey fuhren und in einem Stau feststeckten. »Dass sie traurig sind, weil wir so weit wegziehen und ihnen die Enkelkinder entziehen, oder dass sie so mit sich selbst beschäftigt sind, dass es ihnen gleichgültig ist.«

»Ich bin jedenfalls froh, wenn wir das hinter uns haben«, brummte Simon, der sich in der Gegenwart seiner Schwiegereltern immer unwohl fühlte. »Sam, gib Daisy sofort ihr Spielzeug zurück. Hört endlich auf zu zanken.« Genervt schaute er in den Rückspiegel. Kate drehte sich um und versuchte, für Ruhe zu sorgen.

»Diese verdammte Baustelle!«, schimpfte Simon und schlug aufs Lenkrad. Wie auf ein Zeichen hin setzten sich die Autos vor ihnen wieder in Bewegung.

»Wenn wir uns ein neues Haus kaufen, sollte es groß genug sein, damit meine Eltern zu Besuch kommen und bei uns übernachten können«, sagte Kate. Simon gab Gas und schaffte die Baustellenampel gerade noch bei Grün. »Vielleicht sind sie dann ein bisschen entspannter. Sie könnten Weihnachten bei uns verbringen. Wäre das nicht schön, so ein richtig altmodisches Weihnachtsfest in unserem eigenen Landhaus?«

»Ja, dann könnten sie